Die Grundsicherung in Bezug auf die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe für Kinder

Eine Analyse


Bachelorarbeit, 2020

62 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen und Definition
2.1 Armutsforschung
2.2 Grundsicherung
2.3 Kindergrundsicherung
2.4 Bedarfsorientierte Kindergrundsicherung
2.5 Bürgerversicherung und bedingungsloses Grundeinkommen

3 Soll- und Ist-Zustand
3.1 Chancenungleichheiten
3.2 Definition von Armut bzw. Kinderarmut
3.3 Unterscheidung von Armut
3.4 Ursache von Kinderarmut
3.5 Armutsrisiko
3.6 Fallbeispiel
3.7 Folgen von Kinderarmut
3.8 Auswirkungen von Kindergärten

4 Ergebnisse der Grundsicherung
4.1 Kindergeld
4.2 Elterngeld
4.3 Ehegattensplitting
4.4 Familienbestandteile in der Grundsicherung nach SGB II
4.5 Förderung armer Kinder
4.6 Chancengleichheit armer Kinder in unserer Gesellschaft
4.7 Maßnahmen zur Verringerung von Kinderarmut

5 Diskussion und Fazit

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Entwicklung der Armutsgefährdungsquote, aus Schneider/Stilling, 2012, S. 65

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: „Wie wird das Kindergesicht der Armut sichtbar?“, aus Holz, 2019: 12

Abbildung 2: Das Gute-Kita-Gesetz - finanzielle Ausstattung, aus bmfsfj: 2019, S. 9, https://www.bmfsfj.de/blob/141660/fabf5f52e9265e073affe75a61b3b393/

Abbildung 3:Das Gute-Kita-Gesetz - Handlungsfelder nach Bundesländern, aus bmfsfj: 2019, S. 8 https://www.bmfsfj.de/blob/141660/fabf5f52e9265e073

Abkürzungsverzeichnis

CSU Christlich-Soziale Union

DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft

EU Europäische Union

FDP Freie Demokratische Partei

Hartz IV Arbeitslosengeld II

IGLU Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung

K-ABC individuell anwendbarer Intelligenztest

OECD internationale Organisation

PISA Programm zur internationalen Schülerbewertung

SGB Sozialgesetzbuch

SOEP Sozio-Ökonomisches Panel

SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands

UN Vereinte Nationen

UNICEF Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen

1 Einleitung

Obwohl Deutschland ein reiches Land ist, gibt es Armut bzw. Kinderarmut. Die paritätischen Wohlfahrtsverbände setzten sich mit dieser Frage in ihren Armuts­berichten der Jahre 2005 bis 2011 auseinander. Die Armut wächst, auch in der Boomphase stieg die Armut. Im Jahr 2010 waren von 12 Millionen Menschen in Deutschland 14,5 Prozent armutsgefährdet. Die paritätischen Wohlfahrtsver­bände sehen eine Ursache im Marktversagen und in der ungleichen Verteilung von Gütern. Um die Armut einzuschränken, fordern sie eine höhere Versteuerung des Vermögens.

Wo Armut herrscht, ist auch Kinderarmut. Nach der Bertelsmann Stiftung belief sich in Deutschland im Jahr 2010 bezogen auf 403.000 Kinder unter 15 Jahren die Armutsquote auf 19,9 Prozent (vgl. Schneider/Stilling 2012: 65 ff.). Die nie­dersächsische Sozial- und Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) will an­gesichts dieser Entwicklung eine Kindergrundsicherung für alle Kinder in Deutschland voranbringen. Die Kindergrundsicherung soll Leistungen aus dem SGB II, Kindergeld, Leistungen aus dem SGB IX und einen Kinderzuschlag ent­halten (vgl. NDR 2019: o. S.). Auch der Kinderschutzbund in Schleswig-Holstein fordert neben Bildung und Teilhabe einen besseren Schutz der Kinder vor Gewalt und Vernachlässigung, mehr Kinderrechte und einem besseren Gesundheitssys­tem eine existenzsichernde Kindergrundsicherung für Kinder von Geringverdie­nern (vgl. Breuer 2017: o. S.).

Angesichts solcher Forderungen stellen sich eine Reihe von Fragen: Kann durch eine Grundsicherung die Kinderarmut gesenkt werden? Kommt das Geld bei den betroffenen Kindern an und entsteht dadurch eine Verbesserung in der Lebens­qualität? In den skandinavischen Ländern gibt es weniger Kinderarmut, obwohl auch hier eine Grundsicherung fehlt. Lassen sich daraus Schlüsse ziehen? Dem Politikwissenschaftler G0sta Esping-Andersen zufolge steht eine Verringerung der Kinderarmut mit Chancengleichheit, der Einführung des Bildungssystems, der Emanzipation der Frauen, Kita-Angeboten sowie der Förderung der Frauen in der Arbeitswelt in Zusammenhang (vgl. Zeit 2015: o. S.). In Finnland wurde ein Projekt gestartet, um Armut zu verringern, bei dem 2.000 Arbeitslose zwei Jahre lang ein bedingungsloses Grundeinkommen von 560 Euro im Monat erhielten.

Die Hoffnung der Regierung war, dadurch einen Anreiz zu schaffen, dass die Arbeitslosen einen „schlecht bezahlten Job“ annehmen. Das Projekt wurde beim Wechsel der Regierung als zu teuer empfunden und frühzeitig beendet. Die Ar­beitslosen nahmen keine Arbeit auf, es trat aber eine Verbesserung in Sachen Gesundheit und Wohlbefinden auf. Weitere Projekte mit einem bedingungslosen Grundeinkommen sollen in Kenia und Indien eingeführt werden. Finanziert wer­den soll das bedingungslose Grundeinkommen durch die Abschaffung von Sozi­alprogrammen wie die Subvention von Nahrung (vgl. Simon 2019: o. S.).

In der DDR wurden die Grundnahrungsmittel subventioniert, auch die Bildung wurde gefördert und die Selbstversorgung wurde angeregt. Trotz allem gab es die Kinderarmut. Warum halfen diese Maßnahmen nicht - zumindest nicht in dem Sinne, dass das Phänomen Kinderarmut verschwand?

Thema dieser Bachelorarbeit ist eine Analyse der Grundsicherung mit Blick auf die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe für Kinder. Eine Hypothese ist, dass die Grundsicherung für Kinder nicht die Kinderarmut bewältigen wird. Bei der Kinderarmut treten mehrdimensionale Beeinträchtigungen auf, die ein opera­tionalisiertes und multidimensionales Handeln erfordern. Anhand der For­schungsliteratur wird versucht, die Hypothese zu bestätigen. Es geht bei den Kin­dern, die in relativer Armut leben, darum, die Lebensbedingungen zu verbessern sowie den benachteiligten Kindern eine Teilhabe zu ermöglichen und ihnen Un­terstützung zu geben. Zur Überprüfung der Hypothese erfolgt eine Orientierung an folgenden Fragen: Können die Folgen und der Mangel bei der relativen Kin­derarmut ausgeglichen werden? Wie können die Kinder im Alltag und im Leben­sumfeld unter gleichen Bedingungen aufwachsen? Wie kann das kindliche Wohl ein finanzielles Fundament erhalten, das allen Kindern die gleichen Chancen hin­sichtlich Bildung, Gesundheit, Sicherheit und Förderung zuteilwerden lässt? Wie kann eine Chancengleichheit geschaffen werden, die eine Förderung und Unter­stützung auf mehreren Ebenen bietet? Kann eine Betreuung der Kinder und eine finanzielle Absicherung der Alleinerziehenden gewährleistet werden? Was kann der Staat in den Grundnahrungsmitteln unterstützend beitragen?

Da bei der Kinderarmut mehrdimensionale Beeinträchtigungen auftreten, ist ein operationalisiertes und multidimensionales Handeln erforderlich. Mit der Theorie Talcott Parsons setzt sich das zweite Kapitel auseinander. Viele Theorien in der Kinderarmut spielen eine wichtige Rolle. Die Analyse der sozialen Ungleichheit bei Marx (1870), die Betrachtung von Klassen, Ständen und Parteien bei Weber (1900), die soziale Lage bei Hradil (1987) oder die „Risikogesellschaft“ bei Beck (1986) sind von großer Bedeutung, ebenso weitere Gesellschaftstheorien mit Fo­kus auf Strukturen, Macht und soziale Bewegung. Leitend für diese Arbeit ist die Handlungstheorie von Talcott Parsons. Parsons sieht das Individuum in seinem Handeln mit seinen eigenen Bedürfnissen und seinen Zielen, die sich an Werten und Normen orientieren. Entstehen Konflikte in den Rollen zwischen Individuum und Institutionen, ist der Handelnde, das Individuum, bereit, Kompromisse einzu­gehen, um Sanktionen zu vermeiden und den Anforderungen gerecht zu werden. Dieses Handeln lässt sich bei ALG-II-Empfängern und im Jobcenter beobachten. Bei der Kinderarmut spielt das Individuum in seinem Handeln und in seinen Struk­turen eine wesentliche Rolle (Keller/Junge/Brock 2009: 11 ff).) Ebenfalls werden in diesem Kapitel die Armutsforschung sowie die Grundsicherung, die als Leis­tungsunterhalt bedarfsorientiert auf die Sozialleistungen ausgerichtet ist und Fa­milien in Armutsverhältnisse führen kann, in Zusammenhang mit den angedach­ten Konzepten der Kindergrundsicherung, einer bedarfsorientierten Kindergrund­sicherung, einer Bürgerversicherung und eines bedingungslosen Grundeinkom­mens erläutert. Mit der Ungleichheit der Menschen in Fragen von Kultur, Einkom­men, Geschlecht und Lebensverhältnissen befasst sich Kapitel drei. Wie unter­scheidet sich die Armut? Welches sind die Ursachen der Kinderarmut? Welches sind die Armutsrisiken? Woran mangelt es den Kindern? Welches sind die Folgen der Kinderarmut? Die Definition von Armut und Kinderarmut sowie die genannten Fragen werden in diesem Kapitel behandelt. Was die Kitas bei der Kinderarmut bewirken können, wie die möglichen Ergebnisse der Grundsicherung aussehen, ob arme Kinder mehr gefördert werden müssen, ob es Chancen für arme Kinder in unserer Gesellschaft gibt und welche Maßnahmen die Armut verringern könn­ten, sind Fragen, die im vierten Kapitel beantwortet werden. Das fünfte Kapitel fast die Erkenntnisse zusammen.

2 Theoretische Grundlagen und Definition

Im Rahmen einer mehrdimensionalen Sichtweise der Gesellschaftsstruktur geht Pierre Bourdieu auf die Unterscheidung der Klassen ein. Daraus entsteht die von ihm dargestellte Ungleichheit. Dabei nehmen die Machtverhältnisse auch in der modernen Gesellschaft eine Rolle ein, indem z. B. beruflich differenziert und dadurch der Status in der Gesellschaft zum Ausdruck gebracht wird. Nach Bour- dieu äußert sich die Ungleichheit in den unterschiedlichen Klassen, Schichten und Milieus. Dementsprechend wird das Handlungs- und Denkmuster durch den Habitus beeinflusst. Dieser Begriff kann folgendermaßen konkretisiert werden: Bourdieu definiert unter dem Begriff ,Habitus‘ den Menschen in seinem Handeln und Tun unter Bezugnahme auf die Faktoren Bildung, Herkunft, Geschlecht, Le­bensstil, Geschmackspräferenzen und Sprache. Zudem beschreibt er, dass sich der Mensch in seinem Handeln und Tun ständig neugestaltet. Insgesamt werden durch den Habitus sowohl die Struktur und Ordnung eines Menschen wiederge­geben als auch dessen Klasse und Schicht innerhalb der Gesellschaft (vgl. Bour- dieu/Pierre, 2014: 37 ff.).

Das Verhältnis zwischen dem Verhalten und der Kultur sowie die jeweilige Struk­tur und Ausübung gestaltet die mechanistische Handlungstheorie. Nach dieser ist die feste Struktur der Menschen in der Gesellschaft erforderlich. Die Gesell­schaft entsteht wiederum durch die Interaktion der Akteure der Umwelt, in der die entsprechenden Regeln und Verhaltensweisen präsentiert werden. In diesem Kontext geht ein höheres Wissen gleichzeitig mit Machtpositionen einher, sodass sich Machtverhältnisse im Kampf um Konflikte und Ressourcen bilden (vgl. Bour- dieu/Pierre, 2014: 29 ff.).

Die Klasse erscheint in ökonomischer Ungleichheit und wird den Notwendigkei­ten zugeteilt. Die Kultur wird den Reichen als Freiheit angehört. Die postindustri­elle Ungleichheit wird durch Geschlecht, Altersgruppe, ethischer Herkunft, Reli­gion, Lebensstil dargestellt. Die Klassengesellschaft hat sich im Wohlstand, in den postmaterillen Lebensstilen und ihren Überzeugungen aufgelöst. Die Verhal­tensweisen und kulturellen Identitäten lassen sich nicht sozialen Klassen zuord­nen. Schieflagen und Ausgrenzungen bestehen aufgrund von Fragmentierung, Differenzierung und Individualisierung. Die soziale Klasse wird durch Zugehörigkeit zum Beruf, durch Einkommen und die soziale Lage bestimmt. Der Mensch als eigenschaftsloses Subjekt handelt aufgrund eigener Zwänge oder Suggestionen. Er wird als aktiver sozialer Akteur mit eigenen Strategien in sei­nem Lebensweg durch die Zugehörigkeit zu seinem sozialen Milieu oder Klas­senmilieu in Ort, sozialem Raum, Gefüge und gesellschaftlichen Beziehungen bestimmt. Die Menschen mit ihrem kulturellen Handlungsmuster erwerben in ih­ren Herkunftsmilieus neue Erfahrungen, die abgewandelt und differenziert wer­den. Die Kultur eines Milieus bestimmt die Lebensweise, die Berufsfelder und die Beziehungen in einer Gesellschaft. Emile Durkheims Milieukonzept verknüpft ökonomische und kulturelle Dimensionen. Soziale Klassen werden als Aggregate sozialen Handelns verstanden, die sich durch den gemeinsamen Habitus zu an­deren Milieus unterscheiden. Je nach Habitus folgt ein Milieu biografischen Stra­tegien, denen spezifische Bildungs- und Berufsziele, aber auch Ersatzziele ent­sprechen. Die ökonomische Verortung wird in einer dialektischen Beziehung zu der praktischen Selbstdefinition der sozialen Gruppe gesehen. Kultur wird als re­lativ autonomes Feld der Praxis und der Auseinandersetzung sozialer Gruppen gesehen. Empirisch ist im Sinne Durkheims die Vorstellung, dass der Mensch ein der Gesellschaft ist (vgl. Vester, 2011: 318 f.).

Die Differenz zwischen sozialer Teilhabe und sozialer Interaktion spiegelt sich in der gesellschaftlichen Systembildung. Die Systemtheorie hat die Gesellschaft formuliert und ein neues begriffliches Instrumentarium entwickelt. Sie ist selbst Ausdruck des Charakters der Gesellschaft und reflektiert sie. In der Gesellschaft ist die soziale Teilhabe in den Ressourcen, die ihr zur Verfügung stehen, und durch die Verlagerung der Inklusion materiell abhängig. Die materielle Teilhabe und die Inklusion reflektiert die Prozesse der umfassenden Globalisierung wider. Globalisierung wird als wirtschaftlicher und finanzieller Prozess beschrieben, der die Gesellschaft in politischer, sozialer, kultureller und ökonomischer Hinsicht transformiert. und somit als Monetarisierung und Ökonomisierung definiert wird. Im 20. Jahrhundert hat der Wohlfahrtsstaat die Ökonomie zu einem hegemonia­len Teilsystem gemacht, das die Funktionslogik von Kultur, Bildung, Politik und Sozialem durchdringt, und auf nicht kapitalistische Gesellschaftssysteme ausgeweitet. Grundsätzlich sind die sozialen Reproduktionsformen durch ökono­mische Polarisierung und den Abbau kultureller und sozialer Autonomie gefähr­det.

Die Kinderarmut steht im Zeichen der Globalisierung. In ihr zeigt sich die Rück­kehr der Armut als Folge neoliberaler Deregulierungsmanie und Ungleichheitseu­phorie. Zum anderen ist sie das Menetekel einer Gefährdung der gesamtgesell­schaftlichen Reproduktion. Die soziale Ungleichheit in einer sozialen Klasse wird im offiziellen Gesellschaftsverständnis dementiert. Die Folgeerscheinungen und die Bewertung im gesellschaftlichen Systemwandel in der Debatte zur Kinderar­mut beschreiben die Globalisierung. Der Systemwandel betrifft auch die Formen der Reproduktion der Gesellschaft. Die familiäre Reproduktion ist in der Pflege und der Erziehung von Kindern durch den Systemwandel unter Druck geraten. Besonders Frauen sind diesem Druck in der unteren Schicht ausgesetzt. Bei den ökonomisch Schwächsten findet die familiäre Reproduktion unter dem Damok­lesschwert der Exklusion statt (vgl. Beisenherz, 2001: 53 f.).

2.1 Armutsforschung

In den vorgelegten Armutsberichten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes wur­den die wichtigsten Erkenntnisse zur regionalen Verteilung in Deutschland zu­sammengetragen. Die Datenerhebung wurde von den Städtischen Ämtern des Bundes und den Ländern in einem Projekt „Sozialberichterstattung der amtlichen Statistik“ durchgeführt und die Berechnungen basieren auf der Mikrozensuserhe­bung. Ersichtlich ist aus dem Bericht, dass es kaum einen Einfluss auf die Armut­sentwicklung in Deutschland hatte, ob eine Boomphase oder eine Krise vorlag. Mit anderen Worten, die Armutsquote hat sich verfestigt (vgl. Schneider/Stilling, 2012: 65 ff.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Entwicklung der Armutsgefährdungsquote, aus Schneider/Stilling, 2012, S. 65

Tabelle 1 mit der Mikrozensuserhebung aus den wirtschaftlich starken Jahren 2006, 2007 und 2010 zeigt, dass die Armut nicht oder nur leicht abnahm. Auch bei wirtschaftlichem Wachstum ist die Bundesregierung somit offensichtlich nicht in der Lage, die produzierten Reichtümer gerecht zu verteilen. Die Armut ist be­zogen auf die Bundesländer unterschiedlich verteilt. Das Ruhrgebiet ist eine Problemzone; hier leben über fünf Millionen Menschen. Es handelt sich um ein Ballungsgebiet in Deutschland. In Dortmund, Duisburg, Bochum/Hagen und Em- scher/Lippe hat die Armutsquote in den genannten sechs Jahren zugenommen. Die Inanspruchnahme von ALG II liegt bei 21,6 Prozent in den Städten Müllheim, Hamm, Essen und Gelsenkirchen (vgl. Schneider/Stilling, 2012: 65 ff.)

Kinderarmut lässt sich auf qualitative Arten vermessen. Dadurch entstehen tech­nische und konzeptionelle Differenzen. Dem Dritten und dem Vierten Armuts­und Reichtumsbericht der Bundesregierung zufolge besteht eine relative Einkom­mensarmut, wenn das Netto-Äquivalenzeinkommen unter 60 Prozent des Durch­schnittseinkommens liegt. Kritisch anzumerken ist, dass auch dann, wenn diese Einkommensgrenze überschritten wird, die Kinder durch die Lebensqualität, Suchterkrankungen der Eltern oder andere Beeinträchtigungen von Kinderarmut betroffen sein können.

Die Kinderarmut von der Grundsicherung abzuleiten, ist methodisch umstritten. Seit 1997 wird die Lebenslage von relativ einkommensarmen Familien mit jener von nicht einkommensarmen Familien verglichen. Auf der mehrdimensionalen kindheitsbezogenen Ebene werden internationale Deprivationsindizes verwen­det, die nach UNICEF ein Kind als arm ansehen, wenn es ihm an zwei von 14 Items mangelt. Zu diesen Items gehören bspw. der Besitz von zwei Paar pas­senden Schuhen, Zugang zum Internet oder die Möglichkeit, Geburtstage zu fei­ern. Kritik äußert die UNICEF selbst an ihren Verfahren. Warum gerade Wahl dieser Items? Warum wird die Trennung bei zwei Items vorgenommen?

Die empirische Analyse von Huebenthal (2016) lässt die Facetten der Armut in der konzeptionellen Unterscheidung von Erziehung, Bildung und Geld/Vermögen in der Bundesrepublik erkennen. Kinderarmut entsteht aus dem Verständnis der Erziehungsarmut, da sie aus einem Mangel an Verantwortung, Zuverlässigkeit und Fleiß resultiert. Als Folge kommt es trotz Erwerbsfähigkeit zu Grundsiche­rungsleistungen. Kommen die Eltern ihren Erziehungspflichten nicht nach, gilt Kinderarmut unter SGB-II-Empfängern als Verwahrlosung. Die Problembekämp­fung wird von der Bundesrepublik in Arbeit und Erziehung gesehen. Eine ange­botsorientierte Wirtschaftspolitik, die den Ausbau von Arbeitsplätzen forciert, nimmt eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der SGB-II-Empfänger in der Grundsicherung in Kauf. Werte und Normvorstellungen werden Kindern in der Schule und im Kindergarten vermittelt, der insofern einem kontrollierten Kin­derschutz entspricht. Die tugendlose Unterschicht soll zur tugendhaften Mittel­schicht werden.

Aus Sicht der Wohlfahrtsstaaten ist für die Bildungsarmut der Kinder ein Defizit der Eltern verantwortlich, das sich in zwei Probleme unterteilt. Die Bedürfnisse der Kinder von benachteiligten Eltern werden von der Bildung sozioökonomisch vernachlässigt und die Qualität der Allgemeinbildung fällt niedriger aus. Die be­nachteiligten Eltern können ihre Kinder nicht fördern, um deren Defizite auszu­gleichen und ihre Fähigkeiten erweitern. Die Kinder haben dadurch im Erwach­senenalter geringere Chancen, auf dem Arbeitsmarkt gut bezahlte Positionen zu erhalten. Als Gegenstrategie erfolgt eine Ausweitung der öffentlichen Bildungs­bemühungen, um eine ausreichende Arbeitsfähigkeit zu schaffen. Zum Teil wird dies durch den Rückbau monetärer Unterstützungsleistungen finanziert. Die Kin­dertagesstätten werden bereits im frühkindlichen Bereich stärker auf Bildung orientiert. Ganztagesschulen werden etabliert und darauf ausgerichtet, die allge­meine Bildung zu steigern. Ziel ist eine steigende Bildungsqualität, um einen fai­ren Arbeitsmarkt zu schaffen. Um den Arbeitsmarkt konkurrenzfähig und das Hu­mankapital potenziell leistungsfähiger zu gestalten, wird zukunftsorientiert der Ar­beitsbürger in den Blick genommen (vgl. Huebenthal, 2016: 51 f.).

Im Mai 2008 wurde der Dritte Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Damit geriet das Thema Kinderarmut erneut in die öffentliche Diskussion. Welche Aus­wirkungen hat die Kinderarmut aufgrund ökonomischer Mängel auf die kognitive und sprachliche Entwicklung und das Verhalten der Kinder? In Deutschland exis­tieren trotz des öffentlichen Interesses kaum empirische quantitativ erhobene Da­ten zu den Folgen von Armut. Letztere wurden für 3- bis 4-jährige Kinder aus einem repräsentativen Datensatz aus dem Großraum Rhein-Neckar erhoben. Untersucht wurde, ob sich Armut auch unter Kontrolle der sozialen Herkunft und der häuslichen Aktivitäten auf die kognitive, sprachliche und behavioristische Ent­wicklung auswirkt. Die Datenlage zur Analyse von Kinderarmut zeichnet sich durch drei Defizite aus: 1) Häufig existieren keine standardisierten Leistungsmes­sungen, sodass als Proxy der Übergang von der Grundschule auf die weiterfüh­rende Schule analysiert wird. 2) Der vorschulische Bereich wird in der Forschung vernachlässigt, sodass zu ihm fast keine Daten vorhanden sind. 3) Armut wird empirisch oft durch die variable Arbeitslosigkeit operationalisiert. Die Dauer der Armutsperiode und das Ausmaß der Armut finden hingegen keine Beachtung. Gerade der Einfluss von zeitlich begrenzten Armutsepisoden und ein lang anhal­tendes Familieneinkommen können sich auf die Entwicklung und Schulleistung auswirken.

Die Analyse anhand von Daten des SOEP (Sozio-Ökonomisches Panel) hat er­geben, dass Eltern mit höheren Einkommen ihre Kinder häufiger aufs Gymna­sium einschulen. Es kann aufgezeigt werden, dass arbeitslose Eltern und die da­mit verbundenen Restriktionen die Schulleistungen der Kinder negativ beeinflus­sen. Das Schulsystem kann häusliche Deprivationen nicht ausgleichen. Auch eine kurzfristige Armut der Eltern kann der Entwicklung des Kindes schaden, da materielle Engpässe der Familie sich auf die Gesundheit und das Erziehungsver­halten der Eltern sich auf die Intelligenzentwicklung und das Sozial- bzw.

Problemverhalten der Kinder auswirken. Regelmäßige gemeinsame Aktivitäten und ausreichender Wohnraum haben hingegen positive Auswirkungen auf die Lebenslage des Kindes. Familien in Armut müssen aus ökonomischer Perspek­tive entscheiden, ob sie ihr vorhandenes Kapital in förderndes Material (z. B. Bü­cher, Spielzeug, Nachhilfelehrer) oder in Freizeitaktivitäten (z. B. Museumsbesu­che) investieren. Die Ressourcen der Eltern können insofern die kognitive Ent­wicklung der Kinder beeinflussen. Die häusliche Umwelt der Kinder wird als wich­tig erachtet; bspw. wird das Vorlesen eines Buches als stimulierend beschrieben. Die psychische Forschung verweist auf die Stressfaktoren der Familie bei Ar­beitslosigkeit, die sich auf die psychische Verfassung der Eltern auswirken. Dies schlägt sich oft in einem härteren Erziehungsstil nieder. Signifikant kann dies in einer negativen Entwicklung des Kindes in seinen Kompetenzen und seinem So­zialverhalten zum Ausdruck kommen. Im Zusammenhang mit einem DFG-Projekt wird der Lernfortschritt von Migrationskindern im Vorschulalter im Hinblick auf ihre sprachlichen und kulturellen Fähigkeiten untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass sich relative Armut in kognitiven Kompetenzen und im Wortschatz des Kin­des auswirkt. Wird den Kindern häufiger vorgelesen oder werden kulturelle Akti­vitäten unternommen, können die kognitive Entwicklung und der Wortschatz der Kinder verbessert werden. Die Daten wurden mit K-ABC erhoben, das die kogni­tiven und sprachlichen Kompetenzen erfasst, jedoch war es dem Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung nicht möglich, das Sozialverhalten in Form eines elaborierten Tests oder einer Befragung von Erziehern zu erheben. Die Analyse des Sozialverhaltens basiert auf Befragungen der Eltern. Aufgrund der sozialen Herkunft der Eltern können dabei starke Verzerrungen bestehen. Daher müssen die Ergebnisse zum Sozialverhalten mit Vorsicht behandelt wer­den (vgl. Biedinger, 2009: 197 ff.).

Der deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband weist im Bundestagswahlkampf auf die Zahlen der Kinderarmut bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren innerhalb der letzten Jahre hin. Debattiert wird die Steigerung von 19,7 auf 20,2 Prozent. Argumentiert wird für 2015 und 2016 mit der größeren Aufnahme von Flüchtlingen. In den letzten Jahren ist beiden Kindern der Anteil von 13,5 auf 13,3 Prozent gesunken. Im Folgenden wird übersehen, dass trotz Jobwunder, reduzierter Arbeitslosigkeit und einer Steigerung der Mutterschaftserwerbstätig­keit sich die Kinderarmut nicht spürbar verringert hat. Laut der Europäischen Union werden Menschen als arm bezeichnet, denen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur privaten Verfügung steht. Die Grenze des durchschnittlichen Einkommens in Deutschland bei alleinstehenden Personen im Jahr 2016 lag bei 969 € im Monat, für Paare in gemeinsamem Haushalt bei 1.453 €. Mit jedem Kind ab 14 Jahren erhöht sich der Betrag um 484 €, bei Kin­dern unter 14 Jahren um 291 €. Die Grenze für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren beträgt 2.035 € monatlich.

Die Daten können je nach Grundlage, Mikrozensus, sozioökonomischem Panel oder nationaler bzw. europäischer Statistikbehörde variieren. Steigt das Einkom­men aus der Mittelschicht, steigt die relative Armut. Die Anzahl der Menschen, die im Jahr 2015 in Deutschland von der Grundsicherung lebten, betrug fast zwei Millionen Kinder und Jugendliche. Der Anteil der betroffenen Kinder unter 18 Jah­ren betrug 14,7 Prozent. Im Jahr 2011 waren 14,3 Prozent der Kinder von Armut betroffen. Trotz guter Konjunktur und steigender Beschäftigungszahlen erhöht sich die Anzahl der Kinder in Armut. Kinder, die von der staatlichen Grundsiche­rung leben, Kinder, die mit einem Elternteil leben, und Kinder, die mehr als drei Geschwister haben, sind einem hohen Armutsrisiko ausgesetzt. 57,2 Prozent der Kinder zwischen 7 und 15 Jahren, die mit Hartz IV längere Zeit leben, sind von Kinderarmut betroffen. Die Leistungen werden nach dem Zweiten Sozialgesetz­buch (SGB II) erbracht. Die Bundesagentur für Arbeit hat in der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung festgestellt, dass zwischen 3,1 und 4,9 Prozent der Menschen, die in Armut leben, keinen Anspruch auf Grundsicherung stellen oder in verdeck­ter Armut leben. Der deutsche Kinderschutzbund schätzt die Zahlen auf 4,4 Mil­lionen Menschen, die keine Leistungen nach SGB II, Wohngeld oder Kinderzu­schlag in Anspruch nehmen.

Menschen die sich vier der folgenden materiellen Deprivationen nicht leisten kön­nen, gelten als armutsgefährdet:

- Hypotheken oder Miete, Versorgungsleistungen
- Heizkosten für eine Wohnung
- unerwartete Ausgaben
- regelmäßige fleischliche oder eiweißhaltige Mahlzeiten
- Urlaubsreisen
- Fernseher
- Waschmaschine
- Auto
- Telefon

Im Jahr 2015 waren in Deutschland 4,4 Prozent der Bevölkerung von materillen Deprivationen betroffen. Davon waren 8,3 Prozent derjenigen mit erheblichen materiellen Deprivationen Familien mit zwei oder mehr Kindern, die in einem Haushalt leben; 17,3 Prozent waren alleinerziehend.

Untersuchungen haben gezeigt, dass 9,9 Prozent der Kinder in einmaligen oder temporalen Lebenslagen leben. Am schlechtesten geht es Kindern, die dauerhaft in Armut leben und deren Eltern SGB II beziehen. Es besteht nur ein geringer Verzicht bei Nahrung und Kleidung, eine Unterversorgung zeigt sich eher im Wohnraum; die Zimmeranzahl ist gering, abgenutzte Möbel können weniger häu­fig ersetzt werden. 51,7 Prozent der SGB-II-Bezieher/-innen können unerwartete Ausgaben nicht bezahlen. 67,6 Prozent können keine festen Beträge im Monat sparen. Die größte Unterversorgung aber besteht in der sozialen Teilhabe: 76,4 Prozent können sich keinen Urlaub leisten, 54,3 Prozent nicht ins Kino oder Theater gehen (vgl. Lenze, 2018: 326 ff.).

2.2 Grundsicherung

Jedes vierte Kind in Deutschland wächst mit einer Grundsicherung (SGB II) oder in einem armutsgefährdeten Haushalt auf. In Deutschland unterstützt der Staat die Familien mit einem Existenzminimum, jedoch orientiert sich dieses nicht an den tatsächlichen Ausgaben. Den Familien, die den Regelbedarf (SGB II) bezie­hen, ist eine Teilhabe an der Gesellschaft nicht möglich. Die Kinder dieser Fami­lien müssen häufig Mangel und Verzicht im Alltag ertragen, sind gesundheitlichen Problemen ausgesetzt und werden von der Gesellschaft ausgegrenzt, da die Teilnahme an Aktivitäten aus finanziellen Gründen nicht möglich ist. Die Chancen im Bildung- und Arbeitsleben sind für diese Kinder deutlich schlechter. Proble­matisch ist insbesondere das Armutsrisiko für Kinder aus alleinerziehenden und getrenntlebenden Familien sowie für Kinder, die mindestens zwei Geschwister haben. Neben dem Regelbedarf gibt es Unterstützungsangebote für einkom­mensschwache Familien, jedoch werden die Angebote wegen mangelnder Infor­mationen, fehlendem Vertrauen, einer aufwendigen Bürokratie oder nicht pas­sender Angebote nicht wahrgenommen (vgl. Funcke/Menne, 2018: 529 ff.).

Hartz IV bildet den Grundstein der Agenda 2010. Das Sozialsystem in Deutsch­land wurde nicht modernisiert, sondern transformiert. Die Bundesrepublik ist im­mer noch ein Wohlfahrtsstaat, der sich allerdings unter dem Einfluss von Groß­unternehmen, Spitzenmanagern und Finanzinvestoren zu einem Fürsorge- und Almosenstaat gewandelt hat. So spricht man von einer Hartz-Gesellschaft oder einem Hartz-Kapitalismus. Der Slogan für Hartz IV „Fördern und fordern“ besteht aus Drohkulissen, Disziplinarinstrumenten und Druckmitteln. Mit Beteiligung von Betriebsräten und Gewerkschaften wurden schlechtere Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne und so eine Kluft zwischen Arm und Reich geschaffen. Die Agenda-Politik unterstützt die Armut als Objekt und greift auf Erniedrigung, De­mütigung und Ausgrenzung zurück. Die Gewerkschaften stützen den Wertewan­del und den Verlust der Lebensqualität.

Seitdem das vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt wirk­sam war, lebten zeitweilig 7,5 Millionen Menschen in Armut, darunter 5,5 Millio­nen Arbeitslosengeld-II-Bezieher/-innen und rund 2 Millionen Sozialgeldempfän- ger/-innen. Meistens lebten Kinder unter 15 Jahren in den betroffenen vier Milli­onen Bedarfsgemeinschaften. Mit dem Aufschwung der Weltkonjunktur und den Gesetzesverschärfungen im Zuge von Hartz IV nahm die Anzahl der SGB-II- Be­darfsgemeinschaften 2006 ab. Zwar ist in diesem Jahr die Anzahl der Grundsi­cherungsempfänger um ca. 20 Prozent gesunken, dafür lebt jeder zweite in Dau­erbezug. Bei Kindern und Jugendlichen, die in einen Hartz-IV-Haushalt leben, nimmt die Anzahl der Hartz-IV-Empfänger weniger ab. Von 13,538 Millionen Kin­dern und Jugendlichen im Alter von unter 18 Jahren bezogen im Dezember 2018 1,953 Millionen Hartz-IV-Leistungen. Butterwegge (2019) weist auf das Berliner Institut für Armutsforschung und Jugendberufshilfe darauf hin, dass sich in den vergangenen Jahren die Hartz-IV-Bezieher/-innen von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt haben. Der Regelbedarf und die Armuts­gefährdungsschwelle vergrößerten sich, der Abstand ist größer geworden.

Der Arbeitsmarkt- und Sozialreformen brachten für Millionen Langzeitarbeitslose und ihre Familien vielfältige Entbehrungen und finanzielle Einschnitte. Das sozi­ale Klima ist gekennzeichnet durch eine Wut auf langzeitarbeitslose Menschen und ihre Familie sowie auf jene, die unter dem Existenzminimum leben und auf Unterstützung angewiesen sind; hier zeigt sich eine besondere Form des Sozial­neids. Die Gleichgültigkeit gegenüber strukturell Benachteiligten, Bedürftigen und Behinderten, aber auch die soziale Diskriminierung und Ausgrenzung nehmen in der sozioökonomischen Politik zu (vgl. Butterwegge, 2019: 14 ff.).

Neben den niedrigen Regelsätzen von Hartz IV spielen Sanktionen eine wichtige Rolle. Sie können dazu führen, dass Geldleistungen entzogen oder die Kosten­übernahme des Jobcenters für Miet- und Heizkosten gestrichen werden. Tritt eine Person unter 25 Jahren nicht einen vorgeschlagenen 1-Euro-Job an, kann bei der zweiten Pflichtverletzung eine Sanktion erfolgen. Sanktionen sind verfas­sungswidrig und kontraproduktiv; eine Selbstverwirklichung wird ausgeschlos­sen. Qualifikationen, gesundheitliche Einschränkungen und die Verfassung wer­den nicht berücksichtigt. Besonders kinderreiche Familien leiden unter Hartz IV, da einmalige Leistungen bspw. für Reparaturen schnell aufgebraucht sind (vgl. Butterwegge, 2019: 22).

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Grundsatzurteil vom 9. Februar 2010 mit Blick auf die spezifische Situation von Kindern im Grundsicherungsbe­zug hingewiesen:

- Kinder brauchen spezielle Bedarfe.
- Die Grundsicherung muss sich in ihren Regelsätzen an der kindlichen Ent­wicklung und Persönlichkeitsentwicklung ausrichten.
- Zusätzliche Bedarfe bei schulpflichtigen Kindern gehören zum existenziel­len Bedarf.

Ohne diese Kostendeckung droht den Kindern ein Ausschluss und haben sie keine Chance, die Schule erfolgreich zu besuchen. SGB-II-Empfängerinnen und -Empfängern droht ohne staatliche Unterstützung, dass sie in ihren Leistun­gen eingeschränkt sind. Art. 1 Abs. 1 GG in Zusammenhang mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ist mit solchen Sanktionen nicht kom­patibel. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber im Jahr 2010 umgesetzt. Die Regelsätze für Kinder und Jugendliche wurden herun­tergerechnet und in neue Antragsleistungen untergebracht. Somit steht den Kin­dern und Jugendlichen gemäß dem Bildungs- und Teilhabepaket eine angemes­sene Lernförderung im Monat von 10 € sowie eine Teilhabe am sozialen und kul­turellen Leben von 10 € im Monat nach § 28 Abs. 7 SGB II zu. Die Lernförderung kann nur nach § 28 Abs. 5 SGB II beantragt werden, wenn die Versetzung nicht erreicht wird. Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nach § 28 Abs. 2 SGB II wird nur gewährleistet, wenn die Angebote vor Ort stattfinden, und sie gilt nur für wenige organisierte Gruppenangebote. Nur 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen beantragten den Teilhabebetrag nach § 28 Abs. 7 SGB II, weil es in den meisten Kommunen bürokratisch organisiert ist und die förderungsfähigen Angebote an den Interessen der Kinder und Jugendlichen vorbeigehen.

Nach SGB II und SGB XII werden die Kinder auf existenzminimalem Niveau ver­sorgt. Im Sinne des Kindeswohls wäre eine Ausrichtung am Mittelstand sinnvoll. So droht hingegen eine Ausschließung von Lebenschancen. Der Regelbedarf der Eltern wird wie bei Singles behandelt und nach einem armen Einpersonenhaus­halt ermittelt. Bedarfe wie Geburtstagsgeschenke, Urlaub, Mobilitätskosten, Zoo etc. können sich arme Familien nicht leisten. Armut wird bei den Kindern als Stig­matisierung empfunden. Die Antragsverfahren nach §§ 28,29 SGB II werden von den Eltern als kompliziert angesehen. 1970 war es noch der Normalfall, dass eine Vollzeittätigkeit eine vier- bis fünfköpfige Familie ernährt. Heute sind meist beide Ehepartner darauf angewiesen, einer Tätigkeit nachzugehen. Dies erfolgt oft im Niedriglohnsektor, der auch mit einem Mindestlohn von 9,19 € (2019) nichts an der Kinderarmut ausrichten kann (vgl. Lenze, 2018: 335 ff.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Die Grundsicherung in Bezug auf die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe für Kinder
Untertitel
Eine Analyse
Hochschule
DIPLOMA Private Hochschulgesellschaft mbH
Note
2
Autor
Jahr
2020
Seiten
62
Katalognummer
V937226
ISBN (eBook)
9783346322708
ISBN (Buch)
9783346322715
Sprache
Deutsch
Schlagworte
grundsicherung, bezug, möglichkeiten, teilhabe, kinder, eine, analyse
Arbeit zitieren
Christina Carstens (Autor:in), 2020, Die Grundsicherung in Bezug auf die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe für Kinder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/937226

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Grundsicherung in Bezug auf die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe für Kinder



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden