Im Versuch, Krieg zu bewältigen, entwickelten sich verschiedenste Arten der Auseinandersetzung mit diesem heiklen Thema. In der Literatur ist der Stoff des Krieges in allen Formen ein Thema – eines der ältesten noch dazu. Doch wie verarbeitet der Einzelne seine ganz eigenen Traumata des Krieges in der modernen Kriegsliteratur? Welche Ansatzpunkte liefert Krieg als Stoff und der Mensch als Rezipient für die Vermittlung eines Tabus? Man spricht nicht von den Morden der Väter, doch wer es versucht, wandert auf einem schmalen Grat. Welchen Weg kann man einschlagen, um angemessen zu erreichen, was man sich zum Ziel gesetzt hat – sei es Mitgefühl, Wissen oder Bewusstsein zu vermitteln? Wie erzählt man Krieg?
Diese Arbeit entwickelt Kategorien, die die denkbare Erzählformen aufzeigen. Darauf aufbauend soll analysiert werden, ob und inwiefern Marcel Beyer sich der gegebenen Formen bedient, sie sich zu eigen macht und wie er sie forthin selbst entwickelt. Insbesondere wird hier das Motiv des Lärms und das der Stimme als Mittel zur Umsetzung untersucht. Entwirft Beyer eine eigene Poetik des Krieges? Welche bekannten Formen fließen darin ein und welchen Effekt erzielt er in seinem Roman damit?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Möglichkeiten des Erzählens von Krieg
2.1. Dokumentarstil
2.2. Subjektiv-emotionaler Stil
2.3. Elliptisch-parataktischer Stil
2.4. Die Groteske
3. Das Beispiel „Flughunde"
4. Reflexion
5. Literatur
5.1. Primärliteratur
5.2. Sekundärliteratur
1. Einleitung
Im Versuch, Krieg zu bewältigen, entwickelten sich verschiedenste Arten der Auseinandersetzung mit diesem heiklen Thema. In der Literatur ist der Stoff des Krieges in allen Formen ein Thema - eines der ältesten noch dazu. Schon in der „Ilias“ wird Krieg beschrieben, in Caesars „De Bello Gallico” und wieviel mehr noch in zeitgenössischen Texten. Der Umgang mit dem Stoff entwickelte sich freilich hin zu einer Literatur der Bewältigung von Krieg. Schon die antiken Texte entwerfen Schlachtbeschreibungen, doch wie verarbeitet der Einzelne seine ganz eigenen Traumata des Krieges in der modernen Kriegsliteratur? Welche Ansatzpunkte liefert Krieg als Stoff und der Mensch als Rezipient für die Vermittlung eines Tabus? Man spricht nicht von den Morden der Väter, doch wer es versucht, wandert auf einem schmalen Grat. Welchen Weg kann man einschlagen, um angemessen zu erreichen, was man sich zum Ziel gesetzt hat - sei es Mitgefühl, Wissen oder Bewusstsein zu vermitteln? Wie erzählt man Krieg?
Diese Arbeit soll Möglichkeiten zur Beantwortung befördern. Ziel ist es, Kategorien zu entwickeln, die die denkbaren Erzählformen aufzeigen. Dazu werden im theoretischen Teil dieser Arbeit erzähltheoretische Texte und ausgewählte literarische Werke herangezogen, um daran möglichst klare Kategorien zu entwickeln. Diese Entwicklung ist äußerst schwierig und wird unbefriedigend enden. Dennoch ist der Versuch einer Orientierung unter den Möglichkeiten, wie einzelne Autoren mit Krieg umgehen, das Ziel dieser Arbeit. Möglichst scharfe Kategorien sollen hierbei entstehen, auch wenn Vermischungen und Unschärfen ganz gewiss vorkommen werden. Ästhetische Formen und wichtige Grundüberlegungen zum Umgang mit dem Erzählstoff „Krieg” sollen gesammelt und kategorisiert werden, um sie im Hauptteil der Arbeit auf exemplarisch ausgewählte Szenen in Marcel Beyers Roman „Flughunde” anzuwenden. Es soll analysiert werden, ob und inwiefern Marcel Beyer sich der gegebenen Formen bedient, sie sich zu eigen macht und wie er sie forthin selbst entwickelt. Insbesondere wird hier das Motiv des Lärms und das der Stimme als Mittel zur Umsetzung untersucht. Entwirft Beyer eine eigene Poetik des Krieges? Welche bekannten Formen fließen darin ein und welchen Effekt erzielt er in seinem Roman damit? Im Mittelpunkt soll der Weg zu diesem Effekt stehen, der Einsatz seiner Mittel soll möglichst klar strukturiert und somit in greifbare Bahnen gelenkt werden.
2. Möglichkeiten des Erzählens von Krieg
Die nun folgenden Stile oder Kategorien sind durch die Lektüre ausgewählter Primär- und Sekundärquellen entstanden und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Autor, der sich einem Text über Krieg zuwendet, sei es über konkrete Kampfsituationen, sei es über die ebenso grausamen Erlebnisse in z. B. Konzentrationslagern oder während einer Luftangriffsnacht, wird sich freilich keine Gedanken über den Namen einer Kategorie seines Erzählstiles machen. Und so bleibt diese Kategoriesierung stets einen Schritt zurück hinter den Gedanken und schlussendlich den Werken der Autoren.
Diese Arbeit betrachtet dabei nicht nur die direkte Literatur des Kriegsgeschehens, sondern die damit untrennbar verbundene, unmittelbare Nachkriegsliteratur, hauptsächlich die Beschreibungen zerstörter Städte, die, wie auch Kampfhandlungen selbst, die Ästhetik von Krieg und Gewalt verdeutlichen.
Grob lassen sich fast alle Texte mit Kriegsbezug auf der Achse zwischen Objektivität und Subjektivität einordnen. Während der Dokumentarstil auf dieser Achse (zwar je nach Ausprägung, aber doch) objektiv einzuordnen ist, sind emotionale Erzählstile wie z.B. der Bewusstseinsstrom oder stark elliptische Texte eher am subjektiven Pol dieser Relation einzuordnen. Im Zwischenraum der Pole tummeln sich Mischformen, kommentierte und bewertete Doku- mentarliteratur oder auch die Groteske, die über den oberflächlich sehr subjektiven Stil auch faktisches Material verarbeitet. Wiederum ist hier keine reine Form zu finden. In allen Fällen geht es um Annäherungen und bewusste Vereinfachung, um eine Art von System zu finden.
2.1. Dokumentarstil
Auf der oben genannten imaginären Achse der Objektivität ist, so könnte man annehmen, die dokumentarische Erzählweise von Krieg am objektiven Pol zu verorten. Dies ist jedoch, wie im Umkehrschluss ebenso anzunehmen wäre, längst nicht in allen auf den ersten Blick dokumentarisch anmutenden Texten der Fall. Die Tendenz hin zu einem Dokumentarstil sieht Dieter Wellershoff als Konsequenz des „Zweifel[s] am Medium Sprache“[1]. Durch die Instrumentalisierung von Sprache zur Manipulation und Herrschaft sei dieser Kompetenzzweifel darüber entstanden, als Schriftsteller noch das menschliche Leben darstellen zu können. Die Re- aktion der Schriftsteller darauf bestünde entweder in zunehmender Subjektivierung oder in zunehmender Objektivierung ihrer Werke.[2] Die Texte, die in diesem Kapitel stellvertretend besprochen werden sollen, sind Produkte dieser Objektivierung. Dokumentarische Werke und auch solche, die sich die Form der Dokumentation nur zu Nutze machen (also pseudo-dokumentarisch erzählen), ziehen folglich ihre Autorität und Kompetenz aus der Aufgabe des eigentlichen „Privileg[s] der Schriftsteller, stellvertretend für andere sprechen zu können.“[3] Sie machen den Autor quasi zu einem Materialkomponisten, der seine Subjektivität nur mehr durch die Anordnung von Sprache, nicht durch deren Kreation selbst aufrecht erhält.
Grob kann bei dokumentarisch erscheinenden Texten in faktische Dokumentation und pseudo-dokumentarische Werke unterschieden werden. Eines der beeindruckendsten Projekte ist das „Echolot“[4] Walter Kempowskis. In seinem über 25 Jahre andauernden ,Lebensprojekt‘ hat Kempowski collageartig verschiedenste Texttypen chronologisch geordnet. In insgesamt zehn Bänden sind Tagebucheinträge, Briefe und Zeitungsberichte gesammelt, immer versehen mit Person, deren Geburts- und Todesjahr und einem Ort. Darüber prangt das jeweilige Datum als einzige Orientierung und einzige Art von Einteilung. Kempowski tritt als Autor völlig in den Hintergrund und bleibt tatsächlich nur als selektierende Instanz erhalten; nicht einmal das Arrangement der Textstücke ist sein Werk, dahinter steht einzig die Chronologie.
Der drei Jahre jüngere Alexander Kluge, der wie Kempowski in den letzten Atemzügen des zweiten Weltkriegs noch eingezogen wurde, ist Autor zweier ebenfalls in diese Kategorie gehörenden Werke. In „Neue Geschichten. Hefte 1-18. ,Unheimlichkeit der Zeit'“[5] ist auch der Text „Der Luftangriff auf Halberstadt am 8. April 1945“ enthalten. Darin beschreibt Kluge den von ihm erlebten Angriff der alliierten Bomberverbände auf seine Heimatstadt. Direkt im Vorwort macht er einige programmatische Angaben. So seien die Geschichten des Buches ohne Oberbegriff gesammelt und nicht einmal er selbst behaupte, alle Zusammenhänge immer zu begreifen.[6] Ferner beträfen die Geschichten nicht die Vergangenheit, sondern die „Jetztzeit“[7]. Auch weist Kluge an dieser Stelle darauf hin, dass er dabei war, „als am 8. April 1945 in 10 Meter Entfernung so etwas [eine Sprengbombe] einschlug.“[8] Die Geschichte beginnt mit der Erzählung einer Theater-Leiterin, die unbeirrt vom Luftangriff nur ein groteskes Ziel verfolgt: „Sie wollte sich mit einer Luftschutz-Schippe dranmachen, die Trümmer bis zur 14- Uhr-Vorstellung aufzuräumen.“[9] Dies scheitert, womit die erste der Episoden, die Kluge hier immer von fett gedruckten und in eckige Klammern eingefassten Überschriften eingerahmt berichtet, beendet ist. Das Werk ist gespickt mit Fotos, die - einem Sachbuch gleich - Abbildungsnummern und Bildunterschriften zugewiesen bekommen. Die einzelnen Episoden erzählen zumeist die Schicksale von Personen oder sind auf Orte bezogen. Kluge macht es schwer, zwischen Fiktion und faktischen Versatzstücken zu unterscheiden, wenn er die Ereignisse dieses Tages streng nach einer Strategie von oben (aus der Sicht der Angreifer) und einer Strategie von unten (vom Boden aus) erzählt.[10] Der Text schließt mit dem Satz: „An einem gewissen Punkt der Grausamkeit angekommen, ist es schon gleich, wer sie begangen hat: sie soll nur aufhören.“[11] Kluges pseudo-dokumentarischer Bericht kulminiert damit in einer wertenden Aussage. Sie steht zwar, wie z.B. auch die Aussagen eines im „Echolot“ verwendeten Briefes, im Mund eines Zeugen und nicht des Autors, doch macht Kluge durch seine programmatischen Ankündigungen im Vorwort keinen Hehl daraus, dass er Faktizität zu Gunsten gefühlter Authentizität opfert.
Zumindest äußerlich dem „Echolot“ ähnelnd ist ein weiteres Werk von Alexander Kluge: „Schlachtbeschreibung“[12]. Dieser mit „Rechenschaftsbericht“[13] überschriebene Text ist ebenfalls chronologisch geordnet und „beschreibt den organisatorischen Aufbau eines Unglücks“[14], wie es im Vorwort heißt. Auch hier macht Kluge direkt zu Beginn klar, dass er den dokumentarischen Anspruch nicht gänzlich erhebt: „Die Ursachen liegen 30 Tage oder 300 Jahre zurück. Die durch häufige Nennung abgestumpften Namen sind teilweise abgekürzt oder geändert.“[15] In propagandistischen Einträgen zu Anfang werden vermeintliche Erfolge der Achsenmächte in Stalingrad (welches Kluge mit „St.“ abkürzt) dokumentiert. Später dann entlarvt Kluge diese Propaganda, in dem er erneut chronologisch geordnet die dazugehörigen Anweisungen des Reichspressechefs anbringt. In einem dritten Zug dann folgen Interviews, welche nicht chronologisch geordnet sind, sondern nur nach Dienstgraden und simplen Nummern. Diese Interviews erlauben einen Einblick in immer mehr Details der zugrunde liegenden Schlacht um Stalingrad. Durch diese Dreiseitigkeit entsteht ein noch dokumentarischerer
Eindruck als beim „Luftangriff auf Halberstadt“, der um so mehr trügt. Denn während Kluge in Halberstadt selbst Augenzeuge gewesen ist, hat er Stalingrad nicht selbst erlebt. Grundlagen seiner ,Quellen‘ gibt er jedoch in beiden Fällen nicht an.
Die hier vorgestellten drei Beispiele spannen einen exemplarischen Bogen der Möglickeiten dokumentarischen Vorgehens zum Erzählen von Kriegsgeschehen von der ganz objektiven Methode bis hin zu sehr fragwürdigen Vermischungen zwischen Fakten und Fiktion, deren Ziel eher die Authentizität der gefühlten, denn die der faktischen Wahrheit ist. Dennoch ist dieser Ansatz ein sehr ergiebiges Mittel, das vor allem der Gefahr einer zu starken Heroisierung von Kriegsinventar jeder Art aus dem Weg geht, die eher subjektiven Texten innewohnt. Der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller W. G. Sebald resümmiert: „Im Dokumentarischen [...] kommt die deutsche Nachkriegsliteratur eigentlich erst zu sich [...].“[16]
2.2. Subjektiv-emotionaler Stil
Bedient man sich erneut dem Bild einer Achse der Objektivität, dann wird man emotionale Erzählformen intuitiv an den subjektiven Rand schieben. Es liegt nahe, dass Subjektivität und Emotionalität zwei grundlegende Eigenschaften solcher Texte sind, die von persönlichem, aber auch gesamtgesellschaftlichem Leid handeln. Verliert man im Kriegschaos zuweilen den Überblick, so bleibt doch das eigene Empfinden davon größtenteils unberührt und bietet somit später eine der ertragreichsten Quellen der Erinnerung.
Die Romanform bietet sich an, solche Erinnerungen zu verarbeiten. Sie bietet Raum für vielschichtige Handlungsstränge und erlaubt es, über die Handlung hinaus eine komplexe Welt zu kreieren - hieran scheitern Lyrik und Drama.[17] Einer der bekanntesten Romane der deutschsprachigen Kriegsliteratur ist der Erste-Weltkriegs-Roman „Im Westen nichts Neues“[18] von Erich Maria Remarque. Erzählt wird die Geschichte Paul Bäumers, der sich freiwillig zum Krieg gemeldet hatte, fasziniert von den Reden seines Lehrers. Der Protagonist erlebt den Grabenkampf an der Westfront. Der homodiegetische Erzähler schildert die Schrecken des Krieges und neigt dabei zu Rahmenbeschreibungen; die eigentlichen Kriegshandlungen bilden den deutlich kleineren Teil der Erzählung.
[...]
[1] Winter, Hans Gerd: Dokumentarliteratur. In: Ludwig Fischer (Hg.): Literatur in der Bundesrepublik Deutschland bis 1967. München/Wien: Hanser 1986. (Zugl. Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Rolf Grimminger. Bd. 12.), S. 379.
[2] Vgl. ebd.
[3] Ebd.
[4] Kempowski, Walter: Das Echolot. Ein kollektives Tagebuch Januar und Februar 1943. 4 Bde. München: Knaus 1993. Ders.: Das Echolot. Fuga furiosa. Ein kollektives Tagebuch Winter 1945. 4 Bde. München: Knaus 1999. Ders.: Das Echolot. Barbarossa '41. Ein kollektives Tagebuch. München: Knaus 2002. Ders.: Das Echolot. Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch. München: Knaus 2005.
[5] Kluge, Alexander: Neue Geschichten. Hefte 1-18. „ Unheimlichkeit der Zeit“. Frankfurt: Suhrkamp 1977.
[6] Vgl. ebd., S. 9.
[7] Ebd.
[8] Ebd.
[9] Ebd., S. 35.
[10] Vgl. Hage, Volker: Zeugen der Zerstörung. Die Literaten und der Luftkrieg. Frankfurt: Fischer 2003. S. 87.
[11] Kluge, Alexander: Neue Geschichten. S. 106.
[12] Kluge, Alexander: Schlachtbeschreibung. Olten/Freiburg im Breisgau: Walter 1964.
[13] Ebd.
[14] Ebd., Vorwort.
[15] Ebd.
[16] Sebald, Winfried G.: Luftkrieg und Literatur. München/Wien: Hanser 1999. S. 70f.
[17] Vgl. Landwehr, Jürgen: Der Krieg als Darstellungsvehikel und seine groteske Entlarvung. In: Hans-Jürgen Horn und Hartmut Laufhütte: Ares und Dionysos. Das Furchtbare und das Lächerliche in der europäischen Literatur. Heidelberg: Winter 1981. S. 262.
[18] Remarque, Erich Maria: Im Westen nichts Neues. Berlin: Propyläen 1929.
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