Max Webers Machtbegriff. Masse und Macht am Beispiel der Sozialdemokratie


Bachelorarbeit, 2020

30 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Forschungsmethode und Literatur

3 Definition Zentraler Begriffe

4 Bedeutung von Masse und Macht in Webers politischem Denken
4.1 Der charismatische Führer als Herrscher
4.2 Webers Forderung nach „plebiszitärer Demokratie“ charismatischen Charakters

5 Die Sozialdemokratie als Beispiel für Masse und Macht
5.1 August Bebel als charismatische Führer
5.2 Die sozialdemokratische „Masse“
5.3 Der Abstieg der Sozialdemokratie

6 Ausblick

7 Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

WuG Wirtschaft und Gesellschaft- Grundriß der verstehenden Soziologie

PaB Politik als Beruf

SdP Zur Soziologie des Parteiwesens in der

modernen Demokratie: Untersuchungen über die

oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens

GPG Max Weber: Gesellschaft, Politik und Geschichte

DP Max Weber und die Deutsche Politik

1 Einleitung

Maximilian Carl Emil „Max“ Weber ist bis heute der bedeutendste deutsche Soziologe. Sein Einfluss reicht bis in die Kultur-, Sozial-, Politik- und Geschichtswissenschaften. Seine Theorien und Definitionen zur Herrschaftssoziologie (insbesondere Webers drei Typen legitimer Herrschaft), seine Protestantismus-Kapitalismus-These, den Begriff Charisma, die Unterscheidung von Verantwortungs- und Gesinnungsethik, das Gewaltmonopol des Staates sowie der Bürokratie1 bleiben bis heute nahezu alternativlos. Auch seine Definition von Macht gehört vielleicht zu den meistzitierten Machtbegriffen. Dennoch fehlt in der Forschung, im Gegensatz zu seinen anderen Theorien und Definitionen, eine adäquate Auseinandersetzung mit Webers Machtbegriff. Einzig allein Steinbergers Versuch Webers Machtbegriff auf Machiavelli und Nietzsche zurückzuführen ist ein nennenswertes Forschungsergebnis. Darüber hinaus wird Webers Machtbegriff und -konzept oft zitiert, aber selten richtig verstanden.

Macht ist ein Konzept, das überall auftaucht. Sei es in der Politik, Wirtschafts- und Finanzwelt oder im Alltag. Ohne Macht ist es nicht möglich etwas zu verändern oder zu beeinflussen. Auch Weber erwähnt in seinem Werk Politik als Beruf (Erste Auflage 1919), dass Politiker nur danach streben ihre Macht auszubauen und die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben. Dies bleibt bis heute unverändert. Politiker streben immer noch nach Macht und es bleibt weiterhin ihr größtes Interesse Macht aufzubauen, zu erweitern und zu vertiefen. Umso wichtiger ist es, das Machtkonzept zu verstehen. Wer Macht nicht versteht, kann die Politik nicht begreifen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in der Politischen Theorie, neben den Begriffen/Konzepten Staat, Politik, Legitimität und Herrschaft, Macht zu den wichtigsten Forschungsgegenständen gehört.

Max Webers Machtkonzept genießt in der politischen Theorie jedoch nicht die Aufmerksamkeit, wie es die Theorien von Arendt, Canetti, Spinoza, Foucault, Elias und Kraus tun. Diese Tatsache stellt eine Forschungslücke in der Politischen Theorie dar. Bevor man die Bedeutung von Webers Machtbegriff jedoch erforscht, ist grundlegend wichtig den Begriff zu verstehen und zu begreifen. Deswegen liegt zunächst der Schwerpunkt darin den Machtbegriff greifbarer und verständlicher darzustellen.

Auffällig in Webers Werken ist die Verwendung des Begriffs der Masse. Überproportional oft verwendete Weber den Begriff Macht im Zusammenhang mit der Masse. Dies mag auf den ersten Blick nicht verwunderlich sein, da in der Politischen Theorie dieser Zusammenhang, wie bei Spinoza, Arendt und Canetti, nichts neues ist. Max Webers Name hingegen wurde nie mit dem Konzept „Masse und Macht“ in Zusammenhang gebracht. Es ist ersichtlich, dass man den Massebegriff in Webers Werken näher untersuchen muss, um Webers Machtbegriff besser verstehen zu können.

Das zentrale Anliegen der Arbeit ist demnach die Bedeutung von Masse und Macht in Webers Werken zu untersuchen. Eine Besonderheit dabei stellt die Tatsache dar, dass es keine Zentrale Forschungsfrage gibt. Dies ist dadurch zu erklären, dass es zu dieser Thematik keine ausreichende Forschung gibt. Die Arbeit soll demnach die Grundlage für zukünftige Forschungen zu Max Webers Machtbegriff liefern. Das zentrale Thema der Arbeit lautet:

Max Webers Machtbegriff: Masse und Macht bei Max Weber am Beispiel der Sozialdemokratie

Am Beispiel der Sozialdemokratie soll Webers Konzept von „Masse und Macht“ veranschaulicht werden. Die Sozialdemokratie wurde aus praktischen Gründen gewählt. Einerseits greift Weber in seinen Werken sehr viele Beispiele der Sozialdemokratie auf, andererseits ist die Sozialdemokratie in Webers Zeiten die größte Bewegung, die Massen auf der ganzen Welt mobilisieren konnte. Das Beispiel der Sozialdemokratie eignet sich demnach hervorragend um „Masse und Macht“ zu veranschaulichen. Stellvertretend für die Sozialdemokratie wird die SPD analysiert werden, da sie in Deutschland die deutlichste politische Manifestation der Sozialdemokratie war und immer noch ist.

Die Arbeit ist in mehrere Teile gegliedert. Im ersten Teil werden Forschungsmethode- und ziel kurz beleuchtet. Des Weiteren wird erklärt werden, warum die Werke von Robert Michels und Wolfgang Mommsen als Sekundärliteratur herangezogen werden.

Der Definition von zentralen Begriffen wird ein ganzer Abschnitt gewidmet. Besonders im Umgang mit Webers Werken ist eine ausführliche Auseinandersetzung und Definition bestimmter Begriffe unerlässlich, da es sonst erheblichen Verständnisschwierigkeiten gibt.

Die nächsten zwei Abschnitte befassen sich inhaltlich mit Webers Werken. Im Abschnitt „Masse und Macht in Webers politischem Denken“ werden Beispiele für den Zusammenhang von Masse und Macht in Webers Werken geliefert und die charismatische Herrschaft sowie der charismatische Führer werden untersucht. Im Abschnitt „Die Sozialdemokratie als Beispiel für Masse und Macht“ wird die Sozialdemokratie hinsichtlich auf die Erkenntnisse des vorherigen Abschnitts untersucht werden. Dabei wird einerseits die Sozialdemokratie an sich als Masse analysiert, andererseits wird August Bebel stellvertretend für den charismatischen Herrscher als Beispiel dienen. Des Weiteren wird im Abschnitt „Abstieg der Sozialdemokratie“ versucht die neugewonnen Erkenntnisse zu „Masse und Macht“ als Erklärungsmuster für den Machtverlust der Sozialdemokratie, zum Ende des 20.Jahrhunderts, zu erklären.

Im Abschnitt danach wird ein Bild der gegenwärtigen Sozialdemokratie gezeichnet und kurze Versuche der Sozialdemokratie, die Massen für sich zu gewinnen werden erläutert.

Im Fazit der Arbeit wird Stellung zum Forschungsthema genommen und ein Ausblick zu zukünftiger Forschung zu Webers Machtbegriff gegeben.

2 Forschungsmethode und Literatur

Als Literatur für die Arbeit werden als Primärliteratur die Max-Weber-Gesamtausgabe: Wirtschaft und Gesellschaft (Erste Auflage 1921/22) sowie Politik als Beruf herangezogen. Diese beiden Werke spiegeln Webers politisches Denken präzise wider und eignen sich daher sehr gut, um die Bedeutung von „Masse und Macht“ in seinen Werken zu untersuchen. Als Sekundärliteratur werden die Werke von Robert Michels und Wolfang Justin Mommsen herangezogen.

Wolfang J. Mommsen gehört zu den Forschern, die Max Webers politisches Denken und seine Werke am erfolgreichsten interpretieren und deuten kann. Er selbst gehört bis zu seinem Tod zum Mitherausgeber der Max-Weber-Gesamtausgabe. Seine Werke Max Weber: Gesellschaft, Politik und Geschichte (Erste Auflage 1974) sowie Max Weber und die deutsche Politik (Erste Auflage 1959) stellen vielleicht die bedeutendste Auseinandersetzung mit Webers Werken im deutschsprachigen Raum dar. Seine beiden Werke werden im ersten Teil, der Arbeit dazu genutzt werden, um Webers Werke präzise zu deuten und so die Bedeutung von „Masse und Macht“ besser einordnen zu können.

Robert Michels gehört zu den Gründervätern der modernen Politikwissenschaft und ist ein enger Freund Webers. Sein Werk Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie: Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens (Erste Veröffentlichung 1911) wurde maßgebliche von Weber beeinflusst, wie er selbst im Vorwort zur zweiten Auflage anmerkt:

„Die erste deutsche Ausgabe dieses Werkes war Max Weber gewidmet, dem ich in jahrelanger Freundschaft zugetan gewesen bin. Auch auf manchen Stellen desselben ist der persönliche und briefliche Verkehr mit ihm nicht ohne Einfluß geblieben.“ (Michels 1989, S.LIII)

Außerdem merkt Michels folgendes an: „Die Behandlung des Parteiwesen in Webers >> Wirtschaft und Gesellschaft<< ist dagegen nur sporadisch und zerrissen…“ (Michels1989, S.LIV). Besonders dem Parteiwesen der Sozialdemokratie wird im zweiten Teil der Arbeit aber eine essenzielle Rolle zukommen. Da Michels Werk die „Lücke“ zwischen PaB und WuG bezüglich der Sozialdemokratie schließt, wird sein Werk einen erheblichen Beitrag zum Verständnis der Sozialdemokratie in der Zeit Webers beitragen. Des Weiteren ist ein besonderes Spezifikum in der Michelsschen Elitentheorie, „die Verknüpfung mit dem dualistischen Schema von Führung und Masse“ (Michels 1989, S.XXXIII). Michels Werks ist daher für ein Verständnis der Sozialdemokratie, unter dem Gesichtspunkt „Masse und Macht“, unumgänglich.

Methodisch kennzeichnet sich die vorliegende Arbeit durch eine sehr einfache und gradlinige Vorgehensweise aus. Es werden keine Vergleiche zu anderen Philosophen, Forschern oder Theoretikern gemacht. Auch die Literatur hält sich mit wenigen Werken in Grenzen. Die Sekundärliteratur trägt nur dazu bei Webers Gedankengänge besser zu verstehen und interpretieren zu können. WuG und PaB werden darauf untersucht, welcher Bedeutung „Masse und Macht“ in den Werken zukommt. Anhand dieser Befunde wird als Beispiel die Sozialdemokratie untersucht werden. Der Fokus der Arbeit liegt klar bei Max Weber. Ziel ist es die Bedeutung von „Masse und Macht“ in Webers Werken zu identifizieren und (auch am Beispiel der Sozialdemokratie) zu bewerten.

3 Definition Zentraler Begriffe

Die wichtigsten Begriffe der Bachelorarbeit sind offensichtlich Masse und Macht. Max Weber formuliert selbst vielleicht die meistverwendete Definition von Macht:

„Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ (Weber 1980, S.28)

Max Weber beschreibt seine Definition darüber hinaus als soziologisch amorph. Nichtsdestotrotz lässt sich die Definition auf vier unterschiedlichen Ebenen betrachten. Die Chance, verweist auf den situativen und kontextbezogenen Charakter von Macht. Macht birgt demnach einen gewissen Grad an Potenzialität. Die soziale Beziehung verweist auf den personalen Charakter. Macht ist also abhängig von den sozialen Beziehungen. Der eigene Wille spielt auf den Entscheidungscharakter an, der mit einem Durchsetzungsstreben harmonisiert ist. Das Widerstreben verweist auf das unabhängig-Sein von Zustimmung. Widerstreben muss dabei kein integraler Bestandteil, der Machtbeziehung sein, sondern ist eine Möglichkeitsform, die beispielhaft auch vorangestellt werden kann. Macht wird von Weber nicht als Eigentum verstanden, sondern wird handlungsbezogen innerhalb einer sozialen Beziehung gedacht. Dementsprechend zeugt Macht von einer Asymmetrie in der sozialen Beziehung.

Als einzigartiger Typ von Macht definiert Weber Herrschaft als „die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“ (Weber 1980, S.122). Im Gegensatz zur Macht beruht die Herrschaft auf Legitimität, die von den Beherrschten anerkannt werden muss.

Weber unterscheidet bei der Herrschaft drei Arten von Legitimität:

„1. rationalen Charakters: auf dem Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft2 Berufenen ruhen (legale Herrschaft), – oder
2. traditionalen Charakters: auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Ausübung Berufenen ruhen (traditionale Herrschaft), – oder endlich
3. charismatischen Charakters: auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person oder der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen ruhen (charismatische Herrschaft)“ (Weber 1980, S.122)

Die Unterschiede der drei Arten von legitimer Herrschaft liefert Wolfang Mommsen anschaulich in einer schematischen Abbildung (Mommsen 1974, S.205):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle: Eigene Darstellung nach Mommsen 1974, S.205

Macht oder Herrschaft kann man nur gegenüber einem Individuum oder einer Masse ausüben. Max Weber selbst benutzt den Begriff, der Masse, überproportional oft in seinen Werken. Eine klare Definition hierfür gibt er jedoch nicht. Ein Indiz, dass Weber nie eine eigene Definition formuliert hat, ist auch in Robert Michels Werk Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie zu finden. Von Max Weber übernimmt er viele Begriffe wie den charismatischen Führer, seine drei Formen der legitimen Herrschaft oder auch Definitionen aus der Religionssoziologie. Im ganzen Werk ist auch klar Webers Einfluss zu sehen, jedoch übernimmt Robert Michels für sein Werk den Massenbegriff von Gustave Le Bon und Gabriel Tarde.

Als Urheber des Begriffs der Masse gilt Gustave Le Bon. In seinem Buch Psychologie der Massen aus dem Jahr 1895 gab er erste Ansätze, um eine Masse von einer Menge zu unterscheiden. Im Jahr 1901 weitet Gabriel Tarde diese Unterscheidung in seinem Werk Masse und Meinung aus. Tarde unterscheidet zwischen der hitzigen Masse, die durch gemeinsame Ziele zur handelnden Masse werden und der kalten Menge, in der jeder seine eigenen Ziele verfolgt. Genau wie Michels hat Weber höchstwahrscheinlich den Massenbegriff von den Sozialpsychologen Gustave Le Bon und Gabriel Tarde übernommen.

Aus Max Webers Sicht kann die Menge als „individualisierte Masse“ angesehen werden und die Masse als „vergemeinschaftete Menge“.

Max Weber mag den Begriff der Masse nicht definiert haben, jedoch hat er ihn stark geprägt. Einerseits unterscheidet er zwischen „Masse“, „Gefolgschaft“ und „Elite“. Andererseits fügt er durch den Begriff des „sozialen Handelns“ eine zusätzliche Komponente zum Massenbegriff hinzu. Max Weber beschreibt das soziale Handeln wie folgt:

„Soziales Handeln [...] soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“ (Weber 1980, S.1)

Die Masse kann daher, in Anlehnung an Weber, Le Bon und Tarde, wie folgt definiert werden:

„Masse bezeichnet eine große Anzahl von Menschen, die als Kollektiv gemeinsam sozial handeln.“

Angelehnt an Webers Konzept des charismatischen Führers kann die Gefolgschaft wie folgt definiert werden: „Gefolgschaft bezeichnet eine Menschenmasse, die sich um einen Führer schart. Dabei glaubt die Masse an die Werte des Führers und dass er die in ihn gesetzten kollektiven Hoffnungen erfüllt.“ Die Michelssche Elitentheorie liefert eine bündige Elitendefinition. Michels definiert die Eliten als „einer politisch-willensmäßigen, wirtschaftlichen und kulturellen Führung, aus der sich die herrschende Schicht zusammensetzt.“ (Michels 1989, S.XXXIII)

Vergleicht man Webers Machtbegriff mit dem definierten Massebegriff, fällt der gemeinsame soziale Charakter auf. Eine große Masse kann ihren eigenen Willen (oder den Willen ihres Führers) leichter und besser durchsetzen. Die Masse ist daher „mächtiger“ als das Individuum. Ein Herrscher muss sich demnach immer auf eine Masse stützen können, gleichwohl wie groß diese Masse ist. Gleichzeitig ist es auch von höchster Bedeutung, dass ein Herrscher oder Politiker seinen Willen gegenüber den Massen durchsetzen kann. Macht basiert daher nicht nur darauf eine Masse für sich zu gewinnen und hinter sich zu versammeln, sondern sich auch gegen diese durchsetzen zu können. Ein Herrscher oder Individuum kann daher als mächtig bezeichnet werden, wenn er entweder die Massen für sich gewinnen kann und so seinen Willen durchsetzt oder die Massen kontrolliert/unterwirft und so seinen Willen gegen die Massen durchsetzt.

Macht manifestiert sich am deutlichsten in der Form von Herrschaft. Dabei ist auch hier ein Zusammenhang zwischen Masse und Herrschaft (Macht) zu sehen. Während die legale und traditionale Herrschaft mit der Bürokratie/Beamten und persönlich Abhängige/Approbation durch eine ständische Schicht, die Massen kontrollieren und abhängig machen möchten (dies kann durch das Nutzen anderer Mächte, wie z.B. Positionsmacht, Finanzmacht, Militärmacht etc. geschehen), versucht die charismatische Herrschaft eine Gefolgschaft um sich zu scharen bzw. die Massen für sich zu gewinnen oder zu mindestens durch eine „kleine“ Masse die „größere“ Masse zu kontrollieren. Der Unterschied wird dennoch deutlich: die legale und traditionale Herrschaft versuchen ihren Willen gegen die Massen durchzusetzen, während die charismatische Herrschaft eher versucht ihren Willen durch die Masse durchzusetzen.

Besonders die charismatische Herrschaft nimmt, aufgrund der besonderen Beziehung zu den Massen, eine einzigartige Stellung bei Max Weber ein. Für ein lückenloses Verständnis der charismatischen Herrschaft, ist jedoch eine Definition des Begriffs „Charisma“ notwendig. Max Webers Definition von Charisma ist in den Sozialwissenschaften alternativlos. Er beschreibt Charisma wie folgt:

„»Charisma« soll eine als außeralltäglich (ursprünglich, sowohl bei Propheten wie bei therapeutischen wie bei Rechts-Weisen wie bei Jagdführern wie bei Kriegshelden: als magisch bedingt) geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als »Führer« gewertet wird. Wie die betreffende Qualität von irgendeinem ethischen, ästhetischen oder sonstigen Standpunkt aus »objektiv« richtig zu bewerten sein würde, ist natürlich dabei begrifflich völlig gleichgültig: darauf allein, wie sie tatsächlich von den charismatisch Beherrschten, den »Anhängern«, bewertet wird, kommt es an.“ (Weber 1980, S.140)

4 Bedeutung von Masse und Macht in Webers politischem Denken

Die Ausübung von Macht wird am deutlichsten in der Form einer Herrschaft. Der Herrscher übt Macht auf seine Untergebenen aus. Solange der Herrscher Macht auf die Massen ausüben kann und sie dadurch kontrolliert oder abhängig macht, ist seiner Herrschaft gesichert. Wie bereits beim Vergleich der drei Arten legitimer Herrschaft feststellen konnte, versucht die traditionelle und legale Herrschaft, die Massen zu unterwerfen, während der charismatische Herrscher die Massen mobilisieren möchte. Unabhängig davon, wie Macht ausgeübt oder gewonnen wird, stehen und fallen alle drei Herrschertypen mit den Massen. Die Macht, die von den Massen ausgeht, ist nämlich größer als die Macht, der Herrscher. Dafür gibt Weber mehrere Beispiele in seinen Werken.

Chlodwig I. ist vielleicht der größte und mächtigste fränkische König der Merowinger. Indem er alle anderen fränkischen Kriegsherren besiegte, vereinte er die fränkischen Stämme unter einem Banner. Mit der Eroberung des Reiches des Syagrius vernichtete er die letzten Überbleibsel des weströmischen Reiches. Durch die Zerschlagung der Alemannen eroberte er ganz Gallien und begründete das fränkische Reich. Seine Macht wurde sogar von den Kaisern des oströmischen Reiches anerkannt, indem er zum patricius erhoben wurde. Zu seiner Zeit war Chlodwig, mit dem oströmischen Kaiser, die mächtigste Person Europas. Weber beschreibt in folgendem Zitat, wie der Macht Chlodwigs Grenzen gesetzt wurde:

„In einem Heer mit Selbstequipierung gilt der – schon in Chlodwigs Stellung zu seinem Heerbann sich äußernde – Grundsatz: daß der Herr sehr weitgehend auf den guten Willen der Heeresteilnehmer angewiesen ist, auf deren Obödienz seine politische Macht ganz und gar beruht. Er ist jedem einzelnen von ihnen, auch kleinen Gruppen gegenüber, der Mächtigere. Aber allen oder größeren Verbänden einer Vielzahl von ihnen gegenüber, wenn solche entstehen, ist er machtlos. Es fehlt dem Herren dann der bureaukratische, ihm blind gehorchende, weil ganz von ihm abhängige Zwangsapparat…“ (Weber 1980, S.756).

Max Weber zeigt ganz klar, dass Chlodwig machtlos gegenüber den Massen war. Darüber hinaus war er stets auf den „guten Willen“ Heeresteilnehmer und damit den Massen angewiesen.

Ein weiteres Beispiel ist der Doge von Venedig. Der Doge war zu Anfangszeiten ein unbeschränkter Herrscher gewesen und hatte die Kontrolle über das damals größte Handelsimperium Europas. Jedoch konnte selbst der Doge nichts gegen die Massen ausrichten, wie folgendes Zitat zeigt:

„Wie überall unter den Verhältnissen der militärischen Selbstequipierung, war der Doge allen einzelnen anderen Geschlechtern (oder auch Gruppen von ihnen) weit überlegen, nicht aber dem Verband aller“ (Weber 1980, S.759).

Die beiden Beispiele von Chlodwig und des Dogen repräsentieren die charismatische und die traditionelle Herrschaft. Auch für die legale Herrschaft findet sich ein explizites Beispiel wieder, wie dessen Macht durch die Massen beschränkt wurde. In einem bürokratischen Königreich ist der königliche Beamte übermächtig. Besonders im chinesischen Reich, welches zu seiner Zeit, die größte Bürokratie der Welt darstellt, waren Beamte nur durch eins beschränkt: den Massen. Weber beschreibt in WuG, wie der chinesische Beamte gegenüber Verbänden oder Sippen, die sich zusammenschlossen, machtlos wurde. Darüber hinaus „verlor [der Beamte] bei jeder ernstlichen gemeinsamen Gegenwehr sein Amt“ (Weber 1980, S.737)

Die drei Beispiele veranschaulichen, dass die Massen eine besondere Form der Macht besitzen. Der legale, traditionelle und charismatischer Herrscher ist machtlos, wenn sich die Massen gegen ihn richtet. Dennoch nimmt die charismatische Herrschaft, durch ihre Beziehung zu den Massen, eine besondere Rolle bei Weber ein. Die zentrale Figur hierfür ist der charismatische Führer als Herrscher.

4.1 Der charismatische Führer als Herrscher

Laut Webers Definition ist Charisma eine Qualität, die nicht jedem Menschen zugänglich ist. Der charismatische Führer muss also aus der Masse herausstechen, um als „Führer“ gewertet werden zu können. Des Weiteren gibt es beim Charisma keine objektive Bewertung. Einzig und allein auf die Bewertung, der „charismatisch beherrschten“ (den Massen) kommt es an. Sie entscheiden über das Charisma. Beispielhaft hierfür ist der Unterschied zwischen einem Kriegshelden und einem Heiler. Der Kriegsheld wird von den Soldaten als charismatischer Führer wahrgenommen. Dieser tötete viele Feinde im Kampf und errang somit den Sieg für die Armee. Mut, Tapferkeit und Stärke, diese Attribute verlangen die Soldaten von ihrem charismatischen Führer, dem Kriegshelden. Ein Heiler hingegen wird von der Armee nicht als charismatischer Führer wahrgenommen werden. Er verkörpert die von den Soldaten geschätzten Attribute nicht. Die einfache Bevölkerung wird den Heiler jedoch als charismatischen Führer akzeptieren. Durch seine Hingabe und Aufopferung für die Bevölkerung verkörpert der Heiler die Werte der einfachen Bevölkerung. Charisma wird also von den Massen bestimmt. Die Geltung des Charismas wird laut Weber durch die „Bewährung“ des Herrschers entschieden. Dieser wiederum ist auf die „Anerkennung“ durch die Massen angewiesen. Weber beschreibt die Anerkennung „als psychologisch eine aus Begeisterung oder Not und Hoffnung geborene gläubige, ganz persönliche Hingabe“ (Weber 1980, S.155). Erfüllt der charismatische Führer nicht die Erwartung der Beherrschten, so kann dieser seine charismatische Autorität verlieren. Gleichzeitig ist die Herrschaft nur soweit legitim „solange als das persönliche Charisma kraft Bewährung »gilt«, das heißt: Anerkennung findet“ (Weber 1980, S.140). Legitimität und Autorität wurde dem charismatischen Herrscher demnach von den Massen gegeben und auch entzogen. Daher ist es umso wichtiger für den charismatischen Führer eine Gefolgschaft aufzubauen. Die Gefolgschaft stellt den Verwaltungsapparat des charismatischen Herrschers dar. Weber unterstreicht auch klar, dass der Erfolg des Führers völlig vom Funktionieren dieses Apparates abhängig ist (Weber 1992, S.77). Im Gegensatz zur breiten Masse, teilt der Führer seine persönliche Macht mit seiner Gefolgschaft und belohnt sie „mit nötigen inneren und äußeren Prämien- himmlischen Lohn oder irdischen Lohn“ (Weber 1992, S.77), um die Loyalität der Gefolgschaft zu sichern.

[...]


1 Dies ist nur ein kleiner Bruchteil, der Erfolge und des Einflusses Webers. Für einen vollständigen Überblick wird auf folgende Webseite, die eine Sammlung sämtlicher Werke Webers frei zu Verfügung stellt, verwiesen: http://www.zeno.org/Soziologie/M/Weber,+Max

2 Es ist anzumerken, dass diese drei Formen der legitimen Herrschaft Idealtypen darstellen. In der Praxis findet man daher eher Mischtypen. Beispiel: So ist es üblich für Fürsten/Könige/Kaiser (Traditionale Herrschaft) gewesen, sich dennoch eine Gefolgschaft um sich zu scharren und sich auf diese zu stützen. (Charismatische Herrschaft)

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Max Webers Machtbegriff. Masse und Macht am Beispiel der Sozialdemokratie
Hochschule
Universität Potsdam
Note
2,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
30
Katalognummer
V940588
ISBN (eBook)
9783346270122
ISBN (Buch)
9783346270139
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politikwissenschaft, Politische Theorie, Ideengeschichte, Max Weber, Macht, Masse und Macht, Sozialdemokratie
Arbeit zitieren
Hüseyin Ugur Sagkal (Autor:in), 2020, Max Webers Machtbegriff. Masse und Macht am Beispiel der Sozialdemokratie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/940588

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