Theoretische Ansätze im Verlauf der Entwicklungskommunikationsforschung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

29 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1.Lineare Ansätze
1.1 Der Modernisierungsansatz
1.1.1 Daniel Lerner
1.1.1.1 Der Vierstufen-Prozess
1.1.1.2 Die Spirale der Modernisierung
1.1.2 Berger, Berger und Kellner
1.1.3 Wilbur Schramm
1.2 Die Kritik an Modernisierungstheoretischen Ansätzen
1.2.1 Direkte Wirkungsannahme
1.2.2 Ethnozentrismus
1.2.3 Lineare Entwicklungsvorstellung
1.2.4 Dichotomie Tradition und Moderne
1.3 Das Diffusionsmodell
1.4 Der Dependenzansatz
1.5 Der Kultur- und Kommunikationsimperialismus

2. Relationale Ansätze
2.1 Kommunikationsnetzwerke
2.2 Partizipationskommunikation
2.3 Komplexe Innovationssysteme
2.4 Knowledge-sharing Model

3. Entwicklungskommunikation vs. Unterstützungskommunikation

Fazit

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Einleitung

Mit der Entlassung vieler Kolonialstaaten nach dem zweiten Weltkrieg in die Unabhängigkeit und im Zuge der Entwicklung neuer Medien und weltpolitischer Konstellationen beginnt die wissenschaftliche Forschung der Entwicklungskommunikation. Der sich zuspitzende Ost-West-Konflikt gilt dabei als Anstoß für die Begründung der internationalen Kommunikationsforschung Anfang der 50er Jahre in den USA. Aus Angst vor der Ausbreitung des Kommunismus und als Investition in den Weltfrieden begann die US-amerikanische Entwicklungshilfe und damit das Forschungsfeld der Entwicklungskommunikation.

Die Entwicklungskommunikation beschäftigt sich mit der Frage, welchen Beitrag Medien im Entwicklungsprozess leisten. Ferner ist Gegenstand des Forschungs- feldes, was Entwicklung ist und welchen Einfluss die Medien auf den Prozess des sozialen Wandels haben. Dabei bildeten sich während der letzten fünfzig Jahre verschiedenste Ansätze innerhalb der Entwicklungskommunikation heraus. Dass Medien das Potential besitzen, einen Wandel in Entwicklungsländern herbeizufüh- ren, dem sind sich alle Ansätze einig. Sie unterscheiden sich vielmehr in ihrer He- rangehensweise und Ideologie. Auch spielen gesellschaftliche, politische sowie technische Gegebenheiten der jeweiligen Zeit eine bedeutende Rolle.

Die folgende Arbeit soll die wichtigsten Ansätze der Entwicklungskommunikation in groben Zügen vorstellen, ihre Interessen und Ziele verdeutlichen und ansatz- weise diskutieren. Der Aufbau dieser Arbeit orientiert sich dabei an der Unter- scheidung Grossenbachers (1988) in lineare und relationale Ansätze der Entwick- lungskommunikation. Diese Unterscheidung macht zum einen den Paradigmen- wechsel innerhalb der Entwicklungsforschung der 70er Jahre deutlich und ist, da einige Konzepte zum größten Teil aus der Kritik an und der Weiterentwicklung von älteren Ansätzen ausgebildet wurden, weitestgehend chronologisch. Zu jedem Ansatz soll ein Text eines Vertreters exemplarisch vorgestellt werden.

Die wissenschaftliche Diskussion innerhalb der Entwicklungskommunikation ver- läuft von einer westlich orientierten Modernisierungstheorie, die den armen Län- dern das westliche Mediensystem als „Kur“ verschreiben wollte, über die Depen- denztheorie, die die Medien unterentwickelter Länder in einer Abhängigkeit zum Westen sieht, bis hin zu Konzepten der Unterstützungskommunikation, die neuere kommunikationswissenschaftliche Untersuchungen wie die Netzwerkforschung oder die Bedeutung der Partizipationskommunikation in den Blick nehmen.

1. Lineare Ansätze

Im Bereich der Entwicklungskommunikationsforschung unterscheidet Grossenba- cher zwei Grundansätze - Lineare und Relationale Ansätze. „Zu den linearen An- sätzen zählen im Wesentlichen drei Forschungsparadigmen: ‚Modernisie- rung‘,Kommunikationsimperialismus‘ und die ‚Verbreitung von Neuerungen‘ [bzw. Diffusionstheorie].“ (Grossenbacher 1988, 9) Diese Ansätze gehen von einem linearen Ursache-Wirkung-Modell aus. Ursache des Wandels ist der Einsatz von Medien.

Zwei konkurrierende Entwicklungstheorien sind Modernisierungs- und Depen- denzansatz. Modernisierungstheoretiker sehen die Ursache der Unterentwicklung in den Entwicklungsländern selbst, z.B. in Korruption oder überholten Strukturen. Um diesen entgegen zu wirken, bedürfe es externer Hilfe. Dieser endogenen Theorie steht der Dependenzansatz entgegen. Er sieht Unterentwicklung als Folge von außen einwirkenden Faktoren, also die Ausbeutung der Entwicklungsländer durch die Industrieländer. Mittels einer Abkoppelung vom Weltmarkt, soll hier eine Lösung erfolgen. Anhänger dieser exogenen Theorie sehen die vermeintlichen Ursachen der Unterentwicklung wie Korruption als Folge dieser Abhängigkeiten. (vgl. Rullmann 1996, 20).

1.1 Der Modernisierungsansatz

Die Modernisierungstheorie ist in den gesamten Sozialwissenschaften verbreitet. Sie beschreibt einen zielgerichteten und komplexen Transformationsprozess von der traditionellen Gesellschaft hin zur modernen (vgl. Hepp 2006, 35f.). Dabei geht es um die Ursachenanalyse von Entwicklung. Ihren Ursprung hat die Modernisierungstheorie in der evolutionistischen Theorie des sozialen Wandels von Charles Darwin. Nach dieser entwickeln sich menschliche Gesellschaften naturgemäß in eine bestimmte Richtung. Andere Richtungen des Wandels werden von vornherein ausgeschlossen. Ziel dieses Entwicklungsprozesses ist das Ideal der modernen Gesellschaft, wie sie in den politisch-ökonomischen Systemen Nordamerikas und Westeuropas verwirklicht ist (vgl. Rullmann 1996, 21).

In einem Glossar von Hepp heißt es:

„Modernisierungstheoretische Konzepte gehen bezogen auf einen Staat endogen argumentierend davon aus, dass die Einführung von Massenmedien in sogenannten Entwicklungsländern einen wichtigen Schritt für ihre Modernisierung von traditionellen Gesellschaften über transitionale hin zu modernen, spätmodernen oder gar postmodernen Gesellschaften darstellen.“ (Hepp 2004, 435)

Modernisierungstheorien sehen vor, dass durch eine Modernisierung der gesell- schaftlichen Institutionen wie des Rechts, des politischen Systems, des Bildungs- wesens u.a. die Grundlage für Wirtschaftswachstum und damit einhergehen Wohl- fahrt geschaffen werden muss. Der Modernisierungsprozess kann als Zusammen- setzung verschiedener Subprozesse verstanden werden, nämlich: wirtschaftli- chem Wachstum, struktureller Differenzierung, Wertewandel, Mobilisierung, Parti- zipation und Institutionalisierung von Konflikten. Im Bereich der Entwicklungs- kommunikation beschreibt die Modernisierungstheorie die Modernisierung von traditionalen Gesellschaften durch den Einsatz von Massenmedien. In diesem Gebiet besonders einflussreiche Autoren für die UN-Arbeit sind Lerner, Pye, Schramm, Rogers und Sola Pool.

1.1.1 Daniel Lerner

Begründer der Modernisierungstheorie und der erste, der systematisch den Ein- fluss von Kommunikationsprozessen auf Entwicklung betrachtete, war Daniel Ler- ner. In seiner Studie „The Passing of Traditional Society“ 1958 untersuchte er, wie Menschen im Nahen und Mittleren Osten mit Wandlungsprozessen umgingen. Dabei erkannte Lerner deutliche Parallelen der Modernisierung in den untersuch- ten Ländern zur historischen Entwicklung industrialisierter Länder des Westens. Ausgehend davon konstatierte er einen Universalismus von Entwicklungsverläu- fen.

„Er geht davon aus, dass Kommunikationssysteme sowohl Indikator als auch Trä- ger sozialen Wandels sind.“ (Kunczik 1985, 76) Dabei verlaufe der Wandel immer in eine Richtung, nämlich vom mündlichen zum medialen Kommunikationssystem moderner Gesellschaften. Diese beiden Grundgestalten stellt er idealtypisch wie folgt gegenüber:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Sozialstrukturelle Merkmale traditionaler und moderner Gesellschaften (Quelle: Lerner 1957, 132; in Kunczik 1985, 132)

Den Modernisierungsprozess, den Lerner primär als Kommunikationsprozess ver- steht, hält er für unausweichlich und begründet dies damit, dass weltweit eine fort- schreitende Urbanisierung zunehmende Alphabetisierung und damit verbunden einen gesteigerten Medienkonsum zu Folge hat. Dies stehe wiederum im Zusam- menhang mit dem Pro-Kopf-Einkommen und mit vermehrter politischer Partizipati- on. Im Prozess der Modernisierung stellen lokale oder nationale Kulturen Hinder- nisse dar, die es zu überwinden gilt. Dabei geht Lerner von einer Dichotomie von Tradition und Moderne aus. Auf ihrem Weg von Tradition zu Moderne durchlaufen transitionale Gesellschaften verschiedene Übergangsphasen.

1.1.1.1 Der Vierstufen-Prozess

Lerner entwickelte einen vierstufigen Prozess, der die verschiedenen Phasen be- schreibt, welche die Modernisierung durchläuft (vgl. Lerner 1958, 46; in Kunczik 1985, 79). Jede Phase stellt eine Voraussetzung für eine neue Phase dar. Aus- gangspunkt der Modernisierung ist demnach die Urbanisierung. Im städtischen Kontext könne sich eine moderne Industrie entfalten und nur hier sei der Ursprung physischer und sozialer Mobilität zu finden, von denen Impulse zur Entwicklung der Elementarbildung und zur Verbreitung von Massenmedien ausgehen. Der er- höhte Medienkonsum führe so eine moderne ökonomische, soziale und politische Partizipation der Menschen herbei.

Lerner verknüpft seine Modernisierungstheorie mit einem psychologisch- verhaltensorientierten Erklärungsmuster. Eine erfolgreiche Modernisierung der Gesellschaft erfordere demnach eine Änderung der Einstellung und des Verhal- tens jedes einzelnen Gesellschaftsmitgliedes. Menschen müssten sozial, physisch und in erster Linie psychisch mobil sein, um die traditionale Gesellschaftsform zu überwinden und der modernen näher zu kommen. Den Prozess der psychischen Mobilität bezeichnet Lerner als ‚Empathie‘, der Bereitschaft und Fähigkeit eines Menschen, sich in die Rolle, Einstellung und Umgebung anderer Menschen einzu- fühlen (vgl. Lerner 1958, 49 - 52; in Kunczik 1985, 77). Massenmedien nehmen in diesem Prozess eine besondere Stellung ein. Sie haben die Aufgabe, Menschen in traditionalen Gesellschaften andere modernere Weltbilder entwickelter Kulturen zu vermitteln und somit ihr Weltbild zu erweitern und ihre Innovationsbereitschaft zu erhöhen. Gegen die von Lerner durchgeführte Messung der Empathie wendet Kunczik (ebd., 78-79) ein, dass die Verwendung Lerners projektiver Fragestellung seiner Studie in nicht-westlichen Gesellschaften möglicherweise fehlerhafte Resul- tate erbringen. So wurde Probanden die Frage gestellt, was sie tun würden, wenn sie die Regierungsgewalt übernähmen. Ein „Mensch von der Straße“ könne sich diese Situation aber nicht vorstellen und sei nicht dazu fähig, diese Frage zu be- antworten.

Neben der Empathie betont Lerner die Bedeutung von rationalen Denkweisen. Der moderne rationale Mensch halte die Welt für machbar und glaube, dass seine Meinung etwas zählt. „Die moderne Persönlichkeit ist also ausgezeichnet durch Bereitschaft für neue Erfahrungen und Offenheit gegenüber Innovationen, eine demokratische Orientierung, die an durch Leistung begründete distributive Ge- rechtigkeit sowie die Würde des Menschen als Wertvorstellung impliziert, sowie ein planend vorausschauendes Handeln, das an der Machbarkeit der Welt und deren Beherrschung durch Wissenschaft und Technik orientiert ist.“ (ebd., 78) In seinem Buch stellt Lerner fest, dass die moderne Lebensweise und das rationalis- tisch-positivistische Denken, wie es in den industrialisierten Ländern wie den USA besteht, dem islamischen überlegen seien. So heißt es in seinem Buch: „The western society provides the most developed model of societal attributes (power, wealth, skill, rationality) which Middle East spokesmen continue to advocate as their own goal.” (Lerner 1958, 47; in Teves 2000)

Für Lerner ist Modernität ein interagierendes System. (vgl. Lerner 1963, 329; in Flora 1974, 34) All ihre Elemente bedingen sich gegenseitig und variieren. Zu dem sei Modernität ein Verhaltenssystem, weil alle Grundelemente auf dem Verhalten der einzelnen Individuen aufbauen. Also ist eine Gesellschaft nur so modern wie ihre Mitglieder selbst. Folglich sind transitionale Gesellschaften durch die ‚Instabili- tät‘ und das ‚Ungleichgewicht‘ ihrer Elemente gekennzeichnet. Er unterscheidet drei Formen der Instabilität:

„Instabilität als Produkt diskrepanter Veränderungen der Persönlichkeits- und der Sozialstruktur (individuelle Instabilität), Instabilität als Folge der Diskrepanzen zwischen den traditionalen, transitionalen und modernen Typen von Individuen (gesamtgesellschaftliche Instabilität: statischer Aspekt), Instabilität als Resultat einer Phasenverschiebung in der sozialstrukturellen Ent- wicklung (gesamtgesellschaftliche Instabilität: dynamischer Aspekt).“ (Flora 1974, 35)

[...]

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Theoretische Ansätze im Verlauf der Entwicklungskommunikationsforschung
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Internationale Kommunikationspolitik
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
29
Katalognummer
V94321
ISBN (eBook)
9783640105892
ISBN (Buch)
9783640116683
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theoretische, Ansätze, Verlauf, Entwicklungskommunikationsforschung, Internationale, Kommunikationspolitik
Arbeit zitieren
Clara Schwarz (Autor:in), 2008, Theoretische Ansätze im Verlauf der Entwicklungskommunikationsforschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94321

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