Einleitung und Problemstellung
„Students of public opinion and of the media, can, in short, ill afford to ignore the fundamental importance of temporal dynamics“ (Erbring/Goldenberg/Miller 1980, 46).
Dieses Zitat bildet den Schlußsatz einer viel zitierten(1) Medienwirkungsstudie und weist auf eine grundlegende Diskrepanz in der Medienwirkungsforschung hin: Obwohl bei Medienwirkungen
eine Abhängigkeit der Effekte von der Zeit generell angenommen wird, verfügt die Wirkungsforschung nicht über konkrete ‘Zeit-Theorien’, und empirische Befunde sind in diesem Bereich bislang kaum eruiert wurden. Daß es in der Kommunikationswissenschaft so wenig Ergebnisse
zur Zeit-Komponente von Medienwirkungen gibt, liegt vor allem an zwei Gründen:
Zeitreihenanalytische Untersuchungen haben höhere Anforderungen an Datenstrukturen und Analysemethoden als Querschnittanalysen.(2)
Ein Bereich der Medienwirkungsforschung, in dem der Faktor Zeit eine explizite Rolle spielt, ist der Agenda-Setting-Ansatz. Bei diesem Konzept wird davon ausgegangen, daß die Medien durch ihre Berichterstattung einen Einfuß darauf ausüben, welche Themen die Menschen für wichtig erachten bzw. wahrnehmen. Die Agenda-Setting-Funktion der Medien wird eindeutig als Prozeß gesehen. Die Beeinflussung der Rezipienten durch die Medienberichterstattung erfolgt nicht sofort oder zumindest nicht ausschließlich zeitgleich mit Erscheinen oder Rezeption der Berichterstattung, sondern weist eine zeitliche Struktur auf. Über diese Struktur, über ihre
Abhängigkeit von Merkmalen auf der Medien-, Themen- oder Rezipientenseite, ist allerdings noch wenig bekannt.
In der vorliegenden Arbeit wird daher der Versuch unternommen, die Dynamik von Agenda-Setting-Effekten zu modellieren. Dadurch soll zum einen das Wissen über die Rolle der Variable Zeit im Wirkungsprozeß vertieft werden. Zum anderen sollen durch die dynamische Modellierung
aber auch die Ergebnisse über Abhängigkeiten zwischen den substantiellen Variablen (Medieninhalt und Problemwahrnehmung) validiert werden. Damit ist gemeint, daß bei Zeitreihenverfahren
die Behauptung eines kausalen Zusammenhangs zwischen Variablen zumeist besser unterstützt werden kann, als dies bei Vernachlässigung der zeitlichen Ordnung der Variablen möglich ist.(3)
[...]
______
1 In einer Unters. der Zitationen innerhalb der Agenda-Setting-Literatur rangiert diese Studie auf Platz 6 von [...]
2 Vgl. Thome (1992), S. 80.
3 Siehe Erläuterungen im Kapitel 3.3.1 Zur Methode der Zeitreihenanalyse
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung und Problemstellung
- 2 Allgemeiner Teil
- 2.1 Die Agenda-Setting-Forschung 1995: Theoretische Konzepte und empirische Befunde
- 2.1.1 Theoretische Hintergründe, Hypothese und Einordnung des Konzepts
- 2.1.2 Definitionen der Grundbegriffe: Agenda, Thema
- 2.1.3 Empirische Befunde und Differenzierungen der Hypothese
- 2.2 Die Variable Zeit in der Agenda-Setting-Forschung
- 2.2.1 Theoretische Überlegungen zur Rolle der Zeit im Agenda-Setting-Prozeß
- 2.2.2 Operationalisierungen der Dynamik
- 2.2.3 Analyse-Methoden
- 2.2.4 Ergebnisse
- 2.2.4.1 Time-Lags
- 2.2.4.2 Themen
- 2.3 Fazit: Gibt es eine adäquate Behandlung der Zeit-Komponente im Agenda-Setting-Prozeß?
- 3 Die Studie
- 3.1 Beschreibung der Primärerhebung
- 3.2 Fragestellung der Sekundäranalyse und Reoperationalisierung von Medien- und Rezipientenagenda
- 3.3 Methode
- 3.3.1 Zur Methode der Zeitreihenanalyse: ‘Mehr Kausalität durch Zeitreihen-Verfahren?’
- 3.3.2 Die ‘Analyse-Strategie’ nach Box/Jenkins
- 3.3.3 Das Analyse-Modell
- 4 Ergebnisse zum Thema ‘Rechtsradikalismus / Ausländerfeindlichkeit’
- 4.1 Beschreibung der Zeitreihen und graphische Analyse
- 4.2 Univariate ARIMA-Modelle
- 4.3 Transferfunktionen für die Zusammenhänge zwischen Medieninhaltsanalyse-Variablen und Medienthemenwahrnehmung
- 4.4 Fehlermodelle
- 4.5 Bivariate Gesamtmodelle der Zusammenhänge zwischen Medieninhalt und Medienwahrnehmung
- 4.6 Multivariates Gesamtmodell der Zusammenhänge zwischen Medieninhalt und Medienwahrnehmung
- 4.7 Transferfunktion für den Zusammenhang zwischen Medienthemenwahrnehmung und Problembewußtsein
- 4.7.1 Exkurs: Untersuchung der Gegenhypothese
- 4.8 Fehlermodell
- 4.9 Gesamtmodell der Zusammenhänge zwischen Medienthemenwahrnehmung und Problembewußtsein
- 4.10 Diagnose
- 4.11 Interpretation
- 4.12 Multivariate Operationalisierung des Medien-Inputs?
- 4.13 Der Agenda-Setting-Effekt in Abhängigkeit vom Bildungsniveau
- 4.13.1 Univariate ARIMA-Modelle
- 4.13.2 Transferfunktionen
- 4.13.3 Fehlermodelle
- 4.13.4 Gesamtmodelle
- 4.13.5 Diagnose
- 4.13.6 Interpretation
- 5 Ergebnisse zum Thema ‘Wirtschaftliche Lage in Deutschland’
- 5.1 Beschreibung der Zeitreihen und graphische Analyse
- 5.2 Univariate ARIMA-Modelle
- 5.3 Transferfunktion
- 5.4 Fehlermodell
- 5.5 Gesamtmodell
- 5.6 Diagnose
- 5.7 Interpretation
- 6 Diskussion
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese wissenschaftliche Arbeit zielt darauf ab, die Auswirkungen der Medien auf die öffentliche Wahrnehmung von Themen im Jahr 1994 zu untersuchen. Dabei werden die theoretischen Konzepte und empirischen Befunde der Agenda-Setting-Forschung genutzt. Die Arbeit analysiert, wie die Zeit-Komponente im Agenda-Setting-Prozeß berücksichtigt werden kann und wie sich Medieninhalte auf die Wahrnehmung von Themen durch die Bevölkerung auswirken.
- Theoretische Grundlagen und empirische Befunde der Agenda-Setting-Forschung
- Bedeutung der Zeit-Komponente im Agenda-Setting-Prozeß
- Empirische Analyse der Auswirkungen von Medieninhalten auf die Wahrnehmung von Themen
- Untersuchung des Agenda-Setting-Effekts in Abhängigkeit vom Bildungsniveau
- Anwendung und Evaluation der Zeitreihenanalyse als Methode zur Untersuchung von Agenda-Setting-Effekten
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 führt in die Problemstellung ein und legt den Fokus auf die Untersuchung von Agenda-Setting-Effekten im Jahr 1994. Kapitel 2 bietet einen Überblick über die theoretischen Konzepte und empirischen Befunde der Agenda-Setting-Forschung, wobei die Rolle der Zeit-Komponente im Agenda-Setting-Prozeß besonders hervorgehoben wird. Kapitel 3 beschreibt die Methode der Zeitreihenanalyse, die für die Untersuchung der Studie eingesetzt wird. Kapitel 4 präsentiert die Ergebnisse der Studie zum Thema ‘Rechtsradikalismus / Ausländerfeindlichkeit’, während Kapitel 5 die Ergebnisse zum Thema ‘Wirtschaftliche Lage in Deutschland’ beleuchtet. Kapitel 6 diskutiert die Ergebnisse und zieht Schlussfolgerungen aus der Studie.
Schlüsselwörter
Agenda-Setting, Medienwirkung, Zeitreihenanalyse, öffentliche Wahrnehmung, Medieninhalte, Rezipientenagenda, Problembewußtsein, Bildungsniveau, Rechtsradikalismus, Ausländerfeindlichkeit, Wirtschaftliche Lage, empirische Forschung, 1994.
- Arbeit zitieren
- Andreas Dams (Autor:in), 1995, Zeitreihenanalysen zur Messung von Agenda-Setting-Effekten - Eine empirische Untersuchung zum Einfluß der Medien auf die Wahrnehmung der Bevölkerung im Jahr 1994, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93