Die Kavalierstour in der frühen Neuzeit


Hausarbeit, 2000

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Die Kavalierstour - Höhepunkt adliger Bildung in der Frühen Neuzeit

2. Reisevorbereitungen

3. Ars Apodemica - Über die richtige Weise zu reisen: Reisetheoretische Literatur

4. Bildungsreisende und ihre Erlebnisse - Zwischen Studium, Kulturerlebnis und Abenteuer

5. Nach der Rückkehr

6. Fazit: Europa als Handlungshorizont

Literatur- und Quellenverzeichnis:

1. Die Kavalierstour - Höhepunkt adliger Bildung in der Frühen Neuzeit

Die frühe Neuzeit ist nicht nur die Zeit der großen Entdeckungsreisen, sondern auch der humanistischen Bildungsreform. Wurde im Mittelalter noch die Stabilität gegenüber der Mobilität aufgewertet, drehte sich dieses Verhältnis in der Frühneuzeit um. Damit sah man auch die zuvor als sündhaft betrachtete theoretische Neugier (curiositas) in einem anderen Licht. Die kirchlichen Warnungen im Mittelalter, daß curiositas zu destruktiven Erfahrungen führen, und - noch viel schlimmer - häretisches Gedankengut heraufbeschwören würde, verblaßten mit der Zeit.[1] Neues zu erfahren, sich zu bilden gehörten in der frühen Neuzeit zunehmend zum Habitus bestimmter gesellschaftlicher Schichten, insbesondere auch des Adels. Der damit legitimierte Empirismus ermöglichte das Zeitalter der Entdeckungen und neue Formen des sich Bildens. Ein Hauptaspekt dieser neuen Formen des sich Bildens war die Abwertung des Hörensagens und des Gedächtnisses - zwei Elemente die bislang Wissen mitkonstituiert hatten. Der - wie erwähnt - im Humanismus legitimierte Empirismus bedeutete eben die Abwertung des Hörensagens und Gedächtnisses, weil man Selbstbeobachtetes höher stellte als von anderen Übernommenes. Das "unzuverlässige" Gedächtnis als Speichereinheit wurde immer mehr vernachlässigt; Gesehenes oder Wissen allgemein wurde zunehmend dem Papier anvertraut.

Eng verbunden mit der Neuauffassung von Bildung und Wissen war das Reisen. Es reichte nicht mehr, sich nur erzählen zu lassen was auf der Welt passiert. Man mußte selber reisen, sehen, erfahren. Die Reise rückte in diesem Sinne in der frühen Neuzeit in den Kontext der Bildung und Erziehung - ein bis dahin außerhalb der Gelehrtenreise zu den europäischen Universitäten oder der Entdeckungsreisen nicht explizit formulierter Reisezweck - und wurde von den Humanisten der frühen Neuzeit besonders gepriesen. Vertreter des Humanismus wie Erasmus von Rotterdam hatten bisher übliche Reiseformen wie die Pilgerfahrt als nutzlos, kostspielig und für die Sitten verderblich geschmäht und gemeint, ihr Hauptertrag bestünde in der Möglichkeit, mit Abenteuern anzugeben. "Um wieviel frömmer sei es demgegenüber, an sich selbst zu arbeiten!", so Erasmus von Rotterdam 1542.[2] Dieser Ausspruch war programmatisch für das Bildungsideal der Humanisten. Nur durch das Reisen könne man sich wahrhaft bilden gemäß der Devise "mobiliora sunt nobiliora"[3].

Mit dieser Neukonzeption des Reisens kam eine spezielle Form der Reise in Mode, die sich vor allem der Adel zu Eigen machte: Die Kavalierstour oder auch Grand Tour wie man sie in England und Frankreich nannte. Sie gehörte seit dem 16. Jahrhundert immer stärker zum Repertoire adliger Standesbildung, die nicht unbedingt auf praktisches Lernen, sondern auf Charakterbildung und das Erlernen eines den Adel ausweisenden Habitus abzielte. Die Kavalierstour galt in der frühen Neuzeit als der Höhepunkt und Abschluß der institutionellen Adelserziehung und war meist mit dem Besuch einer fremdländischen Universität oder Akademie verbunden. Die typischen Reisenationen des 16.-18. Jahrhunderts waren protestantisch (v.a. Deutschland und auch England), während die typische Bildungsreise in katholische Länder führte (Italien und Frankreich).

Im 18. Jahrhundert als dem Zeitalter der Aufklärung wurde die Bildungsreise besonders intensiv praktiziert, aber auch diskutiert. Der universalistische, pan-europäische Geist der Aufklärung war der Grenzüberschreitung zu Bildungszwecken förderlich, und die Reiseform der Grand Tour erlebte nach dem Utrechter Frieden (1713) ihre größte Blüte.

Die Grand Tour war lange dem männlichen Geschlecht vorbehalten und - wie erwähnt - auf den Adel beschränkt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Reisen jedoch immer leichter, preiswerter und sicherer, zum Beispiel wegen der Etablierung eines dichten europäischen Postkutschennetzes. Dies war der Punkt, an dem das Reisen als soziale Handlung zunehmend "egalisiert" wurde. Das heißt immer mehr Frauen gingen auf Reisen, wenn auch meist in Begleitung von Familie und Ehemännern. Die Übernahme der adligen Gewohnheit zu reisen, eine Kavalierstour zu machen, wurde (der Adel hatte immer eine geschmacksbildende Funktion) im 18. Jahrhundert auch von bürgerlichen Schichten kopiert. Die Folge war eine vehemente Steigerung der Reisetätigkeit. "Wo unter der Herrschaft der beiden ersten Georges ein Engländer reiste", so ein englischer Beobachter 1772, "machen sich jetzt zehn auf die Europareise. In der Tat hat die Reiselust in England einen solchen Grad erreicht, daß es kaum einen Bürger von einigem Wohlstand gibt, der nicht wenigstens einen kurzen Besuch Frankreichs, Italiens und Deutschlands unternimmt."[4] Und der Historiker Anthony Burgess schreibt in einem Aufsatz über die Grand Tour: "In the urbane Augustane Age, to be truly cultured was an important asset, and who could call himself cultured who had not done the Grand Tour?"[5] Das 18. Jahrhundert war in diesem Sinne tatsächlich "the great age of the Grand Tour"[6] Bildung war im Kontext dieser Entwicklung jedoch nicht mehr der hauptsächliche Reisegrund; die Kavalierstour in ihrer klassischen Form als Abschluß der Standesbildung ging im späten 18. Jahrhundert und zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Tourismus moderner Prägung über.[7] Abgesehen davon gab es verschiedene andere Gründe, die zum Ende der Kavalierstour führte: Die französische Revolution und die folgenden Koalitionskriege zwischen 1792 bis 1807 behinderten das Reisen beträchtlich, bzw. machten es unmöglich.

Ziele der klassischen Bildungsreise waren vor allem die Vertiefung der Kenntnisse von fremden Ländern und Sitten, das Erlernen eines weltmännischen Auftretens und die Charakterbildung. Die Kavalierstour diente, so Barbara Korte, in ihren Anfängen aber auch ganz konkret der Ausbildung, nämlich der Vorbereitung auf eine Karriere in politischen und diplomatischen Ämtern, da eine adäquate Ausbildung für solche Ämter in der Heimat meist nicht zu erwerben war.[8] Der englische König, Heinrich VIII. (1491-1547), zum Beispiel zahlte für die Tour manch eines vielversprechenden jungen Adligen; spätere Regenten setzten diese Praxis fort. Auch anderswo in Europa war es üblich, daß die Landesherren die Kosten der Kavalierstour für aufstrebende junge Adlige übernahmen. Aufgrund dieser "Staatsnähe" wurde der englische Absolvent einer Kavalierstour bis in das 18. Jahrhundert hinein als "patriotic traveller" bezeichnet. In diesem Sinne schrieb auch der Engländer James Howell in seinen "Instructions for Forraine Travell" (1642), daß der größte Nutzen der Kavalierstour der sei, daß das auf der Reise Gelernte "may bee applayable to the publique utility of one's own Countrey."[9]

2. Reisevorbereitungen

Eine Reise ins europäische Ausland bedeutete immer auch eine große Gefahr. Nicht wenige junge Adlige kehrten von ihrer Grand Tour nicht mehr zurück. Dementsprechend ließ man bei den Vorbereitungen große Sorgfalt walten, um für alles gut gerüstet zu sein.

Angesichts des durchschnittlich geringen Alters von 16-18 Jahren und den allgemein angenommenen Gefahren des Reisens, wurden für die jungen Adligen ein Hofmeister und - bei den Wohlhabenderen - auch andere Bedienstete engagiert. Die ausgewählten Begleiter der jungen Adligen waren meist selber weit gereist, sprachen die Sprache der zu bereisenden Länder und hatten unter Umständen Bücher über ihre Reisen publiziert. Ein idealer Reiseleiter war - nach Vicesimus Knox (1752-1821), einem englischen Erziehungsexperten der frühen Neuzeit - "ein gesetzter Mann gereiften Alters", der über seine Pflichten als Erzieher und Führer hinaus "über die moralische und religiöse Haltung seines Zöglings zu wachen hatte", die, wenn nicht ganz besonders darauf geachtet wurde, mit Sicherheit "vor dem Ende der Auslandsreise vom Fundament gestoßen und in den Staub getreten war".[10] Der gute Hofmeister oder - in England Tutor - würde also sicherstellen, daß der Charakter seines Schützlings geistig und moralisch gefestigt war, bevor er den verderblichen Einflüssen fremder Glaubenslehren und Zügellosigkeiten ausgesetzt wurde wie beispielsweise - im Falle der Protestanten - dem Katholizismus Roms. Er würde sich also versichern, daß der junge Kavalier vor der Reise einiges über die Länder in Erfahrung bringen würde, durch die seine Reiseroute führen sollte. Unter der Aufsicht des Hofmeisters mußte der Kavalier beginnen, Sprachen zu lernen und die verschiedenen erschienenen Reisebücher zu studieren (explizit zu den Reisetagebüchern und sogenannten Apodemiken siehe Punkt 3). Auf der Reise selber unterstützte und kontrollierte der Hofmeister, Tutor oder Moderator - wie er in einer deutschen Quelle genannt wird - den Kavalier. Er war mit genauen Instruktionen ausgestattet, wie er sich dem Kavalier gegenüber zu verhalten habe. Ein anschauliches Beispiel, das die Rolle des Tutors klärt, geben die Instruktionen von Adrian Wilhelm von Virmond ab, ein westfälischer Adliger, der seinen fünf Jahre jüngeren Bruder Philipp Bernhard 1639 mit 21 Jahren auf Bildungsreise schickte und seinem Tutor/Moderator unter anderem auftrug: "Der Moderator solle vorerst mit allem Fleiß und Ernst darahn sein, daß unser Herr Bruder in allgemeiner allein säligmachender catholischer Religion, darin er gebohren und erzogen, gehalten, den catholischen Kirchendienst mit Meß und Predigthören, Beichten und Communiciren zu gewöhnlichen Zeiten beiwohne, kheine verdechtigen Bücher zu Handen bekhomme, leße oder mit anderen darüber communicire (...)."[11] Weiterhin verlangte Adrian Wilhelm neben der Überwachung des rechten Studium der zu bereisenden Orte, daß das Geld "so ihme vertrawt worden, soll er fleißigh verwahren, anders nicht dan zu dem Kostgeldt, Bucher, nothwendige Kleidungh und adlichen exercitien außgeben, kheinem, under waß Schein solchs geschehe, ettwas davon lehnen, und sich damit also verhalten, daß er gnugsame auffrichtige Rechnungh und reliqua daruber thuen khonne."[12] Auch wollte Adrian Wilhelm von Virmond sicherstellen, daß bei einem abweichenden Verhalten seines jüngeren Bruders, entsprechende Sanktionen von dem Moderator zu verhängen waren. Wenn nämlich der Moderator feststellen sollte, daß er sich im Nachkommen der Instruktionen "nachleßigh oder wiedrigh erzeigen und zu anderen ungeburlichen Weßen und Sachen wenden wolte, solle (der Moderator, A.S.) er ihme mit aller ernstlicher Discretion nechst Erinnerungh dießer Instruction privatim abmahnen."[13] Sollte das nichts nützen, bat der ältere Bruder um Benachrichtigung. Er hielt sich in einem solchen Fall die Möglichkeit offen, eine entsprechende Sanktion, eine "Notturff t", die "unserm Herrn Bruder wehnig gefallen mogte"[14] zu verordnen. Wie aus dieser Darstellung hervorgeht waren die Tutoren also nicht nur bessere "Reiseführer", sondern erfüllten eine Kontroll- und Schutzfunktion - die von einigen Kavalieren nicht unbedingt wertgeschätzt wurde. "Wenn Ihr mich aber noch nicht nach Hause kommen lassen wollt", schrieb klagend ein junger Bildungsreisender an seinen Vater, „dann Sir, befreit mich um Gottes willen von diesem impertinenten Monsieur, den Ihr mir mitgegeben habt. Er kostet Euch viel und nützt mir wenig. Alle Engländer lachen über ihn. Er dünkt sich selber ein feiner Gentleman und plagt mich unentwegt, in fremde Gesellschaft zu gehen, fremde Sprachen zu lernen und fremde Manieren anzunehmen, als wenn ich nicht in Old England leben und sterben müßte und als wenn ein guter englischer Bekanntenkreis mir nicht viel nützlicher wäre als ein ausländischer. Sir, erfüllt mir diese Bitte, und ich werde immer sein Euer gehorsamer Sohn."[15]

[...]


[1] Newhauser, Richard, Towards a History of Human Curiosity: A Prolegomenon to its Medieval Phase, in: Dt. Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Heft 4, 1982, S. 559-575

[2] zit. n. Stagl, J., Ars Apodemica: Bildungsreise und Reisemethodik von 1560 bis 1600, in: Ertzdorff, Xenja von et al. (Hg.), Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Amsterdam 1992, S. 141-143

[3] ebd.

[4] zit.n. Hibbert, Christopher, Gentlemen’s Europareise, Frankfurt/Main 1972, S. 24f

[5] Burgess, Anthony, The Grand Tour, in: Elek, Paul, The Age of the Grand Tour, London 1967, S. 1

[6] ebd., S. 13

[7] Korte, Barbara, Der englische Reisebericht. Von der Pilgerfahrt bis zur Postmoderne, Darmstadt 1996, S. 61

[8] ebd., S. 60

[9] ebd.

[10] zit.n. Hibbert, Gentlemen’s, S. 16

[11] zit.n. Lahrkamp, Helmut, Die Kavalierstour des Philipp Bernhard Freiherrn von Virmond im Jahre 1639, Kempen/Niederrhein 1960 (=Schriftenreihe des Landkreises Kempen-Krefeld, 10), S. 5

[12] ebd., S. 6

[13] ebd., S. 7

[14] ebd.

[15] zit.n. Hibbert, Gentlemen’s, S. 231

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Kavalierstour in der frühen Neuzeit
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichte)
Note
2,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
18
Katalognummer
V9289
ISBN (eBook)
9783638160278
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Arbeit behandelt die Ausbildung junger Adliger im Europa der frühen Neuzeit, die ihren Höhepunkt in der sogenannten Kavalierstour fand. 370 KB
Schlagworte
Kavalierstour
Arbeit zitieren
Alexander Schug (Autor:in), 2000, Die Kavalierstour in der frühen Neuzeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9289

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