Die donauschwäbische Minderheit im Trianon-Ungarn. Entwicklung und Folgen der deutschen und der ungarischen nationalistischen Einflussnahme


Facharbeit (Schule), 2014

63 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Entwicklung und die Folgen der deutschen und der ungarischen nationalistischen Einflussnahme auf die donauschwäbische Minderheit im Trianon-Ungarn
2.1 Die Geschichte der Donauschwaben in Ungarn bis 1918
2.2 Die Geschichte der Donauschwaben von 1918 bis zur Gründung des Volksbunds der Deutschen in Ungarn
2.2.1 Der Trianon-Vertrag und dessen Folgen
2.2.2 Die Minderheitenpolitik unter Jakob Bleyer und Gusztáv Gratz
2.2.3 Franz Basch und die Radikalisierung der Minderheitenpolitik
2.2.4 Die reichsdeutsche Patronage
2.2.5 Der Erste Wiener Schiedsspruch
2.3 Der Volksbund der Deutschen in Ungarn (VDU)
2.3.1 Die Situation der Ungarndeutschen vor der Gründung des VDU
2.3.2 Die Gründung und das Programm des VDU
2.3.3 Die Etablierung des VDU
2.3.4 Der zweite Wiener Schiedsspruch und das Volksgruppenabkommen
2.3.5 Die Umwandlung und Expansion des VDU
2.3.6 Der VDU und die deutsche Kriegswirtschaft
2.4 Die SS-Musterungen 1940-1944
2.4.1 Die illegalen SS-Rekrutierungen 1940-1942
2.4.2 Die erste legale SS-Rekrutierung
2.4.3 Die zweite legale Rekrutierungsphase
2.4.4 Die deutsche Besetzung Ungarns und die Zwangsrekrutierungsphase
2.5 „Hüséggel a Hazához - Mit Treue zum Vaterland“ - Die Treuebewegung
2.5.1 Die Gründung und das Programm der Treuebewegung
2.5.2 Die Expansion der Treuebewegung
2.5.3 Die Aussiedlungspläne
2.5.4 Die Haltung des VDU und der Volksdeutschen Mittelstelle gegenüber der Treuebewegung
2.5.5 Der Niedergang der Treuebewegung
2.5.6 Die Bedeutung der Treuebewegung
2.6 Die Geschichte der Donauschwaben in der Nachkriegszeit
2.6.1 Die Vertreibung
2.6.2 Die Reintegration in Deutschland
2.6.2.1 Die Reintegration der Ungarndeutschen in den westlichen Besatzungszonen/in der BRD
2.6.2.2 Die Reintegration der Ungarndeutschen in der Sowjetischen Besatzungszone/in der DDR
2.6.2.2.1 Die Ankunft im Auffanglager
2.6.2.2.2 Die Umstände der Integration
2.7 Die Aktuelle Situation in Deutschland
2.8 Die Aktuelle Situation in Ungarn

3 Schlussbemerkung

4 Literatur- und Quellenverzeichnis

5 Anlagenverzeichnis

1 Einleitung

Aufgrund meiner donauschwäbischen Wurzeln fiel mir die Wahl des Themas der Besonderen Lernleistung über die Geschichte dieser Bevölkerungsgruppe in Ungarn leicht. Eine deutsche Einwanderung in Ungarn wurde bereits im 10. Jahrhundert während der Herrschaft von Géza1 beschrieben. Im 12. Jahrhundert wurden von den ungarischen Königen die sogenannten Siebenbürger Sachsen auf das Gebiet des historischen Ungarn, die Zipser in Nordungarn (heutige Slowakei) und die sogenannten Heidebauern in Westungarn bei Sopron2, angesiedelt. Die Zahl der Deutschen in Ungarn betrug im 15. Jahrhundert mehr als 100000 bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung von 3,5-4,5 Millionen.3 Nach den Türkenkriegen im 17. Jahrhundert und der anschließenden Besetzung Ungarns durch die Habsburger begann die große Ansiedlung der Deutschen im Pannonischen Becken, sodass deren Zahl 1787 bereits mehr als eine Million betrug. Jene Deutschen, die ab dem 18. Jahrhundert im historischen Ungarn angesiedelt wurden, nennt man allgemein Donauschwaben. Es ist daher in der Konsequenz durchaus nachvollziehbar, dass die Deutschen eine beachtliche Rolle in der historischen Entwicklung Mittelosteuropas, und dabei insbesondere Ungarns, gespielt haben.

Demzufolge bezieht sich meine zentrale Fragestellung darauf, wie sich die ungarische und deutsche nationalistische Polarisierung bis 1945 und die darauffolgende Vertreibung aus Ungarn und Reintegration im geteilten Deutschland auf die Kultur, Heimat und Existenz der Ungarndeutschen ausgewirkt haben.

Im ersten Kapitel werde ich zusammenfassend auf die Gründe der Ansiedlung der Donauschwaben im ungarischen Donaugebiet eingehen. Danach erläutere ich die Entwicklung der donauschwäbischen Minderheitenpolitik während der Zwischenkriegszeit, die von der Einflussnahme durch das Deutsche Reich und der ungarischen Politik geprägt war. Die darauffolgenden Abschnitte beschreiben die Etablierung des Volksbunds der Deutschen in Ungarn (VDU) und die Auswirkungen der Waffen-SS Rekrutierungen während des Zweiten Weltkrieges, die eine Vielzahl der Ungarndeutschen zu Kriegszwecken instrumentalisierten. Zudem erkläre ich die Bedeutung der sogenannten Treuebewegung, einer Widerstandsorganisation, die sich dem wesentlich reichsdeutsch gelenkten VDU widersetzte.

Aufbauend auf den Erläuterungen dieser Kapitel beschreibe ich in den letzten Gliederungspunkten die Vertreibung der Donauschwaben aus Ungarn und deren Reintegration im geteilten Deutschland. In jenem Abschnitt werde ich aufgrund der ehemaligen Zugehörigkeit meiner Schule zur DDR näher auf die Reintegration der Donauschwaben in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der späteren DDR eingehen.

Mein Thema beschränkt sich ausschließlich auf die Geschichte der Ungarndeutschen im Kern-Ungarn, sodass Gebiete, die nach dem Ersten Weltkrieg von Ungarn abgetreten wurden, nicht von mir behandelt werden, wie z.B. das Banat4, Siebenbürgen oder die Batschka5. Meine Bell umfasst die Deutschen im Gebiet um Sopron, welche jedoch nicht zu den Donauschwaben gehören.

Manche Aussagen ungarischer Historiker aus der kommunistischen Ära und ausgesiedelter Ungarndeutschen müssen vorsichtig ausgewertet werden, da sie damalige parteipolitische Richtlinien berücksichtigen mussten. Die neueren ungarischen Forschungsarbeiten nach 1990 können größtenteils als unabhängig bewertet werden. Deutsche als auch ungarische ethnografische Statistiken aus den vergangenen Jahrhunderten können wegen fehlerbehafteten Erhebungsmethoden und aus politischer Motiviertheit ungenau sein.

Mein besonderer Dank geht an das Donauschwäbische Museum in Ulm, welches mir sein Archiv für Recherchearbeiten zur Verfügung stellte, an Herrn PD Dr. Spannenberger von der Universität Leipzig, welcher mir mit einigen Antworten auf meine Fragen helfen konnte, an das Sächsische Staatsarchiv, welches mir ebenfalls Quellen bereitstellte, an Frau Professorin Árkossy Katalin, die nach einem Treffen mit Interesse potenzielle Zusammenarbeit mit dem Germanistischen Institut Budapest angeboten hat, an den promovierten Historiker Eiler Ferenc der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest, der mir durch seine kritische Position und fachliche Auskunft Unterstützung geleistet hat, und schließlich an meine Betreuerin Frau Ilius.

2 Die Entwicklung und die Folgen der deutschen und der ungarischen nationalistischen Einflussnahme auf die donauschwäbische Minderheit im Trianon-Ungarn

2.1 Die Geschichte der Donauschwaben in Ungarn bis 1918

Auslöser für die Migration der Donauschwaben nach Ungarn war der Friedensschluss von Sathmar im Jahre 1711 zwischen Kaiser Karl VI. von Habsburg und dem ungarischen Adel. Beruhend auf den entvölkerten Landstrichen durch die Türkenkriege kam es zu einem Antrag des ungarischen Adels an die Habsburger Hofkanzlei im Jahre 1712, welche die Ansiedlung „…hunderttausender [für das gesamte Jahrhundert etwa 400000] deutscher Bauern und Handwerker i[m] Ungarland.“6 bewirkte. Mit großer Euphorie unterstützen die deutschen Bürger die Auswanderer beispielsweise durch den Bau der sogenannten „Ulmer Schachteln“7, welche sich als günstiges Transportmittel erwiesen. Diese Strömung von Ausreisenden begann vor allem im Einzugsgebiet der oberen Donau, also in Württemberg, Bayern, Schwaben und dem Schwarzwald. Die Hauptansiedlungsgebiete im damaligen Ungarn waren überwiegend Sathmar8, das westlich von Budapest gelegene Ungarische Mittelgebirge, die Schwäbische Türkei9, die Batschka und das Banat.10

Im frühen 18. Jahrhundert herrschte in weiten Teilen Süddeutschlands nach den Kriegen mit Frankreich unter Ludwig XIV. Armut, Not und Hunger. Auf einer wachsenden Perspektivlosigkeit beruhend stieg die Auswanderungsbereitschaft. Dazu hatte Ungarn die Reputation eines fruchtbaren Landes, welches kostengünstige Bauernhöfe zwischen 100 und 200 Gulden verkaufte.11 Der Preis für Bauernhöfe im deutschen Gebiet überstieg nicht selten das Zehnfache. Selbst im Liedergut der Donaudeutschen sang man häufig folgendes Lied: „Das Ungarnland ist’s reichste Land/Dort wächst viel Wein und Treid/…Dort gibt’s viel Vieh und Fisch und G’flüg/Und taglang ist die Weid‘/Wer jetzo zieht ins Ungarland/Dem blüht die gold’ne Zeit.“12. Zudem waren die Aufstiegsmöglichkeiten selbst für das mittellose Drittel der deutschen Siedler keinesfalls schlecht. Durch erhöhte Arbeitsleistungen in den Weinbergen konnten sie zu Geld und Hof kommen. Dies bescherte den Donauschwaben den Ruf der ökonomisch zentrierten und fleißig arbeitenden Zuwanderer, welcher bis heute ein gebliebenes Stück Identität ist.

Das Wichtigste, was die Donaudeutschen mit nach Ungarn brachten, waren ihre landwirtschaftlichen Methoden, wie z.B. das Prinzip der Dreifelderwirtschaft. Es löste das weniger effiziente Subsistenzagrarwirtschaftssystem der einheimischen Bauern ab und machte die ungarischen Grundherren reich. Außerdem waren es neue Werte und Tugenden, welche auf Eigenleistung, Produktivität und Sparsamkeit zielten und die im Gegensatz zur „Lethargie, zum Desinteresse der leibeigenen ungarischen Bauern…“13 standen:

Az teszi a nagy különbséget a magyar és német polgár között, hogy majd minden német tud valami kis mesterséget, melyet a gazdaság mellett nagy haszonnal üz…s hogy míg a magyar teletszaka csak dohányzik és furulyál… [Der große Unterschied zwischen den ungarischen und den deutschen Bürgern ist, dass ziemlich jeder Deutsche eine Begabung für das Handwerk hat, neben ihrem Reichtum haben sie einen Nutzen…und schließlich, dass er im Gegensatz zu den Ungarn nicht nur raucht und flötet…]14.

Gegen Anfang des 19. Jahrhunderts waren bereits etwa 1,2 Millionen Donauschwaben in Ungarn sesshaft und machten etwa 12 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, in Budapest lebten sogar mehr als 50 Prozent Deutsche.15 Bezüglich der Ansiedlungsepoche ist jedoch festzuhalten, dass die zugewanderten Deutschen gegenüber dem Rest der Agrarbevölkerung keine Privilegien, bis auf das eingeschränkte Freizügigkeitsrecht, genießen konnten, da sie z.T. sogar höhere Abgaben zahlen mussten und die Anfangsjahre mit einem hohen Risiko verbunden waren. Trotzdem kann man das Jahrhundert der Ansiedlung der Donauschwaben als „Erfolg“ verzeichnen, da die effektive Integration dieser Minderheit zusammenfassend einen Strukturwandel hervorgerufen hat, welcher zur Bevölkerungsverdichtung, Agrarmodernisierung und gebietsweise zur Verbürgerlichung Ungarns geführt hat.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war der Prozess der inneren Landnahme durch räumliche16 und horizontale17 Mobilität prägend für die Geschichte der Deutschen in Ungarn. Bemerkenswert war damals die fehlende Nationalitätenfeindlichkeit: „Unter den Bauern herrscht Frieden- Gehässigkeit gegen Menschen anderer Rassen wird nur von höheren Kreisen verbreitet.“18. In Folge des Österreichisch-Ungarischen Ausgleichs 1867 kam Ungarn eine stärkere Souveränität zu, welche mit einer Nationalisierung und Massenpolitisierung und damit assoziierten Magyarisierung19 verbunden war. Die fehlende Einheit und die nicht existente politische Elite der Donauschwaben begünstigten ihre ethnische Gefährdung und Assimilation20. Im Vergleich zu 1800 betrug ein Jahrhundert später der Anteil der deutschen Bevölkerung in Budapest nur noch 27 Prozent.21

Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts bevorzugten die Ungarn den Teil der deutschen Minderheit, welcher eine besondere Nähe und Treue zum ungarischen Staat zeigte bzw. sich der Assimilationspolitik nicht widersetze. Laut Günther Schödl kam es zum „unfreiwilligen Schwanken zwischen deutscher Identität und magyarischer Loyalitätsförderung…“22. Aus den Volkszählungen zwischen 1880 und 1910 lässt sich schlussfolgern, dass etwa 600000 Deutsche die Magyarisierung vollzogen haben. Weiterhin waren die Belange der deutschen Minderheit für Bülow23, Bismarck und später Hitler zweitrangig gegenüber der inneren Stabilität Ungarns als Bündnispartner. Ohne die Rückendeckung aus Preußen-Deutschland oder Österreich war das Inkrafttreten des ungarischen Nationalitätengesetzes von 1868 kaum realisierbar. Das Gesetz regelte zwar formal die Minderheitenrechte, war aber von dem Vorsatz durchdrungen, einen magyarisch-nationalen Staat zu gestalten, so dass es Protest gegen die fehlerhafte Umsetzung gab. Die Assimilierung wurde vorrangig durch die Kirche und die Schule betrieben, da seit 1867 der Abbau von Minderheitensprachen in Verwaltung und Schule forciert wurde. Widerstand seitens der Deutschen war kaum zu finden, denn mit der Magyarisierung versprachen sich viele den sozialen Aufstieg, moderne Verwaltungsberufe und ein individuelles, urban-industrialisiertes Leben. Der nicht-assimilierte Teil der Deutschen konzentrierte sich auf die Identitäts- und Existenzbewahrung u.a. durch die Gründung von Vereinen und Zeitungen, welche eine außerparlamentarische Ergänzung darstellten und eine gewisse Beständigkeit gegen den Radikalismus der Nationalisierung aufwiesen, jedoch auch deutschnationale Strömungen enthielten. Als Bauern war der Großteil der Ungarndeutschen zunächst unpolitisch. Während der schweren Verfassungskrise in Ungarn 1905-1906 bot sich für die Donauschwaben ein erweiterter Spielraum, da sie als „…völkische[r] Stützpfeiler gegen eine Slawisierung der Donaumonarchie…“24 angesehen wurden. In Folge dessen kam es 1906 zur Gründung der Ungarländisch-Deutschen Volkspartei (UDVP) unter Ludwig Kremling, welche jedoch z.T. unter volksnationalen Einflüssen des Alldeutschen Verbandes (ADV) stand. Der ADV zielte auf eine Neuorientierung des Deutschen Reichs hinzu eines „Völkischen Nationalismus“ ab. Trotz der Parteigründung und schnellerem Informationsaustausch nach der Jahrhundertwende war die deutsche Bevölkerung noch keine souverän-einheitliche, politisch handlungsfähige Gruppe, welche durch eine gemeinsame Programmatik die Loyalität zu Ungarn mit einer überstaatlichen und deutschkulturellen Identität verband.25

Der Regierungswechsel 1910 änderte an der Situation nichts Wesentliches. Unter Khuen-Héderváry26 und István Tisza27 kam es zwar zur Abnahme des Magyarisierungsdrucks und Anti-Habsburgismus, dafür bekamen alle Nationalitäten einen zunehmenden autoritären Regierungsstil zu spüren. Letztendlich waren es nicht nur die nationale Radikalisierung und Fremdbestimmung, sondern auch der über Jahrzehnte andauernde strukturelle und ethnische Existenzkampf, welche Teile der Donauschwaben später anfällig für den Nationalsozialismus machten.

2.2 Die Geschichte der Donauschwaben von 1918 bis zur Gründung des Volksbundes 1938

2.2.1 Der Trianon-Vertrag und dessen Folgen

Der am 4. Juni 1920 infolge des Ersten Weltkrieges unterschriebene Trianon-Vertrag, einer der Pariser Vorortverträge, war ähnlich wie im Deutschen Reich zur damaligen Zeit das Fundament für den zwischenkriegszeitlichen Revisionismus. Ungarn wurde mehr als zwei Drittel seiner Staatsfläche zwanghaft abtreten, darunter 99 Prozent des Banats, Siebenbürgen, die Vojvodina, Slawonien, die Slowakei, das Burgenland und Teile Galiziens. Dadurch wurde eine staatlich-ethnische und politische Spaltung der Donauschwaben impliziert.28 Von nun an waren die Banater- und Sathmarer Schwaben, die Ungarndeutschen und die Jugoslawiendeutschen voneinander separiert und mussten sich an die Verhältnisse der annektierenden Staaten anpassen. Die versprochene Gleichstellung der Deutschen mit der Mehrheitsbevölkerung, wie z.B. in den Karlsburger Beschlüssen in Rumänien vereinbart, wurde nicht umgesetzt. Durch den Trianon-Vertrag verblieben nur ein Viertel der ca. zwei Millionen ehemaligen Donauschwaben im neugegründeten Ungarn.29 Schwere Militärsanktionen und Reparationszahlungen schürten den Hass in Ungarn.

Fortan bestimmte magyarischer Nationalismus die Innen- und Außenpolitik, das bevölkerungsübergreifende „Nem, nem, soha!“ [Nein, nein, niemals!] war nun die Parole mit offensiv-paranoiden Zügen. Die regionale Desavouierung und Diskriminierung der Donauschwaben in Mittelosteuropa und revanchistisch-revisionistische Ansichten bewirkten eine Annäherung eines Teils der Ungarndeutschen an nationalsozialistisches Gedankengut in den 30er Jahren mit dem Wunschdenken nationalistischer Bilder.

Die Entwicklung der Deutschen im Trianon-Ungarn war von vornherein in einer kritischen Lage. Infolge der staatlichen und demographischen Neuordnung Osteuropas wurden den Minderheiten zwar formal Selbstbestimmungsrechte zugesichert, die Realität sah jedoch anders aus. Grund ist unter anderem die von der Vorkriegszeit haftende Einstellung des ungarischen Establishments, welche das Beharren auf nichtmagyarischer Identität als Loyalitätsmangel definierte. Der provozierende ungarische Nationalismus suchte nach Sündenböcken mit dem Ziel, kollektiven Trost im Angesicht der tragischen Wirklichkeit zu finden, um eine selbstzerstörerische Implosion der Gesellschaft zu verhindern.

2.2.2 Die Minderheitenpolitik unter Jakob Bleyer und Gusztáv Gratz

Maßgeblich führte der Minderheitsrepräsentant Jakob Bleyer, der in den Jahren 1919 und 1920 Nationalitätenminister war, die politische Aktivität der Donauschwaben in Ungarn.30 Er sah sich anfangs bei Teilen der Deutschen ausgegrenzt, da er keine deutschnationale und gegen die Staatsnation gerichtete Politik betrieb, sondern eine, welche mit ihr die Minderheitenproblematik lösen sollte.31 Bleyer verzichtete anfangs auf deutsche Autonomie sowie auf Einflüsse aus Berlin, da diese zumeist unter großdeutschen, nationalen Idealen geformt wurden. Aufgrund seiner beruflichen und gesellschaftlichen Umgebung wurde Bleyer jedoch in eine ihm beinahe wesensfremde Rolle als Minderheitenpolitiker gedrängt, in der er seine grundsätzliche Ablehnung einer parteilichen Organisation korrigieren und sogar Kontakt zum Deutschen Reich suchen musste. So unternahm er Schritte, von denen er stets meinte, sie würden reaktionäre Maßnahmen des ungarischen Staates hervorrufen. Auf dem Höhepunkt der Kontroversen um die im Trianon-Vertrag geregelte Abtretung des Burgenlandes an Österreich meinte Bleyer: „…Es wird eine Magyarisierung des Deutschtums erfolgen. Es wird für die ungarische Politik ein Leichtes sein, dieses Deutschtum im Laufe einer Generation vollkommen zu entnationalisieren.“32.

Einer der ersten Schritte Bleyers zur politischen Aufklärung war die Gründung der Zeitung „Sonntagsblatt für das deutsche Volk in Ungarn“ im Jahre 1921, welche vor allem christlich-patriotisch erziehend war und zudem über die deutsche Kultur, Identität und alltägliche Beratung berichtete.33 Zwei Jahre später wurde der Ungarländische Deutsche Volksbildungsverein (UDV) durch Jakob Bleyer instituiert. Auf Wunsch der Regierung bekam jedoch der minderheitenpolitisch defensive Gusztáv Gratz34 den Posten des Vorsitzenden des UDV, da dieser im Gegensatz zu Bleyer das Vertrauen der Regierung Bethlen35 besaß. Der Verein hatte den Zweck die deutsche Kultur, die Anhänglichkeit an Ungarn sowie christliche Tugenden zu pflegen, UDV-Schulen durften jedoch nicht eröffnet werden. Im Geschäftsjahr 1931/1932 hatte der UDV etwa 27500 Mitglieder, welche in 180 Ortsausschüssen organisiert waren.36 Weitere Erziehungs- und Bewahrungsinstitutionen, um die Donauschwaben als Gruppe handlungswilliger zu machen, erachtete Gratz, im Gegensatz zu Bleyer, als nicht erstrebenswert.37 Andererseits konnte Gratz die radikalen Stimmen, welche der Regierung zu viel Nachgiebigkeit mit den Deutschen vorwarfen, nicht beschwichtigen. Gratz scheiterte zudem mit seinem Versuch, den deutschlandfreundlichen Kurs von Bethlen, welcher durch Annäherung an Italien und Deutschland Ungarn zu restaurierter Stärke verhelfen sollte, um im Karpatenbogen einen Gegenpol zur kleinen Entente darzustellen, zu schwächen.38

Für die Deutschen in Ungarn gab es zunächst vorrangig drei Optionen. Einerseits die oft gewählte politische Enthaltung, zweitens den Kurs von Gratz, der für die funktionale Einbindung plädierte und die Kulturwahrung als private Aufgabe ansah. Drittens die Alternative von Jakob Bleyer, welcher durch die Presse und Vereine eine unpolitische mit einer politischen Variante kombinierte. Im Laufe der zwanziger Jahre stellte sich heraus, dass die Konzeption von Gratz zur Assimilierung führte, wohingegen die Vorstellung von Bleyer eine geschlossene, nicht-radikalisierte Minderheit bildete. Die Optionen waren vor allem abhängig von Bestimmungsfaktoren, welche die politischen Handlungen von Gratz und Bleyer erschwerten und maßgeblich beeinflussten. Einer dieser Faktoren war der Diaspora-Charakter der deutschen Minderheit, welche im Laufe der Jahrhunderte keine geographische und politische Einheit oder Anbindung an das Deutsche Reich gefunden hatte. Zweitens die vergleichsweise einheitliche Agrarsozialstruktur, welche eine unpolitische Lebensweise begünstigte.39 Drittens war es die Kausalität der Nationalisierung Ungarns und des Deutschen Reiches.

István Bethlen, der die Minderheitenpolitik von Gratz und Bleyer tolerierte, musste 1931 infolge der Weltwirtschaftskrise zurücktreten. Schon damals sah Gratz eine erneute Welle der Nationalisierung kommen, da das Land immer mehr und mehr den Ideen zuglitt, die dem Gedankengut des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus entlehnt waren. Infolge der Ereignisse durch die Machtergreifung Hitlers, der Politisierung der deutschen Landbevölkerung und der effektiven Assimilationspolitik in den Städten wurde der Kurs von Gusztáv Gratz geschwächt.

Die Minderheitenpolitik von Bleyer sowie die Hoffnung auf eine deutsch-ungarische Lösung ohne Einmischung Dritter endete mit seinem Tod im Dezember 1933. Nach 1934 plädierte Gratz für die Beendung der Minderheitenpolitik und warb für den konsequenten Rückzug in das private, identitätswahrende Leben, um so einer politischen Abhängigkeit vom Deutschen Reich bzw. den Angriffen des magyarischen Nationalismus nicht ausgesetzt zu sein.40

2.2.3 Franz Basch und die Radikalisierung der Minderheitenpolitik

Franz Basch, der spätere Volksgruppenführer, folgerte aus der von Gratz und Bleyer praktizierten Politik andere Schlüsse. Viele Anhänger von Basch waren früher Studenten von Bleyer und lernten die Inhalte des Nationalsozialismus in Deutschland während ihrer Stipendienaufenthalte kennen. Basch meinte, die deutsche Minderheitenexistenz sei nur durch eine politische Selbstorganisation und Anlehnung an die NSDAP zu erreichen.

Aufgrund des übergeordneten Ziels der außenpolitischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ungarn kam es zu einer Neuordnung des UDV. 1934 wurden als volksdeutsche Vertreter Franz Basch und Franz Kußbach in den Vorstand gewählt. Basch verfügte außerdem über eine private Organisation, die Deutsche Arbeitsgemeinschaft, welche auf eine Parteigründung zielte.41 Gömbös setzte sich gegen die gezielte Vergrößerungspolitik von Franz Basch ein, da er selbst die Schwaben durch den UDV steuern wollte: „Ich kenne keinen anderen deutschen Minderheitsführer als den, der kraft unserer Gesetze dazu berechtigt und verpflichtet ist, und das ist der ungarische Ministerpräsident. Ich bin euer Führer.“42.

Die Wahlen von 1935 bedeuteten für die volksdeutschen Vertreter, welche vorrangig in der Partei der Kleinlandwirte kandidierten, eine Niederlage. Sie unterlagen den regierungsfreundlichen deutschen Kandidaten ausnahmslos.43 Trotzdem wurde jener Wahlkampf der volksdeutschen Vertreter sichtbar, welcher einen Weg zur Volksgemeinschaft propagierte, eine Radikalität in Grundsatzfragen renommierte und eine erhöhte Bereitschaft zur Verselbstständigung vorwies. Basch forderte damit den ungarischen Staatsapparat heraus. Infolge weiterer rhetorischer Kraftmeierei musste Basch nach einer ersten Verurteilung 1934 auch 1936 für vier Monate in Haft.44 Zudem wurde aufgedeckt, dass Basch finanziell von reichsdeutschen Geldgebern abhängig war. Neben Basch waren auch das Auswärtige Amt und der VDA brüskiert, welche hofften, dass weder Gratz noch die ungarische Führung von dem finanziellen Engagement aus dem Deutschen Reich erfahren würden. Gratz isolierte fortan den Basch-Flügel und suspendierte 1935 den Posten von Basch als Generalsekretär.45 Damit reagierte er auf einen Versuch von Basch, den „Regierungsdeutschen“ Gratz aus dem UDV zu drängen.

Durch das „Auffliegen“ von Basch und der gescheiterten Verdrängung von Gratz setzte zunächst der volksdeutsche Einfluss aus, zudem waren infolge des Finanzierungsskandals die volksdeutschen Netzwerke den ungarischen Behörden schutzlos ausgesetzt. Außerdem wurde der angenommene Status der volksdeutschen Bewegung als unabhängige und defensive Vereinigung, ebenso die Zurückhaltung der Minderheitenpolitik des Deutschen Reiches, widerlegt. Die Niederlage und Inhaftierung von Basch führte keinesfalls zu einer „…Solidarisierungswelle nach dem Märtyrerprinzip…“46 oder zu einer politischen Mobilisierung der volksdeutschen Donauschwaben. Gratz war sichtlich der zeitweilige Gewinner dieses Machtkampfes, da er sich als loyaler, ungarischer Politiker deutscher Herkunft bezeichnen durfte. Die Defizite des volksdeutschen Flügels waren nicht durch eine Gewinnung der Mehrheit unter den Donauschwaben für die Volksgemeinschaft ausgleichbar, sondern nur durch das Dritte Reich und einer beeinflussbaren Jugend, welche sich der erfolgreichen Politik von Basch und dem Sog des Nationalen nicht entziehen konnte. Trotz der Rückschläge nahm die Radikalität und nationalistische Grundhaltung vieler Volksdeutschen zu. Der Minderheitenschutz wurde der Entfaltung einer gesamten deutschen Volksgruppe untergeordnet. Anders als im reichsdeutschen Nationalsozialismus war der Antisemitismus jedoch nicht in den Grundfesten der Radikalisierung verankert.

Parallel zur volksdeutschen Radikalisierung nahm die ungarische Polarisierung zu. Beispielsweise wurde die öffentliche Verteidigung von Basch im Gericht von Pécs47 im Jahr 1934 gegen die Magyarisierung von Familiennamen als „…Schmähung der ungarischen Nation…“48 angesehen: „Die Namensmagyarisierungsaktion ist eine spontane Ausgestaltung der magyarischen nationalen Seele und liegt im Interesse der nationalen Einheit Ungarns …“49.

Die Nationalisierung der Ungarn war mit der zunehmenden Radikalisierung eines Teiles des UDV für die Lösung der Minderheitenfrage unvereinbar. Infolge dessen waren die Verhältnisse zwischen der Mehrheit und der Minderheit nicht mehr durch Vernunft, Diskussion oder Kompromiss regelbar.

Zunächst versuchte der gemäßigte Politiker Gratz seinen Kurs ohne Erfolg durch Zugeständnisse der Regierung zu stützen, um gegenüber dem volksdeutschen Flügel politisch überlegen zu sein. Im Dezember 1935 führte die ungarische Regierung den Schultyp B ein, welcher ein gemischtsprachiges Lehrprogramm, typisch für Minderheitenschulen, besaß. Jedoch wurde sie von Basch scharf kritisiert, da der neue Schultypus weiterhin eine Magyarisierungsinstitution wäre.50 Seine Haltung ist nicht unbegründet, da in den kirchlichen Schulen, welche etwa dreiviertel der Minderheitenschulen ausmachten, keine Einschränkung der Magyarisierung vorherrschte. Selbst Gratz protestierte bei einem Gespräch mit dem neuen Ministerpräsidenten Kálmán Darányi51, welcher ebenfalls eine Annäherung an das Deutsche Reich und Italien befürwortete.

Ab 1937 wurde Gratz verstärkt vom Volksbund des Deutschtums im Ausland (VDA), Werner Hasselblatt52 und dem Basch-Flügel mit Rückendeckung aus Berlin attackiert. Sie meinten, Gratz sei als Liberaler und Monarchist als UDV-Vorsitzender intolerabel. Zudem habe er kein Verständnis für den Nationalsozialismus, für die Repräsentation der deutschen Volksgemeinschaft und den Antisemitismus. Weiterhin bekräftige Gratz die ungarische Assimilationsstrategie. Währenddessen etablierte Basch Allianzen mit den Deutschen in der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien und konnte sich einer steigernden Popularität unter der Donauschwaben erfreuen. Obendrein plante die Volksdeutsche Allianz anstatt einer Abwehr der Assimilation die Re-Germanisierung der bereits Assimilierten sowie die Errichtung einer deutschen Enklave in Ungarn als Satellit vom Deutschen Reich.53 Basch meinte zu dem Zeitpunkt, dass: „[Die Ungarndeutschen] mit ihrem Volk auf Gedeih und Verderb verbunden und in eine unzertrennbare Volksgemeinschaft zusammengeschmiedet [sind].“54.

Parallel dazu radikalisierte sich der magyarische Nationalismus. Dezsö Szabó55 meinte, dass sich die scheinassimilierten Deutschen eines Tages gegen die Rassenmagyaren wenden würden.56 Diese zweiseitige radikale und rassistische Nationalisierung und Abgrenzung lässt auf die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg schließen.

2.2.4 Die reichsdeutsche Patronage

Bereits in der Zeit der Weimarer Republik erachtete Gustav Stresemann den Minderheitenschutz der „…Stammesgenossen…die unter fremdem Joch in fremden Ländern leb[t]en…“57 als einer der wichtigsten Aufgabe seiner Außenpolitik. Ab Mitte der 20er Jahre wurden verdeckt finanzielle Mittel Bleyer und dem UDV, angeführt vom VDA, zugeführt.58 Die Problematik der ungarndeutschen Minderheit wurde im November 1930 bei einem Staatsbesuch des Ministerpräsidenten Bethlen in Berlin angesprochen. Da die Ungarn die reichsdeutsche Bitte nicht erfüllten, Forderungen der Ungarndeutschen nachzukommen, kam es nicht zu Fortschritten beim Minderheitenschutz.

Der seit 1932 amtierende ungarische Ministerpräsident Gyula Gömbös de Jákfa, der erheblich für die Annäherung Ungarns an das faschistische Italien, Österreich und das nationalsozialistische Deutsche Reich verantwortlich war, veränderte langfristig die Existenzbedingungen der Minderheit durch populistischen und autoritären Interventionismus.

Für Gratz war Gömbös der „...Inbegriff [dessen], was [Gratz] in der Politik verabscheute…[Gömbös] war hypernational, antiliberal,…antisemitisch und demagogisch eingestellt.“59.

Gömbös machte fortan Zugeständnisse an die deutsche Minderheit abhängig von revisionistischen Versprechen des Hitler-Regimes. Zugleich war die Vision eines ungarischen Deutschtums ohne reichsdeutschnationale Einflüsse von Bleyer nicht mehr umsetzbar: „Ein Wort Hitlers an Gömbös genügt, um die Frage des Deutschtums in Ungarn zu lösen.“60.

Das Interesse des Deutschen Reiches an der deutschen Minderheit nahm infolge der deutsch-ungarischen Annäherung deutlich zu.

So übermittelte Bernhard Wilhelm von Bülow folgende Sprachmitteilung an die ungarische Regierung:

Wenn die Tatsache der Existenz einer deutschen Minderheit in Ungarn eine gewisse Belastung des deutsch-ungarischen Verhältnisses bedeutet,...so liegt die Schuld daran so gut wie ausschließlich auf ungarischer Seite…Die Ansprüche dieser Minderheit liegen nicht in der Formung eines Fremdkörpers im Staate, sondern in der Erhaltung ihres Volkstums. Ungarn würde durch eine Befriedigung dieser Ansprüche keinesfalls seine nationale Einheit gefährden.61

Indem Bleyer sich kurz vor seinem Tod mit Rudolf Heß62 und durch Funktionäre mit Hitler in Verbindung setzte, war seine Variante zur Lösung des Minderheitenproblems endgültig begraben. Sie glich einer Selbstverleumdung und wich von seinen christlich-konservativen und anti-deutschnationalen Einstellungen ab. Bleyer versuchte über die Funktionäre des Deutschen Reichs Druck auf die Regierung Gömbös auszuüben, um die ungarndeutsche Minderheitenpolitik aufrechtzuerhalten. Um das Verhältnis Berlin-Budapest anfangs nicht zu gefährden, wurde die Angelegenheit der donauschwäbischen Minderheit als innenpolitisches Anliegen Ungarns angesehen. Fortan sah sich das Deutsche Reich nicht mehr als Verantwortlicher für die Deutschen in Ungarn. Hitler stimmte dem Kurs von Gömbös zu: „…[es] liege nicht in [Hitlers] politischen Linie, die in anderen Ländern lebenden Deutschen an die Deutschen im Reich zu assimilieren und dadurch Zwietracht zwischen die deutsche Minderheit und das staatsbildende Volk zu säen.“63. Hitlers Abwendung sorgte bei großen Teilen der Schwaben, welche oft eine offene Sympathie zu Hitler hatten, für Erbitterung. Daraus folgte eine zunehmende Politisierung, da man der Meinung war, dass man durch politische Aktivität eine wiederkehrende Beschäftigung der Deutschen mit den Donauschwaben bewirken könnte.

Bis 1938, dem Gründungsjahr des VDU, dominierte der ungarnfreundliche Kurs seitens der NSDAP, des Auswärtigen Amtes und des VDA gegenüber einer Politik für die deutsche Minderheit. Eine nationalsozialistische Revolutionierung der deutschen Minderheiten in Osteuropa wurde durch die Reichsleitung zunächst abgelehnt. Rudolf Heß brachte dies Ende 1933 zum Ausdruck: [Ich wünsche nicht, dass] reichsdeutsche Formen und Gepflogenheiten der NSDAP sich auf das Auslandsdeutschtum übertragen…Dieses Auslandsdeutschtum hat vielmehr sein Augenmerk darauf zu richten, da[ss] es…nicht zuletzt auch im Interesse des Reiches, die tunlichst besten Beziehungen zu seinem jeweiligen Wirtsvolk pflegt.64

Gömbös verlangte für die Erfüllung der Minderheitenpolitik eine Kooperation mit Hitler und dem Auswärtigen Amt. Durch eine Bündelung der Donauschwaben in Ost- und Mitteleuropa sollte eine innere Destabilisierung der Nachbarländer einsetzen, welche territoriale Revision umsetzen könnte.65 Im Dezember 1936 gewährten Hitler und Konstantin von Neurath66 den Ungarn Zugeständnisse, anti-ungarische Aktivitäten reichsdeutscher Studenten einzuschränken, und bekräftigten die Aussage, dass Deutschland lediglich an der Erhaltung der deutschkulturellen Identität der Ungarndeutschen interessiert sei.67 Dem politischen Harmoniebedürfnis zwischen Ungarn und dem Deutschen Reich sollte im Sommer 1937 ein neun Monate lang gemeinsam vorbereiteter Austausch von Erklärungen zwischen Rudolf Heß und József Széll68 dienen. Bekräftigt wurde u.a. die ungarisch-deutsche Freundschaft mit der Bezeichnung der deutschen Minderheit als „Brücke“.69 Széll kündigte an, den deutschen Minderheitenschutz stärker zu gewährleisten, Heß dagegen forderte die politische Freiheit der Ungarndeutschen. Nach der Begnadigung von Franz Basch im Jahr 1937 auf Intervention durch Hitler und der Legalisierung der Volksdeutschen Kameradschaft (VK) kam es zur tieferen Annäherung der beiden Staaten bezüglich der Minderheitenfrage.

Während die reichsdeutsche Volksdeutsche Mittelstelle (VoMi)70 die VK von Franz Basch als einzigen Repräsentanten der ungarischen Donauschwaben erklärte, wurden Ungarns Versprechungen nicht umgesetzt. Die Jahre 1937/38 zeigten neue Tendenzen seitens der reichsdeutschen Außenpolitik. Mit Druckausübung auf die Tschechoslowakei und Österreich machte sich in Ungarn das Bewusstsein breit, dass bald ein übermächtiges Deutsches Reich angrenzen würde. Für den UDV bedeutete dies das Ende seiner Existenz, da Hemmnisse bezüglich der Idee der gesamtdeutschen Volksgemeinschaft beseitigt werden konnten und Berlin erneut die Solidarität für Basch aussprach. Die ungarische Führung versprach sich mit einem Basch-freundlichen Kurs die Unterstützung von Deutschland bezüglich der Gebietsrevisionen des Trianon-Vertrages.

Außer Gratz warnten nur noch kleinere liberale und oppositionelle Gruppen vor dem Nationalsozialismus. Anfang 1938 wandte sich Gratz endgültig von der politischen Bühne ab, denn nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich befürchtete die ungarische Regierung, dass jegliches Vorgehen gegen Basch die Trianon-Revision gefährden würde. Der UDV existierte in geschwächter Form bis zum Zweiten Wiener Schiedsspruch.

2.2.5 Der Erste Wiener Schiedsspruch

Am 2. November 1938 kam es durch den Ersten Wiener Schiedsspruch, auch Wiener Diktat genannt, zum ersten Revisionserfolg nach dem Ersten Weltkrieg für die Ungarn. Infolge des Münchner Abkommens und der damit verbundenen Schwächung der Tschechoslowakei wurde die Südslowakei, wo die Ungarn fast 90 Prozent der Bevölkerung ausmachten, sowie ein Teil der Karpatoukraine, an Ungarn abgetreten. Dadurch steigerte sich Ungarns Einfluss und Macht bei den Achsenmächten.

Außerdem festigte der Wiener Schiedsspruch die Entwicklung Ungarns in ein dem Nationalsozialismus angelehntes System, von dem auch Franz Basch profitierte. So konnte Basch auf einer neuen nationalistischen Ebene die allmähliche Anbindung an die deutsche Volksgemeinschaft vorbereiten. Die Regierung Imrédy71 versprach dem späteren VDU einen viel größeren Freiraum, als den im Vergleich der UDV hatte.

Folgend auf die Erfüllung eines Teils der Trianon-Revision, legalisierte die ungarische Regierung die Gründung des von Franz Basch geführten VDU und lockerte den Druck auf die Minderheit.

2.3 Der Volksbund der Deutschen in Ungarn (VDU)

2.3.1 Die Situation der Ungarndeutschen vor der Gründung des VDU

Der soziale Wandel, welcher mit Urbanisierung und Auswanderung einherging, war der eigentliche Grund für deutschnationale Zusprüche. Im Jahr 1920, unmittelbar nach dem Vertrag von Trianon, waren etwa 56 Prozent der Donaudeutschen Bauern und Landarbeiter, 25 Prozent Industriearbeiter, 15 Prozent Händler und Gewerbetreibende, und nur vier Prozent Akademiker.72 Die mittelbäuerliche Schicht stellte sich in erster Linie während den zwanziger Jahren als Resonanzboden für die nationale Politisierung heraus. Verschärft wurden deren politische Tendenzen durch eine Desorientierung aufgrund der Weltwirtschaftskrise und dem Druck der Assimilation und Sozialwandlung in den Anfängen der dreißiger Jahre.

Wegen der Verarmung kam es zu Konflikten, die eine Öffnung der unteren Schicht der Donauschwaben gegenüber den deutschnationalen Ideen begünstigten. Gratz und Bleyer waren hinsichtlich der großen Zahl der Verarmten und Verunsicherten nicht in der Lage, deren Interessen zu repräsentieren. Die Wechselwirkung der Verarmung und Radikalisierung der Bevölkerung sowie der Stimmenverlust der liberalen und konservativen Parteien war keine Besonderheit allein im Deutschen Reich, sondern stellte ein europäisches Phänomen dar. Vor allem das Erstarken Deutschlands und die außenpolitischen Annäherungen und Abhängigkeiten Ungarns bekräftigten den reichsdeutschen Einfluss, der schließlich unter anderem zur Gründung des VDU führte.

In den dreißiger Jahren ebneten die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse die Gründung eines Volksbundes, welcher in seiner fast sechseinhalb jährigen Existenz eine präzedenzlose Metamorphose durchgemacht hat. Seine Möglichkeiten wurden durch das Zusammenspiel der ungarischen und deutschen Politik bestimmt. István Bethlen hat richtig vorgeahnt, dass: „A magyarországi németek két malomkö, Berlin és Budapest között, fognak felörlödni.“ [[die] Ungarndeutschen…zwischen zwei „Mühlensteinen“, Berlin und Budapest, zermalmt [werden].]73.

2.3.2 Die Gründung und das Programm des VDU

Infolge der Lockerung des Druckes auf die Minderheit aufgrund des Ersten Wiener Schiedsspruches durch die ungarische Regierung wurde am 26. November 1938 der VDU unter der Führung von Franz Basch aus der VK heraus in Budapest gegründet.

Nach dem Singen der ungarischen und ungarndeutschen, jedoch nicht der reichsdeutschen Hymne, hielt Franz Basch die von „Sieg Heil!“-Rufen begleitete Festansprache:

Minden nép meghatározott népi jelleggel rendelkezik amely egyedül rá jellemzö. A népcsoportnak maguknak kell megvédniük népiségüket. Népiségük védelmében saját népi eröditményet kell állitaniuk. [Jedes Volk beruft sich auf seine eigene Natur, für die es verantwortlich ist. Volksgruppen müssen ihr Volkstum allein schützen. Sie müssen sich für ihren Volkstumsschutz eigene völkische Bollwerke schaffen.]74

Weiterhin festigte Franz Basch den Alleinvertreteranspruch über die Donauschwaben im Einvernehmen mit der ungarischen Regierung. Jedoch war der Charakter der Organisation zunächst kein Affront gegen Andersdenkende innerhalb der Volksgruppe, sondern sollte vielmehr einen integrierenden Charakter besitzen.

Das Programm des Vorgängers des VDU, der VK, wurde vom Volksbund übernommen und zu dessen Gründung präsentiert.75

Vergleicht man die Absichten des UDV mit dem des Volksbundes, lässt sich eine offensivere Position des VDU ableiten. Der UDV plädierte zwar ebenfalls für die freie Gründung von Vereinen und Zeitungen, der VDU forderte darüber hinaus eine weitgehende politische Autonomie.

Jene gewünschte politische Emanzipation stand im Konflikt mit der ungarischen Minderheitenpolitik und dem magyarischen Chauvinismus.

2.3.3 Die Etablierung des VDU

Die erste offizielle Großveranstaltung des Volksbundes war der „Fahnenhiss von Cikó“76 am 30. April 1939, bei dem etwa 30000 Donauschwaben nach den Quellen des Volksbundes, bzw. etwa 20000 nach staatlichen Quellen, teilnahmen.77 Aufgrund der Größe des 1800-Seelen Dorfes sind die genannten rund 30000 Teilnehmer weniger realistisch. Gekleidet waren die Mädchen und Jungen in entsprechend homogener Kleidung mit einer VDU Aufschrift. Aus historischen Erzählungen lässt sich erschließen, dass der Fahnenaufzug von Cikó eine hohe Ähnlichkeit mit jenen der deutschen Nationalsozialisten hatte. Von Anfang an war von der „Gemeinschaft“ die Rede, ein großes Sonnenrad zentrierte die Veranstaltung.

Nach dem Festumzug wurde die ungarische Hymne vorgespielt. Die reichsdeutsche Hymne wurde nicht gesungen, da diese von den Ungarn als eine Provokation interpretiert hätte werden können. Basch dankte daraufhin dem damals amtierenden ungarischen Ministerpräsidenten Pál Teleki für die Zustimmung zu den Feierlichkeiten und betonte das „…szétszakithatatlan sorsközösség által jóban-rosszban együtt tart…“ […in guten sowie schlechten Zeiten unzertrennliche Verhältnis…]78 zwischen dem Deutschen Reich und Ungarn.

Besonders im Jahre 1940 wiesen viele Feierlichkeiten des Volksbundes auf seinen Massenmobilisierungscharakter hin, da zu den jeweiligen Veranstaltungen meistens mehrheitlich Teilnehmer aus anderen Ortschaften hinzukamen.

Außerdem lagen die Altersgrenzen anders als beim UDV, bei dem erst Mitglieder über 24 Jahre aufgenommen wurden, bei 18 für Jungen und 15 für Mädchen, so dass die leichter manipulierbare Jugend effektiver einbezogen werden konnte.79 1941 etablierte sich zudem die der Hitler-Jugend ähnelnde Deutsche Jugend, welche Minderjährige rekrutierte. Durch die verstärkte Einbeziehung der Jugend gab es teilweise Orte mit einer Volksbundbeteiligung von 90 Prozent mit einem niedrigen Durchschnittsalter.

Etwa ein Jahr nach seiner Gründung zählte der Volksbund bereits mehr als 25000 Mitglieder.80 Die Finanzierung des VDU war in beträchtlichem Maße abhängig von reichsdeutschen Überweisungen.

Im Gegensatz zum UDV erweiterte der VDU die Beziehung zwischen Ungarn, Deutschland und den Donauschwaben vor allem auf außenpolitischer Ebene. Ungarn verfolgte seit dem Österreichisch-Ungarischen Ausgleich 1867 innenpolitisch vorrangig das Ziel die Assimilation fortzusetzen und die Autorität zu festigen. Die Außenpolitik war seit dem Trianon-Vertrag von den Revisionsbestrebungen reglementiert, welche ein außenpolitisch stabiles Verhältnis zum Deutschen Reich, dem Hegemon in Mitteleuropa, erforderte.

Seitens der deutschen Ethnopolitiker war es ersichtlich, dass aufgrund der dogmatischen und inkompetenten Minderheitenpolitik der Ungarn nur durch ein Eingreifen Berlins der Minderheitenschutz gewährt werden konnte. So gab es donauschwäbische Studenten die für einige Semester im Deutschen Reich studierten oder Gastarbeiter, welche für ein paar Monate dort arbeiteten. Bekanntlich überzeugten sie nach der Rückkehr ihre Landsleute von einer solidarischen Volksgemeinschaft mit Inspirationen des Nationalsozialismus. Der Einfluss der Rückkehrer aus Deutschland fiel stark ins Gewicht, da die Propaganda der Massenmedien in den ländlichen Regionen Ungarns unterentwickelt war. Weiterhin gab es vergleichsweise wenige Presseorgane die eine volksdeutsche Gemeinschaft befürworteten. Umso mehr war die Herausbildung einer ungarndeutschen Elite mit der Hilfe durch reichsdeutsche Bildungsangebote von Bedeutung. Dabei waren der VDA, der Verband der deutschen Volksgruppen in Europa und das in Stuttgart befindliche Deutsche Auslandsinstitut eine weitere Möglichkeit zur Verbindung und Politisierung der gesamten donauschwäbischen Minderheiten auf dem Kontinent.81

Bereits im April 1939, nach der Annektierung Österreichs und des Sudetenlandes durch Deutschland, erschlossen sich neue Möglichkeiten. Der amtierende Ministerpräsident Imrédy genehmigte die Bezeichnung „Volksgruppe“, eine Repräsentanz des VDU in der Regierung und Administration sowie den Gebrauch der deutschen Sprache in der Konfession, in Ämtern und dem Bildungswesen.82 Jedoch ist jener vermeintliche Schritt einer neu ausgerichteten partizipativen Minderheitenpolitik vielmehr ein Resultat der deutschen Expansion. Europa war territorial und politisch im Umbruch, und durch die offizielle Gewährung des VDU konnte die Unterstützung des Deutschen Reiches bezüglich der Revision des Trianon-Vertrages erhofft werden. Das ist durchaus eine vereinfachte Argumentation, jedoch ist jene monoton erscheinende Rechtfertigung der ungarischen Politik durch den Revisionismus logisch und kategorisch zu seiner Zeit gewesen. Auch der Völkerbundaustritt und Eintritt in den Antikominternpakt Ungarns 1939 bekräftigt jene Aussage. Der magyarische Nationalismus gipfelte bereits bei den Wahlen im Mai 1939, als etwa ein Viertel der Ungarn für die faschistische Pfeilkreuzlerpartei stimmten.

Zusätzlich wurde der VDU durch einen Kompetenzwechsel im Deutschen Reich stabilisiert, da die VoMi der SS die führende Rolle übernahm und so eine Desorganisation aufgrund verschiedener Verantwortungsmissverständnissen beseitigt wurde.

Im folgenden Jahr stellte Basch viele Forderungen und Vorschläge an die Regierung Teleki mit Rückenwind der nationalsozialistischen Institutionen des Deutschen Reichs.

2.3.4 Der Zweite Wiener Schiedsspruch und das Volksgruppenabkommen

Ungarn ließ sich infolge der wachsenden Abhängigkeit vom Deutschen Reich in eine gefährliche Situation drängen. Am 30. August 1940 unterzeichnete die Regierung Teleki den Zweiten Wiener Schiedsspruch, der mithilfe des Drucks von Deutschland und Italien die Abtretung eines Teils vom rumänischen Nordsiebenbürgen an Ungarn bewirkte. Als Preis für die Annektierung Nordsiebenbürgens musste der Hitler-Kritiker Teleki wenige Stunden darauf das Volksgruppenabkommen unterschreiben. Das Volksgruppenabkommen sicherte dem VDU ein Machtmonopol über alle Ungarndeutschen und solchen, die nach den Rassenannahmen der SS als Deutsche kategorisiert wurden, ob sie wollten oder nicht, zu. Das Machtmonopol des VDU besaßen jedoch nicht die führenden Mitglieder des VDU, sondern als „Berater“ getarnte Funktionäre der SS und der VoMi.83 Der SS-Apparat und dessen Repräsentanten lancierten fortan die ideologische Gleichstellung des VDU nach dem reichsdeutschen Vorbild. So wurde das Tagesblatt „Deutsche Zeitung“ zum antisemitischen und kriegsverherrlichenden Hetzblatt, welches die Volksgemeinschaft als „Schicksals- und Opfergemeinschaft“ hochstilisierte.84 Gemeinsam mit dem Deutschen Volksblatt erreichte es eine Auflage von 70000 verkauften Exemplaren.85 Außerdem beinhaltete das Volksgruppenabkommen nicht Forderungen des Minderheitenschutzes, sondern vielmehr die Antworten auf die Frage, wer fortan die Macht über die Volksgruppe besitzen würde.86 Zunächst bekam der VDU den Alleinvertretungsanspruch in Ungarn, zusätzlich musste sich jeder Anhänger der Volksgruppe bedingungslos zum Nationalsozialismus bekennen: „Deutscher sein heißt, Nationalsozialist zu sein!“87. In Ungarn war dagegen die aufstrebende faschistische Pfeilkreuzlerpartei bis zum Oktober 1944 nicht an einer Regierung beteiligt. Nach der Einverleibung Siebenbürgens wurde die Kontrolle über die Rumäniendeutschen und deren bereits durch das Reichssicherheitshauptamt gleichgestelltes Schulnetz an den VDU bzw. an die SS übergeben.

Der wichtigste Punkt des Abkommens war die Zementierung der Schutzmachtrolle des Deutschen Reiches, so dass über die Teilautonomie des VDU hinweg Berlin mit Budapest Verträge aushandeln konnte, der VDU wurde zum Instrument wie später bei den SS-Rekrutierungen sichtbar. Ungarn musste deshalb sämtliche seit Bleyer gestellte und nicht erfüllte Forderungen akzeptieren, darunter deutsche Bildungsinstitutionen, muttersprachlicher Gottesdienst, genossenschaftliche Organisation, freie Massenmedien sowie die Versammlungsfreiheit. Gegen die Schulfrage setzte jedoch die ungarische Regierung ihre blockierende Haltung fort, so dass die Einführung des Deutschunterrichts an mehr als 240 Volksschulen hintertrieben wurde. Soweit wie möglich unterlief und sabotierte die ungarische Verwaltung die Forderungen. Auch bei der Forderung der Besetzung von Beamtenstellen durch Angehörigen des VDU wurde dieser zu Kompromissen gezwungen. Nach dem Wiener Volksgruppenabkommen einigten sich einige Vertreter des VDU und der SS auf ein neues Abkommen, welches die Macht des VDU erneut erweitert hätte. Sogar die Forderung einer Steuer für alle Ungarndeutschen die an den Volksbund beglichen werden müsste stand zur Diskussion. Obwohl es nie zu einem offiziellen Antrag gekommen ist, verdeutlicht das geplante Abkommen das Selbstbewusstsein und den erwünschten Machtanspruch von einigen volksdeutschen Vertretern. Eine weitere Forderung nach Autonomie hätte den magyarischen Nationalismus und Teleki überprovoziert.88

Es stellt sich die Frage was passiert wäre, wenn Teleki das Volksgruppenabkommen nicht unterzeichnet hätte. Wahrscheinlich wären die Rufe nach Revisionen, die nur durch die deutsche Unterstützung möglich waren, und der diplomatische Dissens ausschlaggebend für ein Scheitern Telekis gewesen. Ungarn das spätestens seit den erfolgreichen Westfeldzügen des Deutschen Reiches wirtschaftlich und außenpolitisch abhängig von Deutschland war, hatte keine andere Wahl. Ungarn trat im November 1940 dem Dreimächtepakt bei, unterstütze den deutschen Militärtransfer während des italienisch-griechischen Krieges im Jahr 1941 und assistierte bei der Besetzung Jugoslawiens bei der es die Batschka annektierte.

2.3.5 Die Umwandlung und Expansion des VDU

1940 forderte Heinrich Himmler von Basch mit Unterstützung der VoMi den Volksbund zur Elite der Volksgruppe umzuformen und dadurch dem magyarischen und jüdischen Einfluss zu begegnen.89

Musterhaft wurde der VDU durch eine allumfassende Neuformation in entsprechenden Organisationen nach dem Vorbild der NSDAP umgewandelt. Beispiele dafür waren die im Juni 1941 gegründete Deutsche Jugend oder die Frauenschaft. Weiterhin wurden Fachschaften für Berufsgruppen gebildet.90 Als soziale Errungenschaft galt die Gründung der Deutschen Volkshilfe. Unter der Betonung der Hierarchie und des Führerprinzips bestand die Führung des Volksbundes aus dem Volksgruppenführer Franz Basch, seinem Stellvertreter Georg Goldschmidt, acht Hauptämtern und vielen Ortsabteilungen. Dabei war die regionale Einteilung (Gebiet, Gau, Kreis) ähnlich dem der NSDAP. Die Amtsträger des Volksbundes trugen fortan statt des ursprünglich verwendeten Sonnenrades das Hakenkreuz auf der Uniform.91 Zudem sollte durch die Ausgabe eines VDU-Ausweises die Identität zur Volksgruppe ermittelt werden.

Im Kern-Ungarn stieg die Zahl der Mitglieder des Volksbundes von 53000 im Oktober 1940 auf 97000 im Mai 1941, die der Ortsgruppen von 167 auf 410.92 Trotzdem bekannten sich von 477000 deutschen Muttersprachlern nur etwa 303500 zur deutschen Nationalität (63 Prozent), vermutlich aufgrund der Umsiedlungspläne93.94 In Siebenbürgen und der Batschka war die Angehörigkeit zur deutschen Nationalität prozentual höher. Dagegen nahmen SS-Statistiker nach einer Bestandsaufnahme im November 1941 an, dass etwa ein Fünftel der Ungarndeutschen im Volksbund erfasst waren.95

Der seit 1941 sich immer stärker entwickelnde Radikalisierungsprozess innerhalb des VDU führte zu einem Wanken zwischen Baschs Kurs und der ungarischen Regierung sowie dem magyarischen, zumeist nationalistisch eingestelltem, Volk. Lediglich seine charismatischen Begabungen hielten Basch im Amt, sonst hätte die SS den Posten des Volksgruppenführers ausgewechselt. Für Basch war die Anbindung an Deutschland das Mittel um seine ethnopolitischen Ziele zu verwirklichen, er unterschätzte jedoch die Absichten des Deutschen Reiches, alle Volksdeutschen zentral zur Kriegsführung einzubeziehen. So wurde Basch innerhalb des VDU zugunsten der SS zunehmend entmachtet, aber propagandistisch als Ikone der „Bewegung“ ausgenutzt, um öffentlich unpopuläre Maßnahmen der SS-Rekrutierung zu verantworten und durchzusetzen.

Basch und der VDU gerieten durch den erhöhten strategischen Wert Ungarns nach dem Angriff auf die Sowjetunion stärker unter Druck. Nachdem sich der ungarische Ministerpräsident Bárdossy am 27. Oktober 1941 über eine VDU-Versammlung beschwert hatte, übermittelte der Gesandte Dietrich von Jagow eine Mitteilung aus dem Führerhauptquartier, nach der: „…mit der ungarischen Regierung und der ungarischen Gesellschaft stets so zu verkehren [sei], da[ss] unter allen Umständen die ungarische Bündnistreue das Ziel [der Handlungen des VDU] sein müsse.“96. Himmler bestand am 18. November desselben Jahres zudem darauf, dass Basch statt verbesserten minderheitspolitischen Errungenschaften gegenüber der ungarischen Regierung nun auf die Festigung seiner Autorität als Volksgruppenführer hinarbeiten sollte.97 So solle Basch forciert den Zusammenhalt in der Volksgruppe stabilisieren um sie auf die kommenden SS-Rekrutierungen vorzubereiten. Mithilfe der Deutschen Jugend und der Deutschen Volkshilfe müssten laut Himmler Hilfsmaßnahmen und Aufklärung dafür sorgen, dass die Loyalität der Ungarndeutschen erhalten bliebe. Hitler unterstütze Himmlers Argumentation: „Die Arbeit der deutschen Volksgruppe in Ungarn mu[ss] in nächster Zeit eine völlig nationalungarische Angelegenheit werden.“98. Ribbentrop verurteilte trotzdem die Politik Ungarns, die seiner Meinung nach die „Deutsche Frage“ unterschätze und das Volksgruppenabkommen nicht beachte. Der Bárdossy-Nachfolger Miklós Kállay konterte und verwies auf die Umsiedlungspläne der Deutschen.

Obwohl die „Deutsche Frage“ stets zu geringfügigen diplomatischen Spannungen führte, war das übergeordnete Ziel, die Vernichtung der Sowjetunion, der wesentliche Faktor für die politischen Handlungsweisen des Deutschen Reiches. Hitler plante die Ungarndeutschen nach dem Krieg umzusiedeln, deshalb war der Minderheitenschutz von sehr geringer Priorität. Für Hitler zählte ausschließlich der Endsieg, der mithilfe der Soldaten aus Ungarn erreicht werden sollte. Dem Volksbund musste lediglich genug Autonomie zugesichert werden, damit er die Donauschwaben bündeln konnte um sie für den Krieg auszunutzen.

Im Lauf des Jahres 1942 verminderte sich der Druck auf den VDU nicht. Neben den Schmähaktionen der Treuebewegung99 taktierte die ungarische Regierung mit gezielten Verunsicherungs- und Abwerbungsstrategien. Dazu gehörten Verfahren wegen dem Zeigen von Hakenkreuzfahnen und Ähnliches. Neben der Treuebewegung initiierte der Apatiner Kreis um den Pfarrer Adam Berencz Kampagnen gegen den Volksbund um die von Himmler befohlene Gleichschaltung der donauschwäbischen Minderheit zu sabotieren. Passive Donauschwaben fühlten sich weder durch den VDU noch durch die Treuebewegung bzw. durch das Horthy-Regime vertreten und konnten aufgrund der bedrohlichen politischen Entwicklung kaum eine Alternative in Betracht ziehen. Eine Wiederbelebung des UDV war bereits 1941 gescheitert.

Trotz der beachtlichen Veränderungen in der Minderheitenpolitik des VDU war dieser nie an das Ziel einer geschlossenen Volksgruppe, die bedingungslos ihrem Führer folgt, und sich zu einer gesamtdeutschen Gemeinschaft zusammenschließen würde, gekommen. Rivalitäten wie zwischen Basch und Heinrich Mühl100, die Umsiedlungspläne und die Widerstände der Ungarn behinderten eine konsequente Programmatik des Volksbundes. Weiterhin wurde der deutsche nationalsozialistische Flügel der Pfeilkreuzlerpartei unter György Stumpf zu einem Konkurrenten des VDU. Im Gegensatz zum typischen magyarischen Nationalismus kombinierte die Pfeilkreuzlerpartei unter Szálasi die Idee eines Großungarns mit der Respektierung der Minderheiten. Aufgrund der katastrophalen Beihilfe der Pfeilkreuzler an der Shoa und dem Porajmos101 verliert dieses angebliche Vorhaben an Glaubwürdigkeit. Nach der Meinung des Sicherheitsdienstes des Reichsführers-SS (SD) hatte die Pfeilkreuzlerpartei sogar die Absicht alle Minderheiten im Karpatenbecken, außer den Juden, die vernichtet werden sollten, zu assimilieren und sei deshalb die größte Gefahr der deutschen Volksgruppe.102 Angeblich sollen etwa 40 Prozent der Führung der Partei deutscher Herkunft gewesen sein.103 Tatsächlich sind die Beziehungen des VDU zur Pfeilkreuzlerpartei weiteren Nachforschungen bedürftig.

[...]


1 Großfürst von Ungarn gegen Ende des 10. Jahrhunderts

2 Stadt in Westungarn

3 Sebök, László: A betelepitéstöl a kitelepitésig. In: Történelmi Magazin Rubicon, 2012/11, S. 4

4 historische Region zwischen Rumänien, Ungarn und Serbien

5 die heutige serbische Vojvodina

6 Glass, Christian: Migration im Donauraum. Die Ansiedlung der Deutschen im 18. Jahrhundert und ihre Folgen, Ulm 2012, S. 5

7 kostengünstiges Boot

8 Region und Stadt in Nord-Siebenbürgen, heute rumänische Großstadt/Kreis Satu Mare

9 südungarisches Donaugebiet

10 Verweis auf Anlage 1

11 Glass a.a.O. S. 22

12 Hailer-Schmidt, Anette: „Hier können wir ja nicht mehr leben“. Deutsche Auswandererlieder des 18. und 19. Jahrhunderts. Hintergründe, Motive, Funktionen, Marburg 2004, S. 51

13 Glass a.a.O. S. 22

14 Fata, Márta: Svábok. Német bevándorlás a 18. szászadban. In: Történelmi Magazin Rubicon, 2012/11, S. 17

15 Sebök a.a.O. S. 6

16 Siedlungsmigration und Binnenwanderung

17 Aufbauen von eigenen Bauernwirtschaften durch die nachgeborenen Söhne

18 Bartók, Béla: Weg und Werk. Schriften und Briefe, Leipzig 1957, S. 205

19 Assimilation der nichtungarischen Bevölkerung; Magyar=Ungar; magyarisch=ungarisch

20 Angleichung an die vom Staat bevorzugten Verhältnisse

21 Fata a.a.O. S. 18

22 Schödl, Günther: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau, Berlin 1995, S. 368

23 Reichskanzler des Deutschen Kaiserreichs zwischen 1900 und 1909

24 Schödl a.a.O. S. 410

25 ebenda, S. 380

26 Ministerpräsident Ungarns 1903 und 1910-1912

27 Ministerpräsident Ungarns 1903-1905 und 1913-1917

28 Huber, Georg: Wie ein Sandkorn im Wind. Die Donauschwaben, Gelnhausen 2011, S. 275

29 Verweis auf Anlage 2

30 Linsenmann, Georg: Der Politiker der für die ungarndeutsche Doppelidentität kämpfte. In: Deutsche in Ungarn-Ungarn in Deutschland. Europäische Lebenswege. Németek Magyarországon-Magyarok Németországban. Európai Életutak, Ulm 2006, S. 24

31 Eiler, Ferenc: E-Mail-Auskunft über die Ungarndeutschen, 20.10.2014

32 Schwind, Hedwig: Jakob Bleyer. Ein Vorkämpfer und Erwecker des ungarländischen Deutschtums, München 1960, S. 64

33 Schödl a.a.O. S. 463

34 1920-1921 ungarischer Außenminister; zuvor Abgeordneter der Siebenbürger Sachsen

35 István Bethlen, ungarischer Premierminister 1921-1931

36 Schwind a.a.O. S. 101f.

37 Schödl, Günther: Nationalstaat und Minderheit. In: Suevica Pannonica 9, 1991, S. 81

38 Schödl, Günther: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau, Berlin 1995, S. 467

39 ebenda, S. 467

40 ebenda, S. 461

41 Schödl a.a.O. S. 489

42 Tilkovszky, Loránt: PA AA. Politische Abteilung II. Ungarische Politik 1. Band 2, Budapest 1989, S. 87

43 Schödl a.a.O. S. 489

44 Spannenberger, Norbert: A Volksbund. A Basch-Bélyeg. In: Történelmi Magazin Rubicon, 2012/11, S. 32

45 Schödl a.a.O. S. 490

46 Schödl a.a.O. S. 491

47 deutsch: Fünfkirchen

48 Schödl a.a.O. S. 494

49 k. A. In: Sonntagsblatt Budapest 7.10.1934

50 Schödl a.a.O. S. 496

51 ungarischer Premier Oktober von 1936 bis Mai 1938

52 Geschäftsführer des „Verband der Deutschen Volksgruppen in Europa“

53 Schödl a.a.O. S. 498

54 Basch, Franz: Deutscher Aufbruch in Ungarn. In: Nation und Staat 12, 1938, S. 205

55 expressionistischer ungarischer Schriftsteller in der Zwischenkriegszeit

56 Tilkovszky a.a.O. S. 209

57 Seewann, Gerhard: Geschichte der Deutschen in Ungarn. Band 2: 1860 bis 2006, Marburg 2012, S. 223

58 Hiden, John: The Weimar Republic and the Problem of the Auslandsdeutsche, In: Journal of Contemporary History, 1977/12, S. 273f.

59 Seewann a.a.O. S. 474

60 Schwind a.a.O. S. 174

61 Tilkovszky, Loránt: ADAP. B. XXI. Dokument. 190, Budapest 1989, S. 407

62 ab 1933 Reichsminister und Hitlers Stellvertreter

63 Tilkovszky a.a.O. S. 55

64 Schödl a.a.O. S. 483

65 ebenda, S. 488

66 Außenminister des Deutschen Reichs zwischen 1932 und 1938

67 Schödl a.a.O. S. 497

68 1937 ungarischer Innenminister

69 Schödl a.a.O. S. 497

70 Behörde mit der Aufgabe, volkstumspolitische Ziele des Deutschen Reiches im Ausland zu koordinieren

71 Béla Imrédy, ungarischer Ministerpräsident zwischen 1938 und 1939

72 Schödl a.a.O. S. 483

73 ebenda, S. 30

74 Spannenberger a.a.O. S. 31

75 Verweis auf Anlage 4

76 Gemeinde im Komitat Tolna (Südungarn)

77 Spannenberger a.a.O. S. 31

78 Spannenberger a.a.O. S. 31

79 Seewann a.a.O. S. 276

80 Vitári, Zsolt: Kinálkozó alkalom vagy bosszú? Elüszések Magyarországon. Utószó, Nagykanisza 2003, S. 266

81 Schödl a.a.O. S. 502

82 ebenda, S. 505

83 Seewann a.a.O. S. 281

84 ebenda, S. 281

85 Schödl a.a.O. S. 521

86 Spannenberger a.a.O. S. 39

87 Parole von Rudolf Hess

88 Spannenberger a.a.O. S. 42

89 Schödl a.a.O. S. 512

90 Seewann a.a.O. S. 282

91 Spannenberger, Norbert: A magyarországi Volksbund. Berlin és Budapest között. Kisebbségkutatás Könyvek, Budapest 2005, S. 245

92 ebenda, S. 285

93 Verweis auf Abschnitt: 2.5.3 Die Aussiedlungspläne

94 Seewann a.a.O. S. 283

95 ebenda, S. 284

96 Tilkovszky, Loránt: PA AA, Inland KK. G. 272. Berlin 14.11.1941, Budapest 1978, S. 176

97 Schödl a.a.O. S. 518

98 Tilkovszky, Loránt: IZ. MA-330. Berlin 1942, Budapest 1978, S. 186

99 Verweis auf Abschnitt: 2.5 „Hüséggel a Hazához-Mit Treue zum Vaterland“-Die Treuebewegung

100 Leiter der Molkereigenossenschaft MILAG

101 Bezeichnung für den Völkermord an den europäischen Sinti und Roma während der Zeit des Nationalsozialismus

102 Spannenberger a.a.O. S. 220

103 Schödl a.a.O. S. 515

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Die donauschwäbische Minderheit im Trianon-Ungarn. Entwicklung und Folgen der deutschen und der ungarischen nationalistischen Einflussnahme
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
63
Katalognummer
V941238
ISBN (eBook)
9783346272973
Sprache
Deutsch
Schlagworte
minderheit, entwicklung, folgen, einflussnahme, ungarn, trianon, donauschwaben, ungarndeutsche, nationalismus, volksbund, treuebewegung, bleyer
Arbeit zitieren
Martin Böhm (Autor:in), 2014, Die donauschwäbische Minderheit im Trianon-Ungarn. Entwicklung und Folgen der deutschen und der ungarischen nationalistischen Einflussnahme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/941238

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Titel: Die donauschwäbische Minderheit im Trianon-Ungarn. Entwicklung und Folgen der deutschen und der ungarischen nationalistischen Einflussnahme



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