Das utopische Ideal und die Beurteilung von Künstlicher Intelligenz durch Hans Jonas


Hausarbeit, 2019

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Positiver Inhalt des utopischen Ideals

3. Negative Folie des utopischen Ideals

4. Beurteilung von Künstlicher Intelligenz durch Hans Jonas

5. Schluss

1. Einleitung

Das Prinzip Verantwortung von Hans Jonas stellt eine völlig neu entwickelte Zu­kunftsethik dar, die sich mit der Bedrohung durch die menschliche Machtentfal­tung auseinandersetzt. Dabei geht er auf den Wandel des menschlichen Han­dels und die Möglichkeit der Vernichtung der Erde durch den Menschen ein. Hans Jonas sieht daraus das Erfordernis eines vollkommen neuen Begriffs der Verantwortung.1 Er vertritt hierbei den moralischen Realismus, der wiederum in Naturalismus und Intuitionismus unterschieden wird. Der Naturalismus nimmt an, dass moralische Erkenntnisse und Tatsachen jeweils nach empirischen Er­kenntnissen beziehungsweise natürlichen Tatsachen gedeutet werden können. Der Intuitionismus geht hingegen davon aus, dass moralische Einsichten ihren Ursprung in einer nicht-empirischen, „intuitiven“ Erkenntnis haben. Diese beiden Unterscheidungen will Hans Jonas in seiner Ethik verbinden.2 Das Werk wird heute als Leitziel zur Sicherung des Überlebens der Menschheit verstanden. In Debatten aus dem technikpolitischen Bereich ist die „Heuristik der Furcht“, also der höhere Stellenwert von schlechten gegenüber guten Prognosen, allgegen­wärtig. Mit diesem Gedanken formuliert Hans Jonas den kategorischen Impera­tiv von Immanuel Kant in einen ökologischen Imperativ um. Laut ihm solle so gehandelt werden, dass die Wirkungen einer Handlung mit der Permanenz ech­ten Lebens auf Erden verträglich sind. Der Begriff Verantwortung bezieht ihm zufolge somit auch die außermenschliche Natur mit ein, also die Erde als Gan- zes.3 Außerdem ist ein entscheidender Unterschied des Imperativs von Kant und Jonas, dass das Moralprinzip von Kant in allen Situationen Orientierung bieten soll. Der Imperativ von Jonas hingegen beschränkt sich nur auf bestimmte Hand­lungssituationen, da nicht jede Handlung die Überlebenschancen der Mensch­heit beeinflusst. Er sieht den von ihm formulierten Imperativ jedoch nicht als Er­satz, sondern als Ergänzung des Kantischen Imperativs.4 Durch den weltweit technologischen Fortschritt ergibt sich für Jonas die Frage nach einer möglichen Utopie. Dieses utopische Ideal wird für ihn in zwei Aspekte unterschieden, in seinen positiven Inhalt und seine negativen Folie.5 Der technologische Fortschritt brachte auch die Künstliche Intelligenz mit sich. Ein Thema, das in den letzten Jahren an immer größerer Bedeutung gewinnt und besonders in Verbindung mit dem Begriff der Verantwortung ethisch beleuchtet werden sollte.

2. Positiver Inhalt des utopischen Ideals

„Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also in der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion“6, so ein bekanntes Zitat von Karl Marx. Ernst Bloch setzt damit Freiheit in direkten Zusammenhang mit Arbeit, beziehungsweise mit der Befreiung von Arbeit um äußerer Zwecke willen. Er betrachtet die Freiheit einer solchen Notwendigkeit als erste aller Freiheiten, zwingend notwendig für die Entwicklung und Entfesse­lung. Diese Entwicklung und Entfesselung kann laut ihm nur in permanenter Muße stattfinden. Damit ist gemeint, dass die Muße nicht unterbrochen werden darf, also eine gelegentliche Unterbrechung der Arbeit nicht genügt. Marx hin­gegen sieht dies nicht so eindeutig wie Bloch. Er ist der Meinung, dass Zweck­arbeit nicht aufhören wird, sie wird sich jedoch verändern. Ihm nach soll die Un­terteilung in geistige und körperliche Arbeit verschwinden und die Arbeit kein Mittel zum Leben mehr sein, sondern ein Lebensbedürfnis, dass jeder nach sei­nen eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen erfüllen kann. Die Arbeit wird dadurch zum Lebensbedürfnis, dass sie als Mittel zum Leben nicht mehr brauch­bar und unverkäuflich ist. Um das Bedürfnis nach Arbeit an sich zu stillen, muss die Arbeit zweckfrei und zwecklos sein. Solche Arbeiten, die keinen Zweck er­füllen, müssten jedoch erst noch erfunden werden. Dadurch entsteht das Prob­lem, dass das Bedürfnis nach Arbeit das vielleicht am schwersten zu befriedi­gende Bedürfnis in der neuen Gesellschaft wird. In der automatisierten Welt der Utopie werden Menschen von nützlicher Arbeit nicht nur befreit, sondern viel mehr auch ausgeschlossen. Für diese Beitragsleistung an die Gesellschaft muss ein Ersatz gefunden werden, was Bloch als ein Problem der Muße bezeichnet.7 Schon Aristoteles stellte sich die Frage, mit welcher Art von Arbeit die Muße ausgefüllt werden kann. Für die Muße braucht es freie Zeit und einen Ort ohne jegliche Aufdringlichkeiten und Notwendigkeiten. Die Tätigkeit selbst muss ledig­lich ihren Selbstzweck erfüllen, ohne dass sie komplett zwecklos ist. Somit muss der Selbstzweck ein positiver sein. Die Muße ist eine bestimmte Kombination zwischen Handeln und Erleben, wobei das Handeln ein entspanntes Loslassen und Warten ist. Damit ist nicht das überbrücken von unproduktiver, nutzloser Zeit gemeint, sondern das Hüten, Bewohnen und dem Entgegensehnen von Kom­mendem. Das Erleben stellt das „Beschenktwerden“ mit einer Erkenntnis dar.8 Bloch hegte den Traum eines Paradises der Muße, in dem sich nur noch der Arbeitskraft, welche „menschenwürdige“ Bedürfnisse erfüllt, gewidmet wird. Da­mit beschreibt er sein Wunschideal der tätigen Muße. Auch Marx sieht die Muße als Indikator für ein vollkommenes Leben, das absolute Ziel und den universalen Zustand. Um die Muße zu erreichen, würde ein „Umbau der Natur“ benötigt wer­den. Falls diese Bedingung erfüllt würde, würde die Unterscheidung von Hand- und Kopfarbeit verschwinden. Vor allem aber würde die Differenzierung zwi­schen Arbeit und Muße wegfallen, wodurch eine klassenlose Gesellschaft ent­stehen würde. Auch wären abgetrennte Sonn- und Feiertage nicht mehr sinnvoll, die gerade in unserer heutigen Gesellschaft zu vielen schönen Erlebnissen und familiären Zusammenkünften führen.9 In der Muße hätte Freizeit im Allgemeinen jedoch nicht mehr dieselbe Bedeutung, da durch die fehlende Arbeit auch die Freude an dem „Nichtstun“ verloren geht. In der Bevölkerung wird Muße über­wiegend als private Muße-Zeit und Tätigkeit ohne Zweck verstanden. Somit wird die Tätigkeit mit umso größerer Wahrscheinlichkeit der Muße zugeteilt, desto weniger die Tätigkeit eine Notwendigkeit, Verpflichtung oder einen Zwang mit sich trägt.10 Jedoch ist laut Kurt Röttgers Muße ohne Arbeit nicht denkbar, da der Begriff der Muße zwangsweise in den von Arbeit umschlägt. Er vergleicht die Muße mit dem Musizieren. Die Zeit wird zwar mit dem Musizieren ausgefüllt, jedoch geht es dabei nicht um die Erreichung eines externen Zwecks. So wird durch die Arbeit in der Muße klar, dass das Üben essenziell ist, um schön klin­gende Musik zu erzeugen. Das Einstudieren eines Musikstücks hat also einen Zweck und ein Mittel, die unmittelbar miteinander im Einklang stehen. Das Üben ist notwendig dafür, am Ende perfekt spielen zu können. In diesem Fall muss das Glück der Muße also erst erarbeitet werden. Arbeit und Muße sind zwar gegensätzlich, sie sind aber auch unmittelbar miteinander verschränkt.11 1 Marx spricht von einem Verschwinden des Unterschiedes von Hand- und Kopf­arbeit. Der Gegensatz zwischen der neuen, veränderten Arbeit und der unver­änderten geistigen Arbeit wächst jedoch. Laut ihm wird die geistige Arbeit der einzige Ort wirklicher Arbeit sein, die volle Aufmerksamkeit, Mühe, Ausdauer und Geduld erfordert und sogar körperlich anstrengend ist. Geistige Arbeit ist die freiste aller Arbeiten, da sie von jedem selbst abhängig ist, zugleich aber auch die unfreiste aller Arbeiten, da sie den Menschen komplett in Beschlag nimmt. Der Unterschied von geistiger Arbeit und aller anderen Arbeit würde immer stär­ker werden, da die geistige Arbeit sowohl am Körper, als auch am Geist zerrt.12 Bloch sah, anders als Marx, das die Muße ein Problem mit sich bringt. Er spricht von der „äußerst nackten Frage der Muße“, die noch eine Antwort durch zukünf­tige Lehrer verlangt. Bloch nennt den „humanen Inhalt“, nach dem das Glück des utopischen Daseins aktiv ist, also nur bestehen kann, wenn der Mensch tätig ist. Dieses Tätigsein bringt Bloch mit dem sogenannten Steckenpferd in Verbindung. Um das Steckenpferd zum Beruf zu machen, muss es den Tag ausfüllen und eine Funktion im öffentlichen Bedürfnissystem erfüllen. Damit würde das Ste­ckenpferd allerdings nicht die Anforderungen in einer Utopie erfüllen, da alle Auf­gaben von technischen Apparaten übernommen werden würden.13 Bei einem Steckenpferd wird die Tätigkeit deswegen ausgeübt, weil sie Freude macht und keinem äußeren Muss oder Zweck unterliegt. Das Müssen und die Freude schließen sich nicht zwangsweise gegenseitig aus, das Müssen sollte aber le­diglich ein willkommener Begleitzustand bei der Erzeugung der Freude sein. Je­doch könnte, wenn das Steckenpferd zum Beruf gemacht werden würde, die Freude und die Freiwilligkeit an der Tätigkeit verloren gehen. Jonas zufolge wür­den nur die wenigsten den Beruf mit ihrer Nebentätigkeit tauschen, da so das Hobby zur Verpflichtung werden würde und so der Spaß daran verloren ginge. Dadurch würde auch ein Verlust von Spontanität und Privatheit in Folge treten. Die Muße würde so zum Zwang von außen werden.14

3. Negative Folie des utopischen Ideals

Bloch ist der Meinung, dass der Mensch wie er sein soll, in der Realität noch nicht gar nicht existiert und erst in der Utopie existieren kann. Er vertritt damit die Ontologie des Noch-Nicht-Seins. Das Sein ist die Veränderlichkeit, der Verlust des vorher Aktuellen und eine Aktualisierung von etwas Vorherigem. Das Sein wird nicht von äußeren Widerständen daran gehindert, sich nach und nach zu aktualisieren. Das jetzige Universum ist jedoch noch unfertig und veränderlich. Das Noch-Nicht-Sein hat weder das Neue als solches und die Aktualisierung, noch die unendliche Annäherung an ein zuvor nie erreichtes Ziel im Fokus. Im Noch-Nicht-Sein ist „Zukunft“ der leitende Begriff, nach dem sich alles richtet. Jonas sieht im Schon Da den Grundfehler des Noch-Nicht-Seins. Demnach besteht der „eigentliche Mensch“ schon seit Anbeginn der Zeit in seiner Zweideutigkeit. Diese Zweideutigkeit kann nicht behoben werden, da der Mensch in jeder Situation neu ist, neu handelt und demnach immer verschieden sein wird.15 Die Eigentlichkeit des Menschen ist sein ursprünglichstes Sein, also seines Menschwesens. Jene Eigentlichkeit steht unmittelbar im Zusammenhang mit der Uneigentlichkeit.16 Sowohl das Gute, als auch das Schlechte im Menschen gehört gleichermaßen zu seiner Zweideutigkeit. Der Gedanke, dass im Menschen nur eines von beiden existieren könne, ist eine falsche Vorstellung. Neben dem Guten und dem Glück wird es immer auch die gelegentliche Wirklichkeit von Versuchung und Sünde geben. In der Utopie wird auch weiterhin Zufriedenheit mit Unzufriedenheit einhergehen und Glück mit Unglück. Das ist nach Jonas der Traum von menschlicher Eigentlichkeit.

[...]


1 Vgl. Moser, Susanne: Das Prinzip Verantwortung bei Hans Jonas. In: Philosophie.ch 2017. <https://www.philosophie.ch/philosophie/highlights/liebe-und-gemeinschaft/verantwortung-hans-ionas> (30.05.2019).

2 Vgl. Werner, Micha: Hans Jonas' Prinzip Verantwortung. In: Düwell, Marcus; Steigleder, Klaus (Hrsg.): Bio­ethik. Eine Einführung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2003. S. 45.

3 Vgl. Moser, 2017. (04.06.2019).

4 Vgl. Werner, 2003, S. 42.

5 Vgl. Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Auflage 8. Frankfurt am Main: Insel-Verlag 1988. S. 342.

6 Marx, Karl: Kritik des Gothaer Programms. Berlin: Verlag neuer Weg 1946. S. 21.

7 Vgl. Jonas, 1988, S. 342-347.

8 Vgl. Arlt, Hans-Jürgen: Arbeit und Muße. Ein Plädoyer für dem Abschied von Arbeitskult. Wiesbaden: Springer Fachmedien 2015. S. 17f.

9 Vgl. Jonas, 1988, S. 347ff.

10 Vgl. Coelen, Thomas; Otto, Hans-Uwe (Hrsg.): Grundbegriffe Ganztagsbildung. Das Handbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008. S.428.

11 Vgl. Jäger, Wieland; Kurt Röttgers (Hrsg.): Sinn von Arbeit. Soziologische und wirtschaftsphilosophische Betrachtungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008. S. 174f.

12 Vgl. Jonas, 1988, S. 349-353.

13 Vgl. Ebd., S. 353f.

14 Vgl. Klein, Manfred: Antizipation und Noch-Nicht-Sein. Zum Heimatbegriff bei Ernst Bloch. Hamburg: dis- serta Verlag 2014. S. 180f.

15 Vgl. Jonas, 1988, S. 376-382.

16 Vgl. Leung, Po-shan: Eigentlichkeit als Heideggers Wegmotiv. Waldkirch: Edition Gorz 2007. S. 14-18.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Das utopische Ideal und die Beurteilung von Künstlicher Intelligenz durch Hans Jonas
Hochschule
Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg
Veranstaltung
Technik- und Medienphilosophie
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
13
Katalognummer
V941429
ISBN (eBook)
9783346271594
ISBN (Buch)
9783346271600
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ideal, beurteilung, künstlicher, intelligenz, hans, jonas
Arbeit zitieren
Jessica Herfel (Autor:in), 2019, Das utopische Ideal und die Beurteilung von Künstlicher Intelligenz durch Hans Jonas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/941429

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