Stadt und Land bei Montesquieu


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

20 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Sta(a)[d]t und Land!

II. Die Morphologie von Stadt und Land
1. Freiheit und Armut
2. Die Entstehung der Stadt
4. Das Rechtssystem
5. Von den Sitten und Gebräuchen
6. Niedergang und Aufstieg der Stadtkultur
7. Betrachtung des Lehnswesens

III. Schlussbetrachtung

IV. Literaturliste

I. Sta(a)[d]t und Land!

Im Deutschen sprechen wir vom „Land“ im Gegensatz zur Stadt und wir sprechen vom „Land“ als Staat, z. B. Deutsch land. Gleich zwei Alternativen für ein und dasselbe hat man in Eng land und Amerika, wo in bestimmten Grenzen die Begriffe „land“ und „country(side)“ gleichbedeutend sind. Kein Zufall, wie ein Blick ins ethymologische Wörterbuch beweist, geht doch das Wort „Land“ auf den germanischen Begriff „lendh“ für (freies) Land, Feld, Heide zurück. Aber auch abseits der Semantik sind die beiden Denotationen eng miteinander verflochten, wie wir im Folgenden sehen werden. In beiden Fälle –so kann man zunächst festhalten- handelt es sich zumindest um einen geografisch zuschreibbaren Raum, der eine mehr oder minder festgelegte Charakteristik aufweist und einer Bevölkerungsgruppe zuordenbar ist.

Selbst wenn man in Frankreich wenig homophon zwischen „pays“ und „campagne“ unterscheidet, hat sich vor allem auch Montesquieu[1] in seinem wohl bekanntesten Werk -„De l´Esprit Des Lois“- mit dieser wundersamen Beziehung beschäftigt. Wie wichtig Landwirtschaft, Boden und Bauern für das Gedeihen und Entstehen von Staat und Volkswirtschaft, Sitten und Wohlstand für ihn sind, soll deshalb anhand dieses bedeutenden Buches im Folgenden gezeigt werden. Der Originaltext Montesquieus soll dabei durchaus auch als Anregung und Ausgangsbasis für eigene Überlegungen dienen, wo dies logisch vertretbar ist.

Geld, Handel, Gesetze, Sitten und Verteidigung, all dies sind Aspekte, die sich bei Montesquieu direkt oder indirekt auf die Beschaffenheit des Landes zurückführen lassen, wie wir im Folgenden eruieren werden. Nicht zuletzt erklärt sich so auch die Antithese des Landes: die Stadt, eine Beziehung, die stets von einer gewissen Dualität geprägt ist und doch auf gegenseitiger Abhängigkeit beruht und als funktionales Ganzes im Prozess der Geschichte ineinander greift wie zwei Zahnräder. Auch die Leibeigenschaft und das Lehnswesen sind wichtige Einflussgrößen, die es in diesem Zusammenhang zumindest kurz zu streifen gilt und die deshalb hier vorgebracht werden.

II. Die Morphologie von Stadt und Land

1. Freiheit und Armut

Eines der für die Erörterungen des Landbegriffs einträglichsten Kapitel ist im „De L`Esprit Des Lois“ unter der Überschrift „Von den Gesetzen in ihrer Beziehung zu der Natur des Bodens“ zu finden.

Montesquieu betrachtet dort die Fruchtbarkeit des Bodens als Grundkonstante für die Entwicklung des Gesellschaftswesens, wenn er schreibt: „So findet sich die Regierung eines einzelnen viel häufiger in fruchtbaren Ländern und die Regierung mehrerer in unfruchtbaren; was zuweilen eine Entschädigung bedeuten kann.“[2] Als Beispiele nennt er unter Berufung auf antike Quellen Attika und Lakedämonien: „Plutarch berichtet uns, dass nach der Niederringung des Kylonischen Aufstandes in Athen die Stadt wieder in ihre alte Zwietracht verfiel und sich in ebenso viele Parteien aufspaltete, wie es Bodenformationen in Attika gab.“[3] Sollte dies zutreffen, so haben wir bereits eine wichtige Korrelation aufgedeckt. Nun gilt es aber auch, diese hinreichend zu erklären.

Montesquieu jedenfalls glaubt, seine Feststellung durch die Bindung des Landmanns an die Scholle erklären zu können: „Die Güte des Bodens eines Landes führt naturgemäß zur Abhängigkeit: Die Landleute, die dort den Hauptteil des Volkes ausmachen, sind nicht so eifersüchtig auf ihre Freiheit, sie sind zu sehr beschäftigt und zu sehr erfüllt von ihren besonderen Angelegenheiten.“[4] Dieses Argument hört sich zunächst widersprüchlich an, sollte man doch meinen, dass ein reicher Bauer mehr Zeit für Politik oder politische Gedanken aufbringen kann, als ein armer, der vollauf mit dem Kampf ums Überleben beschäftigt war. Analog verhielt es sich nach unserer Erfahrung schließlich auch mit der antiken Philosophie, die doch vornehmlich Beschäftigung der reichen Bürgern war, die keinem zeitraubenden Handwerk nachzugehen hatten. Montesquieu versucht diesen vermeintlichen Widerspruch teilweise durch die Prinzipien von Unterwerfung und Eroberung aufzulösen: „Diese fruchtbaren Länder sind Ebenen, auf denen man sich dem Stärkeren gegenüber nicht behaupten kann: man unterwirft sich ihm also und, wenn das einmal geschehen ist, kann der Geist der Freiheit nie zurückkehren: die Früchte des Bodens sind ein Unterpfand der Treue.“[5] Hier greift Montesquieu bereits schon seinen Überlegungen über das Lehenswesen und Vasallentum vor, die noch an anderer Stelle näher erörtert werden sollen: Ein starker Herrscher garantiert Schutz und erhält als Ausgleich entweder Frondienste von den Bauern oder eine entsprechende Steuerzahlung.

In den unfruchtbaren Gebieten scheint diese Entwicklung hingegen nicht zwingend notwendig, wie Montesquieu indirekt zu verstehen gibt: „In den Gebirgsgegenden aber kann man behaupten, was man hat, und man hat nicht viel zu behaupten. Die Freiheit,

d. h. die Regierung, an der man teilnimmt, ist das einzige Gut, das es verdient, verteidigt zu werden. So herrscht die Freiheit mehr in den gebirgigen und ärmeren Gegenden als in denen, die von der Natur stärker begünstigt erscheinen. Die Gebirgsbewohner bewahren sich eine gemäßigtere Regierung, weil sie nicht so sehr der Eroberung ausgesetzt sind. Sie können sich leicht verteidigen und sind schwer anzugreifen.“[6]

In letzter Konsequenz ergibt sich aus der ständigen Gefahr von Eroberungen von fruchtbaren Gebieten geradezu die Notwendigkeit der Stadtentwicklung. „Viele wurden zur Sicherung der Herrschaft gegründet. Dabei galt es Handelsstraßen, Flussübergänge (Furten), Häfen oder auch landschaftliche Gebiete und deren Bevölkerung zu beschützen und zu sichern.“[7] Geschützt durch die Mauern der Stadt steigen auch die Ernteerträge der Bauern, die so die Voreile der fruchtbaren Böden ungeteilt nutzen können. Auch die Notwendigkeit eines starken Herrschers ergibt sich letztendlich nicht mehr, da die Stadt für sich alleine sorgen kann, wie die freien Städte des Mittelalters beweisen. An ihre Stelle tritt das durch Handel und Handwerk reich gewordene Bürgertum. „Im Spätmittelalter kam es zur Selbstverwaltung des wohlhabenden Bürgertums. Wenige reiche Familien übernahmen das Hoheitsrecht vom bisherigen Stadtherrn.“[8]

Wir haben nun ein gewisses Verständnis davon erhalten, wie Montesquieu die unterschiedlichen Regierungsformen anhand des Bodens bzw. der Landwirtschaft erklärt. Dies kann für unseren weiteren Überlegungen jedoch nur der Ausgangspunkt sein, wollen wir doch ergründen, wie sich aus diesen Grundbedingungen weitere zivilisatorisch wichtige Entwicklungsdimensionen erklären lassen. Im nächsten Kapitel soll deshalb nach einem kurzen Exkurs über die Stadt auf die Wechselbeziehung von Geld, Handel und Rechtssystem eingegangen werden und wie diese zur Scheidung von Stadt und Land beitragen.

2. Die Entstehung der Stadt

Bereits im 12. Jahrhundert löste das Wort „Stadt“ den früheren Begriff „Burg“ für eine Siedlung mit eigener Verwaltung und Marktrecht ab. Von dieser Wurzel zeugt heute noch die Bezeichnung „Bürger“, der erst einen Burgverteidiger, dann einen Burg- und schließlich einen Stadtbewohner kennzeichnete. Dadurch, dass „Burg“ und „Stadt“ zeitweise gleichbedeutende Begriffe waren, sehen wir bereits, wie wichtig der Verteidigungsvorteil bei der Gründung der ersten Städte war. Dies lässt gemäß dem bisher Gehörten darauf schließen, dass die ersten urbanen Strukturen vor allem in fruchtbaren Gebieten entstanden. Zum einen deshalb, weil dort die Notwendigkeit der Verteidigung gegen Invasoren besonders groß war und zum anderen, weil dort der Boden besonders viele Menschen ernähren konnte: „Völker, die keinen Ackerbau treiben, können kaum ein großes Volk bilden. Sie sind Hirten, so brauchen sie ein großes Land, um in bestimmter Zahl bestehen zu können; sind sie Jäger, so sind sie noch weniger zahlreich und bilden, um zu leben, ein noch kleineres Volk.“[9] Als Keimzelle für weitere Strukturen bot sich zum Beispiel der Palast bzw. die „Schutzburg“ des Herrschers an, wobei wir wieder am Ausgangspunkt unserer Überlegungen angekommen wären. Auch wird eine auf Ackerbau beruhende Gesellschaft Bedarf an Vorratsgebäuden, Mühlen, Backstuben und anderer zentraler Einrichtungen haben. Im Gegensatz zu Nomaden werden sie sich aufgrund der besseren Lebensbedingungen wahrscheinlich auch stärker vermehren und somit eine größere Bevölkerungsdichte erreichen. Anders als Jäger- und Hirtenvölker, die die nomadische Lebensweise dazu zwingt, ihr Leben in mobilen Zelten oder einfachen Hütten zu fristen, werden die Sesshaften auch vorziehen, in festen Häusern zu leben. So wird die Burg, respektive Stadt, weiter wachsen. In einer modernen Quelle heißt es hierzu: „Ein weiteres, wichtiges Element der Stadtbildung war die Burg (bzw. Pfalz) als Sitz eines Herrn. (Sie hatte mit der frühmittelalterlichen Stadt ja sogar den Begriff gemeinsam.) Die Burgen des frühen Mittelalters waren, wie im vorigen Kapitel erwähnt, noch Niederungsburgen inmitten des herrschaftlichen Hofes; aus den umliegenden Siedlungen, in denen zunächst vornehmlich die Angehörigen der grundherrschaftlichen familia wohnten, konnten Städte entstehen, wenn die agrarische Lebensweise zugunsten einer gewerblichen Spezialisierung zurücktrat oder andere Elemente hinzukamen.“[10]

[...]


[1] Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brede et de Montesquieu (1689-1755)

[2] Montesquieu: Vom Geist der Gesetze. Buch 1, S. 380.

[3] Ebd. S. 381.

[4] Ebd. S. 380.

[5] Montesquieu: Vom Geist der Gesetze. Buch 1, S. 381.

[6] Ebd. S. 381.

[7] http://www.lmg.pcom.de/aktuell/stadtma/stadt1.htm

[8] Ebd.

[9] Vgl. Montesquieu: Vom Geist der Gesetze. Buch 1, S. 387.

[10] Goetz: Leben im Mittelalter, S. 208.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Stadt und Land bei Montesquieu
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (GSI München)
Veranstaltung
Stadt und Land als Topoi der Politik
Note
2
Autor
Jahr
2002
Seiten
20
Katalognummer
V9313
ISBN (eBook)
9783638160476
Dateigröße
485 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Montesquieu, Stadt, Land, Antike, Mittelalter
Arbeit zitieren
Andreas Hempfling (Autor:in), 2002, Stadt und Land bei Montesquieu, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9313

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Stadt und Land bei Montesquieu



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden