Autorität und Freiheit in Summerhill


Examensarbeit, 2007

85 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
1. Ausgangssituation
2. Zielsetzung und inhaltlicher Aufbau der Arbeit

II. Stand der Forschung
1. Axel D. Kühn: „A. S. Neill und Summerhill - Eine Rezeptions- und Wirkungsanalyse“
2. Hans Hartmut Karg: „Erziehungsnormen und ihre Begründung in der Pädagogik von Alexander Sutherland Neill“
3. Ute Schmidt-Hermann: „A. S. Neill und seine Schule Summerhill als Beispiel aus der Geschichte der antiautoritären Erziehung“
4. Murray Douglas Veitch: „A study of A. S. Neill with attention to his perception of the relation between freedom and authority in an educational system“
5. Fazit

III. Biographische Daten zu A. S. Neill
1. Kindheit und Jugend
2. Berufliche Laufbahn und Studium
3. Neills Rückkehr in den Schuldienst
4. New Era und seine Zeit in Hellerau
5. Umzüge nach Österreich und England
6. Summerhill von 1945 bis heute

IV. Freiheit
1. Neills Begriff von Freiheit
1.1. Äußere Freiheit
1.2. Innere Freiheit
2. Neills Grundgedanken zur Freiheit
2.1. Auf der Seite des Kindes
2.2. Das freie Kind
2.3. Beeinflussung und Charakterbildung
2.4. Umgebung
2.5. Das Spiel
2.6. Schule und Unterricht
3. Psychologischer Hintergrund
3.1. Psychoanalyse
3.2. Sexualität
3.3. Egoismus
3.4. Eltern
3.5. Privatstunden
4. Zügellosigkeit
4.1. Neills Verständnis von Zügellosigkeit
4.2. Was verhindert den Übergang von Freiheit zur Zügellosigkeit?

V. Selbstregierung
1. Selbstregulierung
2. Selbstverwaltung
2.1. Aufbau der Selbstverwaltungsstruktur
2.2. Aufbau und Struktur der Schulversammlung
2.2.1. Frühere Regierungsformen
2.2.2. Heutige Form der Schulversammlung
2.3. Schwierigkeiten mit der Selbstverwaltung
2.4. Schülerverhalten in der Selbstverwaltung
2.5. Gesellschaftsfähigkeit und Gemeinschaftssinn

VI. Autorität
1. Was versteht Neill unter Autorität?
1.1. Disziplin und Gehorsam
1.2. Religion und Moral
2. Antiautorität
2.1. Herkunft und Bedeutung der Bezeichnung „antiautoritäre Erziehung“
2.2. Neill und die antiautoritäre Erziehung
3. Autorität in Summerhill

VII. Zusammenfassung und Ausblick

VIII. Literatur

I. Einleitung

1. Ausgangssituation

Summerhill ist ein privates Internat in Leiston (Suffolk, England), welches 1921 von Alexander Sutherland Neill in der Zeit der Reformpädagogik ge- gründet wurde. Summerhill ist eine Schule, in der sich Kinder in Freiheit ent- wickeln können, in der es weder Zwang noch Unterdrückung durch Erwach- sene gibt. Sie gilt als älteste demokratische Schule der Welt. Neill hat diese Schule zu seinen Lebzeiten geprägt und seine Grundprinzipien zu freiheitli- cher Erziehung gelten heute, unter der Leitung seiner Tochter Zoë Readhead, noch genauso wie früher. Der Freiheitsgedanke in Summerhill wird, im Ver- gleich zu anderen Schulformen, sehr konsequent gelebt. Es gibt für die Schü- ler1 keine Unterrichtspflicht und die Belange des Gemeinschaftslebens werden selbstverwaltet in der Schulversammlung geregelt. Dabei haben alle Mitglie- der das gleiche Stimmrecht.

Summerhill steht bei vielen Menschen als Synonym für die antiautoritäre Erziehung, selbst wenn Neill diesen Begriff nicht verwandte, beziehungsweise sich bewusst davon abgegrenzte. Es ist ein Begriff aus der Zeit der Studentenbewegung in den 60er und 70er Jahren. Neills Verständnis von Freiheit führte häufig zu Missverständnissen. Seine Erziehung wurde mit dem Laissez-Faire- Stil verwechselt, wonach die Kinder alles machen dürfen, was sie wollen, ohne das ihnen darin Grenzen gesetzt werden. Das war jedoch nicht Neills Ansatz und er versuchte in seinen Büchern immer wieder den Unterschied zwischen Freiheit und Zügellosigkeit zu verdeutlichen.

Neill gilt als bedeutender Pädagoge, welcher mit Summerhill die heutigen Ansätze demokratischer Erziehung wesentlich beeinflusst hat. Neills Erzie- hungsgedanken wurden in zahlreichen Büchern und wissenschaftlichen Ver- öffentlichungen dargestellt und diskutiert. Dabei wurde er zum Teil hochge- lobt, aber von anderer Seite auch wieder heftig kritisiert. Neills Erziehungs- gedanken wurden unter verschiedenen Themenschwerpunkten betrachtet und dargestellt, wie zum Beispiel die Auseinandersetzung mit den Demokratie- strukturen in Summerhill oder der Einfluss der Psychoanalyse auf Neills Er- ziehungspraxis. Weiterhin gibt es Untersuchungen darüber, welchen Einfluss Summerhill auf das öffentliche Schulwesen in Deutschland genommen hat, sowie Auseinandersetzungen mit der aktuellen Situation in Summerhill. Dazu gehört unter anderem die jahrelange Bedrohung der Schulschließung durch öffentliche Stellen.2 Während in diesen Arbeiten Freiheit und Autorität immer wieder zentrale Begriffe darstellen, wurde jedoch nicht der Zusammenhang dieser beiden Begriffe gezielt untersucht.

2. Zielsetzung und inhaltlicher Aufbau der Arbeit

Freiheit und Autorität in Summerhill - ein Widerspruch?

Das Ziel der folgenden Arbeit ist es den Zusammenhang und die Bedeutung von Autorität und Freiheit in Summerhill darzustellen. Dabei richtet sich die Arbeit sowohl an jene, die sich grundsätzlich ein Bild über Neills Erziehungs- ansätze machen möchten, als auch an solche, die mit der Thematik Sum- merhill bereits vertraut sind und einen weiteren Blickwinkel erwarten. Neills Erziehungskonzept soll gezielt im Hinblick auf sein Verständnis von Freiheit und Autorität betrachtet werden. Stehen diese im Widerspruch zuein- ander oder ist die in Summerhill praktizierte Freiheit möglicherweise nur eine andere Form von Autorität? Mit dieser Fragestellung soll ein erneuter Ver- such unternommen werden, die Missverständnisse, die mit Neills Erziehungs- theorie einhergehen, aufzulösen.

Ute Schmidt Herrmann zitiert Neill in ihrer Dissertation „A. S. Neill und sei- ne Schule Summerhill“ mit der Aussage, dass die Autorität in Summerhill durch die Schulversammlung repräsentiert wird.3 Dieser Gesichtspunkt soll die zu bearbeitende These für diese Arbeit darstellen, auf dessen Hintergrund die Aussagen Neills, speziell zu seinem Freiheits- und Autoritätsbegriff, diskutiert werden. Dabei wird gezeigt, wo seiner Meinung nach die Freiheit aufhört und die Zügellosigkeit anfängt und welche Form von Autorität es in Summerhill gibt und wie sich diese gestaltet.

Neills grundsätzlichen Erziehungsansichten haben sich im Laufe der Jahre wenig geändert. Das zeigt sich in den vielen Wiederholungen in seinen Bü- chern. Auch heute nach Neills Tod, ist in Summerhill das Prinzip der ‚Erzie- hung in Freiheit’ das gleiche geblieben. Aus diesem Grund liegt die Aufmerk- samkeit weniger auf der Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in Summerhill, als vielmehr auf den Grundgedanken und Ideen, welche Neill entwickelte. Um sein Prinzip von Freiheit zu verstehen, gilt es, den Gesamt- zusammenhang seiner Gedanken und Erfahrungen innerhalb verschiedener Erziehungsaspekte zu betrachten.

Autorität und Freiheit sind zentrale Begriffe bei Neill, welche sich auch in den vielen Publikationen über Neill und Summerhill wiederfinden. Infolgedessen beginnt das erste Kapitel mit einem kurzen Überblick auf den aktuellen Forschungsstand. Dazu werden exemplarisch vier wissenschaftliche Arbeiten betrachtet, die für diese Arbeit interessante Aspekte beinhalten. Ein großer Teil der pädagogischen Auffassungen von Neill wurzelt in seinem Lebenslauf. Um sich einen geschichtlichen Hintergrund von seinem Leben und der Entwicklung seiner Überzeugungen erschließen zu können, stellt das zweite Kapitel seine Biographie und Werdegang dar.

Das folgende Kapitel Freiheit beginnt mit Neills Definition von Freiheit, wel- che dann genauer anhand verschiedener Aspekte erörtert wird. Neill ist kein wissenschaftlicher Theoretiker, sondern Praktiker. Er schreibt über die Erfah- rungen, die er mit Kindern gemacht hat und zieht daraus eigene Schlussfolge- rungen. Seine Pädagogik ist dabei beeinflusst von Erkenntnissen der Psycho- analyse. Zu seiner Freiheitsidee gehören neben seinem Verständnis von einem ‚freien’ Kind, die Bedeutung der ‚richtigen’ Umgebung, in welcher eine frei- heitliche Erziehung nur möglich ist. In diesem Zusammenhang spielt bei der Erziehung die Beeinflussung durch Erwachsene eine wesentliche Rolle, wel- che Neill als sehr problematisch betrachtet. Anhand der Unterscheidung von Freiheit und Zügellosigkeit leitet das Kapitel Freiheit auf das Kapitel Selbst- regierung über. Die Schulversammlung ist in Summerhill die wichtigste Insti- tution, welche die Freiheit symbolisiert und das Gemeinschaftsleben regelt. Wie sie aufgebaut ist und welchen Einfluss sie auf die Schüler hat wird hier verdeutlicht. Darauf aufbauend betrachtet das sechste Kapitel Neills Autori- tätsverständnis. Da er diesen Begriff in unterschiedlicher Bedeutung ge- braucht, gilt es darzustellen, was er als ‚negative’ Form von Autorität betrach- tet und was er darunter versteht, wenn er diesen Begriff für die Schulver- sammlung benutzt. In diesem Zusammenhang erfolgt eine Erklärung des Beg- riffes ‚Antiautorität’ und es wird gezeigt wo die Unterschiede zu Summerhill liegen.

Das letzte Kapitel besteht aus einer Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte dieser Arbeit und es erfolgt ein kurzer Ausblick auf die sich aufwerfende Frage, wie eine demokratische Schule aussehen sollte.

II. Stand der Forschung

Neills Ideen und Grundsätze wurden in zahlreichen Büchern oder wissenschaftlichen Publikationen erörtert. Einige, für diese Arbeit anregende, sind hier exemplarisch angeführt, um darzustellen, unter welchen Gesichtspunkten Neills Pädagogik untersucht wurde und inwieweit die Thematik Autorität und Freiheit in Summerhill bereits behandelt wurde.

1. Axel D. Kühn: „A. S. Neill und Summerhill - Eine Rezeptions- und Wirkungsanalyse“

Die Dissertation von 4 Axel D. Kühn handelt davon, den Verlauf, die Inhalte und Wirkungen der vielfältigen Publikationen über Neill und Summerhill zu beschreiben und zu analysieren. Dabei betrachtet er sowohl Neills eigene Veröffentlichungen als auch die Rezeption seiner Schriften.

Im ersten Teil seiner Arbeit setzt er den Fokus auf Neills Veröffentlichungen und die gesellschaftlichen Reaktionen darauf. Dabei beleuchtet er die Zeit der Reformpädagogik bis heute. Unter anderem geht er auf die Zeit der antiautori- tären Bewegung der 60er und 70er Jahre ein „die Neill fast unisono von dieser Bewegung abgrenzten, ihn aber dennoch an den dort propagierten Erzie- hungszielen maßen.“5 Kühn spricht hiermit das unterschiedliche Freiheitsver- ständnis an und wie auf gesellschaftliche Autorität reagiert werden soll. Neill war, im Gegensatz zu dieser Bewegung, nicht daran gelegen, die Kinder in Summerhill zum Aufstand gegen das politische Establishment zu erziehen.6 Im zweiten Teil seiner Arbeit geht Kühn auf die Wirkung Neills ein, welche seiner Ansicht nach eine grundlegende Einstellungsänderung in der Erzie- hungspraxis gefördert hat. Eine Veränderung dahingehend, dass Kinder in der Lage sein dürfen, ihren Wünschen und Vorstellungen Ausdruck zu verleihen. Damit spricht Kühn die Selbstbestimmung von Kindern an, welche in der heutigen Schullandschaft unter dem Begriff Demokratisierung eine immer größere Bedeutung bekommt. Kühn stellt in diesem Zusammenhang dar, dass Neill in der Lehrerausbildung als Pädagoge nicht mehr wegzudenken ist. Da- gegen sei seine Summerhill-Pädagogik nur in Teilaspekten im schulischen Bereich etabliert worden.7 Kühn ist der Ansicht, dass Neills Pädagogik gerade in der aktuellen pädagogischen Diskussion Impulse und Antworten geben kann. Summerhill sei im Gegensatz zu vielen herkömmlichen Schulen weit besser in der Lage sich den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen flexibel anzupassen. Dies treffe vor allen dann zu, wenn die Gesellschaft wirklich demokratische Strukturen haben will und den Ansatz vertrete, Kinder zu mündigen Bürgern zu erziehen.8

2. Hans Hartmut Karg: „Erziehungsnormen und ihre Begründung in der Pädagogik von Alexander Sutherland Neill“

Hans Hartmut Karg versucht in 9 seiner Dissertation eine Analyse von expliziten und verborgenen Erziehungsnormen in der Pädagogik Neills darzustellen. Karg stellt Neills Position den unterschiedlichen Begründungsansätzen für Erziehungsnormen gegenüber und bezeichnet dessen Ansätze als eine konventionskommunikative Normenbegründung: Neill beziehe sich auf Normen, welche sich bereits bewährt haben, andererseits aber in einen kommunikativen Prozess ergänzt und erweitert werden können.10 Mit dem kommunikativen Prozess geht es Karg um die Selbstverwaltungsstruktur in Summerhill, welche die Gesetze für das Gemeinschaftsleben regelt.

Weiterhin spricht er von einer ‚bipolaren Normenstruktur’ und liefert als Bei- spiel dafür den Glücksbegriff von Neill. In Summerhill sei die ‚Glücksnorm’ mit der ‚Freiheitsnorm’ gekoppelt und jede dieser Normen kann nicht für sich alleine stehen. Neills Vorstellung vom Ziel des menschlichen Lebens bestehe darin glücklich zu werden und die Freiheit werde benötigt dieses umzusetzen. Jede dieser Normen hat nach Karg ein oberes und unteres Extrem. Bei der Freiheit handle es sich um autoritäres Verhalten auf der einen Seite und um Zügellosigkeit auf der anderen; beim Glück handle es sich um egoistisches Verhalten im Gegensatz zu sich aufopfernden Verhalten. Neill grenze seine Erziehungsnormen gegen die jeweilige Extremseite ab und gewinne im Ver- gleich mit seinen Lebenserfahrungen eine gültige Norm11

Zur Autoritätsnorm schreibt Karg, dass diese in Summerhill für den Erzieher verbindlich sei. Sie sei jedoch auch für das Kind wirksam. Neills Pädagogik darf nicht als antiautoritär im Sinne der Ablehnung jeglicher Autorität miss- verstanden werden, sondern die Schulversammlung sei die Institution, welche die Autorität ausübe.12

Karg führt seine Normenbegründung an weiteren Erziehungsgedanken Neills aus und kommt in einer abschließenden Bewertung zu der Feststellung, dass die Schüler grundsätzlich in die Normenbildung einbezogen werden müssen. Neills Normengebung gebe ein Beispiel dafür, wie demokratische Strukturen in der Schule umgesetzt werden können. Dieses geschehe nicht durch geplan- te Innovationsschritte auf einer Verwaltungsebene, sondern in der Schule selbst.13

Karg betrachtet also die Aspekte Freiheit und Autorität als Erziehungsnormen, die mit anderen Erziehungsnormen verflochten sind. Dadurch, dass Schüler frühzeitig lernen Normen und Regeln selbst zu vereinbaren und sie zu begründen, seien sie in der Lage diesen Prozess selbstbestimmt weiter zu betreiben. Dies sei eine Grundvoraussetzung, damit Schulen wahre demokratische Strukturen entwickeln können.

3. Ute Schmidt-Hermann: „A. S. Neill und seine Schule Summerhill als Beispiel aus der Geschichte der antiautoritären Erziehung“

Ute Schmidt-Herrmann behandelt in ihrer Dissertation das Problem 14 der ge- waltfreien, antiautoritären Erziehung am Beispiel Summerhill. Dabei grenzt sie Neill nicht von dem antiautoritären Erziehungsbegriff ab, sondern betrach- tet ihn selbst als Vertreter eines antiautoritären Modells.15 Sie stellt hierbei jedoch heraus, dass es Neill mit seiner freiheitlichen Erziehung um das Glück des einzelnen Menschen gehe und er kein politisches Interesse verfolge.16 Schmidt-Herrmann versucht durch Neills Praxis darzulegen, dass ‚antiautori- tär’ und ‚Erziehung’ keinen Widerspruch darstellen muss.17 Dafür entwickelt sie in ihrer Arbeit eine ‚antiautoritäre Führungstheorie’. Diese leitet sie aus Neills Auseinandersetzung mit den psychoanalytischen Ansätzen Homer La- nes und Wilhelm Reichs ab, aus Neills Menschenbild und der daraus resultie- rende Erziehungspraxis. Bei ihrer Führungstheorie geht es darum, Mittel zu entwickeln auf Kinder ohne Zwang und Unterdrückung einzuwirken.18 Sie spricht in diesem Sinne von einer ‚sanften’ Führung, da es Neill in seiner Konzeption darum ginge, bei den Schülern Einsicht in sachliche und soziale Zusammenhänge zu fördern. Als Mittel zur Einflussnahme nennt Schmidt- Hermann Neills Prinzip von Liebe und Anerkennung.19 Kritisch betrachtet sie bei Neills Erziehungskonzeptionen, dass er den emotionalen Bereich überbe- werte und die intellektuelle Schulung vernachlässige.20

Zusammenfassend sieht sie in Neills Konzept, welches auf jede Form von Gewalt verzichtet, einen Alternativansatz zu einer autoritären Erziehungs- form, die auf ein Straf- und Belohnungssystem aufbaut. Es gebe Impulse und Perspektiven, welche in die Diskussion um eine allgemeine Liberalisierung und Demokratisierung in der pädagogischen Praxis einfließen können.21

4. Murray Douglas Veitch: „A study of A. S. Neill with attention to his perception of the relation between freedom and authority in an educational system“

Veitch beschreibt in 22 seiner Master-Thesis Neills Erziehungsansätze, welche dieser im Laufe seines Lebens entwickelt hat. Er nimmt dabei Bezug auf die Beziehung von Freiheit und Autorität in Erziehungssystemen, in welchen Neill die Freiheit durch die Autorität bedroht sehe.23

Im ersten Teil seiner Arbeit geht Veitch intensiv auf Neills Lebenslauf ein, besonders auf die früheren Jahre. Er versucht herauszustellen, was und wer ihn in seinem Leben beeinflusst haben. Dabei betont er die Bedeutung der frühen Konditionierung, aus welcher, Veitchs Ansicht nach, Neill sich selbst nicht vollständig befreien konnte.24

Weiterhin beschreibt er den bedeutsamen Einfluss des Pädagogen Homer La- nes25 auf Neill, von dem er viele seiner Erziehungsprinzipien übernommen hat. Dazu gehören unter anderem Lanes Freiheitsbegriff26, sein Verständnis von Autorität und die unbedingte Akzeptanz des Kindes, welche Lane ‚auf der Seite des Kindes sein’ nannte.27 In diesem Zusammenhang geht Veitch auch auf Neills psychoanalytischen Hintergrund bei der Betrachtung von Kin- dern ein. Er stellt dar, was Neill unter der ‚Natur des Kindes’ versteht und welche Form von erzieherischer Institution, Neills Meinung nach, für Kinder geeignet ist, wenn man sie in Freiheit erziehen will.28 Veitch skizziert weiter- hin die Selbstverwaltung in Summerhill. Dabei wirft er die Frage auf, wie authentisch die Selbstverwaltung eigentlich sei, in welcher eine einzelne Per- son entscheidet, was Angelegenheiten für die Schulversammlung sind und was nicht. Er bezieht sich dabei auf den Umstand, dass die Schulversammlung nur für die Angelegenheiten des Zusammenlebens in der Gemeinschaft zu- ständig sei und nicht zum Beispiel für die finanziellen Belange der Schule, die von Neill verwaltet wurden.29

Neill sprach sich gegen jede Beeinflussung von Kindern durch Erwachsene aus. Veitch unterstellt Neill, dass er dies allerdings auch - unwissentlich - selbst getan hat, indem er initiierte, dass die Kinder seine Werte und Überzeugungen annahmen.30

Veitch beschreibt weiter Neills Ablehnung der Autorität durch Erwachsene, welche in Form von Disziplin, Bestrafung, Unterdrückung der Sexualität oder religiöser Ideale Angst bei Kindern erzeuge. Dagegen gäbe es nach Neill eine ‚notwendige Autorität’, welche die Sicherheit bei kleinen Kindern betreffe, zum Beispiel, dass sie mit Fieber nicht nach draußen gehen dürfen.31 In seiner Schlussbetrachtung sieht Veitch in Neills Konzeption von Freiheit und freien Kindern einen wichtigen Beitrag für Kernüberlegungen neuer Schulen. Er erklärt, dass die Freiheit in Summerhill keine Anarchie erschaffe, sondern vielmehr Liebe, Verantwortungsgefühl und eine glückliche Kindheit. Auch wenn sich, seiner Ansicht nach, die Struktur von Summerhill nicht auf die Gesellschaft im Ganzen anwenden lasse, so habe doch Neill mit Sum- merhill für ein besseres Verständnis im Umgang mit Kindern beigetragen.32

5. Fazit

Die Begriffe Freiheit und Autorität wurden in den angeführten Arbeiten vor dem Hintergrund verschiedener Themenschwerpunkte betrachtet und näher ausgeführt. Hans Hartmut Karg hat sie als Erziehungsnormen dargestellt. Bei Ute Schmidt-Herrmann waren die Begriffe eingeflochten in ihrer Begründung, warum antiautoritäre Erziehung kein Widerspruch in sich darstellen muss. Veitch geht es vor allem um Neills eigene Konditionierung, die dazu beigetragen hat, dass er seine Erziehungsprinzipien speziell zur Freiheit, Autorität und der ‚Natur des Kindes’ entwickelt hat.

Sowohl Schmidt-Herrmann als auch Karg haben den Aspekt angeführt, dass in Summerhill die Autorität durch die Schulversammlung verkörpert wird. Es war jedoch in keiner der angeführten Arbeiten der Themenschwerpunkt auf den gezielten Zusammenhang von Autorität und Freiheit in Summerhill gelegt. Das soll nun mit dieser Arbeit umgesetzt werden.

III. Biographische Daten zu A. S. Neill

Das Prinzip der Freiheit in Summerhill ist geprägt durch die Persönlichkeit und Grundgedanken von Neill. Die folgende Biographie soll einen kurzen Einblick in die Meilensteine seines Lebens und die Geschichte von Summerhill geben. Ein großer Teil der Daten und Bezüge stammen aus Axel D. Kühns Monographie über Neill.33, andere stammen aus Neills eigener Biographie.34 Diese sind gesondert gekennzeichnet.

1. Kindheit und Jugend

Neill wurde am 17. Oktober 1883 in Forfar / Schottland geboren und war das vierte von insgesamt acht Kindern von Mary Sutherland und George Neill. Sein Vater arbeitete im zwei Meilen südlich gelegenen Kingsmuir als Schul- leiter in einer einklassigen Schule. Dort wurde Neill mit viereinhalb Jahren eingeschult. Zu dieser Zeit war es üblich Kinder mit Schlägen und harten Strafen zu disziplinieren. Da Neill als Sohn des Lehrers nicht als bevorzugt gelten sollte und zudem auch noch als das unbegabteste Kind der Familie galt, wurde er besonders streng behandelt. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war nicht gut. „Ich habe meinen Vater abgelehnt, weil er mich in meiner Kindheit ablehnte, mir Furcht und das Gefühl von Minderwertigkeit einflößte und mich zu strikten Gehorsam erziehen wollte.“35 Neills Mutter, die bis zu ihrer Heirat ebenfalls als Lehrerin tätig war, legte großen Wert auf das Anse- hen der Familie in der durch den schottischen Kalvinismus geprägten Gesellschaft. „Sie war ein Snob, und sie machte Snobs aus uns.“36

2. Berufliche Laufbahn und Studium

Neills Schullaufbahn endete im Alter von 14 Jahren. Da er keine guten Ab- schlussergebnisse erreicht hatte, begann Neill erst eine Ausbildung als Buch- halter und später zum Einzelhändler. Er war jedoch nicht glücklich in diesen Berufen, so dass er sie schnell wieder aufgab. 1899 wurde er ‚Pupil Teacher’ an der Schule seines Vaters. Nach vierjähriger Lehrzeit schaffte Neill es nicht, zur akademischen Prüfung zugelassen zu werden, da er keine besonderen Leistungen in speziellen Fächern vorweisen konnte. Er beendet seine Ausbil- dung als ‚Ex Pupil Teacher’, was dem Stand eines Hilfslehrers entspricht. Bis 1908 nahm er wechselnde Lehrerstellungen an und bestand schließlich sowohl die zweite Hälfte des Lehrerexamens, als auch die Aufnahmeprüfung zur U- niversität.

Von 1908 bis 1912 studierte Neill in Edinburgh und begann dort mit dem Studium der Agrarwissenschaften, ohne sich wirklich dafür zu interessieren. Er brach dieses Studium frühzeitig ab und studierte stattdessen Englische Literatur. Dieses Studium schloss er erfolgreich mit dem M. A. (Master of Arts) ab. Anschließend arbeitete er als Redakteur für verschiedene Verlage. Dafür zog er nach London und wurde dort Mitglied der Labour Party.37

3. Neills Rückkehr in den Schuldienst

Am 15. Oktober 1914 nahm Neill wegen Kriegsuntauglichkeit eine Stelle als Schulleiter der Gretna Public School in Schottland an. Seine Erfahrungen an dieser Schule führten ihn zu einem Wendepunkt. „Hier wurde mir zum ersten Mal bewusst, was Erziehung bedeutet.“38 Bis zu diesem Zeitpunkt war er noch ein weitestgehend angepasster Lehrer, doch nun träumte er von seiner eigenen Schule und entwickelt einige seiner pädagogischen Grundsätze. Sein Unter- richt in Gretna Green unterschied sich bald erheblich von dem in anderen Schulen. Seine Schüler konnten zum Beispiel den Unterricht verlassen, wenn sie es für richtig hielten und es kümmerte ihn nicht, wenn sie sich im Unter- richt unterhielten. Bei den Eltern stieß er damit allerdings auf großes Unver- ständnis.

Die Zeit in Gretna Green beschrieb er 1915 in seinem ersten Buch „A Dominie’s Log“, durch dessen Veröffentlichung er Kontakt zu ähnlich denkenden Pädagogen bekam. Das Buch wurde in Großbritannien ein großer Erfolg und Neill verfasste später noch vier weitere Dominie-Bücher. Während dieser Zeit lernte Neill auch Homer Lane kennen und dessen ‚Little Commonwealth’, einem Heim für delinquente Jugendliche.

1916 wurde Neill erneut zum Kriegsdienst einberufen, jedoch aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes frühzeitig ehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen. So widmete er sich wieder dem Schuldienst. Neill bemühte sich zunächst um eine Anstellung bei Homer Lane im ‚Little Commonwealth’, musste aber erfahren, dass dessen Heim aufgrund eines Skandals39 geschlos- sen wurde. Daraufhin bewarb er sich bei John Russel in der Alfred-King- School, einer koedukativen Reformschule, in der es weder Noten noch Prü- gelstrafe gab. London war auch Lanes neue Wohnstadt, sodass Neill und Lane weiterhin privaten Kontakt hielten. Durch Lane wurde Neill über Freuds Psy- choanalyse unterrichtet. Er wurde Lanes Schüler, Freund und Patient und übernahm viele seiner Grundsätze. Neill kam zu der Auffassung, dass ein Kind möglichst in Freiheit aufwachsen sollte, um sich natürlich und frei von Neurosen entwickeln zu können. Jedes Kind sollte das Recht haben seine ei- genen Erfahrungen zumachen und daraus zu lernen. Er entschied sich damit gegen eine autoritär geprägte Erziehung, wie er sie selbst erfahren hatte. Nach Homer Lanes Beispiel führte er in der Alfred-King-School das ‚Self- government’40 ein. Als es jedoch zu Protesten innerhalb des Lehrerkollegiums hinsichtlich der Selbstverwaltung kam, legte ihm Russell nahe, die Arbeit an seiner Schule zu beenden.

4. New Era und seine Zeit in Hellerau

Neill begann nun seine Grundsätze zu publizieren und seine Bücher wurden trotz seiner radikalen Haltung im Allgemeinen positiv bewertet. Zu Beginn des Jahres 1920 bekam Neill das Angebot zur Mitherausgeberschaft der re- formpädagogischen Zeitschrift ‚New Era’. Er konnte sich nun mit einer brei- ten Themenwahl beschäftigen und die unterschiedlichsten Schulversuche in Großbritannien und auf dem Kontinent kennen lernen. Er übte in seinen ‚Edi- torials’ heftig Kritik an dem bestehenden Schulsystem und entfachte viele Diskussionen und Streitgespräche mit anderen Reformpädagogen, welche sich auch für mehr Freiheit der Kinder einsetzten. Diese Freiheit war jedoch, im Gegensatz zu Neills Freiheitsverständnis, eine von der herrschenden Moral geleitete Freiheit. Neill lernte unter anderem auch die immer bekannter wer- dende Montessori-Pädagogik kennen. Diesen Ansatz lehnte er aber als zu wis- senschaftlich, zu ordentlich und zu didaktisch ab.

1921 war Neill im Auftrag der ‚New Era’ in Europa unterwegs. Dabei reiste er nach Deutschland um über dortige Schulen zu berichten, unter anderem über die frühere Jaques-Dalcroze-Schule in Dresden-Hellerau. Dort besuchte er Lilian Neustätter, eine Bekannte aus der Zeit, als er an der King Alfred School unterrichtete. Neill blieb in Deutschland, da er das Angebot bekam, zusammen mit Lilian Neustätter und Christine Bear, einer Schülerin des Re- formpädagogen Emile Jaques-Dalcroze, die ‚Internationale Schule’ in Helle- rau zu gründen. Dieses Angebot bezeichnete Neill im Nachhinein als Datum seiner Schulgründung. Es ergab sich für Neill die Chance eine Schule nach seinen Vorstellungen zu führen. Er hob das Klassensystem auf und führte erneut die Selbstverwaltung ein. Er ließ die Schüler entscheiden, ob sie am Unterricht teilnehmen wollten, gab so genannte Privatstunden für ‚Problemkinder’ und wendete ‚paradoxe Sanktionen’ an, wie er sie von Lane gelernt hatte.41 Die Organisation der Schule übernahm Lillian Neustätter und die Geschäftsführung ihr Mann Otto Neustätter.

5. Umzüge nach Österreich und England

1923 stellte die Schule ihre Arbeit ein, da in Sachsen ein Bürgerkrieg zu be- fürchten war, woraufhin die Kinder von ihren Eltern nach Hause geholt wur- den. Dieses entzog Neill die wirtschaftliche Basis für sein Schulexperiment. Neill fand einem neuen Standort für seine Schule in Österreich. Hierbei han- delte es sich um ein ehemaliges Klostergebäude auf dem Sonntagberg. Zu dieser Zeit hatte Neill nur neun Schüler, sodass kein regelmäßiger Unterricht stattfand. Wenn die Schüler Fragen hatten, wurde eine Gruppe gebildet, die sich mit bestimmten Sachverhalten auseinandersetzte. Neill brachte einen seiner Problemschüler nach Wien zu einer Analyse bei Wilhelm Stekel, einen ehemaligen Schüler Sigmund Freuds. Im Anschluss unterzog er sich selbst einer solchen Behandlung. Mit Stekel verband ihn bald eine enge Freund- schaft und er befasste sich nun intensiv mit der Psychoanalyse.

Die Schule auf dem Sonntagberg traf mittlerweile auf heftigen Widerstand seitens der Bevölkerung und der Schulbehörde. 1924 wurde die Schule von der österreichischen Schulverwaltung geschlossen. Der Hauptgrund hierfür war, dass Neill keinen Religionsunterricht erteilte. Die Schule musste also erneut umziehen; dieses Mal mit fünf Schülern auf den ‚Summer-Hill’ in Ly- me Regis in England, dessen Namen die Schule auch heute noch trägt.

1926 erhöhte sich die Popularität von Summerhill schlagartig anlässlich des Erscheinens seines mittlerweile achten Buchs ‚The Problem Child’. Eine Fol- ge war, dass die finanziellen Nöte von Neill endeten, aber von nun an auch mehr Problemkinder nach Summerhill geschickt wurden, die an anderen Schulen als schwierig, faul, träge und/oder antisozial galten. 1927 heiratete Neill Lilian Neustätter, die mittlerweile von ihrem Mann geschieden war, um ihr die englische Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Nach dem Ende des Mietverhältnisses in Lyme Regis zog Neill mit seiner Schule nach Leiston in Suffolk, an den Ort, an dem sie auch heute noch existiert.

Neill hielt in den 30er Jahren viele Vorträge und lernte bei einer Vorlesung in Oslo den Psychoanalytiker und Sexualforscher Wilhelm Reich kennen. Neill stellte eine hohe Übereinstimmung mit Reichs Vorstellungen fest und unter- zog sich Ende 1937, nach dem Tod seiner Eltern, Reichs ‚Vegetotherapie’. Dabei handelte es sich um eine von Reich entwickelte Methode, welche Be- ziehungen zwischen Muskelverspannungen und dem emotionalen Zustand des Patienten herausfinden soll. Durch Reichs Therapie lernte er besser mit seinen Gefühlen umzugehen und setzte sich stärker mit seiner eigenen Kindheit aus- einander.

1940 musste Leiston vorübergehend verlassen werden, da das Militär aufgrund des Krieges das Gebäude beschlagnahmte. Eine zeitweilige Ersatzunterkunft wurde in Ffestiniog in Nord-Wales gefunden. Neill war mit der dort herrschenden Situation nicht glücklich. Schwierigkeiten mit dem Personal, der Kalvinismus der Umgebung und das schlechte Wetter beeinträchtigten ihn und sein Interesse an der Schule.

Am 30. April 1944 starb Neills Frau an den Spätfolgen eines Schlaganfalls. 1945 heiratete Neill die wesentlich jüngere Küchengehilfin Ena Wood, die zuvor Neills erste Frau gepflegt hatte. Es handelte sich dieses Mal nicht um eine Vernunftehe, sondern es gab ein Liebesverhältnis zwischen den beiden. Kurze Zeit darauf konnte die Schule nach Leiston zurückkehren. Das Schulgebäude befand sich jedoch in einem sehr schlechten Zustand.

6. Summerhill von 1945 bis heute

Am 2. November 1946 wurde Neills erstes und einziges Kind Zoë geboren. Ihre Entwicklung während ihrer ersten sechs Lebensjahre hatte Neill in „The Free Child“ festgehalten.

Im Juni 1949 fand die erste Schulinspektion in Summerhill statt und entgegen Neills Erwartung waren die Ergebnisse erstaunlich positiv. Sein Interesse an der Schule nahm im Alter ab. Er wohnte nicht mehr direkt im Schulgebäude und sein Denken wurde immer pessimistischer. Er litt unter gesundheitlichen Schwierigkeiten und den akuten finanziellen Problemen seiner Schule. Deswegen wurde 1950 von einigen Eltern der Schüler ein Komitee zur Verwaltung der schulischen Gelder gegründet. Dieses Komitee wurde sieben Jahre später, aufgrund erneuter Geldsorgen und des schlechten Standards der Schule, durch die Elterninitiative ‚Summerhill Society’ erweitert.

Im März 1959 musste Summerhill eine weitere Schulinspektion über sich ergehen lassen, deren Ergebnis ‚fair, aber desillusionierend’ war. Es wurden die spartanischen Verhältnisse beklagt und der niedrige Bildungsstand der Kinder. Die Schülerzahlen sanken in dieser Zeit. Das änderte sich jedoch schlagartig als Ende 1960 das Buch „Summerhill: A Radical Approach to Child Rearing“ in den USA erschien. In diesem Buch hat Neills Verleger Hart die Grundgedanken Neills aus seinen letzten Büchern zusammengefasst. Das Buch wurde ein großer Erfolg mit dem Ergebnis, dass viele amerikanische Kinder nach Summerhill kamen, teilweise auch besonders schwierige Fälle, welche die Schule wieder verlassen mussten.

In den letzten 10 Jahren seines Lebens schrieb Neill sehr viel, vornehmlich jedoch Artikel für Zeitschriften und arbeitete weiter an seiner Autobiographie, deren erste Hälfte bereits vorlag. Am 5. Juli 1966 bekam Neill von der Uni- versität Newcastle einen Ehrendoktortitel verliehen. Es folgten in den kom- menden Jahren noch zwei weitere von der Universität Exeter und der Univer- sität Essex.

1968 erschien eine Studie von Emmanuel Bernstein über ehemalige Summerhill-Absolventen, die sich im Großen und Ganzen positiv für Summerhill auswirkte. 1969 erschien in Deutschland die Übersetzung des Buches: „Summerhill: A Radical Approach to Child Rearing“. Unter dem Titel „Summerhill. Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung“ wurde dieses Buch im Zuge der Studentenbewegung ein Riesenerfolg und Summerhill wurde wieder einmal vor dem finanziellen Ruin bewahrt.

1971 feierte Summerhill sein 50-jähriges Bestehen und 1972 erschien Neills Autobiographie „Neill! Neill! Orange Peel“. Neill ging es zu dieser Zeit ge- sundheitlich immer schlechter. Am 23. September starb er im Krankenhaus des Nachbarortes Aldeburgh. Nach seinem Tod übernahm seine Frau Ena die Schulleitung. Heute wird Summerhill von Neills Tochter Zoë Readhead geleitet und entspricht immer noch den gleichen Grundsätzen von früher.

IV. Freiheit

1. Neills Begriff von Freiheit

„Freiheit heißt, tun und lassen zu können, was man mag, solange die Freiheit der anderen nicht beein- trächtigt wird.“42

Dies ist Neills Kernaussage zur Freiheit, welche sich in allen seinen Büchern wiederfindet. Seine Ideen zur freiheitlichen Erziehung sind geprägt von seiner Gesellschaftskritik und von psychologischen Aspekten. Dabei wurde er vor allem von zwei Männern beeinflusst: Homer Lane und Wilhelm Reich.43, wo- bei Lane der Bedeutsamere aufgrund seiner Erziehungsmethoden war, welche er im ‚Little Commonwealth’ realisiert hatte. „Was ich Lane an Positivem verdanke, ergab sich nicht aus der Analyse, sondern aus der Art seines Um- gangs mit Kindern. Sein Grundsatz war: ‚Man muss auf der Seite des Kindes sein.’“44

Im Gegensatz zu vielen Vertretern von demokratischer Erziehung ging es Neill nicht um eine Freiheit unter Anleitung eines Erziehers. Er vertrat eine Freiheit von Kindern, deren Grundlage der Verzicht auf jeglichen Zwang dar- stellt. Diese Freiheit basiert auf der Selbstregulierung und Selbstverwaltung der Kinder, die darin besteht, dass sie ihren eigenen Interessen frei folgen können.45

[...]


1 zum besseren Leseverständnis wird in dieser Arbeit auf die weibliche Form verzichtet, es sind jedoch sowohl Schüler als auch Schülerinnen gemeint. Das gleiche gilt für den Begriff Lehrer.

2 vgl. K ü hn, A. D., Dissertation, 2002, S. 123.

3 vgl. Schmidt-Herrmann, U., Dissertation, 1988, S. 101.

4 K ü hn, A. D., Dissertation, 2002.

5 K ü hn, A. D., Dissertation, 2002, S. 144.

6 vgl. ebd. S. 74.

7 vgl. ebd. S. 146.

8 vgl.ebd. S. 146ff.

9 Karg, H. H., Dissertation, 1983.

10 vgl. ebd. S. 144ff; siehe auch K ü hn, A. D., Dissertation, 2002, S. 111.

11 vgl. Karg, H. H., Dissertation, 1983, S.159f.

12 vgl. Karg, H. H., Dissertation, 1983, S. 188f.

13 vgl. ebd. S. 267.

14 Schmidt-Herrmann, U., Dissertation, 1988.

15 vgl. ebd. S. I.

16 vgl. ebd. S. 110.

17 vgl. Schmidt-Herrmann, U., Dissertation, 1988, S.200.

18 vgl. K ü hn, A. D., Dissertation, 2002, S. 114.

19 vgl. Schmidt-Herrmann, U., Dissertation, 1988, S. 200f.

20 vgl. ebd. S. 191ff.

21 vgl. ebd. S. 204.

22 Veitch, M. D., Master Thesis, 1978.

23 vgl. ebd. S. 74.

24 vgl. Veitch, M. D., Master Thesis, 1978, S. ii.

25 Homer Lane war ein Pädagoge und Sozialreformer. Bekannt wurde er für die Begründung des ‚Little Commonwealth’, einer zwischen 1913 und 1918 bestehenden Besserungsanstalt für delinquente Jugendliche im englischen Dorset. Durch seine therapeutischen Maßnahmen, wie zum Beispiel die psychoanalytisch motivierte ‚paradoxe Sanktionen’, welche Neill später übernahm, erzielte er beachtliche Erfolge. Die Idee, die Lane damit verfolgte war den Jugendlichen die Freiheit zu geben, sie selbst zu sein. Die Jugendlichen entwickelten in dieser Umgebung neue Werte und ein neues Sozialverhalten.

26 Unter Freiheit verstand Lane etwas, dass dem Kind nicht gegeben werden kann. Es wird vom Kind genommen. „Freedom cannot be given. It is taken by the child … Freedom involves discovery and intention, neither of which, by their nature, can be embodied in any system.“ (Lane, H., Freedom, 1928, S. 112)

27 vgl. Veitch, M. D., Master Thesis, 1978, S. 22.

28 vgl. ebd. S. 75.

29 vgl. Veitch, M. D., Master Thesis, 1978, S. 40.

30 vgl. ebd. S. 44 und 70.

31 vgl. ebd. S. 68f.

32 vgl. ebd. S. 82.

33 K ü hn, A. D., Biographie, 1995.

34 Neill, A. S., Biographie, 1973.

35 ebd. S.164.

36 Neill, A. S., Biographie, 1973, S. 19.

37 In dieser Zeit interessierte sich Neill noch für Politik. Er wurde jedoch durch politische Ereignisse in den folgenden Jahren dermaßen desillusioniert, dass er eine große Abneigung gegen jegliche Form von Politik entwickelte.

38 Neill in: Id-Magazin Sept. 1960, S.4, zitiert nach K ü hn, A. D., Biographie, 1995, S. 29.

39 Lane wurde der sexuellen Belästigung eines Mädchens beschuldigt. Bei den folgenden Untersuchungen fanden sich zwar keine Hinweise auf die Richtigkeit dieser Behauptung, dennoch wurde ihm Zulassung seiner Erziehungsanstalt entzogen. Neill ging davon aus, dass die Aufsichtsbehörde Probleme mit Lanes freiem System hatte, da seiner Ansicht nach Lane niemals irgendein Mädchen angreifen würde.

40 siehe Kap. V.2, Selbstverwaltung, S. 52.

41 siehe dazu Kap. IV.3.5, Privatstunden, S. 43.

42 Neill, A. S., Theorie & Praxis, 1999, S. 123.

43 siehe Kap. IV.3, Psychologischer Hintergrund, S. 35.

44 Neill, A. S., Biographie, 1973, S. 169.

45 siehe Kap. V, Selbstregierung, S. 50.

Ende der Leseprobe aus 85 Seiten

Details

Titel
Autorität und Freiheit in Summerhill
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
85
Katalognummer
V93314
ISBN (eBook)
9783638062954
ISBN (Buch)
9783640101900
Dateigröße
749 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit gibt ein umfangreiches Bild über die Idee und das Konzept von Summerhill. Gut strukturierter Aufbau. Sehr viele, gut recherchierte Quellenangaben, davon aus 11 Büchern Originalliteratur von Neill (englisch und deutsch)
Schlagworte
Autorität, Freiheit, Summerhill
Arbeit zitieren
Petra von der Marwitz (Autor:in), 2007, Autorität und Freiheit in Summerhill, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93314

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Autorität und Freiheit in Summerhill



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden