Obwohl Kafka der Tagespolitik fern gestanden haben mag, scheint er die sozialen Probleme der Gesellschaft seiner Zeit durchaus genauso deutlich erkannt zu haben, wie seine politisch ambitionierten Zeitgenossen. In diesem Sinne haben Kritiker insbesondere Kafkas Erzählung „Der Kübelreiter" als ein Prosagedicht über die Verlorenheit des Menschen in unserer Welt angesehen sowie als eine Erzählung, die Kafka unabhängig von Armut und selbst vom Krieg schreiben musste, weil er die geistige Lage der Welt so tief durchdrang. Diese Ansichten spielen auf die Bedeutung der generellen sozialen Problematik im „Kübelreiter" an und legen nahe, dass es sich bei dieser Erzählung um ein wichtiges literarisches Dokument ihrer Zeit handelt.
Jedoch scheint es eher Kafkas Intention zu entsprechen, dass er die aktuellen äußeren Lebensumstände nur aufnahm, um sie zu Bildern für die eigene innere Situation zu machen. Da das zentrale Motiv im „Kübelreiter" das der Kälte ist, liegt es zwar einerseits nahe, das Leiden des Protagonisten als Darstellung des allgemeinen Leidens des Menschen in einer sozial kalten Welt zu sehen. Andererseits ist aber auch zu bedenken, dass Kafkas Beschäftigung mit dem Motiv der Kälte biografisch begründet ist. Somit drückt die Kälte, eine physisch unangenehme Empfindung, auch Kafkas psychisch leidvolle Situation des Ausgeschlossenseins aus. Aufgrund seines Künstlerwunsches nach dem absoluten Alleinsein entbehrte Kafka nämlich sein menschliches Bedürfnis nach persönlicher Verbundenheit, weshalb im „Kübelreiter" auch sein Konflikt mit der bürgerlichen Existenz Gestalt annimmt.
Im Folgenden soll „Der Kübelreiter" ausführlich analysiert werden. Dazu ist es zunächst notwendig, die Entstehungsgeschichte dieser Erzählung zu behandeln, um den Bezug des „Kübelreiters" auf die sozialen Verhältnisse der Zeit zu sehen. Anschließend wird dann die Darstellung des Motivs der Kälte, vor allem das der zwischenmenschlichen Kälte, untersucht werden. Abschließend soll diese Erzählung dann im Hinblick auf Kafkas eigene Lebensproblematik behandelt werden. Dabei wird auf die Bedeutung von Kübelreiter und Kohlenhändler als Repräsentanten für Kafkas Konflikt zwischen künstlerischer und bürgerlicher Existenz einzugehen sein.
Inhaltsverzeichnis
- 0. Einleitung
- 1. Die Entstehungsgeschichte von Franz Kafkas „Der Kübelreiter“
- 2. Die Darstellung des Motivs der Kälte in Franz Kafkas „Der Kübelreiter“.
- 3. Die Bedeutung von Kübelreiter und Kohlenhändler als Repräsentanten für Kafkas Konflikt zwischen künstlerischer und bürgerlicher Existenz in Franz Kafkas „Der Kübelreiter“
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert Franz Kafkas Erzählung „Der Kübelreiter“ und untersucht die Entstehungsgeschichte, die Darstellung des Motivs der Kälte sowie die Bedeutung von Kübelreiter und Kohlenhändler als Repräsentanten für Kafkas Konflikt zwischen künstlerischer und bürgerlicher Existenz.
- Die Entstehungsgeschichte von „Der Kübelreiter“ und der Kontext der Entstehung
- Die Rolle des Motivs der Kälte in der Erzählung
- Die symbolische Bedeutung von Kübelreiter und Kohlenhändler
- Die Darstellung von Kafkas eigenem Konflikt zwischen Künstlerdasein und bürgerlicher Existenz
- Die Relevanz der Erzählung im Kontext der sozialen und kulturellen Situation des frühen 20. Jahrhunderts
Zusammenfassung der Kapitel
0. Einleitung
Die Einleitung stellt Franz Kafka als „unzeitgemäßen Zeitgenossen“ vor und beleuchtet sein Interesse an der eigenen „inneren Welt“. Die Arbeit betont Kafkas Selbstverständnis als Schreiber, der durch seine Werke eine intuitive symbolhafte Selbstfindung anstrebt. Die Einleitung hebt die Bedeutung des Themas der Unvereinbarkeit von bürgerlicher Existenz und Künstlerdasein in Kafkas frühen Erzählungen hervor, die sich mit den Lebenskonflikten auseinandersetzen, in die er durch sein Schreiben geriet.
1. Die Entstehungsgeschichte von Franz Kafkas „Der Kübelreiter“
Dieses Kapitel behandelt die Entstehungsgeschichte von „Der Kübelreiter“ und stellt die maßgebliche Datierung von Pasley und Wagenbach vor, die die Erzählung in den Januar oder Februar 1917 verorten. Der Kontext der Entstehung wird erläutert, indem auf Kafkas produktive Arbeitsweise und die Nutzung einer „kohlenlosen“ Wohnung als „Arbeitswohnung“ eingegangen wird. Die Arbeit beleuchtet die geplante Aufnahme von „Der Kübelreiter“ in den Band „Ein Landarzt“ und die spätere Streichung. Zudem wird die geplante, aber nicht erfolgte Publikation in der Monatsschrift „Das junge Deutschland“ und die letztendliche Veröffentlichung in der Weihnachtsbeilage der „Prager Presse“ im Jahr 1921 thematisiert.
Schlüsselwörter
Franz Kafka, „Der Kübelreiter“, Entstehung, Kälte, Künstlerdasein, bürgerliche Existenz, soziale Probleme, symbolhafte Selbstfindung, Konflikt, literarisches Dokument, Kohlenhändler, Kübelreiter, innere Welt, Außenseiter, Lebenskonflikte,
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- Sirinya Pakditawan (Author), 2003, Franz Kafkas "Der Kübelreiter". Das Motiv der Kälte und Kafkas Konflikt zwischen künstlerischer und bürgerlicher Existenz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94522