Das Verfahren der Mediation in der Sozialen Arbeit, Konfliktverständnis und Kommunikation


Bachelorarbeit, 2020

75 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen der Mediation
2.1 Konflikte als Entwicklungspotenzial
2.1.1 Konfliktaustragung
2.1.2 Konfliktursachen
2.1.3 Konflikthintergründe: Das Eisberg-Modell
2.1.4 Konfliktlösungen
2.1.5 Konflikte und Mediation
2.2 Bedürfnisse
2.3 Kommunikation
2.4 Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg
2.5 Der Grundgedanke des Mediationsverfahrens
2.5.1 Herkunft der Mediation
2.5.2 Das empathische Menschenbild
2.6 Rechtliche Grundlagen – das Mediationsgesetz

3 Das Verfahren der Mediation
3.1 Ziel und Zweck der Mediation
3.2 Voraussetzungen für Mediation
3.3 Ablauf der Mediation
3.3.1 Die Vorphase: Kontaktaufnahme
3.3.2 Die erste Phase: Einleitung
3.3.3 Die zweite Phase: Darstellung der Sichtweisen
3.3.4 Die dritte Phase: Konflikterhellung, Vertiefung und Klärung
3.3.5 Die vierte Phase: Problemlösung(en)
3.3.6 Die fünfte Phase: Vereinbarung
3.4 Phasenüberblick
3.5 Die Umsetzung

4 Mediation als Hilfe für die Soziale Arbeit
4.1 Schnittstellen: Mediation und Sozialarbeit
4.2 Die Haltung
4.3 Techniken der Mediation
4.3.1 Aktives Zuhören
4.3.2 Zusammenfassen
4.3.3 Fragetechniken
4.3.4 Motivierende Gesprächsführung
4.3.5 Klientenzentrierte Gesprächsführung
4.3.6 Paraphrasieren
4.3.7 Refraiming
4.3.8 Visualisieren
4.3.9 Weitere Methoden
4.4 Anwendungsbereiche
4.4.1 Mediation in Unternehmen
4.4.2 Mediation im öffentlichen Bereich
4.4.3 Mediation in sozialen Organisationen
4.4.4 Mediation und Politik
4.4.5 Trennungs – und Scheidungsmediation
4.4.6 Mediation im Wohnumfeld
4.5 Mediation als außergerichtliche Alterative
4.6 Mediation in Gruppen
4.7 Co-Mediation
4.8 Grenzen der Mediation
4.9 Abgrenzung zu anderen Verfahren in der sozialen Arbeit

5 Fazit

Literaturverzeichnis

Anlagen

Abstract

In dieser Arbeit wird das Konfliktvermittlungsverfahren Mediation ausgiebig beschrieben und erläutert. Es wird auf allgemeine Grundkenntnisse in Bezug auf Konfliktverständnis und Kommunikation eingegangen, um den Ursprung von zwischenmenschlichen Konflikten aufzuzeigen. Ein Hindernis in der Kommunikation drückt meistens einen Zustand aus, der aus der Balance geraten ist und kann Auseinandersetzungen verursachen. Wenn dieses Problem für zwei oder mehrere Parteien unlösbar wird, kann eine fachmännische Unterstützung mithilfe von einer neutralen Person helfen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen und die Beziehung zwischen den Medianten zu verbessern. Diese Fachkraft moderiert entsprechend deeskalierend den Prozess und strebt an, mit den Beteiligten gemeinsam eine Win-win-Lösung zu erörtern. Mittels eines vielfältigen Handlungs- und Methodenrepertoire interveniert der Mediator in einem vorgegebenen formalen Rahmen, sodass das Verfahren der Mediation als eine besonders prozess-, lösungs- und ergebnisorientierte Methode zu charakterisieren ist. Diese sind Merkmale, welche auch im Zusammenhang mit der Sozialarbeit immer wieder Bedeutung finden, sodass Parallelen in Bezug auf die Grundhaltung- und Intention gezogen werden können. Diese werden in dieser Arbeit aufgezeigt, um die Notwendigkeit von Konfliktvermittlungs- und Beratungskompetenzen im Berufsfeld der Sozialen Arbeit deutlich zu machen.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Konfliktaustragungsstile

Abbildung 2: Das Eisbergmodell nach Sigmund Freud

Abbildung 3: Mögliche Bedürfnisse eines Menschen

Abbildung 4: Prinzipien der Mediation

Abbildung 5: Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis des Mediationsgesetzes

Abbildung 6: Phase 1

Abbildung 7: Phase 2

Abbildung 8: Phase 3

Abbildung 9: Phase 4

Abbildung 10: Phase 5

Abbildung 11: Schaubild Mediation

Abbildung 12: Beratungskompetenzen in der Sozialen Arbeit

Abbildung 13: Modell eines Konfliktmanagementsystems in sozialen Organisationen

1 Einleitung

Zwei Schwestern greifen nach der letzten Orange, beide wollen sie haben. Sie fangen an, sich zu streiten, bis die Mutter kommt und vorschlägt, dass jeder die Hälfte der Orange bekommt. Die Eine isst das Fruchtfleisch und schmeißt dann die Schale weg, die Andere benutzt lediglich die Schale zum Backen eines Kuchens und wirft das Fruchtfleisch weg. Was zeigt dieses Szenario? Hätten sie ihre Positionen, ihren Anspruch kommuniziert, hätten sie zu einer Win-win-Lösung kommen können, was bedeutet, dass beide ihren Wunsch vollständig hätten realisieren können (vgl. Besemer 2016: S. 28 zit. n. Ury & Pattern 1981).

Dieses Beispiel zeigt eindeutig, dass durch eine interessenorientierte Kommunikation unterschiedliche Ergebnisse zu erzielen sind und obwohl Menschen täglich miteinander sprechen, ist es vielen unklar, wie eine gelungene Kommunikation gestaltet werden kann. Diese Unsicherheit verursacht Hindernisse in verbalen Interaktionen mit anderen. Ob im Beruf, im Privatleben, im Wohnumfeld oder im Kontakt mit öffentlichen Institutionen, Menschen sind stets mit Problemen konfrontiert, welche auf eine mangelhafte Kommunikation zurückzuführen sind. Besonders wenn individuelle Bedürfnisse nicht erfüllt werden können, ist es schwierig, wertfrei zu kommunizieren, weshalb Menschen dazu neigen, ihrem Gegenüber destruktiv in Form von Abwehr und Schuldzuweisungen zu begegnen. Die entsprechende Körpersprache, beispielsweise eine unzufriedene oder aggressive Mimik betonen die Wirkung des Gesagten und Gesten, die eine unbefriedigte Haltung ausdrücken, können dies zusätzlich unterstützen, sodass es dem Gesprächspartner immer schwieriger fällt, die Botschaft der Aussage heraus zu hören. Infolge dessen wird aus dem Hindernis ein ernsthaftes Problem, welches den entsprechenden Raum benötigt, um bearbeitet zu werden. Obwohl jede Auseinandersetzung ein Ungleichgewicht und somit das Potenzial zur Veränderung und Entwicklung ausdrückt, gibt der Mensch Konflikten selten diesen Raum (ebd. S. 26).

Leider lernen Kinder selten in der Schule oder im Elternhaus, dass ein zwischenmenschlicher Konflikt eine Chance zur Weiterentwicklung darstellt und somit bedeutsam für individuelles sowie kollektives Wachstum sein kann. Um eine Erziehung zu gewährleisten, welche auf Benehmen und Anstand basiert, wird dem Kind seitens der Eltern vermittelt, nicht weinen, sich beschweren oder schreien zu dürfen. Oft werden diese Verhaltensweisen mit Konsequenzen oder Sanktionen verknüpft, sodass beim Kind die Kognition entsteht, inkorrekt gehandelt zu haben. Dies hat zur Folge, dass Kinder versuchen, diese Handlungen und diese Art von Kommunikation nicht zu wiederholen – um nicht wieder sanktioniert zu werden. Ein ganz normaler Entwicklungsprozess, der von vielen Entwicklungspsychologen wie Jean Piaget1 ausführlich untersucht wurde. Erst im Laufe des Erwachsenenalters, wenn der Mensch in allen Lebensbereichen in Interkation mit anderen tritt und auf Herausforderungen stößt, wird er mit seinen Kompetenzen hinsichtlich Kommunikation und Ausdruck konfrontiert. Es liegt am Individuum selbst, inwiefern die eigene Verständigung reflektiert und in Konfliktsituationen angepasst werden kann. Denn gerade in diesen konfliktbehafteten Situationen wird die Anwendung einer bewussten Sprache benötigt, um sowohl die eigene Position deutlich zu machen, als auch um das – gegebenenfalls gegensätzliche - Interesse des Gesprächspartners wahrnehmen und wertschätzen zu können. Ziel von gelungener Kommunikation ist also nicht der Kompromiss um jeden Preis, sondern ein Konsens, mit welchem sich alle Streitparteien wohl fühlen. Dafür muss jedoch akzeptiert werden können, dass es prinzipiell unterschiedliche Meinungen gibt und all diese Meinungen ihre Berechtigung haben. Dieser Grundgedanke findet sich auch im Alltag der Sozialarbeit wieder und nimmt besonders in sozialen Berufen einen hohen Stellenwert ein. Für Sozialarbeiter und -Pädagogen, Coaches, Mediatoren, Berater und Therapeuten2 ist es eine tägliche Routine, klienten- und somit interessenorientiert zu agieren. Der Klient ist das Instrument der Sozialarbeit, die sich stetig wandelnde Gesellschaft mit all ihren Facetten und Problemen das Fundament für die Notwendigkeit dieses Berufszweiges. Somit ist es in o.g. Berufszweigen unabdingbar, sich mit Kommunikations- und Gesprächstechniken zu beschäftigen, um diese in Konfliktsituationen sinngemäß anwenden zu können. Daher wird in dieser Arbeit zuerst auf das allgemeine Verständnis von Konflikten eingegangen, bevor im Anschluss die Grundidee des Mediationsverfahrens vorgestellt wird.

Das Verfahren der Mediation ist eine geeignete Methode, um Konflikte zwischen zwei oder mehreren Parteien lösen zu können. Es ist lediglich ein Baustein im Methodenkoffer der Fachkräfte und stellt eine mögliche Vorgehensweise dar, welche auf die lösungsorientierte Beilegung eines Konfliktes zwischen mindestens zwei Menschen fokussiert ist und dabei die Partizipation der Beteiligten berücksichtigt (vgl. Montada 2001: S.46). Mithilfe von einer unparteiischen Person kann das Streitthema ausführlich bearbeitet und eine Konsenslösung erreicht werden. Anders als im Gerichtsverfahren muss die Lösung für beide Parteien akzeptierbar sein. Bedürfnisorientierung sowie die Tatsache, Lösungen auch ablehnen zu können werden im klassischen Gerichtsprozess kaum berücksichtigt, sodass das Verfahren der Mediation in vielen Bereichen ihre Anwendung findet, wo Konflikte friedvoll geschlichtet werden sollen. Nicht nur in sozialen Berufen ist die Mediation nun integriert, auch in anderen Bereichen sind vermehrt Berührungspunkte zu vermerken, jedoch beschäftigt sich diese Arbeit besonders mit der Sinnhaftigkeit des Verfahrens in Bezug auf die Sozialarbeit. Der Ablauf des Verfahrens sowie Techniken der Mediation und deren Bedeutung werden den Fokus genommen, sodass am Ende dieser Arbeit ein Bild für den Leser entsteht, welches Potenzial das Mediationsverfahren für die Angliederung an den Fachbereich Sozialarbeit trägt und daraus folgend die Notwendigkeit für die Sozialarbeit in der Praxis begründet.3

2 Grundlagen der Mediation

„Mediation ist ein Verfahren zur außergerichtlichen, konstruktiven Bearbeitung von Konflikten.“ definiert der Bundesverband Mediation (BM) 4 und ist seit einigen Jahren vermehrt in den Vordergrund gerückt (Bundesverband Mediation, o. D.). Mediation wird häufig mit den Begriffen Konfliktmanagement, Konfliktbearbeitung oder Streitschlichtung beschrieben. So wird einem deutlich, dass es sich bei diesem Verfahren primär um die Bewältigung von Konflikten handelt. Unbedeutend, ob im Konflikt zwei oder mehrere Parteien involviert sind, Voraussetzung für eine Mediation ist ein Ungleichgewicht. Dieses kann sich in Form von Meinungsunterschieden äußern und Unzufriedenheit in einem sozialen System hervorrufen. Sowohl in Familien, Arbeitsteams, Partnerschaften, als auch in jeglichen anderen sozialen Beziehungen herrscht Konfliktpotenzial, sodass unter anderem eine gelungene Kommunikation untereinander die Basis für ein friedliches Miteinander darstellt (vgl. Haller 2018: S. 11f).

2.1 Konflikte als Entwicklungspotenzial

Konflikte sind ein wichtiges Anzeichen für einen Zustand, der einer Veränderung bedarf. Ziel dessen ist die Chance zur Entwicklung und zur Verbesserung der Beziehungen untereinander. In den meisten Streitigkeiten werden die Streitinhalte so verschoben, dass sich die Fronten verhärten und die Fähigkeit, der anderen Partei aktiv zuzuhören und zu kommunizieren, abnimmt. Für viele Menschen ist es schwierig, sich innerhalb des Konfliktes von ihren Emotionen zu lösen und das eigene Verhalten zu reflektieren. Somit kann eine neutrale Person helfen, das Verhalten der Konfliktparteien zu analysieren und die dahinter verborgenen Interessen aufzudecken. An dieser Stelle wird der Unterschied zwischen Interessen und Positionen deutlich. Es ist möglich, dass zwei Streitparteien eine unterschiedliche Position gegenüber einer Sache einnehmen und dadurch in einen Konflikt geraten, jedoch das gleiche Interesse aufweisen und es somit für Dritte einfacher ist, die Parteien auf ihr gemeinsames Ziel aufmerksam zu machen (vgl. Haas & Wirz 2015: S. 11).

Ein Beispiel:

Zwei Arbeitskollegen geraten in einen Konflikt und können nicht mehr zur täglichen Arbeit erscheinen, ohne innere Abwehr zu erfahren, sodass sich die Stimmung im Team verschlechtert. Die für beide offensichtliche Ursache ist das Unverständnis des anderen. Vor allem in Bezug auf den bevorstehenden Wechsel des Geschäftsführers haben beide sehr unterschiedliche Meinungen, sodass es in einer Teamsitzung zur Auseinandersetzung kam. Daher gehen sie sich nun komplett aus dem Weg, jedoch weiß keiner mehr so wirklich, wie der Konflikt entstanden ist. Die Leitung fordert ein Mediationsgespräch, in welchem sich heraus stellt, dass Arbeitskollege A Angst vor der Veränderung im Betrieb hat und daher keinen Vorstandswechsel für gut empfindet. Er fürchtet, dass die nicht tariflich festgelegten Sonderauszahlungen an die Mitarbeiter zukünftig ausbleiben würden und somit das Jahresgehalt enorm sinken würde. Arbeitskollege B sprach sich so radikal für den Wechsel des Geschäftsführers aus, da er aus einem externen Unternehmen mitbekommen hatte, dass die Sonderauszahlungen des zukünftigen noch viel höher seien, als die des jetzigen Chefs und somit das Jahreseinkommen der Mitarbeiter steigen würde. Im Beisein des Geschäftsführers kam es bislang nie zu einem ehrlichen Austausch, aber ohne ihre jeweiligen Intentionen in Gesprächen zuvor deutlich zu machen, konnten sie nicht verstehen, wieso sie eine gegensätzliche Meinung gegenüber der Betriebsveränderung hatten.

2.1.1 Konfliktaustragung

Auf unterschiedliche Art und Weise können Konflikte betrachtet und ausgetragen werden. Hier ist es entscheidend, aus welcher Perspektive die Problemsituation wahrgenommen wird – und wie der Zweck des Widerstands des Gegenübers beurteilt wird. Alle Konflikte sind durch unterschiedliche Absichten und Interessen gekennzeichnet, doch unterscheidet sich eine destruktive Konfliktaustragung von einer konstruktiven Konfliktaustragung durch die Sichtweise. Die Sichtweise ist bedeutend für die Zielsetzung der Parteien. Wenn das Problem von beiden Parteien als dasselbe erkannt wird, verfolgen sie auch dasselbe Ziel (siehe Abb. 1). Durch die übereinstimmende Zielverfolgung kann der Umgang mit dem Konflikt friedlich gestaltet werden, da gemeinsam Strategien entwickelt werden können – oder zumindest Lösungsvorschläge erarbeitet werden können, welche sich nicht widersprechen (vgl. Besemer 2016: S. 26f). Häufig wird die Auseinandersetzung jedoch von den Kontrahenten unterschiedlich wahrgenommen, sodass das Problem disparat definiert wird. Durch diese heterogenen Sichtweisen fühlt sich jeweils die andere Seite subjektiv beeinträchtigt und unverstanden (vgl. ebd.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Konfliktaustragungsstile (Quelle: Eigene Darstellung)

2.1.2 Konfliktursachen

Innerhalb vieler Konflikte kann nicht einmal klar benannt werden, wo die Ursachen für die Entstehung der Auseinandersetzung liegen. Häufig hängen die Hintergrundprobleme miteinander zusammen und bedingen sich gegenseitig, sodass der sichtbare Außenkonflikt lediglich einen Zustand symbolisiert, welcher aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Christopher Moore kategorisiert 1986 in seinem Werk The Mediation Process Konflikte in fünf Bereiche. Je nach Lebensbereich und Intensität der Beziehung zu dem/den Konfliktpartner/n weichen die Ursachen – und somit auch Intervention und Lösungsfindung – sehr voneinander ab.

Sachbezogene Konflikte sind häufig auf einen Mangel an Informationen und auf eine unterschiedliche Einschätzung, Interpretation und Bewertung von Daten zurückzuführen. Die Intervention könnte hier ein transparenter Austausch sein. Eine Übereinstimmung, wie in Zukunft mit dem Vorgehen der Informationsgewinnung sowie der Weitergabe von Daten umgegangen werden soll, kann hilfreich sein. Darüber hinaus können gemeinsam Kriterien für die Bewertung der Daten entwickelt werden, um ein deckungsgleiches Verständnis zu fördern.

Interessenkonflikte sind eher psychologischer Natur. Die Ursachen sind durch ein Konkurrenzdenken gekennzeichnet. Es kann sich sowohl um inhaltlich differenzierte Interessen handeln, als auch um Psychologische. Beide Arten von Interessenkonflikten weichen stark voneinander ab, da ihre Ursachen unterschiedlich zu begründen sind, welche die folgenden Beispiele verdeutlichen:

Interessenkonflikt Beispiel 1:

Ein Geschäftsführer verfolgt die wirtschaftlichen Ziele des Unternehmens (Gewinnmaximierung), handelt jedoch auch als Privatperson im Eigeninteresse (Nutzenmaximierung, Work-Life Balance5, Arbeitszeitreduzierung). Somit besteht bereits ein persönlicher Interessenkonflikt. Sollten nun Mitarbeiter unterschiedliche Herangehensweisen in der Organisationsentwicklung fordern (Kooperation/Teamarbeit, Zentralisierung, Führung, flache Hierarchien, Beschwerdemanagement, Kommunikationswege), entsteht eine Interessenkollision.

Interessenkonflikt Beispiel 2:

Eine Familie scheitert seit einiger Zeit daran, regelmäßige Essenszeiten zu finden. Der Familienmutter ist es enorm wichtig, einmal am Tag zusammen am Tisch zu sitzen. Da die Kinder nun älter werden, ändert sich langsam ihr Alltag. Tagsüber sind sie in der Ganztagsschule, sodass nur am Abend Raum für Freizeitaktivitäten bleibt. Der Vater möchte nach einem anstrengenden Arbeitstag nur noch auf das Sofa, die Kinder wollen sich mit ihren Freunden treffen, die Mutter ist verzweifelt. Sie möchte die unterschiedlichen Interessen der Familie irgendwie vereinen.

Wertekonflikte resultieren aus einer unterschiedlichen Bewertung von Ideen und (sozialem) Verhalten. Dies geschieht meistens aus voneinander abweichenden Lebensformen, Religionen oder Ideologien, was zur Folge haben kann, dass Werte komplett anders gelebt werden und sich die Ziele der Streitparteien somit ausschließen. Eine mögliche Intervention könnte das Finden eines übergeordneten, gemeinsamen Ziels sein.

Strukturkonflikte werden häufig innerhalb von Wirtschafts – und Familienmediationen bearbeitet, da diese auf eine ungleiche Machtverteilung und Autorität zurück zu führen sind. Konträre Kontrolle, Verteilung der Ressourcen oder Eigentumsverhältnisse sind die Ursachen für destruktives Verhalten und somit für eine Auseinandersetzung. Aber auch geographische und zeitliche Faktoren, welche die Kooperation behindern, können Ursachen eines Strukturkonfliktes sein. Interveniert werden kann hier mit Hilfe des Kreierens eines klaren Rollenverständnisses, sodass die Art der Einflussnahme verändert werden kann. Auch ein neues Verfahren hinsichtlich Entscheidungsfindungen kann vereinbart werden, um den Druck zu mindern und faire Verhaltensweisen zu etablieren und zu stärken.

Beziehungskonflikte sind jedem wahrscheinlich aus dem privaten Kontext bekannt. Merkmale dieser sind starke negative Gefühle sowie wiederholtes, destruktives Verhalten. Diese resultieren aus Fehlwahrnehmungen und werden nicht selten durch Stereotypen begünstigt. Ein Beziehungskonflikt ist ein gutes Beispiel für mangelnde Kommunikation, da sich die Parteien meist freiwillig begegnen und eine gewisse Bindung bereits aufgebaut worden ist, sodass Emotionen eine sehr große Rolle einnehmen. Aufgrund der unterschiedlichen Gefühlswelten stellt ein kommunikativer Austausch die Grundlage für die Veränderung der Situation dar. Durch die Verbesserung der Qualität und Quantität der Kommunikation untereinander können negative Verhaltensmuster aufgelöst werden und eine konstruktive Art und Weise der Gefühlsmitteilung entstehen. Eine positive Einstellung zur Problemlösung sowie eine Klärung der Eigen – und Fremdwahrnehmung sind Voraussetzungen für die Möglichkeit der langfristigen Konfliktbeilegung. Dies kann vor allem mit Hilfe eines Dritten (Mediators) geschehen (vgl. Besemer 2016: S. 35ff zit n. Moore 1986: S. 27).

2.1.3 Konflikthintergründe: Das Eisberg-Modell

Das Eisbergmodell, welches ursprünglich auf den Psychoanalytiker Sigmund Freud zurückgeht6, stellt dar, dass nur die wenigsten Konfliktursachen sichtbar sind und die meisten Gründe für eine Auseinandersetzung unter der Oberfläche liegen (siehe Abb. 2). Vor allem wenn mehrere Personen involviert sind, ist das Potenzial für eine unklare Kommunikation und Missverständnisse groß. Durch unterschiedliche Vorgeschichten, Meinungen und Erwartungen, Gefühle und Werteauslegung kann nicht gewährleistet werden, dass Menschen sich ausnahmslos verstehen, ohne richtig zu kommunizieren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das Eisbergmodell nach Sigmund Freud (Quelle: Berufsstrategie.de)

Der Grundgedanke der Mediation setzt voraus, dass die Konflikthintergründe zu allererst sichtbar gemacht werden müssen. Ohne Sichtbarkeit der Intention des Gegenübers kann kein Verständnis aufgebracht werden und somit keine einvernehmliche Lösung gefunden werden.

2.1.4 Konfliktlösungen

Da der Begriff des Konfliktes eher negativ besetzt ist, findet man eine Vielzahl an Literatur, die eine problemorientierte Sicht des Konfliktes fokussiert. Viele beschäftigen sich mit der Systematisierung und Kategorisierung von Konflikten, anstatt das Potenzial von Auseinandersetzungen zu beleuchten. Dabei scheint der Gedanke, dass es immer Konflikte in sozialen Systemen geben wird, als allgemein akzeptiert. Daher ist es umso wichtiger, den Umgang mit Problemen untereinander als Instrument anzusehen, um einen Zustand positiv zu transformieren.

Edward De Bono7 vertritt eine positive, ressourcenorientierte Theorie von Konflikten in der Mediation. De Bono geht davon aus, dass es zu Kommunikationsschwierigkeiten kommt, wenn eine Person beispielsweise gerade ihre Gefühle zu etwas äußert und daraufhin eine andere analytisch an die Problemstellung herangeht. Hierfür entwickelte er bereits 1986 die Six Thinking Hats-Methode 8 und weitere, um Prozesse kreativ zu gestalten und unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen. Somit können Kommunikationskonflikte zur Weiterentwicklung und Veränderung von Zuständen dienen, eine Methode des Wettbewerbs darstellen sowie eine Auseinandersetzung von Interessen und eine Musterveränderung in die Wege leiten. Auch der Sozialpädagoge Karl Heinz Bittl (2012), welcher durch die Gründung des Fränkischen Bildungswerk für Friedensarbeit bekannt geworden ist, formuliert dazu: „Konflikt ist ein Instrument zum Aushandeln und Befriedigen von Bedürfnissen“ und möchte ebenfalls damit betonen, dass soziales Ungleichgewicht eine Chance bietet und es bedeutsam ist, den Konflikt nicht als Konfliktursache selbst anzusehen.

2.1.5 Konflikte und Mediation

In Zusammenhang mit Mediation wird die Rolle der Fachkraft häufig als Konfliktmanager betitelt. Konfliktmanagement (KM) findet in den unterschiedlichsten Bereichen seine Anwendung. Überall, wo Menschen aufeinander treffen und vor allem wenn sie gemeinsam Entscheidungen treffen (müssen), kann es zu Auseinandersetzungen und zu Problemen kommen, welche alleine nicht mehr gelöst werden können. Je nach Anwendungsbereich wird die Sprache seitens des Mediators angepasst sowie die passenden Methoden gewählt (z.B. das professionelle Visualisieren) und auch Formales kann variieren. Es kann hilfreich sein, ausführliche Regeln zu Beginn aufzustellen und diese von den Parteien unterschreiben zu lassen, um eine Verbindlichkeit herzustellen (siehe Kapitel 2.3.2: Einleitungsphase). In einer Familienmediation, in welcher eventuell Kinder involviert sind, wäre dies nicht zwingend notwendig. Hier wäre eine Regelaufstellung mit Hilfe von bunten Karten eher sinnvoll, um Kinder und Eltern auf einer gemeinsamen Ebene zu erreichen. Somit ist die Herangehensweise von der Klientel abhängig und der Umgang mit Methoden seitens des Konfliktmanagers von den Interessen und den damit verbundenen Bedürfnissen der Streitparteien abhängig, (vgl. Waxmann 2012: S. 46f).

2.2 Bedürfnisse

Bisher wurde erläutert, dass Konflikte häufig aus der individuellen Fokussierung auf die eigenen Bedürfnisse und die damit verbundene Blindheit hinsichtlich der Wünsche des Kontrahenten, entstehen. Doch was ist ein Bedürfnis ? Das Stangl Lexikon für Psychologie definiert: „Ein Bedürfnis ist das Verlangen oder der Wunsch, einem empfundenen oder tatsächlichen Mangel Abhilfe zu schaffen“ und wird in psychologischen Kontexten in zwei Typen klassifiziert. Auf der einen Seite kann ein Bedürfnis eine Disposition darstellen, auf der anderen Seite eine Neigung, selbst definierte Ziele zu erreichen (Stangl 2020). Beide Sichtweisen haben gemein, dass ein Zustand einer Veränderung bedarf. An dieser Stelle wird die Parallele zum mediativen KM deutlich, da eine ergebnisreiche Bearbeitung des Konfliktes stets die Bedürfniserfüllung der Kontrahenten und somit die Entwicklung eines Ist-Zustandes erfordert.

In Bezug auf individuelle Bedürfnisse muss auf die Theorie der kognitiven Dissonanz verwiesen werden, welche in den 1950er-Jahren von Leon Festinger9 entwickelt wurde. Diese besagt, dass der Mensch stets bestrebt ist, ein inneres Gleichgewicht herzustellen, wenn zwei Kognitionen (Überzeugungen, Einstellungen, Meinungen) im Widerspruch stehen, um Dissonanz (Spannung, Unstimmigkeit) zu vermeiden. „Das Widerstreben gegen Dissonanzen führt dazu, dass unpassende bzw. unangenehme Neuigkeiten missachtet und passende umso mehr geschätzt werden. Es ist der Wunsch, diesen inneren Konflikt zu beseitigen, der den Menschen dazu treibt, die eigene Meinung zu ändern oder neue Ideen zu entwickeln.“ (Trossen 2009). Das bedeutet, dass der Mensch bereits innere Konflikte vorweist und die Wahrnehmung für die Bedürfnisse des Gegenübers umso schwieriger wird. Daher ist es Bestandteil der Mediation, zuallererst die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Streitparteien beleuchten, wahrnehmen und einordnen zu können, also den intrapersonalen Konflikt, welcher aus dem inneren Spannungsfeld entstand, zu lösen, bevor im zweiten Schritt der Umgang mit dem interpersonalen Konflikt, also die Auseinandersetzung mit dem Kontrahenten, lösungsorientiert gestaltet werden kann (vgl. Marx 2016: S. 14).

Folgende Abbildung soll einen Überblick über mögliche Bedürfnisse eines Menschen geben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Mögliche Bedürfnisse eines Menschen (Quelle: Eigene Darstellung)

2.3 Kommunikation

In der Literatur sind unzählige Theorien und Studien in dem Zusammenhang mit Kommunikation zu finden. In Anlehnung an die Mediation müssen die wichtigsten Merkmale einer gelungenen Kommunikation berücksichtigt werden. Viele Menschen verbinden Kommunikationswissenschaft mit dem berühmten Satz Paul Watzlawicks (1967): „Man kann nicht nicht (sic.) kommunizieren.“ (zit. n. Reichertz 2009: S. 124), mit welchem Watzlawick zum Ausdruck bringen wollte, dass Menschen ständig in Interaktion treten, auch wenn sie nicht verbal und direkt miteinander kommunizieren. Bereits die Körpersprache ist bedeutsam für das Empfangen des Gegenübers. Doch diese Ansicht wird nicht von allen Kommunikationswissenschaftlern geteilt. In der Branche beschäftigen sich viele mit der Frage, ob es möglich ist, empfangene Nachrichten exakt so aufzufassen, wie es vom Sprecher gewollt war. Die individuelle Welttheorie verneint diese Frage, indem sie beschreibt, dass jeder Mensch eine individuelle Auffassung von der Welt besitzt und er daher sprachlichen Zeichen eine unterschiedliche Bedeutung zuschreibt. Gerold Ungeheuer10 (1987) erklärt: „Niemand kann die Welt so sehen, wie man sie selbst sieht, und tauscht man mit dem anderen den Platz, dann mache ich nicht seine Erfahrungen, sondern er macht ja gerade andere. Niemals können zwei in Raum und Zeit den gleichen Platz innehaben, weshalb niemals zwei Menschen dieselbe (An-)Sicht der Welt haben können.“ (S. 310 zit. n. Reichertz 2009: S. 153). Diese Perspektive findet auch im Grundgedanken der Mediation seine Bedeutung. Das Mediationskonzept setzt voraus, dass es durch die individuelle Weltansicht(en) in sozialen Systemen zu Konflikten kommen muss. Somit stellt ein Kommunikationsproblem erst einmal kein Hindernis dar, bis ein Ungleichgewicht entsteht. Hier werden die Parallelen zwischen Kommunikation und Bedürfnis deutlich, denn die persönliche Frage, wie lange ein Mensch einen Zustand aushalten kann, ohne dabei seine Bedürfnisse befriedigen zu können, bestimmt den Zeitpunkt für die Entstehung der Frustration und ist daher häufig der Beginn des Konfliktes. Es kann hilfreich sein, den Klienten zu Beginn des Mediationsprozesses dieses Wissen zu vermitteln, um das gegenseitige Verständnis zu fördern und ein eventuell entstandenes Machtgefälle auszugleichen (vgl. Reichertz 2009: S. 153, S. 195f).

2.4 Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg

Ein wichtiger Bestandteil der Mediation ist die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg (GfK), welche folgende drei Grundprinzipien vertritt:

- Alles, was Menschen tun, entsteht aus der Absicht, ihre Bedürfnisse zu erfüllen.
- Alles, was Menschen tun, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen, ist (zu dem Zeitpunkt) das Beste, was ihnen zur Verfügung steht.
- Alle Menschen tragen gerne zum Wohlergehen anderer bei, wenn sie dies freiwillig tun können.

Gewaltfreie Kommunikation fördert die Fähigkeit, Gefühle und Bedürfnisse bei sich und bei anderen besser wahrzunehmen, sich darüber auszutauschen und gemeinsam gute Lösungen zu finden. Daher wird die GfK auch wertschätzende oder bedürfnisorientierte Kommunikation genannt (vgl. Ballreich 2007: S. 17).

Gewalt bedeutet im Zusammenhang mit Gewaltfreier Kommunikation, dass Menschen sich eigene Bedürfnisse auf Kosten anderer erfüllen. In Gesprächssituationen äußert sich Gewalt vor allem in Form von Urteilen und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Sätze wie „Ich fühle mich ungerecht behandelt“ weisen dem Gegenüber die Täterrolle und die Alleinverantwortung für das eigene Unglück, die eigene Unzufriedenheit zu. Forderungen, Druck und Zwang fördern ein aggressives Gesprächsklima.

In der GfK wird die Verantwortung für die eigenen Gefühle übernommen. Die Spirale gegenseitiger Schuldzuweisungen wird durchbrochen, die eigenen Bedürfnisse in einer verständlichen Sprache mitgeteilt. Dies geschieht durch eine Analyse und Transformation der eigenen Wünsche und Erwartungen11 mit Hilfe von vier Schritten: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte. Zu erst wird neutral und deskriptiv die Situation dargestellt, daraufhin das eigene Gefühl geäußert, welches das dahinter steckende Bedürfnis definiert und die Bitte an die Konfliktpartei verfasst. Durch die Darstellung der eigenen Gefühlswelt fällt es der anderen Streitpartei leichter, Empathie zu empfinden, anstatt den Wunsch nach Veränderung als Vorwurf aufzufassen (gfk-portal.de 2020)

Die GfK findet grundsätzlich in sozialen Beziehungen präventiv, als auch inmitten einer Auseinandersetzung ihre Bedeutung, da es sich mehr um eine Haltung handelt, als um eine Methode. Die Vorgehensweise muss trainiert werden, bis es einem möglich ist, die Verantwortung für die eigenen Gefühle und Gedanken selbst zu tragen. Dieses Prinzip ist in Mediationsprozessen entscheidend, da die Grundannahme, der Mensch handle stets mithilfe von differenzierten Strategien nach seiner persönlichen Bedürfnisbefriedigung, die Berechtigung für unterschiedliche Gefühle der Konfliktparteien darstellt und somit die Grundlage für die Entwicklung von Empathie und einen Perspektivwechsel bietet.

Beispiel 1:

Nicht: „Es nervt mich so sehr, wenn ich dich mehrfach anrufe und du nicht an dein Telefon gehst.“

Besser: „In letzter Zeit gehst du oft nicht an dein Telefon, wenn ich dich anrufe (Beobachtung), was mich traurig macht (Gefühl), weil ich dich in dem Moment in meine Entscheidung involvieren möchte (Bedürfnis), daher würde ich dich bitten, mich nächstes Mal zurück zu rufen (Bitte).

Beispiel 2:

Nicht: „Ich habe noch nie einen fauleren Mann gesehen.“

Besser: „Mir fällt auf, dass du abends immer häufiger fernsiehst (Beobachtung). Das frustriert mich (Gefühl), ich brauche abends den Kontakt und das Gespräch zu dir (Bedürfnis), daher würde ich mir sehr wünschen, wenn wir zwei Abende in der Woche nicht fernsehen (Bitte).

2.5 Der Grundgedanke des Mediationsverfahrens

Wie bereits in vorherigen Kapiteln beschrieben, sieht die Mediation die Bedürfnisse eines Menschen als relevant für die Entstehung eines Konfliktes an. Aufgrund unterschiedlicher, persönlicher Ambitionen entwickelt der Mensch andere Intentionen, weshalb sein ganzes Verhalten gewissen Grundannahmen folgt. Diese Annahmen werden im Laufe des Lebens entwickelt und durch gemachte Erfahrungen begründet, sodass Bedürfnisse und Interessen entstehen, diese allerdings aus den unterschiedlichsten Motiven. Die Bedürfnisse werden befriedigt, indem der Mensch mit Hilfe von Strategien seine persönlichen Ziele zu erreichen versucht. Der Weg dahin kann sehr differenziert gestaltet werden, sodass Handlungen und deren Intentionen aus unterschiedlichen Perspektiven anders bewertet werden. In Konflikten werden die eigenen Interessen meist so stark vertreten, wodurch es schwierig wird, die andere Perspektive und die dahinter verborgenen Interessen zu sehen und zu respektieren. Die Mediation versucht mithilfe von lösungsorientierten Techniken die Parteien auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen und durch das Verständnis des Gegenübers eine Lösung für die Beilegung des Konfliktes herbei zu führen (vgl. Haas & Wirz 2015: S. 16f).

Das Verfahren folgt mehreren Grundprinzipien, welche unter anderem vom Bundesverband Mediation (BM) schriftlich manifestiert worden sind, noch vor dem Inkrafttreten des Mediationsgesetzes (MedG), welches diese Grundsätze schließlich auch rechtlich begründet (siehe Kapitel 3.7: Rechtliche Grundlagen - Das Mediationsgesetz). Damit wurden in Deutschland allgemein gültige Standards gesetzt und Vorlagen publiziert, welche von einer Vielzahl an Mediatoren(-Ausbildern) verwendet werden.

Der Prozess basiert auf fünf Prinzipien: Freiwilligkeit, Neutralität, Informiertheit, Eigenverantwortung und Vertrauensschutz (siehe Abb. 4).

Freiwilligkeit

Wie bereits beschrieben, nehmen die Streitparteien die Möglichkeit, ihren Konflikt mithilfe von Mediation zu bearbeiten, freiwillig wahr (§ 2 Abs. 2 u. 5 MedG). Es werden alle Lösungsvorschläge von den Parteien selbst erarbeitet, sodass diese den freien Willen der Kontrahenten widerspiegeln. Hinzu kommt die Möglichkeit für alle Beteiligten, den Prozess jederzeit abzubrechen (vgl. Marx 2016: S. 77).

Neutralität

Der Mediator verfügt über eine entsprechende Haltung, welche eine Allparteilichkeit und somit Neutralität gegenüber seiner Klienten, ausdrückt. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass der Prozess gerecht für die Beteiligten gestaltet wird und engagiert sich für alle Interessen gleichermaßen. Dieses Verhalten ist enorm von Bedeutung für den Prozess, da ein Machtgefälle im Mediationsraum ein erheblicher Störfaktor werden kann (vgl. ebd.). Darüber hinaus ist der Mediator verpflichtet, alle Informationen offen zu legen, welche diese Allparteilichkeit gefährden könnten (§ 3 Abs. 1 u. 2 MedG).

Informiertheit

Das Prinzip der Informiertheit verpflichtet den Mediator zur Offenlegung aller notwendigen Informationen hinsichtlich der Grundzüge des Verfahrens. Dies betrifft sowohl die formale Struktur sowie den vom Mediator individuell gestalteten Prozessvorgang. Darüber hinaus erhalten alle Verfahrensbeteiligten ausreichend Zeit, Entscheidungen zu treffen (§ 2 Abs. 2 MedG).

Eigenverantwortung

„Mediation basiert auf der Eigenverantwortung und Selbstständigkeit der Parteien.“ (Bundesarbeitsgemeinschaft für Mediation 2008). Ein erfolgreicher Prozess ist abhängig von der Initiative und Eigenverantwortung der Kontrahenten. Die Teilnehmer müssen gewährleisten, dass ihre Interessen zum Ausdruck kommen, sie sich aktiv am Verfahren beteiligen und Lösungen einen für sie stimmigen Wert zuschreiben können. Aus diesem Grund ist die psychische sowie kognitive Verfassung der Beteiligten vor dem Verfahren zu prüfen. Die Hinzuziehung eines rechtlichen Betreuers oder anderen Interessenvertreters ist in Ausnahmefällen jedoch möglich (vgl. ebd.).

Vertrauensschutz

Laut § 4 MedG sind „Der Mediator und die in die Durchführung des Mediationsverfahrens eingebundenen Personen […] zur Verschwiegenheit verpflichtet, soweit gesetzlich nichts anderes geregelt ist. Diese Pflicht bezieht sich auf alles, was ihnen in Ausübung ihrer Tätigkeit bekannt geworden ist.“ Die Schweigepflicht wird zu Beginn allen Beteiligten mitgeteilt, um einen vertrauensvollen Rahmen von Anfang an zu schaffen. Sollten Informationen ausgetauscht werden, welche die öffentliche Ordnung gefährden, beispielsweise die gegen die Grundrechte verstoßen oder ein Kindeswohl gefährden, ist der Vertrauensschutz an dieser Stelle außer Kraft gesetzt (vgl. Marx 2016: S. 78).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Prinzipien der Mediation (Quelle: Marx 2016: S. 77)

Des Weiteren ist das Verfahren durch seine Ergebnisoffenheit gekennzeichnet. Zu Beginn der Mediation kann keiner der Parteien bereits voraussehen, wie die Vereinbarung am Ende des Prozesses aussehen wird. Die Konfliktparteien müssen dem zustimmen und sich darüber bewusst sein.

2.5.1 Herkunft der Mediation

Konfliktvermittlung mithilfe von Mediation wird in vielen Ländern der Welt schon seit geraumer Zeit praktiziert. Auch wenn der Grundgedanke und die Strukturen überall ähnlich sind, wird der Prozess in allen Teilen der Welt unterschiedlich gestaltet. Die differenzierte Anwendung des Verfahrens hat vor allem historische Ursachen und ist kulturspezifisch zu betrachten. Während das Verfahren in Europa und Nordamerika erst in den 1970er-Jahren langsam die Professionalisierung erfuhr, wird es in einigen Ländern Asiens schon seit vielen Jahren dem Gerichtsprozess vorgezogen. In China beispielsweise werden außergerichtliche Verfahren stets präferiert und haben dadurch einen hohen Stellenwert erfahren. Markus Pfeil (2020), ein interkultureller Trainer, Berater und Mediator erläutert: „Der Grund hierfür liegt darin, dass offene Streitigkeiten seit alters her in China soweit möglich vermieden und daher nur im äußersten Fall geschlichtet werden. Die förmliche Anrufung eines Gerichtes wird als Schande empfunden, da sie einen Gesichtsverlust der Beteiligten bedeutet. Die Ursache hierfür liegt in der nach Harmonie strebenden chinesischen Gesellschaft: Lässt sich ein Streit nicht vermeiden, so ist er zumindest friedlich zu schlichten. Dabei wird es in der chinesischen Kultur viel höher bewertet, einen Kompromiss zu erreichen, als sein persönliches Recht durchzusetzen“.

In afrikanischen Ländern wird das Verfahren ebenfalls seit vielen Jahren ähnlich angewandt und erfuhr seither kaum Veränderung. Noch heute wird mithilfe von einer Dorfversammlung wird eine neutrale Person auserwählt, welche zwischen den Kontrahenten vermitteln soll, während die Bewohner des Dorfes anwesend sind und ihre Meinungen äußern dürfen (vgl. ebd.).

Auch in Europa geht die Geschichte der Mediation weit zurück und ist in der Antike anzusiedeln. Innerhalb der griechischen Stadtstaaten wurde stets öffentlich debattiert und zumindest jeder männliche Bürger als gleichberechtigt angesehen. Demokratische Strukturen, eine offene Kommunikation und die gewaltfreie, politische Vermittlung machten es in der Antike möglich, sich Konflikte und das damit einhergehende Entwicklungspotenzial zu Nutze zu machen.

Jedoch geht die Professionalisierung in den westlichen Ländern vor allem auf die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten zurück. Besonders die Entzweiung von Familien in den späten 1970er-Jahren und die damit verbundene hohe Scheidungsrate war ein entscheidender Schritt für die Entwicklung der Mediation. Im Zuge vieler kostenintensiver Gerichtsverfahren wurden alternative Konfliktbeilegungsmethoden wie die Mediation für streitige Sorge- und Umgangsfälle in Familien attraktiver. Da mit dieser Veränderung gute Erfolge zu verzeichnen waren, wird das Mediationsverfahren dort seit den 1980-er Jahren auf gesetzlicher Grundlage dem herkömmlichen Gerichtsverfahren vorgezogen (vgl. Marx 2016: S. 70f).

[...]


1 Jean Piaget (1896 – 1980) war ein Schweizer Biologe und Entwicklungspsychologe, welcher durch sein Entwicklungsstufenmodell bekannt wurde. Diese besagt, dass die aktive Erfahrung eines Kleinkindes ein kognitives Schema erzeugt, welches die Grundlage für neue Erfahrungen darstellt. Darüber hinaus werden Anpassungen an vorhandene Schemata durch Assimilation und Akkommodation vorgenommen (vgl. Zimbardo & Gerrig 1999).

2 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung personenspezifischer Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für jedes Geschlecht.

3 Sämtliche Beispiele sind fiktiv und frei erfunden, wenn nicht anders beschrieben.

4 Der Bundesverband Mediation e.V. (BM) wurde 1992 gegründet und repräsentiert den größten Fachverband für Mediation in Deutschland. 2500 Mediatoren zählen zum Mitgliederstamm, um sich interdisziplinär zu vernetzen. Ziele des Verbandes sind u.a. die Qualitätssicherung und (Weiter-)Entwicklung des Verfahrens. Durch regelmäßige Konferenzen und die Publikationen der Fachzeitschrift SPEKTRUM werden Standards innerhalb der Mediation(-Ausbildung) gesetzt und sichergestellt (vgl. bmev.de).

5 Engl.: das Gleichgewicht zwischen Arbeitsbelastung und freizeitlicher Lebensgestaltung

6 Es ist nicht bewiesen, wer das Eisberg-Modell entwickelt hat. Hinweise für den möglichen Ursprung des Modells finden sich in Freuds Abbildungen über das topische Modell (die Vorstellung, psychischen Vorgängen einen Ort zu geben). Des weiteren verweisen die beiden Psychologen Floyd Ruch und Philip Zimbardo 1974 auf diese Abbildungen im Zusammenhang mit dem o.g. Modell.

7 Edward De Bono (geb. 1933) ist ein britischer Mediziner, Kognitionswissenschaftler und Autor.

8 Mit der Six Thinking Hats Methode entwickelte De Bono eine kreative Technik, um sich kommunikativ auf unterschiedlichen Ebenen auszutauschen. Dazu trägt jeder einen Hut einer unterschiedlichen Farbe. Dem Hut ist eine bestimmte Perspektive zu geordnet (blau denkt analytisch, rot betrachtet das Problem emotional, usw.), sodass eine Vielzahl an Denkweisen berücksichtigt werden.

9 Leon Festinger (1919 – 1989) war ein US-amerikanischer Sozialpsychologe, der seine Theorie über die kognitive Dissonanz 1957 in seinem Werk A theory of cognitive dissonance publizierte und damit das Feld der Psychologie revolutionierte.

10 Gerold Ungeheuer war ein deutscher Kommunikationswissenschaftler, welcher problemtheoretische Grundlagenforschung betrieb und sich vor allem mit der Frage beschäftigte, wie Menschen als (bewusst) handelnde Kommunizierende beschrieben und begrifflich repräsentiert werden können.

11 In Zusammenhang mit GfK wird häufig von Pseudogefühlen gesprochen. Diese bedeuten keinen wirklichen Gefühlszustand, sondern eine persönliche Zuschreibung und äußert sich durch einen Gedanken, der bereits bewertet formuliert wird.

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Das Verfahren der Mediation in der Sozialen Arbeit, Konfliktverständnis und Kommunikation
Hochschule
Fachhochschule des Mittelstands
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
75
Katalognummer
V938361
ISBN (eBook)
9783346305633
ISBN (Buch)
9783346305640
Sprache
Deutsch
Schlagworte
verfahren, mediation, sozialen, arbeit, konfliktverständnis, kommunikation
Arbeit zitieren
Carolin Schmidt (Autor:in), 2020, Das Verfahren der Mediation in der Sozialen Arbeit, Konfliktverständnis und Kommunikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/938361

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