Demokratisierungsprozess in Spanien. König Juan Carlos I. als Gestalter der jungen spanischen Demokratie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2019

30 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Franco-Ära
2.1 Falange, Militär und Kirche – Die wichtigsten Stützen Francos
2.2 Entwicklung spanischer Wirtschaft und Gesellschaft unter Franco
2.3 Francos Nachfolge – Die Rolle der Monarchie

3. Vom Franquismus zur Demokratie
3.1 Die Machtfülle des königlichen Nachfolgers
3.2 Demokratisierung Spaniens unter König Juan Carlos I

4. Der Putschversuch vom 23. Februar 1981 als Bewährungsprobe für Spaniens junge Demokratie
4.1 Die historische Bedeutung der Streitkräfte in Spanien
4.2 Der Putschversuch vom 23. Februar 1981
4.3 Die Folgen des gescheiterten Putsches

5. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In der spanischen Geschichte zählt das 20. Jahrhundert zu einem der ereignisreichsten: Intensive Bemühungen, Spanien zu modernisieren, mündeten in einen dreijährigen spani-schen Bürgerkrieg, an dessen Ende im Jahr 1939 ein materiell extrem geschwächtes Land stand. Zudem hatte der Krieg auf psychologischer wie ideologischer Ebene ein großes Trauma verursacht, indem die Trennung der spanischen Gesellschaft in Sieger und Besieg-te in den Jahren der Diktatur Francisco Francos bewusst aufrecht erhalten wurde. Spanien blieb „ein Militärstaat, der mit Teilen seines Volkes im Kriegszustand lebte“1. Die schreck-lichen Repressionen, unter denen die Besiegten litten, sollten erst viele Jahre nach Stabili-sierung des neuen Regimes in Häufigkeit und Brutalität verringert werden.2

Die Franco-Ära überdauerte mehr als 35 Jahre. Das Land erlebte in dieser Zeit zahlreiche Veränderungen, die zu einem großen Teil durch das europäische Ausland bedingt waren. Die fortschreitende Industrialisierung und wachsende Mobilisierung anderer Staaten ging auch an Spanien nicht spurlos vorbei: Das Ende der Autarkiepolitik ermöglichte zahlreiche Investitionen im industriellen Sektor und hatte einen lange vermissten, wirtschaftlichen Aufschwung zur Folge, der das politische und soziale Bewusstsein der spanischen Gesell-schaft nachhaltig verändern sollte.3

Der Tod Francos im November 1975 markierte den Beginn des Übergangs vom Franquis-mus hin zu einer parlamentarisch-demokratischen Monarchie; die meisten erhofften sich den Anbruch eines „neuen Spaniens“4. Allerdings hatte Franco durch seine repressive Dik-tatur seinem Nachfolger König Juan Carlos I. eine hohe Hypothek hinterlassen: nicht nur, dass dieser als „Ziehsohn“ Francos wenig populär war, auch für die Errichtung einer De-mokratie erschien vielen ein Monarch paradox und nur die wenigsten glaubten an eine er-folgreiche Transition.5 Vielmehr gab es Stimmen, die eine politische Zukunft Juan Carlos‘ durch die Nähe zu Franco verspielt sahen,6 und ihm die „nötige Statur, um mit dem explosiven Erbe fertig zu werden“7 deutlich absprachen. Dennoch gelang dem König und seinem Regierungschef Adolfo Suárez der Systemwandel auf bemerkenswert friedliche Weise: Sie verstanden es, einen Übergang zu gestalten, der einerseits von Befürwortern des alten Regimes mitgetragen wurde und in dem andererseits die demokratische Opposition ihre Forderungen in für sie zufriedenstellendem Maße berücksichtigt sah.8

Auch wenn der spanischen Transition bereits in ihrem Verlauf besonderer Modellcharakter zugesprochen wurde, sah sich die Regierung fortwährend mit zahlreichen Problemen und Widerständen im politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich konfrontiert. Schließ-lich war es das Militär, das die aufkeimende spanische Demokratie auf die Probe stellte: Am 23. Februar 1981 stürmte, mitten in der Wahl des Nachfolgers von Regierungschef Suárez, die Guardia Civil unter Kommando des Oberstleutnants Antonio Tejero das Parla-ment, um den Demokratisierungsprozess zu stoppen. Erneut galt es, behutsam vorzugehen: Entweder wäre die harte politische Arbeit seit Francos Tod vergebens gewesen oder man würde diesen Putsch weitgehend unbeschadet überstehen. Eine bedeutende Rolle für das Scheitern des Putsches kam dabei dem König zu, der sich in einer Fernsehansprache aus-drücklich für den Erhalt der Demokratie einsetzte und den putschenden Aktivisten jegliche Unterstützung versagte.9

In der vorliegenden Hausarbeit wird der Fokus auf der Rolle Juan Carlos‘ bei der Demo-kratisierung Spaniens und der Bewältigung des Putschversuches vom 23. Februar 1981 lie-gen. Dabei soll es um die Prüfung der These gehen, ob die Demokratisierung Spaniens und die Niederschlagung des Putsches in der Hauptsache als Verdienste des Königs angesehen werden können. Dazu verschafft das erste Kapitel einen Überblick über die Franco-Ära und benennt die wichtigsten Stützen des Franco-Regimes. Zudem werden innen- wie außenpolitische Konsequenzen des Franquismus für Spanien aufgezeigt und schließlich die von Franco getroffene Nachfolgeregelung dargestellt. All dies zeichnet die Lage Spaniens zum Zeitpunkt der Inthronisation Juan Carlos‘ vor und bedingt die Anfänge des Demokratisierungsprozesses. Wie der König diesen gestaltete und seine neuen Befugnisse einsetzte, wird im darauf folgenden Kapitel skizziert. Im letzten Kapitel erfolgt der Blick auf den genannten Putschversuch. Dazu wird zunächst aufgezeigt, wie das Militär seine Funktion im spanischen Staat historisch begründet interpretierte, da sich daran das Instrument der Militärputsche rechtfertigen lässt. Anschließend folgt eine Schilderung des Ablaufes des Putsches bis hin zu seiner Vereitelung durch König Juan Carlos I. und eine Darstellung der Folgen dieses Ereignisses. In der Zusammenfassung wird auf Grundlage der im Hauptteil gewonnenen Erkenntnisse die oben angeführte These bewertet werden, ob die Demokratisierung Spaniens und die Niederschlagung des Putsches hauptsächlich als Verdienste des Königs bewertet werden können.

2 Die Franco-Ära

In diesem Kapitel wird ein Blick auf die Franco-Ära in Spanien geworfen. Es beginnt mit der Betrachtung der wichtigsten Stützen Francos und klärt über den Ursprung ihres engen Vertrauensverhältnisses auf. Erwähnt wird weiterhin, wie sich ihr Einfluss im Verlauf des Franquismus veränderte. Der zweite Abschnitt legt dar, wie sich die Wirtschaft und die Gesellschaft in Spanien in diesem Zeitraum entwickelten. Zudem wird auf die neu gewon-nene außenpolitische Akzeptanz und internationale Einbindung Spaniens eingegangen. Schließlich widmet sich der letzte Abschnitt der von Franco getroffenen Nachfolge-regelung und schildert insbesondere das Verhalten des Königshauses in dieser Frage.

2.1 Falange, Militär und Kirche – Die wichtigsten Stützen Francos

Bei der Konstruktion des „Neuen Staates“ gelang es Franco, die Institutionen Partei, Mili-tär und Kirche derart einzubinden, dass eine langfristige Stabilisierung und Erhaltung des durch ihn vertretenen autoritären Systems erreicht wurde.10

Eine erste wichtige Stütze stellte die im Oktober 1933 gegründete Partei Falange Española dar. Bereits auf ihrer Gründungsversammlung forderte sie, „politische Parteien als ‚unna-türliche‘ Elemente im Organismus des Staates abzuschaffen“11 und formulierte als ihre wichtigsten Interessen, Spanien wieder zu alter Größe zu verhelfen und den Katholizismus als traditionell spanische Religion einzuführen.12 Als ihr Anführer Primo de Rivera zu Be-ginn des Bürgerkrieges erschossen wurde, nutzte Franco den günstigen Moment und über-nahm die Leitung der durch zahlreiche Fraktionskämpfe geschwächten Partei. Im April 1937 vereinigte er die Falange mit den traditionalistischen Karlisten und erzwang so eine Neuausrichtung der Ideologie und der Zielsetzungen der Partei, die nun konservativer und monarchistischer ausfielen.13 Nach Ende des Bürgerkrieges erkannte Franco, dass er ein innenpolitisches Instrument benötigte, um einen autoritären Staat unter seiner Herrschaft zu errichten. In der Falange sah er das geeignete Mittel zum Zweck und stützte sich weiter auf die Partei, welche die einzig zugelassene Staatspartei während der gesamten Franco-Ära blieb. Zudem kam das franquistische System, das seine Legitimation aus dem Bürger-krieg und dem traditionellen Katholizismus ableitete, ohne demokratische Institutionen aus. Anstelle einer festgeschriebenen Verfassung wurden Grundgesetze erlassen. Diese reglementierten einerseits die ideologische und staatsphilosophische Ausrichtung und legi-timierten andererseits politische Institutionen und deren Kompetenzen; zudem wurden durch sie die wechselseitige Beziehung sowohl definiert als auch beschränkt. Der Diktator war Staatsoberhaupt, Regierungschef, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Führer der „Nationalen Bewegung“ in einer Person, er besaß gesetzgebende und exekutive Gewalt.14

Eine weitere bedeutende Stütze im beginnenden Franquismus stellte die katholische Kirche dar. Francos Überzeugung nach war der Sieg der Nationalisten im Bürgerkrieg religiösem Beistand zu verdanken gewesen. Mit Beginn der Franco-Ära hatte die Kirche alle Vorrech-te, auf die sie in der Zweiten Republik noch verzichten musste, zurückerhalten und der Katholizismus wurde im Jahr 1945 zur Staatsreligion erhoben. Durch das im Jahr 1953 zwischen dem Vatikan und der spanischen Regierung beschlossene Konkordat wurden der Katholizismus als Staatsreligion Spaniens und die der Kirche gewährten Privilegien inter-national anerkannt und bestätigt.15 Die Institutionen Staat und Kirche verflochten sich mit der Zeit immer enger; dies führte dazu, dass politische Handlungen mit dem Glauben gerechtfertigt wurden.16 Weiterhin war sie, ganz im Sinne der Verflechtung von Staat und Kirche, in wichtigen Staats- und Regierungsgremien vertreten und kontrollierte nahezu das gesamte Bildungswesen.17 Allerdings erzeugte dieses enge politisch-religiöse Gefüge ein hohes Reibungspotential, welches im Lauf der Jahre unüberwindbar anwuchs. Die Kirche entwickelte allmählich eine oppositionelle Haltung gegenüber dem franquistischen System. Der Höhepunkt wurde Anfang der 60er Jahre im Zweiten Vatikanischen Konzil erreicht: Nun bezog die Kirche klar Stellung zu Themen wie Menschenrechte, politische Freiheiten und religiöse Toleranz, denen sie im Franquismus nicht ausreichend Rechnung getragen sah, und stellte die Diktatur in Frage.18

Im Gegensatz zur Kirche hatte sich die Falange schon während des Zweiten Weltkrieges, der nur wenige Monate nach Ende des Spanischen Bürgerkrieges begann, in Opposition zu Francos Führungsstil gestellt. Auch wenn über 60 % ihrer Mitglieder dem Bürgerkrieg zum Opfer gefallen waren, kritisierten die verbliebenen Anhänger seinen innen- wie außenpolitischen Kurs, konnten aber keinen Umsturz herbeiführen. Dies ist vor allem den Entwicklungen der ersten Jahre des Franquismus zu verdanken, die zu einer deutlichen Reduzierung der Einflussmöglichkeiten der Falange geführt hatten. Nichtsdestotrotz waren die Falange und die Kirche als innenpolitische Instrumente für Franco unverzichtbar gewe-sen: Mit ihnen gelang ihm in der Frühphase des Franquismus die Absicherung seiner Herr-schaft und die nötige Stabilisierung des neuen Systems.19

Durch den fortschreitenden Machtverlust der Falange und der Tatsache, dass sie für die Stabilisierung des Franquismus nicht mehr benötigt wurde, setzte Franco in den folgenden Jahren vor allem auf die Unterstützung des Militärs. Rückblickend bildete dieses die wich-tigste Stütze während seiner Regierungszeit. Noch aus dem Bürgerkrieg heraus wirkte das erwachsene Zusammengehörigkeitsgefühl nach und Franco, in der Rolle des Oberkom-mandierenden und des franquistischen Staatschefs, wurde bereitwillig akzeptiert. Zudem verstand das Militär die eigene Rolle innerhalb des Systems als Chance, die Vorgänge in Spanien erneut auf politischem Weg zu beeinflussen.20 Allerdings sollte es dem Militär mit den Jahren ganz ähnlich wie der Falange ergehen: Franco gelang es, etwa durch einen kon-stant geringen militärischen Anteil am Staatshaushalt oder nur wenig Mitspracherecht der Militärs bei der Festlegung politischer Leitlinien, diese Institution nach und nach zu entpo-litisieren und zu entmachten, ohne dass dieser Prozess zu organisierten Widerständen von innen heraus führte.21

2.2 Entwicklung spanischer Wirtschaft und Gesellschaft unter Franco

Die fortschreitende Entmachtung der Falange und vor allem des Militärs lassen darauf schließen, dass sich das franquistische System in den 50er Jahren als gefestigt ansah und durch das Ausland keine Bedrohung fürchtete. Dabei gestaltete sich die außenpolitische Lage Spaniens seit Ende des Spanischen Bürgerkrieges keineswegs erfreulich: das Land wurde von den meisten internationalen Abkommen ausgeschlossen, sogar ein Beitritt zu den Vereinten Nationen im Juli 1945 noch versagt. Schließlich gipfelte der diplomatische Boykott in einen im Juni 1946 vom Untersuchungsausschuss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen angenommenen Bericht, der feststellte, dass das Franco-Regime, wenn nicht aktuell, so doch künftig als mögliche Bedrohung des internationalen Friedens zu bewerten sei. Den Mitgliedsstaaten wurde empfohlen, ihre diplomatischen Beziehungen zu Spanien abzubrechen. Ende desselben Jahres kam es tatsächlich zum Abzug fast aller Bot-schafter aus Madrid. Neben der internationalen Isolierung, der Franco den Charakter einer Weltverschwörung zusprach und auf diese Weise einen starken Solidarisierungseffekt des spanischen Volkes mit seinen politischen Vertretern erreichte, verfolgte die Regierung seit 1939 eine Autarkiepolitik, die der nach dem Bürgerkrieg arg geschundenen Bevölkerung weiter zusetzte: der allgemeine Lebensstandard sank auf ein Existenzminimum, die Ar-beitslosenquote wuchs an. Industrielle Erzeugnisse waren von geringer Qualität, Forschung und Entwicklung stagnierten. Spanien behielt im internationalen Vergleich seine rückstän-dige Position bei und verkörperte bis Ende der 50er Jahre noch immer den Status eines finanziell an den Rand gedrängten Agrarlandes. Mit seiner überholten Industrie konnte das Land im internationalen Wettbewerb nicht mithalten.22

Eine Wende im internationalen wie diplomatischen Bereich brachte das Jahr 1951. Sowohl das europäische als auch das amerikanische Ausland gewährten Spanien Kredite, so dass sich die spanische Wirtschaft allmählich erholen und die kritische Lage der Bevölkerung entspannen konnte. Zahlreiche Investitionen waren möglich, Rationierungen konnten auf-gehoben und Preise flexibler gestaltet werden. Mit der Regierungsumbildung 1957 war auch innerhalb der Regierung die Einsicht zu erkennen, dass eine halb-autarkistische Wirt-schaftspolitik gescheitert war und künftig ein wirtschaftsliberalerer Kurs die erfolgver-sprechendere Strategie sei. Unterstützt wurden diese Absichten durch den Ende Juni 1959 im „Wirtschaftsstrukturgesetz“ formulierten Stabilisierungsplan. Dieser sah unter anderem eine größere Integration Spaniens in die Weltwirtschaft und Liberalisierung internationa-len Waren- und Dienstleistungsverkehrs vor. Anfangs hatten die Maßnahmen, die sich aus-schließlich auf den wirtschaftlichen Sektor beschränken sollten, vor allem auf Arbeiter und Kleinunternehmer negative Auswirkungen: Mit Auslaufen des Stabilisierungsplans im Jahr 1961 stiegen die Preise erneut und soziale Spannungen nahmen zu. Aber bereits vom fol-genden Jahr an erlebte Spanien einen nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung, der sich über ein Jahrzehnt halten und das Land von Grund auf verändern sollte: Durch die Einfuhr ausländischer Waren konnten längst überfällige Modernisierungen der industriellen Aus-rüstung vorgenommen und die Arbeitsproduktivität wesentlich gesteigert werden. Im Jahr 1968 übertraf der Export industrieller Waren erstmals den der Güter des Agrar- und Roh-stoffsektors, so dass Spanien allmählich seine Rolle als vorrangig agrarisches Land ableg-te. Auch gesellschaftlich zeigte sich eine Annäherung an die Strukturen anderer Industrie-nationen: die Lebenserwartung stieg und die Geburtenrate sank. Der Bedarf an Arbeits-kräften im industriellen Sektor wuchs weiter an und führte zu erheblicher Landflucht.23

Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hatte eine wachsende Mobilität der Bevölke-rung und die Ausbildung eines ausgeprägten politischen und sozialen Bewusstseins zur Folge. Allmählich erwuchs, im Gegensatz zu vorigen Versuchen oppositioneller Kreise, ein ernstes Aufbegehren von Gruppierungen nahezu aller gesellschaftlichen Bereiche ge-gen das Regime. Waren es zunächst Studenten, die nach universitären und sozialen Refor-men verlangten, schlossen sich diesen Unruhen bald Arbeiter und Nationalisten mit ihren jeweils spezifischen Forderungen an. Trotz der Doppelstrategie des Regimes, mit Hilfe von Repressionen einerseits und Integration der Arbeiterschaft in das System andererseits die Streiks zu unterbinden, beruhigte sich die angespannte Situation nicht. Die beschlossenen Reformen bewirkten zwar Änderungen im Detail, lösten aber nicht den eigentlichen Kon-flikt. Außerdem hatten sich die Arbeiter längst in einer eigenen Interessenvertretung, den Arbeiterkommissionen, organisiert. Obwohl diese im Jahr 1967 verboten wurden und in den Untergrund mussten, arbeiteten sie von dort aus noch immer sehr effektiv und stellten bis zum Ende des Franco-Regimes dessen flexibelste und wirkungsvollste Opposition dar.24

Daneben waren auch die Regionen sehr daran interessiert, ihre regionalen Ausprägungen in Kultur und Sprache durch das Regime anerkannt zu sehen, nachdem sie viele Jahre unter heftigen Repressionen gelitten hatten. So erwuchs hierin eine weitere starke oppositionelle Kraft, die gegen das System rebellierte. Schließlich kam es im Jahr 1974 zum Einbruch des wirtschaftlichen Aufschwungs, was die instabile Lage im Inneren weiter verschärfte. Dabei gelang es der Regierung weder die Wirtschaft des Landes in günstigere Bahnen zu lenken, noch die innenpolitische Opposition zu befrieden. In den letzten anderthalb Jahren der Franco-Ära zeigten sich nun zahlreiche und schwerwiegende Probleme. Das nahende Ende Francos deutete auf eine ungewisse Zukunft Spaniens hin.25

2.3 Francos Nachfolge – Die Rolle der Monarchie

Franco war es nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs gelungen, ein autoritäres Herr-schaftssystem unter seiner Führung aufzubauen. Mit der Zeit konnte er sein Regime weiter festigen und musste zunächst keine ernsthaft bedrohlichen oppositionellen Bewegungen fürchten. Dies änderte sich jedoch mit Ende des Zweiten Weltkrieges: der Sieg der Alli-ierten schürte bei innerer und äußerer Opposition die Hoffnung, der Franquismus würde gestürzt werden.26 Im Inneren sah sich Franco einigen oppositionellen Kräften gegenüber, unter anderem den Monarchisten. Diese stellten sich gegen seine personalisierte Diktatur, und so beabsichtigte er durch den Erlass von Grundgesetzen und durch Abstimmung per Referendum die demokratisch-plebiszitäre Legitimation seiner Position zu erhalten. Dies gelang ihm im Jahr 1947, als das „Gesetz über die Nachfolge in der Staatsführung“ per Referendum mit einer Zustimmungsquote von 93 % angenommen wurde. Dieses Gesetz stellte zugleich den Abschluss der institutionellen Grundlegung des politischen Systems dar, da es „Spanien, als politische Einheit, zu einem katholischen, sozialen und repräsen-tativen Staat, […] in Übereinstimmung mit seiner Tradition […] als Königreich“27 defi-nierte. Allein Franco stand das Recht zu, seinen königlichen Nachfolger zu bestimmen. Dabei sollte die Wiedereinführung der Monarchie keinen Bruch mit dem franquistischem System herbeiführen. Vielmehr war Aufgabe der Krone, zur Vervollständigung der beste-henden Verfassungsstruktur beizutragen und diese weiter zu entwickeln. Aus diesem Grund war im Gesetz auch die Bedingung formuliert, der Nachfolger habe den Eid auf die franquistischen Grundgesetze und den Treueschwur gegenüber den grundlegenden Prinzi-pien der Nationalen Bewegung abzulegen.28

Seit April 1931 lebte die spanische Königsfamilie im Exil. Don Juan de Borbón, der seit dem Tod seines Vaters und letzten König Spaniens Alfons XIII. am 28. Februar 1941 An-spruch auf den spanischen Thron erhob, unterstützte im spanischen Bürgerkrieg die fran-quistische Bewegung und hatte Franco, wenn auch vergeblich, mehrfach seine Dienste als Soldat angeboten. Die Abschaffung der Zweiten Republik war in Don Juans Sinne gewe-sen und er hatte lange gehofft, nach ihrer Eliminierung die Monarchie nach Spanien zu-rückbringen und schließlich den Thron besteigen zu können. Allerdings kühlte sich das Verhältnis der beiden nach Ende des Bürgerkrieges merklich ab: Don Juan befürwortete die franquistische Herrschaft nicht, sondern verfolgte stattdessen die Restauration der traditionellen Monarchie und seine Einsetzung als König. Auch das Gesetz zur Nachfolge Francos von 1947 erkannte er zunächst nicht an, da es zwar zu einer Wiederherstellung der Monarchie führen, jedoch dem König jegliche Entscheidungsgewalt versagen würde. Als das Gesetz im Referendum allerdings mit einer Zustimmungsquote von 93 % angenommen wurde, änderte sich Don Juans Haltung und er suchte die Verständigung mit Franco. Beide einigten sich im Sommer 1948 darauf, dass die Söhne Don Juans, der zehnjährige Juan Carlos und der zwölfjährige Alfonso, in Spanien ihre Schul- und Ausbildung unter der Aufsicht Francos erhalten sollten.29

Obwohl sich Don Juan weiter persönlich Hoffnungen machte, durch die Annäherung zu Franco und das Abstimmungsergebnis im Referendum Chancen auf den Thron zu erhalten, dachte Franco gar nicht an dessen Einsetzung. Ihm war bewusst, dass Don Juan als Ver-fechter einer aufgeklärten und konstitutionellen Monarchie und zudem Kritiker des Fran-quismus nicht der für seine Absichten, nämlich den Erhalt des franquistischen Systems, geeignete Nachfolger sein würde. Geeigneter erschien Franco dagegen dessen Sohn Juan Carlos. Bis zur endgültigen personellen Entscheidung über die Nachfolge sollten allerdings noch einige Jahre vergehen. Als Juan Carlos Franco erstmals 1964 bei der traditionellen jährlichen Militärparade zur Feier des Ende des Bürgerkrieges begleitete und direkt hinter dem Staatschef auf der Präsidentenbühne Platz nehmen durfte, schien dies ein erstes Signal für die Ernennung Juan Carlos als Francos Nachfolger.30

Auch wenn Franco den Willen bekräftigte, das Amt des Staatschefs bis zu seinem Tod aus-üben zu wollen, drängten mit den Jahren seine Unterstützer immer vehementer auf die frühzeitige Klärung der Nachfolge. Schließlich ernannte Franco am 22. Juli 1969 Prinz Juan Carlos de Borbón y Borbón zu seinem königlichen Nachfolger und überging damit dessen Vater. Seine Wahl begründete er unter anderem mit der Herkunft Juan Carlos‘ aus dem Hause Borbón, seiner Treue gegenüber den Prinzipien und Institutionen des herr-schenden Regimes, seiner engen Verbindung mit der spanischen Armee sowie seiner bereits 20 Jahre währenden Vorbereitung auf das Amt. In der Abstimmung durch die Cortes wurde Juan Carlos als Nachfolger Francos mit 491 von 519 Stimmen bestätigt. Am Folgetag schwor er den Eid auf die Grundgesetze und gab ein Treuebekenntnis gegenüber den grundlegenden Prinzipien der „Nationalen Bewegung“ ab.31 Trotz der offiziellen Ernennung und bestätigenden Wahl in den Cortes, stand es Franco aber weiterhin jederzeit zu, diese Entscheidung zu widerrufen. Wohl aus diesem Grund hielt sich Juan Carlos weiterhin zurück, wenn es um dessen persönliche Sichtweise und Haltung in politischen Fragen ging. So gewann er kaum eigenes Profil und das spanische Volk erfuhr wenig von ihrem künftigen König. Zudem gab Franco Juan Carlos wiederholt zu verstehen, dass er zu dessen Lebzeiten nur eine Galionsfigur sein werde.32

Im Juli 1971 folgte die Ernennung Juan Carlos‘ als Stellvertreter Francos im Krankheits-fall, ein Jahr später regelte Franco den Nachfolgeprozess per Dekret: durch dieses wurde, im Unterschied zur Machtfülle Francos, eine Trennung der Ämter des Staats- und des Regierungschefs beschlossen. Ergänzend zur Ernennung des königlichen Nachfolgers bestimmte Franco, dass der erzkonservative Admiral Carrero Blanco bei seinem Ableben automatisch Regierungschef werde. Diese hatte bisher das Amt des Vizepräsidenten aus-geübt und galt als engster Vertrauter Francos und starke Symbolfigur im franquistischen Regime. Franco erhoffte sich dadurch eine „Ausbalancierung der Macht“33 zwischen allen staatstragenden Institutionen und wähnte in Carrero Blanco einen starken Mann, der über seinen Tod hinaus den Nachfranquismus weiter wahren könne. Allerdings waren bereits ein halbes Jahr später all diese Vorkehrungen hinfällig geworden, als dieser bei einem der Aufsehen erregendsten und folgenreichsten Attentate der ETA ermordet wurde. Franco musste seine Pläne neu ordnen und ernannte, wenn auch mehr als Notlösung, den bis-herigen Innenminister Carlos Arias Navarro zum künftigen Regierungschef.34

Im Sommer 1974 erkrankte Franco schwer, so dass Juan Carlos erstmals kurzzeitig die Amtsgeschäfte übertragen wurden. Reformer drängten Franco gar zur offiziellen Ausru-fung Juan Carlos‘ als König, um so möglichen Unruhen beim nahenden Übergang zum Nachfranquismus vorzubeugen, allerdings verweigerte sich Franco. Bereits im September war er wieder genesen und kehrte in seine alte Position zurück. Als er Ende Oktober des Folgejahres erneut erkrankte, übergab die Regierung die Befugnisse des amtierenden Staatschefs wieder an Juan Carlos. Dieses Mal allerdings war Juan Carlos nicht bereit, das Amt zu einem späteren Zeitpunkt zurückzugeben und er willigte erst ein, nachdem ihm versichert worden war, dass Franco nicht mehr genesen werde. Franco starb schließlich am 20. November 1975. Damit trat die Nachfolgeregelung in Kraft: zwei Tage später wurde Juan Carlos in den Cortes während einer Zeremonie zum König Juan Carlos I. von Spanien ausgerufen. Er schwor den Treueeid und kündigte in seiner Inthronisationsrede die Demo-kratisierung des Systems und eine größere Teilhabe der Bevölkerung an.35

[...]


1 Vgl. o. V. (1975a). Franco: „Eingegraben zum letzten Gefecht“. In: DER SPIEGEL, Jg. 29, Heft 41/1975, S. 109, Aussage des Historikers Salvador de Madariaga.

2 Vgl. Walther L. Bernecker (2005). Vom Unabhängigkeitskrieg bis heute (Teil 2). In: Walther L. Bernecker & Horst Pietschmann: Geschichte Spaniens: Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Stuttgart: Kohlhammer, S. 366-368.

3 Vgl. ebd., S. 387-390.

4 Vgl. Eberhard Straub (2004). Das spanische Jahrhundert. München: Siedler Verlag, S. 296.

5 Vgl. o. V. (1975a), S. 113.

6 Vgl. o. V. (1975b). „Umsturz, wenn Franco weiter mordet“. In: DER SPIEGEL, Jg. 29, Heft 41/1975, S. 117. Im Interview vertritt Santiago Carrillo die Meinung, Juan Carlos sei Francos Kreatur und müsse verschwinden, sobald Franco nicht mehr ist.

7 o. V. (1975c). Juan Carlos: Ein „Damm für die Flut“?. In: DER SPIEGEL, Jg. 29, Heft 44/1975, S. 120.

8 Vgl. Walther L. Bernecker (2006). Spanien-Handbuch: Geschichte und Gegenwart. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag, S. 51-55.

9 Vgl. Dieter Nohlen & Andreas Hildenbrand (2005). Spanien: Wirtschaft – Gesellschaft – Politik. Ein Studienbuch. 2., erweiterte Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 253-254.

10 Vgl. Bernecker (2005), S. 370.

11 Ebd., S. 344.

12 Vgl. ebd., S. 344.

13 Vgl. ebd., S. 364.

14 Vgl. ebd., S. 370-372.

15 Vgl. ebd., S. 384. Mit Abschluss des Konkordats endete die internationale Isolation Spaniens und Franco erlangte Möglichkeiten außenpolitischer Einflussnahme.

16 Vgl. Carlos Collado Seidel (2018). Ideologie, Herrschaft und Gewalt in Spanien unter Franco. In: Jörg Ganzenmüller (Hrsg.): Europas vergessene Diktaturen? – Diktatur und Diktaturüberwindung in Spanien, Portugal und Griechenland, Köln: Böhlau Verlag, S. 50-53.

17 Vgl. Bernecker (2005), S. 374-375.

18 Vgl. Collado Seidel (2018), S. 52-54.

19 Vgl. Bernecker (2005), S. 372-375.

20 Über das Selbstverständnis des Militärs informiert Kapitel 4.1.

21 Vgl. Bernecker (2005), S. 373-374.

22 Vgl. ebd., S. 373-380; vgl. Collado Seidel (2018), S. 59. Ende der 50er Jahre stand Spanien vor dem Staatsbankrott.

23 Vgl. Bernecker (2005), S. 380-389.

24 Vgl. ebd., S. 393-394. Die Arbeiterkommissionen entstanden in den Jahren 1958-1962. Ihr Wirken beschränkte sich in dieser Zeit ausschließlich auf den eigenen Betrieb. Dies änderte sich ab 1963, so dass ab 1966 die Verbreitung und Institutionalisierung der Kommissionen im gesamten Land zu verzeichnen war.

25 Vgl. ebd., S. 394-401.

26 Vgl. ebd., S. 378.

27 Walther L. Bernecker (1997). Juan Carlos I. (seit 1975). In: Walther L. Bernecker, Carlos Collado Seidel & Paul Hoser (Hrsg.): Die spanischen Könige: 18 historische Porträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München: C. H. Beck Verlag, S. 283.

28 Vgl. ebd., S. 283-286.

29 Vgl. o. V. (1975c), S. 122; vgl. Bernecker (1997), S. 283-284.

30 Vgl. o. V. (1975c), S. 122-124.

31 Vgl. Bernecker (1997), S. 285-286.

32 Vgl. o. V. (1975c), S. 124.

33 Bernecker (1997), S. 288.

34 Vgl. ebd., S. 287-288.

35 Vgl. ebd., S. 287-291.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Demokratisierungsprozess in Spanien. König Juan Carlos I. als Gestalter der jungen spanischen Demokratie
Hochschule
Universität Kassel  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
"El Tejerazo Revisitado" - Der versuchte Staatsstreich von 1981 bei Javier Cercas
Note
1,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
30
Katalognummer
V940964
ISBN (eBook)
9783346270658
ISBN (Buch)
9783346270665
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anatomía de un instante, Juan Carlos I., Franco, Demokratie, Transición, Guardía Civil, Adolfo Suarez, 23F, Tejero, Putschversuch
Arbeit zitieren
Franziska Kahler (Autor:in), 2019, Demokratisierungsprozess in Spanien. König Juan Carlos I. als Gestalter der jungen spanischen Demokratie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/940964

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