Phraseologismen im Spielfilm

Eine theoretische Einführung und exemplarische Analysen


Magisterarbeit, 2008

106 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Einführung in die Phraseologie
1.1. Gegenstandsbereich und Grundbegriffe: Was ist ein Phraseologismus?
1.1.1. Polylexikalität
1.1.2. Festigkeit
1.1.3. Idiomatizität
1.2. Historischer Überblick der Phraseologieforschung
1.3. Aufgaben und gegenwärtiger Stand der Phraseologieforschung

2. Phraseologismen: Klassifikation und Terminologie
2.1. Basisklassifikation
2.2. Spezielle Klassen
2.2.1. Modellbildungen
2.2.2. Zwillings- und Drillingsformeln
2.2.3. Komparative Phraseologismen
2.2.4. Kinegramme
2.2.5. Onymische Phraseologismen
2.2.6. Phraseologische Termini
2.2.7. Sprichwörter und Gemeinplätze
2.2.8. Geflügelte Worte
2.2.9. Autorphraseologismen
2.3. Kollokationen
2.4. Routineformeln

3. Stilistische und pragmatische Aspekte von Phraseologismen
3.1. Variation und Modifikation
3.2. Konnotation und Polysemie
3.3. Kommunikativ-pragmatische Funktionen

4. Die JAMES BOND-Reihe und FORREST GUMP
4.1. Einleitende Bemerkungen
4.2. Der Phraseologismus „Mein Name ist Bond. James Bond.
4.3. Der Phraseologismus „Mein Name ist Forrest. Forrest Gump.
4.4. Der Phraseologismus „Wodka-Martini. Geschüttelt, nicht gerührt.

5. Die MISSION: IMPOSSIBLE-Reihe
5.1. Einleitende Bemerkungen
5.2. Die Phraseologismen der Auftragsmitteilung

6. Die SAW-Reihe
6.1. Einleitende Bemerkungen
6.2. Der Phraseologismus „Ich möchte ein Spiel spielen.
6.3. Der Phraseologismus „Leben oder sterben? Sie haben die Wahl.
6.4. Der Phraseologismus „Das Spiel ist eröffnet.

7. Die ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT-Reihe
7.1. Einleitende Bemerkungen
7.2. Die formelhafte Struktur der „Marty erwacht“-Sequenzen
7.3. Der Phraseologismus „Sie sind der Doc, Doc.

8. Die Filmreihen STAR WARS und STAR TREK
8.1. Einleitende Bemerkungen
8.2. Der Phraseologismus „Möge die Macht mit dir sein.
8.3. Der Phraseologismus „Leben Sie lange und in Frieden.

Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Webseitenverzeichnis

Spielfilmverzeichnis

Einleitung

„Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis “ - Mit diesen Worten lässt Regisseur und Drehbuchautor George Lucas 1977 einen Science-Fiction-Film namens STAR WARS beginnen, der den Auftakt zu einer der beliebtesten und kommerziell erfolgreichsten Filmreihen aller Zeiten darstellt. Die klassische Routine-formel „Es war einmal vor langer Zeit“, mit der typischerweise die Erzählung eines Märchens eingeleitet wird, sollte in ihrer mit dem Zusatz „in einer weit, weit entfernten Galaxis“ versehenen Form zunächst lediglich den raumzeitlichen Kontext und Charak-ter des gleich folgenden Filmgeschehens verdeutlichen, wurde im Laufe der Zeit aber zu einem der vielen Markenzeichen der STAR WARS-Reihe. Dem ersten Teil, der später die Titelergänzung EPISODE IV - EINE NEUE HOFFNUNG erhielt, folgten insgesamt noch fünf weitere Filme in Form von zwei Fortsetzungen und drei Prequels. Jede dieser fünf Episoden wurde mit derselben Texteinblendung eröffnet: „Es war ein-mal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis “

Ebenso wie diese Einleitungsformel hatte schon recht bald eine weitere Wendung aus den STAR WARS-Filmen einen hohen Wiedererkennungswert. Den Ausspruch „Möge die Macht mit dir sein“ hörte man nicht mehr nur im Kinosaal oder vor dem heimisch-en Fernsehgerät, er hielt nach einiger Zeit auch Einzug in den popkulturellen Sprach-gebrauch.

Einen mindestens genauso hohen Bekanntheitsgrad hat auch die Art und Weise bzw. die sprachliche Form, in der sich auf der Leinwand der wohl berühmteste Spion des bri-tischen Geheimdienstes vorstellt. Die Rede ist hier natürlich von „Bond. James Bond. Und spätestens nachdem man sich einige Filme der JAMES BOND-Reihe angesehen hat, ist einem auch klar, wie er seinen Wodka-Martini trinkt: „Geschüttelt, nicht ge-rührt.

Solche und ähnliche Aussprüche werden in Filmreihen nicht nur wiedererkannt, nach einer gewissen Zeit werden sie an bestimmten Stellen oder in bestimmten Situationen vom Zuschauer sogar erwartet. Wie aber kommt es, dass solche Sätze erwartet werden? Und kommen sie wirklich immer in genau der gleichen Form vor? Werden sie in manchen Fällen bewusst abgewandelt, um einen bestimmten Effekt zu erzeugen? Oder sind es manchmal einfach nur bei der Synchronisation entstandene Fehler, da beispiels-weise nicht erkannt wurde, dass die aus dem Englischen zu übersetzende Wendung dem deutschen Kinopublikum aus vorangegangenen Teilen der Filmreihe schon in einer ganz bestimmten sprachlichen Form geläufig ist?

Diese und andere Fragen sollen im Rahmen der vorliegenden Arbeit genauer behandelt werden. Als Grundlage für die Untersuchung dienen Dialogausschnitte aus 50 ausge-wählten Spielfilmen, hauptsächlich Filmreihen, in denen solche festen und geläufigen Aussprüche, die als Phraseologismen bezeichnet werden, vorkommen.

Zunächst wird eine Einführung in das Forschungsgebiet der Phraseologie gegeben, der Begriff des Phraseologismus definiert sowie die Klassifikation solcher Wortverbin-dungen verdeutlicht. Anschließend erfolgt eine kurze Betrachtung der stilistischen und pragmatischen Aspekte dieser Ausdrücke, deren Schwerpunkt auf ihren kommuni-kativen Funktionen liegt. Der Hauptteil befasst sich schließlich anhand der transkribier-ten Dialogstellen mit der Analyse der in den Filmen vorkommenden Phraseologismen. In diesem Sinne: „Das Spiel ist eröffnet.

1. Einführung in die Phraseologie

1.1. Gegenstandsbereich und Grundbegriffe: Was ist ein Phraseologismus?

Lässt man aus seinem Leben einen ganz normalen Tag einmal Revue passieren, so stellt man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass einem in den unter-schiedlichsten Situationen und Medien - sei es am Arbeitsplatz, bei Gesprächen mit Freunden, in der Zeitung, im Internet, im Radio oder auch im Fernsehen - Ausdrücke und Wendungen wie die folgenden begegnet sind:

- Hals über Kopf
- etwas auf Vordermann bringen
- zu hoch gepokert
- Das kannst du laut sagen!
- der reinste Wahnsinn
- Liebe auf den ersten Blick
- einen Korb bekommen
- aber so was von
- fix und fertig
- Wie gewonnen, so zerronnen.
- seinen eigenen Weg gehen
- drunter und drüber
- klar Schiff machen
- ab und zu
- keinen Bock haben
- die Initiative ergreifen
- den Stein ins Rollen bringen
- Das geht runter wie Öl!
- Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
- mit freundlichen Grüßen
- Schönes Wochenende!

Alle hier angeführten Ausdrücke weisen zwei Gemeinsamkeiten auf: Zum einen be-stehen sie aus mindestens zwei Wörtern, und zum anderen sind sie „uns als Deutsch-sprechenden genau in dieser Kombination (eventuell mit Varianten) bekannt“ (BURGER 2003: 11). Wortverbindungen, die diese beiden Eigenschaften aufweisen, bezeichnet man als Phraseologismen und ihre lexikalischen Bestandteile als Komponenten. Sowohl für die „sprachwissenschaftliche Teildisziplin, die sich mit der Erforschung der Phraseologismen beschäftigt“, als auch für den „Bestand (Inventar) von Phraseolo-gismen in einer bestimmten Einzelsprache“ wird der Begriff Phraseologie verwendet (FLEISCHER 1997: 3). In der Literatur herrscht in diesem Forschungsgebiet eine „gera-dezu chaotische terminologische Vielfalt“ (PILZ 1978: 8), und so finden sich auch für den Begriff des „Phraseologismus“ verschiedene äquivalente Bezeichnungen. Als Sy-nonyme führt BURGER (1973: 1) zunächst „die Termini ‚feste‘ und ‚stehende‘ Verbin-dungen“ ein, für die sich inzwischen die Ausdrücke feste Wortverbindung oder auch phraseologische Wortverbindung etabliert haben (vgl. BURGER 2003: 12). In jüngerer Zeit wird zudem oftmals die Bezeichnung Phrasem verwendet, „gebildet in Analogie zu Phonem, Morphem, Lexem usw.“ (FLEISCHER 2001: 109). Der Gegenbegriff zu „Phraseologismus“ bzw. „feste Wortverbindung“ ist „freie Wortverbindung“ (vgl. BUR-GER 2003: 12).

Neben den beiden genannten Gemeinsamkeiten der Polylexikalität und Festigkeit wei-sen einige der auf der vorherigen Seite angeführten Phraseologismen aber auch einen sehr wesentlichen Unterschied in Bezug auf die übrigen Ausdrücke der Auflistung auf: In manchen Fällen können die Wortverbindungen nämlich nicht in der wörtlichen, son-dern nur in ihrer übertragenen bzw. phraseologischen Bedeutung verstanden werden (wie beispielsweise im Fall von den Stein ins Rollen bringen). Da diese Eigenschaft der Idiomatizität zwar auf viele feste Wortverbindungen zutrifft, jedoch für einen Aus-druck kein notwendiges Kriterium darstellt, um als Phraseologismus zu gelten, lässt sich der Gesamtbereich der Phraseologie in die Phraseologie im weiteren Sinne und die Phraseologie im engeren Sinne unterteilen (vgl. BURGER 2003: 14 f.):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kriterien für einen Phraseologismus im weiteren Sinne:

(1) Polylexikalität: der Phraseologismus besteht aus mehr als einem Wort

(2) Festigkeit: der Phraseologismus ist genau in dieser Kombination von Wörtern bekannt, und er ist in der Sprachgemeinschaft gebräuchlich

zusätzliches Kriterium für einen Phraseologismus im engeren Sinne:

(3) Idiomatizität: die Komponenten des Phraseologismus bilden eine durch die syntaktischen und semantischen Regularitäten der Verknüpfung nicht voll er-klärbare Einheit

Es lässt sich demnach festhalten: „Phraseologismen können idiomatischen Charakters sein, müssen es aber nicht“ (FLEISCHER 1997: 4). Die Teilklasse von Phraseologismen, die das zusätzliche Kriterium der Idiomatizität erfüllt, „bildet den Bereich der Idiome “ (BURGER 2003: 15).

Im Folgenden sollen nun die drei hier angeführten Kriterien für einen Phraseologismus genauer betrachtet werden.

1.1.1. Polylexikalität

Das erste Merkmal der „Polylexikalität“ oder auch „Mehrgliedrigkeit“ lässt sich relativ unproblematisch definieren: Um als Phraseologismus gelten zu können, muss ein Aus-druck aus mindestens zwei Wörtern bestehen. Während diese untere Grenze klar be-stimmbar ist, wird eine obere Grenze der Wortmenge jedoch nicht definiert, „da die maximale Ausdehnung eines Phraseologismus üblicherweise nicht lexikalisch, sondern syntaktisch festgelegt ist: der Satz gilt als die obere Grenze phraseologischer Wortver-bindungen“ (BURGER 2003: 15). Der Gegenstandsbereich der Phraseologie reicht also von Ausdrücken wie blinder Passagier bis hin zu Sätzen wie Es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Der konstitutive Status dieses Merkmals „lässt sich beschreiben als ‚notwendig, aber nicht hinreichend‘“ (ÁGEL 2004: 23).

1.1.2. Festigkeit

Bezüglich des zweiten Merkmals der „Festigkeit“ unterscheidet BURGER (2002: 393 ff.) drei Betrachtungsebenen - die psycholinguistische Ebene, die strukturelle Ebene und die pragmatische Ebene.

Aus psycholinguistischer Sicht gilt für einen Phraseologismus, dass er „mental als Ein-heit ‚gespeichert‘“ ist und „als ganzer abgerufen und produziert werden“ kann (ebd.: 393). Bezug nehmend auf die sowjetische Phraseologieforschung sprechen BURGER/ BUHOFER/SIALM (1982: 62 f.) in diesem Zusammenhang auch von „Reproduzierbar-keit“ und „Vorhersagbarkeit der Komponenten“. Würde man also beispielsweise einen Muttersprachler des Deutschen bitten, die Ausdrücke ein Herz und eine [... ] und Wie man in den Wald hineinruft, [... ] zu komplettieren, so fiele es ihm sicher nicht schwer, die Antworten [Seele] und [so schallt es heraus] zu geben.

Unter strukturellen Gesichtspunkten gilt für einen Phraseologismus, dass mit seinen Bestandteilen bestimmte morphologische und syntaktische Operationen nicht möglich sind, und dass seine Komponenten auf lexikalisch-semantischer Ebene nicht (bzw. nicht in jedem Fall) gegen ein synonymes oder bedeutungsähnliches Wort substituiert wer-den können (vgl. BURGER 2002: 395). Würde man einen Ausdruck wie Das ist Schnee von gestern morphologisch-syntaktisch in Das ist gestriger Schnee umwandeln, ginge seine phraseologische Bedeutung komplett verloren, und es wäre nur noch eine freie Wortverbindung. Auch können bei einem Phraseologismus wie einen Stein im Brett haben nicht einfach bestimmte lexikalische Elemente gegen ähnliche ausgetauscht wer-den, da eine Wortverbindung wie etwa einen Kiesel im Holz haben ebenfalls keinerlei übertragene Bedeutung mehr besitzen würde. Das Kriterium der strukturellen und ins-besondere der lexikalischen Festigkeit ist jedoch in Bezug „auf weite Bereiche der Phraseologie sehr stark zu relativieren“ (BURGER 2003: 25). Innerhalb bestimmter Grenzen weisen die Komponenten vieler Phraseologismen eine Reihe von Ersetzungs-möglichkeiten und Abwandlungen auf, die als Variationen und Modifikationen be-zeichnet werden (vgl. dazu Kapitel 3.1.).

Im Hinblick auf die pragmatischen Aspekte von Phraseologismen sind zwei Haupttypen zu unterscheiden, die unterschiedliche Grade von Festigkeit besitzen. Den ersten Typ bilden „Gruß-, Glückwunsch- und andere Arten von Formeln [...], die in sehr allgemein zu definierenden Situationstypen verankert sind“, oder „die sich auf spezifischere Situationstypen beziehen“ (BURGER 2002: 397). Sie haben eine klar bestimmbare Funktion innerhalb einer Situation, wie etwa das Eröffnen und Beenden eines Ge-sprächs (Guten Morgen, Auf Wiedersehen, Man sieht sich), das Einleiten und Ab-schließen eines Briefes oder einer E-Mail (Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Grüße, Bis bald) die Verkündung eines Gerichtsurteils (Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil) oder das Hinweisen auf bestimmte Sachverhalte (Frisch gestrichen, Stark reduziert, Bitte nicht stören). Den zweiten Typ bilden Formeln wie ich muss sagen, meines Erachtens oder Siehst du?, die überwiegend in mündlicher Kommunika-tion auftreten und hauptsächlich metakommunikative Funktionen übernehmen. BUR-GER/BUHOFER/SIALM (1982: 124) nennen sie daher auch „gesprächsspezifische Phra-seologismen“, „die nur innerhalb eines kommunikativ-funktionalen Rahmens erfasst werden können“. Ihre strukturelle Festigkeit ist jedoch nicht sehr hoch, so dass bei solchen Ausdrücken auch ein breites Spektrum an Variabilität vorhanden ist. Sie stehen dem Sprecher vorwiegend „als abrufbare Einheiten zur Bewältigung wiederkehrender kommunikativer Aufgaben, insbesondere in exponierten bzw. kritischen Phasen der Kommunikation“ zur Verfügung (BURGER 2002: 398).

1.1.3. Idiomatizität

Die Klasse der Phraseologismen, die neben den beiden Eigenschaften der „Polylexika-lität“ und „Festigkeit“ auch das Kriterium der „Idiomatizität“ erfüllt, galt lange Zeit als „phraseologische Klasse par excellence, und sie ist in der Forschungsgeschichte am in-tensivsten behandelt worden“ (BURGER/BUHOFER/SIALM 1982: 31). Idiomatisch ist ein Phraseologismus dann, wenn seine Bedeutung über die Einzelbedeutungen seiner Be-standteile hinausgeht, wenn also „seine Komponenten ihre jeweilige Bedeutung zuguns-ten einer Gesamtbedeutung aufgegeben haben“ (BALSLIEMKE 2005: 7). Dieser Unter-schied zwischen wörtlicher und phraseologischer Bedeutung soll an einem Dialogaus-schnitt aus STAR TREK IV - ZURÜCK IN DIE GEGENWART (1986) verdeutlicht werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[Zeitindex 1:03] Admiral James T. Kirk und der Vulkanier Mr. Spock sind per Zeitreise ins San Francisco des Jahres 1986 gelangt, um dort eine Mission zur Rettung der Erde des 23. Jahrhunderts durchzuführen. Sie haben der Einheimischen Dr. Gillian Taylor gerade ihre Pläne erläutert.

GILLIAN TAYLOR: „Wollen Sie sich das nicht doch aus dem Kopf schlagen ?“

MR. SPOCK: „Ich sehe keinen Grund zur Selbstverstümmelung.“

Beleg 1.1.3.1.: Dialogausschnitt aus STAR TREK IV - ZURÜCK IN DIE GEGENWART (1986)

Der humoristische Effekt dieser Szene kommt dadurch zustande, dass Mr. Spock, der sich als Vulkanier durch Logik, Rationalität und eine sehr präzise Ausdrucksweise aus-zeichnet, die Frage Gillian Taylors wörtlich nimmt und nicht die übertragene Bedeu-tung der Formulierung „aus dem Kopf schlagen“ erkennt. Er erschließt die Gesamtbe-deutung des Satzes kompositional aus den Einzelbedeutungen der darin vorkommenden Wörter, ohne den Aspekt der Idiomatizität zu berücksichtigen.

Für Phraseologismen werden hinsichtlich ihrer „Idiomatizität“ verschiedene Grade un-terschieden. Ein Ausdruck wie jemandem auf die Palme bringen, bei dem eine starke Diskrepanz zwischen der wörtlichen und der phraseologischen Bedeutung besteht, und bei dem nicht mehr unmittelbar nachvollziehbar ist, wie die übertragene Bedeutung dia-chron entstanden ist, bezeichnet man als (voll-)idiomatisch. „Je stärker die Diskrepanz zwischen diesen beiden Bedeutungsebenen ist, umso stärker idiomatisch ist der Phra-seologismus“ (BURGER 2003: 31). Feste Wortverbindungen wie einen Streit vom Zaun brechen, bei denen eine Komponente idiomatisch ist (vom Zaun brechen), während die andere ihre freie Bedeutung beibehält (einen Streit), werden teil-idiomatisch genannt. Solche Phraseologismen, die „keine (oder nur minimale) semantische Differenzen zwischen phraseologischer und wörtlicher Bedeutung“ aufweisen (ebd.: 32), bei denen also „alle Komponenten transparent sind“ (BALSLIEMKE 2005: 7), heißen nicht-idio-matisch. Beispiele hierfür sind etwa Ausdrücke wie sich die Zähne putzen oder seinen Beitrag leisten.

1.2. Historischer Überblick der Phraseologieforschung

Als „einer der Begründer der linguistischen Disziplin Phraseologie“ gilt der Schweizer Charles Bally (BURGER 2004: 23), der in seinem 1909 erschienenen Werk „Traité de stylistique française“ den ersten „Beitrag zur sprachwissenschaftlichen Auseinander-setzung mit den Redensarten“ lieferte (PILZ 1978: 165). Seine Leistungen blieben in Mittel- und Westeuropa jedoch ohne unmittelbare Wirkung und sind erst sehr viel spä-ter in der sowjetischen Phraseologieforschung wieder aufgegriffen worden. Dort trugen in den ausgehenden 1940er Jahren vor allem die Arbeiten von Viktor Vladimirovic Vinogradov dazu bei, dass sich „die Phraseologie in der sowjetischen Sprachwissen-schaft als selbständige Teildisziplin etabliert“ hat (FLEISCHER 1997: 5). Vinogradov ging in seinen Werken erstmals „von der empirisch bestimmten Beschreibung des Phänomens zur theoretischen Untersuchung der Verknüpfungsmäßigkeiten“ über (ebd.) und nahm eine Klassifikation der Phraseologismen in drei Typen vor, die inzwischen allerdings als überholt gilt. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre erfuhr die Phraseologie-forschung in der Sowjetunion einen enormen Aufschwung, „wobei man in zunehmen-dem Maße auch andere Sprachen als das Russische berücksichtigte und nach allgemein-gültigen Aussagen strebte“ (BURGER 1973: 61).

Mit der „Idiomatik des Deutschen“ liefert BURGER (1973) das erste einschlägige Werk für den deutschsprachigen Raum und unternimmt damit den Versuch, „das linguistische Interesse für phraseologische Einheiten zu wecken und die intensive Phraseologiefor-schung aus dem Bereich der slawischen Sprache für das Deutsche fruchtbar zu machen“ (KÜHN 2007: 619). Daran anknüpfend gibt PILZ (1978) in seiner zweibändigen Ab-handlung „Phraseologie“ einen umfassenden Überblick zur bisherigen Forschung und nimmt eine Systematisierung für das Deutsche vor.

In den frühen 80er Jahren entstehen schließlich zwei Arbeiten, die „Forschungsgrund-lagen sowohl auf terminologischer als auch auf pragmatischer Ebene mit weit reichen-den Akzenten für die deutsche Phraseologieforschung“ legen (BALSLIEMKE 2005: 11). Mit seiner erstmals 1982 erschienenen „Phraseologie der deutschen Gegenwarts-sprache“ liefert FLEISCHER (1997) eine „dokumentarisch ausgerichtete Gesamtdar-stellung der Phraseologie“ (KÜHN 2007: 619), und im „Handbuch der Phraseologie“ von BURGER/BUHOFER/SIALM (1982) erfolgt neben einer kritischen Aufarbeitung der bisherigen Forschung und Theorie auch eine Präsentation eigener Forschungsergeb-nisse.

Bis zu den 90er Jahren hatte sich das Forschungsgebiet der Phraseologie stark ausge-dehnt, so dass Orientierungshilfen notwendig wurden. Die gängigsten Einführungen in dieses Gebiet bilden die didaktisch konzipierte Arbeit „Phraseologie - Eine Einführ-ung“ von PALM (1997), die erstmals 1995 erschienen ist, und das von BURGER (2003) verfasste problem- und forschungsorientierte Werk „Phraseologie - Eine Einführung am Beispiel des Deutschen“, das zum ersten Mal 1998 veröffentlicht wurde.

Während man sich in der Frühphase der Phraseologieforschung „mit der Sammlung von Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten“ beschäftigte (KÜHN 2007: 620) und sich in der anschließenden Phase hauptsächlich den Problemen der Standortbestim-mung, des Definitionsbereiches und der Klassifikation von Phraseologismen widmete, so wurde in den letzten Jahren der Schwerpunkt vor allem auf die kommunikativ-pragmatisch orientierte Forschung gelegt (vgl. etwa SAMSON 1999, STEIN 2004 oder LÜGER 2007), und es sind unter stilistischen Aspekten gerade in jüngster Zeit zahl-reiche Untersuchungen zu Modifikationen, Variationen und sprachspielerischen Ver-wendungsweisen von Phraseologismen durchgeführt worden (vgl. etwa BALSLIEMKE 2001, JANICH 2005 oder FIX 2007).

1.3. Aufgaben und gegenwärtiger Stand der Phraseologieforschung

Die Phraseologie wird „in der modernen Linguistik als eine wichtige Komponente des normativen Systems der Sprache - des Lexikons - verstanden“ (DOBROVOL’SKIJ 1992: 29), und ihr Objektbereich hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich vergrößert. Gegenüber der anfänglichen „engen“ Konzeption von Phraseologismen, die lediglich den Bereich der Idiome einschloss, haben sich inzwischen verschiedene Varianten einer „weiten“ Konzeption durchgesetzt, und neben „dem strukturell bestimmbaren Kernbe-reich gibt es viele ‚periphere‘ Bereiche, die je nach Forschungsinteresse unter ‚Phraseo-logie‘ subsumiert werden“ (BURGER/DOBROVOL’SKIJ/KÜHN/NORRICK 2007: 9). Ent-sprechend vielfältig sind auch die Berührungspunkte und Kooperationsbereiche mit be-nachbarten linguistischen Disziplinen: Während die Phraseologie zunächst „als Teilbe-reich einer umfassenden Lexikologie“ verstanden wurde (ebd.), werden inzwischen auch verstärkt Disziplinen wie Syntax, Pragmatik, Textlinguistik, kognitive Linguistik, Soziolinguistik und Konversationsanalyse in die Untersuchungen mit einbezogen.

Einen direkten Nutzen liefern die Ergebnisse der Phraseologieforschung etwa für „die Erstellung von benutzerfreundlichen Wörterbüchern, für das Verfassen guter Über-setzungen, und sie bieten auf der didaktischen Ebene die Möglichkeit zur vertiefenden Sprachreflexion im Sinne der stilgerechten und grammatisch richtigen Verwendung von Phraseologismen“ (BALSLIEMKE 2005: 12). Korpuslinguistische Untersuchungen tra-gen vor allem dazu bei, „das Miteinandervorkommen von Wörtern als ein graduelles Phänomen [zu] betrachten und auch Phänomene schwacher Festigkeit aufdecken“ zu können (BURGER 2004: 38). Im Bereich Deutsch als Fremdsprache finden vor allem Kollokationen besondere Beachtung (vgl. dazu Kapitel 2.3.), und die Phraseologie leistet hier einen erheblichen Beitrag, „um die Lern- und Vermittlungsmethoden gemäß der psycholinguistisch gestützten Phraseologieforschung besser auf die Lernenden abzu-stimmen“ (BALSLIEMKE 2005: 12). Durch die Sensibilisierung für Phraseologismen wird im Rahmen des muttersprachlichen Deutschunterrichts „neben der erhöhten Sprachreflexion und der verbesserten Sprachverwendung mitunter auch erreicht, dass Schülerinnen und Schüler den sehr umfassenden Bereich der Metapher weiter zu differenzieren lernen, so dass innerhalb der sprachlichen Stilmittel die Phraseologismen von den Metaphern unterschieden werden können“ (ebd.). Auf dem Gebiet der kogniti-ven Linguistik wurden in den letzten Jahren außerdem zahlreiche „konstruktive Unter-suchungen zu Speicherung, Produktion und Verarbeitung von Phraseologismen vorge-legt“ (RÖMER/MATZKE 2003: 149).

2. Phraseologismen: Klassifikation und Terminologie

2.1. Basisklassifikation

In diesem Teilkapitel soll anhand der charakteristischen Eröffnungstexte der sechs STAR WARS-Filme zunächst die Basisklassifikation von Phraseologismen verdeutlicht werden (vgl. dazu BURGER 2003: 36 ff.).

Wie eingangs bereits erwähnt wurde, beginnt jede der sechs STAR WARS-Episoden mit derselben Texteinblendung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Beleg 2.1.1.: Texteinblendung zu Beginn aller sechs STAR WARS-Filme (Deutsche Fassung)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[1]

Beleg 2.1.2.: Texteinblendung zu Beginn aller sechs STAR WARS-Filme (Englische Fassung)

Die Wortfolge „Es war einmal vor langer Zeit“ - im Englischen „A long time ago“ - ist die traditionelle Routineformel, mit der die Erzählung eines Märchens eingeleitet wird. Solche Routineformeln, für die BURGER/BUHOFER/SIALM (1982: 105) auch die Be-zeichnung „pragmatische Phraseologismen“ eingeführt haben, ordnet BURGER (2003: 36 f.) der Klasse der kommunikativen Phraseologismen zu, da sie „bestimmte Auf-gaben bei der Herstellung, Definition, dem Vollzug und der Beendigung kommunika-tiver Handlungen“ haben (ebd.: 36). Die Verwendung des Phraseologismus „Es war einmal vor langer Zeit“ als Eröffnung für einen STAR WARS-Film stellt also eine kommunikative Handlung dar, da dem Zuschauer mittels dieser festen Wortverbindung noch vor dem eigentlichen Beginn des Geschehens verdeutlicht wird, dass gleich eine Art Märchenerzählung auf ihn zukommt. Auf diese Weise wird eine bestimmte Erwar-tungshaltung erzeugt, die in den Filmen dann schließlich auch erfüllt wird. Denn ange-fangen bei EPISODE IV - EINE NEUE HOFFNUNG (1977) bis hin zu EPISODE III - DIE RACHE DER SITH (2005) sind in der gesamten Reihe zahlreiche märchenhafte Elemente und Figuren vertreten. Es gibt die „guten“ Jedi-Ritter, Darth Vader, den „bö-sen“, dunklen Ritter, Prinzessin Leia, Obi-Wan Kenobi, der den klassischen Zauberer mit übernatürlichen Kräften darstellt, Königin Amidala, Jar Jar Binks, der in gewisser Weise als eine Art Hofnarr angesehen werden kann, ausgiebige (Licht-)Schwertduelle und vieles andere mehr, das typischerweise zu „einem Märchen wie STAR WARS“ (FAULSTICH 2002: 148) dazugehört. [2]

Da der Schriftzug „Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Ga-laxis “ in genau dieser Form vor jedem der sechs STAR WARS-Teile zu sehen ist, stellt er als Ganzes natürlich auch einen Phraseologismus dar. Während also die Wendung „Es war einmal vor langer Zeit“ generell den Anfang einer Märchenerzäh-lung einleitet, so markiert der durch die Wortfolge „in einer weit, weit entfernten Ga-laxis “ erweiterte Phraseologimus speziell den Beginn eines STAR WARS-Films.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bevor nach dieser Einleitungsfor-mel die eigentliche Handlung ein-setzt, beginnt jede STAR WARS-Episode zusätzlich mit dem cha-rakteristischen, schräg nach hinten verlaufenden Vorspanntext, in dem kurz der für das Verständnis des Filmgeschehens benötigte Kontext umrissen wird (siehe Abbildung).[3] Anhand dieser sechs Texte, die im Folgenden kurz an-geführt sind, soll eine weitere Klasse von Phraseologismen verdeutlicht werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Die galaktische Republik wird von Unruhen erschüttert. Die Besteuerung der Handelsrouten zu weit entfernten Sternen-Systemen ist der Auslöser.

In der Hoffnung, die Angelegenheit durch eine Blockade mit mächtigen Kampfschiffen zu beseitigen, hat die unersättliche Handelsföderation jeglichen Transport zu dem kleinen Planeten Naboo eingestellt.

Während der Kongreß der Republik endlose Debatten über diese beunruhigende Kette von Ereignissen führt, entsandte der Oberste Kanzler insgeheim zwei Jedi-Ritter, Wächter des Friedens und der Gerechtigkeit, um den Konflikt beizulegen...“

Beleg 2.1.3.: Vorspanntext aus STAR WARS: EPISODE I - DIE DUNKLE BEDROHUNG (1999)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Es herrscht Aufruhr im Galaktischen Senat. Mehrere tausend Sonnensysteme haben ihre Absicht erklärt, aus der Republik auszutreten.

Diese Separatisten, unter der Führung des mysteriösen Count Dooku, machen es der kleinen Gruppe von Jedi-Rittern schwer, Frieden und Ordnung in der Galaxis aufrecht zu erhalten.

Senatorin Amidala, ehemals Königin von Naboo, kehrt in den Galaktischen Senat zurück, um an einer Abstimmung teilzunehmen, die über die umstrittene Aufstellung einer ARMEE DER REPUBLIK zur Unterstützung der unterlegenen Jedi entscheiden soll ...“

Beleg 2.1.4.: Vorspanntext aus STAR WARS: EPISODE II - ANGRIFF DER KLONKRIEGER (2002)

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„Krieg! Die Republik zerfällt unter den Angriffen des unbarmherzigen Sith Lords, Count Dooku. Es gibt Helden auf beiden Seiten. Das Böse ist allgegenwärtig.

Mit einem überraschenden Schachzug gelang es dem teuflischen Droidenführer, General Grievous, in die Hauptstadt der Republik einzudringen und den Vorsitzenden des Galaktischen Senats, Kanzler Palpatine, zu entführen.

Als die Droiden-Armee der Separatisten versucht, mit ihrer wertvollen Geisel aus der belagerten Stadt zu fliehen, führen zwei Jedi-Ritter die verzweifelte Mission zur Rettung des gefangenen Kanzlers an“

Beleg 2.1.5.: Vorspanntext aus STAR WARS: EPISODE III - DIE RACHE DER SITH (2005)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Es herrscht Bürgerkrieg. Die Rebellen, deren Raumschiffe von einem geheimen Stützpunkt aus angreifen, haben ihren ersten Sieg gegen das böse galaktische Imperium errungen.

Während der Schlacht ist es Spionen der Rebellen gelungen, Geheimpläne über die absolute Waffe des Imperiums in ihren Besitz zu bringen, den TODESSTERN, eine bewaffnete Raumstation, deren Feuerkraft ausreicht, um einen ganzen Planeten zu vernichten.

Verfolgt von den finsteren Agenten des Imperiums, eilt Prinzessin Leia an Bord ihres Sternenschiffs in ihre Heimat, als Hüterin der erbeuteten Pläne, die ihr Volk retten und der Galaxis die Freiheit wiedergeben könnten“

Beleg 2.1.6.: Vorspanntext aus STAR WARS: EPISODE IV - EINE NEUE HOFFNUNG (1977)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Es ist eine dunkle Zeit für die Rebellion. Obwohl der Todesstern vernichtet worden ist, haben imperiale Streitkräfte die Rebellen aus ihrem versteckten Stützpunkt vertrieben und kreuz und quer durch die Galaxis verfolgt.

Nachdem sie der gefürchteten imperialen Sternenflotte entkommen ist, hat eine Gruppe Freiheitskämpfer unter der Führung von Luke Skywalker jedoch einen neuen, geheimen Stützpunkt in der abgelegenen Eiswüste von Hoth errichtet.

Doch der teuflische Darth Vader - nur von dem Gedanken besessen, den jungen Luke Skywalker aufzuspüren, - hat Tausende ferngesteuerte Raumsonden bis in die entlegensten Bereiche des Weltalls entsandt“

Beleg 2.1.7.: Vorspanntext aus STAR WARS: EPISODE V - DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK (1980)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Luke Skywalker ist auf seinen Heimatplaneten Tatooine zurückgekehrt, um seinen Freund Han Solo aus den Klauen des üblen Gangsters Jabba the Hutt zu befreien.

Luke ahnt nicht, dass das GALAKTISCHE IMPERIUM im Geheimen mit dem Bau einer neuen, bewaffneten Raumstation begonnen hat - tödlicher noch, als der gefürchtete erste Todesstern.

Mit dieser absoluten Waffe naht das sichere Ende für die kleine Schar von Rebellen und ihren Kampf, der Galaxis die Freiheit wiederzugeben“

Beleg 2.1.8.: Vorspanntext aus STAR WARS: EPISODE VI - DIE RÜCKKEHR DER JEDI-RITTER (1983)

Sämtliche festen Wortverbindungen, die in den vorangegangenen Beispieltexten her-vorgehoben dargestellt sind, gehören zur Klasse der so genannten referentiellen Phra-seologismen, da sie sich alle auf etwas Bestimmtes beziehen, nämlich „auf Objekte, Vorgänge oder Sachverhalte der Wirklichkeit (sei es der ‚wirklichen‘ Welt oder fiktiver Welten)“ (BURGER 2003: 36). Innerhalb dieser Klasse wird nach dem semantischen Kriterium, ob die Wortverbindungen Objekte und Vorgänge bezeichnen (wie beispiels-weise „Kette von Ereignissen“), oder ob sie Aussagen über Objekte und Vorgänge tref-fen (wie im Fall von „naht das sichere Ende“), zwischen nominativen und propositio-nalen Phraseologismen unterschieden. Parallel zu dieser Dichotomie erfolgt unter syn-taktischen Gesichtspunkten eine Einteilung in satzgliedwertige Phraseologismen, die einer Einheit unterhalb der Satzgrenze entsprechen, und satzwertige Phraseologismen, die aus einem Satz (oder einer noch größeren Einheit) bestehen (vgl. ebd.: 37).

Neben den kommunikativen und referentiellen Phraseologismen unterscheidet BURGER (2003) als dritte Gruppe noch die strukturellen Phraseologismen. „Sie haben ‚nur‘ ei-ne Funktion innerhalb der Sprache, nämlich die Funktion, (grammatische) Relationen herzustellen“ (ebd.: 36). Ein Beispiel hierfür ist etwa die Wendung in Bezug auf.

Diese Grobgliederung, die sich am „Kriterium der Zeichenfunktion, die die Phraseolo-gismen in der Kommunikation haben“, orientiert (ebd.), lässt sich noch weiter differen-zieren. Angelehnt an PILZ (1978: 633 ff.) unterscheidet FLEISCHER (1997: 130) für den Bereich der kommunikativen Phraseologismen vier Hauptgruppen: Höflichkeits- bzw. Kontaktformeln, die Funktionen wie Grüßen, Danken, Anreden, Einleiten, Beenden oder Verabschieden erfüllen, Kommentarformeln, die als Reaktion auf das Verhalten von Personen oder bestimmten Gegebenheiten in einer Kommunikationssituation zu verstehen sind, Stimulierungsformeln, die zu einem bestimmten Verhalten anregen sollen, sowie Schelt- und Fluchformeln. Innerhalb der Gruppe der referentiell-no-minativen Phraseologismen nimmt BURGER (2003: 37) zusätzlich „eine semantische Untergliederung nach dem Grad der Idiomatizität“ vor, so dass sich dieser Bereich in Kollokationen (als Terminus für nicht- bzw. schwach-idiomatische Phraseologismen), Teil-Idiome und Idiome einteilen lässt. Die Klasse der referentiell-propositionalen Phraseologismen kann zudem noch in feste Phrasen, „die in der Regel explizit an den Kontext angeschlossen sind“ (ebd.: 39), und die so genannten topischen Formeln, „die durch kein lexikalisches Element an den Kontext angeschlossen werden müssen“ (ebd.: 40), unterteilt werden.

Gemäß den vorangegangenen Überlegungen lässt sich der Gesamtbereich der Phraseo-logie wie folgt gliedern:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kommentarformeln Stimulierungsformeln

feste Phrasen topische Formeln

Kollokationen

Teil-Idiome Idiome

Über die Phraseologismen aus den STAR WARS-Vorspanntexten kann demnach Fol-gendes festgehalten werden:

„Kette von Ereignissen“ (siehe Beleg 2.1.3.)

- referentieller Phraseologismus: bezieht sich auf Sachverhalte im fiktiven STAR WARS-Universum
- nominativ: bezeichnet Vorgänge
- satzgliedwertig: kann lediglich als Satzglied bzw. syntaktische Einheit unterhalb der Satzgrenze verwendet werden
- Teil-Idiom: während die Wortfolge „von Ereignissen“ in ihrer wörtlichen Bedeu-tung zu verstehen ist, erhält der Begriff „Kette“ durch seine Verwendung als Kom-ponente des Phraseologismus eine übertragene Bedeutung, da er sich hier nicht auf ein materielles Objekt bezieht, sondern verdeutlicht, dass die Ereignisse miteinander in Zusammenhang stehen

„Frieden und Ordnung [... ] aufrecht zu erhalten“ (siehe Beleg 2.1.4.)

- referentieller Phraseologismus, nominativ, satzgliedwertig
- Kollokation: nicht-idiomatischer Ausdruck, da alle Komponenten in der wörtlichen Bedeutung zu verstehen sind
- der Phraseologismus „Frieden und Ordnung aufrecht [zu] erhalten“ wird meist in militärisch-politischen Kontexten verwendet und impliziert, dass zur Zeit Frieden und Ordnung bestehen, beides nun aber bedroht ist → Bezug zur Filmhandlung

„Helden auf beiden Seiten“ (siehe Beleg 2.1.5.)

- referentieller Phraseologismus, nominativ, satzgliedwertig, Kollokation
- wird ebenso wie der vorherige Phraseologismus meist in militärisch-politischen Zu-sammenhängen verwendet → stellt auch hier einen unmittelbaren Bezug zur Film-handlung her

„in [... ] Besitz zu bringen“ (siehe Beleg 2.1.6.)

- referentieller Phraseologismus, nominativ, satzgliedwertig, Kollokation

„kreuz und quer“ (siehe Beleg 2.1.7.)

- referentieller Phraseologismus, nominativ, satzgliedwertig
- Teil-Idiom: die Wortverbindung „kreuz und quer“ wird als irreversible Zwillings-formel bezeichnet, da sie eine unikale Komponente enthält, die die Reihenfolge festlegt, und die außerhalb des Phraseologismus keine freie Bedeutung hat → „kreuz“ kann einzeln nicht als Adverb vorkommen und innerhalb der festen Wort-verbindung auch nicht die Position verändern (* „quer und kreuz“) → da die Kom-ponente „quer“ jedoch eine freie Bedeutung besitzt, ist der Phraseologismus nicht als voll- sondern nur als teil-idiomatisch einzustufen

„naht das sichere Ende“ (siehe Beleg 2.1.8.)

- referentieller Phraseologismus
- propositional: trifft eine Aussage über einen Vorgang
- satzwertig: durch Vertauschen der Komponenten kann der Satz „Das sichere Ende naht“ gebildet werden
- feste Phrase: der Phraseologismus „naht das sichere Ende“ besteht aus einem fi-niten Verb und einer Nominalphrase, die als Subjekt fungiert, und kann durch Be-setzen der Leerstellen an den Kontext angeschlossen werden („Mit dieser absoluten Waffe naht das sichere Ende für die kleine Schar von Rebellen“) → im Gegensatz zu einer topischen Formel wie etwa Was man hat, das hat man kann eine feste Phrase nicht losgelöst vom Kontext verwendet werden

2.2. Spezielle Klassen

Nachdem nun anhand der Eröffnungstexte der sechs STAR WARS-Filme die Basis-klassifikation von Phraseologismen verdeutlicht wurde, sollen im Folgenden einige der speziellen Klassen näher betrachtet werden. Es handelt sich dabei um Klassenbildung-en, die unter einem speziellen Kriterium einzelne Gruppen von Phraseologismen her-ausgreifen. Sie können in verschiedenen Klassen der Basisklassifikation auftreten (vgl. BURGER 2003: 43 f.).

2.2.1. Modellbildungen

Unter die Klasse der „Modellbildungen“ fallen Ausdrücke, die nach einem festen Struk-turschema gebildet sind, „dessen autosemantische Komponenten lexikalisch (mehr oder weniger) frei besetzbar sind“ (ebd.: 44). Ein geläufiges Modell im Deutschen ist bei-spielsweise von X zu X, das den Phraseologismen von Küste zu Küste, von Mann zu Mann oder von Zeit zu Zeit zugrunde liegt. Abgewandelt zu von X zu Y kann dieses Mo-dell auch mit zwei unterschiedlichen autosemantischen Komponenten besetzt werden (von Vater zu Sohn, von Mutter zu Tochter). In jüngster Zeit haben solche Struktur-modelle besondere Beachtung gefunden, da sich an ihnen zeigt, dass „bestimmten syn-taktischen Strukturen präferierte semantische Interpretationen zukommen“ (ebd.).

2.2.2. Zwillings- und Drillingsformeln

Die Klasse der „Zwillings- und Drillingsformeln“ kann als Spezialfall der „Modellbil-dungen“ aufgefasst werden. Hierbei werden zwei oder drei Wörter der gleichen Wortart „mit und, einer anderen Konjunktion oder einer Präposition zu einer paarigen Formel verbunden“ (BURGER 2003: 45) und stehen „in synonymischem oder antonymischem Verhältnis zueinander oder weisen zumindest gemeinsame semantische Merkmale auf“ (BALSLIEMKE 2001: 54). Beispiele für Zwillingsformeln sind etwa weit und breit, hegen und pflegen sowie Glück im Unglück oder auch Ausdrücke wie Seite an Seite, Auge um Auge oder grau in grau, bei denen zweimal dasselbe Wort durch eine Präpo-sition miteinander verbunden wird. Geläufige Drillingsformeln stellen etwa die Phra-seologismen heimlich, still und leise, Pleiten, Pech und Pannen oder auch Spiel, Satz und Sieg dar.

2.2.3. Komparative Phraseologismen

Als „komparative Phraseologismen“ werden solche Wortverbindungen bezeichnet, die einen festen Vergleich enthalten, „der häufig der Verstärkung eines Verbs oder Adjek-tivs dient, die selbst in ihrer freien Bedeutung verwendet sind“ (BURGER 2003: 45). Je nachdem wie transparent dieser Vergleich ist, können solche Ausdrücke sowohl als Kollokationen als auch als Teil-Idiome auftreten. Beispiele hierfür sind etwa s chweigen wie ein Grab, zittern wie Espenlaub oder blind wie ein Fisch.

2.2.4. Kinegramme

Unter die Klasse der „Kinegramme“ fallen solche Ausdrücke, mit denen „konventiona-lisiertes nonverbales Verhalten sprachlich gefaßt und kodiert“ wird (ebd.: 46). Kine-gramme stellen also eine „sprachliche Repräsentation außersprachlichen (kommunika-tiven) Verhaltens“ dar (BURGER/BUHOFER/SIALM 1982: 56). Während in den Fällen von mit den Augen rollen, die Nase rümpfen oder mit den Achseln zucken das ent-sprechende nonverbale Verhalten auch heutzutage noch üblich ist, bezeichnet BURGER (2003: 46) Phraseologismen wie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, bei denen das kodierte „nonverbale Verhalten heute nicht mehr praktiziert wird und daher nur noch die phraseologische Bedeutungsebene erhalten geblieben ist“, als „Pseudo-Ki-negramme“. Oftmals liegt bei diesen Ausdrücken „nur noch ein symbolischer Gehalt in der verbalisierten Gestik“ (BALSLIEMKE 2001: 59).

2.2.5. Onymische Phraseologismen

Der Klasse der „onymischen Phraseologismen“ ist eine feste Wortverbindung dann zu-zuordnen, wenn sie als Eigenname bzw. charakteristische Benennung fungiert (das Rote Kreuz, das Schwarze Meer, das Weiße Haus). Der Unterschied zwischen einem ony-mischen und einem nichtonymischen Phraseologismus lässt sich im Deutschen bereits auf orthografischer Ebene erkennen. „Die onymischen Wortgruppen verlangen Groß-schreibung mindestens des ersten Wortes, auch wenn dies ein Adjektiv ist“ (FLEISCHER 1997: 70). Während Kalter Krieg also als onymischer Phraseologismus einzustufen ist, so stellt der Ausdruck kalter Kaffee eine nichtonymische phraseologische Wortbindung dar.

Auch in den Spielfilmen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersucht wurden, kommen zahlreiche onymische Phraseologismen vor, von denen einige hier kurz ange-führt seien: „Das Herz des Ozeans“ ist in TITANIC (1997) der Name eines Diamanten, den Cal seiner Verlobten Rose schenkt, Anakin Skywalker wird in der STAR WARS-Saga auf „die Dunkle Seite der Macht“ gezogen, in den STAR TREK-Filmen fliegt die Besatzung der Enterprise des Öfteren in „die Neutrale Zone“ oder bekommt es mit ei-nem klingonischen Raumschiff der Klasse „Bird of Prey“ zu tun, und das „Hover Board“ - ein futuristisches Skateboard ohne Räder - ist für Marty McFly eine willkom-mene Hilfe in vielen brenzligen Situationen der ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT-Reihe.

2.2.6. Phraseologische Termini

Ausdrücke, die als „phraseologische Termini“ anzusehen sind, funktionieren genauso wie jeder Ein-Wort-Terminus auch. Sie sind „in ihrer Bedeutung strikt festgelegt (‚nor-miert‘)“ (BURGER 2003: 48), somit „einem Begriff eindeutig zugeordnet“ und „daher kontextunabhängig und fachbezogen“ (FLEISCHER 1997: 72). Phraseologische Termini stellen „wissenschaftlich erarbeitete Begriffe“ dar, „die durch den Stellenwert inner-halb des Systems einer wissenschaftlichen Terminologie“ bestimmt sind (ebd.: 71 f.). Anders als bei den onymischen Phraseologismen gibt es jedoch zwischen terminolo-gischen und nichtterminologischen festen Wortverbindungen auf der orthografischen Ebene keinen Unterschied. Terminologische Phraseologismen wie einstweilige Verfü-gung, autogenes Training oder spitzer Winkel weisen die gleiche Oberflächenstruktur auf wie die nichtterminologischen Phraseologismen schwere Geburt, harter Brocken oder leichtes Spiel.

2.2.7. Sprichwörter und Gemeinplätze

Der frühe Vogel fängt den Wurm, Morgenstund hat Gold im Mund und Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen - Aussprüche wie diese werden der Klasse der „Sprichwörter“ zugeordnet. Sie sind charakterisiert durch „eine lehrhafte Tendenz“ (BALSLIEMKE 2001: 57), geben meist in einer übertragenen, verallgemeiner-ten Form die Lebenserfahrung vieler Generationen wieder und zeichnen sich durch „einen festen, invariablen lexikalischen Bestand“ aus (FLEISCHER 1997: 76). Sprich-wörter stellen somit in sich geschlossene, generalisierende Aussagen dar, die keine satz-verflechtenden Elemente aufweisen, da sie „auch ohne [lexikalische] Verankerung in einem spezifischen Kontext, einer spezifischen Situation verständlich sind“ (BURGER 2003: 40). Daher bezeichnet FLEISCHER (1997: 76) sie auch als „eigene Mikrotexte“, die „nicht wie lexikalische Einheiten ‚reproduziert‘, sondern wie andere Mikrotexte und Teiltexte (Gedichte und dgl.) ‚zitiert‘“ werden. Die Sprichwörter bilden eine Haupt-gruppe der topischen Formeln (vgl. dazu Kapitel 2.1.).

Die andere Hauptgruppe der topischen Formeln stellen die so genannten „Gemeinplät-ze“ dar. Im Gegensatz zu den Sprichwörtern formulieren sie „keine ‚neuen‘ Einsichten, sondern Selbstverständlichkeiten“ (BURGER 2003: 40). Mit Phraseologismen wie Was sein muss, muss sein, Man lebt nur einmal oder Ich bin auch nur ein Mensch werden Tatsachen ausgedrückt, „die aufgrund allgemeinen Weltwissens selbstverständlich“ er-scheinen (ebd.: 41), jedoch dienen sie unter kommunikativen Aspekten vor allem „als Bewertung von Handlungen oder als Rechtfertigung für Handlungen“ (ebd.). Außerdem haben die Gemeinplätze „gezieltere, weniger bedeutungsschwangere [...] Aussageinten-tionen als die Sprichwörter“ (BALSLIEMKE 2001: 57).

[...]


[1] Screenshot entnommen von http://stefanhamburger.de/wc3/Bilder/tpm/EswareinmalFilm.jpg (Aufruf: 06-04-2008)

[2] Screenshot entnommen von http://www.starwars-union.de/index.php?id=ep3_traileranalysen&seite=1 (Aufruf: 06-04-2008)

[3] Screenshot entnommen von http://stefanhamburger.de/wc3/Bilder/tpm/LauftextFilm.jpg (Aufruf: 06-04-2008)

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Phraseologismen im Spielfilm
Untertitel
Eine theoretische Einführung und exemplarische Analysen
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Deutsches Seminar)
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
106
Katalognummer
V94555
ISBN (eBook)
9783640101177
ISBN (Buch)
9783640112180
Dateigröße
1433 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
phraseologismen, spielfilm, eine, einführung, analysen
Arbeit zitieren
Tim Fischer (Autor:in), 2008, Phraseologismen im Spielfilm, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94555

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Titel: Phraseologismen im Spielfilm



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