Konsensfiktion in Firmenmeetings - Das Spannungsfeld hierarchischer und egalitärer Erwartungsstrukturen in Arbeitsbesprechungen


Diploma Thesis, 2004

87 Pages, Grade: 1,15


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Hinführung zum Thema
1.1 Wozu Meetings?
1.2 Definition der Konsensfiktion
1.3 Hierarchie versus Egalität
1.4 Zu den Kapiteln

2 Vorgehensweise
2.1 Verwendung von wissenschaftlicher Literatur und von „Ratgeberliteratur“
2.2 Die Methode der funktionalen Analyse
2.2.1 Unterscheidung latenter und manifester Funktionen
2.2.2 Unterscheidung instrumenteller und expressiver Orientierung
2.2.3 Unterscheidung direkter und indirekter Kommunikation
2.2.4 Unterscheidung formaler und informaler Rollen

3 Zum verwendeten Begriff „Meeting“ und zu seiner soziologischen Verortung
3.1 Einschränkung der Untersuchungseinheit
3.2 Soziologische Verortung

4 Erwartungsstrukturen im Meeting
4.1 Definition der Erwartungsstrukturen
4.2 Die Entstehung von Erwartungsstrukturen im Meeting
4.2.1 Der Einfluss vorangegangener Sitzungen
4.2.2 Der Einfluss der jeweiligen Interaktionsvergangenheit
4.3 Hierarchische Erwartungsstrukturen
4.3.1 Formaler Rang
4.3.2 Informaler Rang
4.4 Egalitäre Erwartungsstrukturen
4.4.1 „Organisationsrationalität“
4.4.2 Taktregeln

5 Konsensfiktion im Meeting: Detailanalyse
5.1 Konsensfiktion durch expressive Orientierung
5.1.1 Vorauswahl der Teilnehmer
5.1.2 Konfliktvermeidung
5.1.3 Nebenengagement
5.1.4 Eingeworfene Scherze
5.1.5 Bereitschaft sich zu beteiligen
5.2 Konsensfiktion durch indirekte Kommunikation
5.2.1 Indirekt ausschließende Kommunikation
5.2.1.1 Kompetenz
5.2.1.2 Gemeinsamer Code
5.2.2 Ehrerbietungsrituale
5.2.3 Körpersprache
5.3 Konsensfiktion durch Inanspruchnahme formaler und informaler Rollen
5.3.1 Informale Vorabsprachen
5.3.1.1 Vorabsprache in Wartezeiten
5.3.1.2 Vorabsprache durch Netzwerke
5.3.2 Vorstrukturierte Themengeschichte
5.3.2.1 Themengeschichte mit Tagesordnung
5.3.2.2 Themengeschichte ohne Tagesordnung

6 Diskurs versus Diskussion

7 Die ungleichen Chancen der Beteiligten

8 Schlussgedanken

Literatur

1 Hinführung zum Thema

1.1 Wozu Meetings?

Meetings sind ein fester Bestandteil der modernen Geschäftskultur. Glaubt man Ratgeberbüchern über Besprechungen oder den Sitzungsteilnehmern selbst, so sollen Meetings in erster Linie dazu dienen, Informationen über die eigenen Tätigkeiten und die der anderen auszutauschen, konstruktive Lösungen für aktuelle Arbeitsprobleme zu finden und gemeinsam zu besseren Entscheidungen zu kommen. So sollte zum Beispiel einem Ratgeberbuch zufolge ein Vorgesetzter dann zu einem Meeting rufen, wenn er das Gefühl hat, dass die Mitarbeiter seine schriftlichen Informationen nicht ausreichend verstehen oder diese vielleicht nicht einmal lesen, oder wenn er selbst von seinen Mitarbeitern Informationen will.[1]

Allerdings scheinen Besprechungen solchen Erwartungen nicht unbedingt gerecht zu werden. Viele Konferenzteilnehmer sehen die meisten Meetings inzwischen als reine Zeitverschwendung an. „Verschärfte Meetingitis“[2] wird beklagt. Auch der Zeitmanagement-Experte Lothar Seiwert kritisiert den hohen Zeitaufwand: „Meetings sind Arbeitstreffen, keine Kaffeekränzchen.“ Es zählen seiner Aussage nach Ergebnisse, die unter Umständen auf kurzen „Stehungen“ schneller zu erreichen sind als auf Endlossitzungen mit Tee und Keksen.[3]

Trotz aller Klagen scheinen Meetings in Firmen nicht eben selten einberufen zu werden: Die Firma Schell Marketing Consulting, die für das Jahr 2002 mehr als tausend europäische Führungskräfte und Mitarbeiter zum Thema Meeting befragt hat, fand zumindest heraus, dass sich Mitarbeiter in europäischen Ländern durchschnittlich 3,2 mal in der Woche zu einer Konferenz treffen.[4]

Die Frage, warum so viele Meetings stattfinden, obwohl von allen Seiten fast ausschließlich der Nutzen solcher Treffen angezweifelt wird, scheint noch gar nicht bzw. noch nicht ausreichend beantwortet zu sein. Eine Erklärung, warum Meetings für Organisationen dennoch nützlich sein können, hat sich der vorliegende Text zur Aufgabe gemacht.

Besonders wichtig bei dieser theoretischen Analyse ist es, die Unterscheidung von Organisation und Interaktion stets im Auge zu behalten: Das Meeting verläuft als Interaktion nach eigenen Gesetzmäßigkeiten. Organisationsprogramme können deshalb nicht eins zu eins in der Besprechungsinteraktion umgesetzt werden. Meetingidealisten, wie zum Beispiel Autoren von Ratgeberbüchern, beklagen genau diesen Umstand: Anstatt sich in Besprechungen schlicht auf die Umsetzung von Zielen oder Problemlösungen zu konzentrieren, wimmle es von Selbstdarstellern, die im Meeting nichts anderes zu tun hätten als sich zu profilieren; es würde ständig vom Thema abgedriftet, um sich mit unwichtigen Kleinigkeiten oder auch Kleinlichkeiten aufzuhalten, und häufig kämen die Teilnehmer einfach nicht auf den Punkt, den sie eigentlich behandeln wollten, sondern redeten ständig um den heißen Brei herum.

Anstatt nun aber mit in diesen Kanon einzustimmen, behaupten wir hier, dass die Interaktionsdynamik eines Meetings, welches scheinbar nur Zeit und Geld verschlingt, sehr wohl eine nützliche Funktion für die Organisation hat:

Durch die Eigengesetzmäßigkeit der Meetinginteraktion kann eine Konsensfiktion unter den rangungleichen Organisationsmitgliedern hergestellt werden. Die im Meeting getroffenen Beschlüsse können auf diese Weise als konsensuell entschieden dargestellt werden. Diese Darstellung kommt den Anforderungen einer zunehmend wichtiger werdenden Egalitätsnorm in Organisationen entgegen.[5]

Ob die Besprechungsmitglieder dem Inhalt eines solchen Konsens tatsächlich zustimmen oder nicht, spielt hierbei keine Rolle. Es reicht aus, sich gegenseitig darzustellen, dass Beschlüsse im Meeting – einer organisationalen Interaktion mit relativ hohem internen Öffentlichkeitscharakter und daraus resultierender hoher Selbstverpflichtung – letztendlich gemeinsame Zustimmung finden. Dieser Text wird unter anderem zeigen, warum eine solche Darstellung der Entscheidungssituation in Besprechungen nur eine Fiktion sein kann.

Die Konsensfiktion hat eine wichtige Funktion für die Organisation: Sie dient als Ausgleich zum direkten Rangbefehl. Sie bietet gegenüber der unmittelbaren Rangentscheidung den Vorteil, der – schon durch die rapide steigende Zahl einberufener Meetings erkennbaren – immer präsenter werdenden Gleichberechtigungsnorm in Organisationen entgegenzukommen. Organisationen, die ausschließlich über die Erteilung von Rangbefehlen funktionieren, scheinen heute eher die Ausnahme zu sein. Mitarbeiter sollen entsprechend dem Enthierarchisierungstrend, jedenfalls vordergründig, in Entscheidungen einbezogen werden. Dass sie ein höheres Mitspracherecht hinsichtlich von Entscheidungen in Firmen haben, wird deshalb auch gerne von Unternehmensführern in den Massenmedien angeführt. In einem Interview in der Wochenzeitung „Die Zeit“ hat etwa Bertelsmann-Chef Reinhard Mohn behauptet: „Wir versuchen im dauernden Dialog mit den Mitarbeitern ein Einvernehmen herzustellen. Mit gutem Willen können Sie Vereinbarungen treffen ...“.[6]

Die Konsensfiktion im Meeting dient dazu, dass Entscheidungen von einigen wenigen getroffen werden können, ohne die gestiegenen Egalitätserwartungen, deren tatsächliche Umsetzung für die Meetinginteraktion schon aus Komplexitätsüberlastung dysfunktional wäre, enttäuschen zu müssen. Die Fiktion verdeckt also Rangunterschiede, die, wie zu zeigen sein wird, in Besprechungen nach wie vor eine große Rolle für Entscheidungsfindungen spielen.

Bevor wir unsere These näher ausführen, wird zunächst die ursprüngliche soziologische Verwendung des Begriffs der Konsensfiktion erläutert, um anschließend differenzierter darlegen zu können, wie er im vorliegenden Text gebraucht wird.

1.2 Definition der Konsensfiktion

Den Begriff der Konsensfiktion haben Alois Hahn et al. für die Soziologie entscheidend geprägt.[7] Sie untersuchten junge Ehepartner im Hinblick darauf, wie wichtig sie für ihre Ehe einen Konsens untereinander über verschiedene in einer Beziehung relevante Themen wie Kindererziehung, Freizeitvorstellungen usw. fanden. Die Paare wurden sowohl jeweils gemeinsam als auch getrennt befragt. Wie sich bei dem gemeinsamen Interview der Ehepartner herausstellte, hielten die Eheleute einen Konsens in allen ihnen gemeinsam wichtigen Dingen für eine unverzichtbare Voraussetzung für ihre Ehe. Sie empfanden einen solchen Konsens nicht nur als unabdingbar, sondern glaubten auch fest daran, dass sie tatsächlich in den Themen der für ihr Zusammenleben entscheidenden Bereiche übereinstimmten.

In der Einzelbefragung jedoch wichen die Meinungen bei genauerem Nachhaken häufig deutlich voneinander ab. Nach den ohne anwesenden Partner gegebenen Antworten konnte man nicht etwa schlussfolgern, dass die Ehepartner besonders ähnliche Ansichten über gewisse Lebensbereiche hatten. Man hätte den Ergebnissen der Einzelbefragung zufolge die befragten Ehepartner nahezu beliebig „austauschen“ können und die Meinungen wären trotzdem in ähnlicher Weise unterschiedlich oder gleich gewesen.

„Gewichtig ist ..., dass die messbare durchschnittliche Übereinstimmung eines Ehemannes mit seiner Frau oft nicht signifikant höher ist als die mit dem Durchschnitt der anderen Ehefrauen unseres Samples. Daraus könnte sich der Schluss ergeben, dass Konsens in Bezug auf den größten Teil der für relevant gehaltenen Konsensbereiche innerhalb einer Ehe in hohem Maße zufällig ist.“[8]

Hahn et al. ziehen aus ihrer Studie die Schlussfolgerung, dass die Stabilität von Ehen von einem erheblichen Konsensdruck abhängt. Geäußerte Unterschiede bezögen sich entweder auf Lebensbereiche, die die Eheleute jeweils ohne ihren Partner nützten, oder würden von beiden durch ein „Verkleinerungsglas“[9] gesehen, so dass die für das Paar so wichtige Konsensfiktion nicht als solche aufgedeckt werde:

„Die Beziehungen leben von jenem Vertrauen in vorhandenen Konsens und wären ohne es nicht denkbar. Tatsächlich überzieht die Konsensunterstellung nicht nur den faktisch gegebenen, sondern auch den je möglichen. Aber gerade dieser Kredit – der sich als solcher nicht durchschaut – hält die Beziehungen aufrecht.“[10]

In unserem Fall hängt die Konsensfiktion nicht davon ab, ob die Organisationsmitglieder tatsächlich an einen echten Konsens glauben, sondern nur davon, dass sie Entscheidungen im Meeting als Konsens darstellen: Auch wenn der Ranghöhere ausschlaggebend den Inhalt des dargestellten Konsens bestimmt und diese Tatsache durchschaut wird, muss im Meeting eine Egalitätsnorm aufrechterhalten werden, die nicht erkennbar gebrochen werden darf. Um dieser Regel im Meeting gerecht werden zu können, muss der Entscheidungsvorteil des Chefs während der Besprechungszeit zumeist latent gehalten werden: Nach außen hin stimmen die Mitarbeiter dem Chef nicht automatisch deshalb zu, weil er der Chef ist, sondern deshalb, weil er den besten Vorschlag für das Vorankommen der Organisation gemacht habe.

Genauso entspricht es der Gleichberechtigungsnorm, dass der Vorschlag eines rangniedrigeren Teilnehmers nicht abgelehnt werden darf, weil er rangniedrig ist, sondern die Entscheidung muss auch in diesem Fall der Egalitätsnorm nach davon abhängen, ob die Idee der Organisation dient oder nicht.

Jeden Vorschlag jedoch wirklich rangunabhängig nach seinem Nutzen für die Organisation zu prüfen und nicht danach, wer ihn in welcher Rangposition gemacht hat, würde die Kapazität der Meetinginteraktion überfordern. Der indirekte Vorteil der Rangposition bei der Durchsetzung von Vorschlägen führt zu Entscheidungsfindungen, ohne die Egalitätsnorm nach außen hin brechen zu müssen; auf diese Weise wird die Konsensfiktion im Meeting möglich.

Der Zusammenhang von Egalitätsnorm und Hierarchie zur Herstellung von Konsensfiktion im Meeting wird nachstehend näher erläutert:

1.3 Hierarchie versus Egalität

Nach einem theoretischen hierarchischen Modell müsste ein Meeting folgendermaßen funktionieren: Die Arbeitsbesprechung dient in erster Linie der vertikal strukturierten Organisation. Und die wiederum folgt ganz bestimmten Regeln, die den unterschiedlichen Rängen der Mitglieder verschiedene Rechte und Pflichten zuschreiben. Ist man Mitglied einer solchen Organisation, muss man sich strikt an diese Regeln halten. Die Teilnehmer diskutieren im Meeting über vorher genau festgelegte Themen, deren Erörterung das Zusammenarbeiten innerhalb der Organisation optimieren soll. Weicht jemand vom Thema ab oder tanzt anderweitig aus der Reihe, greift der Vorgesetzte ein. Zu Konflikten kommt es hierbei nicht. Im Zweifelsfall hat der Höherstehende Recht; zum Wohle der Organisation eben.

Nach diesem Muster kann eine Besprechung jedoch nicht ablaufen. Der formale Rang strukturiert das Meeting zwar vor, sein Einfluss ist aufgrund der Eigendynamik des Meetings aber begrenzt: Trotz ungleicher Rangrechte in der Organisation wird der Vorgesetzte nicht das Mitspracherecht der rangniedrigeren Meetingteilnehmer einfach unterbinden, denn dann wäre die Anberaumung eines Meetings nicht mehr zu rechtfertigen. Unhinterfragbare Anweisungen an die Mitarbeiter könnten diesen dann genauso zum Beispiel schriftlich mitgeteilt werden. Er muss zum Beispiel auch zeitaufwendige Diskussionen über Konfliktthemen zulassen, wenn es die Situation verlangt. Führt eine Problembesprechung zu zwei verhärteten Fronten, kann der Vorgesetzte nicht willkürlich entscheiden, sondern muss beide Seiten anhören und glaubhaft darstellen, dass er weiß, welcher Seite er recht gibt. Meetinginteraktionen können also nicht allein über ein Ranggefälle strukturiert sein. Seine Rangüberlegenheit wird der Vorgesetzte deshalb in Meetings nur selten offen ausspielen.

Der Durchsetzung von Interessen über die Rangposition steht der Wert der Egalität gegenüber: Es gibt die Erwartung, dass jeder gleichberechtigt zu Wort kommt und die Meinung eines Mitarbeiters genauso ernst diskutiert wird wie die des Chefs. Würde die Gleichberechtigungsnorm jedoch wirklich zur vollen Geltung kommen, gäbe es niemanden, der auf Kosten vieler Meinungen eine scheinbar gemeinsame Auffassung bestimmen würde.

Besprechungen folgen also weder strikt dem Idealtypus der hierarchischen Organisation noch laufen sie durchgehend egalitär ab.

Hierarchische und egalitäre Erwartungsstrukturen kommen in Meetings vielmehr zusammen vor. Nur durch ihre Koexistenz entsteht und verfestigt sich die für die Organisation so wichtige Konsensfiktion unter ihren Mitgliedern. In einem rein hierarchisch strukturierten Meeting würden die Mitarbeiter Beschlüsse nicht als Konsens darstellen können, in einer ganz auf Gleichheit beruhenden Besprechung würde gar nicht bestimmt werden können, wie der Inhalt des scheinbaren Konsens aussehen soll.

Das Zusammenspiel von Hierarchie und Egalität, das Konsensfiktion herstellt, verweist auf die soziale Ungleichheit im Meeting: Die Norm der Egalität verdeckt, dass der Inhalt dieses scheinbaren Konsens stark vom Ranghöheren bestimmt wird. Die mögliche Einklagbarkeit dieser Norm gibt aber auch Rangniedrigeren Gelegenheit, zum Konsensinhalt beizutragen. Dabei finden jedoch in der Regel nicht alle Mitarbeiter Gehör, sondern nur solche Personen, die bereits einen informellen Rang erworben haben, d.h. Ansehen bei den anderen Organisationsmitgliedern genießen, das von der Organisation nicht formal bestätigt ist. Die Ausbildung eines informellen Ranges einiger weniger rangniedrigerer Mitarbeiter bestärkt die Erwartungsstruktur, dass alle Teilnehmer rangunabhängig und gleichberechtigt mitbestimmen dürfen. Auch auf diese Weise kommt, wie gezeigt werden wird, die Fiktion des Konsens zustande.

In einer Detailanalyse zeigt unser Text, wie der Vorgesetzte und seine Mitarbeiter im Meeting trotz ungleicher Chancen bezüglich der „Konsens“-Bildung eine Konsensfiktion herstellen. Die Detailanalyse konzentriert sich dabei auf das Aufzeigen ungleicher Chancen zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitern und den Mitarbeitern untereinander. Unter den verschiedenen im Meeting aufzufindenden Aspekten wird geprüft, wie das Zusammenwirken egalitärer und hierarchischer Erwartungsstrukturen diese ungleichen Chancen in eine Konsensfiktion münden lässt.

1.4 Zu den Kapiteln

Im zweiten Kapitel wird erläutert, anhand welcher Literatur und mit welcher Methode die These belegt wird. (Kapitel 2)

Sodann ist das Meeting als Beobachtungseinheit näher zu bestimmen: Dafür ist einmal zu klären, welche Art von Meetings in diesem Text betrachtet wird; außerdem wird die Meetinginteraktion soziologisch verortet. (Kapitel 3)

Damit aufgezeigt werden kann, inwiefern egalitäre und hierarchische Erwartungsstrukturen die Herstellung einer Konsensfiktion im Meeting wahrscheinlich machen, geht das darauf folgende Kapitel auf den Begriff der Erwartungsstruktur allgemein und anschließend auf die im Meeting relevanten Erwartungsstrukturen im einzelnen ein. (Kapitel 4)

Das Zusammenspiel von hierarchischen und egalitären Erwartungsstrukturen und die daraus entstehende Konsensfiktion in Meetings werden daraufhin in einer Detailanalyse mithilfe der funktionalen Analyse dargestellt. Dabei sind verschiedene Einzeldimensionen – etwa Beteiligungschancen, Konfliktvermeidung oder eingeworfene Scherze – zu beleuchten. (Kapitel 5)

Im Anschluss an die Detailanalyse gehen wir nochmals der Egalitätsnorm im Meeting auf den Grund. Dabei ist der Frage nachzuspüren, warum sich die in der Besprechung vorhandenen Egalitätsvorstellungen schon theoretisch nicht umsetzen lassen. Dann wird die Dysfunktionalität, die eine gleichberechtigte Sprechsituation mit sich bringen würde, für die organisationale Praxis durchgespielt. (Kapitel 6)

Anschließend wird ein Resümee über den Zusammenhang der ungleichen Chancen der Beteiligten und der Konsensfiktion im Meeting gezogen. (Kapitel 7)

In den „Schlussgedanken“ wird auf eine aus der Konsensfiktion möglicherweise resultierende Dysfunktion, nämlich die Überharmonisierung der organisationsinternen Kommunikation, hingewiesen; außerdem beschäftigen wir uns mit der Frage, welche weiteren empirischen Forschungen des Themas Konsensfiktion im Meeting lohnend sein können. (Kapitel 8)

2 Vorgehensweise

2.1 Verwendung von wissenschaftlicher Literatur und von „Ratgeberliteratur“

Dieser Text möchte einem soziologisch interessierenden, bisher wenig beachteten Phänomen Aufmerksamkeit verschaffen: der Konsensfiktion im Firmenmeeting. Der Text basiert vorrangig auf soziologischer Theorie und wird mit empirischen wissenschaftlichen Sekundäranalysen über Meetings untermauert. Neben soziologischen qualitativen Studien über Arbeitsbesprechungen erweisen sich linguistische Untersuchungen auf diesem Gebiet als fruchtbar. Die herangezogene Forschung liefert aufschlussreiches Material zu den sich in der Meetinginteraktion bildenden Erwartungsstrukturen. Sie beleuchtet durch ihre Situationsanalysen die Eigendynamik und die situativen Abhängigkeiten in einem Meeting.

Der wissenschaftlichen Sekundärliteratur kritisch gegenübergestellt werden Ideen und Praxisanleitungen aus der aktuellen Ratgeberliteratur zu Meetings. Sie dienen nicht etwa als empirisches Beweismaterial für deren tatsächliche Einlösung: Die Darstellungen von Meetings in der Ratgeberliteratur haben mit dem tatsächlichen Ablauf von Meetings in der Praxis nur bedingt zu tun, wie die Linguistin Monika Dannerer, die Arbeitsbesprechungen empirisch untersucht hat, bestätigt:

„Ratgeber gehen von der Lehr- und Lernbarkeit von Kommunikationsverhalten mittels Buch aus; sie zielen auf eine effiziente, d.h. rasche und zufrieden stellende Abwicklung von Besprechungen ab; sie vertreten ein reduziertes Konzept von Kommunikation und bieten für situativ und sozial wenig spezifizierte Probleme Lösungen an; sie machen den Leiter verantwortlich für deren Gelingen; sie präsentieren keine detaillierten Beobachtungen und empirisch belegten Fälle von ‚Besprechungen’, sondern extrahieren aus ‚Erfahrung’ Regeln, vorwissenschaftliche Theorien und Modelle.“[11]

In der Detailanalyse wird anhand von Beispielen aus der Ratgeberliteratur soziologisch begründet, warum die Umsetzung solcher „Gebrauchsanweisungen“ in der Meetinginteraktion tatsächlich nicht möglich ist.

2.2 Die Methode der funktionalen Analyse

Mithilfe der funktionalen Analyse soll der These über die Konsensfiktion in Meetings in der Detailanalyse nachgegangen werden. Der wissenschaftliche Beobachter reduziert hierbei seinen Blick auf begriffliche Abstraktionen, sieht aber mit diesem Fokussieren mehr Komplexität hinsichtlich bestimmter Aspekte als das beobachtete System selbst.[12]

2.2.1 Unterscheidung latenter und manifester Funktionen

Die funktionale Analyse deckt latente Funktionen auf, die dem beobachteten System verborgen bleiben und auch verborgen bleiben müssen, damit sie ihre Wirkung nicht verlieren; neben den latenten vergleicht sie manifeste, also dem System bekannte, Funktionen mit funktionalen Äquivalenten und macht damit auf die Austauschbarkeit der vom System in den Mittelpunkt gestellten Funktionen aufmerksam. Robert K. Merton hat die Unterscheidung manifester und latenter Funktionen in die Soziologie eingeführt und definiert sie folgendermaßen:

„M a n i f e s t e F u n k t i o n e n sind diejenigen objektiven Folgen, die zur Anpassung des Systems beitragen und von den Beteiligten sowohl beabsichtigt als auch wahrgenommen werden. L a t e n t e F u n k t i o n e n sind dementsprechend solche, die weder beabsichtigt sind noch wahrgenommen werden.“[13]

Der vorliegende Text behauptet, dass eine der wichtigsten latenten Funktionen im Meeting die Herstellung von Konsensfiktion ist. Die Detailanalyse untersucht die aus der wissenschaftlichen Sekundärliteratur als relevant hervorgehenden Aspekte eines Meetings bezüglich der latenten Funktion der Konsensfiktion.

Drei weitere Unterscheidungen, die mit der Differenzierung manifester und latenter Funktionen eng zusammenhängen, sollen in diesem Text als Werkzeug dienen, die These der Konsensfiktion zu untermauern:

2.2.2 Unterscheidung instrumenteller und expressiver Orientierung

Luhmann definiert instrumentelle und expressive Orientierung folgendermaßen:

„Instrumentell orientiert sich, wer befriedigende Zustände der Zukunft anvisiert und nach der Gegenwart, vor allem nach den Handlungen fragt, die sie bewirken können. Expressiv oder konsumatorisch orientiert sich, wer in der Gegenwart einen sich selbst genügenden Ausdruck oder Befriedigung sucht.“[14]

Die Unterscheidung zwischen instrumenteller und expressiver Orientierung bietet sich besonders an, um die an Meetingteilnehmer gerichteten Empfehlungen der Ratgeberliteratur soziologisch zu beurteilen. So gehört es zur Ideologie der Meetings – was die Ratgeberliteratur im allgemeinen nicht kritisch hinterfragt, sondern bestätigt –, dass Sitzungen instrumentell charakterisiert werden: Es gibt klare Handlungsanweisungen, zum Beispiel wie der Konferenzleiter vorgehen muss, damit die Besprechungsmitglieder bereit sind, alle für die Organisation wichtigen Informationen auf den Tisch zu legen, oder damit Konflikte zwischen den Mitarbeitern gelöst werden und so eine künftige optimale Zusammenarbeit möglich ist. Die instrumentelle Orientierung unterstellt somit die Möglichkeit zweckrationalen Handelns. In der Detailanalyse wird herausgearbeitet, warum solche klaren Zielsetzungen jedoch kaum umzusetzen sind. Gleichzeitig wird die Behauptung aufgestellt, dass solche instrumentellen Erwartungen auch die Funktion haben können, expressive Orientierungen zu überdecken.

Die expressive Orientierung bezieht sich nicht wie die instrumentelle auf zukünftige Ergebnisse, sondern auf die Selbstdarstellung in der Gegenwart. Expressive Aspekte, die nötig sind, um in der Sitzung den Teilnehmern zu einer zufrieden stellenden Selbstdarstellung zu verhelfen[15], werden von der Ratgeberliteratur und sonstiger Meetingideologie entweder völlig übersehen oder ebenfalls instrumentalisiert. Während im Meeting eine instrumentelle Orientierung offen angesprochen werden kann, bleibt also die expressive Orientierung, die den Selbstdarstellungsinteressen der Meetingteilnehmer nutzen soll, latent. Diese dient, wie gezeigt werden wird, häufig der Herstellung von Konsensfiktion.

2.2.3 Unterscheidung direkter und indirekter Kommunikation

Direkte[16] und indirekte Kommunikation unterscheiden sich anhand der unterschiedlichen Verbindlichkeit, die man ihnen zurechnet: Während direkte Kommunikation als verbindliche verstanden wird und an sie deshalb direkt angeschlossen werden kann, liegt indirekte Kommunikation vor, „wenn der Absender in der anschließenden Kommunikation bestreiten kann, etwas mitgeteilt zu haben, und wenn andererseits der Empfänger bestreiten kann, etwas verstanden zu haben“[17]. Durch ihre Anfechtbarkeit ist die indirekte Kommunikation also für keinen Beteiligten bindend.

Es wäre nach dieser Definition falsch, direkte und indirekte Kommunikation mit verbaler und nonverbaler Kommunikation gleichzusetzen: Nonverbale Kommunikation wird auch über standardisierte Gesten verbindlich und somit zur direkten Kommunikation, und verbale Kommunikation kann zum Beispiel durch Anwendung von Ironie unverbindlich bleiben und deshalb indirekt sein.

Die Anfechtbarkeit indirekter Kommunikation kann in manchen Situationen sehr gelegen kommen: Direkt Geäußertes kann nicht rückgängig gemacht werden, indirekt Angedeutetes schon, im extremsten Fall, indem schlicht abgestritten wird, dass überhaupt kommuniziert wurde. So dient die indirekte Kommunikation als Schutz vor ablehnenden Reaktionen und zur „Sondierung des Terrains“.[18] Allerdings kann es auch nachteilig sein, in der Sicherheit der Unverbindlichkeit zu verweilen, wenn zum Beispiel der Empfänger seinerseits die indirekte Kommunikation nicht als Kommunikation auffasst oder auffassen will: auf diese Weise kann auch eine positive Resonanz verhindert werden.

Das unterschwellige Mitlaufen indirekter Kommunikation in Meetings spielt in Bezug auf einige in der Detailanalyse behandelte Aspekte eine ausschlaggebende Rolle. Wegen ihres unverbindlichen Charakters kann ihre Wirkung schwer angesprochen werden, wenn sie in ihrer Latenz überhaupt wahrgenommen wird. So trägt auch sie, wie zu zeigen sein wird, zur Unterstützung von Konsensfiktion bei.

2.2.4 Unterscheidung formaler und informaler Rollen

Eine Organisation[19] gewinnt gegenüber ihrer Umwelt an Eigenleistung, indem sie ihre Mitglieder in sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht an formalisierte Verhaltenserwartungen bindet.[20] Sie setzt damit voraus, dass die Mitglieder sich zu gegebener Zeit einer formalen Rolle anpassen. In dieser formalen Rolle zählt einzig das sich Identifizieren mit der Organisation. Man muss sich demnach nur als Mitglied verantworten; Rollenzusammenhänge außerhalb der Organisation bleiben unbeachtet:

„Die mitgliedschaftsgebundenen Erwartungen sind von vornherein begrenzt. Wer sich auf sie bezieht, setzt sich damit deutlich von anderen Möglichkeiten der Auslegung seines Verhaltens ab. Er handelt ‚nur’ als Mitglied. Er eröffnet nur begrenzte Kontaktmöglichkeiten und lässt sich persönlich nicht ansprechen.“[21]

Die auf den Organisationsrahmen begrenzten Erwartungen an die formale Rolle sind doppelt funktional: Erstens genießt der Träger der formalen Rolle Schutz vor zu persönlicher Inanspruchnahme und zweitens erhöht die Organisation ihre Systemleistung.

Allerdings sind auch die Erwartungen, die für die formale Rolle nicht vorgesehen werden, für das Funktionieren der Organisation unabdingbar: Für die Organisation stellen sie einen notwendigen Ausgleich zur formalen Struktur dar:

„Sobald indes formale Organisationen als Arbeitsorganisationen zweckmäßig durchrationalisiert werden, sobald mithin eine ihrer Systemgrenzen, nämlich die, welche die Leistungen abnimmt, zu dominieren beginnt, kann das System nicht mehr ausgewogen in sich selbst ruhen und nicht länger von einer einheitlichen Struktur von allen Funktionen getragen sein. Es muss eine differenzierte Struktur entwickeln, die der Einseitigkeit des Formalisierungsprinzips Rechnung trägt.“[22]

Es muss also auch Platz für solche Situationen in der Organisation geben, die die formale Verbindlichkeit ausklammern. Die sich in ihnen herausbildenden Erwartungen richten sich an die informale Rolle. In diesem Fall herrscht eine informale Auffassung der Situation unter den Beteiligten vor.

Damit die Funktionen sowohl der formalen als auch der informalen Struktur wirken können, müssen sich die Situationen mit formaler Situationsauffassung von denen mit informaler Situationsdefinition trennen lassen und die unterschiedlichen Situationsdefinitionen nach Bedarf in die jeweils andere zurückwechseln lassen können.

Auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme sowohl formaler als auch informaler Rollen trägt, wie gezeigt werden wird, zur Herstellung von Konsensfiktion bei.

In der Detailanalyse werden die hier vorgestellten Unterscheidungen unter verschiedenen für die Meetinginteraktion relevanten Aspekten angewendet und in ihrem jeweiligen Zusammenhang mit der These herausgearbeitet.

3 Zum verwendeten Begriff „Meeting“ und zu seiner soziologischen Verortung

3.1 Einschränkung der Untersuchungseinheit

Dieser Text beschränkt sich auf Meetings in Firmen, in denen unterschiedliche Ränge vertreten sind. Der Prototyp ist eine Abteilungsbesprechung, in der sich ein Vorgesetzter und seine Mitarbeiter treffen. Dabei ist hier der Vorgesetzte immer auch der Konferenzleiter; die Mitarbeiter haben auch untereinander unterschiedliche Rangpositionen. Die Besprechungen werden offiziell deshalb einberufen, um Informationen auszutauschen, Aufgaben zu koordinieren und Probleme zu lösen. Die Teilnahme an den hier betrachteten Meetings gilt als obligatorisch.

3.2 Soziologische Verortung

Nach Helen Schwartzman, die eine sehr differenzierte Studie über Meetings angefertigt hat, ist eine Besprechung ein

“communicative event that organizes interaction in distinctive ways. Most specifically a meeting is a gathering of three or more people who agree to assemble for a purpose ostensibly related to the functioning of an organization or group, for example, to exchange ideas, or opinions, to develop policy and procedures, to solve a problem, to make a decision, to formulate recommendations, and the like. A meeting is characterized by multiplary talk that is episodic in nature, and participants develop or use specific conventions for regulating this talk… The meeting form frames the behavior that occurs within it as concerning the ‘business’ or ‘work’ of the group, or organization, or society.”[23]

Meetings sind Interaktionen unter Organisationsmitgliedern.[24] Wie jede Interaktion besteht eine Besprechung aus der Kommunikation unter Anwesenden, hier unter den Teilnehmern des Meetings. Jede Interaktion hat die gegenseitige Wahrnehmung und die Wahrnehmung des Wahrgenommenwerdens der Interaktionsteilnehmer zur Voraussetzung. Es reicht demnach nicht aus, den potenziellen Kommunikationspartner zu sehen, um eine Interaktion zu starten, sondern man muss sich zusätzlich vergewissern, auch von dem anderen wahrgenommen worden zu sein.[25] Um eine solche Situation zu ermöglichen, müssen die Interaktionsteilnehmer einander hören und sehen können.[26] Unter diesen Bedingungen fängt die Interaktion an, sobald kommuniziert wird, und hört auf, sobald nicht mehr kommuniziert wird.

Die Organisation strukturiert das Meeting vor und schränkt auf diese Weise seine Eigendynamik[27] in gewissem Ausmaß ein. „Die Organisation macht sich in der Interaktion bemerkbar. Die Interaktion ‚reflektiert’ die Organisation in sich selbst.“[28] So kann zum Beispiel die Organisation die Teilnahme am wöchentlichen „Montagsmeeting“ für ihre Mitglieder zur Verpflichtung machen. Das strukturiert die Interaktion zeitlich und personell vor, kann aber deshalb noch keineswegs ihren Ablauf festlegen:

„Die Interaktion folgt ihren eigenen Systemgesetzen und nimmt das Organisationsprogramm nicht oder nur begrenzt auf. Das organisatorisch Vorgesehene wird auf der Ebene der Interaktion unterlaufen, deformiert oder gar absichtlich zum Entgleisen gebracht.“[29]

Dass ein Meeting angefangen hat, ist nicht etwa daraus ersichtlich, dass irgendein Teilnehmer einen Kommunikationsversuch startet. Erst wenn der von der Organisation vorgesehene Konferenzleiter das Meeting eröffnet, kann von einer Besprechungsinteraktion die Rede sein. Hierfür benutzt er Startsignale, die anzeigen, dass das Meeting beginnt oder weitergeht. Das Startsignal ist ein Zeichen unter anderen, das sich in vorherigen Meetinginteraktionen eingespielt hat, das alle verstehen und das somit Verhaltensorientierung gewährleistet. Atkinson et al., die untersucht haben, wie ein Meeting nach einer Kaffeepause wieder gestartet wird, fanden heraus, dass ganz bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen, um ein Meeting (wieder) beginnen zu lassen. Diese Bedingungen werden von den Teilnehmern als selbstverständlich – und somit wahrscheinlich meist nicht hinterfragt – wahrgenommen. So zeigt der Vorgesetzte des Meetings, wie Atkinson et al. feststellten, durch Äußerungen wie „Machen wir weiter!“ den übrigen Teilnehmern an, dass die Situation nun (wieder) als Besprechungssituation zu definieren ist:

“Should members analyze ‘Right-e:r-‘ or such signals as banging a gavel, as having been performed by the chairman of the meeting or the boss of the organization, then they might have sufficient resources to understand that they are being summoned to the meeting.”[30]

Eine andere Möglichkeit für den Vorgesetzten, das Startzeichen zu geben, beobachteten Sofsky und Paris bei einer Arbeitsbesprechung in einer Druckerei: Der Vorgesetzte

„spricht in den allgemeinen Geräuschpegel einen Mitarbeiter durch den gesamten Raum etwas lauter auf ein Arbeitsproblem an und zwingt dadurch die anderen zum Zuhören. Schlagartig verebben die Nebengespräche, die privaten Relevanzen weichen sachlicher Aufmerksamkeit. Der Anruf des einzelnen ist der Ordnungsruf für alle. Er schafft situative Ordnung, ohne sie explizit einzuklagen.“[31]

Nach Christoph Meier, der in seiner soziologischen Untersuchung über Arbeitsbesprechungen die Besonderheiten dieses Interaktionstypus herausgearbeitet hat, dient das Startsignal dem offiziellen Etablieren eines gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus durch den Konferenzleiter.[32]

Goffman nennt eine Interaktion mit einem solchen einzigen visuellen und kognitiven Brennpunkt der Aufmerksamkeit, wie es für Meetings der Fall ist, fokussierte Interaktion. Bei einer “focused interaction“ achten seiner Definition nach die Interaktionspartner im Gegensatz zu einer “unfocused interaction“ direkt darauf, was der andere sagt oder tut, und stehen verbaler Kommunikation besonders aufgeschlossen gegenüber. Goffman spricht in diesem Zusammenhang von einem ökonomischen Zusammendrängen – „Auge in Auge“ –, das die Möglichkeit jedes Teilnehmers vergrößert wahrzunehmen, wie ihn der andere Teilnehmer „überwacht“.[33]

Von der Organisation ist vorgesehen, dass der vom Konferenzleiter etablierte Fokus bis zum offiziellen Ende des Meetings nahezu durchgängig gehalten wird. Im Meeting ist eine solche Organisationsregel zum Beispiel daran beobachtbar, dass auch nach Störungen und Pausen zum eigentlichen Thema oder zum gerade verlassenen Tagesordnungspunkt zurückzukehren versucht wird. Die Eigendynamik wiederum der Meetinginteraktion kann man unter anderem daran erkennen, dass dies nicht immer gelingt.

Eine weitere Strukturierungsleistung für das Meeting bietet die Organisation durch ihre Systemgrenze: Diese ist formal festgelegt und beruht auf der Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern der Organisation. Der Zugang zur Organisation erfolgt über erwerbbare und kündbare Mitgliedschaft mit bestimmten, an eine Stelle gekoppelten Verhaltensanforderungen. Interaktionen haben im Gegensatz zur Organisation keine formale, differenzierte Systemgrenze. In einer geselligen Zusammenkunft zum Beispiel können immer wieder neue Interaktionsteilnehmer dazustoßen oder gerade noch Beteiligte den Ort der Kommunikation verlassen. Des weiteren sind in solchen Runden zum Beispiel häufig Menschen zu beobachten, die dabeistehen, ohne dass ersichtlich wird, ob sie teilnehmen oder nicht. Die Grenzen einer solchen Interaktion sind also nicht klar definiert. In einer Mitarbeiterbesprechung ist hingegen organisatorisch geregelt, wer dazu gehört und wer nicht. Wer nicht hingeht, gefährdet unter Umständen sogar sein Mitgliedschaftsrecht.

Die an eine Stelle gekoppelten unterschiedlichen Erwartungen markieren außerdem die unterschiedliche Bedeutung der Anwesenheit bestimmter Teilnehmer im Meeting: Da dem Konferenzleiter die Aufgabe der Kontrolle und der Steuerung des Meetings zugeschrieben ist, bedeutet seine Abwesenheit wahrscheinlich das Ausfallen der Sitzung. Dagegen kann bei Verspätung oder Fehlen eines rangniedrigeren Mitglieds die Besprechung meist ohne ihn durchgeführt werden.

Im Gegensatz zu geselligen Interaktionen ist der Teilnehmerkreis in einem Meeting also weitgehend festgelegt und die Anwesenheit des Vorgesetzten ausschlaggebend.

Das regelmäßig anberaumte Meeting zu besuchen, gehört zur Mitgliedschaftspflicht, und schon deshalb sind solche Besprechungen aus der Perspektive der Organisation als formale Ereignisse zu bezeichnen. Nach Meier legt auch die Meetinginteraktion selbst eine formale Situationsdefinition nahe. Anders als in geselligen Runden liegt der gemeinsamen Arbeit eine Geschäftsordnung zugrunde, werden Anträge gestellt und Diskussionsbeiträge über Wortmeldungen angekündigt.[34]

[...]


[1] vgl. Kirkpatrick 1989, S. 23f., weitere Beispiele aus der Ratgeberliteratur: Hindle 2002, S. 17, Bischof/Bischof 2002, S. 9

[2] vgl. Reepesgaard 2003, http://www.cio.de/index.cfm?PageID=261&cat=det&maid=2055

[3] vgl. ohne Autorangabe 2002, http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/129484

[4] vgl. ohne Autorangabe 2003, http://www.cio.de/index.cfm?Pageid=281&cat=det&sic=1&maid=1933

[5] vgl. hierzu zum Beispiel die Studie von Laurie Graham: On the Line at Sabaru-Isuzu (1995). Als teilnehmende Beobachterin hat die Soziologin in einem Werk von Sabaru-Isuzu unter anderem die Bedeutung der Team-Metapher untersucht und dabei eine „Kultur der Kooperation durch egalitäre Symbole“(Graham, a.a.O., S. 106f.) festgestellt. Die durch die Teamarbeit suggerierte Gleichberechtigung hat Graham als Fiktion entlarvt: „Offene Forderungen nach höherer Bezahlung oder weniger Druck zur Produktivitätssteigerung wurden als mangelnde Kooperationsbereitschaft des Angestellten gewertet. Die Fiktionen der Teamarbeit sind also durch ihren oberflächlichen Inhalt, die Konzentration auf den Augenblick, ihre Vermeidung von Widerstand und die Ablenkung von Konflikten der Machtausübung ausgesprochen nützlich.“ (Sennett 1998, S. 155)

[6] Melzer 2003, S. 23

[7] s. zum Begriff der Konsensfiktion: Hahn et al. 1989, S. 41-62

[8] ebd., S. 52

[9] ebd., S. 46

[10] ebd., S. 53

[11] Dannerer 1999, S. 17f.

[12] vgl. Luhmann 1984, S. 88f.

[13] Merton 1967, S. 141

[14] Luhmann 1980b, S. 315f.

[15] Für die Erklärung der expressiven Orientierung im Meeting in der Detailanalyse wird besonders die bahnbrechende Analyse über Selbstdarstellung von Goffman: „Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag“ herangezogen. (1969)

[16] Im Folgenden wird Bezug auf die Begriffe der direkten und indirekten Kommunikation bei Kieserling genommen, s. Kieserling 1999, S. 147-178

[17] ebd., S. 158

[18] ebd., S. 165

[19] Im folgenden wird Bezug auf die Begriffe der formalen und informalen Rolle bei Luhmann genommen, s. Luhmann 1999, S. 283-295

[20] s. ebd., S. 59-73

[21] ebd., S. 287

[22] ebd., S. 284f.

[23] Schwartzman, 1989, S. 61f.

[24] In den allgemeinen Definitionen von Interaktion und Organisation folgen wir Niklas Luhmann, z.B. 1975, S. 9-51

[25] Reflexive Wahrnehmung ist hierfür der Fachausdruck, s. Kieserling 1999, S. 110-146

[26] vgl. ebd., S. 110; eine Ausnahme ist die Interaktion über das Telefon.

[27] Diese immer vorhandene Eigendynamik der Interaktion hat Erving Goffman in seinen Untersuchungen über Interaktionen in Gefängnissen und psychiatrischen Anstalten nachgewiesen. Dort kam er zu dem Ergebnis, dass Interaktionen auch in Kontexten starker Einschränkung durch die jeweilige Organisation – was eben besonders der Fall in Gefängnissen und psychiatrischen Anstalten ist – immer auch nach eigenen Regeln ablaufen, also nie vollständig fremdbestimmt durch die Organisation sein können. Goffman geht bei Interaktionen nicht wie Luhmann von selbstreferentiell geschlossenen Systemen aus, sieht aber Interaktionen – und das ist beiden Theoretikern gemeinsam – als Systeme sui generis an. Ein weiteres Beispiel, das die Wichtigkeit der Unterscheidung von Interaktion und Organisation sichtbar macht, liefern Joseph Bensman und Israel Gerver mit ihrer Untersuchung über die illegitime Benutzung von Gewindebohrern in einer Fabrik: s. Bensman/Gerver: Vergehen und Bestrafung in der Fabrik (1973). Hier wird deutlich, dass der Bruch eines organisationalen Gesetzes in der betriebsinternen Interaktion für die Organisation letztendlich funktional sein kann.

[28] Kieserling 1999, S. 360

[29] Luhmann 1975a, S. 15

[30] Atkinson et al. 1978, S. 138

[31] Sofsky/Paris 1994, S. 119

[32] vgl. Meier 1997, S. 270

[33] Goffman 1973b

[34] vgl. ebd., S. 271

Excerpt out of 87 pages

Details

Title
Konsensfiktion in Firmenmeetings - Das Spannungsfeld hierarchischer und egalitärer Erwartungsstrukturen in Arbeitsbesprechungen
College
LMU Munich
Grade
1,15
Author
Year
2004
Pages
87
Catalog Number
V93647
ISBN (eBook)
9783638071628
ISBN (Book)
9783638956048
File size
797 KB
Language
German
Keywords
Konsensfiktion, Firmenmeetings, Spannungsfeld, Erwartungsstrukturen, Arbeitsbesprechungen
Quote paper
Marianne Schröder (Author), 2004, Konsensfiktion in Firmenmeetings - Das Spannungsfeld hierarchischer und egalitärer Erwartungsstrukturen in Arbeitsbesprechungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93647

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