Borderline - Einblicke in ein komplexes Krankheitsbild


Studienarbeit, 2008

25 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsklärung
2.1 Definition nach Kernberg
2.2 Definition nach ICD-10
2.3 Definition nach DSM-IV

3. Erfahrungsberichte

4. Entstehung, Prävelenz und Verlauf
4.1 Entstehung
4.2 Prävelenz und Verlauf

5. Therapie
5.1 Therapiemethoden
5.2 Ambulante analytische Therapie
5.3 Stationäre Psychotherapie
5.4 Erwartungen an die Therapie

6. Medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Borderline - immer wieder haben wir während unseres Studiums und unserer Praktika von dieser Krankheit gehört, konnten sie jedoch nie richtig einordnen. Wir haben festgestellt, dass es auch anderen so geht, da uns auch auf Nachfrage niemand eine präzise Antwort darauf geben konnte.

Unser BPS-I haben wir beide im Bereich der Behindertenarbeit absolviert und hatten dort unter anderem Kontakt zu psychisch erkrankten Personen. Von unseren Kollegen erfuhren wir, dass der Umgang mit Borderline-Patienten aufgrund ihres wechselnden Verhaltens und ihrer Unberechenbarkeit oft mühselig sei. Keiner von ihnen strebe deshalb die Betreuung eines Betroffenen an. Auch unsere Literaturrecherche bestätigt dies, häufig haben Therapeuten Probleme bei der Behandlung von Borderline-Patienten und auch die Betroffenen selbst berichten davon, dass sie große Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Personen haben.

Während unserer Vorbereitung auf die Studienarbeit sind wir auf das Buch „Leben auf der Grenze - Erfahrungen mit Borderline“ von Andreas Knuf gestoßen, in dem Betroffene von ihrer Erkrankung berichten. Da dort sehr anschaulich beschrieben wird, wie und vor allem wie unterschiedlich der Krankheitsverlauf sein kann, werden wir zwei Erlebnisberichte verkürzt anführen. Sie sollen unterstützend zur Theorie eine bessere Verständlichkeit schaffen und einen Einblick in die Gefühlswelt eines Borderline-Patienten liefern.

Zu Beginn unserer Studienarbeit führen wir die Definition des Borderline-Syndroms nach Kernberg, ICD 10 und DSM IV auf, gefolgt von den zwei Erfahrungsberichten. Anschließend gehen wir auf die Entstehung, die Prävalenz und den Verlauf ein. Schließlich befassen wir uns mit Therapiemöglichkeiten und der medikamentösen Behandlung.

Wir wollen durch unsere Studienarbeit einen ersten Einblick in das wohl sehr komplexe Krankheitsbild erhalten und klären, ob der Umgang mit Betroffenen wirklich so problematisch ist.

2. Begriffsklärung

Das Krankheitsbild Borderline wird in der Psychiatrie bereits seit den 1930er Jahren beschrieben. Dem Wort nach (borderline im Englischen= Grenzlinie) geht es bei diesen Erkrankungen um „Grenzfälle“ zwischen Neurosen und Psychosen. Borderlinepatienten haben oft schwerwiegendere und länger andauernde psychische Probleme als Neurotiker, verlieren aber im Gegensatz zu Menschen, die an einer Psychose erkrankt sind, nicht den Bezug zur Realität (vgl. Möhlenkamp 2006: 9).

Im Folgenden erläutern wir das Krankheitsbild Borderline anhand der Definition Otto Kernbergs und den Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV. Otto Kernberg ist einer der bekanntesten Forscher im Bereich der Borderline-Persönlichkeitsstörung, ICD-10 wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellt und ist auch für psychologische und psychotherapeutische Diagnostik verbindlich, DSM-IV ist ein anerkanntes diagnostisches und statistisches Handbuch für psychische Störungen der American Psychiatric Association.

2.1 Definition nach Kernberg

Eine präzise Definition vom Borderline-Syndrom ist kaum möglich, da die Symptome vom Erkrankungstadium abhängig sind und ständig wechseln können. Auch durch verschiedene Charakterzüge der betroffenen Menschen ist die Krankheit niemals synchron. Jedoch gibt es einige Symptome und Eigenschaften, die für Borderline-Patienten typisch sind. Diese hat Kernberg versucht in den acht folgenden Stichpunkten zusammen zu fassen (vgl. Vetter 2001: 122). Er geht davon aus, dass ein Verdacht auf eine Borderline-Erkrankung besteht, wenn mindestens zwei der nachfolgenden Symptome zugleich auftreten:

1. Eine ständig andauernde Angst, insbesondere, wenn sie von neurotischen Anzeichen und anormalen Charakterzügen begleitet wird („Pan-Angst“).
2. Manigfaltige Phobien, wenn dadurch soziale Beziehungen im negativen Sinne stark beeinflusst werden. Außerdem Phobien, die den Körper betreffen, so zum Beispiel die Angst vor Errötung oder vor Blicken. Ebenso Phobien, die zwangsneurotische Übergänge und paranoide Züge aufweisen.
3. Zwangssymptome, die der Patient vorwiegend dem Ich zuordnet und bei denen die Qualität von Ideen und Verhaltensweisen überbewertet wird. Der Patient lebt in einem Zwiespalt, einerseits versucht er, sich der störenden Gedanken zu entledigen, andererseits will er sie rational begründen, indem  er zum Beispiel einen Waschzwang mit einem durchdachten System rechtfertigen kann.
4. Vielfältige und ungewöhnliche körperliche Symptome, die aufgrund von unbewältigten extremen Erlebnissen entstehen (Konversionssymptome). Vor allem dann, wenn diese andauernd sind oder eines dieser Symptome über mehrere Jahre anhält. Zudem, wenn die Symptome Körperhalluzinationen stark ähneln oder mit ungewöhnlichen Bewegungsabläufen einhergehen.
5. Verlust des Persönlichkeitsgefühls (Depersonalisation), die falsche Auslegung der Wirklichkeit, bei der im Nachhinein das eigene Verhalten gerechtfertigt wird (Derealisation), Dämmerzustände.
6. Depression, wenn diese durch das Zusammenbrechen eines idealisierten Selbstbildes entsteht und sich primär durch ohnmächtige Wut oder einem Gefühl der Hilflosigkeit ausdrückt. Bei diesem Borderlinesymptom fehlt es den Patienten an Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen und an Sorge um sich selbst und Nahestehende. Des Weiteren autoaggressive Verhaltensweisen, wenn diese eine Erleichterung der Angst mit sich bringen oder eine ziellos wechselnde Wut gegen sich selbst und andere Personen. Ebenso suizidale Taten, die durch eine extreme Wut vollzogen werden, aber nicht im Zusammenhang mit Depressionen stehen.
7. Gleichzeitiges Vorkommen von verschiedenen perversen sexuellen Zügen oder eine Blockade beim tatsächlichen Sexualverhalten, wobei jedoch für die Masturbation vielfältige perverse Phantasien eingesetzt werden, um eine Befriedigung herbeizuführen („Pan-Sexualität“).
8. Andauernde und häufig auftretende starke Antriebe zu einem sexuell-perversen Verhalten, zu Drogen- und Alkoholmissbrauch, zu „Fressanfällen“ oder zu Kleptomanie. Die Patienten fühlen sich während der Triebbefriedigung ich-nah, außerhalb der Triebbefriedigung ich-fremd (vgl. a.a.O.: 122f).

2.2 Definition nach ICD-10

Nach ICD-10 ist das Borderline-Syndrom eine Erscheinungsform der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung.

„F60.3 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung

Eine Persönlichkeitsstörung mit deutlicher Tendenz, Impulse ohne Berücksichtigung von Konsequenzen auszuagieren, verbunden mit unvorhersehbarer und launenhafter Stimmung. Es besteht eine Neigung zu emotionalen Ausbrüchen und eine Unfähigkeit, impulshaftes Verhalten zu kontrollieren. Ferner besteht eine Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten und zu Konflikten mit anderen, insbesondere wenn impulsive Handlungen durchkreuzt oder behindert werden“ (Dilling u.a.: 1993: 230).

„F60.31 Borderline Typus

Einige Kennzeichen emotionaler Instabilität sind vorhanden, zusätzlich sind oft das eigene Selbstbild, Ziele und <<innere präferenzen>> (einschließlich der sexuellen) unklar und gestört. Meist besteht ein chronisches Gefühl innerer Leere. Die Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen kann zu wiederholten emotionalen Krisen führen mit übermäßigen Anstrengungen, nicht verlassen zu werden, und mit Suiziddrohungen oder selbstschädigenden Handlungen (diese können auch ohne deutliche Auslöser vorkommen)“ (Dilling u.a.: 1993: 230).

2.3 Definition nach DSM-IV

„Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und manifestiert sich in den verschiedenen Lebensbereichen. Mindestens 5 der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

1. verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.
2. Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.
4. Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstbeschädigenden Bereichen (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Fressanfällen“). Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.
5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen  oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z.B. hochgradige Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).
7. Chronische Gefühle von Leere.
8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren ( z.B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).
9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome“ (Saß u.a. 1996: 739).

3. Erfahrungsberichte

Wir stellen im Folgenden zwei Erfahrungsbericht dar, um zu verdeutlichen, wie unterschiedlich die Erkrankung verlaufen kann und um aufzuzeigen, dass Symptome variieren können.

Von Christiane

„Ich lebe mit einer ständigen Verlustangst und habe dabei Angst vor Nähe. Gleichzeitig suche ich mit größter Verzweiflung immer wieder Geborgenheit und Sicherheit. Leider ist das Einzige, was in meinem Leben sicher ist, dass nichts sicher ist. […] Oft bin ich verzweifelt über meine Stimmungswechsel. Innerhalb von Stunden kann ich von totaler Euphorie in absolute Hoffnungslosigkeit stürzen. Solche Zustände können sich im Lauf des Tages mehrfach wiederholen und kosten unendlich viel Kraft. […] Wenn ich verzweifelt bin, spüre ich nur die Verzweiflung und habe >>vergessen<<, dass es jemals wieder anders sein könnte. Geht es mir gut, kann ich mir nicht vorstellen, dass es mir irgendwann wieder schlecht gehen könnte. […] Wenn ich ins Nichts, in die Hoffnungslosigkeit stürze, kann ich meinen Körper nicht mehr spüren. […] Um wieder eine Vorstellung von den Grenzen meines Körpers zu bekommen, schneide ich mir mit Rasierklingen die Arme und manchmal den ganzen Körper auf. […] Erst wenn ich den Schmerz spüre, gewinne ich langsam wieder Boden unter den Füßen. […] Nicht nur meine Schmerzgrenze ist verschoben, auch meine Körpergrenzen kann ich oft nicht wahrnehmen. Deshalb geht es für mich immer wieder um das Thema Grenzen. Besonders deutlich ist dies während meiner Psychatrieaufenthalte geworden. >>Eingesperrt<< auf der geschlossenen Station der Erwachsenenpsychatrie habe ich gegen diese >>Gefangenschaft<< rebelliert, immer mit der Angst, wirklich in die >>Freiheit entlassen<< zu werden und den einzigen Rahmen, in dem ich mich in meinem desolaten Zustand orientieren konnte, verlassen zu müssen. […] Ich lebe in einer ständigen Dissonanz. Auf der einen Seite funktioniere ich hundertfünfzigprozentig, andererseits bin ich ein >>emotionales Wrack<<. Am Arbeitsplatz kann ich Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit erfüllen, während ich mich gefühlsmäßig in vollkommen unterschiedlichen Altersstufen befinden kann, beispielsweise auf dem Stand eines Kleinkindes. […] Verdränge ich die Gefühlsseite zu lange und gehe beispielsweise im Job ununterbrochen über meine emotionalen Grenzen, breche ich irgendwann vollkommen zusammen, bin nicht mehr in der Lage, Leistungen zu bringen, und kann meinen Alltag nicht mehr bewältigen. […] Ich halte eine Menge aus, solange ich es schaffe, Verstand und Gefühle voneinander zu trennen. […] Meine Mitmenschen empfand ich in der Vergangenheit oft entweder als gut oder böse. Schwarz und Weiß sind die >>Farben<<, die meinen Alltag auch heute weitestgehend bestimmen, wenn ich auch in den letzten Jahren gelernt habe, dass menschliches Verhalten auch für mich in Grautönen wahrnehmbar ist. >>Typisch Borderline<< ist an mir sicher, dass ich so gut wie kein Vertrauen in andere Menschen haben kann. […] Lange Zeit waren Leute, die nicht in Sicht- oder Hörweite waren, für mich nicht existent. Aus diesem Grund konnte ich es nicht ertragen, allein zu sein, weil ich dabei das Gefühl hatte, von allen verlassen, allein auf der Welt zu sein, ohne zu wissen, ob sich dieser Zustand jemals ändern könnte. Um dieses Alleinsein zu verhindern, besuchte ich teilweise mehrere therapeutische Anlaufstellen parallel. […] Es war überlebenswichtig für mich, Kontakte zu haben. […] Oft war ich wochenlang sozusagen >>chronisch suizidal<<. […] Oft ging es während meiner Psychatrieaufenthalte und später auch in Kontakten mit dem Krisendienst und Therapeuten um stündliche Absprachen darüber, dass ich mich nicht umbringen werde bis zum nächsten Kontakt“ (Knuf 2002: 16ff).

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Borderline - Einblicke in ein komplexes Krankheitsbild
Hochschule
Universität Kassel
Note
2,0
Autoren
Jahr
2008
Seiten
25
Katalognummer
V93776
ISBN (eBook)
9783638070423
ISBN (Buch)
9783638955478
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Borderline, Einblicke, Krankheitsbild
Arbeit zitieren
Dennis Becker (Autor:in)Hannah Pangerl (Autor:in), 2008, Borderline - Einblicke in ein komplexes Krankheitsbild, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93776

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