Integration von Elektroautos in die Stromwirtschaft. Entwicklung eines Smart-Charging- und Vehicle-to-Grid-Geschäftsmodells aus der Perspektive eines Automobilherstellers


Projektarbeit, 2020

155 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Kurzfassung

Abstract

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die deutsche Stromwirtschaft
2.1 Stromnetz und beteiligte Akteure
2.2 Grundlagen der Stromwirtschaft
2.2.1 Stabilisation der Netzfrequenz
2.2.2 Stromhandel
2.2.3 Preisbildung: Das Merit-Order-Modell
2.2.4 Börsenstrompreis und Lastgang
2.2.5 Strompreis der Letztverbraucher
2.2.6 Umlagen, Steuern und Abgaben für elektrische Speichersysteme und steu­erbare Verbrauchseinrichtungen
2.3 Regelleistung
2.3.1 Regelleistungsarten
2.3.2 Die Regularien des Regelleistungs- und Regelarbeitsmarktes
2.3.3 Die Abrechnung von Regelarbeit und Nachholeffekte
2.3.4 Pooling und virtuelle Kraftwerke
2.3.5 Wirtschaftliches Volumen des Regelleistungs- und Regelarbeitsmarktes
2.3.6 Der Ausgleichsenergiepreis
2.4 Weitere Systemdienstleistungen
2.4.1 Betriebsführung
2.4.2 Spannungshaltung
2.4.3 Versorgungswiederaufbau nach Störungen
2.4.4 Marktgrößen der weiteren Systemdienstleistungen
2.5 Herausforderungen der Energiewende
2.5.1 Entwicklung des deutschen Strommix
2.5.2 Gewährleistung der Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund der Ener­giewende

3 Technische Grundlagen der Elektromobilität und Marktentwicklung
3.1 Antriebstechnologien moderner Fahrzeuge
3.2 Laden von Elektroautos
3.2.1 Ladesystemtechnik
3.2.2 Vorgänge beim Laden
3.2.3 Ladestandards
3.3 Entwicklung des Marktes für Elektroautos
3.4 Anschaffungskosten und Total Costs of Ownership
3.5 Batteriekapazität und Reichweite
3.6 Ladeleistung
3.7 Öffentliche und private Ladeinfrastruktur
3.8 Nutzungsverhalten
3.9 Integration der Elektromobilität in das Stromnetz

4 Smart Charging und Vehicle-to-Grid
4.1 Smart Charging
4.2 Vehicle-to-Grid
4.3 Energieverluste durch Smart Charging und Vehicle-to-Grid
4.4 Auswirkung von Smart Charging und Vehicle-to-Grid auf die Lebensdauer der Batterie
4.5 Einsatzmöglichkeiten von Smart Charging und Vehicle-to-Grid
4.5.1 Lastverschiebung und Energieeinspeisung mit Stromnetzkopplung
4.5.2 Lastverschiebung und Energieeinspeisung mit Kopplung an ein Gebäude­Energiesystem
4.5.3 Angebot von Regelleistung
4.5.4 Bilanzkreismanagement
4.5.5 Erweiterte Systemdienstleistungen
4.5.6 Zusammenfassung der Erlösmöglichkeiten
4.6 Praktische und regulatorische Betrachtungen zum Einsatz von Smart Charging und Vehicle-to-Grid
4.6.1 Gewährleistung der Mobilitätsbedürfnisse
4.6.2 Laden und Entladen per AC oder DC
4.6.3 Teilnahme am Regelleistungsmarkt
4.6.4 Fahrzeuge als steuerbare Verbrauchseinheit
4.7 Die Bedeutung der Flottengröße
4.8 Smart Charging am Beispiel von Jedlix
4.9 Vehicle-to-Grid-Projektbeispiele

5 Entwicklung eines Smart-Charging- und Vehicle-to-Grid-Geschäftsmodells
5.1 Auswahl der Unternehmensbranche
5.1.1 Festlegung der Schlüsselkriterien
5.1.2 Qualitative Bewertung der Unternehmensbranchen
5.1.3 Ergebnis der Nutzwertanalyse
5.2 Initiierung: Umfeld analysieren
5.2.1 Wer?: Kunden
5.2.2 Was?: Nutzenversprechen
5.2.3 Wie?: Wertschöpfung
5.2.4 Wert?: Ertragsmodell
5.3 Ideenfindung: Muster adaptieren
5.3.1 7 Cross Selling
5.3.2 25 Leverage Customer Data
5.3.3 41 Revenue Sharing
5.3.4 52 Two-Sided/Multi-Sided Market
5.4 Integration: Geschäftsmodell ausgestalten anhand des Business Model Canvas
5.4.1 Kundensegmente
5.4.2 Nutzenversprechen
5.4.3 Kanäle
5.4.4 Kundenbeziehungen
5.4.5 Einnahmequellen
5.4.6 Schlüsselressourcen
5.4.7 Schlüsselaktivitäten
5.4.8 Schlüsselpartner
5.4.9 Kostenstruktur

6 Abschließende Betrachtungen
6.1 Zusammenfassung
6.2 Diskussion
6.3 Politische Handlungsempfehlungen

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Kurzfassung

Durch die Energiewende werden Windkraft und Photovoltaik künftig die größten Anteile am Strommix aufweisen. Ihre Einspeiseleistung fluktuiert in Abhängigkeit vom Wetter und von der Uhrzeit. In der Folge müssen zunehmend der Lastgang von Verbrauchern der verfügbaren Ener­giemenge angepasst und Strom zwischengespeichert werden.

Parallel dazu lassen politische Zielsetzungen und Regulierungen sowie das hohe Wachstum der Zulassungszahlen die sukzessive Marktdiffusion von Elektroautos erwarten. Mit dem wachsenden Bestand an Elektroautos steigt ihr Anteil am Stromverbrauch und an der Netzlast. Studien pro­gnostizieren Netzengpässe im Verteilnetz, wenn zu viele Elektroautos, dem Mobilitätsverhalten ihrer Nutzer folgend, gleichzeitig laden.

Smart Charging und Vehicle-to-Grid können für beide Probleme Teil der Lösung sein. Durch eine intelligente Steuerung der Ladevorgänge kann der Strombezug von Elektroautos an die ver­fügbare Einspeiseleistung und Netzkapazität angepasst werden. Vehicle-to-Grid setzt die Fahr­zeugbatterien als Zwischenspeicher zum Ausgleich der Einspeisefluktuationen ein.

In dieser Arbeit wird ein Geschäftsmodell entwickelt, in dem ein Automobilhersteller im deut­schen Markt seinen Kunden Smart Charging und Vehicle-to-Grid anbietet.

Nach einer Einführung in die Stromwirtschaft werden die Systemdienstleistungen, mit einem Fokus auf den Regelleistungsmarkt, als mögliche Erlösquelle analysiert. Eine Datenanalyse be­stimmt die gängigen Marktpreise für Regelleistung, Regelarbeit und Ausgleichsenergie. Es wer­den die Folgen der Energiewende verdeutlicht. Eine Projektion des künftigen Strommix auf die Einspeisekurve weist im Zeitverlauf nennenswerte Diskrepanzen zum Lastgang auf.

Ein Überblick zum Entwicklungsstatus der Elektromobilität zeigt deutliche Fortschritte bei den Batteriekosten und -größen, der Ladeleistung und -infrastruktur sowie den Gesamtbetriebsko­sten. Eine Literaturrecherche ergibt, dass die Verbreitung der Elektromobilität ohne die Ver­wendung von Ladekonzepten zu Investitionskosten im zweistelligen Milliardenbereich für die Verteilnetze führen kann.

Die Erbringung von negativer Sekundärregelleistung und das netzdienliche Laden werden als ökonomisch besonders attraktive Einsatzmöglichkeiten für Smart Charging bewertet. Die Kopp­lung der Ladevorgänge an eine Photovoltaik-Anlage und die Verwendung des Fahrzeuges als Zwi­schenspeicher weisen ebenfalls ein signifikantes Erlöspotenzial auf. Betrachtungen der rechtlichen Lage und regulatorischer Anforderungen zeigen, dass staatliche Abgaben auf den Stromhandel und die Präqualifikationsbedingungen für den Regelleistungsmarkt Hürden für das Geschäfts­modell darstellen.

Die Geschäftsmodellentwicklung orientiert sich am St. Galler Business Model Navigator. Die Umfeldanalyse verdeutlicht hohe finanzielle Risiken für Automobilhersteller durch die Verfeh­lung von CO2-Flottenzielen in der EU. Das entwickelte Geschäftsmodell dient der Förderung des Elektroautoabsatzes zur Verminderung der Strafzahlungen. Es basiert auf einer Multi-Sided Platform, über die ein Automobilhersteller die Ladevorgänge der eigenen Kunden aggregiert steuert und die Ladeflexibilität an einen Stromanbieter sowie die Übertragungs- und Verteil­netzbetreiber vermarktet. Die teilnehmenden Kunden werden per Revenue Sharing entlohnt. Eine Simulation auf Basis realer Börsenstrom- und Regelleistungsmarktdaten schätzt die Erlöse auf jährlich 200 € pro Nutzer.

Zur Schaffung von Leitmarktbedingungen wird politischen Entscheidungsträgern empfohlen Bar­rieren für den Ausbau der privaten Ladeinfrastruktur zu beseitigen sowie Anpassungen an den Präqualifikationsbedingungen für den Regelleistungsmarkt und an § 14a Energiewirtschaftsge­setz vorzunehmen.

Abstract

As a result of the Energiewende, wind power and photovoltaics will in future account for the largest shares of the German electricity mix. Their generation power fluctuates depending on the weather and the time of day. As a result, the load profile of consumers increasingly needs to be adapted to the available power and electric energy has to be stored temporarily. At the same time, political objectives and regulations, as well as the high growth in registration numbers, lead one to expect the successive market diffusion of electric cars. As the number of electric vehicles grows, their share of electricity demand and grid load will increase. Studies predict transmission bottlenecks in the distribution grid if too many electric cars, following the mobility behaviour of their users, charge simultaneously.

Smart Charging and Vehicle-to-Grid can be part of the solution to both problems. By intel­ligently controlling the charging processes, the electricity consumption of electric vehicles can be adapted to the available power and grid transmission capacity. Vehicle-to-grid uses vehicle batteries as a buffer to compensate for fluctuations in feed-in power.

In this thesis, a business model is developed that can be used by an automobile manufacturer to offer its customers Smart Charging and Vehicle-to-Grid in the German market.

After an introduction to the electricity industry, the grid services are analysed as possible sources of revenue, with a focus on the operating reserve market. A data analysis determines the current market prices for operating reserve power, operating reserve energy and compensation energy. The consequences of the German Energiewende are illustrated. A Projection of the future elec­tricity mix onto the typical feed-in power curve indicates significant discrepancies to the load curve over time.

An overview of the development status of electromobility shows significant progress in terms of battery costs and capacity, charging power and infrastructure, as well as total operating costs. On the other hand, studies conclude that the spread of electromobility without the use of charging concepts can lead to investment costs in the double-digit billion range for distribution networks. The provision of negative secondary operating reserve and charging appropriate to the grid congestion are considered to be economically particularly attractive applications for Smart Charging. Coupling the charging processes to a photovoltaic system and using the vehicle as temporary energy storage also offer significant revenue potential. Considerations of the legal situation and regulatory requirements show that government levies on electricity trading and the pre-qualification conditions for the control reserve market represent barriers for the business model.

The business model development is based on the St. Gallen Business Model Navigator. The environmental analysis highlights high financial risks for car manufacturers due to the failure to meet CO2 fleet targets in the EU. The developed business model serves to promote the sale of electric cars to reduce the penalties. It is based on a multi-sided platform through which a car manufacturer manages the charging processes of its customers in an aggregated manner and markets the charging flexibility to an electricity supplier and the transmission and distri­bution network operators. The participating customers are remunerated via revenue sharing. A simulation-based on real stock exchange electricity and control reserve market data estimates the revenues at € 200 per user per year.

To create lead market conditions, political decision-makers are recommended to remove barriers to the expansion of private charging infrastructure, to make adjustments to the pre-qualification conditions for the balancing power market and to section 14a of the Energiewirtschaftsgesetz.

1 Einleitung

Die deutsche Politik hat sich ambitionierte Ziele gesetzt. Im „Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050“ formuliert sie das Ziel der Treib­hausgasneutralität bis zum Jahr 2050 (Deutsche Bundesregierung, 2019a, S. 7). Die Stromwirt­schaft ist der Sektor mit den höchsten Treibhausgasemissionen. Auf sie entfielen 2018 41 % des deutschen Treibhausgasausstoßes (Umweltbundesamt, 2020a; Umweltbundesamt, 2020b). Ent­sprechend stark steht sie im Fokus politischer Klimaschutzmaßnahmen. Der Anteil der erneuer­baren Energien an der Bruttostromproduktion lag 2019 bei 40% (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., 2020). Innerhalb der nächsten zehn Jahre, bis 2030, soll der Wert auf 65 % steigen (Deutsche Bundesregierung, 2019a, S. 8).

In der Vergangenheit haben Kohle-, Kern- und Gaskraftwerke den deutschen Strombedarf ge­deckt. Die eingespeiste Energiemenge richtete sich nach dem zeitlichen Bedarf. In Zukunft wer­den hauptsächlich Windkraft und Photovoltaik den Strom produzieren. Die Einspeiseleistung von Windrädern ist von der Wetterlage abhängig, die von Photovoltaik-Anlagen zusätzlich von der Uhrzeit. Die Stromproduktion unterliegt zunehmend Fluktuationen. Um die Stabilität des Stromsystems sicherzustellen, muss die entnommene Strommenge stets der eingespeisten glei­chen. Die dynamische Anpassung des Stromverbrauchs an die fluktuierende Stromproduktion und die Zwischenspeicherung des Stromes sind zwei bedeutende Elemente zur zukünftigen Ge­währleistung der Versorgungssicherheit im Zuge der Energiewende.

Nach der Stromwirtschaft ist der Verkehrssektor der zweite größte Emittent von Treibhausgasen. Sein Anteil lag 2018 bei 23% (Umweltbundesamt, 2020b). Regulatorische Vorgaben und verän­derte Kundenbedürfnisse üben einen Druck auf Automobilhersteller aus vermehrt Elektroautos anzubieten. Hersteller, die nicht schnell genug ihr Produktportfolio elektrifizieren, müssen mit hohen Strafzahlungen und sinkenden Marktanteilen rechnen. In der Folge wurden Entwicklungs­anstrengungen intensiviert und die Modellvielfalt erhöht. Fortschritte in der Batterietechnik und steigende Absatzzahlen haben zu wesentlichen Kostenreduktionen geführt. Staatliche Subven­tionen, sinkende Preise, technische Verbesserungen und die höhere Modellvielfalt resultieren in einem hohen Wachstum der Zulassungszahlen. Die Ziele des Klimaschutzprogramms 2030 sehen sieben bis zehn Mio. zugelassene Elektroautos vor. Ende 2019 betrug der Bestand rund 760.000 Fahrzeuge. (Kraftfahrtbundesamt, 2019a; Kraftfahrtbundesamt, 2020a).

Auf Elektroautos wird künftig ein signifikanter Anteil des Strombedarfes entfallen. Bisher rich­tet sich der Strombedarf der Fahrzeuge zeitlich nach dem Mobilitätsverhalten der Bevölkerung. Der größte Teil des Stromes wird in den frühen Abendstunden geladen, einem Zeitraum, in dem das Stromnetz ohnehin stark belastet ist. Studien gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren Investitionen im zweistelligen Milliardenbereich notwendig sind, um die Verteilnetze für die zusätzliche Belastung auszubauen.

Smart Charging und Vehicle-to-Grid sind zwei Konzepte die Elektroautos zur Stabilisierung der Stromnetze verwenden. Im Durchschnitt parken Autos rund 95 % der Zeit. Mit genügend Ladepunkten können die Ladezeitpunkte der Fahrzeuge flexibel gewählt werden. Durch Smart Charging, einer intelligenten Steuerung der Ladevorgänge, kann der Stromverbrauch der Elektro­autos dann erhöht werden, wenn die Einspeiseleistung der fluktuierenden erneuerbaren Energie gerade hoch ist und reduziert werden, wenn nicht genügend Energie eingespeist wird oder die Netze zu überlasten drohen.

Batteriekapazitäten zwischen 40 kWh und 90 kWh stellen für moderne batterieelektrische Fahr­zeuge keine Seltenheit dar. Die hohe Anzahl an Elektroautos führt zu einem enormen Strom­speicherpotenzial. Vehicle-to-Grid erweitert die intelligente Ladesteuerung durch die Nutzung 1 Einleitung der Fähigkeit von Elektroautos Strom zwischenzuspeichern. Das Konzept sieht vor die Fahr­zeugbatterien zu laden, wenn die Einspeiseleistung hoch ist und ein Stromüberschuss besteht. Unterschreitet die Stromerzeugung den Strombedarf, speisen die Fahrzeugbatterien den Strom in das Netz zurück und gleichen die Differenz aus.

Beide Konzepte sind keine Neuheit. Durch den erwartbar schnell ansteigenden Bestand an Elektroautos in den kommenden Jahren erhalten sie jetzt Relevanz. Folgerichtig ist das For­schungsinteresse an beiden Konzepten in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Vor wenigen Jahren haben die ersten kommerziellen Unternehmungen begonnen Smart-Charging-Services zu etablieren. Bisher konnten sie aber nur kleinere Nutzergruppen für sich gewinnen. Vehicle-to- Grid-Anwendungen befinden sich noch in der Pilotphase.

Das Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung eines Geschäftsmodells für den Einsatz von Smart Charging und Vehicle-to-Grid. Es werden Automobilhersteller als für die kommerzielle Umset­zung der Konzepte als besonders geeignet bewertet. Die Ausgestaltung des Geschäftsmodells erfolgt daher aus der Perspektive dieses Branchentyps. Das Geschäftsmodell basiert auf den Mechanismen der Stromwirtschaft, dem aktuellen Stand der technischen und ökonomischen Ei­genschaften von Elektroautos sowie ihrer Markt- und Ladeinfrastrukturentwicklung. Die Ge­schäftsmodellentwicklung folgt dem Vorgehen des St. Galler Business Model Navigators. Das Geschäftsmodell wurde anhand der Kategorien des Business Model Canvas ausgestaltet.

Diese Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel. Nach dieser Einleitung wird in Kapitel 2 die deutsche Stromwirtschaft betrachtet. Es werden die Funktionsweise des Stromnetzes, des Stromhandels und die Aufgaben der beteiligten Akteure erklärt. Es folgt die Analyse des Regelleistungsmarktes und weiterer Systemdienstleistungen als potenzielle Märkte für Erlöse im Rahmen des Geschäfts­modells. Das Kapitel schließt mit Erläuterungen zu den Auswirkungen der Energiewende auf das Stromnetz und die Stromwirtschaft.

Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Elektromobilität. Zunächst wird die Funktionsweise eines Ladesystems erläutert. Es folgt ein Überblick zu den aktuellen Marktentwicklungen, den öko­nomischen und technischen Eigenschaften sowie zum Fortschritt beim Ausbau der Ladeinfra­struktur. Das Kapitel gibt wichtige Einblicke in das Nutzungsverhalten von Elektroautofahrern. Es wird mit einer Analyse der Auswirkungen der Elektromobilität auf das Stromnetz geschlossen.

Das folgende Kapitel 4 erklärt die Konzepte Smart Charging und Vehicle-to-Grid genauer. Es erläutert die wichtigsten Einsatzmöglichkeiten und bewertet ihre ökonomische Attraktivität. Es schließen sich praxisorientierte, regulatorische und statistische Betrachtungen zu den Anwen­dungen der Konzepte an.

In Kapitel 5 wird das Geschäftsmodell entwickelt. Zunächst werden verschiedene Branchen hin­sichtlich ihrer Eignung für die kommerzielle Umsetzung der Konzepte bewertet. Dem Vorgehen des St. Galler Business Model Navigators folgend wird anschließend das bisherige Geschäfts­modell von Automobilherstellern untersucht. Es werden Trends, regulatorische Änderungen und Risiken beschrieben. Von den Mustergeschäftsmodellen werden vier ausgewählt, auf Basis derer das Geschäftsmodell anschließend nach den neun Kategorien des Business Model Canvas für einen Einsatz im deutschen Markt ausgestaltet wird.

In den abschließenden Betrachtungen in Kapitel 6 werden die Ergebnisse dieser Arbeit zusam­mengefasst. Es werden Limitationen, die Übertragbarkeit des entwickelten Geschäftsmodells und seine Einordnung in das bisherige Geschäftsmodell von Automobilherstellern diskutiert. Diese Arbeit endet mit politischen Handlungsempfehlungen.

2 Die deutsche Stromwirtschaft

Durch die koordinierte Interaktion mit der Stromwirtschaft kann aus dem Laden und Entladen von Elektroautos ein wertschöpfender Prozess entstehen. In diesem Kapitel werden die Grund­lagen für diese Interaktion behandelt. Es werden das deutsche Stromnetz, der Stromhandel und die interagierenden Akteure erklärt. Die Erbringung von Regelleistung und weiterer System­dienstleistungen gehören zu den wesentlichen Einsatzmöglichkeiten von Smart Charging und Vehicle-to-Grid. Um das Geschäftsmodell auf Basis der gültigen Marktregularien zu entwickeln und das ökonomische Potenzial der Einsatzmöglichkeiten abschätzen zu können, werden die Me­chanismen des Einsatzes der Systemdienstleistungen und ihr finanzielles Volumen untersucht. Schließlich werden die Folgen der Energiewende auf die Stromwirtschaft verdeutlicht.

2.1 Stromnetz und beteiligte Akteure

Stromnetze dienen der Übertragung von elektrischem Strom von den Erzeugern zu den Ver­brauchern. Bei der Leitung von elektrischen Strömen geht ein Teil der Energie als Abwärme verloren. Für den Stromtransport eignen sich aufgrund der geringeren Verluste hohe Spannun­gen (Rolli, 2011, S. 25). Die meisten Verbraucher benötigen geringe Spannungen. Daher besteht das deutsche Verbundnetz aus mehreren Ebenen; insgesamt vier Spannungsebenen und drei Um­spannebenen, an denen verschiedene Akteure wirken. Abbildung 2.1 stellt die Stromnetzebenen und die Teilhabe der wichtigsten Akteure schematisch dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.1: Die Netzebenen des europäischen Verbundnetzes. Abbildung in Anlehnung an Konstantin (2017, S. 315).

Das Stromnetz der obersten Spannungsebene wird auch Übertragungsnetz genannt. Es gewähr­leistet den überregionalen Transport von Strömen mit den Höchstspannungen (HöS) 380 kV und 220 kV. Auf dieser Ebene ist das deutsche Stromnetz über Grenzkuppelstellen mit den Netzen der Nachbarländer verbunden, sodass das deutsche Stromnetz in das kontinentaleuropäische Ver­bundnetz eingebettet ist. Für die Bewirtschaftung der HöS-Ebenen sind die Übertragungsnetzbe­treiber (ÜNB) verantwortlich. Das deutsche Übertragungsnetz ist in vier Regelzonen aufgeteilt, die von jeweils einem der vier ÜNBs Amprion, TenneT, 50Hertz und TransnetBW als natür­liches Monopol betrieben werden. Für die Hochspannungs- (HS), Mittelspannungs- (MS) und Niederspannungsebenen (NS) sind Verteilnetzbetreiber (VNB) verantwortlich, deren Stromnet­ze ebenso ein regionales Monopol darstellen. Ende 2018 waren 890 VNBs in Deutschland aktiv (Bundesnetzagentur, 2019b, S. 36).

Aufgabe der Netzbetreiber ist gemäß § 11 Abs. 1 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) „ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz diskriminierungsfrei zu betreiben, zu warten und bedarfsgerecht zu optimieren, zu verstärken und auszubauen, soweit es wirtschaft­lich zumutbar ist“. Neben der Übertragung und der Verteilung von Strom sind sie für vier Arten von Systemdienstleistungen verantwortlich, die einer hohen Stromversorgungsqualität dienen: Frequenzhaltung, Spannungshaltung, Betriebsführung und Versorgungswiederaufbau nach Stö­rungen. Die Frequenzhaltung liegt vollständig in der Hand der ÜNBs. Sie gleichen Differenzen zwischen Energiebedarf und Einspeisung durch Regelleistung aus (Konstantin, 2017, S. 332). Der Einsatz von Regelleistung folgt komplexen Marktmechanismen. Sektion 2.3 beschreibt wie Regelleistung erbracht und gehandelt wird. Die anderen drei Systemdienstleistungen werden von allen Netzbetreibern verantwortet. Sie werden zusammengefasst in Sektion 2.4 behandelt. Die Kosten für den Netzbetrieb, -ausbau und die Systemdienstleistungen decken die Netzbetreiber über Netznutzungsentgelte (NNE) (Rolli, 2011, S. 27).

Die verschiedenen Erzeuger speisen je nach ihrer verfügbaren Leistung den erzeugten elektrischen Strom in eine der Spannungsebenen ein. Maschinentransformatoren passen die elektrische Span­nung des eingespeisten Stroms auf das Niveau der Spannungsebene an. Tabelle 2.1 ordnet Erzeu­gertypen eine typische Spannungsebene zu. Je höher die Erzeugungsleistung eines Kraftwerkes, desto höher ist die elektrische Spannung der Stromnetzebene, in die das Kraftwerk die erzeugte Leistung einspeist. Während ein leistungsstarkes 600 kW-Kohlekraftwerke Strom in der Regel in das 380 kV- oder 220 kV-Übertragungsnetz einspeist, sind private 10 kW-Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) an das 400 V-Niederspannungsnetz angebunden.

Auch bei den Verbrauchern ist der Leistungsbedarf für den Netzanschluss entscheidend. Stromin Erzeuger Verbraucher/Speicher tensive Stahlwerke werden über das HöS- oder HoS-Netz mit Energie versorgt, private Haushal­te über das 400 V-Ortsnetz. Über Ortsnetztransformator wurden rund 120 Haushalte versorgt (Friedl et al., 2018, S. 6). Die Vermarktung der Elektrizität von den Erzeugern an die Ver­braucher nehmen Lieferanten vor, die häufig als Energieversorgungsunternehmen (EVU) selbst Eigentümer von Kraftwerken sind, als Wasser- und Gaslieferant auftreten und zum Teil Tele­kommunikationsprodukte anbieten.

Tabelle 2.1: Anbindung der Akteure. Tabelle in Anlehnung an Zapf (2017, S. 30) und Fuchs et al. (2012, S. 59ff.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2 Grundlagen der Stromwirtschaft

2.2.1 Stabilisation der Netzfrequenz

Der Netzfrequenzzielwert des kontinentaleuropäischen Verbundnetzes beträgt 50 Hz. Abweichun­gen um ± 200 mHz wurden als tolerierbar vereinbart (Zapf, 2017, S. 45). Die Netzfrequenz ist auf allen Spannungsebenen im gesamten Verbundnetz identisch. Wird mehr Leistung von den Verbrauchern nachgefragt als durch die Erzeuger bereitgestellt wird, sinkt die Netzfrequenz. Übersteigt die eingespeiste Leistung hingegen die nachgefragte, so steigt die Netzfrequenz an. Abweichungen von der Netzfrequenz können zu Schäden an der Netzinfrastruktur, Erzeugern und Verbrauchern führen (Rolli, 2011, S. 30). Um die Netzfrequenz konstant bei 50 Hz zu halten, muss die erwartete Leistungsnachfrage prognostiziert werden und ihr eine entsprechende Erzeu­gung gegenübergestellt werden. Gemäß § 4 Abs. 1 Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV) sind alle Stromnetznutzer daher dazu verpflichtet Bilanzkreise zu bilden. Ein Bilanzkreis fasst die Stromeinspeisungen und -entnahmen bzw. -verkäufe eines oder mehrerer Netznutzer innerhalb einer Regelzone zusammen. Bilanzkreise dürfen nicht regelzonenübergreifend gebildet werden. Die Bilanzkreisverantwortlichen (BKV) sind verpflichtet dem ÜNB ihrer Regelzone ihre Fahr­pläne einen Tag im Voraus vorzulegen, die auf viertelstündiger Basis angeben, welcher Erzeuger wie viel Strom einspeist, an welchem Netzanschlusspunkt wie viel Strom entnommen wird und welche Stromaustauschgeschäfte mit anderen Bilanzkreisen vorgenommen werden (Zapf, 2017, S. 55). Damit es nicht zu Differenzen zwischen eingespeister und nachgefragter Leistung im Stromnetz kommt, muss jeder Fahrplan zu jeder Zeit ausgeglichen sein. D. h. innerhalb jedes Bi­lanzkreises muss so viel Leistung erzeugt bzw. von anderen Bilanzkreisen eingekauft werden, wie verbraucht bzw. an andere Bilanzkreise verkauft wird (Rolli, 2011, S. 24; §§ 4 und 5 StromNZV).

Fahrpläne sind Prognosen. Die tatsächlichen Leistungsumsätze können aus verschiedenen Grün­den von der Planung abweichen. Erzeuger können ausfallen oder eine andere Leistung zur Verfü­gung stellen als angenommen, z. B. weil die prognostizierte Leistung eines Windkraftparks den Ungenauigkeiten der Windvorhersage unterliegt. Außerdem kann es zu Abweichungen bei der Bedarfsprognose kommen, zum Beispiel wenn große elektrische Lasten ungeplant zu- oder abge­schaltet werden oder die Grundlast falsch eingeschätzt wurde (Rolli, 2011, S. 29). Die Fahrpla­nabweichungen der Bilanzkreise gleichen sich zum Teil gegenseitig aus. Darüber hinausgehende Differenzen müssen aktiv durch Regelleistung ausgeglichen werden (siehe Sektion 2.3).

2.2.2 Stromhandel

Auf dem Großhandelsmarkt beschaffen sich EVUs Strom, den sie am Letztverbrauchermarkt an ihre Kunden verkaufen. Um einen möglichst akkuraten Fahrplan aufstellen zu können, progno­stizieren die Stromanbieter den Verbrauch eines jeden Kunden und erwerben die entsprechende Menge am Großhandelsmarkt. Bei Verbrauchern mit mehr als 100 MWh pro Jahr können EVUs den Stromverbrauch über einen Viertelstunden-Lastgangzähler aus der Ferne auslesen. Für Kun­den mit einem Verbrauch kleiner als 100 MWh pro Jahr werden Standardlastprofile verwendet. Standardlastprofile basieren auf historischen Daten und berücksichtigen die Charakteristiken der Kundengruppe, den Wochentag und die Jahreszeit. Die Verbrauchsprognose erfolgt auf Basis der Profile unter Berücksichtigung von Wetterprognosen und sonstigen Ereignissen (Konstantin, 2017, S. 333f.; Zapf, 2017, S. 123).

Zukünftig sollen auch die Zähler von Kleinverbrauchern digitalisiert werden. Das im Januar 2017 in Kraft getretene Messstellenbetriebsgesetz schreibt vor, dass in Haushalten nur noch elektronische Stromzähler eingebaut werden dürfen. De facto erfolgte die Einbaupflicht aber erst mit der Markterklärung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik zum 24.02.2020. Neubauten mit einem Verbrauch unter 6.000kWh jährlich erhalten einen digitalen Zähler, der nach Entscheidung des zuständigen Messstellenbetreibers optional per Kommuni­kationsmodul Daten an EVU und VNB übermitteln kann. Für Haushalte, die entweder über dem Grenzwert liegen, eine Stromerzeugungsanlage mit mehr als 7 kW oder eine steuerbare Ver­brauchseinrichtung besitzen (z. B. Wärmepumpe oder Nachtspeicherheizung) sind solche Smart Meter verpflichtend. Gemäß dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende müssen bis 2032 alle bestehenden Stromzähler ausgetauscht werden (Verbraucherzentrale, 2020).

EVUs stehen zwei Plattformen des Großhandelsmarktes zur Verfügung auf dem sie ihren progno­stizierten Strombedarf durch Angebote von Erzeugern decken können: der Over-The-Counter- Markt (OTC) und die Strombörse European Energy Exchange (EEX). Im bilateralen OTC- Markt verhandeln die Anbieter und Käufer Vertragsdetails individuell und flexibel. An der EEX werden Standardprodukte gehandelt. Beide Handelsplattformen bieten Termin- und Spotmärk­te. Der Spotmarkt eignet sich für kurzfristige Handelsgeschäfte und gliedert sich in Day-Ahead- und Intraday-Markt. Am Terminmarkt werden Verträge mindestens eine Woche im Voraus der Erfüllung oft über Monate bis Jahre abgeschlossen (Würfel, 2017, S. 207ff.). Abbildung 2.2 zeigt beispielhaft den tatsächlichen Strombedarf der Kunden eines Lieferanten und mit welchen ver­schiedenen Produkten vom Großhandelsmarkt der Bedarf über einen Tag gedeckt werden könnte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.2: Bilanzkreismanagement durch den Einkauf verschiedener Stromprodukte. In An­lehnung an Konstantin (2017, S. 456).

Anhand der Abbildung wird deutlich, dass der Strombedarf im Verlaufe eines Tages je nach Zusammensetzung seiner Kunden variiert. Für das EVU ist es nicht möglich ist, den realen Strombedarf seiner Kunden genau zu decken. Auch nachdem er seinen Fahrplan einen Tag im Voraus an den ÜNB gemeldet hat, kann er Werte im Fahrplan noch bis zu einer Dreiviertelstun­de vor Eintritt zur Beseitigung von kurzfristigen Prognosefehlern im Intraday-Handel ändern. Diese kurzfristigen Änderungen müssen vom ÜNB genehmigt werden (Rolli, 2011, S. 48).

Fahrplanabweichungen, die sich nicht durch kurzfristiges Handeln am Intraday-Markt vermeiden ließen, können BKV noch am Anschlusstag am Day-After-Markt rückwirkend bereinigen. Zwei Bilanzkreise einer Regelzone, deren Abweichungen von ihren Fahrplänen zu einem bestimmten Zeitpunkt entgegengesetzte Vorzeichen aufweisen, können Ausgleichsenergie handeln, um bu­chungstechnisch ihre Bilanzen auszugleichen.

Die Schnelligkeit der Leistungsregelung unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Kraft­werksarten. Grundlastkraftwerke weisen Kostenvorteile auf, benötigen aber teilweise mehrere Stunden bis sie die gewünschte Leistung zur Verfügung stellen. Mittel- und Spitzenlastkraftwer­ke sind entsprechend flexibler und teurer. Da die EVUs für jede Viertelstunde einen Strombedarf errechnen, werden unterschiedliche Produkte eingesetzt, für die jeweils andere Kraftwerkstypen zum Einsatz kommen (Rolli, 2011, S. 38).

2.2.3 Preisbildung: Das Merit-Order-Modell

Die Preisbildung am Strommarkt basiert auf marktwirtschaftlichen Prinzipien. Das Merit-Order­Modell beschriebt die Preisentstehung am Großhandelsmarkt. Es ist keine gesetzliche Festlegung, sondern eine theoretische Beschreibung der Marktmechanismen.

Die Spitzenlast beträgt in Deutschland etwa 77 GW. Ihr gegenüber stehen 216 GW installierter Leistung (50Hertz et al., 2017, S. 34). Da die verfügbare Leistung von Windkrafträdern, PV- Anlagen und Wasserkraftanlagen maßgeblich vom Wetter abhängig ist und Kraftwerke gewartet werden müssen, steht nie die vollständige Leistung zur Verfügung. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, übersteigt die tatsächlich verfügbare Maximalleistung stets den Bedarf, sodass die Erzeuger am Großhandelsmarkt um den Absatz ihres Stromes konkurrieren.

Die Merit Order beschreibt die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke. Für bestehende Kraftwer­ke mit sehr geringen Grenzkosten ist es bei positiven Strompreisen am Großhandelsmarkt stets sinnvoll die eigene maximale Leistung am Markt anzubieten. Für den Betreiber eines Solarparks verursacht die Erzeugung einer zusätzlichen Megawattstunde Strom durch eine höhere Sonnen­einstrahlung keine nennenswerten Mehrkosten. Die Kostenstruktur regenerativer Kraftwerke, von Biogas- und Biomasseanlagen abgesehen, ergibt sich in erster Linie aus Investitionskosten und Wartungskosten, wobei die Wartungskosten nur zum Teil (z. B. Verschleiß von Windrä­dern durch Betrieb) von der produzierten Strommenge abhängen. Erzeuger mit den niedrigsten Grenzkosten stehen in der Merit-Order-Liste (MOL) ganz zu Beginn. Konventionelle Kraftwerke weisen höhere Grenzkosten auf. Für die Erzeugung einer zusätzlichen Megawattstunde Kohle­strom wird entsprechend mehr Brennstoff benötigt. Übersteigt der Kohlepreis den Verkaufspreis pro Megawattstunde, ist die Erzeugung unwirtschaftlich. Kraftwerke mit hohen Grenzkosten stehen in der Einsatzreihenfolge hinten (Würfel, 2017, S. 216ff.; Next Kraftwerke, 2019a).

Ist Strom aus Windkraft und PV-Anlagen verfügbar, werden die Kraftwerke mit den höchsten Grenzkosten aus dem Markt gedrängt, obwohl deren Stromentstehungskosten, unter Berücksich­tigung der Kapital-, Betriebs- und Brennstoffkosten, zum Teil niedriger sind, als die von PV und Windkraft (Kost et al., 2018, S. 2, siehe Abbildung 6.1 im Anhang). Dieser Marktmechanismus drängt insbesondere Gaskraftwerke aus dem Markt, die wegen der hohen deutschen Gaspreise hohe Grenzkosten aufweisen. Gleichzeitig werden Gaskraftwerke wegen ihrer schnellen Regel­barkeit zum Ausgleich von Einspeisefluktuationen von Windkraft und Photovoltaik benötigt (Würfel, 2017, S. 221).

Gemäß dem Merit-Order-Modell ergibt sich der Preis für alle Erzeuger aus den Grenzkosten des Grenzkraftwerks, das gerade noch zur Deckung des Strombedarfs benötigt wird. Alle in der Reihenfolge davor stehen Erzeuger erhalten die Grenzkosten des Grenzkraftwerks als Preis. Hinter dem Grenzkraftwerk stehende Erzeuger können ihren Strom nicht vermarkten und müs­sen ihre Produktion einstellen bis der Preis die Grenzkosten übersteigt, weil beispielsweise die Angebotsmenge durch abflauenden Wind sinkt.

2.2.4 Börsenstrompreis und Lastgang

Im Folgenden wird der Börsenstrompreis im Zusammenhang mit der elektrischen Last im Jahre 2019 analysiert. Die Daten wurden aus einem Datensatz von Burger (2019) extrahiert. Er enthält die stündlichen Werte des Day-Ahead- und Intraday-Börsenstrompreises und viertelstündliche Werte zur Last und Einspeisung, letzteres aufgeteilt nach Erzeugertypen. Der Datensatz wird auf www.energy-charts.de visualisiert dargestellt.

Der Börsenstrompreis ist transparent, die Preise im OTC-Geschäft hingegen nicht. Dennoch wird davon ausgegangen, dass die Preise sich auf beiden Märkten ähneln (Rolli, 2011, S. 39f.). Auch zwischen den Plattformen der Börse sind keine großen Preisdifferenzen auszumachen. Ge­mäß dem vorliegenden Börsenstromdatensatz, lag der Last-gewichtete durchschnittliche Day- Ahead-Marktpreis 2019 bei 38,97 €/MWh und damit 0,23€/MWh unter dem Intraday-Preis von durchschnittlich 39,20 €/MWh.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.3 zeigt die Durchschnittswerte des Börsenstrompreises am Day-Ahead-Markt der EEX im Vergleich zu den Lastschwankungen im täglichen Verlauf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(b) Verlauf des durchschnittlichen Day-Ahead-Börsenstrompreises und der Verbrauchsleistung nach Wo­chentagen im Jahr 2019.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.3: Durchschnittswerte des Day-Ahead-Börsenstrompreises und der Last im wöchent­lichen und täglichen Verlauf für das Jahr 2019. Die Last wurde im 15-Minutenrhythmus, der Strompreis in einstündigen Abständen aufgezeichnet. Die Grafiken basieren auf dem Datensatz von Burger (2019).

Der Börsenstrompreis korrelierte 2019 mit einem Pearsonschen Maßkorrelationskoeffizienten von p Last,DA = 0, 55 mit der Höhe der Last. Er schwankt im Verlauf eines Tages. Er durchläuft zwei lokale Maxima und Minima. Sein globales Minimum weist der Preis um 3 Uhr morgens auf. Um diese Uhrzeit betrug er 2019 im Schnitt 27,82 €/MWh und lag damit 10,15 €/MWh (28,61%) unter dem Last-gewichteten Tagesdurchschnitt von 38,97 €/MWh. Aufgrund der wachwerden­den Bevölkerung und dem Start von Industrieprozessen steigt in der zeitlichen Folge die Strom­nachfrage und damit auch der Strompreis auf sein erstes lokales Maximum. Es liegt um 7 Uhr morgens bei 44,31 €/MWh. Die Last erreicht mittags ihren Höchststand. Trotz hoher Last fällt der Preis bis 13 Uhr auf 34,09 €/MWh. Dieser Effekt ist mit dem Einsetzen von Solarstrome­inspeisung zu erklären. Nach dem Sonnenaufgang nimmt die Einspeiseleistung der Solaranlagen einer Glockenkurve folgend zu und erreicht um 12:30 Uhr ihr Maximum. Der günstige PV- Grenzstrompreis überwiegt die hohe Nachfrage, sodass der Börsenstrompreis den Effekten des Merit-Order-Modells folgend um die Mittagszeit gering ausfällt.

Insgesamt korreliert der Anteil erneuerbarer Energien (EE) am Strommix negativ mit dem Bör­senstrompreis. Der Pearsonsche Maßkorrelationskoeffizient betrug 2019 P ee,Da = - 0. 66 zum Day-Ahead-Preis und p EE ,iD = - 0. 63 Intraday-Preis. Folgerichtig fällt im Zeitraum von April bis Ende September die Preisreduktion von 7 Uhr bis 13 Uhr um etwa 10,70 €/MWh höher aus, als in den Wintermonaten.

Mit der nachlassenden Solarstromeinspeisung erreicht der Strompreis in den Abendstunden um 18 Uhr mit 49,62 €/MWh seinen Höchstwert, ehe er der Last folgend in der Nacht stark absinkt. Die maximale Preisdifferenz liegt innerhalb eines Tages im 2019er-Durchschnitt folglich bei 21,80 €/MWh. Die durchschnittliche Last betrug 2019 55,35 GW. Sie erreicht morgens um 2:30 Uhr ihr Minimum mit 43,77 GW und um 11:45 Uhr ihr Maximum von 63,78 GW. Die durch­schnittliche Tagesdifferenz zwischen Grundlast und Spitzenlast beträgt rund 20 GW.

In Abbildung 2.3b sind durchschnittlicher Börsenstrompreis und durchschnittliche Verbrauchs­leistung im Verlaufe der Wochentage dargestellt. Während der Arbeitstage weisen die Verläufe der Kurven kaum Differenzen auf. Am Wochenende sinkt aufgrund abgeschalteter Industrie­prozesse erwartungsgemäß die Last, sodass der Börsenstrompreis 10,75 €/MWh unter dem der Arbeitstage liegt. Der Preis erreicht sein Minimum sonntags um 13 Uhr mit 19,32 €/MWh.

Die durchschnittliche wöchentliche Spitzenlast wurde 2019 mittwochs um 11:45 Uhr erreicht. Sie betrug 67,95 GW und unterscheidet sich kaum von den Spitzenlasten der anderen Werktage. Am Wochenende wurde im Mittel samstags um 11:30 Uhr mit 57,14GW die höchste Last und um 5:30 Uhr am Sonntag mit 38,89 GW die niedrigste erreicht. Im wöchentlichen Vergleich steigt die Differenz zwischen Grund- und Spitzenlast somit auf 29 GW.

Über das Jahr hinweg muss das Stromversorgungssystem mit noch höheren Schwankungen zu­rechtkommen. Am Montag, den 22. April sank die Last um 3:00 Uhr auf 33,79 GW. Am Don­nerstag, den 07. Februar mussten das Netz hingegen um 11:30 Uhr einen Stromverbrauch von 77,24 GW bewältigen. Damit liegt die jährliche Grundlast 56% und die Durchschnittslast 28% unter der jährlichen Spitzenlast. Um Stromausfällen vorzubeugen, müssen alle Elemente des Stromnetzes für die Bewältigung der Maximallast ausgelegt sein, auch wenn diese kaum erreicht und die meiste Zeit deutlich unterschritten wird. Lokal kann es im Zuge besonderer Ereignisse zu noch höheren Differenzen zwischen Spitzen- und Durchschnittslast kommen. Zur Gewährleistung einer sicheren Stromversorgung ist daher eine stete Überdimensionierung der lokalen Stromnet­zelemente, wie beispielsweise der Umspannwerke, Ortsnetztransformatoren oder NS-Leitungen, notwendig.

2.2.5 Strompreis der Letztverbraucher

Für den privaten Letztverbraucher macht der Börsenstrompreis nur einen Teil seiner Stromko­sten aus. Der Einkaufspreis an der Strombörse zusammen mit den Vertriebskosten summiert sich zu den Strombeschaffungskosten. Für den Letztverbraucher addieren sich weitere externe Preis­bestandteile hinzu. Darunter fallen die Stromsteuer, die Konzessionsabgabe, die Erneuerbare- Energien-Gesetz-Umlage (EEG-Umlage), weitere Umlagen für die Förderung der Stromerzeu­gung aus Kraft-Wärme-Kopplung, ermäßigte NNE für Industrieunternehmen und Schadenser­satzforderungen von Betreiber von Offshore-Windparks, die durch Verzögerungen und Ausfälle bei der Netzanbindung entstehen können, sowie NNE u. a. für die Netzinfrastruktur, das Ein­speisemanagement und die Vorhaltung von Regelleistung. Auf alle Preisbestandteile entfallen zudem die Umsatzsteuer in Höhe von 19%.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.4: Aufschlüsselung des Strompreises für Privatkunden in seine Komponenten für das Jahr 2019. Angaben pro Kilowattstunde. Abbildung in Anlehnung an Strom-Report (2019).

2.2.6 Umlagen, Steuern und Abgaben für elektrische Speichersysteme und steuerbare Verbrauchseinrichtungen

Stromspeichern und steuerbaren Verbrauchern kommen im Zuge der Energiewende zunehmend eine bedeutende Rolle im Stromsystem zu. Speicher werden bereits heute eingesetzt um den Strom der gebäudeinternen PV-Anlage zwischenzuspeichern oder Systemdienstleistungen zu er­bringen. Steuerbare Lasten erbringen Regelleistung oder ihr Betrieb wird in Schwachlastzeiten verschoben, um das Netz zu entlasten.

Stromspeicher

Stromspeicher sind im Sinne des EnWGs sowohl Letztverbraucher als auch Erzeugungsanlagen. Entsprechend werden sie bei der Berechnung der staatlichen Abgaben behandelt. Das EnWG, die StromNEV, das Stromsteuergesetz (StromStG), das EEG, die Konzessionsabgabenverordnung (KAV) und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) beinhalten Ausnahmen, die zum Teil für elektrische Energiespeicher geltend gemacht werden können. Einen Überblick zur rechtlichen Behandlung von Stromspeichern geben Verkaik et al. (2019, S. 35ff.).

Netznutzungsentgelte Als Erzeuger müssen Stromspeicher keine NNE entrichten. Als Ver­braucher sind sie gemäß § EnWG 118 Abs. 6 für 20 Jahre nach der Inbetriebnahme bis August 2026 von NNE befreit, wenn die Energie aus einem Transport- oder Verteilnetz entnommen wird und die Zurückspeisung zeitlich verzögert in dasselbe Netz erfolgt. § 19 StromNEV sieht zudem Vergütungen für verbrauchsnahe, dezentrale Erzeuger, die den Strombezug aus höheren Netzebenen reduzieren. Sie können vom Netzbetreiber eine Vergütung in Höhe der vermiedenen NNE erhalten.

Stromsteuer Für die 2,05 ct/kWh Stromsteuer für Verbraucher sieht § 9 StromStG Ausnah­meregelungen vor. Im Hinblick auf Stromspeicher ist Strom von der Steuer ausgenommen, der am Ort der Erzeugung zum Selbstverbrauch verwendet oder in Notstromanlagen erzeugt wird. Stationäre Stromspeicher, dazu gehören Batteriespeicher in Fahrzeugen gemäß den Begriffsbe­stimmungen in § 2 StromStG ausdrücklich nicht, können gemäß § 5 StromStG auf Antrag von der Stromsteuer befreit werden, wenn sie der Zwischenspeicherung dienen und in das Versor­gungsnetz Strom einspeisen.

EEG-Umlage Prinzipiell fällt sowohl beim Einspeichern als auch beim Einspeisen die EEG­Umlage an, die 2019 bei 6,405 ct/kWh lag. § 61l des EEG erlässt Zwischenspeichern die EEG­Umlage für das Einspeichern inkl. der Stromspeicherverluste. So ist lediglich auf die zurückge­speiste Energiemenge die EEG-Umlage fällig. Speicher zur Eigenversorgung können vollständig von der EEG-Umlage befreit werden.

Offshore und KWK-Umlage Die beim Strombezug anfallende Offshore-Umlage können sich Stromspeicher erstatten lassen. § 27b KWKG befreit Stromspeicher von der KWK-Umlage.

Konzessionsabgabe § 2 KAV sieht reduzierte Konzessionsabgaben für Sondervertragskunden und Strom der im Rahmen eines Schwachlasttarifs geliefert wird vor. Für Sondervertragskunden reduziert sich die Abgabe von durchschnittlich 1,66ct/kWh auf 0,11ct/kWh und innerhalb von Schwachlasttarifen auf 0,61 ct/kWh. Als Sondervertragskunden gelten Letztverbraucher deren Jahresstromverbrauch über 30 MWh liegt und deren gemessene Leistung im Abrechnungsjahr 30 kW in mindestens zwei Monaten einmal überschreitet. Nutzer steuerbarer Verbrauchseinrich­tungen werden zumeist ebenfalls als Sondervertragskunden gewertet.

Steuerbare Verbrauchseinrichtungen

§ 14a EnWG verpflichtet VNBs zur Erhebung geringerer NNE für steuerbare Verbrauchseinrich­tungen mit separatem Zählpunkt, die einer netzdienlichen Steuerung zustimmen. Dazu gehören ausdrücklich auch Elektroautos. VNBs nutzen steuerbare Verbraucher, um den Lastgang zeitlich in ihrem Netz gleicher zu verteilen und ihre Netze in Starklastzeiten zu entlasten. Die Bundes­netzagentur (2020, S. 195 ff.) beziffert die Anzahl der steuerbaren Verbrauchseinrichtungen auf 1.448.759. Davon entfielen 67 % auf Nachtspeicherheizungen, 24 % auf Wärmepumpen und der Rest auf sonstige Anlagen, unter die Stromdirektheizungen und in Einzelfällen Beregnungsanla­gen oder Straßenbeleuchtungen fallen. Die Anlagen werden zu etwa 60 % per Rundsteuertechnik, zu 30 % per Zeitschaltungen und in 5 % aller Fälle gar nicht gesteuert. Lediglich bei 2 % der Ein­richtungen wird Fernwirktechnik eingesetzt, die den Lastgang misst und steuert.

2.3 Regelleistung

Regelleistung ist elektrische Leistung, die dazu eingesetzt wird, die Schwankungen der Netzfre­quenz auszugleichen. Der Begriff Regelarbeit bezeichnet die Energiemenge, die innerhalb eines Zeitraumes zum Ausgleich von Energiedefiziten oder -überschüssen benötigt wird. Die Regel­arbeit ergibt sich aus der Integration der Regelleistung über die Zeit. Abweichungen von der Standardnetzfrequenz treten auf, wenn Verbrauchsleistung und Einspeiseleistung voneinander abweichen. Die Summe beider Abweichungen bilden innerhalb einer Regelzone den Regelzo­nensaldo, innerhalb des deutschen Netzverbundes den Netzverbundsaldo. Eine Unterspeisung führt per Definition zu einem positiven, eine Überspeisung zu einem negativen Saldo. Differen­zen zwischen Verbrauchs- und Einspeiseleistung resultieren aus Differenzen zwischen den in den Fahrplänen prognostizierten und den realen Verbrauchs- und Einspeiseleistung. Regelleistung wird von qualifizierten Erzeugern oder Verbrauchern bereitgestellt. Gehandelt werden ihre Pro­dukte nicht auf dem Großhandelsmarkt für Strom, sondern auf einem besonders reglementiertem Regelleistungsmarkt.

Es lassen sich drei Ursachen ausmachen, die zum Bedarf von Regelleistung führen: Der unge­plante Ausfall von Kraftwerken oder Verbrauchern, die ungeplante Zuschaltung von Kraftwerken oder Verbrauchern sowie stochastische Abweichungen von der Einspeise- und Verbrauchsprogno­se (Rolli, 2011, S. 29). Innerhalb einer Regelzone können sich Bedarfsursachen kompensieren. So können beispielsweise die Folgen eines ungeplanten Kraftwerksausfall vom Ausfall mehrerer großer Verbraucher aufgefangen werden. Je größer eine Regelzone ist, desto höher sind die Kom­pensationseffekte. Die verbleibenden Ungleichgewichte werden durch Regelleistung aufgefangen. Je nach Ausmaß und Dauer der Imbalance kommen dabei unterschiedliche Technologien zum Einsatz.

2.3.1 Regelleistungsarten

Regelleistung wird anhand von zwei Merkmalen klassifiziert: Dem Vorzeichen der Leistungser­bringung und dem Einsatzzeitpunkt der Leistungserbringung. Technische Einheiten (TE), die ihre Regelleistung am Regelleistungsmarkt anbieten wollen, müssen je nach Regelleistungsart unterschiedliche Anforderungen erfüllen. Bevor sie zur Mitwirkung am Markt zugelassen wer­den, müssen sie ein Präqualifikationsverfahren durchlaufen.

Regelleistung kann durch eine Veränderung der Erzeugungs- oder der Verbrauchsleistung ge­neriert werden. Ist die Netzfrequenz kleiner als 50 Hz, wird der Einsatz positiver Regelleistung benötigt. Dazu können Erzeuger angewiesen werden mehr Leistung bereitzustellen oder Verbrau­cher weniger Leistung zu beanspruchen. Negative Regelleistung wird bei zu hohen Netzfrequen­zen fällig. Sie wird durch eine verringerte Einspeisung oder einen erhöhten Verbrauch erzeugt. Abbildung 2.5 unterscheidet Regelleistungsarten anhand ihrer Einsatzzeitpunkte und -dauer.

Momentanreserve Schnelle Frequenzänderungen im Bereich von ± 200 mHz werden durch die Momentanreserve (MR) ausgeglichen. Die MR kann nicht als Produkt auf dem Regelleistungs­markt gehandelt werden. Viel mehr stellt sie die Trägheit von Schwungrändern in den Genera­toren von Kraftwerken dar (Zapf, 2017, S. 46). Die Drehzahl der Generatoren von Kraftwerken ist an die Netzfrequenz gekoppelt. Ändert sich die Netzfrequenz, wirkt die Trägheit der Masse einer Änderung der Generatordrehzahl und damit der Änderung der Netzfrequenz unmittelbar entgegen (Konstantin, 2017, S. 350).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.5: Regelleistungsarten. Abbildung in Anlehnung an Next Kraftwerke (2019c) und Bundesnetzagentur (2020, S. 201).

Primärregelleistung Schwungmassen können Frequenzänderungen nur in einem geringfügigen Rahmen dämpfen. Gegen kurzfristige Frequenzschwankungen wird hauptsächlich Primärregel­leistung (PRL) verwendet. TEs, die PRL erbringen, messen die Netzfrequenz eigenständig. Ist das Netz unterspeist, reagieren die Einheiten unmittelbar mit der Bereitstellung zusätzlicher Leistung. Gibt es eine Frequenzabweichung nach oben, nehmen sie Leistung aus dem Netz auf. Erbringer von PRL müssen immer sowohl positive als auch negative Leistungen erbringen kön­nen. An die Primärreserve werden die höchsten Anforderungen in Bezug auf die Schnelligkeit der Einsatzbereitschaft gestellt. Ab einer Abweichung über das Totband von ± 10 mHz hinaus muss die TE automatisch PRL bereitstellen. Die gesamte Angebotsleistung muss innerhalb von 30 s für mindestens 15 min erbracht werden (Next Kraftwerke, 2019c). Tabelle 2.2 schlüsselt den An­teil verschiedener Anbietertypen an den präqualifizierten Leistungen der Regelleistungsarten auf. Traditionell dominierten Pumpspeicherwerke und konventionelle Kraftwerke den Regelleistungs­markt. Einige Kraftwerke, die ihre Einspeiseleistung unmittelbar verändern können, halten 3 % bis 5 % ihrer Nennleistung vor um PRL anbieten zu können (Konstantin, 2017, S. 337; Rebours und Kirschen, 2005). Mit fortschreitender Batterietechnik werden zunehmend Großbatterien zur Erbringung von PRL verwendet (Zapf, 2017, S. 130). Trotz geringer Höhe der präqualifizierten Leistung beziffert Schäfer (2020) für das Jahr 2019 den PRL-Marktanteil der Batteriespeicher auf über 50 %. Erklärbar ist das durch die geringen Grenzkosten der Batteriespeicher, die zu häufigeren Zuschlägen am Regelleistungsmarkt führen (siehe Abschnitt 2.3.2).

Sekundärregelleistung Die Primärreserve erfüllt den Zweck der schnellen Abfederung klei­ner Frequenzschwankungen. Bei anhaltenden Schwankungen oder Abweichungen größer als ± 200 mHz, wird die Primärreserve von der Sekundärreserve abgelöst. Im Unterschied zur PRL wird die Sekundärregelleistung (SRL) nicht automatisch durch die TE selbst aktiviert. Liegt in einer Regelzone eine Über- oder Unterspeisung vor, die für die Abweichung der Netzfrequenz verantwortlich ist, aktiviert der zuständige ÜNB über eine Kommunikationsverbindung SRL- Einheiten innerhalb seiner Regelzone um mit Regelleistung die Abweichung auszugleichen. Eine Einheit muss nicht zwingend positive und negative SRL zur Verfügung stellen können. Die Se­kundärreserve muss innerhalb von fünf Minuten ihre vollständige Leistung bereitstellen (Next Kraftwerke, 2019e; Zapf, 2017, S. 46). Neben Pumpspeicherwerken bieten insbesondere Gas-, Biogas- und Biomassekraftwerke SRL an.

Tabelle 2.2: Auflistung der präqualifizierten Leistungen in GW nach Regelleistungsart in Abhän­gigkeit der Erbringungstechnologie. Die Daten stammen von den ÜNBs (50Hertz et al., 2019e).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Minutenregelleistung Gelingt ein Ausgleich der Netzfrequenzabweichung durch PRL und SRL nicht, kommt nach einigen Minuten Vorlaufzeit die Tertiärreserve, auch Minutenreserve genannt, zum Einsatz. ÜNBs kommunizieren den Bedarf für Minutenregelleistung (MRL), indem sie den Anbietern per IT-Anbindung einen Fahrplan übermitteln, den die Anbieter erfüllen müssen. MRL wird manuell durch die Anbieter aktiviert. Es besteht keine Pflicht zum Angebot von positiver und negativer MRL. Neben Pumpspeicherwerken leisten Gas- und Kohlekraftwerke den größten Anteil zur Minutenreserve.

Stundenreserve Liegt eine fortdauernde Ursache für die Netzfrequenzabweichung vor, geht ei­ne Stunde nach dem Beginn der Störung die Verantwortung für den Netzausgleich von den ÜNBs auf den verursachenden BKV über. Dazu kann er abseits des Regelleistungsmarkts die Leistung eigener Kraftwerke anpassen oder Differenzen über den Großhandelsmarkt ausgleichen. Dieses Ausgleichspotenzial, das die BKV vorhalten oder kurzfristig erbringen müssen, wird Stundenre­serve genannt und ist nicht Teil des Regelleistungsmarktes (Rolli, 2011, S. 32; Next Kraftwerke, 2019d).

Regelbare Lasten Neben Erzeugern werden auch regelbare Lasten zur Erbringung von Regel­leistung verwendet. Als regelbare Lasten werden leistungsstarke Verbrauchseinheiten bezeichnet, die auf Anweisung eines ÜNBs ihre Verbrauchsleistung reduzieren oder erhöhen können. Die An­passung der elektrischen Leistung zur Erbringung von Netzdienstleistungen wird Laststeuerung (Engl. Demand Side Management, DSM) genannt. Sofern sie die Präqualifikationsbedingungen erfüllen, können regelbare Lasten prinzipiell, wie Tabelle 2.2 deutlich macht, alle Arten von Regelleistung erbringen: negative durch eine Reduzierung, positive durch eine Erhöhung ihrer Verbrauchsleistung.

2.3.2 Die Regularien des Regelleistungs- und Regelarbeitsmarktes

Basierend auf Erfahrungswerten schreiben die ÜNBs ihren Bedarf an Regelleistung gemein­sam und öffentlich auf der Website www.regelleistung.net aus. Betreiber von Kraftwerken und Speicheranlagen müssen ein Präqualifikationsverfahren ihres ÜNBs durchlaufen, ehe sie auf die Bedarfe bieten dürfen. PRL, SRL und MRL werden getrennt voneinander ausgeschrieben.

Primärregelleistung Die ÜNBs aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Öster­reich und der Schweiz schreiben ihre PRL-Tagesbedarfe gemeinsam auf www.regelleistung.net aus. Anbieter von PRL bewerben sich mit ihrem Leistungspreis, außerdem nennen sie ihre Lei­stungshöhe. Nach Auktionsende werden die Anbieter aufsteigend anhand ihres Leistungspreises geordnet; es entsteht eine Merit Order. Beginnend mit dem günstigsten Angebot wird der Ta­gesbedarf der ÜNBs gedeckt, sodass ab einem bestimmten Preis alle teureren Anbieter leer ausgehen. Alle erfolgreichen Anbieter erhalten nach dem Marginal-Pricing-Prinzip den Grenz­preis, also den Betrag, den der letzte erfolgreiche Anbieter geboten hat. Die akzeptierten Bieter sind in der Folge verpflichtet am betreffenden Tag über den gesamten Zeitraum die angegebene PRL zur Verfügung stellen zu können (Next Kraftwerke, 2019c).

Sekundärregelleistung und Minutenregelleistung Die SRL- und MRL-Auktionen unterschei­den sich vom PRL-Verfahren. Die ÜNBs schreiben positive und negative SRL- und MRL-Bedarfe getrennt voneinander in vierstündigen Zeitscheiben aus. Für SRL und MRL werden deutsche und österreichische Angebote seit 01.01.2019 zusammengeführt und gemeinsam vergeben, wo­bei jedes Land Kernanteile behält. Bei der Sekundär- und Minutenreserve findet eine getrennte Vergütung von Regelleistung und Regelarbeit statt. Anbieter nennen neben ihrer verfügbaren Leistungshöhe sowohl einen Regelleistungs- als auch einen Regelarbeitspreis. Die ÜNBs bilden auf Basis des Regelleistungspreises zunächst eine MOL. Anbieter, deren Regelleistungspreis über dem Grenzpreis zur Deckung des Regelleistungsbedarfs liegt, werden nicht weiter berücksichtigt . Anders als bei der PRL gibt es keinen Einheitspreis. Alle erfolgreichen Anbieter erhalten den von ihnen gebotenen Regelleistungspreis. Wird nun der Einsatz von SRL oder MRL notwendig, wird aus der Liste der akzeptierten Anbieter erneut eine MOL gebildet, diesmal anhand des Regelarbeitspreises. Die Anbieter mit dem geringsten Arbeitspreis werden als erstes gefordert die von ihnen genannte Leistung bereitzustellen. Sie werden zusätzlich zur Vorhaltung ihrer Re­gelleistung über die Höhe ihrer tatsächlich erbrachten Regelarbeit entlohnt (Next Kraftwerke, 2019e; Next Kraftwerke, 2019b).

Energiespeicher Die erfolgreich vermarkteten TEs müssen die angebotene Leistung über die gesamte Zeitscheibe zu Verfügung stellen können. Für TEs mit begrenzten Energiespeichern gel­ten weniger strenge Anforderungen im Hinblick auf die Mindestaktivierungszeit. Für PRL muss die Kapazität und der Ladezustand der Energiespeicher ausreichend sein, um ihre präqualifizierte Leistung mindestens 15 Minuten erbringen zu können. Für SRL und MRL gilt eine Mindest­verfügbarkeit über ihre vermarktete Leistungshöhe von 60 Minuten (50Hertz et al., 2019d, S. 39).

2.3.3 Die Abrechnung von Regelarbeit und Nachholeffekte

Abgerufene Regelarbeit wird nicht in den Bilanzkreis des Erbringers verbucht. Wird beispielswei­se ein Kraftwerk angewiesen per positiver Regelleistung mehr Energie in das Netz einzuspeisen, verfälscht dies nicht den Fahrplan des zuständigen BKV und führt nicht direkt zu Kosten für Ausgleichsenergie.

Die Festlegung BK6-17-046 der Bundesnetzagentur (2017) regelt die Vertragsverhältnisse zwi­schen einem Anbieter von SRL oder MRL per DSM und seinem Stromlieferanten. Der Beschluss sieht vor, dass Anbieter positiver Regelleistung ihrem Stromlieferanten nicht nur die tatsächlich entnommene Energie bezahlen müssen, sondern auch die Delta-Energiemenge, die sie an positiver Regelarbeit nicht verbraucht haben. Der Preis beinhaltet lediglich die Stromkomponente, sodass die externen Preisbestandteile wie EEG-Umlage, NNE, Steuern etc. für die Delta-Arbeit nicht zu bezahlen sind. Die Delta-Arbeit wird zur Vermeidung von Ausgleichsenergiekosten für das EVU gleichzeitig aus dem Bilanzkreis ausgebucht. Bei der Erbringung negativer Regelleistung bezahlt der Letztverbraucher als Erbringer der Regelleistung lediglich die externen Preisbestandteile des Stromes, der Preisbestandteil der Stromproduktion wird ihm erlassen. Das EVU muss ihm zwar den Strom tatsächlich liefern, sein Bilanzkreis erhält dafür aber einen bilanziellen Ausgleich, sodass ihm keine Extrakosten für die Strombeschaffung anfallen.

Im Zuge der Erbringung von Regelleistung per DSM kann es durch Nachholeffekte zu Fahrpla­nabweichungen kommen. Eine Produktionsanlage, die positive Regelleistung per Abschaltung oder Leistungsreduzierung bereitstellt, muss die ausgefallenen Produktionsprozesse oftmals zu einem späteren Zeitpunkt nachholen. Innerhalb des Bilanzkreises entsteht unvorhergesehener, zusätzlicher Energiebedarf zum Zeitpunkt des Nachholens. Der BKV muss den Zeitpunkt und das Ausmaß des zusätzlichen Bedarfs prognostizieren und durch kurzfristiges Handeln das Un­gleichgewicht im Fahrplan ausgleichen (Deutsche Energie-Agentur, 2019).

2.3.4 Pooling und virtuelle Kraftwerke

Pooling Für PRL-Angebote gilt eine Mindestleistung von 1 MW. Ein Anbieter darf die ver­fügbare Leistung seiner TEs in mehrere Angebote aufteilen. Für SRL und MRL liegt die Min­destleistung bei 5 MW, es sei denn er gibt pro Zeitscheibe nur ein Angebot ab. In diesem Fall muss mindestens 1 MW vermarktet werden (50Hertz et al., 2019a; 50Hertz et al., 2019b). Höhere Beträge sind jeweils nur in ganzzahligen Megawattwerten möglich. Einzelne TEs erfüllen oftmals die Anforderungen für die Teilnahme am Regelleistungsmarkt nicht. Es können daher mehrere Einheiten durch Pooling zusammengefasst werden.

Eine TE ist als Erzeuger-, Verbraucher- oder Stromspeichereinheit, deren Einspeise- und Entnah­meleistung gemessen wird, definiert. Sie können in Reserveeinheiten (RE) und Reservegruppen (RG) zusammengefasst werden. Eine RE umfasst eine oder mehrere TEs, die an einen gemeinsa­men Netzanschlusspunkt angebunden sind und zum Zweck der Regelleistungserbringung zusam­mengefasst werden. Eine RG besteht immer aus mindestens zwei TEs, die an unterschiedlichen Netzanschlusspunkten liegen. Abbildung 6.2 im Anhang verdeutlicht die Zusammensetzung der Begrifflichkeiten graphisch.

Präqualifiziert werden REs oder RGs. Am Regelleistungsmarkt werden jedoch nicht REs oder RGs vermarktet, sondern Pools. Ein Pool umfasst beliebig viele REs und RGs, kann aber auch aus nur einer TE bestehen. Anbieter können die Poolzusammensetzung alle 15 Minuten ändern. Entscheidend ist lediglich, dass die angebotenen Leistungen erbracht werden. Alle TEs eines Pools müssen sich innerhalb einer Regelzone befinden (50Hertz et al., 2019d, S. 11ff.).

Virtuelle Kraftwerke Regelleistungspools können innerhalb von virtuellen Kraftwerken (VK) gebildet werden. Gemäß Buchholz et al. (2008, S. 5) sind virtuelle Kraftwerke ein Verbund aus örtlich verteilten Erzeugern, Speichern und Lastmanagementeinheiten die Energie und System­dienstleistungen anbieten. In VKs werden zumeist kleine dezentrale Einheiten per Kommuni­kationstechnik miteinander verbunden. Die Einspeiseleistung der Erzeuger, die Laststeuerung und das Angebot von Regelleistung wird durch Regelungsbefehle des VK-Betreibers an die Pooleinheiten optimiert, sodass Synergieeffekte entstehen von denen die Teilnehmer profitieren. Durch die Bündelung erhalten auch kleine Erzeugungsanlagen Zugang zum Elektrizitätshan­del und kleine Regelleistungseinheiten dürfen am Regelleistungsmarkt teilnehmen (Dürr und Heyne, 2017, S. 670f.). Synergieeffekte entstehen beispielsweise durch die gemeinsame Vermark­tung oder ein gemeinsames Prognosemodell. Durch die Vielzahl an Teilnehmern gleichen sich außerdem Schwankungen gegenseitig aus oder können aktiv ausgeglichen werden. Während die Einspeiseleistung von Windrändern durch die variierende Windstärke fluktuiert, lassen sich Bio­masseanlagen kostengünstig regeln. Herrscht eine unerwartete Flaute, kann die fehlende Leistung durch die Biomasseanlagen des VKs bereitgestellt oder durch eine Reduzierung von Lasten aus­geglichen werden.

2.3.5 Wirtschaftliches Volumen des Regelleistungs- und Regelarbeitsmarktes

Die Website www.regelleistung.net ist nicht nur eine Auktionsplattform, aus ihrem Datencenter können wertvolle Informationen über die Marktgrößen und Erlöspotenziale gewonnen werden. Die folgenden Daten wurden aus zwei Datenquellen generiert:

1. Anonyme Bieterliste: Für jede Regelleistungsart (für SRL und MRL nach positiv und negativ getrennt) und jede Zeitscheibe werden alle Regelleistungsangebote veröffentlicht, die über ihren Leistungspreis per MOL erfolgreich waren. Pro anonymisiertem Anbieter sind die gebotenen Leistungs- und Arbeitspreise (nur SRL und MRL) und die angebotene sowie die bezuschlagte Leistungshöhe ersichtlich.
2. Abrufwerte: Für SRL und MRL wird, nach positiv und negativ getrennt, die tatsächlich eingesetzte Regelarbeit in viertelstündlicher Auflösung aufgelistet.

Auf Basis dieser Daten lassen sich Aussagen über den Regelleistungs- und Regelarbeitsmarkt treffen.

Analyse des Regelleistungsmarktes

Die Summe über die Leistungen aller akzeptierten Bieter entspricht den von den ÜNBs ausge­schriebenen Regelleistungsbedarfen. Die Summe über die Produkte aus Preis und bezuschlagte Leistung entspricht den Kosten für die Leistungsvorhaltung. Bei der PRL erhalten gemäß dem Marginal Pricing alle Anbieter den Grenzpreis. Die Erlöse der Anbieter entsprechen dem Grenz­preis multipliziert mit ihrer angebotenen Leistung. Bei SRL und MRL entsprechen die Erlöse der Leistungsvorhaltung ihrem gebotenen Preis multipliziert mit der Leistungshöhe.

Tabelle 2.3: Durchschnittlich ausgeschriebene Leistungsbedarfe und gezahlte Leistungspreise nach Regelleistungsart in Deutschland für den Zeitraum 01.09.2019 bis 29.02.2020. Angaben basieren auf einer eigenen Analyse der Daten von www.regelleistung.net .

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2.3 zeigt den durchschnittlich ausgeschriebenen Regelleistungsbedarf sowie die gezahl­ten Preise aufgeschlüsselt nach Regelleistungsart für den Zeitraum vom 01.09.2019 bis zum 29.02.2020 in Deutschland. Bis zum 01.08.2019 galt, statt des aktuellen Leistungspreisverfahrens, das Mischpreisverfahren, bei dem Regelleistung- und -arbeit für den gleichen Preis angeboten wurden. Im ersten Monat unterlagen die Preise Konsolidierungsschwankungen. Nach Leistungs­höhe ist der Markt für PRL mit etwa 600 MW der kleinste und der für positive und negative SRL mit jeweils über 2 GW der größte. Wie oben beschrieben können Anbieter von PRL auch in einige deutsche Nachbarländer verkaufen. Innerhalb dieser PRL-Kooperation liegt das Vo­lumen bei 1,4 GW. Um die Erlösmöglichkeiten der Regelleistungsarten vergleichen zu können, werden die Preise pro vierstündiges Intervall für SRL und MRL auf die Tagesscheiben der PRL hochgerechnet. Die Vorhaltung und der Einsatz von PRL wurden im besagten Zeitraum mit 190€/MW/Tag am besten vergütet.

Analyse des Regelarbeitsmarktes

Zur Ermittlung der Regelarbeitspreise ist ein umfangreicheres Vorgehen notwendig. Hierzu wer­den die anonymisierten Bieterlisten und die Abrufwerte kombiniert. Zunächst werden die Bie­terlisten pro Zeitscheibe anhand ihres Arbeitspreises in ihre Merit Order gebracht. Anhand der viertelstündigen Abrufwerte kann aus der MOL mit guter Näherung rückwirkend ermittelt werden, welcher Bieter innerhalb welcher Zeitscheibe Sekundärregelarbeit (SRA) oder Minu­tenregelarbeit (MRA) erbracht hat. Die abgerufene Arbeit wird pro Bieter mit dem gebotenen Arbeitspreis multipliziert. Ein ähnliches Vorgehen hat Gruber et al. (2016, S. 44ff.) zur Analyse des SRA-Marktes verwendet.

Tabelle 2.4: Durchschnittlich abgerufene Regelarbeit und Regelarbeitspreise zwischen dem 01.09.2019 und dem 29.02.2020. Die gezeigten Arbeitspreise wurden über die Last, nicht über die Zeit gemittelt. Die Angaben basieren auf einer eigenen Analyse der Daten von www.regelleistung.net .

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Tabelle 2.4 zeigt, dass der Bedarf für SRA im Bereich einiger Gigawattstunden liegt und damit den für MRA deutlich übersteigt. Im betrachteten Zeitraum wurden in jeder 4-Stundenzeitscheibe negative und positive SRA abgerufen. MRA wird, dem geringeren Volumen und den zeitlichen Einsatzkriterien entsprechend, nur selten eingesetzt. In 8,24 % aller vierstündigen Zeitscheiben war der Einsatz negativer MRA notwendig. Der Wert für positive MRA ist identisch.

Für negative SRA werden regelmäßig negative Preise geboten. Während der lastgewichtete Durchschnitt bei 5,7€/MWh liegt, beträgt der zeitliche Durchschnittswert -10,5€/MWh. Dar­an zeigt sich, dass der Preis zwar meistens negativ ist, er durch den Merit-Order-Mechanismus in Zeiten mit hohem Regelarbeitsbedarf aber sprunghaft auf hohe Werte ansteigt. Für Verbraucher können sich auch negative Regelarbeitspreise lohnen, da sie anstatt des Börsenstrompreises den niedrigeren Regelarbeitspreis für die Strombeschaffung zahlen. Die in Abschnitt 2.2.4 genannten gesetzlichen Abgaben sind allerdings auch auf über Regelarbeit bezogenen Strom fällig.

Für positive Regelarbeit sind die Preise deutlich höher. Erzeuger müssen ihren Reglarbeitserlö- sen hier ihre Stromerzeugungskosten gegenrechnen. Verbraucher müssen beachten, dass sie die nicht geladene Delta-Energie ihrem EVU bezahlen müssen. Daher liegen die Angebote für posi­tive Regelarbeit stets über dem Börsenstrompreis. Auch hier liegt der zeitliche Mittelwert mit 66,9€/MWh deutlich niedriger als der lastgewichtete Durchschnitt.

Für MRA gelten generelle die gleichen Mechanismen wie für SRA. MRA wird selten abgerufen, wenn, dann aber sehr hohe Leistungen. Die Anbieter von MRL lassen sich dieses sprunghafte Verhalten mit deutlich höheren Preisen für MRA vergüten.

In den letzten zehn Jahren ist die Menge abgerufener Regelarbeit zurückgegangen. Alleine von 2011 auf 2014 hat sich die abgerufene Energiemenge der Primär- und Sekundärreserve halbiert, trotz steigenden Anteils der EE am Strommix. Zudem sind die Preise für Regelleistung und Rege­larbeit gefallen. Mehrere Einflussfaktoren haben diese Entwicklung verursacht. Zum einen wurde innerhalb des europäischen Verbundnetzes die Imbalance Netting Plattform implementiert, auf der europäische ÜNBs gegenläufige Abweichungen kompensieren können. Hinzu kommen stärke­re Regelungen im Bilanzkreismanagement und verbesserte Prognosen der Einspeiseleistung der fluktuierenden EE. Regulatorische Veränderungen am Regelleistungsmarkt, dazu gehören kür­zere Zeitscheiben, geringere Mindestangebotsgröße, Erhöhung der Ausschreibungsfrequenz und Pooling, sowie technische Entwicklungen haben die Marktattraktivität für neue Technologien erhöht, sodass sich der Wettbewerb verschärft hat (Buhl et al., 2019, S. 17; Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., 2019a, S. 19).

Gesamtkosten der Netzfrequenzhaltung

Aus den errechneten Volumina und Preisen lässt sich das finanzielle Marktvolumen des Regelleistungs­und Regelenergiemarktes bestimmen. Tabelle 2.5 fasst die Ergebnisse zusammen.

Tabelle 2.5: Finanzielles Marktvolumen des Regelleistungs- und Regelarbeitsmarktes vom im Zeit­raum zwischen dem 01.09.2019 und dem 29.02.2020. Die Angaben basieren auf einer eigenen Analyse der Daten von www.regelleistung.net .

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Über die 182 betrachteten Tage entstanden den deutschen ÜNBs Kosten in Höhe von 132 Mio. €. Hochgerechnet auf ein ganzes Jahr umfasst das finanzielle Marktvolumen für Regelleistung und -arbeit aktuell etwa 265 Mio. €. Die Kosten entfielen etwa zu zwei Drittel auf die Vorhal­tung von Regelleistung (bei PRL inkl. Erbringung) und zu einem Drittel auf den Einsatz von Regelarbeit.

2.3.6 Der Ausgleichsenergiepreis

Für theoretische Zeitpunkte, in denen der Regelzonensaldo null beträgt, muss keine Regelarbeit eingesetzt werden und jeder Bilanzkreis könnte nachträglich über den Day-After-Markt einen ausgeglichenen Saldo erhalten. Praktisch kommt dieser Fall nicht vor. Der Regelzonensaldo ist stets ungleich null, Bilanzkreise weisen einen unausgeglichenen Saldo auf und der Einsatz von Regelarbeit wird notwendig. Die Kosten der ÜNBs für die Regelarbeit werden auf alle unausge­glichenen Bilanzkreise über den Ausgleichsenergiepreis (AEP) umgelegt. Für die BKVs entsteht ein Anreiz ihre Bilanzkreise durch hochwertige Prognosen, Handeln am Spotmarkt , Regeln ihrer Erzeuger und Leistungsanpassung regelbarer Lasten ausgeglichen zu halten.

Der Ausgleichsenergiepreis ist pro Viertelstunde in allen deutschen Regelzonen gleich und wird daher auch regelzonenübergreifender einheitlicher Bilanzausgleichsenergiepreis (reBAP) genannt (Rolli, 2011, S 47ff.; Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., 2019a, S. 16). Der reBAP basiert auf dem Verhältnis der Kosten bzw. Erlösen für Regelenergie und dem Netzsaldo Kosten — Erlöse Für Regelarbeit können sowohl Kosten als auch Erlöse anfallen. Auch der Netzregelverbundsaldo kann positiv oder negativ sein. Sein Vorzeichen ist so definiert, dass es bei einer Netzüberspei­sung negativ ist, da negative Regelarbeit zum Ausgleich notwendig war. Sowohl Nenner als auch Zähler AEPs können daher positiv als auch negativ sein. Um aus dem AEP1 den reBAP zu berechnen werden mathematische Korrekturen angewandt, um extreme Ausgleichsenergiepreise in Zeiten eines kleinen Regelverbundsaldos zu verhindern (siehe dazu 50Hertz et al. (2016)).

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Die Bilanzkreisabrechnung erfolgt über die Multiplikation des Bilanzkreissaldos mit dem reBAP. Dabei entstehen für einige Bilanzkreise Einnahmen, für andere Kosten. Beispiel: Es sei angenom­men, dass ein Teil der Bilanzkreise während einer Viertelstunde in Summe eine Unterspeisung von -100 MWh aufweist, der andere Teil eine Überspeisung von 50 MWh. Der Regelzonensaldo beträgt folglich +50 MWh (sic!) und es werden 50MWh positive Regelarbeit eingesetzt, deren Einsatz stets Kosten nach sich zieht. Der Dividend und der Divisor sind positiv. Es resultiert ein positiver reBAP, beispielsweise in Höhe von 100€/MWh. Die unterspeisenden BKVs zahlen in Summe 100 MWh - 100 €/MWh = 10. 000 €, von denen 50 MWh - 100 €/MWh = 5. 000 € die überspeisenden BKVs erhalten und der Rest an die Erbringer der Regelarbeit gehen. Die Abrechnungslogik folgt dem in Tabelle 2.6 gezeigten Schema. Über alle Bilanzkreise hinweg wer­den über diesen Mechanismus die Kosten der Regelarbeit (bzw. zum Teil Erlöse bei negativer Regelarbeit) auf die Bilanzkreise umgelegt.

Tabelle 2.6: Mechanismus der Bilanzkreisabrechnung über den reBAP. Tabelle in Anlehnung an die ÜNBs (50Hertz et al., 2016).

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Aus den Daten von www.regelleistung.net zum reBAP und dem Netzverbundsaldo lassen sich Durchschnittswerte berechnen auf Basis deren eine Aussage über das Ausmaß der Ausgleichszah­lungen zwischen den Bilanzkreisen getroffen werden kann. Tabelle 2.7 zeigt die Durchschnitts­werte für reBAP und Regelzonensaldo.

Tabelle 2.7: Durchschnittlicher reBAP und Regelzonensaldo in Abhängigkeit ihrer Vorzeichen im Zeitraum zwischen dem 01.09.2019 und dem 29.02.2020. Die Angaben basieren auf einer eigenen Analyse der Daten von www.regelleistung.net .

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Im Referenzzeitraum mussten BKVs durchschnittlich 75,4€/MWh Ausgleichsenergie bezahlen, wenn der Netzverbundsaldo positiv war und die ÜNBs positive Preise für positive Regelar­beit bezahlen mussten. In diesem Fall betrug der Netzverbundsaldo durchschnittlich 308,5 MW.

Entsprechend sind die anderen Werte der Tabelle zu lesen. War der reBAP positiv lag er durch­schnittlich bei 51,9 €/MWh, war er negativ lag er im Mittel bei -41,2 €/MWh (negativer reBAP und unterdeckter Netzregelverbundsaldo hieße negative Preise für positive Regelarbeit und kam in dem halben Jahr nur in 45 Viertelstunden vor). Die vorzeichenbehafteten Mittelwerte lagen für den Netzverbundsaldo bei 307,7MW und -311,8MW, der betragsmäßige Durchschnitt bei 309,7 MW.

Meistens müssen EVUs für Fahrplanabweichungen ihre Ausgleichsenergie bezahlen, manchmal erhalten sie Geld für ihre Abweichung. Die tatsächlichen Kosten für Ausgleichsenergie aller Bi­lanzkreise ergibt sich aus den Kosten für Regelarbeit. Über den gesamten Zeitraum flossen 63,8 Mio. € an Ausgleichsenergie zwischen den BKVs, ÜNBs und Regelarbeitsanbietern. Auf ein Jahr hochgerechnet entspricht dies 128 Mio. €. Davon fließen gemäß Tabelle 2.5 86,2 Mio. € (67,3%) an die Anbieter von Regelarbeit, sodass 41,8 Mio. € (32,7%) auf Verrechnungen zwischen den BKVs entfallen. Die realen Preise für Ausgleichsenergie für die BKVs bemessen sich folglich aus den Kosten für Regelarbeit geteilt durch den Netzverbundsaldo. Innerhalb eines Jahres beläuft sich die Ausgleichsenergie auf ca.

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2.4 Weitere Systemdienstleistungen

2.4.1 Betriebsführung

Innerhalb der Betriebsführung überwachen und steuern die Netzbetreiber alle angeschlossenen Lasten und Erzeuger um einen sicheren Netzbetrieb zu gewährleisten. Dazu gehören Maßnahmen zur Netzanalyse und zum Netzmonitoring, zum Engpassmanagement sowie zur Koordination der Systemdienstleistungen zwischen den Netzebenen und der Beschaffung von Verlustenergie für die Übertragungsverluste innerhalb ihres Netzes (Deutsche Energie-Agentur, 2014, S. 4 & S. 17).

Engpassmanagement bezeichnet alle Maßnahmen der Netzbetreiber zur Vermeidung von Über­lastungen ihrer Netzkomponenten. Netzkomponenten werden überlastet, wenn die Stromflüsse innerhalb eines Stromnetzes, die aus den gehandelten Stromeinspeisungen und -entnahmen am Strommarkt entstehen, zur Verletzung von Strom- und Spannungsgrenzen an bestimmten Orten führen. Maßnahmen gegen Netzengpässen sind Redispatch, Countertrading und Einspeisemana­gement (Deutsche Energie-Agentur, 2014, S. 17; Zapf, 2017, S. 51f.).

Redispatch und Countertrading

Unter Redispatch wird die Leistungsanpassung einzelner Erzeuger zur regionalen Verlagerung der Energieeinspeisung mit dem Zweck der Entlastung von Elementen des Übertragungsnetzes durch die ÜNBs verstanden. Auf Basis der Fahrpläne aller Bilanzkreise ermitteln die ÜNBs mit Lastflussberechnungen ob Teile des Stromnetzes am Folgetag überlastet werden können. Nach § 13a EnWG sind Erzeuger mit einer Nennleistung ab 10 MW verpflichtet auf Redispatch- Anforderung des ÜNBs hin ihre Einspeiseleistung anzupassen. Der Paragraph regelt auch, dass die Betreiber der Anlage so zu entschädigen sind, dass ihnen kein wirtschaftlicher Nachteil ent­steht. Die eingespeiste Energiemenge bleibt beim Redispatch konstant, lediglich der Ort der Einspeisung ändert sich.

Beim Countertrading werden die ÜNBs selbst im Intraday-Handel aktiv. Sie kaufen oder ver­kaufen gezielt Strommengen in Abhängigkeit des Ortes des Erzeugers. (Zapf, 2017, S. 52).

Einspeisemanagement

Im Rahmen des Einspeisemanagements können Netzbetreiber Stromerzeugungsanlagen zur Prä­vention von Netzengpässen abregeln. Gemäß § 9 EEG müssen alle EE mit einer installierten Leistung über 100 kW über technische Einrichtungen verfügen, mit denen der Netzbetreiber die Ist-Einspeisung abrufen und die Einspeiseleistung bei Netzüberlastung ferngesteuert reduzie­ren kann. Für PV-Anlagen liegt dieser Wert sogar bei 30 kW. Kleinere Anlagen können entweder ihre Einspeiseleistung auf 70 % Peakleistung begrenzen oder ebenfalls ein Einspeisemanagement­System verbauen. § 11 EEG gewährt Betreibern von EE-Anlagen eine Einspeisegarantie in Form einer vorran­gigen physikalischen Abnahme, Übertragung und Verteilung ihres Stromes. Um Netzengpässe zu verhindern, erlaubt ihnen § 14 EEG allerdings auch EE-Anlagen abzuregeln. Die Bundesnetz­agentur (2011) hat definiert, dass die Abschaltungsreihenfolge der Anlagen unter der Berück­sichtigung von Netz- und Systemsicherheitsaspekten, Umweltgesichtspunkten und ihren ökono­mischen Auswirkungen vorgenommen wird, sodass EE-Anlagen rechtlich nachrangig abzuregeln sind. Da Netzengpässe besonders häufig im deutschen Stromnetz auftreten, wenn große Wind­parks in Norddeutschland viel Energie einspeisen, den die Übertragungsnetze nicht imstande sind zu den großen Verbrauchern in den Süden transportieren, ist die Abregelung von Windrä­dern durch Herausdrehen aus dem Wind nicht selten. Gemäß § 15 EEG müssen Netzbetreiber 95 % der entgangenen Einnahmen durch Einspeisemanagementmaßnahmen den Betreibern von EE-Anlagen erstatten. Abbildung 2.6 zeigt den ansteigenden Verlauf der gezahlten Entschädi­gungen für die Drosselung der Einspeiseleistung von EE-Anlagen durch die Netzbetreiber.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.6: Entwicklung der Entschädigungszahlungen nach §15 EEG. Die Daten stammen von der Bundesnetzagentur (2015, 2019a). Die Anteile von Wasserkraft und sonstigen EEs sind verschwindend gering.

Von rund 44 Mio. € im Jahr 2013 haben sich die Entschädigungszahlungen innerhalb von sechs Jahren auf 635 Mio. € mehr als vervierzehnfacht. Davon flossen 2018 rund 95% an die Betrei­ber von Windkraftanlagen. Im selben Jahr lag die Ursache für die Eingriffe in 87 % der Fälle in einem Engpass im Übertragungsnetz. In 74 % der Fälle wurden die Gegenmaßnahmen allerdings im Verteilnetz durchgeführt (Bundesnetzagentur, 2015, 2019a).

2.4.2 Spannungshaltung

Ebenso wie die Netzfrequenz ist auch die Spannung eines Stromnetzes nicht statisch. Stromlei­tungen und andere Komponenten des Stromnetzes weisen ohmsche Verluste auf. Beim Transport von elektrischem Strom fällt an ihnen eine elektrische Spannung ab. Dieser Spannungsabfall ist abhängig von der Stromstärke und der Höhe der ohmschen Verluste. Um die Netzspannung in einem definierten Spannungsbereich zu halten, setzen die Stromnetzbetreiber Maßnahmen zur Spannungshaltung ein. Die Einhaltung der Spannungsgrenzen wird einerseits planerisch durch die Auslegung und den Ausbau der Netzkomponenten sowie durch Anschlussvorgaben für Netz­nutzer gewährleistet. Andererseits übernehmen während des Betriebs Netzbetriebsmittel Span­nungshaltungsmaßnahmen. Von Bedeutung sind hier Anlagen die möglichst nahe am Ort der Spannungsabweichungen die Differenzen durch die Einspeisung von Blindleistung ausgleichen. Diese Aufgabe wird in erster Linie durch konventionelle Kraftwerke erfüllt. Sie kann aber auch von Spulen, Kondensatoren, statischen Kompensatoren, Stufenschaltwerken an Transformatoren, zunehmend von EE, durch Redispatch und Countertrading sowie notfalls mittels Lastabschal­tungen ausgeführt werden (Deutsche Energie-Agentur, 2014, S. 102ff.; Zapf, 2017, S.44f.).

Mit der Netzgestaltung, der Verwendung ihrer Netzbetriebsmittel, dem Redispatch und Coun­tertrading können die Netzbetreiber einige Maßnahmen zur Spannungshaltung ohne die Hilfe der anderen Netzakteure durchführen. Darüber hinaus schließen sie bilaterale Verträge, insbe­sondere mit Betreibern von konventionellen Kraftwerken, die Blindleistung als Dienstleistung zur Verfügung stellen. Es existiert bislang kein offener und transparenter Markt für Blindlei­stungsdienstleistungen. Die Bundesnetzagentur (2018, S. 17f.) schätzt die Preise für Blindarbeit auf einen mittleren zweistelligen Centbetrag pro Mega-Volt-Ampere-Reaktiv-Stunde. Obere und untere Preisgrenzen sieht sie bei 2,27€/MVArh und 0,08€/MVArh.

2.4.3 Versorgungswiederaufbau nach Störungen

Für den Fall eines großflächigen Stromausfalls müssen die Netzbetreiber Notfallpläne ausarbei­ten, mit denen die Stromversorgung wiederherzustellen ist. Dabei greifen sie auf schwarzstartfä­hige Erzeuger zurück, die für ihr Anlaufen keine externe Energie benötigen, also autonom anfah­ren können. Mithilfe dieser Anlagen wird zunächst ein Inselbetrieb aufgebaut, dem sukzessive Lasten zugeschaltet werden um die Netzfrequenz stabil zu halten. Schwarzstartfähige Kraft­werke sind insbesondere Pumpspeicher- und Gaskraftwerke, deren Anlauf aus Batterien oder Notstromaggregaten gespeist wird (Zapf, 2017, S. 51; Deutsche Energie-Agentur, 2014, S. 16). Da die Entwicklung und Erprobung der Wiederaufbaupläne der Netze durch die Netzbetreiber aufwendig ist und dabei die konkreten Schwarzstarkraftwerke in die Planung miteinbezogen wer­den, schließen die Netzbetreiber langfristige, bilaterale Verträge mit den Schwarzstarkraftwerken (50Hertz et al., 2019c, S. 13).

2.4.4 Marktgrößen der weiteren Systemdienstleistungen

Abbildung 2.7 fasst den finanziellen Umfang und die zeitliche Entwicklung der weiteren Netz­dienstleistung zusammen. Die Ausgaben für die Einspeisung von Blindleistung, das Countertra­ding und die Vorhaltung der Schwarzstartfähigkeit von Kraftwerken haben verglichen mit der Beschaffung von Ausgleichsenergie, dem Einspeisemanagement und dem Redispatch nur gerin­ges ökonomisches Gewicht. Die Beschaffung von Verlustenergie und Countertrading erfolgt durch die Partizipation am Stromhandel der Netzbetreiber. Blindleistung erbringen die Netzbetreiber zum Teil selbst, zum anderen Teil schließen sie ebenso wie mit Schwarzstartkraftwerken bilatera­le Verträge. Beim Einspeisemanagement und Redispatch ordnen die Netzbetreiber Änderungen der Einspeiseleistung in Abhängigkeit des Ortes an. Für alle der weiteren Systemdienstleistungen existiert, im Gegensatz zur Regelleistung, kein offener Markt, auf dem Erzeuger und Verbraucher ihre Dienstleistungen den Netzbetreibern anbieten können.

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Abbildung 2.7: Entwicklung der Entschädigungszahlungen nach § 15 EEG. Die Daten stammen von der (Bundesnetzagentur, 2020, S. 199).

In den vergangenen Jahren haben die steigenden Kosten für die Systemdienstleistungen und Änderungen im EU-Recht zu Diskussionen über die Einführung von marktwirtschaftlichen Me­chanismen für Redispatch-Maßnahmen und die Bereitstellung von Blindleistung geführt (siehe z. B. Hirthund et al. (2019) für marktbasierten Redispatch und Brückl et al. (2016) für marktbasier­te Blindleistungsbeschaffung), die sich bisher aber noch nicht in den gesetzlichen Bestimmungen niedergeschlagen haben. In einigen aktuellen Projekten werden lokale Flexibilitätsmärkte er­probt, in denen Verbraucher und teilweise auch Erzeuger auf einem Markt die Flexibilität ihrer Fahrweise zur Verhinderung von Netzengpässen anbieten (siehe z. B. das enera-Projekt in Ost­friesland (Goldkamp und Schallenberg, 2020) oder den Altdorfer Flexmarkt (Zeiselmair et al., 2019)).

2.5 Herausforderungen der Energiewende

2.5.1 Entwicklung des deutschen Strommix

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bis in die 1990er Jahre stützte sich die deutsche Stromerzeugung auf Kohle-, Gas-, Kern- und zu einem geringen Teil auf Wasserkraftwerke. Diese Kraftwerkstypen sind gut steuerbar und ihre Einspeiseleistung damit recht genau prognostizierbar. Gegen Ende der 1990er Jahre begann die Integration von Windrädern in das Stromnetz. Die PV machte erst 10 Jahre später nennenswerte Anteile des Strommix aus. Abbildung 2.8 zeigt die Entwicklung der deutschen Stromproduktion.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.8: Historische Entwicklung des deutschen Strommix. Die Daten stammen vom Bun­desverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (2020).

Die Erzeugungszuwächse der fluktuierenden erneuerbaren Energiequellen sorgten ab Beginn der 2000er für einen wachsenden Stromaustauschsaldo mit den Nachbarländern und ab 2008 für einen Rückgang der Stromproduktion aus Steinkohle. Nach dem Reaktorunfall in Fukushima 2011 wurde der Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahre 2022 (erneut) beschlossen, sodass seit 2011 der Anteil der Kernenergie am Strommix stetig sinkt. Seit dem Jahr 2014 ist außerdem ein Rückgang der Braunkohleverstromung festzustellen, der alleine von 2018 auf 2019 bei mehr als 20 % lag. Im Jahr 2019 betrug der Anteil von Wind- und Solarenergie an der deutschen Bruttostromproduktion 28,5 %, der Anteil aller EE lag bei 40,2 % (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., 2020).

Im Klimaschutzplan 2050 setzt die Deutsche Bundesregierung das Ziel, die Energiewirtschaft bis zum Jahr 2050 nahezu vollständig zu dekarbonisieren (Deutsche Bundesregierung, 2016, S. 34). Abbildung 2.9 zeigt eine Prognose des Öko-Institutes zur Entwicklung der deutschen Net­tostromproduktion nach Energiequellen bis zum Jahr 2030.

Gemäß dieser Prognose wachsen die Anteile der fluktuierenden EE Windkraft und PV stetig. 2025 soll ihr Beitrag 35,8% der Stromerzeugung umfassen (Windkraft 26,7%, PV 9,1%), 2030 bereits 42,6% (Windkraft 31,3%, PV 11,2%). Die im Klimaschutzplan 2050 formulierten Ziele für 2030 sind ambitionierter. Sie sehen für 2030 einen Anteil von 53,5 % vor (Windkraft 38,1 %, PV 15,3%). Damit soll ihr Anteil innerhalb von 10 Jahren um etwa 47% bzw. 25Prozentpunkte steigen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.9: Prognostizierte Entwicklung des deutschen Strommix. Die Daten für den Zeit­raum 2016 bis 2030 stammen aus dem „Projektionsbericht der Bundesregierung 2019“ (Deutsche Bundesregierung, 2019b, S. 154) und basieren auf Modellrechnungen des Öko-Instituts. Der rech­te Balken visualisiert die Zielzusammensetzung gemäß „Klimaschutzprogramm 2030 der Bundes­regierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050“ im Jahr 2030 (Deutsche Bundesregierung, 2019a, S. 39).

2.5.2 Gewährleistung der Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund der Energiewende

Für das Stromnetz ergeben sich aus dieser Entwicklung zwei Probleme. Das erste Problem ist eine systematische zeitliche Differenz zwischen Einspeise- und Lastkurve. Dieses Problem wird durch Abbildung 2.10 verdeutlicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.10: Simulation eines Stromsystems basierend auf 100% erneuerbaren Energien. Zeitlicher Vergleich des täglichen Lastgangs mit der potenziellen Einspeiseleistung. Die Simula­tion basiert auf den Daten von Burger (2019).

Die Grafik simuliert den Fall 100% Strommix aus erneuerbaren Energien. Dabei wird ange­nommen, der historischen Entwicklung des Strommix folgend, dass die deutschen Potenziale für Wasserkraft weitgehend ausgeschöpft sind und Biomasse und sonstige EE in der Zukunft keine nennenswerten Leistungszugewinne erzielen. Entsprechend werden Windkraft und PV so hochskaliert, dass die gesamte Einspeiseleistung über alle erneuerbaren Erzeugertypen kumu- liert der Gesamtlast von 2019 im Tagesdurchschnitt entspricht. Bildlich gesehen entsprechen die Flächen der Energiequellen der Fläche unter der Lastkurve. Die Skalierung von Windkraft und PV erfolgt so, dass ihr Verhältnis dem des im Klimaschutzplan 2030 genannten gleicht (P wind = 2, 49 - P pv). Die absoluten Leistungen wurden auf die maximale Last-Leistung nor­miert. Die Abbildung zeigt, dass eine Stromversorgung, die größtenteils auf Windkraft und PV basieren würde, systematische Einspeiseüberschüsse zwischen 10 Uhr und 18 Uhr (Erzeugung durchschnittlich 20,6% größer als Last) und systematische Einspeisedefizite zwischen 18 Uhr und 10 Uhr (Erzeugung durchschnittlich 11,8% kleiner als Last) generieren würde. Insgesamt entstünde ein Energiespeicherbedarf von etwa 10 GWh pro Tag.

Das zweite Problem entsteht durch kurzfristige Fluktuationen, die sich nicht in Jahresdurch­schnittswerten, sondern kleinen zeitlichen Einheiten zeigen. Abbildung 2.11 simuliert ebenso den Fall 100% Strom aus EE, allerdings nicht im Jahresdurchschnitt, sondern für die ersten sieben Tage des Jahres 2019.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.11: Zweite Simulation für ein Stromsystem mit 100% erneuerbaren Energien. Es wurden keine Mittelwerte gebildet. Betrachtet wird der Zeitraum vom 01. Januar 2019 bis 07. Januar 2019. Die Simulation basiert auf den Daten von Burger (2019).

Auch hier wurden die Leistungen der Erzeuger so normiert, dass die Einspeiseenergie gleich der Verbrauchsenergie ist (die Fläche sind identisch). Zu sehen ist, dass die in Abbildung 2.10 noch sehr kontinuierlich erscheinende Windkraft auf Tagesbasis starken Einspeiseschwankungen unterliegt. So stieg am 07.01.2019 zwischen 11 Uhr und 22:30 Uhr innerhalb von 11,5 h die Wind­leistung um 337% von 8,7 GW auf 38 GW an. In diesem Szenario wäre die Einspeiseleistung im Durchschnitt 40 % vom Verbrauch abgewichen. Unter Berücksichtigung der kurzzeitigen Fluk­tuationen vergrößert sich der Tagesbedarf für Energiespeicherung innerhalb des beschriebenen Szenarios auf Basis der Daten von 2019 im Jahresdurchschnitt auf 50 GWh pro Tag, Schwan­kungen innerhalb eines 15 Minutenintervalls außen vor gelassen.

Die steigenden Fluktuationen im Stromnetz durch den erhöhten Anteil der EE am Strommix konnten in den vergangenen Jahren durch stärkere europäische Kooperation und verbesserte Prognosen im Bilanzkreismanagement überkompensiert werden, sodass der Bedarf für Regellei­stung und -arbeit zurückgegangen ist. Für die Zukunft wird mit einem Anstieg des Regellei­stungsbedarfs gerechnet. Spieker et al. (2016, S. 5ff.) prognostizieren für das Jahr 2035 einen moderaten Bedarfszuwachs auf 2.200 MW negative und 2.400 MW positive SRL. Deutlich stär­keres Wachstum erwarten sie für die Minutenreserve. Für 2035 gehen sie von einem Bedarf von 4.100 MW für negative MRL und 3 900 MW für positive MRL aus. Für die PRL wird keine Änderung zu den heutigen 600MW erwartet. Stäglich et al. (2017, S. 12f.) gehen ebenfalls von einem gesteigerten Regelleistungsbedarf für SRL und MRL aus. Für 2025 prognostizieren sie einen kumulierten Bedarf für SRL und MRL zwischen 7.000 MW und 10.800 MW und für 2030 8.500 MW bis 13.500MW.

Für Stromsysteme, die weitestgehend auf EE setzen, existieren mehrere, miteinander kombi­nierbare Ansätze zur Kompensation der Differenzen zwischen Einspeiseleistung und Last:

1. Die verbleibenden nicht-fluktuierenden Erzeuger regeln gegen die Differenzen der fluktuie­renden Erzeuger. Mit der Energiewende verschwindet allerdings ein wesentlicher Teil der regelbaren Erzeuger.
2. Die installierte Leistung erneuerbarer Energiequellen wird so stark überdimensioniert, dass auch bei wenig Wind und kaum Sonneneinstrahlung die verfügbare Energie für die gegebe­ne Last ausreichend ist. In Zeiten normaler Wetterbedingungen werden Anlagen abgeregelt. Aufgrund der hohen Investitionskosten und der hohen Energiemenge, die ungenutzt bleibt, ist dieser Ansatz ineffizient.
3. Die Lastkurve wird der Einspeisekurve angepasst (DSM). Hier zeigt der Verweis auf Ta­belle 2.2, dass DSM bisher kaum für Anwender infrage kommt und ihr Anteil an der präqualifizierten Regelleistung bisher gering ist.
4. Energiespeicher werden in Zeiten zu hoher Einspeisung geladen und bei zu niedriger ent­laden. Bisher werden hauptsächlich Pumpspeicher als Energiespeicher eingesetzt (vgl. Ta­belle 2.2), deren Potenzial in Deutschland weitgehend ausgeschöpft ist.

Die Entwicklungen des Strommix in Deutschland zeigen, dass die Energiewende in vollem Gange ist. Die Klimaziele der Bundesregierung für die kommenden Jahre und Jahrzehnte lässt erwarten, dass sich ihr Verlauf fortsetzt. Wie oben gezeigt wird eine der großen Herausforderung das Finden von Alternativen sein, die sich bei immer stärkeren Fluktuationen durch Windkraft und Photovoltaik zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit eignen.

3 Technische Grundlagen der Elektromobilität und Marktentwicklung

Die Elektromobilität hat sich in den vergangenen Jahren enorm gewandelt. Um den Stand der Technik sowie die aktuellen Markt- und Ladeinfrastrukturentwicklungen im Geschäftsmodell zu berücksichtigen, gibt dieses Kapitel hierzu einen Überblick. Zunächst werden die verschiedenen Elektroautovarianten abgegrenzt. Es folgt eine Einführung in die technische Funktionsweise eines Ladesystems. Anschließend werden die Entwicklungen der Absatzzahlen, der ökonomischen Ei­genschaften, der Batteriekapazität und Reichweite, der Ladeleistung und der Ladeinfrastruktur beschrieben. Es folgt eine Analyse des Nutzungsverhaltens der Elektroautofahrer. Zuletzt wer­den die Auswirkungen der zunehmenden Verbreitung der Elektromobilität auf das Stromsystem aufgezeigt.

3.1 Antriebstechnologien moderner Fahrzeuge

In den Geburtsjahrzenten des Automobils, den 1880er bis 1910er Jahren, konkurrierten verschie­denen Antriebstechnologien um die Setzung des dominanten Designs. Die größten Marktanteile entfielen auf Fahrzeuge mit Dampfmaschine, Verbrennungs- oder Elektromotor. Trotz guter Be­dienungsfreundlichkeit, hoher Zuverlässigkeit und Effizienzvorteilen konnten sich Elektroautos, angesichts der Reichweiten- und Geschwindigkeitsvorteile von Fahrzeugen mit Verbrennungsmo­toren, zunächst nicht durchsetzen. Seit den 1920er Jahren dominieren Benzin- und später auch Dieselmotoren den Fahrzeugantrieb (Kampker et al., 2018, S. 3ff.).

Im Zuge wachsender Wachstumsskeptik und der Ölkrisen in den 1970er und 1980er Jahren wurden ersten Versuche zur Reetablierung unternommen. Mehr Dynamik erhielt die Elektroau­toentwicklung 1990 durch den kalifornischen Clean Air Act und das Zero Emission Mandate. Die Gesetzgebung sah vor, dass bis 1998 mindestens 2 %, bis 2003 sogar 10% aller Neufahrzeu­ge emissionsfrei fahren sollten. Das Gesetz zwang Automobilhersteller zunächst zur Entwick­lung von Elektrofahrzeugen, ehe es entschärft wurde. Erst die bahnbrechenden Fortschritte der Lithium-Ionen-Batterietechnik ließ in den 2000ern die Hoffnung auf Elektroautos wachsen, die zukünftig ebenbürtige Reichweiten und Leistungen erreichen wie Fahrzeuge mit Verbrennungs­motor (Kampker et al., 2018, S. 11ff.).

Noch immer ist der Verbrennungsmotor die dominante Antriebsart in Fahrzeugen. Die eingesetz­ten Technologiearten sind in den vergangenen Jahren aber wieder diverser geworden. Abbildung 3.1 zeigt ihre wichtigsten Unterscheidungsmerkmale.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3 Technische Grundlagen der Elektromobilität und Marktentwicklung

Hybrid-elektrische Fahrzeuge (Engl. Hybrid Electric Vehicle, HEV) tanken ebenso wie Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor (Engl. Internal Combustion Engine Vehicle, ICEV) flüssigen Kraftstoff, speichern ihn in einem Tank, entzünden ihn unter Sauerstoffzufuhr in den Kolben ihres Ver­brennungsmotors und Erzeugen aus der Wärmeausdehnung die Fahrzeugbewegung. Zusätzlich verfügen HEVs über eine kleine Hochvoltbatterie (HV-Batterie) und einen Elektromotor. Beim Bremsen wird die Bewegungsenergie des Autos per Rekuperation in elektrische Energie um­gewandelt, die zum Laden der HV-Batterie genutzt wird. Plug-in-hybrid-elektrische Fahrzeuge (Engl. Plug-in-Hybrid Electric Vehicle, PHEV) besitzen größere HV-Batterien und die Möglich­keit sie extern zu laden. Batterie-elektrische Fahrzeuge (Engl. Battery Electric Vehicles, BEV) haben eine große HV-Batterie, die in erster Linie extern, aber auch durch Rekuperation geladen wird. Das Auto wird ausschließlich durch den (z. T. auch mehrere) Elektromotor angetrieben. Fahrzeuge mit Brennstoffzelle (Engl. Fuel Cell Electric Vehicle, FCEV) besitzen neben einer kleinen HV-Batterie zusätzlich einen Wasserstofftank. Der Wasserstoff wird in einer Brennstoff­zelle in Strom umgewandelt, der zum Laden der HV-Batterie verwendet wird.

Alle HEVs, PHEVs, BEVs und FCEVs werden im Folgenden als Elektroauto (Engl. Electric Vehicle, EV) aufgefasst. Alle EVs, die extern geladen werden können, werden als Plug-in­Elektroautos (Engl. Plug-in Electric Vehicle, PEV) bezeichnet.

3.2 Laden von Elektroautos

Kleine Ladungsmengen gewinnen moderne Elektroautos während der Fahrt durch Rekuperation wieder. Neben PHEVs und BEVs können auch HV-Batterien der meisten FCEVs durch eine externe Spannungsquelle geladen werden. Alle PEVs mit relevantem Marktanteil können mit Wechselstrom (Engl. Alternating Current, AC) geladen werden, die meisten BEVs außerdem mit Gleichstrom (Engl. Direct Current, DC). Zum Laden eines PEVs reicht bereits eine her­kömmliche 230 V-Steckdose und ein passendes Ladekabel. Schukosteckdosen können dauerhaft Strom mit maximal 230 V und 10 A liefern, sodass die Ladeleistung auf 2,3 kW begrenzt ist. CEE-Steckdosen ermöglichen 16 A Dauerstrom und bis zu drei Phasen. Höhere Ladeleistungen können durch Wallboxen und AC-Ladesäulen zur Verfügung gestellt werden. Sie werden direkt mit den Phasen des dreiphasigen NS-Netzes verbunden. Je nach Anschlussdimensionierung va­riiert die maximale Stromstärke einer Phase. In Deutschland gängig sind Anschlüsse von 16 A, über 32 A bis hin zu 63 A. Wallboxen und AC-Ladesäulen können an eine oder mehrere Phasen angeschlossen sein. Sind pro Phase 16 A möglich, leistet eine einphasige Wallbox etwa 3,7 kW, dreiphasig sind 11 kW verfügbar. Bei einem 32 A-Anschluss verdoppeln sich diese Werte. Mit ei­nem 63 A-Anschluss sind dreiphasig maximal 43 kW AC-Laden möglich. DC-Ladesäulen können auch Leistungen über 50 kW bieten. Hochleistungsladesäulen (Engl. High Power Charger, HPC) erreichen heute Spitzenleistungen bis zu 350 kW. Das Laden mit Leistungen unter 22 kW wird gemäß Ladesäulenverordnung § 2 als Normalladen, ab 22 kW als Schnellladen definiert.

3.2.1 Ladesystemtechnik

Abbildung 3.2 zeigt einen simplifizierten Schaltplan eines Ladesystems, bestehend aus den wich­tigsten elektrischen Komponenten: dem Stromnetz, der Ladesäule oder Wallbox (Engl. Electric Vehicle Supply Equipment, EVSE) und einem BEV.

Das EVSE ist in der Regel mit dem NS-Netz verbunden. Das Stromnetz liefert AC mit 230 V Strangspannung (eine Phase) und 400V verketteter Spannung (drei Phasen). Batterien kön­nen nur mit DC geladen werden. Ihre Nennspannung liegt zwar üblicherweise im Bereich von 400 V, variiert aber zwischen den Modellen. Zudem muss während des Ladevorgangs die Lade­spannung angepasst werden. Zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Ladevorgangs bedarf es daher mehrerer elektrischer Komponenten.

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Ende der Leseprobe aus 155 Seiten

Details

Titel
Integration von Elektroautos in die Stromwirtschaft. Entwicklung eines Smart-Charging- und Vehicle-to-Grid-Geschäftsmodells aus der Perspektive eines Automobilherstellers
Hochschule
Universität Bremen
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
155
Katalognummer
V936990
ISBN (eBook)
9783346269560
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elektroauto, Elektromobilität, Smart Charging, Vehicle-to-Grid, Automobilhersteller, Geschäftsmodell, Business Model Canvas, Stromwirtschaft, Regelleistung, Regelarbeit, Energiewende, St. Galler Business Model Navigator
Arbeit zitieren
Nico Pieper (Autor:in), 2020, Integration von Elektroautos in die Stromwirtschaft. Entwicklung eines Smart-Charging- und Vehicle-to-Grid-Geschäftsmodells aus der Perspektive eines Automobilherstellers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/936990

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