Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Politischer Hintergrund der Reeducation
2.1 Definition und Ursprung
2.2 Beginn der Planung
2.3 Das Reeducation-Programm
3. Filmpolitik
3.1 Zielsetzung
3.2 Umsetzung der Filmpolitik
4. Der Film im Wandel der Besatzungsphase
4.1 Punitive Phase
4.1.1 Atrocity films
4.1.2 Dokumentarfilm
4.2 Reorientation-Phase
4.2.1 Marshallplan-Filme
4.2.2. Spielfilme
5. Der Film als Mittel der Reeducation und Reorientation
5.1 Ziele versus Interessen
5.2 Wirkung
6. Fazit
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Nach dem Ende des Weltkrieges sowie der nationalsozialistischen Herrschaft war das erklärte Ziel der Besatzungspolitik der alliierten Siegermächte die Demilitarisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung, Demontage sowie die Demokratisierung Deutschlands. Um letztere zu erreichen, wurde seitens der Alliierten ein maßnahmenreiches Umerziehungsprogramm, auch Reeducation-Programm genannt, entwickelt, welches zur Veränderung der Kultur, insbesondere in Bezug auf Schulen und Medien beitragen sollte. Schon vor und während des Zweiten Weltkrieges hatten die Alliierten die Reichweite und damit Wirkungsbreite des Mediums Film erkannt und sahen darin somit auch ein wirkungsvolles Mittel für die erfolgreiche Umsetzung der Umerziehung einer ganzen Gesellschaft. Forschungsarbeiten von zweifeln die Umerziehungswirkung der Reeducation-FUme jedoch stark an und nennen als Grund dafür unter anderem die politischen Umstände der Nachkriegszeit und den damit einhergehenden Wandel des Charakters der Besatzungsphase. Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, welche Funktion das Medium Film innerhalb des Reeducation-Programms einnahm. Dabei soll die These untersucht werden, dass der Film nach dem Zweiten Weltkrieg im Reeducation-Programm und der damit angestrebten Demokratisierung der Deutschen keine tragende Funktion einnahm, sondern vielmehr als Mittel der Unterhaltung statt der Umerziehung betrachtet wurde. Dafür sollen zunächst der politische Hintergrund des Reeducation-Programms beleuchtet und die Ziele der Filmpolitik sowie deren Umsetzung nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtet werden. Der Fokus liegt hier auf den USA als Besatzungsmacht. Anschließend folgt die Untersuchung des Wandels der Besatzungsphasen von der punitiven zur Reorientations-Phase anhand von vier verschiedenen Filmgenre. Atrocityfilms und Dokumentarfilme werden dafür exemplarisch für die erste und Marshallplan-Filme und Spielfilme für die zweite Phase beleuchtet. Da Genre-Überschneidungen innerhalb der Phasen und Filme auftreten können, wurde jeweils ein Beispielfilm ausgewählt, welcher die Charakteristika der Phasen herausstellen und unterstreichen sollen. Dem folgt eine Gegenüberstellung der der Filmpolitik zugrundeliegenden Ziele und Interessen. Danach soll letztlich die Wirkung der Reeducation-Filme beleuchtet werden. Abschließend wird die der Arbeit zugrundeliegende Fragestellung beantwortet und auf die These eingegangen.
2. Politischer Hintergrund der Reeducation
Mit der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Der deutsche Staat existierte nicht länger. Stattdessen lag die Souveränität nun in den Händen der vier Siegermächte. Ein Kontrollrat der Alliierten wurde gebildet, der künftig die Regierung in dem in vier Besatzungszonen unterteilten und besiegten Deutschland aufnehmen sollte. Jede Besatzungsmacht verwaltete ihre eigene Zone. In dem am 2. August 1945 beschlossenen Potsdamer Abkommen wurden die gemeinsamen Ziele für die Zukunft Deutschlands festgehalten. Von besonderer Bedeutung waren hierbei zunächst die Entmilitarisierung und die Entnazifizierung, unter anderem durch Verurteilung der Kriegsverbrecher und der Entfernung aller nationalsozialistisch gesinnten Personen aus öffentlichen Ämtern. Ein weiteres Ziel, auf das sich gemeinsam geeinigt wurde, war die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft. Das nazistische und militaristische Gedankengut sollte aus der Gesellschaft entfernt werden, damit demokratische Werte Wurzeln schlagen konnte. Die westlichen Besatzer gingen davon aus, dass der Charakter der Deutschen, oft als aggressiv und barbarisch bezeichnet, mit Schuld daran habe, dass die nationalsozialistische Herrschaft unterstützt und geduldet worden war. An diesem Punkt sollte die Reeducation ansetzen.1 Zunächst soll der Begriffder Reeducation, später auch Reorientation beleuchtet werden.
2.1 Definition und Ursprung
Wenn von (Political) Reeducation, Reorientation oder auch der Reconstruction gesprochen wurde, war damit der angestrebte Prozess der Demokratisierung gemeint. Seinen Ursprung fand der Begriff zunächst in der Psychiatrie und Psychotherapie, teilweise auch in der Erziehungswissenschaft sowie der Sonderpädagogik. In einer offiziellen Rede wurde er Ende 1942 vom damaligen Vizepräsident Henry Wallace zum ersten Mal verwendet.2 3 Reeducation entwickelte sich zu einem Sammelbegriff der amerikanischen Kultur- und Bildungspolitik.^ breiter der Begriff Verwendung fand, desto mehr verlor er an Tiefe. Teilweise verlor er auch an Bedeutung und wurde oft dann verwendet, wenn davon gesprochen wurde, eine Person zu einer anderen Ideologie zu bekehren.4 Im Falle Deutschlands sollte die Gesellschaft zur Demokratie bekehrt werden. Doch wie genau sah eine Umerziehung einer gesamten Nation aus?
2.2 Beginn der Planung
Dass es so bald nach dem verheerenden ersten Weltkrieg zu einem zweiten Weltkrieg kommen würde, damit hatte vermutlich niemand gerechnet. So stellten sich die Siegermächte des Ersten Weltkrieges die Frage, was dieses Mal in der Nachkriegszeit verändert werden musste, damit es nicht zum Ausbruch eines Dritten Weltkrieges kommt. So stand für die britische Kontrollkommission fest, dass man das Hauptaugenmerk nicht nur auf die militärische Sicherung Deutschlands legen dürfe, sondern ebenfalls eine Umerziehung der Deutschen in das Sicherheitskonzept nach dem Krieg miteinbeziehen müsse. Auch die Amerikaner vertraten die Ansicht einer notwendigen Umerziehung der Deutschen. So wurden schon während des Krieges entsprechende Maßnahmen geplant.5 Die Amerikaner verstanden sich dabei als Hauptträger der Reeducation. Wird der betriebene Aufwand, der Einsatz von Menschen und anderen Mitteln im Nachhinein betrachtet, scheinen sie zunächst auch über die größten Chancen zur Umsetzung der Umerziehungspolitikverfügt zu haben. Dabei wurden sie von einem Erziehungsoptimismus geleitet, der darauf beruhte, dass der Mensch grundsätzlich gut sei. War er vom guten Weg abgekommen, so sei er dennoch so weit formbar, dass er wieder gut werden könne.6 Schon während der Amtszeit von Franklin D. Roosevelt kam es zu ersten Überlegungen der Reeducation und Demokratisierung Deutschlands. Daran waren beispielsweise das State Department und das War Department beteiligt. Unter Roosevelt Nachfolger Präsident Truman beteiligten sich weitere Ministerien und auch private Organisationen und Gruppierungen an den Vorbereitungen. Die geplante Durchführung wurde umfassend diskutiert. Einigkeit herrschte darüber, dass die Deutschen selbst am Prozess der Reeducation beteiligt sein sollten und dass ein demokratisches Deutschland nur durch Umerziehung erreicht werden könne. Außerdem war die Mehrheit der an der Debatte beteiligten Personen davon überzeugt, dass die Umerziehung einer ganzen Nation möglich sei. Die Herausforderung wurde eher in der Umsetzung der Reeöucat/on-Politik gesehen.7 Nachfolgend soll ein Überblick über das der Reeducation zugrundeliegende Programm gegeben werden.
2.3 Das Reeducat/on-Programm
Das Potsdamer Abkommen und das Reeducation-Programm befassten sich allgemein mit der Politik der Nachkriegszeit und der Kultur.8 Um möglichst große Auswirkungen zu haben, wurden diese Maßnahmen für breite Bereiche geplant. Diese umfassten die Erziehung mit all ihren Institutionen, die Presse, die Literatur, den Rundfunk aber auch den Bereich des Theaters und des Films. Letztere Umerziehungsmaßnahmen wurden meist unter dem Begriff der Kontrolle und Wiederaufbau der Jnformation Series' zusammengefasst.
Es gab kein einheitliches Konzept der Reeducation unter den Besatzungsmächten, da nicht der Alliierte Kontrollrat für dessen Umsetzung zuständig war, sondern stattdessen die Militärgouverneure der jeweiligen Besatzungszonen. Am ehesten kann noch die Demokratisierung des Bildungswesens als Gemeinsamkeit genannt werden. Nicht nur die Regierung sollte demokratisiert werden, sondern auch das Verhalten der deutschen Gesellschaft. Dies beinhaltete die Voraussetzung, dass sowohl Institutionen demokratisiert wurden als auch der geistige Prozess gefördert wurde. Ebenso wurde durch das Programm angestrebt, eine weitere Machtübernahme Deutschlands, die zu einem erneuten Krieg führen könnte, zu verhindern. Unter Reeducation wurden alle Maßnahmen verstanden, deren Ziel es war, sowohl auf der Gefühlsebene als auch auf der Ebene des Verstandes der deutschen Gesellschaft die Leitgedanken, Prinzipien und Haltungen eines Miteinanders im Rahmen der Demokratie näher zu bringen.9 So sollten „universell gültige“ Rechtsprinzipien vermittelt und anerzogen werden. Dazu zählen die Achtung der Menschenwürde, Bürgerrechte und -pflichten bezogen auf die Beteiligung der Ausübung der Regierungsgewalt, Meinungs- und Informationsfreiheit und kulturelle und ethnische Toleranz.10 Im Verlaufe der Besatzungszeit kam es zu einem durch verschiedene Umstände hervorgerufenen Wandel des Besatzungscharakters, unteranderem bedingt durch den 1946/47 beginnenden Kalten Krieg. Auch wurde vermehrt der Begriff Reeducation durch Reorientation ersetzt.11 Da der Fokus dieser Arbeit auf dem Medium Film innerhalb des Reeducation-Programms liegt, soll anschließend die Filmpolitik näher beleuchtet werden.
3. Filmpolitik
Das Kino hatte spätestens seit der Entwicklung des Tonfilms einen starken Anziehungscharakter. So scheint es nicht verwunderlich, dass Filme vor und während des Zweiten Weltkrieges als Propaganda und Mobilisierungsmedium genutzt wurden. Auch die Besatzer machten sich dieses Medium zu eigen, jedoch mit einer anderen, nicht länger auf das Militärische ausgerichteten Zielsetzung. Der Fokus lag nun auf der Reeducation und der Mobilisierung der Gesellschaft hin zur Demokratie.12 Das Potsdamer Abkommen bildete eine Grundlage für die filmpolitische Aktivität der westlichen Besatzer, auch wenn darin nicht explizit auf das Medium Film eingegangen wurde. Zudem trug auch das Reeducation-Programm zur Filmpolitik bei. Erst mit dem „Military Government Program” vom August 1947 entstand ein speziell auf den Film ausgerichtetes Abkommen.13
3.1 Zielsetzung
Werden die Ziele in Bezug auf das Medium Film in Betracht des Potsdamer Abkommens, des Reeducation-Programms und des Military Government Program untersucht, so kristallisieren sich drei maßgebende Ziele für die Filmpolitik heraus. Zum einen sollte die deutsche Filmindustrie dezentralisiert, unabhängig vom Staat und nicht subventioniert wieder aufgebaut werden. Zudem sollten Filme produziert und vertrieben werden, die die allgemein gültigen Rechtsprinzipien des Reeducation-Programms verteidigten. Das dritte Ziel beinhaltete die Säuberung der Filmbranche von nationalsozialistisch gesinnten Angestellten und im Gegenzug die Einstellung von Personen, die den moralischen und politischen Ansprüchen der Besatzungspolitik gerecht wurden. Dabei stand der Film als Kulturgut und Informationsmedium im Vordergrund, obwohl er auch ein wichtiges wirtschaftliches Gut darstellte. AberZiel der Alliierten wares vor allem den Grundstein für eine Produktion frei von ideologisch schädlichen Filmen zu kreieren.14 Im Folgenden soll kurz dargestellt werden, wie die Umsetzung der Ziele angestrebt wurde.
3.2 Umsetzung der Filmpolitik
Am 24. November 1944, noch während des Krieges, wurde vom Oberkommando der alliierten Expeditionskräfte das Gesetz Nr. 191 erlassen. Sobald ein Gebiet Deutschlands unter alliierte Kontrolle gebracht worden war, sollten dadurch alle kulturellen Vorführungen und Veröffentlichungen verboten werden. In Bezug auf die Filmbranche bedeutete dies ein Verbot der Produktion, des Verleihs und der Vorführung. Das Gesetz bildete die Grundlage für weitere Regelungen, auch „Nachrichtenkontrollvorschriften“ genannt. So wurde ab Mai 1945 beispielsweise aufgefordert, Filme oder Rohmaterial bei den Bürgermeistern abzugeben. Dies war mit der Hoffnung der Alliierten verknüpft, eine bessere Kontrolle der Filmbranche zu erwirken. Des Weiteren musste eine von den Alliierten genehmigte Lizenz zur Vorführung von Filmen vorliegen. Dadurch konnte Nationalsozialisten der Zugang zur Filmbranche verwehrt werden. Auch folgte eine Monopolanordnung, welche zur Dezentralisierung der Filmindustrie beitrug. Durch die Nachrichtenkontrollvorschriften gelang es den Alliierten ebenfalls die angestrebten Filmvorführungen zu kontrollieren und dadurch sicherzustellen, dass die letztlich ausgestrahlten Filme das Reeducation-Programm unterstützten und seine „universell gültigen“ Rechtsprinzipien beinhalteten. Vergleicht man die Ziele der Filmpolitik mit den filmpolitischen Gesetzen, spiegelt sich der Inhalt ersterer in den Gesetzen zum Großteil wider. Für die Umsetzung der Anordnungen waren die speziell behördlich eingerichteten Abteilungen zuständig, die sich mit Medien und Kultur befassten. In der amerikanischen Besatzungszone fiel diese Aufgabe der „Information Control Division“ und der „Film Control Branch“ zu. Diese trugen die Verantwortung für die Personaleinstellung in der Filmbranche, die Lizenzvergabe, die Zensur und zu Beginn der Besatzung ebenfalls die Auswahl von amerikanischen Filmen, die in Deutschland vorgeführt werden konnten. Ebenso kümmerten sie sich um den Vertrieb der Filme, verwalteten die Kinos, Filmstudios, Kopieranstalten, und Filmrechte. Die Produktion von Dokumentarfilmen und Wochenschauen fiel auch in ihren Aufgabenbereich. Geleitet wurde die Filmabteilung von sogenannten Filmoffizieren. Ab Ende 1947 beziehungsweise zu Beginn 1948 wurde der Verleih ausländischer Filme an Privatverleihe übergeben. Nur noch die Zensur oblag der Filmabteilung.15 Im nächsten Kapitel soll die Rolle des Mediums Film während der Besatzungszeit näher betrachtet werden.
4. Der Film im Wandel der Besatzungsphase
Die amerikanische Besatzung wird in zwei Phasen unterteilt. Die erste Phase war geprägt von einem strafenden und korrektiven Charakter und wird als punitive Phase bezeichnet. Darauf folgte die Reorientation-Phase, welche tendenziell eher konstruktiv gestaltet und auf eine Westanbindung Deutschlands fokussiert war. Als ausschlaggebend für den Wandel wird oftmals der beginnende Kalte Krieg genannt oder auch mit 1947 das Jahr der Truman-Doktrin.16 Beide Phasen, ihr Charakterwandel und die Auswirkungen auf den Film sollen anschließen beleuchtet werden.
4.1 Punitive Phase
Die Anfangsphase der Besatzung war geprägt von einem eher strafenden und korrektiven Charakter mit klarer Schuldzuweisung und Konfrontation der Deutschen mit ihrer unmittelbaren Vergangenheit.17 Dies schlug sich auch in der Thematik der ersten Filme wieder. Sie handelten hauptsächlich vom Nationalsozialismus, den begangenen Gräueltaten, dem deutschen Militarismus und der Schuldfrage.18 Schon während des Krieges wurden vom „Office of War Information“, welches in der Nachkriegszeit von der bereits erwähnten „Information Control Divison“ ersetzt wurde, etwa 30 Filme zur Vorführung in Deutschland ausgesucht.19 Das prägnanteste Filmgenre dieser Phase bildeten die atrocity films, welche als nächstes untersucht werden sollen.
4.1.1 Atrocity films
Planungen zu atrocity films oder auch Nazigräuelfilme genannt, gab es bereits während des Zweiten Weltkrieges als beispielsweise die Psychological Warfare Division darüber debattierte, wie die deutsche Gesellschaft mit den begangenen Massenmorden konfrontiert werden könne. Ziel dieser schockierenden Filme war es, durch Konfrontation der Deutschen mit den während des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen ein Schuldeingeständnis und Verantwortungsgefühl hervorzurufen und zweitens dienten sie zur allgemeinen Abschreckung. Des Weiteren sollten sie auch eine Reeducation legitimieren und bestenfalls bei den Deutschen das Verständnis für eine Notwendigkeit dieser hervorrufen. Die meisten für atrocity films verwendeten Materialien entstanden während der Befreiung der Konzentrationslager. Beauftragt wurden dafür bei der US-Armee angestellte Regisseure wie Billy Wilder und Alfred Hitchcock. Berge von Leichen und bis auf die Knochen abgemagerte Gefangene wurden gefilmt. Die Ausstrahlung dieser Filme war stark umstritten, da beispielsweise mit Abwehrreaktionen der Deutschen gerechnet wurde. Besonders zwischen den britischen und amerikanischen Besatzungsmächten kam es zu heftigen Debatten. Dennoch wurden Filme dieser Art produziert. Am bekanntesten ist wohl der Film „Todesmühlen“ von Hanus Burger, der unter der Leitung von Billy Wilder entstand und ab Januar 1946 ausgestrahlt wurde. Der Dokumentarfilm verfügt über eine Spielzeit von 20 Minuten und wird auf deutsch kommentiert.20 Die gesprochenen Texte enthalten vor allem Bitterkeit und Wut gegenüber der Behauptung vieler Deutscher, dass man von alldem ja nichts gewusst habe. Außerdem wird die deutsche Gesellschaft wegen Mitläuferei sowie aktiver Kriegsbeteiligung kritisiert und derfehlende Widerstand bemängelt. So wurden die Bürger Weimars gefilmt, wie sie das Konzentrationslager Buchenwald besichtigen mussten. Anfangs- und Schlusspunkt des Filmes bildet ein Schweigemarsch von 1100 Deutschen, die für jedes der von der SS in einer Scheune bei Gardeleben verbrannten Opfer ein Kreuz vor sich hertrugen. Durch die Aussage „Die Saat ist aufgegangen“ wird das Bereuen der Deutschen aufgezeigt. Somit thematisiert der Film die Debatte der Kollektivschuld der deutschen Gesellschaft, welche innerhalb der Alliierten geführt wurde.21 Bei den ersten Ausstrahlungen sollten die Besucher ihre Eindrücke notieren, damit man die Wirkung testen konnte. Noch vor Ende des Films waren jedoch sowohl die Zuschauer als auch die ausgeteilten Schreibmaterialien verschwunden. Daraufhin schlug Wilder vor, dass Zuschauer, die bis zum Ende des Filmes blieben, eine Lebensmittelkarte erhalten sollten. Diese Maßnahme hatte jedoch nur kurze Zeit Bestand. In einigen Städten wurden die Menschen gezwungen, sich Gräuelfilme anzusehen. Nach der Ausstrahlung in der amerikanischen Besatzungszone zweifelten die britischen Besatzer an der positiven Wirkung des Dokumentarfilmes, zumal sie hinterfragten, inwiefern es sinnvoll war, die Deutschen zu einer Vorführung zu zwingen, wie unter amerikanischer Regierung geschehen. Außerdem befürchtete man Proteste und Abwehrreaktionen der Deutschen. Nachdem die Amerikaner dennoch positive Rückmeldungen gaben, zeigten auch die Briten „Todesmühlen“ in den Kinos, jedoch zweifelten sie die Langzeitwirkung dessen an, da noch nicht festgestellt werden konnte, ob der Film nur Betroffenheit auslöse oder auch das gewünschte Schuldbewusstsein hervorrufe.22 Teilweise wurde der Film auch gar nicht ausgestrahlt, da die Kollektivschuldthese hinterfragt wurde und die für die Vorführung Verantwortlichen nicht die Gefühle der möglicherweise zukünftigen Verbündeten verletzen wollten.23 In der Forschung wurde ein Streit zwischen Regisseur Wilder und Burger über die
Machart von „Todesmühlen“ oft diskutiert. So stellte sich heraus, dass Wilder selbst die Gräuelbilder kritisierte und nicht daran glaubte, dass durch eine solche Art der Filme das Reeducation-Programm erfolgreich sein könne. Er kritisiert die Konfrontationspolitik der US-Militärregierung.24 Ab Sommer 1946 wurde „Todesmühlen“ nicht mehr ausgestrahlt, sondern das Dokumentarfilmprogramm, welches als nächstes betrachtet werden soll, anderweitig aufgebaut.25
4.1.2 Dokumentarfilme
Atrocityfilms lockten mit Sicherheit kein freiwilliges Publikum in die Kinos, so wurden stattdessen alte deutsche Spielfilme ausgestrahlt und davor entweder eine Wochenschau oder ein Dokumentarfilm gezeigt, welche beide innerhalb des Reeöucat/on-Programms produziert wurden.26 Des Weiteren wurden deutsche Fassungen von während des Krieges vorgeführten Dokumentarfilmen in den alliierten Ländern erstellt und gezeigt. Beispielsweise wurde mit „The Nazis strike“ eine Folge der Serie „Why we fight, deren Direktor neben anderen Frank Capra war, ausgestrahlt. Die Folge stellte die Entwicklung des nationalsozialistischen Deutschlands von 1933 bis 1939 bis zum Überfall Polens dar.27 Nicht nur militärische und den Krieg betreffende Themen bildeten neben dem Aufzeigen von moralischen, insbesondere demokratischen Prinzipien nach dem Vorbild der USA den Inhalt der Dokumentarfilme, sondern ebenso wurde die Einigkeit der Siegermächte dargestellt. Außerdem präsentierten und propagierten sie den American way of life oftmals auf eine verherrlichende Art und Weise, wie Kritiker aufzeigten. Das OWI untersagte nämlich den Inhalt von kritischen Äußerungen zur USA. So erscheinen die Umerziehungs-Dokumentarfilme noch mehr im Licht der Propaganda. Am häufigsten wurden unter anderem die Filme „The Town“, „Democracy in Action“ und „The Cowboy“ vorgeführt.
[...]
1 Detjen, Joachim: Politische Bildung. Geschichte und Gegenwart in Deutschland, München 2013, S. 99; im Folgenden zitiert als: Detjen, Joachim: Politische Bildung.
2 Hentges, Gudrun: Staat und politische Bildung. (Reeducation - Reorientation - Reconstruction. Die bildungspolitischen Vorstellungen der Militärregierungen in Deutschland unter alliierter Besatzung,), URL: httos://www.sorin- ger.com/de/book/9783531186702, abgerufen am: 01.02.2020, S. 33
3 Gerund, Katharina: „America’s Germany“? Die amerikanische Reeducation-Politik der Nachkriegszeit, Vortragsskript, S.1; URL: https://www.bpb.de/veranstaltunqen/dokumen- tation/konferenz-holocaustforschunq/200242/vortraeqe-und-diskussion-entnazifizierunq- re-education-prozesse, abgerufen am: 03.03.2020; : im Folgenden zitiert als: Gerund, Katharina: „America’s Germany“?
4 Hentges, Gudrun: Staat und politische Bildung, S. 33, siehe auch: Detjen, Joachim: Politische Bildung, S. 99 f.
5 Clemens, Gabriele: Umerziehung durch Film. Britische und amerikanische Filmpolitik in Deutschland 1945-1949, in: Segeberg, Harro (Hg.): Mediale Mobilmachung II. Hollywood, Exil und Nachkrieg (Mediengeschichte des Films, Bd. 5) München 2006, S. 243 f., im Folgenden zitiert als: Clemens, Gabriele: Umerziehung durch Film.
6 Detjen, Joachim: Politische Bildung, S. 100.
7 Hentges, Gudrun: Staat und politische Bildung, S 35-39.
8 Buchloh, Stephan: Zwischen Demokratisierungsbemühungen und Wirtschaftsinteressen: Der Film unter der Besatzung der westlichen Alliierten, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte Bd. 8, 2006, S. 163 f.; im Folgenden zitiert als: Buchloh, Stephan: Der Film unter der Besatzung der westlichen Alliierten.
9 Hentges, G.: Staat und politische Bildung. (Reeducation - Reorientation - Reconstruction. Die bildungspolitischen Vorstellungen der Militärregierungen in Deutschland unter alliierter Besatzung,), S. 29 ff.
10 Buchloh, Stephan: Der Film unter der Besatzung der westlichen Alliierten, S. 185 f.
11 Hentges, Gudrun: Staat und politische Bildung S. 29 ff.
12 Hickethier, Knut: Wochenschauen in Deutschland nach 1945. Mobilisierung für eine neue Gesellschaft? in: Segeberg, Harro (Hg.): Mediale Mobilmachung II. Hollywood, Exil und Nachkrieg (Mediengeschichte des Films, Bd. 5) München 2006, S. 272-298, S. 273f; im Folgenden zitiert als: Hickethier, Knut: Wochenschauen in Deutschland.
13 Buchloh, Stephan: Der Film unter der Besatzung der westlichen Alliierten, S. 163ff.
14 Buchloh, Stephan: Der Film unter der Besatzung der westlichen Alliierten, S. 163ff.
15 Buchloh, Stephan: Der Film unter der Besatzung der westlichen Alliierten, S. 165-168.
16 Gerund, Katharina: „America’s Germany“?, S. 1.
17 Gerund, Katharina: „America’s Germany“? , S.1.
18 Gutberiet, Marie-Hélène; Ziegler, Holger: Re-Educate Germany by Film! (Um-)Erzie- hung zur Demokratie. Re-Educate Germany by Film! 1945-1952 ff. Can the Germans be Re-Educated?, in: Frauen und Film (Krieg & Kino Nr. 61, März 2000) S. 197-226, URL: http://www.jstor.com/stable/24055728?seq=1&cid=pdf-reference# references_tab_con- tents, abgerufen am: 05.03.2020, S. 201; im Folgenden zitiert als: Gutberiet, Marie- Hélène; Ziegler, Holger: Re-Educate Germany by Film!
19 Buchloh, Stephan: Der Film unter der Besatzung der westlichen Alliierten, S. 165-169.
20 Clemens, Gabriele: Umerziehung durch Film, S. 261ff.
21 Tode, Thomas: Prolog und Epilog zum Weltkrieg. Über zwei antifaschistische Filme von Hanus Burger, in: Segeberg, Harro (Hg.): Mediale Mobilmachung II. Hollywood, Exil und Nachkrieg (Mediengeschichte des Films, Bd. 5) München 2006, S. 238- 24; im Folgenden zitiert als: Tode, Thomas: Prolog und Epilog zum Weltkrieg.; siehe auch Buchloh, Stephan: Der Film unter der Besatzung der westlichen Alliierten, S. 175.
22 Clemens, Gabriele: Umerziehung durch Film, S. 261 ff.
23 Buchloh, Stephan: Der Film unter der Besatzung der westlichen Alliierten, S. 175.
24 Tode, Thomas: Prolog und Epilog zum Weltkrieg, S. 241f.
25 Clemens, Gabriele: Umerziehung durch Film, S. 261 ff.
26 Clemens, Gabriele: Umerziehung durch Film, S. 255, 258.
27 Buchloh, Stephan: Der Film unter der Besatzung der westlichen Alliierten, S. 169, 175.
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- Anonym, 2020, Das Medium Film im Reeducation-Programm nach dem Zweiten Weltkrieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/935451
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