Bei meinen Recherchen zu dem mit Die Darstellung der Liebe in der
deutschen Kunst der Spätgotik betitelten Thema meiner Hausarbeit,
musste ich feststellen, dass die Anzahl dazu existierender Tafelbilder sehr
gering ist. Sie sind einzureihen in das Fünftel, das sich nicht mit dem
Thema der Heilsgeschichte oder der Bibel beschäftigte. (1)
Dem ist noch hinzuzufügen, dass der Bestand an gotischer Tafelmalerei
„nach den Schätzungen der Experten zwischen 3 % und 10 % des
ursprünglichen Bestandes“ (2) ausmacht.
Ausschlaggebend hierfür war die hohe Brandlastigkeit der mittelalterlichen
Städte aufgrund des dominierenden Baumaterials Holz. Ihr Übriges
erledigte die Reformationszeit: Sakrale Tafelbilder, die dem Feuer bis
dahin entkommen waren, fielen nun den Bilderstürmen zum Opfer. (3)
Umso glücklicher für die Kunstgeschichte ist der Erhalt dieser knappen
zwanzig Prozent. So kann dennoch ein Einblick in die Malerei der
gotischen Zeit gewährt werden.
Der Ursprung, die Begrifflichkeit und die unterschiedlichen Themen der
Gotik sollen auch den Anfang meiner Arbeit markieren. Wichtig wird
zudem sein, wesentliche Voraussetzungen für die Liebesthematik
aufzuzeigen, wobei die Minnedichtung, das Minnekästchen und die
Tapisserie für mich von Bedeutung sein werden.
Schließlich soll die Tafelmalerei in den Vordergrund rücken, wobei der
Inhalt meines Referats – Der Liebeszauber – dabei den Ausgangspunkt
bilden wird. Der Grund hierfür ist, dass ich diesen Volksbrauch als
Grundlage der Entwicklung einer Liebe heranziehen möchte. Es sollen
insgesamt drei verschiedene Etappen im Leben eines Paares aufgezeigt
werden. Der weitere Verlauf einer Beziehung nach dem Zueinanderfinden
soll anhand des Gothaer Liebespaares und des Brautpaars im Garten
belegt werden.
Dass sich die Paare am Tag ihrer Hochzeit bereits mit ihrem Tod
auseinander setzten, soll zu guter letzt behandelt werden. Die Rückseite
des Tafelbildes Brautpaar im Garten, das sogenannte Totenpaar, soll die
bildliche Grundlage dafür darstellen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die gotische Kunst – Ursprung, Themen und Innovationen
3. Minnekästchen und Bildteppiche – zwei Ursprünge der Darstellungen der Liebe in der Kunst des Mittelalters
3.1 Das Minnekästchen
3.2 Der Bildteppich
4. Die Darstellung verschiedener Phasen der Liebe in der Tafelmalerei
4.1 Das Entflammen der Liebe
4.2 Das tiefe Gefühl der Liebe im Augenblick des Zusammenseins
4.3 Die Unendlichkeit der Liebe bis in den Tod
5. Resümee
6. Anmerkungen
7. Literaturverzeichnis
8. Internetadressenverzeichnis
9. Abbildungsverzeichnis Seite
10. Abbildungen
1. Einleitung
Bei meinen Recherchen zu dem mit Die Darstellung der Liebe in der deutschen Kunst der Spätgotik betitelten Thema meiner Hausarbeit, musste ich feststellen, dass die Anzahl dazu existierender Tafelbilder sehr gering ist. Sie sind einzureihen in das Fünftel, das sich nicht mit dem Thema der Heilsgeschichte oder der Bibel beschäftigte. (1 ) Dem ist noch hinzuzufügen, dass der Bestand an gotischer Tafelmalerei „nach den Schätzungen der Experten zwischen 3 % und 10 % des ursprünglichen Bestandes“ (2 ) ausmacht.
Ausschlaggebend hierfür war die hohe Brandlastigkeit der mittelalterlichen Städte aufgrund des dominierenden Baumaterials Holz. Ihr Übriges erledigte die Reformationszeit: Sakrale Tafelbilder, die dem Feuer bis dahin entkommen waren, fielen nun den Bilderstürmen zum Opfer. (3 ) Umso glücklicher für die Kunstgeschichte ist der Erhalt dieser knappen zwanzig Prozent. So kann dennoch ein Einblick in die Malerei der gotischen Zeit gewährt werden.
Der Ursprung, die Begrifflichkeit und die unterschiedlichen Themen der Gotik sollen auch den Anfang meiner Arbeit markieren. Wichtig wird zudem sein, wesentliche Voraussetzungen für die Liebesthematik aufzuzeigen, wobei die Minnedichtung, das Minnekästchen und die Tapisserie für mich von Bedeutung sein werden.
Schließlich soll die Tafelmalerei in den Vordergrund rücken, wobei der Inhalt meines Referats - Der Liebeszauber - dabei den Ausgangspunkt bilden wird. Der Grund hierfür ist, dass ich diesen Volksbrauch als Grundlage der Entwicklung einer Liebe heranziehen möchte. Es sollen insgesamt drei verschiedene Etappen im Leben eines Paares aufgezeigt werden. Der weitere Verlauf einer Beziehung nach dem Zueinanderfinden soll anhand des Gothaer Liebespaares und des Brautpaars im Garten belegt werden.
Dass sich die Paare am Tag ihrer Hochzeit bereits mit ihrem Tod auseinander setzten, soll zu guter letzt behandelt werden. Die Rückseite des Tafelbildes Brautpaar im Garten, das sogenannte Totenpaar, soll die bildliche Grundlage dafür darstellen.
2. Die gotische Kunst - Ursprung, Themen und Innovationen
Die Gotik setzte in Europa in der zweiten Hälfte des Mittelalters ein. Ausgangspunkt war Frankreich, insbesondere die Île de France (4 ) - eine Landschaft im Ostteil des Pariser Beckens an der mittleren Seine. Die ersten gotischen Züge zeigen sich hier um 1140. Im folgenden Jahrhundert breitete sie sich dann im restlichen Europa allmählich aus. In Deutschland setzte die gotische Kunst circa 1235 ein. In Europa findet sie ihr Ende allmählich mit dem Beginn der Renaissance in Italien am Anfang des 15. Jahrhunderts. (5 ) Ein Maler, Architekt und Kunsthistoriograph der italienischen Renaissance Giorgio Vasari - war es auch, der der Epoche der Gotik ihren Namen verlieh. Er verwendete den Begriff Gotik begleitend mit einem abwertenden Sinngehalt und kritisierte damit das Kunstschaffen zwischen Antike und Renaissance. Dabei legte er sein Augenmerk insbesondere auf die Arbeiten der in seinen Augen barbarischen Goten, einem ostgermanischen Volksstamm skandinavischer Herrschaft. Erst in der Romantik erfährt diese Ablehnung eine positive Umkehrung. (6.)
In den nördlicheren Gebieten, so auch in Deutschland, hält sich die Gotik bis in das 16. Jahrhundert hinein. Die Kunst der deutschen Spätgotik, die sich über den Zeitraum von etwa 1360 bis 1525 erstreckte, ist geprägt vom kirchlichen Ursprung der gotischen Kunst. Die Kunst hatte kirchliche Aufgaben zu erfüllen, so „die Vermittlung und Überlieferung religiöser Gedanken, von Glaubenssätzen, vorbildliche Haltungen und Heiligengeschichten“ […] (7 ). So behandeln knapp „achtzig Prozent aller im Quattrocento entstandenen Werke […] Stoffe aus der Bibel oder der Heiligengeschichte“ (8 ). Doch gerade in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts schafft ein anderes Sujet den Eingang in die Kunst - das des Gefühls, das der Liebe. An die Malerei wurde nun die Anforderung gestellt „das Auge [zu] erfreuen und die Sinne [zu] umschmeicheln“ (9 ). Dieser Anspruch findet beispielsweise Umsetzung im Liebeszauber (Abb. 1) eines unbekannten, niederrheinischen Meisters von 1470/80 oder im Gothaer Liebespaar“ (Abb. 2) des Hausbuchmeisters, das um 1480 entstanden ist. Der Mensch gerät in den Mittelpunkt der künstlerischen Betrachtung.Die Beziehungen der Menschen untereinander, aber auch das Verhältnis zu der Welt, die sie umgibt, rücken nun in den Vordergrund. Ein auslösender Faktor für diese Entwicklung war unter anderem die Minnedichtung. Die Lieder der Troubadoure handelten von der Schönheit der Natur, dem Gesang der Vögel, der Vasallentreue und natürlich von der Schwärmerei und der Liebe. Deutlich zeichnet sich hier auch ein Wandel in der Kunstauffassung ab. Was bis dato gar selten und zudem in einer eher schamhaften Art und Weise in der Buchmalerei behandelt worden war, findet nun seinen Einzug in private Räumlichkeiten. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Entstehung einer neuen Bildform innerhalb der deutschen Gotik, die des Tafelbildes. (10 )
Jenes war aus dem Altarretabel hervorgegangen. Dieser wurde als einfache oder mehrteilige Konstruktion auf oder hinter dem Altar angebracht. Er fungierte als Grundlage für die Darstellung christlicher Themen, diente dabei aber nicht nur als Fundament zur Bemalung, sondern war auch oft sehr reich plastisch gestaltet, zum Beispiel in Form von Flach- und Hochreliefs. Die Materialien, aus denen er geschaffen wurde, unterscheiden sich je nach Zeit und Herkunftsort. So finden sich Exemplare aus Holz, Stein, Metall, Stuckmarmor, Terrakotta oder gar aus Elfenbein. Der hölzerne Altaraufsatz war dabei am meisten verbreitet. (11 ) Er gilt als Vorreiter der entstehenden Tafelmalerei. Das Tafelbild entstand aus dem individuellen Bedürfnis nach privater Andacht. Als Bildträger wurden ursprünglich Holztafeln verwendet.
Diese wurden auch als Malbretter bezeichnet und stellten gerahmte Bildtafeln dar. Sie wurden nach einer erforderlichen Grundierung mit Tempera- oder Ölfarbe bemalt. (12 )
In Deutschland wurde zu ihrer Herstellung Tannenholz bevorzugt verwendet. Im 16. Jahrhundert ersetzte die Leinwand den hölzernen Bildträger. Eine Ausnahme hierbei blieb jedoch weiterhin die Ikonenmalerei. Charakteristisch für die Entstehung der Tafelmalerei war der Anspruch, dass das Bild transportabel und im Gegensatz zur Wand- oder Freskomalerei nicht ortsgebunden sein sollte. Das entsprechende kleine Format erlaubte es dem Kunstliebhaber, ein solches Tafelbild auch für den privaten Besitz zu erwerben. Dies war ein wichtiger Schritt für die persönliche Verwendung der Kunst. Die Tafelbilder konnten beispielsweise in der Form der Andacht dienender tragbarer Hausaltäre - mit auf Reisen genommen werden. Sie wurden zudem oftmals in der Form von Porträts verschenkt. (13 )
Die meist sehr kostbaren Kunstgegenstände stellten oft Präsente von Männern an Frauen dar, seltener umgekehrt. Aber nicht nur die Bildnismalerei zeigte sich zunehmend in der Tafelmalerei. Es lassen sich auch Beispiele der Genremalerei finden. Eines der wohl bedeutendsten Tafelbilder dieser Gattung aus der Zeit der deutschen Spätgotik ist der bereits kurz erwähnte Liebeszauber, auf den an einer späteren Stelle explizit eingegangen werden soll. Vorbilder für die Darstellung von sinnlichen Themen sind vor allem in Minnekästchen und Bildteppichen zu finden.
3. Minnekästchen und Bildteppiche - zwei Ursprünge der Darstellungen der Liebe in der Kunst des Mittelalters
Michael Camille schrieb, dass Darstellungen der Liebe in der Kunst „für bestimmte Zwecke, Rituale und Anlässe geschaffen wurden“ (14 ). Als ein solcher Zweck kann beispielsweise die Eroberung des Herzens einer Frau mit Hilfe eines künstlerisch gestalteten Geschenkes aufgeführt werden. Hierbei handelt es sich aber nicht erst um ein Phänomen der Moderne. Daran versuchten sich auch schon die Männer in der Zeit des Mittelalters. Das Augenmerk soll folgend auf dem Minnekästchen und dem Bildteppich liegen. Im vierten Kapitel soll auf das Sujet der Liebe auf Tafelbildern und deren Funktionen eingegangen werden.
3.1 Das Minnekästchen
Im Begriff des Minnekästchens, der erst im 19. Jahrhundert durch Friedrich Heinrich von der Hagen geprägte wurde (15 ), verbirgt sich das Wort Minne, „eine Vorstellung der Liebe, die im Hochmittelalter entstand“ (16 ). Unterschieden werden drei Konzepte der Minne - die Hohe, die Niedere und die Ebene Minne. Diese Differenzierungen beziehen sich zum einen auf die ständische Hierarchie von Mann und Frau, zum anderen aber auch auf die Form der Liebe - die geistige oder die körperliche. Bringt ein Ritter einer verheirateten, adligen, für ihn unerreichbaren Dame ehrenwerte Gefühle entgegen, wird von der Hohen Minne gesprochen. Wählt der Mann eine Frau eines niederen Standes, um seinen körperlichen Gelüsten nachzukommen, handelt es sich um die Niedere Minne. Die Ebene Minne hingegen ist gekennzeichnet durch ein gleichberechtigtes Verhältnis des Paares - sowohl auf der ständischen als auch auf der Gefühlsebene. (17 )
Übersetzt man nun das Wort Minne mit Liebe, könnte man also auch von sogenannten Liebeskästchen sprechen. Doch welche Aufgabe kam ihnen zu? Wie bereits in der kurzen Einführung dieses Kapitels erwähnt, handelt es sich bei jenen Minnekästchen um eine Form des Geschenks, mit dem die Herren der Schöpfung die Gunst einer Dame versuchten zu erlangen, zu der sie sich hingezogen fühlten. So heißt es im Großen Brockhaus, dass es sich hierbei um eine „im Mittelalter als Geschenk des Bräutigams für seine Braut verwendete, kleine, mit Schnitzerei und Malerei geschmückte Truhe [handelt], auf deren Deckel sich oft die Abbildung eines Liebespaares oder das Porträt des Spenders findet“ (18 ).
Sie dienten der Aufbewahrung von persönlichen Gegenständen und Kostbarkeiten, insbesondere von Schmuck. Oft wurde dieser vom buhlenden Mann gleich mitgeschenkt. So sagt beispielsweise Gretchen in Goethes Faust:
„Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne sein? Vielleicht bracht’s jemand als ein Pfand, Und meine Mutter lieh darauf.
Da hängt ein Schlüsselchen am Band
Ich denke wohl, ich mach’ es auf!
Was ist das? Gott im Himmel! Schau’,
So was hab’ ich mein’ Tage nicht gesehen! Ein Schmuck!’ Mit dem könnt’ eine Edelfrau Am höchsten Feiertage gehn.“ […] (19 )
Minnekästchen „konnten aus Holz, Horn oder Walbein gefertigt sein“ (20 ). Die schmückenden Reliefs zeigen dabei oft die verschiedenen Phasen der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Mann und Frau - von den ersten Annäherungsversuchen bis hin zum Erreichen der Gunst der Dame und damit ihres Herzens. Dabei gingen die Künstler im Mittelalter selten keuch mit diesem Thema um, so dass auch oft erotische Illustrationen eingearbeitet wurden.
Eine beispielhafte Darstellung der einzelnen Liebesphasen findet sich in den Reliefs der Außenwangen eines um 1250/1260 aus Lindenholz gefertigten Minnekästchens. Es befindet sich heute in München im Bayrischen Nationalmuseum. (Abb. 3 bis 13) Im Inneren des Kästchens wird die Werbung weitergeführt. Sowohl auf allen vier Innenseiten als auch auf der Innenwölbung des Deckels und auf dem Boden sind Inschriften (Abb. 8 bis 13) eingeschnitzt, die demselben Zweck dienen wie die Reliefs: dem Gewinnen des Herzens einer Dame.
Abbildungen vom Werben eines Mannes um die Zuneigung einer Frau finden sich aber nicht nur in solchen Liebeskästchen. Weit verbreitet waren solche Darstellungen auch auf Bildteppichen.
3.2 Der Bildteppich
Bildteppiche, in der französischen Titulierung als Tapisserien bekannt, dienten als Wandbehang. Wie ihre Bezeichnung schon sagt, waren sie mit bildlichen Darstellungen geschmückt. Diese Szenen konnten eingewebt, aufgestickt, appliziert oder eingewirkt werden. Letzteres galt auch als die am weitesten verbreitete Handhabung. Nachdem sie mit religiösen Thematiken in erster Linie die Innenräume oder Fassaden von Kirchen und Klöstern verzierten, fanden sie im 14. und 15. Jahrhundert auch ihren Einzug in den privaten Wohnraum. Als französische Zentren ihrer Herstellung galten zu dieser Zeit vor allem Paris und Arras, weshalb die Bildteppiche in Italien auch die Bezeichnung arrazi trugen. (21 )
Aufgrund der privaten Nutzung setzen sich auch zunehmend profane Themen in den bildlichen Darstellungen durch. Ein solches Sujet - auch im Hinblick auf das Buhlen um die Gunst einer Dame - stellt die sogenannte Herzdarbringung dar, die offrande du coeur. Sie gilt in der Minneikonografie als Ritual der Werbung um die höfische Dame. Der Mann kniet vor der Frau nieder und überreicht ihr seinen wertvollsten Besitz - sein Herz - und damit sein ganzes Selbst. Der Mann ist so der Frau ergeben. (22 )
Die offrande du coeur war am weitesten in der Pariser Elfenbeinschnitzerei in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts verbreitet. Ihre Darstellung ist aber auch in der Buchmalerei oder in Bildteppichen zu finden. Im Laufe der Zeit wird die strenge Zeremonie zunehmend aufgehoben. (23 )
In früheren Darstellungen kniet der Mann vor der meist stehenden Frau und hält ihr sein Herz beidhändig entgegen - eine einseitige Geste der Ergebenheit. Währenddessen berührt er das Herz nicht mit den bloßen Fingern, sondern hüllt es in ein Tuch oder ein Stück seines Gewandes. Dadurch soll der Wert seines Herzens symbolisiert werden. Als Gegenleistung für seine Selbstaufgabe wird der Mann derweil von der Frau gekrönt, währenddessen sie sein Geschenk entgegennimmt. (24 ) Beispielhaft dafür ist eine Spiegelkapsel aus Elfenbein aus Paris (Abb. 14), die um 1320 gefertigt wurde und den Titel „Die Darbringung des Herzens“ trägt. Sie befindet sich heute in London im Victoria und Albert Museum.
Die hier noch existierende Hierarchie wird jedoch zunehmend abgelöst durch ein gleichberechtigtes Verhältnis des Paares. Die Frau ist dem Mann nun nicht länger überlegen, ebenso wenig wie der Mann der Frau erlegen ist. Ein Exempel dafür ist eine Tapisserie von Arras (Abb. 15), die um 1400 gefertigt wurde. Sie befindet sich heute im Musée du Louvre in Paris. Vor einem schwarzen Hintergrund hebt sich eine blühende Waldlichtung mit Bäumen, Sträuchern, Gräsern und Blumen ab. Auch ein kleiner Bach fließt. Farblich gesehen dominieren dabei, gelbe, orange, blaue, grüne und braune Töne. Im Zentrum des Geschehens ist ein Liebespaar abgebildet, wobei die Frau sitzend dargestellt ist und der Mann sich ihr von rechts mit weit nach vorn ausschreitendem linkem Bein nähert. Durch ihre Kleidung erscheint das Paar als Vertreter des „aristokratisch-elitären Stand[es]“ (25 ). Müller verweist diesbezüglich auf die „hermelingefütterte Kleidung“ (26 beider Personen. Die Frau trägt ein blaues Kleid mit roten Ärmeln und einen blauen Mantel mit einem hohen pelzbesetzten Kragen. Auf dem Kopf schmückt ein rötliches, perlenbesetztes Diadem ihr blond gelocktes, halblanges Haar. Der Mann ist im Gegensatz zu ihr fast ausnahmslos in Rot gekleidet. Einen Akzent setzt er mit seiner bläulichen Kopfbedeckung. Fernerhin trägt er eine rote Schecke, die am Saum mit einem Pelz besetzt und auf Hüfthöhe mit einem Gliedergürtel geschmückt ist. Des Weiteren hängt ein hochgeschlossener, roter, mit einem Muster bestickter Umhang von seinen Schultern herab. Seine Beine sind in eng anliegende Strumpfhosen gehüllt, wobei das linke Bein, wie auch die Farbe der Ärmel seines Gewandes, gelb sind, während das rechte die rote Farbe seiner übrigen Kleidung aufgreift. Man spricht dabei von mi parti. Diese rote Kolorierung prägt auch das Geschenk, das er seiner Liebsten offeriert. Er bringt ihr sein Herz dar, wobei er jenes in seiner rechten Hand vorsichtig zwischen seinem Daumen und seinem Zeigefinger hält. Die Geste seiner linken Hand unterstreicht dabei den Akt der Liebesgabe. Auch der sich in der Mitte des Bildvordergrundes befindliche Rosenstrauch hebt die Symbolik der Liebe hervor. Die meines Erachtens weiß blühenden Rosen verbildlichen dabei die Reinheit der Liebe.
Schon in der griechischen Sagendichtung wird die Rose thematisiert. Es heißt, dass Aphrodite, die Göttin der Liebe, zusammen mit einem weißen Rosenstrauch aus dem Schaum des Meeres geboren worden sein soll. Sie sei mit Ares verheiratet gewesen, den sie mit Adonis betrogen habe. Aus Rache habe Ares seinen Kontrahenten getötet. Als Aphrodite zu ihrem sterbenden Geliebten eilte, sei sie in die Dornen der Rosen getreten. Dadurch hätten sich die weißen Rosen rot gefärbt. Seitdem hätten die zwei verschieden farbigen Rosen ihre Bedeutung: weiße Rosen stünden für die Reinheit der Liebe, während rote Rosen als Sinnbild der Begierde und der Leidenschaft stehen. (27 )
Das Geschehen wird aufgelockert durch drei umherspringende Hasen, die mit der weiblichen Sinnlichkeit verbunden werden, und einen Schoßhund, ein Symbol der männlichen Sexualität - sie sollen auf die körperliche Liebe und damit auf die Lichtung als eine Art Liebesgarten verweisen. Der Hund tollt vor den Füßen der Dame umher und springt an ihr hoch. Er trachtet dabei nach der Blume in ihrer rechten Hand, ein „Zeichen ihrer Jungfräulichkeit und des Geschenks, das sie ihrem Liebsten geben mag“ (28 ). Auf ihrer linken, behandschuhten Hand hat die Frau im Gegensatz dazu einen Jagdfalken sitzen. Er symbolisiert „ihren Adelsstand und ihre Rolle als Jägerin in dieser Beziehung“ (29 ). In der Dichtung dieser Zeit konnte der Falke „als Metapher für den Liebenden, die Dame oder die Liebe selbst stehen“ (30 ). Indem der Falke für gewöhnlich Fleisch aus lebendigen Körpern hackt und auch vor dem menschlichen Herz keinen Halt macht, verweist er als Sinnbild für die Dame darauf, dass diese ihre Beute fest umschlungen hält. Sie hat den Mann so gewissermaßen in ihrer Gewalt. In dem hiesigen Bildteppich hat der Falke bereits den Kopf gewendet und blickt räuberisch auf das Objekt der Begierde in der rechten Hand des Mannes. Dieser setzt somit seinen wertvollsten Besitz dem Angriff des raubgierigen Vogels und gleichbedeutend damit den Armen der Frau aus. So lässt sich erkennen, dass die Frau eine gewisse Machtposition innehat.
Die Verfügung einer solchen Mächtigkeit und ihre Nutzbarmachung zeigen sich auch in einem kleinen Tafelbild, das unter dem Titel „Der Liebeszauber“ im Museum der bildenden Künste in Leipzig ausgestellt ist, in dessen Besitz es als testamentarische Hinterlassenschaft der Amalie von Ritzenberg im Jahr 1878 gelangte. (31 )
4. Die Darstellung verschiedener Phasen der Liebe in der Tafelmalerei
4.1 Das Entflammen der Liebe
Der Ausspruch Feuer und Flamme für jemanden sein kommt nicht von ungefähr. Dieses Synonym für das Verliebtsein in eine Person hat seinen Ursprung vermutlich in einem Volksbrauch, der etliche Jahrhunderte zurückreicht - dem sogenannten Liebeszauber. Ein gleichnamiges Tafelbild (Abb. 1) entstand in der Zeit um 1470/80 durch die Hand eines unbekannten Meisters vom Niederrhein in der Technik Öl auf Holz. Dieses kleine, in die deutsche Spätgotik einzuordnende Kunstwerk misst gerade mal 16 cm in der Breite und 22 cm in der Höhe. Es passt auf Grund seiner Größe in den Wandel der Kunstauffassung der damaligen Zeit und damit in einen privaten Nutzungszweck. Vermutlich ist es „als Werbungs- oder Hochzeitsgeschenk überreicht“ (32 ) worden.
Das Bild zeigt das Innere eines zeitgenössischen Zimmers in der Zentralperspektive. Dieses ist ausgestattet mit einem hölzernen Dielenfußboden und einer flachen Holzdecke. Im rechten Bildhintergrund befindet sich die ebenfalls auch Holz gefertigte Eingangstür. Links daneben steht ein halbgeöffneter Regalschrank, in dem hochpoliertes Geschirr zu erkennen ist. Darüber ist ein Regal angebracht, auf dem sowohl weitere Gefäße als auch ein Buch mit rotem Einband angeordnet sind. Unterhalb der geöffneten Tür ist eine niedrige Sitzbank mit drei dunklen Kissen zu erkennen, die im rechten Winkel an der linken Längsseite weiterverläuft. Darüber erleuchtet ein Kreuzstockfenster das Innere des Raumes. Zur Lichteinlassung dienen außerdem zwei weitere, weiß gehaltene Fenster dieser Art auf der gegenüberliegenden Seite. Unterhalb des hinteren Exemplars wird auch die niedrige Sitzbank wieder aufgegriffen, auf der wiederum ein dunkelfarbenes Kissen liegt.
Rechts daneben steht ein Stollenschrank, auf dem sich diverse Utensilien befinden: ein auf einer mit Perlen gefüllten goldfarbenen Schale mit Fuß sitzender Papagei, ein Pfauenwedel, ein Nuppenglas, ein Spitzenschal, ein Kamm sowie ein aus Messing gefertigtes Waschgeschirr auf seinem Regalboden. (33 ) Auf die Bedeutung einiger dieser Gegenstände soll an späterer Stelle eingegangen werden. Diesem Möbelstück gegenüber befindet sich die Wärmequelle der Stube - ein Kamin. Das darin lodernde Feuer soll auf den Zweck des Liebeszaubers anspielen - das Entflammen der Liebe. Aufgrund der hölzernen Ausstattung dieses Zimmers dominiert ein brauner Farbton das Bild.
Im Zentrum des Geschehens steht eine fast vollkommen unbekleidete, junge Frau. Ihre Nacktheit gehört zum Ritual des von ihr begangenen Zaubers und verleiht dem Bild einen entsprechend sinnlichen Charakter. Die Hauptakteurin dieses Bildes ist lediglich mit Schnabelsandalen bekleidet. In der damaligen Zeit galten diese an nackten Füßen getragen als höchst erotisch. (34 ) Des Weiteren wird ihr nackter Körper von einem transparenten Schleier umwunden. Von ihrem ausgestreckten rechten Unterarm fällt er einerseits in leicht geschwungener diagonaler Linie über die Oberschenkel ihrer überkreuzten Beine, verhüllt dabei gekonnt die Scham, windet sich dann weiter um den Unterschenkel des zurückgesetzten linken Beines und stößt schließlich hinter ihr aufgebauscht auf dem hölzernen Dielenboden auf. Andererseits fällt die durchsichtige Stoffbahn von ihrem rechten Unterarm links senkrecht in eine Holzschatulle herab, die auf einem dreibeinigen, dreieckigen
[...]
1 Vgl. Piltz, Georg: Deutsche Malerei, 1. Aufl. Leipzig 1964, S. 96.
2 Brinkmann, Bodo: Gotische Malerei in Deutschland im 14. und 15. Jahrhundert. In: Kunsthistorische Arbeitsblätter 3/2004, S. 5.
3 Vgl. Ebd.
4 Vgl. www.beyars.com/kunstlexicon
5 Vgl. http://ddragon.interratec.de/kunst/kgotik00.php
6 Vgl. Kappelmayr, Barbara (Hg.): Universal Lexikon der Kunst. Von der Frühzeit zur Moderne, München 2001, S. 176.
7 Zaske, Nikolaus: Altdeutsche Malerei, Leipzig 1987, S. 7.
8 Piltz, Georg: Deutsche Malerei, 1. Aufl. Leipzig 1964, S. 96.
9 Ebd. S. 119.
10 Vgl. http://ddragon.interratec.de/kunst/kgotik00.php
11 Vgl. Lexikon der Kunst. Malerei, Architektur, Bildhauerkunst,
12 Bände, Erlangen 1994.
12 Vgl. www.beyars.com/kunstlexicon
13 Vgl. Lexikon der Kunst. Malerei, Architektur, Bildhauerkunst,
12 Bände, Erlangen 1994.
14 Camille, Michael: Die Kunst der Liebe im Mittelalter, Köln 2000, S. 7.
15 Vgl. Diemer, Dorothea und Peter: Minnesangs Schnitzer. Zur Verbreitung der sogenannten Minnekästchen. In: Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger, Tübingen 1992, Band 2, Seite 1022.
16 http://de.wikipedia.org/wiki/Minne
17 Vgl. ebd.
18 Der Große Brockhaus. 21 Bde. 15. Aufl. Leipzig 1928-1935.
19 www.theater-orlando.de/Spielplan/gretchen/main.html
20 www.historiavivens1300.at/realien/minnek.htm
21 Vgl. Kappelmayr, Barbara (Hg.): Universal Lexikon der Kunst. Von der Frühzeit zur Moderne, München 2001, S. 61.
22 Vgl. Müller, Markus: Minnebilder. Französische Minnedarstellungen des 13. und 14. Jahrhunderts, Köln 1996, S. 142ff.
23 Vgl. ebd
24 Vgl. ebd.
25 Ebd. S. 144.
26 Ebd.
27 www.welt-der-rosen.de/rosliebe.htm
28 Camille, Michael: Die Kunst der Liebe im Mittelalter, Köln 2000, S. 95f.
29 Ebd. S. 95.
30 Ebd. S. 96.
31 Gaehtgens, Thomas W. (Hrsg.): Museen, Schlösser und Denkmäler in Deutschland. Museum der bildenden Künste Leipzig, 2. Auflage, Antwerpen 1997, S. 10.
32 Lymant, Brigitte: Entflammen und Löschen. Zur Ikonographie des Liebeszaubers vom Meister des Bonner Diptychons. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Band 57, München 1994, S. 122.
33 Vgl. ebd. S. 112.
34 Vgl. Koch-Mertens, Wiebke: Der Mensch und seine Kleider. Teil 1: Die Kulturgeschichte der Mode bis 1900. Düsseldorf/Zürich 2000, S. 181.
- Arbeit zitieren
- Janet Neßmann (Autor:in), 2005, Die Darstellung der Liebe in der deutschen Kunst der Spätgotik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92782
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