Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zu der Gattung des Fastnachtspiels im Allgemeinen und dem Kälberbrüten von Hans Sachs im Speziellen
3. Das Motiv der Verkehrung
4. Die Darstellung von Ehe, -trau und -mann im Kälberbrüten
4.1 Motive der Verkehrung im Kälberbrüten
4.2 Über die didaktische Funktion des Kälberbrütens
5. Fazit
6. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die folgende Arbeit widmet sich dem Mitte des 16. Jahrhunderts erscheinenden Fastnachtspiel „Das Kälberbrüten“ von Hans Sachs. Anhand dieses Beispiels karnevalesker, theatralischer Aufführungskunst soll veranschaulicht werden, auf welche Weise Frauen- und Männerrollen im ehelichen Kontext in Fastnachtspielen des ausgehenden Mittelalters dargeboten wurden - und welche didaktischen Zwecke im Falle dieses Beispieles dabei im Hintergrund wirksam waren. Für den Einstieg gilt es nun zunächst, einige Termini auseinanderzuhalten. Dementsprechend wird zu Beginn geklärt werden, was unter einem spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Fastnachtspiel zu verstehen ist, inwiefern eine literarische Gattung vorliegt, und wodurch diese wiederum von anderen, möglicherweise kontextuell verwandten Genrebezeichnungen zu differenzieren ist. Im gleichen Zuge soll in aller Kürze der bisherige Forschungsstand umrissen werden. Schließlich soll der Primärtext, „Das Kelberbruten“, wie dieser in der vorliegenden FallTextfassung betitelt ist, vorgestellt und zur genaueren Untersuchung herangezogen werden. Wie zeigen sich rollenspezifische Darstellungen von (Ehe-)Frau und (Ehe-)Mann bei Hans Sachs, welche charakteristischen Motive sind dabei anzutreffen und stehen hierbei im Fokus? Abschließend soll dann der Frage nachgegangen werden, welche Schlüsse die Untersuchung über Didaktik und Intentionalität des vorgestellten Fastnachtspiels ziehen lässt.
2. Zu der Gattung des Fastnachtspiels im Allgemeinen und dem Kälberbrüten von Hans Sachs im Speziellen
Um sich dem Ehe- und Geschlechterdiskurs im Fastnachtspiel, im Besonderen im 1551 veröffentlichten Kälberbrüten anzunähern, bedarf es zunächst der Klärung des Gattungsbegriffs. Keller beschreibt die Fastnachtspiele als „spielartigef ] Veranstaltungen der Fastnachtzeit“, speziell eine „gegen 1430 entstehende und nach 1600 aus der Literatur wieder verschwindende literarisch-theatralische Form“1. Überdies weist sie aber darauf hin, dass der Terminus in der Theater- und Literaturwissenschaft mancherorts enger oder freizügiger gefasst wird2. Ridder stellt das Fastnachtspiel als textierte Form des Fastnachtstheaters dar, welches er versteht als „all das, was zum Fastnachtsfest öffentlich aufgeführt worden ist“3. Für die Reformationszeit, in welche das Werk Hans Sachsens fällt4, kommt diesem nach Ridder eine besondere Funktion zu, ,,[m]an nutzt das Fastnachtstheater als Instrument, um in soziale und religiöse Konflikte einzugreifen“5. Dazu jedoch an späterer Stelle mehr. Für diese Arbeit soll der Begriff, wie Keller ihn fasst, ausreichen. Das Kälberbrüten von Hans Sachs ist zeitlich in ebenjene Spanne einzuordnen - es wurde, wie oben erwähnt, im Jahr 1551 gedruckt6.
Zum Forschungsstand nun einige wenige Worte. „Gendertheoretische Fragestellungen haben erst relativ spät Einzug in die germanistische Mediävistik gehalten, im Gegensatz zu Neugermanistik, aber auch zur romanistischen Mediävistik“, was Schallenberg zum Teil auf die doch geringe Zahl weiblicher Autorinnen im Mittelalter zurückführt.7 Es muss an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass die folgenden Untersuchungen die Darstellung des Geschlechterverhältnisses in a) einem von mehreren uns erhaltenen mittelalterlichen Texten behandeln, und dass zudem b) dies am Beispiel eines Fastnachtspieltextes geschieht. Dass es also unterschiedliche Konzepte, Darstellungen, Überlegungen zur Geschlechterthematik in unterschiedlichen Textsorten gibt, hebt Brüggen hervor, wenn sie schreibt, dass „es in der mittelalterlichen Literatur ein ganzes Spektrum von Männlichkeitskonstrukten gibt.“ So seien in der Lyrik etwa „ganz andere Facetten“ konnotiert, innerhalb derer mit Männlichkeit durchaus auch „Nachdenklichkeit, Zögern, Unentschlossenheit, Selbstzweifel, Vorsicht, Abhängigkeit“ bezeichnet werden können, während in anderen Gattungen die Darstellung der Geschlechter eine andere sei. Sie kommt zu dem Schluss, der auch in dieser Arbeit beherzigt werden soll, „dass die mediävistische Gender Forschung textsortenspezifisch verfahren muss“8.
3. Das Motiv der Verkehrung
„Die Inszenierung einer verkehrten Ordnung steht im Mittelpunkt der Fastnachtspiele, die dazu am häufigsten genutzten Verfahrensweisen sind Parodie, Satire, Hyperbolik und Formen der Sprachkomik.“9
Mit Verweis auf Bob Scribner 1984 rückt Ridder im oben stehenden Zitat das beliebte Motiv der Verkehrung in spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Fastnachtspielen in den Fokus. Die aufgeführten Spiele zur Fastnacht fanden statt als ein Spektakel, das „in der Regel nicht in geordneten Bahnen verläuft, sondern die ganze Stadt in seinen Rhythmus der lärmenden Verkehrung, der körperlichen Entgrenzung und demonstrativen Unordnung“10 zieht. Dabei ist stets strittig geblieben, ob diese von der Obrigkeit (der Stadträte bspw.) durchaus kritisierten Veranstaltungen nun zu verstehen sind als vehemente Zeitkritik oder aber als „Negativdidaxe zum Zwecke religiöser Ermahnung und Erbauung“11. Selbstverständlich hat eine solche Fragestellung zwangsläufig die akribische Auseinandersetzung mit dem Primärtext zur Folge - es muss von Fall zu Fall entschieden werden.
Bei Hans Sachs speziell zeigt sich die Verkehrung bei der Darstellung unterschiedlicher Bereiche des Ehelebens. Mit Röcke gesprochen, „inszenieren [die Fastnachtspiele] die 'verkehrte Weit' von Ehebruch und Gewalt, Inversion der häuslichen oder ständischen Ordnung“12, was im Besonderen für die Beschäftigung mit dem Kälberbrüten von Interesse sein wird. Das Motiv der Umkehrung oder Verkehrung kann herrschende gesellschaftliche Verhältnisse auf eben etwa parodistische Weise angreifen oder zumindest infrage stellen, gleichzeitig ist aber immer auch eine Lesart denkbar, die über das Verdrehen von z.B. Geschlechterrollen eine affirmative Haltung zum Status quo vertritt. Wie verhält es sich dabei mit Hans Sachs, der in seinen Werken thematisch vor allem dreierlei bedient: „die Stellung der Obrigkeit und ihre Verpflichtungen, das Leben in Ehe, Familie und Gemeinde und die Stärkung des Glaubens“13 ? Seine Fastnachtspiele „spielen Verkehrungen der sozialen, moralischen und geschlechtlichen Ordnung durch, bieten im Vollzug des Spiels aber auch praktische Problemlösungen, die dazu beitragen sollen, den Bestand an Ehe und Familie [...] zu sichern“14. Dass dem Handwerkmeister Sachs an einer Haltung nicht gelegen war, die vorherrschende Grundprinzipien des Zusammenlebens (der Geschlechter) infrage stellen würde, wird auch bei Klein ersichtlich. Selbst sozial gefestigt und anerkannt, „war ihm an stabilen Verhältnissen gelegen. Alles, was auf Veränderung der althergebrachten Ordnung drängte, was ihr zuwiderlief, mußte er als potentielle Bedrohung der eigenen Existenz, von Besitz, Selbstverständnis und Anerkennung in der Gemeinschaft erleben.“15
Dass der Dichter seine Kunst wohl durchaus auch didaktisch verstand, kann angenommen werden. Gewissermaßen trat er auf als tugendhafter Moralist, der denjenigen, die vom rechten Pfade abzuweichen drohen und ihren Lastern frönen, über das Fastnachtspiel wohlmeinende Ratschläge erteilt.16 Es soll nun also überprüft werden, welche Verkehrungen es sind, die im Kälberbrüten aufzufinden sind und in welcher genauen Funktion diese stehen. Wie stellt sich das Eheleben, wie die Rollenaufteilung und -erwartung im Leben zwischen Gredt und Hans genau dar?
4. Die Darstellung von Ehe, -frau und -mann im Kälberbrüten
Es gilt nun also zu untersuchen, welche Art der Darstellung von den Geschlechtern, ihren Rollen und Pflichten etc. in Hans Sachsens Kälberbrüten aufzufinden ist und welche für das Fastnachtspiel typischen Motive und Elemente aufzutreffen sind.
Zum leichteren Verständnis der hier geschilderten Ausführungen, sollen an dieser Stelle einige Worte zu Sachsens Kälberbrüten folgen. Worum handelt es sich?
Das Kälberbrüten schildert einen Tag in einer bäuerlichen Ehe. Allerdings scheinen einige Dinge von der herrschenden Norm abzuweichen. Die Bäuerin Gredt beginnt den Tag früher als ihr Ehemann, Bauer Hans, und ist über dessen Verschlafenheit und Liederlichkeit äußerst erbost. Als Hans endlich den Tag begeht, weist ihm die Bäuerin einige häusliche Pflichten zu, die dieser zu erledigen habe, solange sie auf dem Markt ihre Waren anbieten geht. Der Bauer, merklich eingeschüchtert von seiner Frau, legt sich jedoch, statt dieser Pflichten nachzukommen, erneut ins Bett. Auch nach dem abermaligen Schlafen gelingt es Hans nicht, seine Aufgaben zu bewältigen, ganz im Gegenteil: Er verschüttet die Suppe, zerbricht einen Topf, erschlägt im Zorn die am Mittagessen naschende Hauskatze und lässt, statt das Vieh beim Weiden zu beaufsichtigen, das Kalb im Brunnen ertrinken. Als die Bäuerin schließlich vom Markt nach Hause zurückkehrt, findet sie einen chaotischen Haushalt und ihren Ehemann in einer eigenartigen Pose vor: Hans hat sich in seiner Furcht vor dem Zorn seiner Gattin eine merkwürdige Idee in den Kopf gesetzt und sitzt nun, bei ihrer Ankunft, auf einem Korb, gefüllt mit von Maden befallenem Käse, in dem festen Glauben, „Keiber auß Kesen brüten“17 zu können, ebenso wie die Henne aus dem Ei das Küken brütet. Erschreckt über den Zustand ihres Mannes, der neben Tierlauten zunächst keine Worte zustande bringt, holt die Bäuerin den Priester, dem Hans einen möglichen Teufel auszutreiben. Als jedoch der Pfaffe Einsicht in die herrschenden Zustände im Hause des Ehepaares erhält, fällt der Verdacht der Besessenheit schließlich auf die herrische Gredt, die den Kirchenmann daraufhin unter Androhung von Gewalt in die Flucht schlägt.
4.1 Motive der Verkehrung im Kälberbrüten
Eine Umkehrung der althergebrachten familiären Ordnung und Hierarchie ist in Sachsens Kälberbrüten klar und leicht ersichtlich. Bereits bei der Verteilung von ehelichen Pflichten zeigt sich dies. So ist für den monetären Erhalt der Ehegemeinschaft Gredt zuständig, die die Marktwirtschaft im Handel betreibt („Geh und bring viel gelts rauß vom marck“18 ). Später ist auch sie diejenige, die ganz selbstverständlich dem Priester die BeZahlung anbietet.19 Ungeachtet der Tatsache, dass Hans in seiner Verwirrung ein solcher Akt nicht zuzutrauen wäre, erscheint das Verwalten der Finanzen durch Gredt unter den herrschenden Umständen als durchaus selbstverständlich. Zuvor findet sich Hans gezwungenermaßen in seine häusliche Rolle ein, will „ein weil heußlich sein / Die Stuben kern und heitzen ein“20, in dem festen Glauben, dieser Arbeit, die konventionell gemeinhin als Aufgabe der Frau verstanden wurde/wird, ebenso gut nachkommen zu können wie die Bäuerin.21 Weitere Aufgaben bei der Beschaffung des Haushalts stellen sich Hans, wie Gredt ihn ermahnt: um das Essen habe er sich zu kümmern22, ebenso müsse das Vieh auf die Weide geführt werden23. Kurz: „heußlich umbadumb“24 - ganz und gar - habe der Bauer Hans zu sein. Dies steht im krassen Widerspruch zur gängigen mittelalterlichen Auffassung davon, wie ein Haushalt aufgebaut zu sein und welcher hierarchischen Ordnung er zu folgen habe. „Der Mann ist der uneingeschränkte Herr im Haus. [D]ie Frau ist Hausfrau“25, heißt es dazu bei Dallapiazza. Auf der anderen Seite haben Prozesse der Arbeitsteilung und Spezialisierung, die bereits im 11. und 12. Jahrhundert einsetzten, im Spätmittelalter schließlich zur Folge, dass „die Frau zur ordnungsgemäßen Haushaltsführung mehr und mehr Geschäfte mit Dritten tätigen“ muss. Der Frau muss also eine „beschränkte Geschäftsfähigkeit zugestanden werden“26, die im Sachs'- schen Fastnachtspiel, in dem Gredt selbstständig auf dem Markt tätig ist und ferner sogar noch als durchsetzungsfähige Verwalterin der häuslichen Finanzen auftritt, auf die Spitze getrieben wird.
[...]
1 Keller, Elisabeth: Die Darstellung der Frau in Fastnachtspiel und Spruchdichtung von Hans Rosen- plüth und Hans Folz. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang 1992, S. 31 (Europäische Hochschulschrif ten 1).
2 Keller, S. 31.
3 Ridder, Klaus: Fastnachtstheater. Städtische Ordnung und fastnächtliche Verkehrung. In: Ders. (Hg.): Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Tübingen: Niemeyer 2009, S. 65-81 (hier S. 81).
4 Arai, Hiroshi: Hans Sachs inNümberg 1524/1525. In: die Deutsche Literatur 56 (1976), S. 32-40 (hier S. 32).
5 Ridder,S.81.
6 Sachs, Hans: Das Kälberbrüten. In: Wuttke, Dieter (Hg.): Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahrhunderts. Stuttgart: Reclam2006, S. 131-147 (hier S. 147).
7 Brüggen, Elke / Schallenberg, Andrea: Das Geschlecht spielt eine Rolle - das Geschlecht darf kei ne Rolle spielen! In: Kritische Ausgabe 6 (2002), S. 12-16 (hier S. 12).
8 Brüggen, Elke / Schallenberg, Andrea: Das Geschlecht spielt eine Rolle - das Geschlecht darf keine Rolle spielen! In: Kritische Ausgabe 6 (2002), S. 12-16 (hier S. 13).
9 Ridder, S. 72.
10 Röcke, Werner: Literarische Gegenwelten. Fastnachtspiele und karnevaleske Festkultur. In: Münkler, Marina / Ders. (Hgg.): Die Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. München/Wien: Hanser2004, S. 420-445 (hier S. 421).
11 Rö>
12 Röcke, Werner: Identitätsverlust und Kontingenzerfahrung. Die Dialogisierung von Fastnachtspiel und antiker Komödie im Werk Jakob Ayrers. In: Ridder, Klaus (Hg.): Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Tübingen: Niemeyer 2009, S. 285-300 (hier S. 287f.).
13 Klein, Dorothea: Bildung und Belehrung. Untersuchungen zum Dramenwerk des Hans Sachs. Stuttgart: Heinz 1988, (Stuttgarter Arbeiten zurGermanistik 197) S. 142.
14 Rö>
15 Klein,S.231.
16 Klein, S. 143f.
17 Sachs, S. 136, V. 121.
18 Sachs, S. 132, V 34.
19 Vgl.Sachs, S.141, V 200.
20 Sachs, S. 132, V. 35f.
21 Sachs, S. 132, V. 36: „Das kan ich als so wol als du“.
22 Sachs, S.133, V.39: „Setz auch das kraut und fleysch hinzu“.
23 Sachs, S. 133, V. 40f.
24 Sachs, S. 133, V. 42.
25 Dallapiazza, Michael: Wie ein Mann ein fromm Weib soll machen. Mittelalterliche Lehren über Ehe undHaushalt. Frankfurta. M.: Insel 1984, S. llOf.
26 Keller, S. 140.