Das rituelle islamische Gottgedenken (Dikr) als Prävention für Unterrichtsstörungen? Bedingungen und Beobachtung


Hausarbeit, 2020

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Bedingungsanalyse
2.1 Institutionelle Bedingungen
2.2 Anthropologische Bedingungen

3. Der Begriff „Unterrichtsstörung“

4. Das theoretische Vorhaben

5. Das praktische Vorhaben

6. Auswertung des Fragebogens zum Dikr

7. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Ich habe mich im Zuge meines Praxissemesters an einer Gesamtschule mit der Forschungsfrage „Inwieweit bietet das rituelle Gottgedenken (Dikr) zu Beginn einer Unterrichtsstunde eine geeignete Prävention für Unterrichtsstörungen?“ beschäftigt.

Es ist allgemein bekannt, dass Rituale im Schulunterricht, im Alltag, auf der Arbeit etc. für Struktur, Ordnung und einen Rhythmus sorgen. Besonders Kinder und Jugendliche sind im schulischen Kontext auf klare Grenzen, Ordnung und einen strukturierten Unterricht angewiesen. Jeder Lehrende wird täglich mit Herausforderungen im Berufsleben konfrontiert. Häufig stehen Lehrer vor der Frage, wie sie mit Unterrichtsstörungen am besten umgehen sollten. Auch in den Bildungswissenschaften und der Pädagogik ist das Thema Unterrichtsstörungen von großer Bedeutung. Es gibt in der Wissenschaft viele Ansätze, die vorgeben, wie man mit Schülerinnen und Schülern1 am besten umgehen sollte, um Unterrichtsstörungen auf ein Geringes zu dezimieren. Nicht immer finden die Ansätze aus der Theorie in der Praxis den gewünschten Anklang. Deshalb habe ich mir überlegt, wie man fachspezifisch das Thema Unterrichtsstörungen am besten bearbeiten kann.

In der islamischen Religionslehre ist es sehr wichtig, den SuS ein einleitendes Verständnis der Religion zu vermitteln und sie dahingehend in ihrer Religion zu bilden, dass sie autonome Individuen werden, die Verantwortung für ihren Glauben übernehmen können. Um diesem Ziel gerecht zu werden, ist es unabdingbar, den Unterricht so zu gestalten, dass Respekt und Erkenntnisinteresse von allen Beteiligten als wichtige Güter anerkannt werden. Deshalb habe ich die Absicht gefasst, zu erforschen, inwieweit mithilfe von religiösen Praktiken der Respekt, das Erkenntnisinteresse und weitere Tugenden ihren Platz im islamischen Religionsunterricht finden.

Ich bin mir sicher, dass die Erforschung der Frage einen nachhaltigen Mehrwert für mich in meinem Professionalisierungsprozess haben wird, da ich, genau wie alle anderen Lehrenden auch, mit Herausforderungen konfrontiert werde und einen Weg finden muss, diesen Herausforderungen erfolgreich entgegenzustehen.

Des Weiteren habe ich die Erfahrung gemacht, dass besonders der islamische Religionsunterricht bei den jüngeren SuS für viel Unruhe sorgt. Diese Unruhe hat häufig ihren Ursprung darin, dass die SuS ihr Vorwissen unaufgefordert mit der Klassengemeinschaft teilen möchten, dass es Meinungsverschiedenheiten gibt, die Basis für Diskussionen bietet u.v.m. Diese Gegebenheiten gilt es zu berücksichtigen. Sie beinhalten großes Konfliktpotenzial, welches es zu zügeln gilt. So ergibt sich die Frage, ob Unterrichtsstörungen im islamischen Religionsunterricht vorgebeugt werden können, wenn sich alle SuS am Anfang des Unterrichts durch religiöse Praktiken besinnen und symbolisch eine Klassengemeinschaft und eine muslimische Einheit, trotz Meinungsunterschiede, bilden.

2. Bedingungsanalyse

2.1 Institutionelle Bedingungen

An der Gesamtschule durfte ich viele Unterrichtseinheiten beobachten und auch selbst gestalten. Ich habe viele verschiedene Lehrerpersönlichkeiten kennenlernen dürfen und auch fachfremden Unterricht besucht. Auffällig war, dass zwei Siebener Klassen im islamischen Religionsunterricht bei zwei unterschiedlichen Lehrpersonen besonders unruhig waren.

Die Klasse 7.1 stellt die Experimentalgruppe meiner Forschung dar. Bei dieser Klasse wurde hinsichtlich meiner Forschungsfrage aktiv geforscht. Die Klasse 7.2, die eine ähnliche Gruppendynamik aufweist, stellt in meiner Forschung die Kontrollgruppe dar, in der lediglich beobachtet wurde und in der kein Dikr durchgeführt wurde.

Um meiner Forschungsfrage gerecht zu werden, bedarf es eine Experimental- und einer Kontrollgruppe mit möglichst ähnlichen Voraussetzungen. Da beide Siebener Klassen ähnlich ausgebildete Lehrer haben (Zusatzkurse in islamischer Religionslehre -Keinen akademischen Werdegang im Fach IRU-) und in genau gleich gut ausgestatteten Klassenräumen unterrichtet werden (Die Gesamtschule hat vor wenigen Monaten die gesamte Schule durch elektronische Medien und Renovierungsarbeiten aufgerüstet), sind die institutionellen Voraussetzungen der beiden Klassen sehr ähnlich. Das Fach IRU gibt es an dieser Schule erst seit zwei Jahren. Das bedeutet, dass dieses Fach für die SuS und für die Lehrkräfte erst neu entdeckt werden muss.

Beide Klassen verfügen über kein islamisches Schulbuch. Die Unterrichtsmaterialien bestehen ausschließlich aus Dokumenten, die die Lehrkräfte selbst zusammengestellt haben. Die Klasse 7.1 setzt sich zusammen aus 12 Mädchen und 16 Jungen. Die Klasse 7.2 setzt sich zusammen aus 13 Mädchen und 13 Jungen.

2.2 Anthropologische Bedingungen

Der Großteil der SuS sind mit dem islamischen Glauben vertraut und dementsprechend erzogen worden. Das allgemeine Vorwissen der SuS ist sehr groß. Trotz des großen Vorwissens, lässt das Arbeits- und Sozialverhalten in beiden Siebener Klassen zu wünschen übrig. Die Motivation der SuS bei der Bearbeitung von schriftlichen Aufgaben ist sehr niedrig. Bei Aufgaben, die in Form von Klassengesprächen bearbeitet werden sollen, ist die Motivation mitzuarbeiten umso höher.

Ein sehr großer Teil der SuS besteht aus Kriegsflüchtlingen. Viele dieser Kinder beherrschen die Deutsche Sprache verständlich bis gut und einige Kinder sprechen die Deutsche Sprache schlecht bis verständlich. Die übrigen SuS setzen sich aus Deutschen mit Migrationshintergrund (häufig Gastarbeiter-Enkel) und Nachkommen ehemaliger Flüchtlinge zusammen. In dieser zweiten Gruppe sind die Deutschkenntnisse wesentlich besser ausgeprägt.

Es gibt nur ganz wenige Fälle von SuS, die nicht dem sunnitischen Islām zugehörig sind. Durch verschiedene Aussagen der SuS konnte ich feststellen, dass die SuS unterschiedlichen Rechtsschulen (maḏhab) folgen.

Viele der SuS beider Klassen besuchen oder besuchten regelmäßig außerschulische islamische Bildungsstätten. In beiden Klassen gibt es jeweils zwei Kinder mit besonderer Lernschwäche bzw. es handelt sich um ESE-Kinder (mit Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung).

3. Der Begriff „Unterrichtsstörung“

Der Begriff „Unterrichtsstörung“ ist vielfältig konnotiert. Deshalb muss der Begriff „Unterrichtsstörung“ erst einmal definiert werden. Dass SuS immer wieder in Gespräche verwickelt werden, die nichts mit dem Unterrichtsinhalt zu tun haben, ist sicher. Das rituelle Gottgedenken am Anfang der Unterrichtsstunde sollte im Idealfall - durch eine bessere Atmosphäre - nennenswerte Unterrichtsstörungen präventiv bekämpfen.

Was für den einen Lehrer eine Unterrichtsstörung ist, ist für den anderen wiederum keine Störung. Somit ist das Störungsempfinden von jeder Lehrperson anders.2 Dies lässt sich auch in der Literatur wiederfinden, da „Unterrichtsstörung“ von jedem Autor anders verstanden und aufgegriffen wird. Claßen & Nießen definieren Unterrichtsstörungen wie folgt:

„Unterrichtsstörungen im Sinne des Prozesses sind nachhaltige Unterbrechungen der Beziehung zwischen Klasse und Stoff [...] Unterrichtsstörung [liegt] dann vor, wenn der Fluss zwischen Unterrichtsstoff und Schüler nachhaltig beeinträchtigt oder unterbrochen wird.“3

Rainer Winkel beschreibt die nennenswerte Beeinträchtigung des Unterrichts wie folgt: „Eine Unterrichtsstörung liegt dann und nur dann vor, wenn der Lehr- und Lernprozess bedroht ist, abbricht oder in der Perversion endet.“4

Laut seiner Definition tritt dieser Fall dann ein, wenn eine Unterbrechung des Lehrens und Lernens vorhanden ist. Dabei gibt es keinerlei Informationen über den Verursacher dieser Störung. Er vertritt auch die Ansicht, dass Lehrer sehr unterschiedlich auf „Unterrichtsstörungen“ reagieren. Was die eine Lehrkraft als störend empfindet, kann eine andere wiederum als „normal“ wahrnehmen. Somit ist die Definition von Unterrichtsstörungen individuell.5

Auch Nolting ist der Ansicht, dass der Unterricht durch Unterrichtsstörungen unterbrochen wird. Aber im Gegensatz zu Winkel, der keine Auskunft über den Verursacher gibt, sieht Nolting die Ursache im Schülerverhalten. Zudem äußert er, dass die SuS die diese Unterbrechung verursachen nicht ohne weiteres davonkommen bzw. dass es Folgen für sie haben kann. Ferner ist Nolting genauso wie Winkel der Meinung, dass die Wahrnehmung subjektiv ist.6

Lohmann versucht den Begriff „Unterrichtsstörungen“ etwas eindeutiger zu definieren und meint:

,,Unterrichtsstörungen sind Ereignisse, die den Lehr-Lern-Prozess beeinträchtigen, unterbrechen oder unmöglich machen, indem sie die Voraussetzungen, unter denen Lehren und Lernen erst stattfinden kann, teilweise oder ganz außer Kraft setzen. Zu den Voraussetzungen zählen äußere und innere, das Lernen ermöglichende Bedingungen, wie z.B. physische und psychische Sicher- heit, Ruhe, Aufmerksamkeit, Konzentration. Die Störungen können von Schülern und Lehrern verursacht oder von außen hereingetragen werden, z.B. laute Zwischenrufe, verbale oder physi- sche Attacken, Herumlaufen von Schülern; Hektik, Herumbrüllen oder Sarkasmus von Lehrern; Durchsagen, Baustellenlärm, Tiefflieger, plötzlicher Schneefall usw."7

Nach Lohmann beeinträchtigen Unterrichtsstörungen den Lehr-Lern-Prozess und im Unterschied zu den anderen Autoren sieht er die Ursache in verschiedenen Aspekten. Er geht davon aus, dass diese Störungen sowohl von SuS als auch von Lehrpersonen und von äußeren Bedingungen hervorgerufen werden können. Zudem spricht er noch Voraussetzungen an, die für das Lehren sowie auch Lernen vorhanden sein müssen. Somit wird deutlich, dass die Definition des Begriffs nicht leicht ist bzw. keine eindeutige Definition existiert und die aufgezählten Autoren verschiedene Meinungen dazu vertreten.

Unterrichtsstörungen so differenziert zu notieren, würde den Rahmen meiner Beobachtungsbögen sprengen. Deshalb habe ich für meine Forschung eine eigene, vereinfachte Definition von Unterrichtsstörungen festgelegt, die sich aber von den oben genannten Autoren hat inspirieren lassen. Ich habe Unterrichtsstörungen in drei Kategorien unterteilt. Meine genaue Definition von Unterrichtsstörungen folgt im nächsten Kapitel.

4. Das theoretische Vorhaben

Meine Forschung sollte damit beginnen, mithilfe eines Beobachtungsbogens (Beobachtungsbogen I s.A.8 ) zu erkennen, wie häufig und wie stark Unterrichtsstörungen in den beiden Siebener Klassen vorkommen.

Der Beobachtungsbogen I erstreckt sich über fünf Einzelstunden in den Klassen 7.1 und 7.2. Damit soll aufgezeigt werden, dass die Klassengemeinschaften sich nicht nur im Rahmen der Bedingungsanalyse ähneln, sondern auch in der Häufigkeit und in der Qualität der Unterrichtsstörungen. Die Ergebnisse dessen, zeigen mir auf, dass diese beiden Klassen, im Vergleich zu anderen Klassengemeinschaften, besonders unruhig sind.

Der Beobachtungsbogen zeigt über fünf Einzelstunden hinweg auf, wie oft und wie stark in den beiden Klassen der Unterricht behindert wurde. Leichte Störungen sind jene, bei denen zwei bis drei SuS einen Dialog im Unterricht führen, der nicht zum Unterricht gehört, aber auch keine weiteren Mitschüler abzulenken scheint. Mittlere Störungen bezeichnen das Stören von SuS, welches so schwerwiegend ist, dass der Lehrer ermahnen muss, z.B. stört der Schüler den ganzen Gruppentisch oder die gesamte Klasse mit einem lautstarken Kommentar. Unbeteiligte SuS werden bei diesem Störungsgrad abgelenkt. Schwere Störungen zeichnen sich dadurch aus, dass der Unterrichtsfluss dermaßen unterbrochen wird, dass SuS entweder Zusatzaufgaben bekommen oder aus dem Raum gebeten werden.

Nach dem Einführen des Rituals soll dann überprüft werden, ob die Quantität und Qualität der Unterrichtsstörungen signifikant abgenommen haben oder nicht.

Nachdem die beiden Siebener Klassen jeweils fünf Stunden in Hinsicht von Unterrichtsstörungen beobachtet werden, soll in der Klasse 7.1 Dikr in der Theorie vorgestellt werden. Es soll transparent dargestellt werden, wofür Dikr genutzt wird und die spirituelle Ebene des Islāms soll in praktischer Erfahrung vermittelt werden. Die Durchführung des Dikr soll sich über zehn Unterrichtsstunden der Klasse 7.1 erstrecken. Dabei werden die beiden Siebener Klassen mithilfe eines zweiten Beobachtungsbogens, mit Blick auf Unterrichtsstörungen, beobachtet (Beobachtungsbogen II s.A.). Die Unterrichtsstörungen der Klasse 7.1 werden dabei nicht nur während der fünf Minuten am Anfang gezählt, sondern wie auch bei der Klasse 7.2 über die ganze Unterrichtsstunde. Am Ende soll ausgewertet werden, ob mit Einführung des Dikr, innerhalb der zehn Unterrichtsstunden, die Unterrichtsstörungen in ihrer Qualität und Quantität signifikant sinken. Im gleichen Zeitraum wird die Kontrollgruppe in ihrem Verhalten auch beobachtet, obwohl dort kein rituelles Gottgedenken eingeführt wird. Sie werden den regulären Unterricht erhalten, ohne dass das Gottgedenken als Ritual eingeführt wird.

Die Zehn Stunden mit Dikr in der Klasse 7.1 sollen wie folgt aufgeteilt werden:

1. Stunde à Theoretische Einführung in Dikr.

2.-7. Stunde à Dikr nur mithilfe einer Gebetskette (Dauer 5 Minuten zum Unterrichtsbeginn).

8-10. Stunde à Dikr mithilfe einer Gebetskette und das laute Verlesen beliebiger Suren.

Anschließend soll ein Fragebogen zum Dikr ausgefüllt werden, um die Selbstwahrnehmung der SuS festzustellen und um zu erkennen, ob das Interesse besteht, dieses Ritual fortzuführen und ob ein Mehrwert innerhalb der Schülerschaft erkannt wurde.

5. Das praktische Vorhaben

Da die Klasse 7.1 an manchen Tagen bis zu 15x mittlere und 4x schwere Unterrichtsstörungen verursacht hat und das bei der Klasse 7.2 sehr ähnlich aussieht, haben sich die beiden Klassen gut geeignet, um meiner Forschungsfrage nachzukommen. Das bedeutet, dass in den beiden Klassen im islamischen Religionsunterricht massive Unterrichtsstörungen zu verzeichnen sind, bevor das rituelle Gottgedenken eingeführt wurde.

Die erste Unterrichtsstunde für den Beobachtungsbogen II behandelte das Thema Dikr. Ich habe eine einleitende Unterrichtsstunde zum Thema Dikr gehalten. Zunächst habe ich erfragt, ob es SuS gibt, die diesen Begriff kennen und erklären können. Es haben sich vereinzelt SuS gemeldet. Ihre Lösungsansätze habe ich an der Tafel festgehalten. Sie haben gesagt, dass man mit einem sogenannten „Tasbīḥ“ Gebetskette Dikr macht. Es zeichnet sich dadurch aus, dass man bestimme Worte wie z.B. Subḥān-Allāh (Gepriesen sei Allāh); Al-ḥamdulillāh (Lob gebührt Allāh) oder Allāhu Akbar (Allāh ist der Größte) mehrmals wiederholt.

Die oben genannten Begriffe, die für das Dikr machen genutzt werden, habe ich gemeinsam mit den SuS übersetzt und erläutert. In dieser einführenden Unterrichtsstunde habe ich den SuS deutlich gemacht, dass der Islām nicht nur aus rationalen Entscheidungen besteht bzw. dass es nicht nur darum geht, was Ḥarām und was Ḥalāl ist, sondern vielmehr darum, Allāh nahe zu sein, indem wir ihm gedenken. Und das nennt man Gottgedenken bzw. Dikr.

Daraufhin sagte ich, dass wir uns in den kommenden Unterrichtsstunden jeweils die ersten fünf Minuten des Unterrichts Zeit nehmen werden, um Allāh zu gedenken. Ich habe ihnen auch mitgeteilt, inwiefern das Dikr machen im Koran verortet ist. Dazu habe ich folgende Koranstellen herausgesucht und kindgerecht wiedergegeben.

„Die, welche glauben und deren Herzen in Frieden sind im Gedenken an Allah. Sollten auch nicht im Gedenken an Allah die Herzen in Frieden sein? Diejenigen, welche glauben und das Rechte tun, Heil erwartet sie und eine schöne Heimstatt.“9 [13:28-29]

„Verlies, was dir von dem Buche geoffenbart ward, und verrichte das Gebet. Siehe, das Gebet hütet vor Schandbarem und Verbotenem. Und wahrlich, das Gedenken an Allah ist die höchste Pflicht; und Allah weiß, was ihr tut.“10 [29:45]

Damit soll verdeutlicht werden, dass Dikr ein wesentlicher Bestandteil des Islām ist, welcher leider allzu häufig im Alltag außer Acht gelassen wird.

Die folgenden neun Unterrichtsstunden der Klasse 7.1 wurden im Beobachtungsbogen II nach dem gleichen Prinzip wie Beobachtungsbogen I bearbeitet. Beim Vergleich der beiden Beobachtungsbögen fällt auf, dass die Klasse 7.1 wesentlich weniger Störungen zu verzeichnen hat als noch vor der Einführung des Dikr. Wobei die Kontrollgruppe 7.2 ohne Einführung des Dikr teilweise sogar noch häufigere und stärkere Unterrichtsstörungen zu verzeichnet hat.

Meine subjektive Wahrnehmung wird durch diese Beobachtungen bestätigt, denn ich hatte das Gefühl, dass die SuS der Klasse 7.1 eine angenehmere Atmosphäre nach der Einführung des Dikr hergestellt hat, als die Kontrollgruppe. Besonders auffällig war dies in den letzten drei Stunden der Beobachtung, in der zum einfachen Dikr mit Tasbīḥ noch das laute Verlesen beliebiger Koransuren hinzukam.

In diesen Stunden herrschte in der Klasse 7.1 eine durchaus angenehme Atmosphäre. Meine Beobachtungen zeigten, dass die meisten SuS während des Gottgedenken mit dem Tasbīḥ – mit oder ohne Verlesen des Qur'ān – konzentriert Dikr praktiziert haben. Vereinzelt kam es auch zu Gesprächen zwischen einigen SuS, obwohl ich angeordnet habe, dass sich jeder auf sich selbst konzentrieren soll. Nach dem gemeinsamen Gottgedenken habe ich diese Störungen angesprochen und ich bin gemeinsam mit der Klasse zum Entschluss gekommen, dass das Reden während des Dikr völlig unangebracht ist und die meisten SuS konnten das nachvollziehen und haben den Akt des Gottgedenkens nicht ein weiteres Mal behindert.

Der Akt des Gottgedenkens sah wie folgt aus. Die SuS sollten von zu Hause einen Tasbīḥ mitbringen. Dann sollten sie fünf Minuten stillschweigend beliebige Lobpreisungen an Allāh mithilfe des Tasbīḥs aufsagen. Der Aufbau des Tasbīḥs (33 Perlen, die jeweils durch eine größere Perle getrennt sind) wurde zuvor von mir erklärt. Die SuS, die keinen Tasbīḥ mit zur Schule mitgebracht haben, wie von mir beauftragt, haben von der IRU-Lehrerin und von mir Tasbīḥs gestellt bekommen. Sie haben dann fünf Minuten stillschweigend Dikr gemacht. In den letzten Stunden meines Projektes durften die SuS beliebige Suren nennen, die ich dann am Computer laut abgespielt habe.

Wie die SuS selbst das Gottgedenken und die Atmosphäre nach der Einführung des Dikr wahrgenommen haben, habe ich mithilfe eines abschließenden Fragebogens in der letzten Unterrichtsstunde meines Praxissemesters erfragt. Im Folgenden Kapitel möchte ich diesen Fragebogen auswerten, um zu erkennen, ob die SuS das ganze Projekt als sinnvoll betrachten und ob sie einen Mehrwert aus dem Projekt ziehen konnten.

6. Auswertung des Fragebogens zum Dikr

In der letzten Stunde meiner Beobachtungen habe ich den SuS der Klasse 7.1 einen Fragebogen (s.A.) ausfüllen lassen. Die ersten Drei Fragen wurden gestellt, um herauszufinden, wieviel Vorwissen und Vorerfahrungen die SuS mit dem Thema Dikr haben. Dies ist wichtig zu wissen, um zu erkennen, ob der Akt des rituellen Gottgedenkens ein befremdlicher Akt für die SuS ist oder nicht. Mit dem Wissen kann man den Unterricht weiter gestalten.

Die darauffolgenden Fragen beziehen sich darauf, was die SuS während des Dikr gedacht und gefühlt haben. Gedanken und Gefühle der SuS im Blick zu behalten ist sehr wichtig, um eine Beziehung zu den SuS herzustellen und um das Befinden der SuS kontrolliert abzuwägen.

Auch war es für mich interessant zu wissen, was die SuS vom Gottgedenken abgelenkt hat. Da die Klasse an sich schon sehr unruhig ist, wollte ich wissen, ob die SuS sich selbst vom rituellen Gottgedenken abgelenkt haben oder sich von Mitschülern ablenken ließen.

Die achte Frage beschäftigt sich damit, welches Gottgedenken effektiver war - das Gottgedenken mit oder ohne Verlesen des Qur'ān. Mit dem Wissen kann man das Einstiegsritual Dikr verbessern und den Bedürfnissen der SuS anpassen.

Und die letzte Frage, die ich gestellt habe, war, ob sie Dikr auch außerhalb der Schule alleine für sich zu Hause in ihrem Zimmer machen würden. Ist dies gegeben, habe ich ein Tiefenverständnis bei den SuS herstellen können und nachhaltig eine religiöse Praxis in die Lebenswelt der SuS transportiert.

Der Fragebogen besteht größtenteils aus geschlossenen Fragen mit Auswahlhilfen, weil viele SuS der deutschen Sprache nur teilweise mächtig sind. Es gibt im Fragebogen jedoch auch Fragen, die frei zu beantworten sind. Ich werde im Folgenden den Fragebogen auswerten.

Die allermeisten SuS wussten schon vorher, was Dikr ist, wie man sich dabei verhält und die meisten wussten auch was ein Tasbīḥ ist. Bis auf zwei SuS waren alle der Meinung, dass der Unterricht mehr Spaß macht, wenn man zuvor die fünf Minuten zu Beginn des Unterrichts mit Dikr verbringt.

Auf die Frage, woran sie beim Gottgedenken am meisten gedacht haben, haben die meisten „an Allāh“ geantwortet. Die Frage mag auf den ersten Blick überflüssig klingen, jedoch wollte ich herausfinden, ob die Gedanken nicht vielleicht abschweift sind.

Anhand einiger Antworten konnte ich ablesen, dass SuS während des Gottgedenkens ein Bewusstsein für Allāh entwickelt haben. Das wird deutlich an Aussagen wie z.B. „Ich denke, dass Allāh bei mir ist und mich schützt“ „Ich habe gedacht, was ich mache, wenn ich vor Allāh stehe“ „Gott ist lieb. Er sieht uns. 2 Engel schreiben alles auf“

Diese Aussagen zeigen auf, dass den SuS bewusst wurde, dass Allāh eine Allmacht hat, dass Er sie sieht und für sie da ist. Die SuS haben in ihren eigenen Worten erklärt, was Ihsān ist. Sie spüren die Nähe Allāhs und dienen ihm, ohne ihn zu sehen. Dieses Verständnis von Ihsān in so einem jungen alter finde ich beachtlich. Weitere Antworten waren, dass sie an ihre Guten und Schlechten Taten gedacht haben und an yaum al-qiyāma (Tag der Auferstehung).

Auf die Frage, wie die Gefühlslage während des Gottgedenkens war, antworteten die meisten mit einem Wohlseins Gefühl. Die SuS schreiben auch, dass sie sich entspannen konnten und keine Angst verspürt hatten.

Eine große Kritik der SuS war es, dass es von zwei Gruppentischen voller Jungs phasenweise starke Ablenkungen gegeben hat. Daraus schließe ich u.a., dass sich die Konstellation von Gruppentischen schlicht und ergreifend nicht eignet, wenn spirituelle Aufgaben im Unterricht behandelt werden sollen.

[...]


1 Im Folgenden wird Schülerinnen und Schüler mit „SuS“ abgekürzt.

2 Vgl. Brüdel H., Simon E., Die Trainingsraum-Methode, S. 13f.

3 Claßen A., Nießen K., Das Trainigsraum-Programm, S. 8.

4 Winkel R., Der gestörte Unterricht, S. 31.

5 Vgl. Ebd., S. 21.

6 Vgl. Nolting H., Störungen in der Schulklasse, S. 13.

7 Lohmann G., Mit Schülern klarkommen, S. 13

8 Alle Lücken in den Spalten der Beobachtungsbögen weisen darauf hin, dass an diesem Tag der islamische Religionsunterricht ausgefallen ist.

9 Henning M., Der Gnadenreiche Koran, S. 251.

10 Ebd., S. 400.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Das rituelle islamische Gottgedenken (Dikr) als Prävention für Unterrichtsstörungen? Bedingungen und Beobachtung
Hochschule
Universität Münster  (ZIT)
Veranstaltung
Praxisbezogene Studien in Islamische Religionslehre mit Prüfungsleistung
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
16
Katalognummer
V934529
ISBN (eBook)
9783346255211
ISBN (Buch)
9783346255228
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Forschungsarbeit, Religion, Religionspädagogik, Spiritualität, spirituell, Schule, Schüler, Unterrichtsstörung, Religionsunterricht
Arbeit zitieren
Deniz Mikail Barut (Autor:in), 2020, Das rituelle islamische Gottgedenken (Dikr) als Prävention für Unterrichtsstörungen? Bedingungen und Beobachtung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/934529

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