Die Psychologie eines Brandstifters. Tiefenhermeneutische Rekonstruktion der bizarren Inszenierungen des Donald Trump


Diskussionsbeitrag / Streitschrift, 2019

27 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Kernbergs Verständnis narzisstischer Persönlichkeitsstörungen
1.2. Die sich in Trumps Selbsteinschätzungen offenbarende Selbstwertstörung
1.3. Trumps sich bei politischen Auftritten zeigende Störung der Objektbeziehungen
1.4. Trumps gestörte Beziehungen zu Frauen
1.5. Trumps Lügen im Dienste der perversen Errichtung einer »schönen neuen Welt«
1.5.1. Der Kampf gegen das Böse und die Entfesselung des Chaos
1.5.2. Die Selbstinszenierung als Schöpfer einer neuen Welt
1.6. Psychologie des autoritären Charakters

Schluss: Eine böse Normalität

Literatur

Einleitung

Immer wieder schockiert Donald Trump, weil er unentwegt bizarre Behauptungen twittert und gegen jede Vernunft handelt, auch wenn er sich damit in der Öffentlichkeit schadet. Daher stellt sich die psychologische Frage, ob man die irritierenden Äußerungen und Handlungen des amtierenden US-Präsidenten als Symptome einer bestimmten Persönlichkeitsstörung begreifen kann1. Eben diese Frage haben 27 amerikanische PsychiaterInnen, PsychologInnen und TherapeutInnen in dem von Bandy X. Lee (2017) herausgegebenen Sammelband Wie gefährlich ist Donald Trump? untersucht.

Dabei macht bereits der Titel des Sammelbandes darauf aufmerksam, dass es nicht darum geht, »eine Diagnose zu stellen«, die in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Praxis zur Entwicklung eines »Behandlungsansatzes« dienen würde (Lee, 2017a, S. 35f). Vielmehr zielt die Analyse von Trumps Persönlichkeit darauf, die »Gefährlichkeit« dieses Präsidenten zu untersuchen (Lee 2017, S. 35), der »wiederholt mit Gewalt gedroht, zu Gewalt angestachelt oder mit seiner eigenen Gewalttätigkeit geprahlt hat« (Gilligan 2017, S. 211). Aufgrund seiner Verfügung über Nuklearwaffen stellt Trump nicht nur für Amerika, sondern auch für unsere Welt insgesamt eine immense Gefahr dar.

Ausgehend von ihrer eigenen Betroffenheit her haben die Autoren des Sammelbandes die den bizarren Äußerungen und Handlungen des US-Präsidenten zugrunde liegende Psychopathologie Trumps analysiert, die ihn so gefährlich macht. Im Zuge ihrer Beiträge gelangen Philip Zimbardo und Rosemary Sword (2017), Craig Malkin (2017), Lance Dodes (2017), John D. Gartner (2017) und Elizabeth Mika (2017) zu dem Schluss, dass Trump unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet. Gail Sheehy (2017) hält Trumps Misstrauen für das Kernproblem. Er verkörpere den Typus des New Yorker Immobilienmaklers, »in der die rechte Hand nicht wissen darf, was die linke tut« (S. 104). Dodes (2017) meint, dass Trumps bösartiger Narzissmus mit einer »antisozialen Persönlichkeit« korreliert (S. 109), die »sadistisch, ohne Empathie, grausam, entwertend, unmoralisch, primitiv, kaltschnäuzig, raubtierhaft, tyrannisch, schikanös« und »entmenschlichend« sei (ebd., S. 110f). Gartner (2017) sieht nicht nur den bösartigen Narzissmus und die antisoziale Persönlichkeit von Trump, sondern hält ihn aufgrund seiner paranoiden Charakterzüge für verrückt (vgl. S. 125ff). In Übereinstimmung damit meint Michael J. Tansey (2017), dass Trump unter »gut verborgenen Wahnvorstellungen« leidet, die »in ihrem Kern Größenvorstellungen und Verfolgungsphantasien sind und keine Verbindung zur faktischen Realität haben« (S. 149)2.

Wenn man die Beiträge dieses Sammelbandes mit Hilfe der von Alfred Lorenzer (1986) begründeten und von mir (vgl. König 2018) weiter ausdifferenzierten Tiefenhermeneutik einer Sekundäranalyse unterzieht, wird man mit dem methodologischen Problem konfrontiert, ob da nicht ein Präsident auf die Couch gelegt und damit ein politisches und sozialpsychologisches Problem psychologisiert und pathologisiert wird. Wie berechtigt dieser bei der Anwendung der Psychoanalyse auf die Kultur vor wilden Analysen warnende Einwand auch ist, es gibt ein entscheidendes Argument dafür, weshalb man auch durch die Analyse von Texten einen Zugang zum Unbewussten einer Persönlichkeit gewinnen kann. Bislang wurde nämlich ein Aspekt nicht eingehend methodologisch reflektiert, von dem her sich erst der Anspruch der Tiefenhermeneutik begründen lässt, dass man narrative Texte so psychoanalytisch interpretieren kann wie die Erzählungen eines Patienten. Denn was die psychotherapeutische Praxis der Psychoanalyse und die psychoanalytisch-tiefenhermeneutische Forschungspraxis verbindet, das ist die unbewusste Teilhabe an einer Lebenspraxis.

Was damit gemeint ist, hat Lorenzer (1970) in Auseinandersetzung mit dem Problem entfaltet, dass der Analytiker mit seinem ans Medium der Sprache gebundenen bewussten Verstehen das Unbewusste des Patienten nicht erreichen kann, weil es sich dabei ja um das aus Sprache Ausgeschlossene handelt. Im Rückgriff auf Wittgensteins Sprachspielkonzept hat Lorenzer rekonstruiert, dass der Analytiker das Unbewusste der Patienten nur deshalb erschließen kann, weil er dessen Worte auf das eigene Erleben wirken lässt und so emotional teilnimmt an der Lebenspraxis, die der Analysand im Zuge des Erzählens seiner Leidensgeschichte mit dem Analytiker inszeniert. Das tiefenhermeneutische Verstehen öffentlicher Ansprachen basiert in einer durchaus vergleichbaren Weise darauf, dass die Forschenden die Texte eines Politikers auf das eigene Erleben wirken lassen. Da derart die sich im Text objektivierende Lebenspraxis in ihrer emotionalen Dynamik lebendig wird, gewinnen die Forschenden einen Zugang zum sich im Text offenbarenden Unbewussten eines Politikers. Wenn es also gelingt, die sich in Trumps Äußerungen und Handlungen inszenierende unbewusste Lebenspraxis zu erfassen, über die er sich in seinem bewussten Selbstverständnis hinwegtäuscht, dann lässt sich auch die seiner Persönlichkeit zugrunde liegende Psychopathologie so erschließen, wie sie sich einem Psychoanalytiker in der Interaktion mit Patienten erschließt.

Damit komme ich zu einer weiteren Herausforderung, die sich im Zuge meiner Analyse von Trumps Persönlichkeit stellt: Normalerweise würde ich die methodische Regel der Tiefenhermeneutik einhalten, zunächst die Inszenierungen des Präsidenten szenisch zu interpretieren, bevor ich sie im Rückgriff auf psychoanalytische und sozialwissenschaftliche Konzepte theoretisch zu begreifen suche. Da zu Trump nun aber die oben aufgezählten Analysen vorliegen, von deren Ergebnissen ich nur künstlich abstrahieren könnte, gehe ich im vorliegenden Fall umgekehrt vor: Ich setze mich mit den Diagnosen meiner amerikanischen Kolleginnen und Kollegen auseinander und überprüfe sie, indem ich das für das Verständnis von Trumps Persönlichkeit erforderliche Datenmaterial noch einmal szenisch interpretiere.

Der vorliegende Beitrag setzt sich daher aus den folgenden sechs Abschnitten zusammen: Um zu beurteilen, was von den Diagnosen der amerikanischen Autorinnen und Autoren zu halten ist, werde ich im ersten Abschnitt das von ihnen immer wieder herausgearbeitete Syndrom eines pathologischen Narzissmus umreißen, wie es Otto Kernberg (1975) entwickelt hat. Im zweiten Abschnitt untersuche ich anhand verschiedener exemplarisch ausgewählter Szenen, in denen Trump über sich selbst spricht, inwieweit man von einer Störung seiner Selbstwertregulation sprechen kann. Im dritten Abschnitt analysiere ich, in welchem Maße sich in Trumps politischen Auftritten eine narzisstische Störung von Objektbeziehungen offenbart. Im vierten Abschnitt setze ich mich mit verschiedenen Szenen auseinander, die Trumps gestörtes Verhältnis zu Frauen spiegeln. Im fünften Abschnitt geht es um Trumps pathologisches Lügen, das von zentraler Bedeutung für das Verständnis seiner Person und der von ihm geschaffenen Wirklichkeit ist. Im sechsten Abschnitt wird die in den beiden vorherigen Abschnitten entwickelte Einschätzung, dass der pathologische Narzissmus Trumps mit einer schweren Perversion einhergeht, durch Theodor W. Adornos (1950) sozialpsychologisches Konzept ergänzt, dass es sich bei ihm um einen autoritären Charakter handelt. Am Schluss resümiere ich mit Robert Jay Lifton (1917), dass Trump eben dadurch eine »böse Normalität« schafft, dass er die perverse Lust auslebt, alle Werte umzuwerten, und aus dem derart gestörten Chaos eine autoritäre Ordnung zu errichten, der sich die ganze Welt fügen soll.

1.1. Kernbergs Verständnis narzisstischer Persönlichkeitsstörungen

Narzisstische Persönlichkeiten haben nach Auffassung von Kernberg (1975) vor allem zwei Probleme: Das erste Problem ist ihr gestörtes Selbstwertgefühl. Sie blähen nämlich das Selbst einer »extrem egozentrischen Einstellung« entsprechend auf (S. 263). »Unterlegenheits- und Minderwertigkeitsgefühle« werden so durch »Größenphantasien und Omnipotenzgefühle« überspielt, die sich bis zu einem »narzisstischen Größenwahn« steigern können (ebd.).

Das zweite Problem sind die gestörten Objektbeziehungen narzisstischer Persönlichkeiten: Sie sind »zutiefst misstrauisch«, gehen mit anderen verächtlich um und nehmen für sich »das Recht in Anspruch, über andere Menschen ohne jegliche Schuldgefühle zu verfügen, sie zu beherrschen und auszunutzen« (ebd., S. 262). Obgleich sie sich aufgrund ihrer Größenphantasien einzigartig und allen anderen überlegen fühlen, haben sie zugleich ein »starkes Bedürfnis, von anderen geliebt und bewundert zu werden« (ebd., S. 261). Aber trotz dieses Hungers nach ständiger Bestätigung interessieren sich narzisstische Persönlichkeiten nicht für ihre Mitmenschen und weisen einen »auffälligen Mangel an Einfühlung« auf (ebd., S. 263). Da sie aufgrund des gestörten Selbstwertgefühls jede Kritik als massive Kränkung erleben, werden sie häufig von »Wut, Empörung und Rachebedürfnissen« bestimmt (ebd.).

Ihre schnell aufflackernden und gleich wieder abflauenden Emotionen kontrollieren narzisstische Persönlichkeiten, indem sie andere über alles idealisieren oder entwerten, indem sie die Welt in Gut und Böse spalten, die eigene Aggressivität verleugnen und auf andere projizieren. Zudem wehren sie Ängste durch eine Steigerung ihrer Allmachtsphantasien ab (vgl. ebd.).

Vor dem Hintergrund von Kernbergs Ausführungen lässt sich begreifen, inwiefern Trumps Worte und Handlungen eine narzisstische Persönlichkeitsstörung widerspiegeln.

1.2. Die sich in Trumps Selbsteinschätzungen offenbarende Selbstwertstörung

Trumps Worte, dass sein »IQ […] einfach einer der höchsten« sei (Piehler 2016, S. 25), offenbaren, dass er mit seiner überragenden Intelligenz beeindrucken will. Und wenn er erklärt, dass »in Sachen Militär« keiner »größer und besser« als er sei (ebd., S. 56), ja, wenn er behauptet, »er wisse mehr als alle Generäle zusammen« (zitiert nach Tansey 2017, S. 141), dann vermittelt er seinen Zuhörern, in Bezug auf militärische Angelegenheiten allwissend zu sein. Wie er durch diese grandiose Vorstellung das sich ihm entziehende Fachwissen hochqualifizierter Militärs verleugnet, so verblüfft er seine Zuhörer auch durch die Größenphantasie, dass ihm niemals Fehler unterlaufen:

»Ich glaube nicht, dass ich Fehler gemacht habe. Jedes Mal, wenn jemand sagt, dass ich einen Fehler gemacht habe, gibt es Umfragen, und ich gewinne dazu. Also schätze ich mal, dass ich keine Fehler gemacht habe« (Piehler 2016, S. 28).

Ob Trump mit seiner überragenden Intelligenz prahlt, ob er sich in Bezug auf militärische Angelegenheiten Allwissenheit bescheinigt oder davon überzeugt ist, immer das Richtige zu tun (eben fehlerlos zu sein), diese Selbsteinschätzungen sprechen für eine narzisstische Störung des Selbstwertgefühls, der entsprechend der amerikanische Präsident glaubt, keine anderen Menschen als Vorbilder zu brauchen, sondern sich selbst als sein eigenes Ideal genug zu sein (vgl. Kernberg 1975, S. 266). Mit Kernberg kann man davon sprechen, dass Trumps Äußerungen Indizien für ein aufgeblähtes Selbst sind, in dem das »wirkliche Selbst« und das »eigene Ideal […] ein und dasselbe« sind (ebd.).

Dabei lässt Trump keinen Zweifel daran aufkommen, dass auch seine äußere Erscheinung seinem Ideal entspricht. »Es ist echt schwer, mich wegen meines Aussehens anzugreifen, weil ich einfach sehr gut aussehe« (Piehler 2016, S. 33). Beim Angeben mit seinem Körper geht Trump bereitwillig in Details: »Meine Finger sind lang und wunderschön, genauso – und dafür gibt es zahlreiche Beweise – wie diverse andere meiner Körperteile« (ebd., S. 32). Wenn Trump durch das Unausgesprochene die Fantasie weckt, dass sein Penis »so lang und wunderschön« wie seine Finger sei, dann drängt er seinen Zuhörern eine Vorstellung über die mutmaßliche Ästhetik seines Geschlechtsteils auf, durch die er das Taktgefühl und die Achtung vor dem anderen verletzt. Denn wer will das schon wissen, was Trump für einen Penis hat? Wenn er dann auch noch in einer Fernsehdebatte darauf zurückkommt, dass er »keineswegs einen kleinen Penis« habe (Brinkbäumer et al., 2016, S. 15), dann verhält er sich wie ein fünf Jahre alter Junge, der seiner Mama in der Badewanne stolz das Glied zeigt. Trumps exhibitionistisches Verhalten ist im klinischen Sinn pervers, weil er als Erwachsener in aller Öffentlichkeit eine Regel des guten Benehmens verletzt, indem er ein Millionenpublikum dazu auffordert, seinen Penis zu bewundern, den er als ganz großartig idealisiert.

1.3. Trumps sich bei politischen Auftritten zeigende Störung der Objektbeziehungen

Trump prahlt damit, niemand zu vertrauen. »Ich bin ein sehr misstrauischer Kerl« (zitiert nach Sheehy 2017, S. 99). Man solle auch den »besten Leuten« nicht trauen, weil die Welt »ein böser und brutaler Ort« sei (ebd.). »Ihre Freunde sind nur darauf aus, Sie zur Strecke zu bringen: Sie wollen Ihren Job, Ihr Geld, Ihre Frau« (ebd.).

Ganz im Sinne kapitalistischen Konkurrenzdenkens imaginiert Trump die Welt als Ort eines Wettkampfes jenseits aller Moral, an dem jeder gegen jeden kämpft (homo homini lupus est). Wenn man in diesem Kampf aller gegen alle nicht als »Loser« auf der Strecke bleiben will, dann muss man – wie es der Vater ihm ohne irgendwelche Skrupel beigebracht hat – zum »Killer« werden (ebd.). Gleichgültig, mit wem Trump es daher zu tun hat, andere Menschen betrachtet er einer narzisstisch-ausbeuterischen Sichtweise entsprechend als Feinde, die er bekämpfen und besiegen muss:

»[…] er hat einen großen Teil der Republikaner – die er ja braucht, wenn er ein Gesetz durchbringen will – verprellt, die Demokraten im Kongress ignoriert und die Führer der Demokraten aufs Gemeinste beleidigt, indem er sie als Lügner, Clowns, als dumm oder inkompetent bezeichnet hat […] . Als Präsident schreddert er systematisch das Vertrauen in die Institutionen, über die er nun gebietet. Nachdem er die gesamte United States Intelligence Community […] als Nazis diskreditiert hatte, entließ er auch die Richterschaft, weil einer der Richter einen hispanischen Hintergrund hatte und ein anderer sich gegen sein Einreiseverbot für Muslime stellte. […] Nicht genug damit, dass Trump die Medien täglich in den Dreck zog«, er beschimpfte sie auch »als ›Feinde des Volkes‹« (ebd., S. 100f).

Ob man seinen Umgang mit Republikanern und Demokraten, mit den US-Geheimdiensten, der Richterschaft oder den Medien betrachtet, Trump ist aufgrund seines pathologischen Narzissmus unfähig, sich auf einen Dialog mit signifikanten anderen einzulassen. Daher hasst er nach Auffassung von Schwartz auch die Demokratie und die freie Presse, die »nur dann gedeihen, wenn Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten offen diskutiert werden« (Schwartz 2017, S. 96).

Seinen Launen entsprechend sind Trump »Bündnisse wie die NATO« so lange »verdächtig«, wie es ihm passt. Und wenn er wütend ist, dann sind »Wirtschaftsvereinbarungen wie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) […] nichts anderes als ein Versuch, Amerika hereinzulegen« (Sheehy 2017, S. 102). Durch »sein aggressives Verhalten gegenüber […] engsten Verbündeten und seiner Missachtung ihrer führenden Politiker« zerstört er »jahrzehntelang gewachsene freundschaftliche Beziehungen und friedenssichernde Absprachen« (ebd., S. 100).

Respekt bringt Trump lediglich brutalen Diktatoren entgegen. So hat er »offen seine Bewunderung für Kim Jong-un aus Nordkorea, Bashar al-Assad aus Syrien, den irakischen Präsidenten Saddam Hussein und insbesondere Vladimir Putin geäußert« (Tansey 2017, S. 142). Wie Tansey erläutert, idealisiert Trump Diktatoren, die sich ihre Völker in tyrannischer Weise unterworfen haben, weil sie »zu seiner eigenen Persönlichkeitsstruktur passen« (ebd., S. 146). Trump sehnt sich aufgrund seines narzisstischen Verlangens nach Größe und Macht danach, selbst genau so uneingeschränkt zu regieren, ohne dass seine Herrschaft durch irgendwelche Politiker, Juristen oder Journalisten kritisiert oder gar in Frage gestellt wird.

Wenn aber Trump als amerikanischer Präsident fortwährend die Regeln der Demokratie mit Füßen tritt und auf internationaler Ebene permanent diplomatische Gepflogenheiten verletzt, aber zugleich die auf unserem Planeten herrschenden Diktatoren idealisiert, dann bestätigt sich, dass sein pathologischer Narzissmus mit einer perversen Lust an der Umwertung aller Werte einhergeht: Wie er soziale Regeln der Demokratie verletzt und diplomatische Verhandlungen mit anderen Nationen verachtet, so bewundert und lobt er die brutalen Diktatoren unserer Welt.

1.4. Trumps gestörte Beziehungen zu Frauen

Welche Bedeutung Trump Frauen zuspricht, illustrieren drei Szenenfolgen:

1. Schon 1991 hat Trump zum Ausdruck gebracht, weshalb ihm die Beziehung zu einer Frau besonders wichtig ist: »Wissen Sie, es ist egal, was [die Medien] schreiben, solange man eine heiße junge Braut an seiner Seite hat« (Pieler 2016, S. 138). Wenn man sich Trumps narzisstische Neigung vergegenwärtigt, ständig im Mittelpunkt stehen zu wollen und fortwährend Bewunderung für seine einzigartige Größe zu suchen, dann wird es verständlich, dass Kritik in den Medien ihn zutiefst kränkt. Das derart angeschlagene Selbstgefühl repariert er durch die Sexualität mit einer attraktiven Frau. Doch dass die Sexualität Trump nicht nur zur Bewältigung narzisstischer Kränkungen dient, offenbart eine weitere Bemerkung von Trump, mit der er den 25 Jahre zuvor gefallenen Satz ein wenig modifiziert:

Es sei ihm nämlich »egal«, »was die Medien schreiben, solange man ein junges und schönes Stück Hintern an seiner Seite hat« (Feldenkirchen et al. 2016, S. 16). Dass Trump attraktive Frauen auf ein Körperteil reduziert, offenbart, dass er sie nicht als Subjekte achtet, sondern sie zu Sexualobjekten erniedrigt, über die er Macht hat. Die Frage stellt sich, ob sich in diesem narzisstischen Benutzen der Frau als Partialobjekt nicht eine Perversion zeigt, die man Robert J. Stoller (1975) zufolge daran erkennen lässt, dass das Sexualverhalten mit »Feindseligkeit« einhergeht (S. 84).

2. Eine Antwort auf diese Frage gibt das von der Washington Post veröffentlichte Video aus dem Jahr 2005, in dem der frisch verheiratete Trump im Interview mit dem Journalisten Billy Bush folgendermaßen reagierte, als er aus dem Bus heraus die Schauspielerin Arianne Zucker sah:

»Trump: Ich nehme wohl besser ein paar Tic Tacs, nur für den Fall, dass ich anfange, sie zu küssen [Geräusche von Tic Tacs aus der Schachtel]. Ich werde nämlich von schönen … automatisch angezogen – ich fange einfach an, sie zu küssen. Es ist wie ein Magnet.

Bush: Lachen.

Trump: Einfach küssen.

Bush: Anhaltendes Lachen.

Trump: Ich warte nicht mal. Wenn du ein Star bist, lassen sie es zu. Du kannst alles machen.

Bush: Was immer du willst?

Trump: Ihnen an die Muschi fassen.

Bush: Heftiges Lachen.

Trump: Du kannst alles machen« (Fahrenthold 2016, 1:11-1:28 h/übersetzt von H. D. K.).

Das wiederholte und heftiger werdende Lachen des Reporters offenbart die Lust, die Trump in ihm durch das Mitteilen einer sexuellen Phantasie weckt. Dieser Tagtraum erzählt davon, dass der Anblick einer schönen Frau Trump derart sexuell erregt, dass er die derart erzeugte Spannung augenblicklich durch Küssen und durch den Griff nach ihren Genitalien löst. Wie sehr ein solcher Angriff einer Frau auch widerstreben mag, sie füge sich, weil Trump ein »Star« sei, der sich alles erlauben könne. Da er über eine einzigartige Macht und Größe verfüge, entzünde sein Griff nach ihren Genitalien ein solches leidenschaftliches Verlangen nach ihm, dass die begehrte Frau es in Kauf nehme, dass er moralische Regeln sozialen Interagierens verletzt und sie als Sexualobjekt benutzt.

Dass Trump »reihenweise sexuelle Übergriffe« unterlaufen sind, »mit denen er sich, wie auf Tonband aufgezeichnet«, immer wieder gebrüstet hat (Gartner 2017, S. 122), offenbart, dass er die im Gespräch mit einem Reporter beschworene sexuelle Phantasie regelmäßig in die Tat umsetzt. Mit Kernberg (1992) ließe sich die Vielzahl dieser Übergriffe als Ausdruck eines promiskuösen Verhaltens begreifen, eine Perversion, die Trump davor bewahre, »sich auf einen Sexualpartner wirklich einzulassen«, und ihn »der Gefahr« aussetze, dass eine unkontrollierte Gewaltsamkeit« aus ihm »hervorbricht« (S. 315f.). Mit Stoller (1975) lässt sich die durch die Übergriffe realisierte Sexualphantasie als eine Perversion bezeichnen, die als ein »erotisierter Hass« (S. 25) drei Aspekte habe: Wie Trump durch sexuelle Übergriffe eine »Feindseligkeit« gegen Frauen auslebt (1), so verschafft er sich dadurch, dass er sie seiner Lust unterwirft, einen »Triumph« über sie (2). Zudem verschafft er sich »höchste Erregung« dadurch, dass sein feindseliges Sexualverhalten durch die Möglichkeit einer Anzeige zu einem »riskanten Unternehmen« wird (3) (ebd., S. 26).

Schließlich erweist sich sein Prahlen mit seinem promiskuösen Verhalten dadurch als pervers, dass Trump sich durch das Reden mit dem Reporter, der ihm beeindruckt zuhört, ein »Publikum« verschafft, das er dringend braucht (ebd., S. 85). Denn wie Don Juan interessiert Trump nicht »die sinnliche Lust des Geschlechtsaktes«, vielmehr geht es ihm um ein »rasendes Bedürfnis nach Selbstbestätigung«, dem entsprechend er von seiner »Macht« erzählt, in den ihm widerstrebenden Frauen durch das Grapschen eine unbändige Leidenschaft zu entfachen (ebd., S. 85f).

Als nach der Veröffentlichung dieses Videos, dass er jederzeit einer Frau an das Geschlechtsteil fassen könnte, »ein Dutzend Frauen mit ihren Anschuldigungen ans Licht der Öffentlichkeit« traten, ging Trump zum Gegenangriff über und bezeichnete sie als »Lügnerinnen« (Gartner 2017, S. 122). Wie Trump aufgrund seiner narzisstischen Störung unfähig ist, sich in die Frauen einzufühlen, die er angrabscht, so reagiert er auf deren Klagen seiner Persönlichkeitsstörung entsprechend mit kalter »Wut«, mit »Empörung und Rachebedürfnissen« (Kernberg, 1975, S. 263).

Die in diesen Beschimpfungen zutage tretende Feindseligkeit zeigt sich auch in der Verachtung, die Trump Frauen gegenüber offen zur Sprache bringt. So stellte er etwa im April 2016 fest, »Texas nicht vorschreiben [zu] wollen, ob Frauen Menschen sind« (Piehler 2016, S. 117). Wenn er sich dann auch noch an anderer Stelle zu der bösartigen Bemerkung hinreißen lässt, dass man Frauen »beschissen behandeln« müsste (ebd.), dann fordert Trump zu dem antisozialen Verhalten auf, Frauen sadistisch zu quälen, um sie die Stärke und Überlegenheit des Mannes spüren zu lassen. So unterteilt Trump die Geschlechter in Männer als Menschen und in Frauen als Beutetiere, die man jagt und schlecht behandelt, damit sie gehorchen. Indem Trump seinem pathologischen Narzissmus entsprechend davon überzeugt ist, dass Frauen willige Sexualobjekte3 seien, über die man als Mann herrschen müsse, verletzt er die in westlichen Kulturen geltenden Menschenrechte, denen entsprechend die Geschlechter gleichberechtigt sind und einander mit gegenseitiger Achtung behandeln sollen. 3. Schließlich zeigt sich Trumps perverses Verhältnis zu Frauen auch in der Beziehung zu seiner Tochter (Jhueck 2017, S. 220). Wenn er meint, dass Ivanka »[…] den besten Körper« habe (zitiert nach Jhueck 2017, S. 220), dann schätzt er nicht ihre Persönlichkeit und ihre Fähigkeiten, sondern taxiert sie als Sexualobjekt. Dieses gestörte Verhältnis zu seiner Tochter verraten auch die Worte, mit denen er seinen Stolz und seine Bewunderung für sie zum Ausdruck brachte: »Ja, sie macht wirklich was her, und was für eine Schönheit sie ist. Wenn ich nicht glücklich verheiratet wäre, und Sie wissen schon, ihr Vater …« (ebd., S. 220). Seine anzügliche Bemerkung offenbart ein ambivalentes Verhältnis zur Realität, wie es für eine perverse Einstellung typisch ist. Mit Janine Chasseguet-Smirgel (1984) kann man nämlich davon sprechen, dass Trump zwar einerseits der Realität Rechnung trägt, wenn er sich als Vater den Inzest verbietet. Aber andererseits verleugnet er die Realität, sobald er seiner Triebhaftigkeit durch die Worte Ausdruck verleiht, seine Tochter aufgrund ihrer körperlichen Attraktivität sexuell anziehend zu finden.

Auch in einer anderen Situation offenbarte Trump sein gestörtes Verhältnis zu seiner Tochter. Als Vater und Tochter in der Wendy Williams Show von Fox danach gefragt wurden, was sie am liebsten gemeinsam tun, antwortete Ivanka standesgemäß »Entweder Immobilien oder Golf« (ebd.). Trump überließ sich dagegen dem freien Spiel seiner durch die Tochter ausgelösten Assoziationen: »Nun, ich wollte Sex sagen, aber ich kann das nicht erzählen …« (ebd.). Auch diese schlüpfrige Bemerkung ist ein Beispiel dafür, dass Trump auf eine perverse Weise auf die Tochter reagiert. Psychoanalytisch heißt das, dass er seine sich auf die Tochter richtenden ödipalen Wünsche nicht im Zuge der Identifizierung mit der auf dem Inzesttabu basierenden Moral verdrängt hat. Vielmehr scheint sein Ich in zwei Bewusstseinshaltungen gespalten zu sein (vgl. Chasseguet-Smirgel 1984, S. 221): Einerseits trägt er der auf dem Inzesttabu beruhenden kulturellen Ordnung durch die Worte Rechnung, dass er darüber nicht sprechen kann, was seine Tochter in ihm auslöst. Andererseits verleugnet er die kulturelle Sexualmoral, indem er in der Öffentlichkeit ohne jede Hemmung davon spricht, dass ihm zu seiner Tochter Ivanka »Sex« einfällt. Wenn Trump sich auch den Inzest mit der Tochter verbietet, so steht er doch in einer perversen Hemmungslosigkeit dazu, dass er auf Ivanka mit sexuellen Phantasien reagiert, die er auch mit dem Radioreporter Howard Stern teilt. Als der Reporter nämlich fragte, ob er sagen dürfe, dass Ivanka »einen prächtigen Hintern« habe, antwortete Trump mit einem großzügigen »Ja klar« (Jhueck 2017, S. 220). Pervers ist diese Szene, weil der Vater sich nicht an die moralische Regel hält, die Tochter vor den sexuellen Phantasien eines triebhaften Fremden zu schützen. Stattdessen erlaubt das Gespräch mit dem Reporter Trump, sich durch die hemmungslos ausgesprochene Phantasie der eigenen Tochter sexuell zu nähern und sie damit zum Objekt seiner Gelüste zu machen. Ganz in diesem Sinne verbrüdert Trump sich mit dem Reporter, weil »die perverse Lust einen Zuschauer für das Bühnenstück« braucht (McDougall, zitiert nach Stoller, 9-154), das in der Schaulust zweier alter Männer besteht, welche die Tochter des einen nicht als Subjekt, sondern als ein ihrer sexuellen Gier zur Verfügung stehendes Partialobjekt betrachten.

1.5. Trumps Lügen im Dienste der perversen Errichtung einer »schönen neuen Welt«

Trump ist für seine »pathologische Neigung zum Lügen« bekannt, die sich auch in einem »monomanischen Festhalten an seinen Lügen« ausdrückt (Sheehy 2017, S. 103). Angie Drobnic Holan und Linda Qiu (2015) schätzen, dass 75 Prozent von Trumps Aussagen falsch oder überwiegend falsch sind (Gartner 2017, S. 122). Kyle Cheney u. a. (2016) kommen zu dem Schluss, dass Trump alle drei Minuten und 15 Sekunden eine Lüge verbreitet (ebd.). Das pathologische Lügen legt für die Psychologin Elisabeth Mika (2017) die Interpretation nahe, dass Trump aufgrund seines »bösartiger Narzissmus« (S. 330) »unfähig« ist, »Empathie oder Schuld zu spüren«. Daher missbrauche er »andere Menschen als Objekte der Bedürfnis- und Wunscherfüllung« (ebd., S. 331). Wenn man die Frage, wie Trumps pathologisches Lügen und seine narzisstische Störung ineinandergreifen, anhand verschiedener Szenen sichtet, dann fällt auf, dass seine Lügen vor allem zwei Zwecken dienen.

[...]


1 Die sozialpsychologische Frage, wie Trump die weißen Fabrik- und Landarbeiter für sich einnahm, die ihn zum Präsidenten gewählt haben, obwohl er eine ihren wirtschaftlichen und sozialen Interessen entgegengesetzte Politik der Superreichen verficht, habe ich in einem anderen Beitrag (vgl. König 2019) anhand einer Fernsehansprache exemplarisch analysiert. Im Zuge der tiefenhermeneutischen Rekonstruktion seiner Antrittsrede wurde nämlich deutlich, wie Trump die soziale und politische Lage Amerikas dramatisiert, wie er Ängste und Aggressionen weckt, wie er die USA im Rückgriff auf den amerikanischen Traum wieder stark machen will und unerwünschte Wahrheiten unbewusst macht.

2 Daher hat der Anwalt James Herb (2017) schon im Oktober 2016 bei Gericht den Antrag gestellt, dass Trumps »Unzurechnungsfähgkeit« überprüft werden sollte. Denn aufgrund einer anzunehmenden narzisstisch-histrionischen Persönlichkeitsstörung, die mit wahnhaften Überzeugungen verbunden sei, handele es sich um eine »vermutlich amtsunfähige Person« (S. 167).

3 Dieser Verdacht wird durch Trumps im Jahr 2013 fallende Äußerung bestätigt, dass er vollstes Verständnis für Männer hat, die beim Militär Frauen gegenüber sexuell übergriffig werden: »26 000 nicht angezeigte sexuelle Übergriffe im Militär – nur 238 Verurteilungen. Was haben diese Genies denn erwartet, wenn sie Männer und Frauen zusammenstecken?« (Piehler 2016, S. 55).

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Details

Titel
Die Psychologie eines Brandstifters. Tiefenhermeneutische Rekonstruktion der bizarren Inszenierungen des Donald Trump
Autor
Jahr
2019
Seiten
27
Katalognummer
V946535
ISBN (eBook)
9783346286451
ISBN (Buch)
9783346286468
Sprache
Deutsch
Schlagworte
psychologie, Narzissmus, Perversion, autoritärer Charakter, Tiefenhermeneutik
Arbeit zitieren
Hans-Dieter König (Autor:in), 2019, Die Psychologie eines Brandstifters. Tiefenhermeneutische Rekonstruktion der bizarren Inszenierungen des Donald Trump, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/946535

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