Das Böse der Extreme in Friedrich Schillers "Die Räuber"


Seminararbeit, 2007

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Franz Moor – das rationalisierte Böse
2.1 Die Verneinungen des Franz Moor
2.1.1 Absage an die Ehrlichkeit und das Gewissen
2.1.2 Absage an die Liebe und an Gott
2.2 Franz Moor und die Aufklärung

3. Karl Moor – das emotionale Böse
3.1 Menschenhass aus Missverständnis
3.2 Verleugnung der göttlichen Ordnung
3.3 Karl Moor und der Sturm und Drang

4. Gegenüberstellung von Franz und Karl Moor
4.1 Unterschiede
4.2 Gemeinsamkeiten

5. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Böse (das Böse) [zu althochdeutsch bōsi, eigentlich „aufgeblasen, geschwollen“], 1. der dem Guten entgegengesetzte Seinsbereich (das metaphysische Böse); 2. das den religiösen Wertsetzungen und Normen zuwiderlaufende Denken und Handeln (das ethische bzw. moralische Böse).[1]

Im Folgenden möchte ich mich der Darstellung und Interpretation des Bösen in Friedrich Schillers „Die Räuber“ widmen. Ziel ist es, die zwei Varianten der Abkehr vom Guten zu analysieren und die implizite Kritik Schillers an seiner Zeit herauszuarbeiten.

Anhand von Zitaten der Repräsentanten des Bösen - Franz und Karl Moor - sollen ihre Bestrebungen und Handlungen untersucht werden, um ihre moralischen Grenzüberschreitungen und deren Konsequenzen zu interpretieren. Dabei bleibt das Augenmerk auf Franz und Karl beschränkt, die auch mit ihren Differenzen und Parallelen gegenübergestellt werden. Es kann somit nicht auf sämtliche Figuren und Aspekte des Bösen im Stück eingegangen werden.

Abschließend werde ich die ästhetischen Betrachtungen Schillers miteinbeziehen und anhand dessen nachweisen, inwiefern „Die Räuber“ untypisch für den Sturm und Drang ist. Die These dabei ist, dass Schiller sowohl die Aufklärung als auch den Sturm und Drang in seinen Extremen aufzeigt und damit seiner Zeit voraus ist.

2. Franz Moor – das rationalisierte Böse

Franz Moor ist eine komplexe und starke böse Figur. Dies kommt vor allem dadurch zustande, dass seine böswilligen Taten nicht nur durch simple, spontan auftretende Emotionen motiviert werden. Vielmehr bilden überzeugende und in sich schlüssige Ideenkonstrukte das Fundament seines Denkens und Handelns. Er rationalisiert seine nihilistische Lebensauffassung und Handlungsweise auf so konsequente Art, dass ihm eine starke Überzeugungskraft und Intelligenz nicht abgesprochen werden kann. Im Folgenden werde ich seine Lebensphilosophie und deren Auswirkungen näher analysieren.

2.1 Die Verneinungen des Franz Moor

2.1.1 Absage an die Ehrlichkeit und das Gewissen

Zunächst widme ich mich den Werten, von denen Franz sich abgrenzt und abwendet. Gleich in der ersten Szene wird Franz Moor eingeführt, wie er seinen Vater über Karl belügt und gegen ihn intrigiert. Im anschließenden Monolog bekommt der Leser den ersten Einblick in Franz Moors Gedankenwelt:

Wohl gibt es gemeinschaftliche Pakta, die man geschlossen hat, die Pulse des Weltzirkels zu treiben. Ehrlicher Name! - Wahrhaftig, eine reichhaltige Münze, mit der sich meisterlich schachern lässt, wer´s versteht, sie gut auszugeben. Gewissen, - o ja freilich! Ein tüchtiger Lumpenmann, Sperlinge von Kirschbäumen wegzuschröcken! - auch das ist ein gut geschriebener Wechselbrief, mit dem auch der Bankerottierer zur Not noch hinauslangt. (S. 19, Z. 27-34, Hervorhebungen von mir)

Abfällig kommentiert und damit abgelehnt werden hier von Franz Moor gemeinschaftliche Abkommen, die Ehrlichkeit und das Gewissen. Sein Groll richtet sich demnach gegen zwischenmenschliche Übereinkünfte, Verlässlichkeit und die eigenen Moralvorstellungen des Individuums. Dabei machen die Metaphern der Münze und des Wechselbriefes deutlich, dass Franz Werte wie Ehrlichkeit und Gewissen lediglich als Mittel geeignet sieht, um eigennützige Zwecke zu verfolgen. Auf diese Weise legitimiert er sein Lügen und Intrigieren als vernünftig eingesetzte Taktik, um sich Vorteile zu verschaffen.

Das Plädoyer gegen das Gewissen wird in einem späteren Monolog noch einmal wiederholt – und zwar im vierten Akt, nachdem Franz Daniel zum Mord an Karl angestiftet hat:

Verflucht sei die Torheit unserer Ammen und Wärterinnen, die unsere Phantasie mit schröcklichen Märchen verderben, und grässliche Bilder von Strafgerichten in unser weiches Gehirnmark drücken, dass unwillkürliche Schauder die Glieder des Mannes noch in frostige Angst rütteln, unsere kühnste Entschlossenheit sperren, unsere erwachende Vernunft an Ketten abergläubischer Finsternis legen – Mord! wie eine ganze Hölle von Furien um das Wort flattert- [...] glückliche Reise, Herr Bruder! Der milzsüchtige, podagrische Moralist von einem Gewissen mag runzlige Weiber aus Bordellen jagen, und alte Wucherer auf dem Todesbett foltern-bei mir wird er nimmermehr Audienz bekommen!

(S. 103 Z. 35 - S. 104 Z. 21)

Zunächst einmal ist das moralische Bewusstsein des Menschen für Franz nur anerzogen und erlernt. Dementsprechend wird es mit „schröcklichen Märchen“ verglichen, die von Ammen beigebracht werden. Außerdem wird das Gewissen als Einschränkung der Freiheit und großer Taten dargestellt. Die Metapher hierfür sind die „Ketten abergläubischer Finsternis“, die sowohl die „kühnste Entschlossenheit“ als auch die „erwachende Vernunft“ der Menschen verhindern. Interessant ist hierbei auch die Trennung von Moral und Verstand, auf die ich später noch im Zusammenhang mit Franz Bezügen zur Aufklärung eingehen werde (s. 2.2).

Insgesamt ist jedoch deutlich, dass die Figur Franz das Gewissen weg zu rationalisieren versucht; dass heißt Distanz zu etwas nimmt, das in ihm selbst vorhanden ist. Dies wird z. B. durch die „grässlichen Bilder von Strafgerichten“ ausgedrückt, die er mit dem Possessivpronomen „in unser weiches Gehirnmark drücken“ als für sich selbst gültig erklärt. Genau diese von ihm unterdrückten Bilder werden ihn am Schluss im Traum einholen und richten.

2.1.2 Absage an die Liebe und an Gott

Franz Moors Ablehnung richtet sich ebenfalls vehement gegen die Liebe und religiöse Wertsetzungen. Ein Beispiel für seine Ablehnung von der Liebe zu Blutsverwandten findet sich wieder in seinem ersten Monolog. Zur gleichen Zeit liefert Franz dabei seine radikale Umdeutung des heiligen Schöpfungsaktes:

Ich habe Langes und Breites von einer so genannten Blutliebe schwatzen gehört, das einem ordentlichen Hausmann den Kopf heiß machen könnte - Das ist dein Bruder! - das ist verdolmetscht: Er ist aus ebendem Ofen geschossen worden, aus dem du geschossen bist - also sei er dir heilig! [..] Aber weiter - es ist dein Vater! Er hat dir das Leben gegeben, du bist sein Fleisch, sein Blut - also sei er dir heilig. Wiederum eine schlaue Konsequenz! Ich möchte doch fragen, w a r u m hat er mich gemacht? doch wohl nicht gar aus Liebe zu mir, der erst ein I c h werden sollte?

(S. 20, Z. 16-30)

Franz argumentiert als negativer Rationalist, der bis in die letzte Konsequenz geht. Die Worte „Liebe“ und „heilig“ werden von ihm dabei nur höhnisch und verächtlich eingesetzt. Der Schöpfungsakt wird von ihm mit der Metapher „aus ebendem Ofen geschossen“ zur Backwerkproduktion degradiert. Auf die gleiche nihilistische Argumentation kommt Franz an späterer Stelle noch einmal zurück:

Ist die Geburt des Menschen das Werk einer viehischen Anwandlung, eines Ungefährs, wer sollte wegen der V e r n e i n u n g s e i n e r G e b u r t sich einkommen lassen, an ein bedeutendes Etwas zu denken? [..] Es war etwas und wird nichts – Heißt es nicht ebenso viel als: es war nichts und wird nichts und um nichts wird kein Wort mehr gewechselt-der Mensch entstehet aus Morast, und watet eine Weile im Morast, und macht Morast, und gärt wieder zusammen in Morast, bis er zuletzt an den Schuhsohlen seines Urenkels unflätig anklebt. Das ist das Ende vom Lied – der morastige Zirkel der menschlichen Bestimmung,[..] (S. 103, Z. 31 – S. 104, Z. 17)

Franz vertritt eine Lebensphilosophie, die sowohl Gott und Immortalität als auch sämtliche moralischen Werte im Allgemeinen radikal verneint. Diese absolute Verneinung aller Werte und Ordnungen benutzt er dazu, den geplanten Brudermord zu legitimieren.

2.2 Franz Moor und die Aufklärung

Neben der in der Forschung häufig angeführten materialistischen Denkart von Franz Moor[2] ist sein Bezug zur Aufklärung sehr deutlich und wird nun Gegenstand der Betrachtung sein.

Zunächst ist auf begrifflicher Ebene festzustellen, dass Franz mehrmals aufklärerische Formulierungen benutzt. Das erste Beispiel hierfür ist am Ende der bereits zitierten Passage zu finden, in der Franz den Zeugungsakt „entheiligt“:

Sehet also, das ist die ganze Hexerei, die ihr in einem heiligen Nebel verschleiert, unsere Furchtsamkeit zu missbrauchen. Soll ich mich dadurch gängeln lassen wie einen Knaben? (S. 21, Z. 15-18)

[...]


[1] Definition entnommen aus: Meyers großes Taschenlexikon

[2] Vgl. z. B. Wacker. Spezifisch den französischen Materialismus als Vorbild bei dem Entwurf von Franz Moor sehen Golz sowie Scherpe.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Das Böse der Extreme in Friedrich Schillers "Die Räuber"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften)
Veranstaltung
Sturm und Drang
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
14
Katalognummer
V93643
ISBN (eBook)
9783640100255
ISBN (Buch)
9783640122899
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Böse, Extreme, Friedrich, Schillers, Räuber, Sturm, Drang, Sturm und Drang
Arbeit zitieren
Anna-Luise Langner (Autor:in), 2007, Das Böse der Extreme in Friedrich Schillers "Die Räuber", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93643

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