Das in dieser Hausarbeit untersuchte biographische Interview mit dem ehemaligen hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter Otto Müller1 ist im Sommer 1997 im Rahmen eines Praktikums beim Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Dresden entstanden. Thema der Untersuchung war das „Selbstbild“ hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter. Schon kurze Zeit nachdem ich mich an die Arbeit machte anhand biographischer Interviews etwas zum Selbstbild „dieser Menschen“ zu erfahren, mußte ich feststellen, mich viel zu naiv mit dem Thema befaßt zu haben.
Zum einen, weil die Menschen, denen ich durch die Interviews begegnete, alles andere als das Klischee erfüllten, was ich mir vom MfS und den Leuten gemacht hatte, die eine so „menschenunwürdige“ Institution wie die Staatssicherheit formiert hatten. Als gebürtiger Westdeutscher hatte sich damals trotz viereinhalbjähriger „Osterfahrung“ in Polen und in den neuen Bundesländern immer noch ein Gefühl in mir gehalten, demnach das sozialistische System bestimmt nicht überwiegend, aber doch zu einem großen Teil auf Überwachung, Repression und Angst basierte und dadurch existieren konnte. Bücher wie der „Gefühlsstau“ oder „Die Entrüstung“ von Hans-Joachim Maaz oder Aufsätze von Joachim Gauck, in denen er über Angst als kollektives Merkmal der DDR sprach, sowie aktuelle Monographien über den SED-Staat wie die von Klaus Schroeder, bestätigten meine Vorurteile gegenüber der „deformierten“ DDR-Gesellschaft und umso mehr meine Ablehnung gegenüber denen, die an der Konstituierung des westlich interpretierten „real existierenden Sozialismus“ beteiligt waren. Die Menschen, die an diesem System bestimmend mitwirkten, also auch Stasi-Mitarbeiter, waren für mich linientreu, geistig kollektiviert, ideologisiert, und notwendigerweise Gegenstand westlicher Nachwendepädagogik.
Diese Ausführungen sind durchaus relevant für die vorliegende Auswertung des Interviews mit Herrn Otto Müller. Worum es mir geht ist, mir über meine eigenen Vorannahmen hinsichtlich der Lebensgeschichte Otto Müllers klar zu werden, auch um Leserinnen und Lesern zu ermöglichen, besser nachzuvollziehen, weshalb ich zu bestimmten Schlußfolgerungen komme und inwiefern diese Schlußfolgerungen etwas mit meiner eigenen Identität, meinen persönlichen Wertungen zu tun haben.
1 Name und Daten, die auf die Identität des Interviewpartners hinweisen, sind geändert worden
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Theoretische Auswahl der Interviewpartner und Kontaktaufnahme zu einer „hidden population" oder wie ich zu Otto Müller kam
- Der Leitfaden
- Die Erhebungsphase
- Transkription und Autorisierung der Interviews
- Auswertung
- Sequenzanalyse
- Sinnstrukturen des Interviews. Chronologie des Lebensberichts, Handlungsoptionen, Hypothesen
- Verallgemeinerung der Ergebnisse und Typisierung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit befasst sich mit der Analyse eines Lebensberichts eines ehemaligen hauptamtlichen MfS-Mitarbeiters, Otto Müller. Ziel der Arbeit ist es, das Selbstbild des Interviewpartners im Kontext seiner Biografie und seiner Erfahrungen als Mitarbeiter der Staatssicherheit zu untersuchen. Die Arbeit beschäftigt sich dabei mit der Frage, wie der Interviewpartner seine Rolle im MfS, seine Erfahrungen in der DDR und die Wendezeit verarbeitet hat.
- Das Selbstbild eines ehemaligen MfS-Mitarbeiters
- Die Rekrutierung und Ausbildung von MfS-Mitarbeitern
- Das Leben und Arbeiten in der DDR als MfS-Mitarbeiter
- Die Verarbeitung der Wende und die Zeit danach
- Die Rolle der „Anti-Stasi-Bewegung“ und die Stigmatisierung ehemaliger MfS-Mitarbeiter
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Arbeit und das Interview mit Otto Müller vor. Sie thematisiert die eigenen Vorannahmen des Autors über die Staatssicherheit und ihre Mitarbeiter und betont die Bedeutung der Selbsterkenntnis in der Analyse des Lebensberichts.
- Theoretische Auswahl der Interviewpartner und Kontaktaufnahme zu einer „hidden population" oder wie ich zu Otto Müller kam: Dieses Kapitel erläutert die methodischen Entscheidungen und die Vorgehensweise bei der Auswahl der Interviewpartner. Der Autor beschreibt die Herausforderungen bei der Kontaktaufnahme zu einer "hidden population" wie ehemaligen MfS-Mitarbeitern und schildert die Strategien, die er zur Rekrutierung des Interviewpartners eingesetzt hat.
- Der Leitfaden: Dieses Kapitel beschreibt den Leitfaden des Interviews und die Themen, die im Interview mit Otto Müller behandelt wurden.
- Die Erhebungsphase: Dieses Kapitel beschreibt die Durchführung des Interviews mit Otto Müller und die besondere Situation, die die Rekrutierung von Interviewpartnern aus dieser spezifischen Gruppe mit sich brachte.
- Transkription und Autorisierung der Interviews: Dieses Kapitel beschreibt den Prozess der Transkription und Autorisierung des Interviews.
- Auswertung: Dieses Kapitel stellt die allgemeine Auswertung des Interviews vor und skizziert die theoretischen Prämissen der Biographieforschung.
- Sequenzanalyse: Dieses Kapitel beschreibt die Sequenzanalyse des Interviews und präsentiert die Ergebnisse in tabellarischer Form.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit zentralen Themen wie dem Selbstbild von ehemaligen MfS-Mitarbeitern, der Rekrutierung und Ausbildung von Staatssicherheits-Mitarbeitern, dem Leben und Arbeiten in der DDR als MfS-Mitarbeiter, der Verarbeitung der Wende und der Zeit danach sowie den Auswirkungen der "Anti-Stasi-Bewegung" und der Stigmatisierung ehemaliger MfS-Mitarbeiter.