Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Die Ermordung des Hipparchos im Jahr 514 v. Chr
1.1 Vorgeschichte und Durchführung
1.2 Politisches Attentat oder persönliche Rache?
1.3 Die Problematik der Bewaffnung der Athener
II. Der Sturz der Tyrannis im Jahr 510 v. Chr
II.1 Die Bestechung der Pythia
II.2 Das Eingreifen Spartas
II.3 Die Rolle der Athener
III. Der Machtkampf in Athen
III.1 Die Ausgangssituation
III.2 Das Vorgehen des Kleisthenes
III.3 Isagoras Rückschlag
III.4 Der Triumph Athens
Fazit
Quellen- und Literaturverzeichnis
Einleitung
Als Solon im Jahr 594/93 zum Archon gewählt und als Diallaktes im Konflikt zwischen Adel und Volk eingesetzt wurde, hätte er sicher niemals damit gerechnet, dass knapp 50 Jahre später ein Tyrann, wenn auch erst beim dritten Anlauf, die Macht in Athen an sich reißen würde. Denn sein Bestreben, die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Athen zu beseitigen, hatte auch das Ziel der Gefahr der Entstehung einer Tyrannis entgegenzu- wirken1. Er erkannte die Notlage, in der sich Athen befand, und versuchte, die Bürger zu warnen, indem er ihnen vor Augen führte, dass sie ganz allein - nicht die Götter - für die herrschenden Missstände verantwortlich seien. Außerdem betonte er, dass jeder Bürger einen wichtigen Teil der Polis darstellt und somit unweigerlich zu ihr dazugehört. Das heißt, das Übel, dass in ihr herrscht, macht auch vor keinem Einzelnen ihrer Mitglieder Halt. Somit kann die Dysnomia auch nur erfolgreich überwunden werden, wenn sich alle, also jeder einzelne Bürger, am öffentlichen Leben beteiligt und sich an Maß und Wohlgesetz hält2. Zwar blieben Solons Gesetze auch über seinen Tod hinaus gültig, dennoch war die innere Wandlung, die er bei den athenischen Bürgern erreichen wollte, noch nicht vollzogen, so dass es Peisistratos gelang, eine Tyrannis aufzubauen, die immerhin über drei Jahrzehnte Bestand haben sollte. War Solons Hoffnung auf die Entstehung eines politischen Bewusstseins bei den Athenern also vergeblich oder legte er vielleicht den Grundstein dafür, dass die Athener letztlich dazu in der Lage waren, die Tyrannis und die ständigen Machtkämpfe zwischen den Aristokraten zu beenden? Dieser Frage, ob die dauerhafte Beseitigung der Tyrannis ein Ergebnis der Entwicklung eines politischen Verantwortungsbewusstseins der Athener oder doch nur ein Resultat persönlich motivierter Machtkämpfe zwischen einzelnen Aristokraten war, soll in dieser Arbeit nachgegangen werden.
Zunächst jedoch soll das Attentat im Jahr 514 v. Chr. als ein Versuch, die Tyrannis zu beenden, in den Blick genommen werden, bevor in Punkt II der erfolgreiche Sturz der Tyrannis behandelt wird. Es folgt eine Darstellung des anschließenden Machtkampfes in Athen, wobei auf die Frage, welche Rolle die Bürger bei der Verhinderung der Einrichtung eines spartanischen Regimes in Athen spielten, eingegangen wird.
I. Die Ermordung des Hipparchos im Jahr 514 v. Chr.
I.1 Vorgeschichte und Durchführung
Die Herrschaft in Athen wurde zunächst von den Söhnen des Peisistratos, bzw. von dem ältesten und maßgebenden Sohn Hippias, der die Regierung leitete3, im Sinne der gemäßigten Politik des Vaters fortgeführt und dementsprechend positiv von Thukydides beurteilt4. Dennoch gab es schon vor dem Jahr 510, in dem es dann tatsächlich gelingen sollte, Versuche, die Tyrannis in Athen zu beenden. Zum Einen erwähnt Aristoteles den missglückten Anschlag eines gewissen Kedon gegen die Tyrannen5, zum Anderen versuchten auch die Alkmeoniden aus dem Exil heraus immer wieder vergeblich ihre Rückkehr, die zwangsläufig mit der Entmachtung der Peisistratiden einhergehen musste, zu bewerkstelligen6. Ein weiterer Versuch, der beinahe zum Erfolg geführt hätte, war das von Harmodios und Aristogeiton ausgeführte Attentat im Jahr 514 v. Chr.. Anstoß hierfür war jedoch weniger die Beseitigung der Tyrannis, als vielmehr ein persönlicher Racheakt gewesen. Denn aufgrund der Zurückweisung seiner Liebes-Avancen hatte Hipparchos7, der Bruder des Hippias, den jungen Harmodios samt seiner Familie beleidigt, indem er seiner Schwester die versprochene Ehre, als Korbträgerin bei den Panathenäen aufzutreten, wieder absprach, da sie sich dafür als nicht würdig erweise. Daraufhin planten Harmodios und sein Freund Aristogeiton einen Anschlag auf die Tyrannen, der an jenem Fest der Panathenäen durchgeführt werden sollte8. Das Unternehmen erreichte sein Ziel jedoch nur teilweise, denn die beiden Attentäter glaubten sich verraten, als sie einen Mitverschwörer mit Hippias reden sahen. Um vor der erwarteten Festnahme wenigstens noch einen Teilerfolg zu erreichen, gingen sie Hals über Kopf auf Harmodios los, um ihn umzubringen. Zwar gelang ihnen dies, sie wurden jedoch beide - Harmodios sofort nach der Tat, Aristogeiton wenig später - gefasst und hingerichtet9.
I.2 Politisches Attentat oder persönliche Rache?
Im Nachhinein wurden die beiden Attentäter als Tyrannenmörder und Begründer der Isonomie in Athen glorifiziert, wie sich anhand eines Skolion aus dem Ende des 6. Jahrhunderts nachvollziehen lässt10. Dies entspricht schon allein deshalb nicht der Wahrheit, da der eigentliche Tyrann, Hippias, unversehrt blieb und bis zu seinem Sturz im Jahr 510 v. Chr. noch drei Jahre regierte. Dennoch finden sich in den Quellen auch Anklänge daran, dass von den Attentätern durchaus auch ein politisches Ziel mit verfolgt worden sein könnte. Schließlich beabsichtigten sie nicht nur den Beleidiger, also Hipparchos, umzubringen, sondern planten einen Anschlag, der zumindest auch Hippias treffen sollte11. Thukydides bezeichnet die Tat dementsprechend als ein „Befreiungswerk“ von der Tyrannis12. L. de Libero schließt dennoch eine politische Motivation für die Tat vollkommen aus, obwohl sie sowohl den Plan auch Hippias zu töten, als auch die Hoffnung der Attentäter mit ihrem Mord einen Volksaufstand auszulösen - der ja nur die Beifreiung von der Tyrannis zum Ziel haben kann - als gegebene Tatsachen hin- nimmt13. Fakt ist jedenfalls, dass es sich bei dem Attentat nicht vordergründig um einen politischen Umsturzversuch handelte, sondern Harmodios und Aristogeiton vor allem „an ihrem Beleidiger, um dessen Willen sie sich in das Abenteuer gestürzt hatten, Rache nehmen [wollten]“14.
Dass aber auch Hippias selbst eine gewisse politische Motivation nicht ausschloss, zeigt seine drastische Reaktion auf das Attentat: Seine Herrschaft wurde von nun an für die Athener drückender und er ließ vermeintliche und tatsächliche Komplizen der Ver- schwörer umbringen oder vertreiben15. Er war nun von einem von der Mehrheit der Athener akzeptierten Herrscher zum „sprichwörtlichen“ Tyrannen geworden.
I.3 Die Problematik der Bewaffnung der Athener
Ein Aspekt in den Maßnahmen des Hippias wirft allerdings Probleme auf: Thukydides schreibt, dass Hippias direkt im Anschluss an die Tat das Volk entwaffnen ließ16. Er geht davon aus, dass die Athener an den Panathenäen in Waffen auftraten. Aristoteles hingegen hält diese Annahme für falsch, da das Tragen der Waffen an diesem Fest erst später in Zeiten der Demokratie üblich gewesen sei17. Im Gegensatz zu H. Berve, der die Version des Aristoteles für wahrscheinlicher hält und die Entwaffnung als einfache Verdoppelung der Entwaffnung des Volkes durch Peisistratos ansieht18, meint L. de Libero, Thukydides habe Recht. Sie argumentiert zum einen damit, dass es nur im Fall eines bewaffneten Bürgerzuges plausibel erscheint, dass die Attentäter auf einen unterstützenden Volksaufstand hofften. Zum anderen hätten die selbst bewaffneten Attentäter nur in einer ebenfalls Waffen tragenden Menge die Chance nicht aufzufallen19. Letzteres erscheint nicht besonders stichhaltig, wenn man bedenkt, dass der Mord mit Hilfe von Dolchen durchgeführt wurde20, die man wahrscheinlich relativ gut unter dem Gewand verbergen konnte. Letztlich bleibt die Frage offen, welche der beiden Quellen der Wahrheit entspricht.
II. Der Sturz der Tyrannis im Jahr 510 v. Chr.
II.1 Die Bestechung der Pythia
Beim Sturz der Tyrannis spielt zunächst die Familie der Alkmeoniden eine große Rolle. Nach ihren vergeblichen Versuchen, gegen die Peisistratiden vorzugehen, verfolgten sie nun den Plan, Sparta - die stärkste Militärmacht in Griechenland zu dieser Zeit - gegen die Tyrannen zu mobilisieren. Da die Peisistratiden jedoch mit einigen Spartanern durch das Band der Gastfreundschaft verbunden waren, machten sie sich die Autorität des Orakels von Delphi zu Nutzen, das seit jeher sehr eng mit Sparta verbunden war, während die athenischen Tyrannen es vernachlässigten, ja sogar das konkurrierende Orakel am Ptoionberg bevorzugten und mit Weihegaben beschenkten21. Laut Herodot bestachen die Alkmeoniden die Pythia, so dass diese allen Spartanern, die sie um Rat fragten, auftrug, Athen von der Tyrannis zu befreien22. Diese Bestechung fand wohl in der Form statt, dass sich die Alkmeoniden mit dem Neubau des Apollontempels in Delphi, der im Jahr 548 bzw. 547 abgebrannt war, beauftragen ließen und diesen prächtiger als vertraglich festgesetzt, nämlich mit einer Front aus parischem Marmor anstatt aus Porosstein errichteten23. M. Stahl dagegen sieht in dem Tempelausbau keineswegs eine auf einen bestimmten Zweck hin ausgerichtete Bestechung, da damit kein direktes Kalkül verfolgt worden sei, sondern lediglich die allgemeine Abhängigkeit des Beschenkten und die Prestigeverbesserung, die mit einer solchen Schenkung verbunden ist. Schließlich hätten sich die Bemühungen der Alkmeoniden erst in dem Moment des Eingreifens der Spartaner praktisch ausgezahlt. M. Stahl geht also davon aus, dass das (von Delphi zunächst unabhängige) politische Aktivwerden der Spartaner und ihre daraus folgende Bereitwilligkeit die Ratschläge aus Delphi zu befolgen, Voraussetzung dafür waren, dass die Schenkung und damit verbundene Prestigeverbesserung der Alkmeoniden nun Früchte tragen konnte24.
II.2 Das Eingreifen Spartas
Herodot erzählt weiter, dass die Spartaner, nachdem sie immer wieder denselben Orakelspruch erhalten hatten, den Aristokraten Anchimolios mit einer kleinen Streitmacht - interessanterweise über den Seeweg - nach Attika sandten. Dieser erlitt allerdings gleich bei seiner Ankunft eine Niederlage gegen Hippias, da der von seinen Bundesgenossen, den Thessalern, Unterstützung erhielt. Daraufhin schickten die Spartaner ein größeres Heer, diesmal unter König Kleomenes I., über den Landweg hinterher, dem es dann gelang, die Thessaler zu besiegen und Hippias und seinen Anhang zum Rückzug auf die Akropolis zu zwingen25. Eine Belagerung schien eigentlich aussichtslos, da die Peisistratiden ausreichend mit Wasser und Lebensmitteln ausgerüstet waren26. Ein missglückter Fluchtversuch jüngerer Familienmitglieder der Peisistratiden brachte dann allerdings die Wende. Gegen Freilassung der gefangenen Kinder stimmten die Tyrannen zu, Attika innerhalb von fünf Tagen zu verlassen27.
[...]
1 Vgl. Karl-Wilhelm Welwei, Die griechische Frühzeit. 2000 bis 500 v. Chr., München 20072, S. 111.
2 Vgl. Sol. 3 D.
3 Vgl. Aristot. Ath. pol. 18, 1; Thuk. I, 20, 1.
4 Vgl. Thuk, VI, 54.
5 Vgl. Aristot. Ath. pol. 20, 5.
6 Vgl. Aristot. Ath. pol. 19, 3.
7 Thukydides nennt Hipparchos als den verschmähten Liebhaber (Thuk. VI, 54, 3), während es bei Aristoteles der jüngste Bruder, Thessalos, ist, der von Harmodios zurückgewiesen wird (Aristot. Ath. pol. 18, 2), H. Berve hält jedoch Thukydides Version für glaubwürdiger; vgl. Helmut Berve, Die Tyrannis bei den Griechen, München 1967, S. 559.
8 Vgl. Aristot. Ath. pol. 18, 2; Thuk. VI, 56.
9 Vgl. Aristot. Ath. pol. 18, 3f; Thuk. VI, 57.
10 Vgl. Berve, Die Tyrannis bei den Griechen, S. 69.
11 Vgl. Aristot. Ath. pol. 18, 3.
12 Thuk., VI, 56, 3.
13 Vgl. Loretana de Libero, Die archaische Tyrannis, Stuttgart 1996, S. 131.
14 Thuk. VI, 57, 3.
15 Vgl. Aristot. Ath. pol. 19, 1; Thuk. VI, 59, 2.
16 Vgl. Thuk. VI, 58.
17 Vgl. Aristot. Ath. pol. 18, 4.
18 Vgl. Berve, Die Tyrannis bei den Griechen, S. 69; 559.
19 Vgl. Libero, Die archaische Tyrannis, S. 132.
20 Vgl. Thuk. VI, 57, 1.
21 Vgl. Berve, Die Tyrannis bei den Griechen, S. 67; 70.
22 Vgl. Hdt. V, 63, 2.
23 Vgl. Hdt. V, 62, 3f; Berve, Die Tyrannis bei den Griechen, S. 70.
24 Vgl. Michael Stahl, Aristokraten und Tyrannen im archaischen Athen. Untersuchungen zur Überlieferung, zur Sozialstruktur und zur Entstehung des Staates, Stuttgart 1987, S. 133.
25 Vgl. Aristot. Ath. pol. 19, 5; Hdt. V, 63f.
26 Vgl. Hdt. V, 65, 1.
27 Vgl. Aristot. Ath. pol. 19, 6; Hdt. V, 65, 2f.
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- Sina Meinardus (Autor:in), 2008, Der Sturz der Tyrannis 510 v. Chr. und der anschließende Machtkampf in Athen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/944671
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