Phantomgeräusche. Wie Musik zum Feind wird


Seminararbeit, 2020

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


I. Einleitung

II. Phantomgeräusche – Musikalische Plagegeister

2. Der „Ohrwurm“
2.1 Der „Ohrwurm“ im Sprachgebrauch
2.2 Ein Einblick in die Forschung zum „Ohrwurm“-Phänomen
2.2.1 Verbreitung und Häufigkeit des Phänomens
2.2.2 Eigenschaften des Ohrwurms
2.2.3 Auswirkung auf die Stimmung

3. Musikalische Halluzinationen
3.1 Ein Versuch der Abgrenzung vom „Ohrwurm“-Phänomen
3.2 Worte einer Betroffenen
3.3 Musikalische Halluzinationen bei Schizophrenie
3.3.1 Fallbeispiele Betroffener
3.3.2 Zusammenfassung

4. (Pseudo-) Halluzinationen
4.1. Das auditive “Charles-Bonnet-Syndrom” (CBS)

III. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Schon früh hatte die Musik einen wichtigen Stellenwert in der Geschichte der Menschheit, welcher bis heute anhält. Musik wird oft als Spiegel der Seele betrachtet, als das Medium, das Gefühlen Ausdruck verleiht. Sei es die dröhnende elektronische Musik im Club, die die Menge zum Tanzen bringt oder die leise Klaviersonate, der mit einem Glas Rotwein in der Badewanne gelauscht wird. Musik begleitet uns täglich und dient oftmals der Erholung vom stressigen Alltag, der gemeistert werden muss. Dann, wenn wir uns wieder den Pflichten und Aufgaben stellen müssen, drehen wir die Musik ab und wenden uns den Sachen zu, die unsere volle Konzentration abverlangen. Doch was, wenn sich die Musik auf einmal nicht mehr einfach abdrehen lässt? Was, wenn auch jeglicher Versuch diese leiser zu stellen scheitert und sie von nun an Tag für Tag kommt und geht wann sie will, bleibend für mehrere Stunden oder doch nur einige Minuten? Was, wenn die Musik auf einmal in unseren Köpfen ist? Vorbei ist es dann mit der beruhigenden Musik, die uns für einige Minuten aus dem anstrengendem Alltag holt, ist sie doch nun der größte Stressfaktor. Sie begleitet uns zu jeder Sekunde und nun ist weder ein Gespräch führen noch einen klaren Gedanken fassen eine Option. Vor so einer Möglichkeit verschließen die meisten WissenschaftlerInnen ihre Augen, ist Musik doch oft ein Freund und Helfer bei Verhaltensstörungen, chronischen Schmerzen, depressiven Verstimmungen oder stressbedingten Beschwerden. Die Musik als Mittel zur Therapie soll körperliche Heilungsprozesse beschleunigen oder psychische Beschwerden lindern. Musik als Auslöser für all das, wird nur in wenigen wissenschaftlichen Studien hinterfragt. Wir alle erleben aber ein Phänomen selbst sehr häufig, das uns für Stunden oder manchmal Tage begleitet und meist als störend und ungewollt bekannt ist: der „Ohrwurm“.

Das Ereignis soll zu Beginn der Arbeit erläutert und dessen Verbreitung, Häufigkeit und mögliche Charakteristika mit der Hilfe wissenschaftlicher Studien bestimmt werden. Im weiteren Verlauf wird der Versuch unternommen musikalische Halluzinationen von dem Phänomen des „Ohrwurms“ abzugrenzen und die Unterformen dieser zu erklären und zu unterscheiden. Dafür werden etwaige Fallbeispiele verschiedener PatientInnen wissenschaftlicher Studien herangezogen.

II. Phantomgeräusche – Musikalische Plagegeister

2. Der „Ohrwurm“

2.1 Der „Ohrwurm“ im Sprachgebrauch

Er kommt ohne Vorwarnung, getarnt als harmlose Melodie, die zum mitsummen verleitet, später eine beinahe unerträgliche Dauerschleife: Der „Ohrwurm“ – ein kognitives Phänomen, bei dem ein musikalischer Abschnitt spontan in den Sinn kommt und ohne bewusste Kontrolle immer wieder wiederholt wird. Der „Ohrwurm“ ist in allen Kulturen bekannt. Im englischsprachigen Raum gab es lange keine konkrete Begrifflichkeit, man sprach von „sticky songs“ (Klebrige Lieder), ähnlich der russischen Phrase „ ПЕСHЯ ПPИЧЕПИЛАСЪ” (Das Lied klebt) oder aber auch „tormentone“ im Italienischen, das mit „Quäler“ übersetzt werden kann. Die ForscherInnen sprechen von „Involuntary Musical Imagery“ (INMI), also Musikbilder, die ungewollt entstehen (Williamson, et al., 2012, S. 259).

2.2 Ein Einblick in die Forschung zum „Ohrwurm“-Phänomen

2.2.1 Verbreitung und Häufigkeit des Phänomens

Das INMI ist kein seltenes Phänomen, eine Notwendigkeit für genauere Untersuchungen wurde somit schnell erkannt, welche sich allerdings schwierig gestaltet, da eine spontane Erzeugung beinahe unmöglich ist. Die eindeutigsten Befunde lassen sich in den Forschungen zu der Verbreitung des „Ohrwurms“ finden. Sowohl in James Kellaris‘ (2003) groß angelegten, nicht publizierten Studie, als auch Sean Bennetts Internet-Befragung (2002, S. 5), gaben 98% der TeilnehmerInnen an dieses Phänomen zu kennen und erlebt zu haben. Wird allerdings über die Häufigkeit des Auftretens des „Ohrwurms“ gesprochen, sind die Ergebnisse nicht einstimmig. Liikkanens Studie mit 11,910 TeilnehmerInnen berichtet von einem Vorkommen von mindestens einmal pro Woche bei 89,2% und sogar täglich bei 33,2% der Testpersonen (2011, S. 236), während Bennetts Umfrage nur bei 23,48% einen täglichen Ohrwurm angeben kann. Desweiteren nennt er, von 32,74% der Probanden mehrmals monatlich und von 30,25% mehrmals wöchentlich erlebte, MIRs (Musical Imagery Repitition) (Bennett, 2002, S. 18). Meist wurde das Phänomen erst kürzlich erlebt, anhaltend meist für ein paar Stunden. Auch Beaman & Williams untersuchten, ähnlich wie Liikanen, das Auftreten von INMI. Deren Fokus jedoch lag auf den alltäglichen Mustern. In der Umfrage befragten sie 103 TeilnehmerInnen im Alter von 15 – 57 Jahren.

Alle der Befragten hatten das „Ohrwurm“-Phänomen zu diesem Zeitpunkt bereits erlebt und berichteten von einem Anhalten über einen signifikanten Zeitraum. 88,2% gaben eine Dauer von Stunden oder sogar länger an (Beaman & Williams, 2010, S. 640).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Dauer einer durchschnittlichen MIR-Episode (Bennett, 2002, S. 19)

Die Dauer einer durchschnittlichen MIR-Episode war unterschiedlich, allerdings durchaus ähnlich den Ergebnissen Halperns & Bartletts. Diese führten zwei Studien durch: Für erstere füllten 18 StudentInnen der University of Texas in Dallas im Alter von 18 – 21 Jahren eine Umfrage aus, die ihre Erfahrung mit „Ohrwürmern“ retrospektiv zusammenfasste. Weiters wurden sie gebeten über einen Zeitraum von sieben Tagen alle anhaltenden Hörerfahrungen zu verfolgen und unter anderem die Art des Erlebnisses, die Dauer und Tageszeit schriftlich festzuhalten. Das Phänomen des Ohrwurms wurde recht häufig erlebt; 13 von 18 TeilnehmerInnen berichteten von mehrmals pro Woche oder beinahe täglich (Halpern & Bartlett, 2011, S. 426). In den Tagebüchern der Testpersonen wurden insgesamt 102 „Ohrwürmer“ vermerkt, pro Person ergibt dies einen Median von 5 Einträgen. Wurde von dem Phänomen mindestens drei Mal berichtet, konnte festgestellt werden, dass diese nicht gebündelt an einem Tag, sondern über mehrere Tage hinweg, auftraten (S. 426). Die Dauer der „Ohrwürmer“ variierte allerdings wesentlich. Ausgewertet wurde ein Zeitraum von 2 – 240 Minuten, einen Mittelwert von 36 Minuten pro Person ergebend (S. 427).

In der Bevölkerung scheint der „Ohrwurm“ demnach ein bekanntes Phänomen zu sein, das mindestens ein- bis mehrmals wöchentlich auftritt.

2.2.2 Eigenschaften des Ohrwurms

Sprechen ForscherInnen über die Bekanntheit der Musik, die bei einem „Ohrwurm“-Phänomen erlebt wird, herrscht weitgehend Einigkeit. In Halpern & Bartletts Tagebuch-Studie berichteten 96% der TeilnehmerInnen, dass die Melodien, die als Ohrwurm wahrgenommen wurden, bekannt waren (2011, S. 426). Auch Beaman & Williams Auswertung wurde von geläufiger Musik dominiert, dennoch merkten 26% der Studienbeteiligten an eine noch nie gehörte Melodie vernommen zu haben (2010, S. 641), bei Liikkanen allerdings nur 16% (2011, S. 243). Die Genres, die bei INMIs auftraten, erwiesen sich als variabel. Sie reichten von populären Weihnachtslieder über eine Auswahl an Gospels bis zu Filmmusik (Beaman & Williams, 2010, S. 427).

2.2.3 Auswirkung auf die Stimmung

Bezüglich der Datenlage, die ein eindeutiges Ergebnis zu einem Einfluss auf die Stimmung der Testpersonen bei einem „Ohrwurm“-Erlebnis erzielen soll, gibt es ersichtliche Differenzen. Während Halpern & Bartlett 55% angenehme und nur 15% unangenehme Erfahrungen mit INMIs dokumentierten (2011, S. 428), äußerten sich die TeilnehmerInnen in Bennetts Auswertung nur zu 14,3% positiv und zu 30,1% negativ im Hinblick des kürzlich erlebten Phänomens. 59,8% beschrieben dieses zuerst mit positiven Begriffen, bevor sie doch schlussendlich zu negativ konnotierten Aussagen übergingen. Als meist genannte Verben in diesem Zusammenhang sind „nervig“, „störend“, „frustrierend“, „ablenkend“, aber auch „angenehm“, belustigend“ und „tröstlich“ gefallen (Bennett, 2002, S. 21).

3. Musikalische Halluzinationen

3.1 Ein Versuch der Abgrenzung vom „Ohrwurm“-Phänomen

Eine ähnliche Art von nicht für andere hörbare, innere Musik, die dennoch nach Moseley et al. nicht direkt mit dem Phänomen des Ohrwurms vergleichbar ist (2018, S. 93), bezeichnet die Wissenschaft als „musikalische Halluzinationen“. Doch wo die Grenze zwischen diesen beiden Erfahrungen zu ziehen ist, ist den ForscherInnen noch unklar. Während einige WissenschaftlerInnen den Ansatz vertreten, der „Ohrwurm“ könne als akustische Halluzination verstanden werden, da beide unfreiwillig erlebt werden, merkt Hemming an, dass es sich bei diesem um ein Alltagsphänomen handelt. Halluzinationen hingegen werden als „pathologische Erscheinungen“ gewertet, da derartige Sinneseindrücke für real gehalten und in der äußeren Umgebung lokalisiert erlebt werden (2009, S. 186). Was jedoch die Kontrolle über die jeweiligen Erlebnisse betrifft, konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden; keines war in einer bestimmten Art und Weise kontrollierbar (Moseley, Alderson-Day, Sukhbinder, & Fernyhough, 2018, S. 89). Ein weiteres Merkmal, das MH von INMI unterscheidet, ist laut Moseley et al. das Vorkommen von Text. Bei musikalischen Halluzinationen trat signifikant weniger Text auf, als bei anderen Formen innerer Musik, während „Ohrwürmer“ mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit solchen aufwiesen (2018, S. 89). Weniger als die Hälfte der TeilnehmerInnen berichteten textlichen Inhalt gehört zu haben (S. 92). Eine Melodie war jedoch bei 97,3% der TeilnehmerInnen erkennbar, welche sich aber dennoch nicht in der Lage sahen mit MH mitzusummen oder nach dem Erlebnis das Gehörte wiederzugeben (S. 91). Das Genre war ebenso variabel wie das des „Ohrwurm“-Phänomens. Festgestellt werden konnte aber, dass klassische Musik am Häufigsten im Zusammenhang mit MH (47,7%) und Pop bei „Ohrwürmern“ (66,0%) in Erscheinung getreten sind (S. 88). Bezüglich der Bekanntheit der vernommenen Musik lassen sich klare Unterschiede in der Datenlage erkennen. Moseley et al. berichteten, dass MH weniger bekannt bewertet wurden als „Ohrwürmer“; Evers & Ellger widerlegten dies allerdings mit einem kontrastierenden Ergebnis von 78% bekannter und nur 7% unbekannter Musik (2004, S. 59). Oft werden die Melodien bei MH als eigene musikalische Schöpfung erkannt (S. 93).

Es gibt einen definitiven Mangel an Forschungen über die Phänomenologie von musikalischen Halluzinationen, die nur einen Bruchteil der auditiven Halluzinationen, d.h. ein bewusstes Erleben von Geräuschen, die in Abwesenheit eines tatsächlichen sensorischen Inputs auftreten, ausmachen. Eine Grenze zwischen dem „Ohrwurm“-Phänomen und MHs zu ziehen gestaltet sich somit als schwierig, vor allem aus dem Grund der Uneinigkeit über die Merkmale, welche musikalische Halluzinationen überhaupt ausmachen. Trotz der Lücken in der Literatur zur Phänomenologie der MH, legten Moseley et al. durch die Ergebnisse ihrer Studie einige Merkmale fest, die MHs von INMIs abgrenzen: Musikalische Halluzinationen sind weniger kontrollierbar, inhaltlich weniger vertraut, werden eher in der äußeren Umgebung lokalisiert, sind weniger repetitiv, enthalten seltener Text und werden oft als eigene musikalische Schöpfung erkannt, als „Ohrwürmer“ (S. 93).

3.2 Worte einer Betroffenen

Um die Erschwernisse Betroffener im Alltag zu verdeutlichen, dokumentierte Diana Deutsch in ihrem Buch „Musical Illusions and Phantom Words: How Music and Speech Unlock Mysteries of the Brain“ (2019, S. 128-150) die Schwierigkeiten dreier Patientinnen, die von musikalischen Halluzinationen berichteten. Das Erlebnis trat unerwartet auf, sei es ein nächtliches Aufschrecken durch die vernommenen Töne oder bei einer normalen, alltäglichen Situation wie während eines Einkaufs. Erst nach einigen gescheiterten Versuchen die Musikquelle zu finden, mussten sich die Betroffenen eingestehen, dass diese sich wohl in ihren Köpfen befindet und jeglicher Fluchtversuch ausgeschlossen ist. Eine der Patientinnen, Hazel Menzies, beschrieb ihre „Ghostly Choruses“ (2019, S. 129) so: Es handelte sich um Choralmusik, deren Intensität variierte. Textinhalte konnten zwar nicht verstanden werden, allerdings sprach sie von wort-ähnlichen Klängen, die hauptsächlich Vokale und einige Zischlaute beinhalteten (S. 130). Die Musik stellte sich zu einem gewissen Grad als ein eigenes Werk dar, da die Melodiefolgen nicht bekannt waren, doch die Klänge klar den allgemeinen Regeln der Harmonielehre folgten (S. 131).

3.3 Musikalische Halluzinationen bei Schizophrenie

Wird von Halluzinationen im Zusammenhang mit der Diagnose „Schizophrenie“ gesprochen, denken die meisten an die berüchtigten „Stimmen im Kopf“. Diese fälschliche Trugwahrnehmung fällt unter eine auditive oder akustische Halluzination, welche keinen Ursprung in der Außenwelt hat. Beschrieben werden Erfahrungen innerer Worte oder Geräusche, die von den eigenen Gedankenprozessen losgelöst wahrgenommen werden (Waters, 2010). Der Gehörsinn ist im Vergleich zu anderen Sinnesbereichen am häufigsten von solchen Täuschungen betroffen (Finke, 1973, S. 320). Diese Form fälschlicher Sinneswahrnehmungen spielt bei einigen psychiatrischen Störungen eine wichtige Rolle, wie etwa bei 75% an Schizophrenie Erkrankten. Desweiteren wird eine Wahrscheinlichkeit von 20-50% bei bipolarer Störung, 40% bei posttraumatischer Belastungsstörung und 10% bei schwerer Depression mit psychotischen Zügen geschätzt (Waters, 2010).

Musikalische Halluzinationen bekamen in der Schizophrenie-Forschung bis zum heutigen Tage wenig Aufmerksamkeit, da sie im Gegensatz zu den, von ForscherInnen als Hauptform angesehenen, verbalen Halluzinationen, eine Form von akustischen Halluzinationen, weniger verängstigend für Betroffene sind. Baba & Hamad (1999) untersuchten in ihrer wissenschaftlichen Studie vier PatientInnen, die über diese Form von Trugwahrnehmungen klagten.

3.3.1 Fallbeispiele Betroffener

Patientin A machte ihre erste Erfahrung mit verbalen Halluzinationen während ihrer Zeit auf dem College. Sie fühlte, als würde sie beginnen zu hören was sie zu diesem Moment dachte, doch die Stimme war nicht klar. Im Alter von 25, begann Mozarts Klaviersonate K 331 zu spielen. Wahrnehmen konnte sie das Werk in allen Details, doch jeglicher Versuch es zu stoppen oder zu diesem Zeitpunkt an einfachen Konversationen teilzunehmen, scheiterte. 13 Jahre später erschienen plötzlich Stimmen in ihrem Kopf, die ihr Anweisungen gaben und sich über sie lustig machten. Zur selben Zeit traten Melodien wie Chopins Fantasie impromptu, Grande valse brillante und Strauss‘ Frühlingsstimmen, welche sie selbst gerne hörte und spielte, in einer Männerstimme auf. Die Stimmen, die bei den Melodien auftraten, variierten und waren teilweise bekannt. Die Patientin gab an, sehr verzweifelt zu sein, gleich ob es sich um Stimmen oder Melodien handelte (Baba & Hamada, 1999, S. 243).

Nach einem erfolgreichen High School Abschluss, aber gescheiterten Versuch das College-Aufnahmeverfahren zu bestehen, entwickelte Patientin B erste Symptome, unter anderem eine Sozialphobie, Anorexie, depressive Verstimmung, Schlaflosigkeit und suizidale Tendenzen. Durch Medikamentengabe verbesserten sich ihre Beschwerden und sie wurde nach einem Monat aus der Behandlung entlassen. Mit 37 Jahren traten erstmals wieder abnorme Körpersensationen sowie teils visuelle und kommentierende verbale Halluzinationen auf. Zusätzlich zu den halluzinierten Kirchenbilder, fing sie an die Gotteslieder, die sie selbst in der Kirche sang, mehrmals am Tag für einige Minuten zu hören. Versuche dies zu unterbinden scheiterten (S. 244).

Während Patient Cs musikalische Halluzinationen durch das Musikthema einer Fernsehshow bestimmt wurden, hörte Patient D Musik aller Art, reichend von klassischen Werken bis hin zu dem Beatles Song Let it be und weiter. Die Begleitung der Stücke kannte er nicht, die Stimmen jedoch klangen klar. Er gab zwar an, dass die musikalischen Halluzinationen angenehmer waren als verbale, da es ihm möglich war die Musik zu ändern, dennoch litt er darunter, dass er diese nicht stoppen konnte, wenn er wollte. Wann auch immer er die Musik änderte, sprach eine Stimme zu ihm „Ich ändere es für dich“ (S. 245).

3.3.2 Zusammenfassung

Wie bereits erwähnt, wurden musikalische Halluzinationen bis jetzt kaum im Zusammenhang mit Schizophrenie genannt. Trotz der wenigen Berichterstattungen, sind MH als Symptom der Schizophrenie keinesfalls selten (Baba & Hamada, 1999, S. 249). So auch bei den eben vorgestellten Fallberichten der vier PatientInnen, die eine Vielfalt von musikalischen Halluzinationen darstellten; ähnliche Charakteristika können dennoch bei allen Beispielen erkannt werden:

Im Frühstadium der Erkrankung zeigten sich Repräsentationen von Erinnerungen, wie bekannte Kinderlieder, Lieblingslieder, Titelsongs von Fernsehserien oder Werbesongs, die den Betroffenen im Gedächtnis geblieben sind. Schritt die Krankheit weiter fort, durchliefen die Melodien eine Entwicklung vom Abstraktem zum Konkreten (Baba & Hamada, 1999, S. 249). Selten traten musikalische Halluzinationen allein auf, meist waren sie verknüpft mit „Stimmen im Kopf“. Den PatientInnen fiel es stets schwer sich auf Konversationen zu konzentrieren, da es ihnen weder möglich war die Musik auszublenden noch „abzuschalten“. Dennoch wurden MH als weniger unangenehm als verbale Halluzinationen genannt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Phantomgeräusche. Wie Musik zum Feind wird
Hochschule
Universität Wien  (Musikwissenschaft)
Veranstaltung
Neurologische Aspekte der Musikpsychologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
15
Katalognummer
V945055
ISBN (eBook)
9783346280022
ISBN (Buch)
9783346280039
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ohrwurm, Musikalische Halluzinationen, Schizophrenie, Charles-Bonnet-Syndrom, Pseudo-Halluzinationen, Phantomgeräusche
Arbeit zitieren
Sabrina Schmidbauer (Autor:in), 2020, Phantomgeräusche. Wie Musik zum Feind wird, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/945055

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