Die Tatsache, dass der österreichische Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895) produktiv und vielseitig war, ist dem breiten Publikum, das meist nur die Novelle "Venus im Pelz" kennt, überwiegend unbekannt. Wenn auch zunehmend mehr Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, wird Sacher-Masoch bis heute immer noch fast ausschließlich als der Namensgeber einer weltweit bekannten "Perversion" identifiziert und weitgehend darauf reduziert. Diese Gegebenheit wird mit den Forschungsergebnissen des Projektes kontrastiert, das die Wiederentdeckung des zu Unrecht vergessenen Autors vorantreiben soll. Aus dem umfangreichen und schwer zugänglichen Œuvre des Dichters werden repräsentative Texte ausgewählt und in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt. Statt einmal mehr die allseits bekannte "Venus" zu untersuchen, schafft diese Studie durch die Ausweitung der Betrachtung auf andere Dichtungen ein Gegengewicht zu der ungerechtfertigten Repräsentativität der Novelle für das Werk des Autors. Das Forschungsziel der Arbeit ist es, die Aufmerksamkeit auf einige der vielen unbekannten und für den Autor selbst bedeutsamen Werke zu richten. Die ausgewählten Texte werden ausführlich vorgestellt - bis dato ein uneingelöstes Desiderat der literaturgeschichtlichen Forschung. Ausgehend von dem Konzept der "femme fatale" werden sie im Hinblick auf Sacher-Masochs Geschlechterpolarität eingehenden hermeneutischen Analysen unterzogen. Wie viele seiner Zeitgenossen konstruiert Sacher-Masoch die Frau als "femme fatale". Im theoretischen Teil der Arbeit wird daher auf das im ausgehenden 19. Jahrhundert vorherrschende literarische Weiblichkeitsbild eingegangen. Sacher-Masochs literarische Gestaltung des Weiblichen weist zwei Aspekte auf. Er greift das "femme fatale"-Konzept auf und führt es in eigener Variation weiter. Der von mir "femme cruelle" benannten Verführerin steht die von mir "bon femme" benannte weibliche Kontrastfigur gegenüber.
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung
- I Einleitung
- Biographischer Exkurs: Historiker - Poet - Publizist
- 1. Die innerhalb des Sacher-Masochschen Œuvres dominierenden Linien
- 2. Forschungslage
- 3. Ansatz des Dissertationsprojektes und Aufbau der vorliegenden Arbeit
- 3.1. Die theoretische Untermauerung der Dissertation
- 3.2. Forschungsziel und Literaturrecherche
- 3.3. Der interpretative Hauptteil der Arbeit - die praktische Anwendung des theoretischen Konzeptes
- II Der Mythos der weiblichen Verführung - Bestimmung und Repräsentationsformen der femme fatale
- Vorgehensweise
- 1. Femme fatale: Dämon, Verführerin, ästhetischer Typus
- 1.1. Katalog der femme fatale-Merkmale
- 1.2. Motivkomplexe und Merkmale
- 1.2.1. Rache, Opfer und Tod
- 1.2.2. Aufspaltung, Verknüpfung und Verschiebung von Motiven: der ungreifbare, chimären- und rätselhafte Charakter der femme fatale
- 1.2.3. Narzissmus und Voyeurismus
- 1.2.4. Bildlichkeit - gegenseitige Abhängigkeit von Literatur und Malerei
- 1.2.5. Künstlichkeit und tödliche Liebe
- 1.2.6. Resümee
- 2. Die Repräsentationsformen der weiblichen Verführerin innerhalb ausgewählter Zeit- und thematischer Räume: Kurzer historischer Abriss
- 2.1. Die biblischen Verführerinnen: Potifars Frau, Salome und Delila als ,,Vorfahrinnen" des femme fatale-Typus
- 2.2. Sacher-Masochs Zeitgenossen: 19. Jahrhundert
- 2.2.1. Théophile Gautier: Eine Nacht der Kleopatra (1845)
- 2.2.2. Prosper Mérimée: Carmen (1845)
- III Der Transfer des theoretischen Konzeptes auf die Literatur Sacher-Masochs: von der femme fatale zur femme cruelle
- IV „Die Liebe ist der Krieg der Geschlechter”
- 1. Tigerinnen in Samt und Pelz
- 1.1. Repräsentativität der amourösen Erzählungen (Organ und Zeitraum der Publikationen)
- 1.2. Das äußere Erscheinungsbild der von Sacher-Masoch konzipierten Frauenfigur in Verbindung mit der inhaltlichen Bestimmung der Novellen - Die Technik des fragmentierenden Erzählens
- 1.2.1. Die Attribute Kleidung und Schmuck
- 1.2.2. Femme fatale par excellence
- 1.3. Die,,das innere Erscheinungsbild“ der Sacher-Masochschen Frauenfigur konstituierenden Motivkomplexe (Eigenschaften)
- 1.3.1. Die drei Modelle - Traditionelle Rollenanpassung oder Negierung der gesellschaftlichen Werte? Schicksal oder Fügung?
- Modell 1: äußere Umstände
- Modell 2: äußere Umstände und Charakter
- Modell 3: Charakter
- 1.3.2. Berechnung - Intrige - Überlegenheit
- 1.3.3. Egomanie
- 1.3.4. Das Modell der zwei Frauenideale
- 1.3.4.1. femme fatale
- 1.3.4.2. bon femme
- 1.3.5. Rache Opfer - Tod
- 1.3.6. Tiermetaphorik
- 1.4. Definition der femme cruelle
- 2. Eine galizische Geschichte. 1846 (1858): Wanda vs. Minia oder wie eine femme fatale zugunsten einer bon femme vor einer historischen Kulisse geopfert wird
- 2.1. Merkmale des Textes, historischer Hintergrund, Inhalt
- 2.1.1. Die wichtigsten Merkmale
- 2.1.2. Historischer Exkurs: Die Polnische Revolution 1846
- 2.1.3. Der Inhalt des Romans
- 2.2. Geschlechtergruppierungen der Galizischen Geschichte (1858): Liebespaare im Roman
- 2.2.1. Hauptpaare
- 2.2.1.1. Figurenarsenal
- 2.2.1.1.1. Stanislaus Donski
- 2.2.1.1.2. Wanda Solnikoff
- 2.2.1.1.3. Minia Rozminska
- 2.2.1.1.4. Julian Mislecki
- 2.2.1.2. Typologien der weiblichen Figuren
- 2.2.1.2.1. Frauentypologie: femme fatale vs. bon femme
- 2.2.1.2.2. Die politisch-nationale Typologie: Vorkämpferin vs. Vorbereiterin
- 2.2.1.3. Geschlechterverhältnisse - Beziehungsanalysen
- 2.2.1.3.1. Wanda und Donski
- 2.2.1.3.2. Minia und Julian
- 2.2.1.3.3. Resümee
- 2.2.2. Nebenpaare
- 2.2.2.1. Typologien der Milieus
- 2.2.2.1.1. Die Jüdin
- 2.2.2.1.2. Die Gattin des Beamten: Die Technik des entkonkretisierenden Erzählens
- 2.2.2.1.3. Die Geliebte des Mandatars
- 2.2.2.1.4. Die polnische Adlige
- 2.2.2.2. Geschlechterverhältnisse - Beziehungsanalysen
- 2.2.2.2.1. Malke und Isaak Mendel
- 2.2.2.2.2. Therese und Karl Kern
- 2.2.2.2.3. Fräulein Juzia Kowalska und Wincenty Kaczorowski
- 2.2.2.2.4. Jadwiga und Felician Rozminski
- 2.2.2.3. Resümee
- 3. Don Juan von Kolomea (1866) und Marzella oder Das Märchen vom Glück (1870): Demetrius und Alexander oder wie sich das in der Ehe realisierte Geschlechterverhältnis real gestaltet und wie sich das Geschlechterverhältnis ideal gestalten sollte
- 3.1. Textuelle Bestimmung: Publikationsdaten, Merkmale, Inhaltsskizzen
- 3.1.1. Publikationsdaten und Merkmale
- 3.1.2. Inhaltsskizzen
- 3.2. Figurenarsenal
- 3.2.1. Demetrius
- 3.2.2. Alexander
- 3.2.3. Marzella
- 3.2.4. Nikolaja
- 3.3. Ist-Zustand: Demetrius und Nikolaja im Don Juan von Kolomea (1866) (Bestandsnovelle)
- 3.3.1. Konstituierung der Ehe (Phasenverlauf)
- 3.3.2. Das Scheitern der Ehe
- 3.3.2.1. Leons Theorie
- 3.3.2.2. Phasenverlauf
- 3.4. Soll-Zustand: Alexander und Marzella in Marzella oder Das Märchen vom Glück (1870) (Lösungsnovelle)
- 3.4.1. Konstituierung der Ehe (Phasenverlauf)
- 3.4.2. Konsolidierung der Ehe (Maximen)
- 3.4.2.1. Alexanders Theorie eines dauerhaften Bündnisses zwischen Mann und Frau und die darin enthaltene Betrachtung der weiblichen Emanzipation aus männlicher Perspektive
- 3.4.2.2. Alexanders Theorie in der praktischen Umsetzung
- Exkurs: Marzellas Beitrag
- Die Konstruktion des Weiblichen und Männlichen in der Literatur Sacher-Masochs
- Die Entwicklung des Frauentyps von der femme fatale zur femme cruelle
- Die Rolle der Frau in Sacher-Masochs amourösen Erzählungen
- Die Bedeutung von Macht und Unterwerfung im Geschlechterverhältnis
- Die Analyse der Beziehung zwischen Literatur und Malerei im Kontext der femme fatale
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Dissertation befasst sich mit der Konstruktion des Weiblichen und Männlichen im Werk von Leopold von Sacher-Masoch und analysiert die Rolle der Frau als femme fatale und femme cruelle in seinen amourösen Erzählungen. Die Arbeit verfolgt das Ziel, die literarischen Figuren und deren Handlungen im Kontext der Zeit und unter Einbezug der literarischen und historischen Traditionen zu analysieren.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung bietet einen biographischen Exkurs über Sacher-Masochs Leben und Werk sowie eine Analyse der Forschungslage zu seinem Schaffen. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Mythos der weiblichen Verführung und der Repräsentationsformen der femme fatale in der Literatur. Es beleuchtet die historischen Wurzeln des Typs und analysiert ausgewählte Beispiele aus der Literatur des 19. Jahrhunderts. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem Transfer des theoretischen Konzeptes der femme fatale auf die Literatur Sacher-Masochs und entwickelt den Begriff der femme cruelle. Im vierten Kapitel stehen die amourösen Erzählungen Sacher-Masochs im Fokus. Es werden die Merkmale der von Sacher-Masoch konstruierten Frauenfigur und die Motivkomplexe analysiert, die ihren Charakter prägen. Es wird die Typologie der weiblichen Figuren in den Novellen „Eine galizische Geschichte“ und „Don Juan von Kolomea“ analysiert und die Geschlechterverhältnisse in den einzelnen Liebespaaren untersucht.
Schlüsselwörter
Leopold von Sacher-Masoch, femme fatale, femme cruelle, amouröse Erzählungen, Geschlechterverhältnis, Macht, Unterwerfung, Literaturgeschichte, 19. Jahrhundert, Sexualität, Erotik, Literatur und Malerei, geschlechterrollen, Emanzipation.
- Arbeit zitieren
- Agata Rothermel (Autor:in), 2007, Die Konstruktion des Weiblichen und Männlichen im Werk von Leopold von Sacher-Masoch , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92956