Generell werden Gefängnisse zur Verwahrung aufgrund einer Straftat verurteilter Strafgefangener genutzt. Sie sollen davor bewahrt werden, der allgemeinen Gesellschaft weiteren Schaden zuzufügen. In vielen Ländern aber dienten Sie schon immer auch zur Verwahrung politischer Gefangener. Diesen Inhaftierten sollte durch den Freiheitsentzug die Möglichkeit genommen werden, ihre Meinung zu verbreiten, Aktionen zu organisieren oder sich aktiv gegen das politische System aufzulehnen. Die Anlässe waren dabei oftmals haltlos und/oder durch falsche Vorwürfe inszeniert. Auch in der Türkei der 30er Jahre war dies nicht anders gewesen. In der noch jungen Republik versuchte sich das neu errichtete kemalistische System seine neu geschaffenen politischen Strukturen mit aller Macht zu wahren, weshalb staatsfeindliche Ansichten oftmals unter Repressalien zu leiden hatten. Kommunistisches Gedankengut war dabei besonders gefährdet, suchte man doch nach dem Ersten Weltkrieg eine klare Westbindung um sich dem näherrückenden Einflussbereich der expandierenden Sowjetunion zu entziehen. Die Gefängnisse für die Inhaftierten unterschieden sich damals eindeutig von denen in Europa. Die Gruppentrakte, namentlich „Koğuş“, waren eigene soziale Lebensbereiche mit einem gemischten Gesellschaftsbild, in dem der Bauernjunge mit dem intellektuellen Istanbuler Bürgersohn seine Zeit gemeinsam absitzte. Durch zahlreiche Verhaftungen politischer Intellektueller und den ungezählten Begnadigungen entstand eine hohe Fluktuation innerhalb dieser Gefängnisse. Außerdem verlor mit der Zeit das Gefängnis in der Gesellschaft seinen schlechten Ruf und galt alsbald für viele Intellektuelle als Auszeichnung für die Bedeutung der eigenen Person und Inspirationsquelle für das künstlerische Schaffen. Nazım Hikmet hat diese Zeit intensiv erlebt und musste, mehr als manch Anderer, eine lange Phase seines Lebens im Gefängnis verbringen. Er hat in dieser Zeit aber seine intensivste Schaffungsphase durchschritten und dort einige seiner wichtigsten Werke zu Papier gebracht. Diese Hausarbeit soll diesen Umstand der Inspiration und Produktivität näher analysieren und sich mit der soziokulturellen Bedeutung der damaligen Gefängnisse auseinandersetzen. Am Beispiel von Nazım Hikmet sollen dabei deren Nach- sowie Vorteile hinterfragt und anhand von Beispielen verglichen werden. Wie hat Nazım Hikmet die Zeit dort verbracht, welche Rolle hat die sowohl finanzielle als auch moralische Unterstützung von außen gespielt und wie konnte es möglich sein, trotz Freiheitsentzug weiterhin eine derartige Wirkung in die Gesellschaft auszuüben? Dies sind wichtige Fragestellungen, die in dieser Arbeit behandelt werden sollen. Der Aufbau der „Koğuş“ wird dabei genauso hinterfragt, wie auch die Beeinflussung Hikmets durch seine Mitinsassen. Im Fazit soll dann eine Analyse über die Frage, ob die Gefängniszeit für Nazım Hikmet eine Strafe oder Segen gewesen ist, stattfinden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die „Koğuş
2.1 Struktureller und sozialer Aufbau der Gruppentrakte
2.2 Das gesellschaftliche Bild der türkischen Gefängnisse in den 30er und 40er Jahren
3. Nazım Hikmets Gefängniszeit
3.1 Hikmets Werke während der Haftzeit
3.2 Geprägte Mitinsassen
3.3 Der familiäre, finanzielle und moralische Beistand von außen
4. Fazit
5. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Generell werden Gefängnisse zur Verwahrung aufgrund einer Straftat verurteilter Strafgefangener genutzt. Sie sollen davor bewahrt werden, der allgemeinen Gesellschaft weiteren Schaden zuzufügen. In vielen Ländern aber dienten Sie schon immer auch zur Verwahrung politischer Gefangener. Diesen Inhaftierten sollte durch den Freiheitsentzug die Möglichkeit genommen werden, ihre Meinung zu verbreiten, Aktionen zu organisieren oder sich aktiv gegen das politische System aufzulehnen. Die Anlässe waren dabei oftmals haltlos und/oder durch falsche Vorwürfe inszeniert.
Auch in der Türkei der 30er Jahre war dies nicht anders gewesen. In der noch jungen Republik versuchte sich das neu errichtete kemalistische System seine neu geschaffenen politischen Strukturen mit aller Macht zu wahren, weshalb staatsfeindliche Ansichten oftmals unter Repressalien zu leiden hatten. Kommunistisches Gedankengut war dabei besonders gefährdet, suchte man doch nach dem Ersten Weltkrieg eine klare Westbindung um sich dem näherrückenden Einflussbereich der expandierenden Sowjetunion zu entziehen.
Die Gefängnisse für die Inhaftierten unterschieden sich damals eindeutig von denen in Europa. Die Gruppentrakte, namentlich „Koğuş“, waren eigene soziale Lebensbereiche mit einem gemischten Gesellschaftsbild, in dem der Bauernjunge mit dem intellektuellen Istanbuler Bürgersohn seine Zeit gemeinsam absitzte. Durch zahlreiche Verhaftungen politischer Intellektueller und den ungezählten Begnadigungen entstand eine hohe Fluktuation innerhalb dieser Gefängnisse. Außerdem verlor mit der Zeit das Gefängnis in der Gesellschaft seinen schlechten Ruf und galt alsbald für viele Intellektuelle als Auszeichnung für die Bedeutung der eigenen Person und Inspirationsquelle für das künstlerische Schaffen.
Nazım Hikmet hat diese Zeit intensiv erlebt und musste, mehr als manch Anderer, eine lange Phase seines Lebens im Gefängnis verbringen. Er hat in dieser Zeit aber seine intensivste Schaffungsphase durchschritten und dort einige seiner wichtigsten Werke zu Papier gebracht.
Diese Hausarbeit soll diesen Umstand der Inspiration und Produktivität näher analysieren und sich mit der soziokulturellen Bedeutung der damaligen Gefängnisse auseinandersetzen. Am Beispiel von Nazım Hikmet sollen dabei deren Nach- sowie Vorteile hinterfragt und anhand von Beispielen verglichen werden.
Wie hat Nazım Hikmet die Zeit dort verbracht, welche Rolle hat die sowohl finanzielle als auch moralische Unterstützung von außen gespielt und wie konnte es möglich sein, trotz Freiheitsentzug weiterhin eine derartige Wirkung in die Gesellschaft auszuüben? Dies sind wichtige Fragestellungen, die in dieser Arbeit behandelt werden sollen. Der Aufbau der „Koğuş“ wird dabei genauso hinterfragt, wie auch die Beeinflussung Hikmets durch seine Mitinsassen. Im Fazit soll dann eine Analyse über die Frage, ob die Gefängniszeit für Nazım Hikmet eine Strafe oder Segen gewesen ist, stattfinden.
2. Die „Koğuş
Das Wort „Koğuş“ wird laut „Türkisch- Deutsches Wörterbuch“ von Karl Steuerwald als „ Gemeinschaftsraum in Kasernen, Krankenhäusern, Internaten,…, wie Schlafsaal, …, Gefängniszelle, Unterrichtsraum usw. “[1] übersetzt. Dabei scheint das Wort „Gemeinschaftsraum“ ungenügend für die Funktion und den Stellenwert dieser Gefängnisgemeinschaftsräume in der Zeit der 1930er und 40er Jahre zu sein, haben diese Einrichtungen doch selbst für die Gesellschaft außerhalb der Gefängniskultur eine prägende und beeinflusste Funktion bekleidet.
2.1 Struktureller und sozialer Aufbau der Gruppentrakte
Diese Gefängnisgemeinschaftsräume oder auch Gruppentrakte bildeten zu jener Zeit einen Mikrokosmos der türkischen Gesellschaft, in dem sich politisch und intellektuell Andersdenkende mit dem gemeinen Volk aus Anatolien wiederfanden und ein erheblicher sozialer Austausch stattfand.
Zunächst sollte der strukturelle Aufbau dieser Gruppentrakte betrachtet werden. Zu diesem Zusammenhang ist eine Materialsuche sehr schwierig, denn technische Angaben zum strukturellen Aufbau dieser Trakte sind in der allgemeinen Literatur nur spärlich zu finden. Die Informationen dazu erhält man maßgeblich aus literarischen Texten, die zunächst für eine wissenschaftliche Analyse unzureichend erscheinen, da ihnen eine vorbelastete Sichtweise zu diesen Einrichtungen nachgesagt wird und zudem oftmals eine Romantisierung der Verhältnisse zu erkennen ist. Aufgrund der restriktiven Staatspraktika jener Zeit war jedoch damals die ungefährlichste Methode, Erfahrungen über die „Koğuş“ zu veröffentlichen, über den Weg der Literatur gewesen. Dieser in vergangenen Jahrhunderten auch in Europa nicht seltene Weg, sich durch die Blume der Kunst politischen Themen zu nähern, ist auch in der Anfangsphase der Kemalistischen Republik eine gängige Praxis. Zur Darstellung des innergesellschaftlichen Aufbaus der „Koğuş“ scheint daher das Zitieren aus einem solchen Roman unumgänglich und zumindest zur Ergänzung der inhaltlichen Fakten als legitim. Eine Möglichkeit für eine deskriptive Darstellung der Verhältnisse findet sich im Roman „Surnâme“ von Aziz Nesin.[2] Dieser zeigt die sozialen Hierarchien in diesen Massenzellen, wo einige in hohem Luxus leben und ihre Mitinsassen tyrannisch ausbeuten, in sehr deutlicher Weise auf. Es ist ein passender Beleg für die unerfreulichen Vorgänge, die sich in einem solchen Gefängnistyp entwickeln können.
[...]
[1] Steuerwald, Karl, Türkisch-deutsches Wörterbuch – Türkçe-Almanca Sözlük, Otto Harrasowitz, Wiesbaden, 1988, 2., verbesserte und erweiterte Auflage
[2] Nesin, Aziz, Surnâme – Man bittet zum Galgen, Unionsverlag, Düsseldorf, 1996
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