"...und Ihr in Bonn könnt die Bude zumachen..."

Zum Gesprächsleitungsverhalten des Moderators Böhme aus sprechwissenschaftlicher Sicht


Studienarbeit, 1997

87 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Gegenstand und Ziele

2. Die Talkshow - zwischen schillerndem Genre und grossem Rhababern
2.1 Definitionsprobleme
2.2 Zur Intentionalität von Talkshows: informare und delectare?

3 Die Talkshow Talk im Turm
3.1 Äußerer Rahmen
3.2 Gäste
3.3 Der Moderator

4. Zur Leitung von Gesprächen in Sprecherziehung / sprechwissenschaft
4.1 Gesprächsleitung und/oder Moderation
4.2 Moderatorennöte: Das Anforderungsprofil an den Moderator
4.3 Zur Bedeutung der Sprechhandlung Fragen in der mündlichen Kommunikation
4.4 Grundaufgaben der Gesprächsleitung
4.4.1 Mit Fragen leiten
4.4.2 Zeitrahmen, Beteiligung, Sachbezug, Stimmungen
4.4.3 Polarisierungen in die Gruppe öffnen
4.4.4 Gesprächsprozeß offenhalten
4.4.5 Bündeln - verteilen - bündeln

5. Hypothesenbildung

6. das untersuchungsmaterial
6.1 Zur Transkription der Gespräche

7. Datenerhebung
7.1 Beteiligung der Gesprächsteilnehmer und des Moderators Böhme
7.1.1 Diskussion der Ergebnisse
7.2 Analyse der Gesprächsbeiträge des Moderators Böhme
7.2.1 Vorbemerkung
7.2.2 Anteil der Fragen unter den Gesprächsbeiträgen Böhmes
7.2.3 Frageformen: öffnend - schließend
7.2.4 Fragetypen: Erklärung, Rechtfertigung, Ausgrenzung, Entscheidung, Suggestion
7.2.4.1 Erklärung oder Rechtfertigung?
7.2.4.2 Entscheidung
7.2.4.3 Ausgrenzung
7.2.4.4 Suggestion
7.2.5 Zur Klärung nachfragen
7.2.6 Diskussion der Ergebnisse

8. Folgerungen und Perspektiven

9. Anhang

10. Literaturverzeichnis

1. Gegenstand und Ziele

‘Wir amüsieren uns zu Tode’ lautet der bekannte Titel des Buches von N. Postman (1992). Beklagt wird darin die allmähliche Zerrüttung der Kulturtätigkeit durch das totale Entertainment. Der gewerbsmäßige Illusionismus, v. a. hervorgerufen durch elektronische Medien, gefährde die menschliche Urteilskraft und bereite die Unmündigkeit der Bürger[1] vor, so die Behauptung Postmans.

Warum solch harte Worte gebrauchen, ist man geneigt zu fragen? Zwar sind Medien wie Hörfunk und Fernsehen allgegenwärtig, aber sie dienen ja schließlich auch der Information ihrer Rezipienten. Warum sich also gleich zu Tode amüsieren?

Auf dem hier in Frage stehenden schmalen Grad zwischen Information und Unterhaltung bewegen sich auch Talkshows, darunter insbesondere politische Talkshows. Getalkt wird dabei täglich in unterschiedlichen Sendern, wobei der eifrige Zuschauer unter 10 Shows ‘tagtäglich’ wählen kann[2] - entsprechend dann auch der Titel einer Sendung: Talk Täglich.

Was konkret kann man sich unter der Talkshow vorstellen? Welche Ziele verfolgt sie? Gehört es zu den Aufgaben ihres ‘Talkmasters’ (im folgenden ‘Moderator’), Gespräche zu leiten? Und wenn ja, in welcher Weise wird das getan? Kann mit Hilfe sprecherzieherischer Kriterien das Leitungsverhalten des Moderators analysiert und über die Kommunikationskultur reflektiert werden?

Zur Untersuchung ausgewählt wurde die Talkshow Talk im Turm. Motiviert wurde diese Wahl durch den themenzentrierten Anspruch der Sendung. Sie hebt sich durch ein scheinbar vernünftiges Miteinandersprechen von herkömmlichen Talkshows ab, da diese vorwiegend versuchen, durch amüsanten Klatsch und die Herausforderung ihrer Gäste zu verbalem Exhibitionismus und seelischem Striptease, zur Unterhaltung der Zuschauenden beizutragen. Die demokratische Kommunikationskultur, die auch zur (politischen und kritischen) Aufklärung der Zuschauer beisteuert, steht deshalb zur Diskussion (vgl. Vogt, 1996, S. 56).

Erkenntnisleitende Frage der Arbeit ist folglich, ob das Leitungsverhalten des Moderators Erich Böhme zur Verbesserung der demokratischen Kommunikationskultur im Fernsehen beiträgt.

Nach Problematisierung des Talkshow-Begriffs und der Intentionalität derselben, wird die ausgewählte Talkshow Talk im Turm fokussiert. Dabei werden die konstituierenden Merkmale der Sendung beleuchtet und Folgerungen für den Untersuchungsgegenstand gezogen.

Der Gesprächsleiter ist tot, es lebe der Moderator. Nach der notwendigen Auseinandersetzung mit diesem Spannungsfeld und den damit verbundenen Aufgaben des Moderators, wird die Bedeutung von Fragen in der mündlichen Kommunikation entwickelt und die Grundaufgaben des Gesprächsleiters auf der Basis sprecherzieherischer Methodik beschrieben. Dadurch wird dieVorgehensweise, die für Untersuchung ausschlaggebend ist, transparent.

Im anschließenden empirischen Teil werden nach Bildung der Hypothesen die untersuchten Sendungen vorgestellt und die Verfahren zur Transkription der Gespräche erläutert. Gemäß den Untersuchungskriterien werden im folgenden die Daten analysiert, die Ergebnisse ausgewertet und Schlußfolgerungen gezogen. Unter Bezug auf die in der Analyse gewonnen Erkenntnisse werden zuletzt Hinweise gegeben, die aus sprecherzieherischer Perspektive zur Verbesserung der Kommunikationskultur im Fernsehen dienen könnten. Damit schließt sich der Kreis der Vermitteltheit zwischen Praxis, Theorie, Analytik und Didaktik[3].

I. Theoretischer Teil

2. Die Talkshow - Zwischen schillerndem Genre und grossem Rhababern

2.1 Definitionsprobleme

Ihren Ursprung haben Talkshows in den USA. Die erste Sendung dieser Art flimmerte im Jahr 1950 über den Bildschirm, ihr Titel war Broadway Open House und ihr Moderator hieß Jerry Lester (vgl. Foltin, 1994, S. 69). Der Siegeszug der ‘Schwafelrunden’ und ‘Quakformate’ (Sokolowsky, 1996, S. 16) ging derart schnell vonstatten, daß sie heute aus dem Fernsehen nicht mehr wegzudenken sind.

Was versteht man nun eigentlich unter Talkshow? Dividiert man das Substantiv ‘Talkshow’ in seine zwei Bestandteile, so erhält man ‘Talk’ und ‘Show’. Die Übersetzung von ‘Talk’ fällt nicht weiter schwer, ‘Show’ wird in den USA synonym zu ‘Sendung’ gebraucht. Allein der Begriff ‘Gesprächssendung’ erleichtert die Definition jedoch noch nicht, läßt aber eine frühe, begriffliche Approximation zu.

Eine der ersten Definitionen im deutschsprachigen Raum stammt von Barloewen und Brandenberg (1975), die als konstitutive Faktoren für die Talkshow feststellen:

1. Der Seriencharakter der Sendung. Nur wenn die Sendung in regelmäßigem, möglichst häufigem Rhythmus wiederkehrt, etabliert sie sich im Bewußtsein der Zuschauer als eine feste Einrichtung.
2. Die zentrale Figur des Gastgebers. Der Talk Master, mehr als der eine oder andere Gast, prägt die Sendung, entscheidet über Erfolg oder Mißerfolg. Er repräsentiert die Sendung; wird zum Star, zum Identifikationsobjekt.
3. Das Talk Show-Gespräch ist nicht Sachgespräch, sondern personenbezogen. Nicht der Fachmann, der Spezialist ist als Gast geeignet, sondern vor allem derjenige, der als Person interessant ist. Die Diskussion einzelner Themen steht nicht im Mittelpunkt und soll das Hauptanliegen, die Charakterisierung von Personen, nicht verdrängen. (S. 18)

Angesichts der Fülle der heute über den Äther flimmernden Talkshows ist diese Definition nur noch begrenzt brauchbar. Im folgenden soll sie ergänzt und verbessert werden. Dennoch weist die Definition, und deshalb ist sie auch von Interesse, auf den Wandel hin, der sich seit der ersten Talkshow[4] im bundesdeutschen Fernsehen (1973) bis zum jetzigen Zeitpunkt, vollzog.

Festhalten bei der Definition von Barloewen und Brandenberg kann man sicherlich am ‘Seriencharakter’ der Talkshow (Punkt 1), wobei die Frequenz zwischen beinahe täglich und viermal jährlich divergieren kann (vgl. Foltin, 1994, S. 70).

Die Bedeutung des ‘Talk Masters’ (Punkt 2) ist heute gleichwertig mit der Bedeutung der anwesenden Gäste zu sehen. Ein noch so blendender Moderator tut sich schwer, wenn seine Gäste nicht entsprechend ‘mittalken’. Zudem bieten Gäste eine Projektionsfläche von Wünschen und Bedürfnissen für das Publikum Zuschauer. Diesem Faktor mißt auch Mikos (1994) Relevanz zu, wenn er sagt:

Denn Gäste, die Besonderes geleistet haben und nicht nur einfach bekannt sind, und Stars sind gewissermaßen symbolische Objektivationen von Lebensromanen der Zuschauer, von den Vorstellungen von einem besseren Leben, einem Leben, wie es eigentlich sein sollte, aber aufgrund der alltäglichen Zwänge nicht geworden ist. (S. 160)

Überholt ist - und damit zurück zur Definition von Barloewen und Brandenberg - gewiß der dritte konstitutive Faktor, nachdem Talkshows nicht sach-, sondern personbezogen sind. Gerade die themenorientierten Shows, Steinbrecher und Weiske sprechen von ‘Themen-Talk’ im Kontrast zu ‘Promi-Talk’ (1992, S. 23 ff), erfreuen sich bei den Zuschauern zunehmender Beliebtheit (vgl. Fried, 1990, S. 307). Der Gast ist entweder Experte per se, oder Betroffener, der seine spezifische Meinung oder Erfahrung zum Thema miteinbringen kann.

Die Anwesenheit von Studiopublikum ist charakteristisch für heutige Talkshows. Fehlen die Zuschauer, bekommen die Gesprächsteilnehmer kein Feedback. Die Zuschauer dienen somit als Stimmungsbarometer. Durch ihr Lachen und Applaudieren wird die Atmosphäre im Studio aufgelockert, was zu einer veränderten Gesprächsbereitschaft der Gäste führt (vgl. Steinbrecher & Weiske, 1992, S. 58). Die Anwesenheit des Publikums mildert auf diese Art die Sterilität des Studios. Damit erfüllt das Studiopublikum eine wichtige Funktion innerhalb von Talkshows.

Dies führt zu einem weiteren Kriterium: der relativen Freiheit im Ablauf des Gesprächs. Da es sich bei Talkshows nicht um Parlamentarische Debatten oder Fernsehdiskussionen (jeweils vor oder nach Wahlen - sog. ‘Elefantenrunden’) handelt, bei denen die Redezeit begrenzt, Gesprächsregularien bekannt und Themata weitgehend vorstrukturiert sind, wird beim Zuschauer Zuhause und im Studio Spannung durch die Erwartung von etwas Unvorhersehbaren erzeugt. Kalverkämper (1982) schreibt hierzu:

Was [. . .] kurzweilig unterhält, ist primär die Erwartung des Unerwartbaren, ist die reizvolle Nichtkalkulierbarkeit, ist der Peinlichkeitsreiz für den Zuschauer, der auf den Patzer, auf die Entlarvung der Persönlichkeit, auf das spontane Ablegen eines Rollenverhaltens beim Gast und beim Gastgeber wartet. (S. 182)

Dies ist besonders bei personenzentrierten Sendungen (sog. ‘Promi-Talk’ oder ‘Portrait-Talk’) der Fall. Mit Spannung erwartet wird eine Person, die ‘aus der Rolle fällt’, mit Worten aus der Soziologie kann man sagen: eine Person, die das Bündel von Verhaltenserwartungen an ihre Position nicht aufrecht erhält.

Foltin (1994, S. 72/73) nennt drei weitere, konstituierende Kennzeichen, auf die ich in gebotener Kürze noch eingehen möchte: ‘Ehrlichkeit’ der Gespräche, bestimmte Show-Effekte und die nachträgliche Verarbeitung in direkter Kommunikation.

Die Zuschauer von Talkshows erwarten von den Gästen ein gewisses Maß an Ehrlichkeit in ihren Gesprächen. Je ehrlicher und offener die Gäste sind, desto höher werden sie selbst und die Sendung bewertet. Daraus läßt sich für die Position des Moderators schlußfolgern: Der Moderator muß sich in einer Weise verhalten, die Ehrlichkeit und Offenheit bei den Gästen provoziert, der ‘Seelenstriptease’ steht hoch im Kurs. Gleiches wird von Politikern im übrigen nicht erwartet (vgl. Foltin, 1994, S. 72), hier gehen die Zuschauer sowieso nur von einem begrenzten Maß an Ehrlichkeit aus.

Unter Showeffekten sind Musikeinlagen oder künstlerische Vorführungen zu verstehen. Sie dienen der Abwechslung und Zerstreuung zwischen einzelnen Gesprächsphasen und geben den Zuschauern Zeit, über das gerade Erlebte nachzudenken und zu sprechen. Fehlen diese zusätzlichen Showeinlagen, darf die ‘Show’ natürlich trotzdem nicht zu kurz kommen. Durch das Einfangen nonverbaler bzw. extraverbaler Kommunikation mit der Kamera werden den Zuschauenden visuelle Reize geboten, die das Geschehen kurzweiliger machen. Zu denken ist dabei an das Kneten der Finger nach einer peinlichen Frage oder an das wutverzerrte, hocherrötete Gesicht einer Person, die sich (un/gerecht-fertigten) Anschuldigungen ausgesetzt fühlt.

Zu den Merkmalen gelungener Talkshows zählt Foltin (1994) auch das nachträgliche Sprechen mit anderen über die gesehene Talkshow. Ob dieser Faktor angesichts der Fülle von parallel laufenden Talkshows überhaupt noch zu erfüllen ist, mag jedoch bezweifelt werden.

Wie hier kurz skizziert werden konnte, gibt es die Talkshow, wie es sie im Jahre 1975 noch gab, nicht mehr.

Ich möchte deshalb abschließend mit den Worten von L. Mikos (1994, S. 158) die Talkshow allgemein als „ . . . ein Subgenre definieren, bei dem ein oder mehrere Gastgeber in einem Studio oder Saal vor anwesendem Publikum mit mehreren Gästen Gespräche führen; im Mittelpunkt der Gespräche stehen die Gäste selbst sowie aktuelle Themen oder Ereignisse“.

2.2 Zur Intentionalität von Talkshows: informare und delectare

Nachdem die Talkshow im ursprünglichen Sinn nicht mehr existiert, sondern nur eine Fülle unterschiedlicher Sendeformen, ist die allgemeine Frage nach der Intentionalität von Talkshows nicht leicht und auch sicherlich nicht generell, zu beantworten. Dennoch möchte ich vom Allgemeinen - der Rhetorizität des Fernsehens - ausgehen, um zum Besonderen - der Intentionalität von Talkshows - zu gelangen.

Rhetorik kann traditionell als die ‘Theorie und Praxis der beeinflussenden Rede’ bezeichnet werden. Unter Rede ist dann nicht nur die Rede zu anderen (Rederhetorik), sondern auch die Rede mit anderen (Gesprächsrhetorik) zu verstehen. Subsumierbar ist ebenfalls die geschriebene Rede, weil auch sie beeinflussen möchte.

In diesem Kontext ist deshalb Black (1978, S. 17, zit. nach Geissner, 1987) zu verstehen, der sagt: „Rhetorical discourses are those discourses, spoken or written, which aim to influence [Hervorhebung v. Verf.] men“. Im Mittelpunkt steht folglich: ‘to influence someone’, ‘jmd. beeinflussen’. Allem Reden wohnt entsprechend ein Rhetorischsein inne, „denn wo immer und mit welchen Mitteln auch immer Menschen sich unmittelbar oder mittelbar beeinflussen [Hervorhebung v. Verf.], ist Rhetorizität“ (Geissner, 1987, S. 137). (Geissner gebraucht für ‘das Rhetorischsein’ den Terminus ‘Rhetorizität’.) In diesem Zusammenhang verstehe ich ‘beeinflussen’ als den Versuch, jemanden zum Mitdenken und/oder Mithandeln zu bewegen. Dies kann traditionell auf drei verschiedene Weisen vonstatten gehen: durch Belehren, Appellieren und Unterhalten. Diese drei Verben gehen auf die unterschiedlichen Persuasionsgrade ‘docere’, ‘movere’ und ‘delectare’ zurück, die seit der antiken Rhetorik (Cicero, Quintilian) unterschieden werden (vgl. Geissner, 1991b, S. 155). Im angelsächsischen Raum heißen sie dann: ‘to inform’, ‘to persuade’, ‘to entertain’.

Geht man von einer universalen Rhetorizität aus, so Geissners Begründungsgang, können die oben angeführten Persuasionsklassen auf das Medium Fernsehen übertragen werden, wodurch man verschiedene Sendeformen erhält, die entweder als

- persuasiv (Kommentar, Aufruf, Werbung, Politmagazin usw.) oder
- informativ (Nachrichten, Berichte, Dokumentarfilme usw.) oder
- delektativ (Krimi, Sport, Show, Videoclip usw.)

klassifiziert werden können (Geissner, 1991b. S. 156).

Bei näherem Hinsehen ergeben sich bezüglich dieser Einteilung einige Fragen, die m. E. der Klärung bedürfen. Ist eine solche Klassifizierung überhaupt möglich? Konkreter: Will das Politmagazin wirklich nur appellieren ohne wenigstens so zu tun, als daß es in erster Linie informieren möchte? Und wie steht’s mit den Nachrichten? Sind diese rein informativ? Wollen sie nicht durch die schnelle Abfolge von kurzen Berichten, der Untermalung mit Musik und der Art der Präsentation (Showcharakter) auch unterhalten?

Bei den Nachrichten machen es das hohe Tempo in der Abfolge der unterschiedlichen Berichte und die inhaltliche Zusammenhanglosigkeit derselben (Politik, Katastrophe, Kultur, Sport usw.) den Zuschauenden meist schwer, sich über die einzelnen Ereignisse Gedanken zu machen. Wahrscheinlich ist das aber auch nicht der alleinige Sinn und Zweck der Nachrichten, so läßt sich vermuten. Vielmehr liegt das Ziel in der Kurzweiligkeit der Sendung. Sie muß eingehalten werden, um das Zappen des Rezipienten zu verhindern. Postman (1987, S. 123) verdeutlicht den Zusammenhang: „ . . . die Erregung, die eine Fernsehnachrichten-Show auslöst, ist vor allem eine Funktion ihres Tempos, nicht ihrer Substanz, d. h. Erregung über die Bewegung von Informationen, nicht über ihre Bedeutung“. Das ist zwar in erster Linie auf die USA bezogen, läßt sich m. E. aber genauso auf deutsche Verhältnisse übertragen. Sind Nachrichten folglich doch delektativ und weniger informativ?

Ich habe diesen Gedanken hier aufgegriffen, um die (1) Schwierigkeit zu veranschaulichen, einzelne Gattungen[5] (z.B. Nachrichten, Shows, Dokumentationen usw.) allein den ‘Persuasionsklassen’ informativ, delektativ und persuasiv zuzuordnen. Fakt ist, daß die Grenzen zwischen den einzelnen Gattungen immer mehr verschwinden und dadurch (2) die eigentlichen Hintergründe und Intentionen der Fernsehanstalten immer undurchsichtiger und schwerer durchschaubar werden.

„Aufklärung oder Amüsement?“ fragt der Medienwissenschaftler Rüdiger Vogt (1996) in einem Artikel zur Inszenierung politischer Talkshows. Dienen politische Talkshows der Aufklärung der Bürger dieses Landes oder bleiben die Unwissenden weiter unwissend, die Unmündigen weiter unmündig? Wird vorwiegend informiert und aufgeklärt oder steht im Vordergrund das Amüsement der Zuschauenden? Informare oder doch nur delectare?

Die Anzeichen deuten darauf hin, daß gerade bei politischen Talkshows, zu denen auch Talk im Turm zählt, Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen. Holly et al. (1989, S. 4) gehen von folgender Annahme aus:

Als allgemeine Tendenz läßt sich ausmachen: weniger Politiker, weniger reine Politik, weniger strenge, starre Arrangements, mehr Talk-Show-Elemente. Dies bringt zwar Abwechslung, aber auch neue Probleme. Die Gespräche werden oft noch heterogener, zusammenhangloser, diffuser.

Raddatz (1996; zit. nach Vogt, 1996, S. 58) gelangt sogar zu der These, daß Talkshows, anstatt zur politischen Aufklärung beizutragen, das Publikum verdummen würden.

Angesichts dieses Zusammenhangs ist das Auftauchen neologischer Termini wie Infotainment[6] oder Confrontainment nicht weiter verwunderlich. Sie dokumentieren die aufgezeigte Entwicklung.

Was die Intentionalität von Talkshows betrifft, ist es aus entwickelten Gründen sinnvoll, die unterschiedlichen Talkshows in Klassen einzuteilen, anstatt für alle Talkshows, unabhängig ihrer Zielsetzung, den gleichen Maßstab anzulegen.

Aufgrund einer Umfrage, die Steinbrecher und Weiske (1992, S. 20ff) unter den wichtigsten Talkshow-Redaktionen in Deutschland durchgeführt haben, gelangen die Autoren zu einer Unterteilung in vier Klassen, die im folgenden dargestellt werden:

- Promi-Talk: personenzentriert; mehrere, meist prominente Gäste; Anspruch: unterhaltend, aber auch informativ.
- Themen-Talk: themenzentriert; meist prominente Gäste, die aufgrund ihrer Kompetenz eingeladen werden; sollte aber trotzdem unterhaltend sein.
- Portrait-Talk: rein personenzentriert - im Vordergrund steht das Einzelgespräch zwischen Moderator und Gast.
- Konfro-Talk: themenzentriert; kontroverses Thema steht im Mittelpunkt der Show, wobei emotionale Streitgespräche vor aufgeheizter Kulisse wichtiger sind als die argumentative Auseinandersetzung mit den Inhalten.

Berücksichtigt wurden bei der Kategorisierung die Grundideen und Ansprüche der befragten Redaktionen. Die Gliederung ermöglicht einen m. E. brauchbaren Überblick der unterschiedlichen Zielsetzungen der verschiedenen Talkshows.

Die von mir analysierte Sendung Talk im Turm ist als Themen-Talk zu klassifizieren. (Auf die Darstellung der Zuordnung der anderen Talkshows wird verzichtet, da viele der Shows bis zum heutigen Zeitpunkt nicht überlebt haben und eine aktuelle Zuordnung im Rahmen dieser Arbeit nicht von Interesse ist.)

3. Die Talkshow Talk im Turm

Premiere hatte Talk im Turm am 07.01.1990. Seitdem wird die Sendung wöchentlich am Sonntag um 22.00 Uhr im Programm von SAT 1 ausgestrahlt. Ausnahmen bilden die Sommerpause, Weihnachten, Ostern und Pfingsten. In jüngster Zeit überträgt SAT 1 auch wichtige sonntägliche Bundesligaspiele live, was ebenfalls zum Ausfall von Talk im Turm führt. Trotzdem werden im Jahr ca. 40 Sendungen live gezeigt. Die Sendedauer beträgt zwischen 60 und 75 Minuten, jeweils unterbrochen von einem Werbeblock (ca. 15 Minuten).

Ansprechen möchte die Sendung nach Angaben der Redaktion alle Zuschauer, die umfassend informiert sein wollen über aktuelle, politische, sozialkritische und gesellschaftsrelevante Themen (vgl. Steinbrecher & Weiske, 1992, S. 185).

Im folgenden werden die drei wichtigsten Faktoren beschrieben, die Talk im Turm determinieren: der äußere Rahmen, die Gäste und der Moderator.

3.1 Äußerer Rahmen

Der äußere Rahmen einer Talkshow prägt - gemeinsam mit dem Moderator und den Gästen - das Image der Sendung. Mit der Gestaltung des äußeren Rahmens wird eine bestimmte Gesprächsatmosphäre erzeugt. Die Kulisse spiegelt dabei das Ambiente wieder, in der sich die Gäste mehr oder weniger wohl fühlen sollen[7]. Auch das Licht-Arrangement, die Sitzordnung der Gesprächsteilnehmer und das Signet bzw. Logo der Sendung sollen zum unverwechselbaren Charakter, der ein sofortiges Erkennen ermöglicht, beitragen (vgl. Steinbrecher & Weiske, 1992, S. 50).

Die Sendung Talk im Turm wird aus dem Hotel Inter-Continental in Berlin übertragen. Dementsprechend ist die Einrichtung: exklusiv und modern, aber nicht überladen, sondern eher unauffällig angenehm. Die Gesprächsteilnehmer sitzen in komfortabel aussehenden Stühlen, die eine lebhafte Diskussion ermöglichen, ein zu tiefes Einsinken jedoch verhindern. Neben den Stühlen befinden sich Tische, auf denen Getränke abgestellt werden können. Die Sitzordnung ist annähernd rechteckig, wobei der Moderator Erich Böhme eine zentrale Position einnimmt. Durch die Sitzordnung ist es ihm möglich, jederzeit in das Gespräch einzugreifen und zwischen (auch räumlich gesehen) die konfliktären Parteien zu treten. Das kann entscheidenden Einfluß auf den Gesprächsverlauf haben. Bei der Talkshow Live beispielsweise umkreisen zwei Moderatoren die im Halbkreis sitzenden Gäste. Durch diese Sitzordnung haben es die Moderatoren bedeutend schwerer, in die Gespräche zwischen den Teilnehmern einzugreifen. Nicht umsonst stellen Steinbrecher und Weiske (1992, S. 61) deshalb fest: „ . . . die Sitzordnung ist ein Indiz für den Mut einer Redaktion zur Spontaneität“. Folglich läßt schon die Sitzordnung bei der analysierten Talkshow die Schlußfolgerung zu, daß die Gäste zwar kontrovers diskutieren, der Moderator aber immer ‘Herr der Lage’ bleiben soll.

Die Beleuchtung ist derart gestaltet, daß das Studiopublikum im Hintergrund zu erkennen ist. Dadurch soll dem Publikum generell die Möglichkeit signalisiert werden, aktiv am Geschehen zu partizipieren, was allerdings nur selten genutzt wird (bei den von mir untersuchten Sendungen war dies nicht der Fall).

Das Logo einer Sendung dient dem zappenden Zuschauer als Erkennungszeichen. Die meisten Sender haben deshalb ihr Logo (z.B. bei SAT 1 der bunte Ball) während der gesamten Sendung eingeblendet. Auch Talk im Turm hat ein eigenes Signet, anhand dessen der kundige Zuschauer die Talkshow sofort identifizieren kann. Das Logo ist je nach Kameraeinstellung abwechselnd mit dem Namen des Hotels im Hintergrund zu erkennen.

Die Talkshow Talk im Turm kann als puristisch bezeichnet werden, da sie auf Showeinlagen, Musikuntermalung und sonstige Begleitinformationen[8] verzichtet. Begründet wird dieser Verzicht seitens der Redaktion mit dem Hinweis, daß die äußeren Umstände nicht vom Gespräch ablenken sollen (vgl. Steinbrecher & Weiske, 1992, S. 193). Ganz auf Showelemente verzichtet aber auch Talk im Turm angesichts des Vor- und Abspanns nicht, der mit einer Erkennungsmelodie und den Bildern Berlins (‘Brandenburger Tor’) geprägt ist.

Meines Wissens neu und bisher einzigartig ist die Art und Weise, wie der Vorspann eingeleitet wird: Parallel zu einem Werbespot (Bier) wird ein Drittel des Bildschirms durch eine Uhr eingenommen, die durch ihr Design (Farbe, Form) auf die gleich beginnende Sendung hinweist. Im Hintergrund erkennbar sind die ersten beiden Buchstaben der Sendung. Die Art der Einblendung ist in Schwarzweiß gehalten, wodurch ein klarer Kontrast zur bunten Werbung hergestellt wird. Einige Sekunden später beginnt der eigentliche, sieben Sekunden währende Vorspann der Sendung mit Bildern Berlins und sich schnell im Kreis drehenden Menschen; die Bilder Berlins sind in Schwarzweiß aufgenommen, die Menschen farbig, unterbrochen von geometrischen Figuren (rotes Rechteck) und dem Logo der Talkshow. Die Bildfolge ist schnell, unterstützt durch flotte Musik, die den dynamischen Charakter des Vorspanns abrundet. Im Off ist die Stimme Erich Böhmes zu hören, der den Titel der Sendung ankündigt. Die nächste Einblendung zeigt die Gesprächsrunde im Studio. Erich Böhme sitzt im Mittelpunkt und beginnt, die anwesenden Gäste vorzustellen.

Sieht man von der parallelen Darstellung des Werbespots und der beginnenden Talkshow in einem Bild einmal ab, ist der Vorspann - verglichen mit ähnlichen Sendungen[9] - relativ unspektakulär. Auffallend ist, daß der Moderator Böhme während des gesamten Vorspanns nicht bildlich auftaucht. Das ist ungewöhnlich, da der Moderator einer Sendung als das Identifikationssymbol schlechthin eingesetzt wird. Der Gedanke liegt nahe, daß dadurch stärker die Sache (Thema der Sendung) und weniger die Person, fokussiert werden soll. Den Abspann der Sendung bildet ein ‘Crawl’, d. h. die Namen der Verantwortlichen (Redaktion, Produktion etc.) werden im unteren Bildschirmende von rechts nach links angezeigt. Der Crawl läuft mit hoher Geschwindigkeit, ein adäquates Mitlesen ist nicht möglich.

Bildregie und Kameraeinstellungen lassen Rückschlüsse auf den Stil der Sendung zu. Die Bildregie ist für die Koordination der Kameraeinstellungen und die Bildschnittfolge verantwortlich. Unterschiedliche Kameras erzeugen unterschiedliche Bilder. Eine Handkamera ist beweglich und flexibel, kann jedoch zu verwackelten Bildern führen. Soll eine lebhafte Diskussion auch bildlich präsentiert werden, kann eine Handkamera jedoch von Interesse sein. In einer ruhigen, intimen Gesprächsrunde wirkt sie eher störend.

Bei Talk im Turm werden nur statische Kameras benutzt. Die Bildführung ist konventionell. Gezeigt werden in wechselnder Reihenfolge die Sprechenden und Zuhörenden in Großaufnahmen oder in Halbnahaufnahmen - bei denen zwei Personen zu sehen sind - und die Gesprächsrunde in der Totalen, um den Zuschauenden einen Überblick zu ermöglichen. Wert legt die Bildregie auf das Einfangen von mimisch-gestischen Handlungen, sowohl der sprechenden als auch zuhörenden Personen.

Selten wird das Studiopublikum in Großaufnahme gezeigt; eine Ausnahme bilden ‘spektakuläre’ Reaktionen, bspw. herzhaftes Lachen oder vehementes Kopfschütteln. Das Studiopublikum ist daher nur im Hintergrund erkennbar. Die Art der Bildführung ist insgesamt ruhig, der Ablauf der Bildfolge strukturiert, fast ist ein gleichbleibender Rhythmus auszumachen. Selbst in sehr lebhaften Momenten, in denen wild durcheinander geredet und nebeneinanderher monologisiert wird, wechseln die Kameraeinstellungen zwar rascher, Hektik wird trotzdem vermieden.

Das Bildarrangement zeigt, daß eine künstliche Vitalisierung als Prävention der Langeweile nicht erstrebt wird. Genauso wie die Redaktion auf sonstige Showelemente verzichtet, verzichtet sie auf ein zusätzliches ‘Ins-Szene-setzen’ der Gäste und des Moderators, wie man es z. B. von der Sendung Privatfernsehen (ARD) mit Friedrich Küppersbusch kennt. M. E. soll dadurch der themenzentrierte Anspruch der Sendung untermauert werden.

3.2 Gäste

Neben dem Moderator stehen v. a. die Gäste einer Talkshow im Mittelpunkt. Meist werden Prominente aus den Bereichen Politik, Sport, Showbusiness eingeladen. Gern gesehen sind in themenzentrierten Shows auch Experten oder Betroffene mit einem besonderen Erfahrungshintergrund. Die Auswahl der Gäste wird neben dem Vorhandensein bestimmter Eigenschaften auch durch ihre Fähigkeit zur Diskussion bestimmt. Gerade themenzentrierte Shows leben von einer kontrovers geführten Diskussion. Gefragt sind Leute, die ihre Positionen klar vertreten können. Denn: „Zu viele ‘Ja, aber’ - Positionen verwässern die Diskussion“, wie Steinbrecher und Weiske (1992, S. 72) konstatieren. Setzt man hingegen nur Sturköpfe in die Gesprächsrunde, kann sehr schnell ein aggressives, emotionales Klima entstehen, daß der Sache - vorausgesetzt es geht überhaupt um die Klärung einer Sache, was es aufzuzeigen gilt - schadet. Die Auswahl der Gäste beeinflußt das Gespräch also nachhaltig.

Was die Selektion der Gäste bei Talk im Turm betrifft, kann ich Klaus Bittermann (1996, 124ff.) zustimmen, der in einem zynischen Artikel feststellt, daß die Gruppe der Gäste meist aus Herren in „dunkelblauen bis dunkelgrauen Anzügen“ und „meistens etwas aufgedonnerten Quotenfrauen“ besteht. Bei den von mir ausgewählten drei Sendungen befindet sich unter insgesamt 12 Gästen nur eine Frau (Inhaberin eines Modehauses in Hamburg). Übrigens ein typisches Beispiel für die geschlechtsspezifische Einladungspolitik der Fernsehanstalten und ihre Auswirkungen[10].

Nach eigenen Aussagen lädt die Redaktion von Talk im Turm nur Gäste ein, die genügend Kompetenz zum Thema miteinbringen. Sind diese darüber hinaus noch in irgendeiner Weise betroffen oder verantwortlich und ergreifen sie innerhalb von Gesprächen die Initiative, gelten sie als ideale Gäste für die Sendung (Steinbrecher & Weiske, 1992, S. 212).

Die Gäste ihrerseits verfolgen bestimmte Interessen, wenn sie in Talkshows auftreten. Unter den hervorstechendsten Merkmalen dürfte die „Propaganda“ in eigener Sache liegen. „Fernsehen ist zum wichtigsten propagandistischen Forum geworden, und dabei sind sog. ‘Diskussionen’ neben den 1 Minute-20-Häppchen-Statements die besten Gelegenheiten zu wirkungsvoller Bildschirmpräsenz“ (Holly, KÜHN & Püschel, 1989, S.1). Das gilt natürlich v. a. für Politiker. Dabei haben es Politiker besonders schwer und müssen ein Doppelspiel betreiben, wie Köpf (1989, S. 48ff.) konstatiert. Einerseits wollen sie nämlich für sich und ihren Standpunkt werben, andererseits müssen sie ihre Werbeabsicht so gut verpacken bzw. verschleiern, daß sie der Zuschauer nicht bemerkt. Daraus läßt sich folgern: Politiker verschleiern die eigenen Absichten, um die Zuschauer zu manipulieren. Damit werden Politikerdiskussionen im Fernsehen zur Farce. Es wird zwar so getan, als ob diskutiert werden würde, realiter läuft jedoch ein Ritual ab, daß eigene Regeln und Gesetze kennt.

Aus der Sicht eines Politikers sieht das natürlich anders aus. Heiner Geissler (1989) wehrt sich gegen die Vorwürfe, daß politische Aussagen fast keine Bedeutung mehr hätten und Telegenität die alleinige Eigenschaft sei, die der Politiker noch beherrschen müsse. Allein mit Showbusiness und Entertainment könnten die Zuschauer nicht überzeugt werden. Geissler (1989, S. 149) stellt deshalb sechs ‘Maximen’ auf, die der Politiker mitbringen müsse: Sachkompetenz, klare und verständliche Darstellung der Inhalte (verbunden mit einprägsamen Begriffen), Widerstand gegen die begriffliche Umwertung der politischen Gegner, Beherrschung der Kunst der Provokation, Verzicht auf persönliche Verunglimpfungen, Vorbereitung auf den äußeren Rahmen einer Debatte.

Ob nicht auch diese Aussage den potentiellen Zuschauer täuschen soll? Da ist keine Rede von Killerphrasen, permanenten Unterbrechungen, Wortverdrehereien usw., um nur einige Tricks aus der Zauberkiste der unredlichen Argumente zu nennen (vgl. Geissner, 1990).

Schlußfolgernd bleibt, daß das Fernsehen Tribut verlangt. Tribut hinsichtlich Ehrlichkeit, Offenheit und Sachlichkeit bei der Diskussion von Themen.

Da die Themen bei Talk im Turm oft politischer Art sind, werden entsprechend häufig Politiker eingeladen. Aber nicht nur Politiker verfolgen bestimmte Ziele mit ihren Fernsehauftritten, sondern auch andere geladene Gäste, wie schon kurz angedeutet wurde. Nach Umfragen unter Talkshow-Gästen sind dabei v. a. drei Absichten auszumachen, die im Vordergrund des Interesses stehen (Steinbrecher & Weiske, 1992, S. 73):

- Vermittlung politischer Botschaften in einem unterhaltenden Senderahmen,
- Möglichkeit zur ausgiebigen Selbstdarstellung mit dem gewünschten Effekt, einen hohen Bekanntheitsgrad zu erreichen,
- Werbung für Produkte und Dienstleistungen sowie Werbung für gemeinnützige Ziele oder öffentlich wirksame Hinweise auf Minderheitenprobleme, was wiederum Sympathie erzeugt und damit das eigene Image aufwertet.

Das Lechzen nach Bekanntheit, das unaufhörliche Frönen der Eitelkeit und die Sucht nach der bestmöglichen Profilierung des eigenen Images erschweren natürlich das sachliche Gespräch. Liegt die Motivation des Gastes hauptsächlich in der Aufpolierung des persönlichen Image, verschwinden die inhaltlichen Aspekte des Gesprächs; sie dienen dann nur noch der Kosmetik. Ein Moderator, dessen Ziel es ist, ein kontroverses Thema konstruktiv zu diskutieren, muß diese Vorbedingungen kennen. Er muß folglich Mittel und Wege finden, um die Gäste nicht zu brüskieren, Sachverhalte aber dennoch konsequent zu thematisieren.

3.3 Der Moderator

Nachdem über die Rahmenbedingungen und die Gäste gesprochen wurde, fällt in einem weiteren Schritt der Blick auf den Moderator. Dieser nimmt im Rahmen der Sendung eine Schlüsselposition ein. Er ist für die Gesprächsführung zuständig. Durch seine Beiträge hat er Einfluß auf den Verlauf und den Inhalt der Gespräche. Er kann durch Nachfragen zur Klärung eines Sachverhalts beitragen und zur Aufklärung im weiteren Sinne sorgen. Mit ihm steht und fällt die Sendung. Innerhalb des Sendeformats steht ihm ein bestimmter Handlungsspielraum zur Verfügung. Wie er diesen Spielraum nutzt, läßt Rückschlüsse auf die Intentionalität der Sendung zu.

[...]


[1] Wenn ich in der vorliegenden Arbeit nur die männliche Form benutze, so geschieht das aus Gründen der Einfachheit und Lesbarkeit und ist in keinster Weise diskriminierend zu verstehen.

[2] Vgl. Foltin (1994, S. 91)

[3] Vgl. hierzu das Flußdiagramm bei Geissner (1986a, S. 20)

[4] Titel der Sendung war Je später der Abend, Sendestart der 4. März 1973 im dritten Programm des WDR. Moderiert wurde die Sendung vom Österreicher Schönherr. Die Sendung kam bei den Zuschauern so gut an, daß sie in der Sylvesternacht 1973/74 zum ersten Mal im Programm der ARD bundesweit gesendet wurde (vgl. Steinbrecher & Weiske, 1992).

[5] Zur Klassifizierung der Begriffe Gattung und Genre vgl. Mikos (1994, S. 149ff)

[6] Infotainment bezeichnet dabei - als Mischform zwischen ‘Information’ und ‘Entertainment’ - jene Formen von Kommunikationsangeboten, die zwar einen informationshaltigen Kern haben, deren Präsentationsformen jedoch deutlich auf Amüsement zielen. Zwei Arten von Infotainment unterscheidet Volpers (1993, S. 265):

(1) Die klassischen Darstellungsformen werden im Kontext traditioneller Sendeformen - also Nachricht innerhalb von Nachrichtensendungen - verwandt, aber die Inhalte werden so präsentiert, daß sie auch oder sogar vorrangig einen hohen Unterhaltungswert bekommen (internes Infotainment).
(2) Neue Präsentationsformen wurden entwickelt, die in spezifische Infotainment-Sendeformen integriert werden (externes Infotainment). Beispiel: Als Talk deklarierte Informationssendungen.

[7] Vgl. die eher intime Atmosphäre bei Boulevard Bio (ARD) mit der Kulisse der inzwischen abgesetzten Talkshow A.T. (RTL), die m. H. v. Stahlgittern eine aggressive Käfigatmosphäre herzustellen suchte.

[8] Es gibt z. B. keine ‘Insert-Zitate’ wie bei der Talkshow Hans Meiser (RTL).

[9] Vgl. beispielsweise den Vorspann bei Willemsens Woche (ZDF) mit Roger Willemsen oder der inzwischen abgesetzten Talkshow Tacheles (ZDF) mit Johannes Gross.

[10] Vgl. hierzu die Feststellung Kotthoffs (1995, S. 64), daß in Fernsehdiskussionen vorwiegend Männer als Experten und Frauen als Betroffene eingeladen werden und damit die Geschlechterpolitik schon vor der eigentlichen Gesprächsrunde beginnt.

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
"...und Ihr in Bonn könnt die Bude zumachen..."
Untertitel
Zum Gesprächsleitungsverhalten des Moderators Böhme aus sprechwissenschaftlicher Sicht
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Note
1,0
Autor
Jahr
1997
Seiten
87
Katalognummer
V94594
ISBN (eBook)
9783640099931
ISBN (Buch)
9783640121250
Dateigröße
717 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bonn, Bude
Arbeit zitieren
Ingo Kallenbach (Autor:in), 1997, "...und Ihr in Bonn könnt die Bude zumachen...", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94594

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