Macht und Politik: Machiavelli als Realpolitiker


Seminararbeit, 2008

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Politik und politisches Denken im historischen Kontext
2.1 Das Politikverständnis im Mittelalter und in der Renaissance
2.2 Die Fürstenspiegeltradition

3 Kernaussagen des „Principe“ und ausgewählter Fürstenspiegel
3.1 Thomas von Aquin: De Regimine Principum
3.2 Erasmus von Rotterdam: Institutio Principis Christiani
3.3 Niccolò Machiavelli: Il Principe

4 Vergleich der Auffassung von Macht und Politik in den angeführten Werken

5 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Man muß nämlich einsehen, dass ein Fürst, zumal ein neu zur Macht gekommener, nicht all das befolgen kann, dessentwegen die Menschen für gut gehalten werden, da er oft gezwungen ist – um seine Herrschaft zu behaupten –, gegen die Treue, die Barmherzigkeit, die Menschlichkeit und die Religion zu verstoßen.“[1]

Aussagen wie diese machten Niccolò Machiavellis Werk „Il Principe“ (Der Fürst) für viele zum „Inbegriff politischer Unmoral“[2]. Andere dagegen sahen darin die „Emanzipation der Politik von der Moral“ oder befürworteten sein enthaltenes „Realismusmotiv“.[3] Niccolò Machiavelli (1469-1527), italienischer Politiker und Schriftsteller, wird bis zur Gegenwart höchst unterschiedlich beurteilt.

Machiavelli selbst war 1498–1512 in der Republik Florenz mit den militärischen Angelegenheiten sowie den außenpolitischen Beziehungen betraut. Während seiner zahlreichen diplomatischen Missionen konnte er die Politik bedeutender zeitgenössischer Persönlichkeiten genau studieren. Nach seiner Entlassung 1512 widmete sich Machiavelli der politischen Schriftstellerei und verfasste zahlreiche Werke. „Il Principe “, 1513 erstellt, und Lorenzo de’ Medici, dem neuen Herrscher von Florenz gewidmet, kann als Gesuch um Wiederanstellung verstanden werden. Machiavelli verwendete für den „Principe“ den Fürstenspiegel, eine literarische Gattung, in welcher Machthabern Verhaltensregeln erteilt werden. Er verarbeitet darin seine politischen Erfahrungen sowie die erworbenen Einsichten aus seinem „Studium der Staatskunst“.[4]

Machiavelli befürwortet einen „starken Staat“, der in der „Republik“ oder der „Monarchie“ verwirklicht werden kann. In ruhigen Zeiten bevorzugt er die Republik, in Zeiten der Krise setzt er auf einen mächtigen Herrscher. Seine beiden wichtigsten politischen Werke, die „Discorsi“ und der „Principe“ beziehen sich auf die Republik und auf die Monarchie.[5]

In der vorliegenden Arbeit soll Machiavellis Verständnis von Macht und Politik herausgearbeitet und mit dem politischen Denken exemplarischer mittelalterlicher und humanistischer Fürstenspiegel verglichen werden. Hierzu werde ich stellvertretend Machiavellis „Il Principe“ den Fürstenspiegeln des Thomas von Aquin und des Erasmus von Rotterdam als bedeutende Vertreter der Fürstenspiegeltradition des Mittelalters und der Renaissance gegenüberstellen. Zur Eingrenzung des Themas werden nur die genannten Werke berücksichtigt.

Wesentliche zu beantwortende Fragen betreffen das politische Denken im historischen Kontext, die Darstellung von Macht und Politik bei Machiavelli und in den ausgewählten Fürstenspiegeln, sowie die Analyse der Unterschiede zwischen Machiavelli und diesen Werken. Abschließend soll untersucht werden, wie der „Principe“ einzuordnen ist und ob es sich bei Machiavelli um einen Realpolitiker handelt.

Als Vorgehensweise wurde die Folgende gewählt: Nach der Einleitung werden die historischen Rahmenbedingungen sowie die Fürstenspiegeltradition erörtert, das dritte Kapitel befasst sich mit den wesentlichen Inhalten der genannten Werke. Im folgenden Kapitel wird das Verständnis von Macht und Politik bei Machiavelli und den ausgewählten Fürstenspiegeln analysiert und verglichen. Schließlich wird eine Einordnung Machiavellis erfolgen.

2 Politik und politisches Denken im historischen Kontext

Im Folgenden werden wichtige epochale Rahmenbedingungen, das jeweilige Politikverständnis sowie die Fürstenspiegeltradition kurz skizziert.

2.1 Das Politikverständnis im Mittelalter und in der Renaissance

Der Schwerpunkt der mittelalterlichen Gesellschaft im ehemaligen weströmischen Reich lag in der Landwirtschaft.[6] Das Leben war wesentlich vom Christentum beeinflusst. Die „dogmatisch fixierte Religion [herrschte] mit amtlichen Lehrentscheidungen und Polizeigewalt […].“[7] Aus der Bibel wurden klerikale Herrschaftsansprüche begründet.[8]

Augustinus, der mit als Urheber der „christlichen Philosophie des Mittelalters“ gilt[9], entwarf das „Ideal des christlichen Herrschers“. Den Menschen sah Augustinus durch den „Sündenfall Adams“ verdorben, er glaubte an die Vorherbestimmung. Der christliche Machthaber stellt seine Herrschaft in den „Dienst Gottes“, er fürchtet, liebt und verehrt Gott. Er ist nachsichtig und bestraft nur, wenn die Sicherung des Gemeinwesens dies erfordert. Ist er zu Härte genötigt, kompensiert er dies durch „Milde, Güte und Freigiebigkeit“. Wer sich gegen die Herrschaft erhebt, lehnt sich gegen Gottes Ordnung auf. Hielten sich alle an die moralischen Maßstäbe des Glaubens, würde ein glückliches Reich entstehen.[10] Augustinus sprach fortuna, der römischen Göttin des Glücks, die Beeinflussung der Geschichte ab.[11] Fortuna unterliegt „der christlich-stoisch interpretierten virtus“ (Tugend): Vor ihrer Macht bewahrt demnach ein „christlich-tugendhaftes“ Leben.[12] Neben Augustinus beeinflussten Boethius mit seiner Übersetzung der ersten logischen Traktate des Aristoteles[13] und Dionysius, der die Bedeutsamkeit der Bischöfe und des Mönchtums betonte[14] das Denken im Mittelalter nachhaltig.

Im 13. Jahrhundert versuchte Thomas von Aquin „Aristotelisches“ und „Augustinisches“ zu verbinden.[15] In „De regimine principum“ widmete er sich der politischen Theorie. Hier gliedert er die Staatsformen in Anlehnung an Aristoteles, befürwortete jedoch die Vormacht des Papstes vor der weltlichen Macht und vertrat die Meinung, dass man auch einem harten Herrscher ohne Auflehnung dienen muss.[16] Wilhelm von Ockham, Marsilius von Padua und Dante trennten dagegen die Macht des Kaisers von der Macht des Papstes. Bei Marsilius von Padua lag die Herrschafts- und Gesetzgebungsgewalt beim Volk. In Anlehnung an Aristoteles sollten „Richter und Regierende“ dem Gesetz verpflichtet sein.[17]

Die Grundlagen des mittelalterlichen Staates bildeten also meist die Treue der Untertanen[18] und die Gnade Gottes. Eine wichtige Aufgabe des Staates war es, den Frieden zu sichern.[19]

Etwa zur Mitte des 14. Jahrhunderts formierten sich die Renaissance und der Humanismus[20], als deren Kennzeichen die „Rezeption und Neuinterpretation der Antike“ gelten.[21] Seit dem 12. Jahrhundert hatten sich „Fernhandel“ und „Geldwesen“ entwickelt[22], das geschäftliche und gesellschaftliche Leben konzentrierte sich in der Stadt.[23] Im zunehmend säkularisierten Leben wurden „Kapitalverkehr“ und „Güterproduktion“ zum „Selbstzweck“.[24] Pico della Mirandola prägte den Gedanken der Individualität des Menschen: Er vertrat die Ansicht, dass der Mensch nicht durch seine Natur determiniert ist, sondern die Freiheit besitzt sich selbst zu bestimmen.[25] Das entstandene individuelle „Selbstbewusstsein“ des Menschen offenbarte sich auch im Verständnis von virtù (Tüchtigkeit).[26] Die neu interpretierte virtù orientierte sich am „altrömischen virtus -Begriff“ und vereinigte Ausdauer, „intellektuell-pragmatische Fähigkeiten“ und „Führungsqualität“.[27]

Salutati und Bruni, wichtige Vertreter der politischen Strömung des Humanismus, befassten sich im beginnenden 15. Jahrhundert mit dem politischen Leben in Florenz. Beide traten für eine republikanische Staatsordnung ein. Sie strebten eine neue Auslegung von „Wissen“, „Bildung“ und „Kultur“ an. Mit Hilfe der Bildung sollte „die humane Entfaltung des Stadtstaates“ gefördert werden.[28]

Im 15. und 16. Jahrhundert waren die „Stadtstaaten“ nicht mehr in der Lage, sich den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen zu stellen, wodurch der Gedanke der „städtisch-republikanischen wie der individuellen Selbstbestimmung“ seines „realgeschichtlichen“ Fundaments entzogen wurde.[29] So eroberte die Göttin fortuna mehr und mehr die menschlichen Gedanken. Sie stand „für plötzliche und unkontrollierbare Veränderungen in den menschlichen Angelegenheiten.“[30] Erasmus von Rotterdam, Thomas Morus und Niccolò Machiavelli konnten etwa zur selben Zeit den Niedergang der humanistischen Werte mitverfolgen, verarbeiteten dies jedoch unterschiedlich. Erasmus von Rotterdam näherte sich dem Problem pädagogisch, indem er die frühzeitige Erziehung der Thronnachfolger zu christlichem und tugendhaftem Handeln forderte.[31] Thomas Morus folgte dem Beispiel Platons und entwickelte mit „Utopia“ „das Modell eines idealen Staates“. Er hatte das Privatvermögen als Ursache gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten identifiziert und entwarf einen „kommunistischen Agrarstaat“, der von einem demokratisch gewählten Staatsmann geführt wird.[32] Machiavelli begegnete der Krise der italienischen Stadtstaaten dagegen mit einer „rationalen Ernüchterung“[33]. Er erhob die staatliche Selbsterhaltung zum obersten Herrschaftsziel dem alles untergeordnet wird. Solange sie dem Machterhalt des Herrschers dienen, können alle Mittel unabhängig von ihrer moralischen Vertretbarkeit eingesetzt werden. Der so skizzierte Staat beruht nun „wesentlich auf Misstrauen gegenüber seinen Bürgern.“[34]

2.2 Die Fürstenspiegeltradition

Unter einem Fürstenspiegel versteht man eine literarische Gattung in welcher designierten oder herrschenden Machthabern Regeln zu ihrem Verhalten erteilt werden. Ein Fürstenspiegel hält dem Adressaten den Spiegel des bestmöglichen Herrschers vor, dabei „geht es um die politisch-pädagogisch motivierte Konfrontation […] von Realbild und Idealbild des Herrschers.“[35] Während die Bezeichnung „Fürstenspiegel“ erst ab dem 13. Jahrhundert Verwendung findet, reichen die Wurzeln dieser Gattung selbst zurück bis vor die klassische Antike. Im Gegensatz zu den antiken Fürstenspiegeln thematisieren die mittelalterlichen und neuzeitlichen Fürstenspiegel nur die Monarchie.[36] Die politischen Grundlagen der mittelalterlichen Fürstenspiegel sind in der „Civitas Dei“ von Augustinus zu sehen. Sie sind Leitfäden der „politischen Moral“, das Königtum wird als Teil der Heilsgeschichte interpretiert. Im späten Mittelalter vergrößert sich neben dem augustinischen Spiritualismus der Bezug zur politischen Wirklichkeit: Unsitten der höfischen Kultur werden abgelehnt, die moralische Legitimation des Herrschers wird betont.[37]

Aufgrund der fortschreitenden Säkularisation ist das Idealbild des Herrschers im Humanismus weniger christlich gefärbt, statt dem Lohn der Tugend im Jenseits erhält der tugendhafte Herrscher weltlichen Ruhm. Strukturelle Analogien zwischen den humanistischen und den christlich-mittelalterlichen Fürstenspiegeln zeigen sich im „ethischen Normativismus“. Der ideale Machthaber ist der gute Mensch dessen Tugend gemäß der „aristotelischen Gerechtigkeitskonzeption“ der Inbegriff aller Tugenden in der „vollkommenen Tugendhaftigkeit“ ist. Gute Politik bedeutet Förderung des Gemeinwohls und des Glücks der Untertanen, gerechte Gesetze und die Sicherung des Friedens.[38]

[...]


[1] Machiavelli, Niccolò: Il Principe/Der Fürst. Italienisch/Deutsch. Übersetzt und hrsg. v. Philipp Rippel. Stuttgart 1986, S. 139

[2] Voigt, Rüdiger/Walkenhaus, Ralf/Münkler, Herfried: Niccolò Machiavellis Politikverständnis. In: Münkler, Herfried/Voigt, Rüdiger/Walkenhaus, Ralf (Hrsg.): Demaskierung der Macht. Niccolò Machiavellis Staats- und Politikverständnis. Baden-Baden 2004, S. 13-29, S. 13. Kardinal Pole oder Friedrich II. von Preußen wandten sich etwa entschieden gegen Machiavellis Principe..

[3] Vgl. Kersting, Wolfgang: Niccolò Machiavelli. München 2006, S. 167ff. Amelot de la Houssaye sah eine Emanzipation von der Moral, den enthaltenen Realismus hoben z.B. Spinoza oder Francis Bacon hervor.

[4] Vgl. Kersting a.a.O. S. 15ff

[5] Vgl. Voigt/Walkenhaus/Münkler a.a.O. S. 27

[6] Vgl. Flasch, Kurt: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. 2., rev. u. erw. Aufl. Stuttgart 2006. S. 169

[7] Vgl. ebd. S. 141

[8] Vgl. Münkler, Herfried: Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz. Frankfurt a. Main 1982, S. 260

[9] Vgl. ebd., S. 70

[10] Vgl. Zippelius, Reinhold: Geschichte der Staatsideen. 10. neu bearb. u. erw. Aufl. München 2003, S. 52ff

[11] Vgl. Münkler, a.a.O. S. 301

[12] Vgl. Kersting a.a.O. S. 118f

[13] Vgl. Flasch a.a.O. S. 57

[14] Vgl. ebd. S. 92

[15] Vgl. ebd. S. 377

[16] Vgl. Zippelius a.a.O. S. 61f

[17] Vgl. ebd. S. 64ff

[18] Vgl. Münkler a.a.O. S. 265

[19] Zum Beispiel laut Thomas von Aquin oder Dante

[20] Renaissance bezieht sich auf die Gesamtkultur zwischen der Mitte des 14. und der Mitte des 16. Jahrhunderts, während der Humanismus eine geistige Bewegung während der Renaissance darstellt.

[21] Vgl. Otto, Stephan (Hrsg.): Renaissance und frühe Neuzeit. Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, Bd. 3. Stuttgart 1994, S. 27

[22] Vgl. Flasch a.a.O. S. 630

[23] Vgl. Münkler a.a.O. S. 28

[24] Vgl. ebd. S. 65

[25] Vgl. Flasch a.a.O. S. 620ff

[26] Vgl. Münkler a.a.O. S. 313

[27] Vgl. Kersting a.a.O. S. 120

[28] Vgl. Flasch a.a.O. S. 575ff

[29] Vgl. Flasch a.a.O. S. 630

[30] Münkler a.a.O. S. 301

[31] Vgl. Erasmus von Rotterdam: Fürstenerziehung. Institutio Principis Christiani. Die Erziehung eines christlichen Fürsten. Einführung, Übersetzung und Bearbeitung von Anton J. Gail. Paderborn 1968, S. 43ff

[32] Vgl. Zippelius a.a.O. S. 76ff

[33] Vgl. Flasch a.a.O. S. 631

[34] Vgl. Münkler a.a.O. S. 265

[35] Mühleisen, Hans-Otto/Stammen, Theo: Politische Ethik und politische Erziehung. Fürstenspiegel der frühen Neuzeit. In: Mühleisen, Hans-Otto/Philipp, Michael/Stammen, Theo (Hrsg.): Fürstenspiegel der frühen Neuzeit (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens, Bd. 6). Frankfurt a. Main/Leipzig 1997, S. 12

[36] Vgl. Schulte, Manuel J.: Speculum Regis: Studien zur Fürstenspiegel-Literatur in der griechisch-römischen Antike (Antike Kultur und Ge-schichte, Bd. 3). Münster 2001, S. 9ff

[37] Vgl. Erasmus von Rotterdam a.a.O. S. 28f

[38] Vgl. Kersting a.a.O. S. 90ff

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Macht und Politik: Machiavelli als Realpolitiker
Hochschule
FernUniversität Hagen
Veranstaltung
Philosophische Reflexion von Staat und Politik
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V93903
ISBN (eBook)
9783640102631
ISBN (Buch)
9783640631476
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Macht, Politik, Machiavelli, Realpolitiker, Philosophische, Reflexion, Staat, Politik
Arbeit zitieren
Andrea Zeller (Autor:in), 2008, Macht und Politik: Machiavelli als Realpolitiker, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93903

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