Lektionen aus dem Metallrecycling des Mittelalters und der frühen Neuzeit für die Zukunft


Hausarbeit (Hauptseminar), 2020

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Recyclingvorgänge und Recyclingvarianten

3 Bedeutung des Metallrecyclings im Mittelalter

4 Fallbeispiele für Recycling von Alltagsgegenständen aus Metall

5 Lektionen aus der Vergangenheit für die Zukunft

6 Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

1 Einleitung

Das Recycling von Rohstoffen – insbesondere von Metallen – wird heutzutage vielfach thematisiert und ist vor allem in Bezug auf eine nachhaltigere Gestaltung unserer Wirtschaftskreisläufe Gegenstand von Diskussionen. In der vorliegenden Arbeit geht es um das Metallrecycling im Alltag des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit in Europa. Dabei wird die Frage im Vordergrund stehen, inwieweit sich aus der Recycling-Mentalität dieser Zeit Handlungsvorschläge für den heutigen Umgang mit Produkten und Ressourcen, vor allem Metallen, ableiten lassen. Bemerkenswert ist für die Zeit des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, dass Recycling im Allgemeinen und speziell das Recycling von Altmetall eine wesentlich wichtigere Rolle im Alltagsleben der Bevölkerung gespielt hat als heute – Materialien wurden mehr wertgeschätzt und Dinge des täglichen Gebrauchs konsequent umgenutzt bzw. wiederverwertet. Die Quellenlage gestaltet sich jedoch schwierig, da es für Altmetalle oft nur mündliche Vereinbarungen gibt. Schriftliche Zeugnisse für das Metallrecycling tauchen daher oft nur bei Konflikten um Altmetall auf. Als Quellen herangezogen werden daher städtische Verordnungen sowie Inventare und auch Eingaben von Privatpersonen.

Bisher wurden in der Forschung sekundäre Produktkreisläufe und Recycling – zugunsten der primären Märkte – eher weniger betrachtet. Woodward (1985) kann daher als Pionier auf dem Gebiet des Recyclings in der vorindustriellen Zeit angesehen werden. In jüngerer Zeit haben sich vor allem Stöger und Reith mit dem Thema befasst, wobei der Fokus nicht auf bestimmte Waren begrenzt war. Auch Tschudin1 und Cassitti betonen in kürzeren Aufsätzen die Wichtigkeit von Metallrecycling für das Alltagsleben der Menschen im Mittelalter. Trotzdem ist das Thema bisher in der Forschung zu kurz gekommen. Da speziell für das Metallrecycling im späten Mittelalter bisher entweder umfassende Studien fehlen oder die Thematik häufig nur nebensächlich angeschnitten wird, kann man auch von einem blinden Fleck in der Forschung sprechen.

Nach einer kurzen grundsätzlichen Abhandlung über verschiedene Recyclingvorgänge und -Variationen wird anhand spezifischer Fallbeispiele die Bedeutung des Recyclings von Alltagsgegenständen und anderer Dinge des täglichen Lebens aus Metall herausgearbeitet. Schlussendlich wird dieser Aufsatz mit einer Denkanregung enden, welche Schlüsse unsere heutige Konsum- und Wegwerfgesellschaft aus den Recyclingmethoden des Mittelalters ziehen kann. Das Mittelalter kann hierbei als Beispiel dienen, wie man Dinge des täglichen Gebrauchs vor allem wertschätzt, aber auch lokal recycelt und bewusst damit umgeht, um nachhaltiger zu leben.

2 Recyclingvorgänge und Recyclingvarianten

Um zu verstehen, wie Metallrecycling im Allgemeinen funktioniert hat, müssen zunächst die verschiedenen Recyclingabschnitte eines Produktes genauer betrachtet werden.2 Zu Beginn des Recyclingvorgangs von Metallgegenständen steht grundsätzlich der materielle Funktionsverlust, der sich in einem Defekt äußert. Dieser wird entweder durch Materialermüdung oder Beschädigung herbeigeführt. Ein weiterer Nutzen kann somit nur noch durch die Investition von Mehrarbeit geschaffen werden. An den ersten Schritt schließt dann die Auslese an, an deren Ende man die Objekte in drei verschiedene Kategorien einteilen kann: Objekte, die repariert werden können, sekundäre Rohstoffe (z.B. Altmetall) und Müll.

Wie auf Abb. 1 dargestellt, entstehen auf diese Weise nicht nur primäre, sondern auch sekundäre Produktionskreisläufe.3

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Schematische Darstellung der Recyclingkreisläufe

Nachdem man die Metallgegenstände sortiert hat, kann anschließend die Weiterverarbeitung vorgenommen werden – das eigentliche Recycling. Hierbei unterscheidet man zwischen subtraktivem Recycling und additivem Recycling. Bei subtraktivem Recycling wird durch „Wegnahme von Material oder Bestandteilen ein neuer, funktionstüchtiger Gegenstand hergestellt“4, wohingegen additives Recycling Hinzufügen von Material erfordert. Des Weiteren kann man durch Verformung des alten Gegenstandes (Deformatives Recycling) oder durch Zerlegung in die Grundbestandteile (Destruktives Recycling) ein altes Metallobjekt als neuen Gegenstand nutzen.5 Durch den hohen Materialwert von Metallen im Mittelalter, wurden diese daher nicht einfach weggeworfen, sobald sie defekt waren, sondern boten sich sehr gut dafür an, um in die sekundären Produktkreisläufe miteinbezogen zu werden und zu neuen Gegenständen gemacht zu werden – insbesondere, da, die Lohnkosten derer, die das Metall bearbeiten, im Vergleich zu den Materialkosten relativ gering waren.6

Zusammenfassend gesagt, ist also grundsätzlich das Recycling so durchzuführen, dass entweder die Form des Metallobjektes im Wesentlichen beibehalten wird oder es zu einer Veränderung der Form des Gegenstandes kommt. Diese Vorgehensweise mit subtraktivem, additivem, destruktivem oder deformativem Recycling wird in Abbildung 2 schematisch eingeordnet.7 Am Ende des Recyclingvorgangs stehen daher viele unterschiedliche Möglichkeiten, wie aus einem alten Gegenstand ein neues Endprodukt geschaffen werden kann.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Mögliche Verarbeitungswege metallischer Gegenstände

Nachdem die grundsätzlichen Schritte und Varianten des Recyclings besprochen wurden, muss in einem nächsten Schritt die Bedeutung des Metallrecyclings für den Alltag der Menschen und das Wirtschaftsleben im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit genauer betrachtet werden.

3 Bedeutung des Metallrecyclings im Mittelalter

Dass das Metallrecycling im Mittelalter und in der frühen Neuzeit eine sehr wichtige Rolle gespielt hat, darüber ist sich die Forschung einig8. Worin diese hohe Bedeutung genau lag, wird im Folgenden beleuchtet.

Zunächst ist festzuhalten, dass Metallrecycling eine große Bedeutung für die Gesamtökonomie hatte, vor allem auch in den Städten. Sekundäre Märkte mit gebrauchten Metallwaren spielten insbesondere für die städtische Ökonomie eine nicht zu unterschätzende Rolle.9 Große Teile der gesamten Metallversorgung waren auf die Bereitstellung von recycelten Metallrohstoffen oder das Neubearbeiten alter Gegenstände aus Metall angewiesen.10 Daher hatten auch die Herrschenden, beispielsweise die Fürsten, dafür Sorge zu tragen, dass „in ihrem direkten Herrschaftsbereich die Versorgung mit Altmetall gesichert war.“11 Gelang dies nicht im lokalen Rahmen, so musste teilweise auch überregionaler Handel mit Altmetallen betrieben werden; In Irland begann man zum Beispiel bereits ab 16. Jahrhundert Altmetall in großem Stil nach England zu exportieren, um dort die Versorgung sicherstellen zu können.12 Auch die hohe Zollbelastung auf Altmetall ist ein Indiz dafür, dass der Wert sehr hochgeschätzt wurde. So findet sich im Basler Pfundzolltarif von 1489 der explizite Hinweis auf Altmetalle, die ebenfalls zu verzollen waren.13 Man kann also sagen, dass gebrauchte Metallgegenstände und Altmetall essenziell für die Wirtschaft waren.

Doch nicht nur für die Wirtschaft allgemein, sondern auch für Privatpersonen spielten recycelte Metalle eine große Rolle, egal ob durch additives, subtraktives, deformatives oder destruktives Recycling. In der vormodernen Knappheitsgesellschaft war daher die Wieder- und Weiterverwertung für viele eine notwendige Überlebensstrategie, die ein enormes Sparpotential vor allem für die einfache Bevölkerung, aber auch für höhere soziale Schichten hatte.14 Daher lag der Fokus auch primär auf ressourcensparenden Herstellungsverfahren.15 Neben den naturgemäß aufwendigeren Einschmelzungsverfahren von Altmetallen, bot vor allem die Umnutzung von alten Gegenständen, bei der so weniger Aufwand betrieben werden musste, ganz pragmatische Lösungen zur Wiederverwertung. So wurde beispielsweise im bayerischen Franzheim eine Lanzenspitze geborgen, die zu einer Harpune umgearbeitet worden war.16 Drei weitere konkrete Fallbeispiele für Metallrecycling im Mittelalter und in der frühen Neuzeit werden im nächsten Kapitel genauer betrachtet. Da jedoch viele Metallwaren sehr langlebig und robust waren, wurden sie oftmals auch von einer Generation zur nächsten weitergegeben; so wurden häufig Küchenutensilien, wie Messingtöpfe, den Nachkommen vermacht, nicht nur über eine Generation hinweg, sondern sehr häufig auch über mehrere Generationen.17 Die Weitergabe stellt gewissermaßen im übertragenen Sinne auch eine sehr nachhaltige Nutzung von Dingen dar. Dass nahezu alles Metall im alltäglichen Leben der Menschen weiter- oder wiederverwendet wurde, zeigt sich auch daran, dass es nur sehr wenige archäologische Metallfunde für diese Zeit gibt.18 Das geht so weit, dass man sich als Wissenschaftler bei jedem Metallfund die Frage nach einer Erklärung für diesen Fund stellen muss, z.B. ob es sich um einen Verlustfund handelt oder der Fund Folge einer Kriegszerstörung ist19 Zuletzt spielt das Metallrecycling auch als Erwerbszweig für viele Teile der Bevölkerung eine große Rolle. Wenn das primäre Wiederverwenden von Metall im eigenen Haushalt nicht mehr möglich war, traten spezialisierte mobile Altmetallhändler auf die Bildfläche.20 Diese Händler kauften den Privatleuten Altmetalle ab und veräußerten diese als Rohstoffe an lokale Handwerksbetriebe, die wiederum neue Gegenstände daraus machen konnten. Als Beispiele sind hier neben den klassischen Altmetallhändlern auch Topf- oder Hafengießer, Kesselflicker und Scherenschleifer zu nennen.21 Derartige spezialisierte Sammler spielten eine große Rolle für das vorindustrielle Recycling22, und ermöglichten es zudem unteren sozialen Schichten einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das Altmetallsammeln kann also auch als eine „survival strategy“ der Unterschichten gesehen werden, von der vor allem ethnische und religiöse Minderheiten profitiert haben.23 Das ging sogar soweit, dass sich viele Diebe mit dem Verkauf von geraubten Schlössern, Ketten oder anderen Metallgegenständen ihr Leben zumindest teilweise finanzieren konnten.24

Wie wichtig Metallrecycling auch für das Handwerk im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit war, lässt sich auch empirisch bei einem Blick in die Inventare der Schmiede dieser Zeit erkennen. Obwohl Eisen leicht rosten kann, kann es wiederverwertet werden. Donald Woodward zeigt in seiner Untersuchung von Inventaren von Schmieden aus England vom 16. bis 18. Jahrhundert, dass die meisten von ihnen Alteisen explizit verzeichnet hatten.25 In Kent besaßen beispielsweise vier der acht Schmiede im späten 17. Jahrhundert Alteisen. Noch stärker ist das Recyclingmaterial in Lincolnshare vertreten. Dort hatten zwischen 1550 und 1590 vier Schmiede altes und neues Eisen auf Lager, acht haben ihr Eisen nicht näher beschrieben, einer hatte nur neues Eisen verzeichnet und ein Schmied sogar ausschließlich altes Eisen auf Lager. Woodward schätzt, dass mehr als 10 Prozent des Rohmaterials der Schmiede recyceltes Eisen gewesen sein muss.26 Hier sieht man also, dass das Recyclingmaterial für die Handwerker eine nicht zu unterschätzende Bedeutung gehabt haben muss.27

Man kann also davon ausgehen, dass die Bedeutung des Metallrecyclings im Mittelalter sehr groß war. Nun könnte man argumentieren, das Recycling wäre einzig und allein aus ökonomischer Notwendigkeit heraus geschehen und die Menschen hätten in der vormodernen Knappheitsgesellschaft gar keine andere Wahl gehabt als zu recyclen. Überträgt man jedoch die Ergebnisse moderner Studien in den USA zum Recyclingverhalten auf das Mittelalter und die frühe Neuzeit, so lässt sich auch dieser Einwand entkräften: In dieser Studie kam heraus, dass recyclingfähiges Material keinen besonders hohen Wert besitzen muss, um recycelt zu werden, sondern, dass eher die Tatsache, dass es sich recyclen lässt, eine Rolle spielt. Dabei war das Recyclingverhalten der Menschen im Tucson Garbage Project von den sozioökonomischen Verhältnissen der untersuchten Haushalte unabhängig.28 Man kann also sagen, dass das Recycling im Mittelalter zwar durchaus ökonomisch notwendig war, es jedoch trotzdem legitim ist, der vorindustriellen Gesellschaft eine ressourcenschonende „Reparatur- und Recyclingmentalität“29 zu attestieren.

4 Fallbeispiele für Recycling von Alltagsgegenständen aus Metall

Wie das Recycling im Alltag konkret vonstattenging, lässt sich am besten an Fallbeispielen festmachen. Da solche Recyclingvorgänge alltäglich waren und daher oft nicht verschriftlicht wurden, sind Quellen für das Metallrecycling im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit rar. Aus Konflikten um Altmetalle und deren Verarbeitung kann man dennoch seine Schlüsse ziehen.

Diese Konflikte tauchen beispielsweise in den Frankfurter Zunftordnungen von 1601 auf.30 Hier geht es konkret um mobile Zinngießer, die den Frankfurter Kannengießern ein Dorn im Auge waren. Aus der Quelle geht die Arbeitsweise dieser mobilen Zinngießer hervor: Diese würden „so wol in als ausserhalb den messen gelüsten lassen und in der burger häusser, auch auf den gassen deß schüssel- undt kandten- auch deckelgiessens uff die krüg, deßgleichen allerhandt zinngiessens und löthens unterfangen.“31 Die Zinngießer kamen also zu den Kunden direkt und schmolzen Altzinn, was sie entweder mitgebracht hatten oder von ihren Kunden erhalten hatte, ein.32 Aus Zinn waren häufig Küchengeräte, Geschirr oder andere Alltagsgegenstände wie Knöpfe oder Spangen.33 Diese konnten also – wenn sie nicht mehr funktionsfähig waren – durch die mobilen Recycler auf Holzplatten vor Ort eingeschmolzen werden und zu kleinen Plättchen gegossen werden. Hatte man mehr einzuschmelzen, wurden auch kleine Kupferkessel dazu verwendet, um Altzinn einzuschmelzen. Aus den so gewonnenen kleinen Zinnplättchen stellte der mobile Zinngießer, der oftmals eine wichtige Rolle in der Versorgung der ländlichen Regionen spielte, unterschiedlichste neue Waren her. Mit im Programm waren zum Beispiel zunächst kleine Löffel oder Schöpflöffel aus Zinn, aber auch größere Gefäße, wie Schraubflaschen (bzw. Pitschen), also Gefäße, die nicht aus Zinn gegossen wurden, sondern direkt aus den Zinnplättchen gefertigt wurden.34 So konnte also ein lokales, vor allem für die ländliche Bevölkerung wichtiges Recyclingsystem für alte Gegenstände aus Zinn entstehen. In der Stadt sahen sich die sogenannten „welschen“ Zinngießer, die oft aus dem oberitalienischen Piemont stammten, der Konkurrenz der ortsansässigen Handwerker ausgesetzt. Diese beschwerten sich daher bei der Stadt Frankfurt, welche daraufhin ein Mandat erlassen hat, dass sich die „obgesetzte dergleichen störer und landstreicher deß störens in der stath oder der burger häusser (…) bey einer namhafften straff enthalten sollen.“35 Anhand der Zinngießer lässt sich also ein gutes Fallbeispiel für das mittelalterliche Recycling von Metallen erkennen.

Ein zweites Fallbeispiel aus Basel aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert verdeutlich ebenfalls, wie nicht mehr zu gebrauchende Alltagsgegenstände aus Metall wiederverarbeitet wurden. Auch hier wird wieder ein Konflikt beschrieben, den man aus der Quelle herauslesen kann: Ein Basler Hafengießer, der offensichtlich schon immer in Basel ansässig ist, beschwert sich beim Stadtrat über einen Konkurrenten namens Michel, der eigentlich „strelmacher“ bzw. Kammmacher ist: „ Zu dem driten so ist üch michel der strelmacher der jetz üch mit knechten büchsen güst, der hett üch haffengiesser knecht angestelt.“36 Der Kammmacher Michel, über den sich der Hafengießer hier beklagt, hat offensichtlich Fachleute engagiert, um neben seinem eigentlichen Handwerk als Kammmacher auch „büchsen“, also Geschütze und „haffen“ herzustellen. Der Kläger hatte scheinbar beim Ankauf von Altmetall das Nachsehen und sich daher beim Rat der Stadt über seinen unzünftischen Konkurrenten beklagt37: Er würde das Altmetall den Leuten „mit gewald abschwetzen“ und hätte doch sowieso „sin­­ lebtag nie kein haffenform“ gegossen.38 Dieser Kammmacher, um den es hier geht, geht also von Haus zu Haus und klappert die Höfe und Märkte in der Basler Umgebung ab, um das Altmetall von den Menschen aufzukaufen. Aus diesem Altmetall stellt er dann mithilfe von Knechten aus anderen Handwerkszeigen Geschütze und Hafen her. Aus den einfachen Haushaltsgegenständen der Bauern und anderen Privatpersonen werden also Büchsen bzw. Geschütze und wiederum neue Töpfe hergestellt. Dass der zünftige Konkurrent beim Rat der Stadt Basel dies beklagt, zeigt auch, dass das destruktive Recycling von Metallgegenständen bzw. das Umarbeiten von nicht mehr genutzten Gegenständen ein lukratives Geschäft gewesen sein muss, von dem man leben konnte und dass es durchaus ein kompetitives Geschäftsmodell gewesen sein muss.

Dass nicht nur erfahrene Metallhandwerker Alltagsgegenstände recyceln konnten und das Metall nicht notwendigerweise in seine primären Bestandteile zerlegt werden musste, zeigt das dritte und letzte hier beleuchtete Fallbeispiel. Hier geht es um die Umnutzung von frühneuzeitlichen Metallwerkzeuge von Tiroler Bergbauern aus dem 17. Jahrhundert.39 Zwar sind diese Gegenstände jünger als die zuvor betrachteten Fallbeispiele, jedoch kann trotzdem davon ausgegangen werden, dass auch die spätmittelalterlichen Bauern im Alpenraum solche Um- und Weiternutzung ihrer Geräte praktiziert haben. Die für die Bergbauern essenzielle Sense konnte nach ihrer Verwendung zum Grasschneiden sehr gut weiterverwendet werden. Das Sensenblatt aus Metall wurde auf vielfältige Weise umgearbeitet: So konnten die Bauern beispielsweise einen Heustecher aus stumpf gewordenen Sensenblättern herstellen, indem man einen kurzen Griff anbrachte und somit Heu vom Heustock herunterstechen konnte. Ebenso einfach konnte eine Säge aus dem Sensenblatt hergestellt werden. Hierzu musste der Landwirt Zähne in das Sensenblatt schneiden und einen Holzgriff anbringen. Eine andere Möglichkeit der Weiternutzung bestand in der Nutzung als Klanginstrumente; hier konnte durch das Anschlagen des Sensenblatts ein Ton erzeugt werden, der ausschwärmende Bienen dazu bringt, sich niederzusetzen. Außerdem waren Sensen ideal, um daraus kleinere Messer herzustellen.40 Natürlich wurden nicht nur Sensenblätter, sondern auch Sicheln und andere ausgediente Metallwerkzeuge von den Bergbauern einer neuen Nutzung unterzogen. Beispielsweise wurden Pflüge durch Anbringen von ausgedienten Sicheln verstärkt.41 Eisen als sehr kostbares Material wurde also immer wieder neu verwendet. Dass das Eisen für die Tiroler Bergbauern von großem Wert war, zeigt auch eine Stelle aus der Sarntheimer Dorfordnung aus dem 17. Jahrhundert, in der die „entfremdung allerlei eisenzeugs“ in den Dörfern beklagt wird und verboten wird, Eisenwaren von dubiosen Händlern zu erwerben.42

[...]


1 Peter Tschudin, Die Wiederverwertung von Metallen im Mittelalter, in: Ferrum 73 (2001), S. 19-24.

2 Martin Baumeister, Metallrecycling in der Frühgeschichte, Untersuchungen zur technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rolle sekundärer Metallverwertung im 1. Jahrtausend n. Chr. (= Würzburger Arbeiten zur prähistorischen Archäologie, Band 3), Rahden/Westfalen 2004, S.22 f.

3 Baumeister, Metallrecycling in der Frühgeschichte, S.239.

4 Ebd. S.23.

5 Baumeister, Metallrecycling in der Frühgeschichte, S.23.

6 Valentin Groebner, Ökonomie ohne Haus. Zum Wirtschaften armer Leute in Nürnberg am Ende des 15. Jahrhunderts, Göttingen 1993., S.182.

7 Baumeister, Metallrecycling in der Frühgeschichte, S.238.

8 Donald Woodward, “Swords into Ploughshares" Recycling in Pre-Industrial England, in: The Economic History Review 38(2) (1985), S.175-91; Georg Stöger, Sekundäre Märkte, Zum Wiener und Salzburger Gebraucht-warenhandel im 17. und 18. Jahrhundert, Wien 2011; Reinhold Reith, Recycling im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, in: Frühneuzeitinfo 14 (2003), S. 47-65; Tschudin, Die Wiederverwertung von Metallen im Mittelalter; Groebner, Ökonomie ohne Haus.

9 Stöger, Sekundäre Märkte, S.245.

10 Reith, Recycling im späten Mittelalter, S.53.

11 Tschudin, Die Wiederverwertung von Metallen im Mittelalter, S.22.

12 Georg Stöger, Art. „Wiederverwertung“, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, URL: http://dx.doi.org/10.1163/2352-0248_edn_COM_381742 (04. März 2020)

13 Tschudin, Die Wiederverwertung von Metallen im Mittelalter, S.20-22, Reith, Recycling im späten Mittelalter, S.48.

14 Reinhold Reith und Georg Stöger, Reparieren – oder die Lebensdauer der Gebrauchsgüter, in: Technikgeschichte 79 (2012), S.178.

15 Reith, Recycling im späten Mittelalter, S.49.

16 Recyclingnews (Hg.), Heavy Metal (24.04.2008), in: Recyclingnews. Das Branchenmagazin. URL: https://www.recyclingnews.de/recycling/heavy-metal/ (04. März 2020)

17 Woodward, Swords into Ploughshares, S.183.

18 Groebner, Ökonomie ohne Haus, S.182.

19 Matthias Untermann, Vom Schicksal der Dinge – aus archäologischer Sicht, in: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 26 (2014), S.12.

20 Tschudin, Die Wiederverwertung von Metallen im Mittelalter, S.20.

21 Ebd.

22 Georg Stöger und Reinhold Reith, Western European Recycling in a long-term Perspective. Reconsidering Caesuras and Continuities, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1 (2015), S.273.

23 Ebd. S.274.

24 Groebner, Ökonomie ohne Haus, S.183.

25 Woodward, Swords into Ploughshares, S.185.

26 Woodward, Swords into Ploughshares, S.186.

27 Ebd.

28 Patrick Cassitti, Buntmetallobjekte des Mittelalters und der Neuzeit im europäischen Kontext: Forschungsperspektiven, in: Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Österreich 29 (2013), S.95-96.

29 Christian Pfister, et al., Das „1950er Syndrom“: Zusammenfassung und Synthese, in: Pfister, Christian (Hg.), Das 1950er Syndrom, Der Weg in die Konsumgesellschaft, Bern; Stuttgart; Wien 1995, S.26.

30 Benno Schmidt (Hrsg.), Frankfurter Zunfturkunden bis zum Jahre 1612, Band 1 (=Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Frankfurt a. M., 6,1-1/2), Frankfurt am Main 1914, S.498-499.

31 Ebd. S.499

32 Reith, Recycling im späten Mittelalter, S.57.

33 Reinhold Reith, Art. „Zinngießer”, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, URL: http://dx.doi.org/10.1163/2352-0248_edn_COM_387084 (18. April 2020)

34 Ebd.

35 Schmidt, Frankfurter Zunfturkunden bis zum Jahre 1612, S.499

36 Staatsarchiv Basel-Stadt, Handel und Gewerbe WW3, Giesser/Glockengiesser/Hafengiesser/Rotgiesser/Armaturenfabrik 16. Jh. – 1918, zitiert nach: Tschudin, Die Wiederverwertung von Metallen im Mittelalter, Anm. 20.

37 Tschudin, Die Wiederverwertung von Metallen im Mittelalter, S.22.

38 Staatsarchiv Basel-Stadt, Handel und Gewerbe WW3, Giesser/Glockengiesser/Hafengiesser/Rotgiesser/Armaturenfabrik 16. Jh. – 1918, zitiert nach: Tschudin, Die Wiederverwertung von Metallen im Mittelalter, Anm. 20.

39 Rachewiltz, Siegried de, Von der Findigkeit beim Flicken und Wiederverwer-ten. Eine Einführung, in: Rachewiltz, Siegfried de (Hg.), www.flick-werk.net. Flicken und Wiederverwerten im Historischen Tirol (Schriften des Landwirt-schaftsmuseum Brunnenburg 15), Weitra 2015, S.20.

40 Ebd. S.21.

41 Rachewiltz, Von der Findigkeit beim Flicken und Wiederverwerten. S.22.

42 Ebd. S.21 f.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Lektionen aus dem Metallrecycling des Mittelalters und der frühen Neuzeit für die Zukunft
Hochschule
Universität Mannheim
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
16
Katalognummer
V945507
ISBN (eBook)
9783346280695
ISBN (Buch)
9783346280701
Sprache
Deutsch
Schlagworte
lektionen, metallrecycling, mittelalters, neuzeit, zukunft
Arbeit zitieren
Nico Busch (Autor:in), 2020, Lektionen aus dem Metallrecycling des Mittelalters und der frühen Neuzeit für die Zukunft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/945507

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