Das Ausmaß, wie Menschen ihr Leben und ihre Umwelt glauben zu kontrollieren, ist eine sehr wichtige Variable zur Erklärung von (besonders sozialem) Erleben und Verhalten. Die Mehrzahl der Autoren betrachten den Begriff „Kontrolle“ als die subjektive Überzeugung eines Individuums, gewünschte Ereignisse herbeizuführen oder unerwünschte Ereignisse vermeiden zu können. Dabei muss die Kontrollmöglichkeit weder tatsächlich bestehen (“Illusion von Kontrolle“, „wahrgenommene Kontrolle“, „kognizierte Kontrolle“), noch tatsächlich ausgeübt werden („potenzielle Kontrolle“).
Die Wurzeln dieser Theorie finden sich bereits bei Adler (1929), White (1959) und De Charms (1968). Letzterer befand, dass der Mensch stetes eine Motivation habe, sich selbst als Verursacher von Handlungen und Veränderungen in der Umwelt zu sehen und daraus Schlüsse ziehe.
Als Definition für Kontrolle und Kontrollverlust kann man (nach Frey 1977) folgende Thesen zusammenfassen:
1. Personen sind bestrebt, Zustände und Ereignisse in sich und in ihrer Umwelt zu kontrollieren, d.h. sie sich zu erklären, sie vorherzusagen oder sie zu beeinflussen.
2. Nimmt eine Person wahr, dass sie über Kontrollmöglichkeiten verfügt, reduziert bzw eliminiert dies durch negative Ereignisse hervorgerufenen Stress. Kogniziert eine Person, dass sie Ereignisse und Zustände mit ihren negativen Folgen nicht kontrollieren kann (Kontrollverlust), beeinträchtigt dies Erleben und Verhalten negativ.
3. Die Art der Reaktion auf Kontrollverlust ist abhängig von der subjektiven Bedeutung des nicht kontrollierbaren Ereignisses, von der Sicherheit der Überzeugung, keine Kontrolle ausüben zu können, sowie der Art der Ursachen des Kontrollverlusts. Thompson (1981) unterscheidet vier mögliche Arten von kognizierter Kontrolle: a) Beeinflussbarkeit bedeutet, dass ein Individuum durch sein Verhalten Ereignisse beeinflusst (behavior control). b) Als Vorhersehbarkeit (information control) beschreibt sie Informationsaufnahme über ein zu erwartendes Ereignis. c) Kognitive Kontrolle (cognitive control) liegt vor, wenn versucht wird mit kognitiven Strategien (z.B. Uminterpretieren) ein negatives Ereignis zu bewältigen. d) Retrospektive Kontrolle (retrospective control) schließlich bietet die Möglichkeit, Ereignisse nachträglich zu erklären. Eng an diese Definition ist die Unterscheidung in primäre (aktives Verhalten) und sekundäre (kognitive Prozessse) Kontrolle angelehnt (s. Kap.3).
Inhaltsverzeichnis
1. Definitionen:
2. Das Streben nach Kontrolle
a) Das Streben nach Beeinflussbarkeit:
b) Kontrollillusion und Aberglaube:
c) Das Streben nach Vorhersehbarkeit und Erklärbarkeit:
d) Interindividuelle Unterschiede in der Motivation nach Kontrolle:
e) Delegation von und Verzicht auf Kontrolle:
3. Die Auswirkungen von Kontrolle
a) Die Auswirkungen von primärer Kontrolle (Beeinflussbarkeit):
aa) Antizipationsphase:
bb) Einwirkungs- und Nachwirkungsphase (d.h. Wirkungsphase des Stimulus):
b) Die Auswirkungen von sekundärer Kontrolle:
aa) kognitive Strategien:
bb) Vorhersehbarkeit:
cc) Erklärbarkeit (retrospektive Kontrolle):
4. Verlust von Kontrolle
a) Gelernte Hilflosigkeit:
b) Reaktanz:
5. Angewandte Forschung:
a) Kontrolle und Gesundheit / Krankheit:
b) Kontrolle und Change-Management-Prozesse:
6. Kognizierte Kontrolle bei Religionsgemeinschaften wie den Zeugen Jehovas:
a) Religiosität – Bereitschaft zu kontrollmotivierten Deutungen ?
b) Anwendung der kognizierte Kontrolle bei den Zeuge Jehovas?
c) Anwendung von Kriterien für „destruktive Kulte“ auf Kontrollverhalten bei den Zeugen Jehovas
7. Persönliches Fazit:
Literatur:
1. Definitionen:
Das Ausmaß, wie Menschen ihr Leben und ihre Umwelt glauben zu kontrollieren, ist eine sehr wichtige Variable zur Erklärung von (besonders sozialem) Erleben und Verhalten. Die Mehrzahl der Autoren betrachten den Begriff „Kontrolle“ als die subjektive Überzeugung eines Individuums, gewünschte Ereignisse herbeizuführen oder unerwünschte Ereignisse vermeiden zu können. Dabei muss die Kontrollmöglichkeit weder tatsächlich bestehen (“Illusion von Kontrolle“, „wahrgenommene Kontrolle“, „kognizierte Kontrolle“), noch tatsächlich ausgeübt werden („potenzielle Kontrolle“).
Die Wurzeln dieser Theorie finden sich bereits bei Adler (1929), White (1959) und De Charms (1968). Letzterer befand, dass der Mensch stetes eine Motivation habe, sich selbst als Verursacher von Handlungen und Veränderungen in der Umwelt zu sehen und daraus Schlüsse ziehe.
Als Definition für Kontrolle und Kontrollverlust kann man (nach Frey 1977) folgende Thesen zusammenfassen:
1. Personen sind bestrebt, Zustände und Ereignisse in sich und in ihrer Umwelt zu kontrollieren, d.h. sie sich zu erklären, sie vorherzusagen oder sie zu beeinflussen.
2. Nimmt eine Person wahr, dass sie über Kontrollmöglichkeiten verfügt, reduziert bzw eliminiert dies durch negative Ereignisse hervorgerufenen Stress. Kogniziert eine Person, dass sie Ereignisse und Zustände mit ihren negativen Folgen nicht kontrollieren kann (Kontrollverlust), beeinträchtigt dies Erleben und Verhalten negativ.
3. Die Art der Reaktion auf Kontrollverlust ist abhängig von der subjektiven Bedeutung des nicht kontrollierbaren Ereignisses, von der Sicherheit der Überzeugung, keine Kontrolle ausüben zu können, sowie der Art der Ursachen des Kontrollverlusts.
Thompson (1981) unterscheidet vier mögliche Arten von kognizierter Kontrolle: a) Beeinflussbarkeit bedeutet, dass ein Individuum durch sein Verhalten Ereignisse beeinflusst (behavior control). b) Als Vorhersehbarkeit (information control) beschreibt sie Informationsaufnahme über ein zu erwartendes Ereignis. c) Kognitive Kontrolle (cognitive control) liegt vor, wenn versucht wird mit kognitiven Strategien (z.B. Uminterpretieren) ein negatives Ereignis zu bewältigen. d) Retrospektive Kontrolle (retrospective control) schließlich bietet die Möglichkeit, Ereignisse nachträglich zu erklären. Eng an diese Definition ist die Unterscheidung in primäre (aktives Verhalten) und sekundäre (kognitive Prozessse) Kontrolle angelehnt (s. Kap.3).
Die Theorie der kognizierten Kontrolle befasst sich also einerseits mit den affektiven, motivationalen und kognitiven Folgen wahrgenommener Kontrolle (Erwartungstheorie der Motivation), andererseits betrachtet sie die affektiven, motivationalen und kognitiven Reaktionen auf Kontrollverlust.
2. Das Streben nach Kontrolle
Viele empirische Untersuchungen zeigen positive Effekte erfüllter Kontrollerwartungen auf Erleben und Verhalten. Menschen streben nach Kontrolle, d.h. Ereignisse zu erklären, sie vorherzusagen oder zu beeinflussen (These 1) . Dieses Streben nach Kontrolle (hier: Vorhersagbarkeit) steht in der Bedürfnispyramide nach Maslow im Rahmen der Sicherheitsbedürfnisse ganz unten und ist somit einer der grundlegenden menschlichen Bedürfnisse. Es schafft allein in Deutschland einen Markt, in dem Wahrsager, Astrologen, Kartenleger, Hellseher, Handleser u.s.w. jährlich etwas zehn Millarden Euro verdienen (Quelle nicht mehr bekannt. Fersehbericht vor ca 1 Jahr; s. auch Esoterikmesse)
a) Das Streben nach Beeinflussbarkeit:
Studien zur „Illusion von Kontrolle“ zeigen, dass Menschen danach streben , ihnen wichtige Ereignisse zu beeinflussen bzw die eigenen Einflussmöglichkeiten überschätzen – und dies sogar in objektiv völlig zufallsabhängigen Situationen. Nach Thompson (1999) tritt illusionäre Kontrolle besonders in Situationen auf, die der Betroffene als persönlich wichtig und vertraut empfindet und er auf Erfolg fokussiert ist:
Versuchspersonen verlangten beim Weiterverkauf von Lotterielosen mehr Geld bzw verkauften die Lose weniger bereitwillig, wenn sie das Los selbst gezogen hatten, als wenn es ihnen zugeteilt worden war (Presson & Berassi, 1996). Dies zeigt, dass Personen dazu neigen, objektiv unkontrollierbare Situationen – wie das Ziehen eines Loses - als kontrollierbar zu interpretieren. Oder sie hatten in einem Kartenspiel eine höhere Erfolgszuversicht, wenn sie gegen ihnen wenig attraktiv oder kompetent erscheinende Partner spielten (Langer, 1975).
b) Kontrollillusion und Aberglaube:
Viele Lottospieler setzen beim Tippen der Zahlen auf eine Vielzahl persönlicher Strategien -und das Gewerbe der Lottoberater, Buchautoren und Tippsysteme blüht. Die Anziehungskraft solcher Methoden ist zum großen Teil auf das Gefühl der Kontrolle, das sie vermitteln, zurück zu führen. Wenn reine Glücksspiele vom Spieler bestimmte Handlungen verlangen, verwischt sich bald die psychologische Grenze zwischen Zufall und Geschick und die Würfler und Lottospieler beginnen, an Magie oder eigene übernatürliche Fähigkeiten zu glauben. Bei einer Untersuchung zur Kontrollillusion fanden Ellen Langer und Jane Roth heraus, dass ein Missverstehen des Zufalls Menschen dazu bringen kann zu glauben, sie könnten den Zufall beeinflussen ( Langer, E.J., und Roth, J. 1975). Studenten der Yale-Universität mussten die Ergebnisse von 30 Münzwürfen in zwei Serien voraussagen. Beide Münzwurfserien erhielten
15 Gewinne und 15 Verluste betreffend der Vorhersagen, doch traten die Gewinne bei der einen Serie zu Beginn des Werfens auf, bei der anderen am Ende. Langer und Roth entdeckten, dass die Studenten, die bei den ersten Münzwürfen richtig getippt hatten, wesentlich stärker an ihre Voraussagen glaubten als die, die am Anfang weniger Erfolg hatten - obwohl beide Gruppen die gleiche Gesamtzahl von Erfolgen erzielten. Langer und Roth folgerten daraus, dass die Studenten ihre Fähigkeit zur Voraussage gleich zu Beginn des Werfens der Münze beurteilten und dann trotz Erfolglosigkeit am Ende des Versuchsdurchgangs an ihrer ursprünglichen Auffassung festhielten und möglicherweise glaubten, sie hätten übersinnliche Fähigkeiten.
Der allumfassende menschliche Wunsch nach Kontrolle ist eine wichtige Motivation für abergläubisches Verhalten, das ein Gefühl von Kontrolle über das Unkontrollierbare vermittelt. Weiterer Beleg dafür, dass illusionäre Kontrolle einen persönlichen psychologischen Wert besitzt, erbrachten mehrere Laborstudien, die zeigten, dass Spieler, wenn sie unter Stress standen, Spiele bevorzugten, die eine Illusion von Kontrolle vermittelten (Friedland, Keinan, Regev, 1992) . Wissenschaftler stellten Probanden vor die Wahl, Würfelergebnisse vor dem Würfeln vorherzusagen oder nach dem Würfeln zu erraten (die Ergebnisse war für die Probanden nicht ersichtlich). Die Probanden neigten dazu, die Ergebnisse erst im Nachhinein zu erraten. Als man sie jedoch unter Stress setze, indem man ihnen für jedes falsche Raten einen Elektroschock androhte, zogen die meisten es vor, das Ergebnis schon vor dem Würfeln vorherzusagen – eine Entscheidung, die wohl ein stärkeres Gefühl der Kontrolle vermittelte.
Dieses Ergebnis stützt die Auffassung, abergläubische Verhaltensweisen seien eine zweckmäßige Anpassung einer Kombination aus Stress und Mangel an objektiver Kontrolle. Wenn wir unter Druck stehen und uns nicht zu helfen wissen, kann das Gefühl von Kontrolle, das der Aberglaube vermittelt, eine positive Illusion darstellen. Die Forschungen zur Kontrollillusion führen zu einer allgemeinen Erkenntnis über uns Menschen: Wir müssen das Gefühl haben, Dinge und Geschehnisse in uns und um uns herum zu verstehen, vorherzusagen oder zu beeinflussen, das heißt, Kontrolle zu besitzen.
c) Das Streben nach Vorhersehbarkeit und Erklärbarkeit:
Menschen streben danach, bei der Attribution von Handlungsursachen eher den Persönlichkeitseigenschaften (Dispositionen) eines anderen als den Umständen zuzuschreiben („klassischer Attributionsfehler“). So stellten Jones und Harris (1967) fest, dass Zuhörer bei einer pro-Castro-Rede dem Redner gewisse Positionen zuschrieben, auch wenn sie wussten, dass ihm diese vorgegeben war und nicht seiner persönlichen Einstellung entsprachen. Sie erklärten dies so, dass dadurch das Verhalten der beobachteten Person über verschiedenen Situationen hinweg leichter vorhersehbar wird.
Ebenfalls auf den Einfluss der Kontrollmotivation ist zurückzuführen, dass man Unfall- oder Katastrophenopfern oft die Verantwortung für ihr Schicksal zuschreibt – je gravierender die Unfallfolgen, desto höher die Zuschreibung. Laut Walster (1966, Experiment Autoschaden) versuchten Beobachter dadurch, die Kognition potentieller Unkontrollierbarkeit (für sie selbst) solcher Ereignisse zu vermeiden . Bei zunehmender persönlicher Ähnlichkeit der Opfer mit dem Beobachter wird den Opfern (wohl aus Selbstwertschutzgründen) jedoch
immer weniger Verantwortung zugeschrieben („Defensiv-Attributions-Theorie“, Shaver 1970).
d) Interindividuelle Unterschiede in der Motivation nach Kontrolle:
Personen unterscheiden sich bezüglich ihres locus of control (Rotter, 1966). Diejenigen mit externaler Kontrollüberzeugung attribuieren eher external (auf fremde Personen, fremde Mächte, Ereignisse, Schicksal, Glück). Personen mit internaler Kontrollüberzeugung (Attributionen meist auf die eigene Person) reagieren auf Kontrolleinengung meist aggressiver. Beträchtlich scheinen auch die interkulturellen Unterscheide. Während im westlichen Kulturkreis externe Kontrolle als Resignation gilt, hält man sie in Asien für eine durchaus angemessene Reaktion.
Durch die Beziehungen zwischen den Kontrollüberzeugungen und der Anfälligkeit für Beeinflussung von außen könnte man durchaus folgern, ein abergläubischer Mensch sei jemand mit einer externalen Kontrollüberzeugung, jemand, der die Ereignisse in seinem Leben geheimnisvollen, nicht kontrollierbaren Kräften zuschreibt. Einen Beweis dafür liefert eine Studie von Tobacyk und Milford aus dem Jahre 1983 zur paranormalen Auffassung (Hexerei, abergläubische Vorstellungen, Hellsehen, Spiritismus) von Studenten der Lousiana Tech University. Die beiden Forscher ermittelten dabei die Kontrollüberzeugung der Studenten und entdeckten dabei, dass die Studenten, bei denen die Kontrollüberzeugung eher external war, stärker an übersinnliche Phänomene glaubten als die anderen Studenten.
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- Arbeit zitieren
- Alfred Seif (Autor:in), 2008, Die Theorie der kognizierten Kontrolle unter besonderer Beachtung bei Religionsgemeinschaften wie den Zeugen Jehovas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93322
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