Die Privatbibliothek von Johann Gottfried Herder. Ein Rekonstruktionsversuch seines Wissensarchivs


Hausarbeit, 2018

24 Seiten, Note: 2,0

J. Krieg (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Allgemeine Aspekte der Erschließung und Rekonstruktion nachgelassener Privatbibliotheken

3. Die Privatbibliothek Herders
3.1. Die Versteigerung der Bibliotheca Herderiana
3.2. Verkaufskatalog der Bibliotheca Herderiana
3.3. Bücherankauf zu Lemgo
3.4. Entliehene Bücher

4. Die verstreute Bibliothek
4.1. In der HAAB
4.2. Bei Goethe
4.3. In Tartu

5. Schluss

6. Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Internetquellen

1. Einleitung

Das Schicksal von privaten Büchersammlungen stand bisher überwiegend im Schatten der großen öffentlichen Bibliotheken. Dabei konnte man feststellen, dass die berühmten Sammlungen der Landesherren und der damals neugegründeten Universitäten besonders im 17. und 18. Jahrhundert auf mehrere Privatsammlungen zurückzuführen sind. Dies betrifft vor allem die älteren Buchbestände, welche meist aus vielen Versteigerungen von privaten Gelehrtenbibliotheken zusammengestellt wurden.1 Gelehrtenbibliotheken zeichnen sich, im Gegensatz zu den Prestigesammlungen des „mediaten Adels und des Bürgertums², besonders durch ihre Qualität und ihrer Quantität aus.2 Obwohl wir uns im Zeitalter der digitalen Medien befinden und das Recherchieren über das Internet mühelos zu funktionieren scheint, sind Bibliotheken noch immer ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur.

In seinem Buch „Grundzüge der Bibliotheksgeschichte“ definiert Joris Vorstius eine Bibliothek als „[…] eine Sammlung von Literaturdenkmälern zum Gebrauch durch einen mehr oder weniger großen Benutzerkreis. […] Die kulturelle Aufgabe der Bibliothek besteht (erstens) in der Aufbewahrung und Erhaltung des Schrifttums; Sie sind […] die „Schatzkammern des menschlichen Geistes“3

Die Tatsache, dass eine große Bibliothek eine bedeutende kulturelle Aufgabe erfüllt, berechtigt eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung. Was ist jedoch mit den kleineren Privatbibliotheken von Gelehrten und Autoren? In wieweit können sie der Wissenschaft aufschlussreiche Informationen bieten? Büchersammlungen bilden den vielleicht wichtigsten Inspirationsraum von Autoren. Die Gelehrten und Dichter entwickeln ihre Werke nicht autonom und voraussetzungslos, „sondern in dem Bewusstsein, die bereits vorhandenen und in Büchern archivierten Wissensbestände fortzuschreiben oder zu überschreiben.“4 Das bedeutet, dass eine Privatbibliothek bestimmte Einblicke in die Schreibwerkstatt und das Denken eines Autors5 gewährt.

Diese Bibliotheksbestände, welche über lange Zeiträume hinweg gewachsen und zu Aufbewahrungsorte für das kulturelle und kollektive Wissen der Menschheit geworden sind, weisen in ihrer Zusammenstellung oft eine große Komplexität auf. Sie gründen sich in der Regel nicht nur auf fürstliche Büchersammlungen, sondern auch auf gelehrte Privatbibliotheken, die im Laufe der Zeit in den Bestand integriert wurden. Besonders die privaten Bibliotheken von bedeutenden Gelehrten und Autoren stellen dadurch wertvolle Wissensarchive dar.6 Doch um welche wertvolle Wissensarchive für die interdisziplinäre Forschung handelt es sich? Überwiegend wurden die Bücher bisher als Aufbewahrungsort von Wissen, Gedanken und Ideen des jeweiligen Autors gesehen, welcher die Informationen jedem Rezipienten in jeder Zeit und an jedem Ort weitergeben kann. Doch stellt sich hier die Frage nach dem Umgang mit Büchern und die Art und Weise, wie sie exemplarspezifisch erschlossen werden können. Denn betrachtet man ein Buch an sich als ein physisches Objekt, dem eine Vergangenheit zu Grunde liegt, eröffnet sich neben der Formal-und Sachkatalogisierung eine neue Ebene, welche das Buch exemplarspezifisch erschließt. Hierbei steht der Inhalt des Buches, sprich der Text, welcher bisher interpretiert und intellektuell beschrieben wurde nicht im Vordergrund, sondern die individuellen physischen Details, wie der Einband und die Provenienzspuren.7 Doch wie geht man an eine solche Aufgabe heran? Wie rekonstruiert man eine Autorenbibliothek, welche in ihrer Gesamtheit nicht mehr vorliegt? Im Fall Friedrich von Schillers wurde die Bibliothek vererbt.8 Johann Wolfgang Goethe sicherte selbst kurz vor seinem Tod sein Vermächtnis.9 Was geschah jedoch mit der Bibliothek Johann Gottfried Herder? Seine Privatbibliothek hat die Zeit nicht überdauert. Es gilt daher einen Rekonstruktionsversuch zu starten. Die Probleme, die bei dieser Erschließung auftreten, sollen den Kern dieser Arbeit bilden. Es soll herausgearbeitet werden, welche Hindernisse sich im speziellen Fall von Herders Bibliothek ergeben und wieweit sich die Forschung bemüht, sich dennoch an das Geistige Vermächtnis Herders anzunähern. Welche individuellen Informationen kann ein Buch aus einer privaten Bibliothek liefern und welche Wissensarchive entstehen dadurch für die interdisziplinäre Forschung. Bei der Erschließung und Rekonstruktion wird zunächst auf Quellen, wie der Auktionskatalog oder Briefe, zurückgegriffen. Da es sich hierbei um ein noch junges Forschungsgebiet handelt, liegen bisher noch wenige Forschungsergebnisse vor. Allgemeine Einblicke in die Welt der Privatbibliotheken kann Gerhard Streich bieten.10 Im Bezug zur Bibliothek Herders bieten Aufsätze, wie die von Heinz Stolpe11 und der wesentlich aktuelleren Forschung von Ivonne Rohmann12 und Kaspar Renner13 zusätzliche Aufschlüsse. Weiter konnte der Aufsatz von Mario Marino14 herangezogen werden, welcher sich speziell mit wiederentdeckten Büchern aus der herderischen Bibliothek befasst.

2. Allgemeine Aspekte der Erschließung und Rekonstruktion nachgelassener Privatbibliotheken

Um alle Aspekte zur Erschließung und Rekonstruktion einer hinterlassenen Privatbibliothek erfassen zu können, muss die Erschließung bis auf die Seitenebene stattfinden. Dies gestattet die Protokollierung von Provenienzspuren, die sich nicht nur auf Bücher beschränkt, sondern auch Non-book-Materialien einschließt.15 Neben Autor und Titel kann ein Buch auch auf Urheber, Datierung, Provenienz und Funktion hin untersucht werden, welche Evidenzen liefern und über den publizierten Text hinaus Aufschlüsse über kulturwissenschaftlich bedeutsamen Dokumenten geben. Da Privatbibliotheken nicht nur aus Neuerscheinungen bestehen können, sondern gebraucht Werke beinhalten, welche teilweise sogar mehrere Vorbesitzer hatten, sind die Besitzmerkmale ein wichtiges Mittel für Provenienzforschung. Dabei können sie in Form von handschriftlichen Eintragungen, Unterstreichungen, Widmungen, bis hin zum Bibliotheksstempel reichen. Neben dem Besitzvermerk findet man oft noch eine Datierung, welche den Zeitpunkt nennt, an dem das Werke im Bestand des Autors oder im näheren Umfeld in den Besitz kam. Die Summe, der im gleichen Zeitraum gelesenen Werke, kann beispielsweise Aufschluss zu einem bestimmten Arbeitsvorhaben oder Interessengebiet liefern. Sie dokumentieren darum über welche Bücher der Gelehrte in einer bestimmten Lebens- oder Werkphase verfügte. Da nicht immer in den Werken dokumentiert wurde, wann und wie das Buch seinen Weg in die eigene Bibliothek gefunden hat, müssen externe Provenienzkriterien, wie Inventarlisten und Kataloge, die fehlenden Informationen liefern.16 Ebenso können Schenkungslisten oder Rechnungen Informationen über den Zeitpunkt und die Art und Weise wie ein Werk Zugang in eine Sammlung gefunden hat geben. Die erste Problematik bei der systematischen Erschließung einer Privatbibliothek zeigt sich darin, dass eine Bibliothek oft nicht in Gänze rekonstruierbar ist. Sei es, weil die Bibliothek nach dem Tod des Besitzers aufgelöst, in Teilen verkauft wurde, oder der Präsentzbestand der Bibliothek ohnehin nie vollständig Auskünfte geben kann über alles vom Autor je Gelesene, da man die Entleihungen mitberücksichtigen muss.

3. Die Privatbibliothek Herders

Ein Autor, der sein Buch darstellt, gibt, wenn dies Gedanken enthält, die er, wo nicht erfand (denn wie weniges läßt sich in unsrer Zeit eigentliches Neues erfinden?), so doch wenigstens fand und sich eigen machte, ja, in denen er jahrelang wie im Eigentum seines Geistes und Herzens lebte: ein Autor dieser Art, sage ich, gibt mit seinem Buch, es möge dies schlecht oder gut sein, gewissermaße einen Teil seiner Seele dem Publikum preis.17

Nach dieser Aussage Herders aus seiner Vorrede zu den Ideen 18, hat auch er seine Gedanken nicht vollständig autonom entwickelt, sondern fand Gedanken, übernahm diese und führte sie weiter. Seine Privatbibliothek verspricht demnach Aufschlüsse über Ideen und Gedanken eines deutschen Dichters, Übersetzers, Theologen sowie Geschichts- und Kultur-Philosoph zu liefern. Um, wie bereits im vorherigen Kapitel genannt wurde, die bibliothekarischen Voraussetzungen der Textproduktion Herders herauszustellen, muss zunächst die Privatbibliothek als Ganzes betrachtet werden. Dabei muss die Bibliothek Herders zusammengetragen und in ihren ursprünglichen Kontext geordnet werden. Im Folgenden soll ein Versuch der Rekonstruktion Herders Bibliothek gemacht werden. Dabei sollen vor allem die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens im Mittelpunkt stehen.

3.1. Die Versteigerung der Bibliotheca Herderiana

Eine Anzeige im „Intelligenzblatt“ aus dem Jahr 1805 gibt Auskunft über das Schicksal der Bibliothek Herders. 16 Monate nach Herders Tod soll seine mühevoll zusammengetragene Sammlung fast vollständig versteigert werden. Das Versteigern19 von Privatbibliotheken innerhalb von ein bis zwei Jahren nach dem Todesfall entsprach den Gepflogenheiten der Zeit Herders. Die Gründe hierfür sind oftmals ökonomischer Art. Herder hinterließ seiner Frau Caroline enorme Schulden, die vermutlich unter anderem auf die Ausbildungskosten der sechs Söhne zurückzuführen sind.20

Aus der Auktionsanzeige lässt sich entnehmen, dass die Versteigerung der ungefähr 8000 Bände umfassenden Sammlung am 22. April 1805 und an den folgenden Tagen öffentlich zu Weimar stattfinden soll. Diese Sammlung scheint Bücher „aus allen Fächern der Wissenschaften die vorzüglichsten Werke und für die Literaturgeschichte eben so merkwürdige als auch vortreffliche Seltenheiten“ zu enthalten.21 Die Anzeige wirbt zudem damit, dass besonders „Freunde der orientalischen und altdeutschen Literatur, der neueren Sprache und hauptsächlich der Spanischen“22 fündig werden würden. Des Weiteren wäre es für den Käufer eine Ehre, eines der Werke Herder zu besitzen, in welchem er nach seinem Tod fortleben wird. Um das Bücherangebot möglichst schnell einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wird wenige Monate vor der Auktion ein Bücherverzeichnis in gedruckter Form zusammen gestellt.23 Der Katalog Bibliotheca Herderiana, welcher nur 8 Monate nach Herders Tod zusammengestellt wurde, wurde nach Angaben der Versteigerungsanzeige überregional in Deutschland verbreitet.24 Durch den Verlust der Gesamtheit der Bibliothek, wird der Auktionskatalog zu einer wichtigen Quelle für die Rekonstruktion der ursprünglichen Bibliothek.25 Für die wissenschaftliche Untersuchung bieten die Auktionskataloge, der an meist wissenschaftlichen Bedürfnissen orientierten Privatbibliotheken, genauere Einblicke in die Sammlungen. Ein Beispiel für die Schaffung dieser neuen Quelle, bietet die Göttinger Universitätsbibliothek. Diese schuf mit dem Realkatalog „Privatbibliotheken“ einen Querschnitt der Versteigerungskataloge. Aus diesen konnte nachgewiesen werden, dass der größte Anteil der versteigerten Werke, aus Gelehrtenbibliotheken26 stammte.27 Die Bibliotheca Herderina beinhaltete 7889 Nummern, wobei jede Nummer einem Werk entsprach. Es fanden sich darunter allerdings nicht nur Bücher, sondern auch Landkarten und Kunstobjekte.28 Diese Inventare eröffnen einen interessanten Einblick in die materielle Wirklichkeit von Privatbibliotheken.

Wie sich aus dem Katalog weiter entnehmen lässt, war die Versteigerung der Bibliothek nicht nur die Folge von finanziellen Nöten. In der anonym verfassten Einleitung des Kataloges heißt es:

So unangenehm auf der einen Seite durch den Verkauf die Vereinzelung einer mit Fleiß und Kosten gesammelten Bibliothek ist, so angenehm wird es auch vielen wieder seyn, ein Andenken von Herder zu haben.29

Wichtig ist hier der Begriff des „Andenkens“, der bereits in der Anzeige für die Auktion wichtig ist, in welchem dem einzelnen Leser ein individuelles Andenken an Herder in Aussicht gestellt wird.30 Gerade am Ende des 18. Jahrhunderts lässt sich eine Veränderung der Bedeutungsebene des Andenkens feststellen. Andenken meine nun nicht mehr nur den mentalen Akt, der „Praxis des Andenkens“, sondern „das dingliche Medium des Andenkens“.31 Dies umschreibt, dass besonders das Mittel, durch das man sich erinnern kann, hinterlassen wird und zunehmend Bedeutung erhält. Im Verlauf des 19. Jahrhundert wird schließlich dieses Mittel zur Erinnerung auf einen besonderen Tag oder eine Person immer weiter verstärkt.32 In diesem Fall soll das Andenken Herders anhand der Versteigerung der Bücher weitergetragen werden. Gleichzeitig kann durch die Verkaufsgeschichte der einzelnen versteigerten Bücher, nachvollzogen werden, in welchen Kreisen sich Herders Andenken bewegte. Das Versteigern der Bibliothek ist in vielerlei Hinsicht problematisch für die Rekonstruktion der ursprünglichen Bibliothek. Zum einen ist fraglich, ob alle Bücher aus Herders Besitz versteigert wurden, oder ob die Familie Glanzstücke behielt, welche nicht im Katalog aufgenommen wurden.33 Zum anderen sind nur wenige Hinweise auf die Käufer der Objekte überliefert worden. Wieder ist hier der Auktionskatalog von besonderer Bedeutung, denn dieser gibt zunächst direkt Auskunft darüber, wie sich Herders Privatbibliothek nach seinem Tod zerstreut hat. Gleichzeitig lassen sich in manchen Exemplaren noch Anmerkungen zur Versteigerung finden, wie in einem Exemplar, welches in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt wird. Im Folgenden soll darum intensiv auf den Versteigerungskatalog eingegangen werden.

3.2. Verkaufskatalog der Bibliotheca Herderiana

Der Auktionskatalog zeigt nicht nur den Bestand der zu versteigernden Werke, er spiegelt zudem die Reihenfolge der Aufstellung und Gliederung einzelner Sammlungen wieder und gibt Aufschluss darüber, wie die Werke ursprünglich eingesetzt wurden.34 Allerdings konnten Auktionskataloge auch unterschiedliche Qualitäten aufweisen. Während einige unsauber gearbeitet und weniger den Anspruch einer bibliographisch wertvollen Katalog zu erstellen, hatten, können diejenigen, die beispielsweise mit einer übersichtlichen Sachgliederung versehen waren, noch über ihren eigentlichen Zweck hinaus unentbehrlich für die wissenschaftliche Arbeit werden, da sie bibliographische Funktionen übernehmen können.35 Am Beispiel Herder dokumentiert der Katalog die Aufstellung seiner Bücher in Weimar zu seinen Lebzeiten. Bereits in der Einleitung wird erwähnt, dass sich die „Ordnung des Katalogs“ nach den „Hauptrubriken, wie sie der selb. Besitzer selbst gemacht hatte“ orientiert, „ohne sich ängstlich in Unterabtheilungen zu verlieren, die ein trockenes Schema gegeben und der Bibliothek etwas personelles genommen hätten“.36 Untypisch für die Zeit, legte Herder ein eigenes Verzeichnis „Meine Bücher“, im Juni 1776 selbst von seiner damals rund 1000 Werke umfassenden Bibliothek an, welche beweisen kann, dass der Katalog sich tatsächlich der damaligen Aufstellung der Bibliothek orientierte.37 Der Auktionskatalog gliedert die Bibliotheca Herderiana in fünf „Sectio“38, welche Theologische Schriften, Philologische Werke, Philosophische Schriften, Juristische Schriften und Schöne Literatur im umfassenden Sinn bezeichnet. An diese Schließt eine Kategorie an, welche als „Sonstiges“ bezeichnet werden kann und ein Anhang, welcher Schriften beinhaltet, deren Zugehörigkeit zu Herders Bibliothek zweifelhaft ist.39 An der Aufteilung in diesen Sektionen wird deutlich, „wie sich Herders spezifisches Gelehrtenprofil gerade im Spannungsfeld zwischen universalistischem Geltungsanspruch und dem Prozess wissenschaftlicher Ausdifferenzierung herausbildet.“40 Innerhalb dieser Rubriken wurden die Bücher in Formaten geordnet, so wie es Herder in seiner eigenen Inventarliste auch getan hatte.41 Eine Ausnahme wird jedoch bei Sectio II gemacht, hier werden die philologischen Werke erst nach Sprachen geordnet und dann nach ihrem Format.42 Im Folgenden soll die Spezifik der Herderschen Bibliothek anhand der ersten drei Sektionen weiter präzisiert werden, wobei einzelne Eigenheiten und Besonderheiten anhand von Beispielen herausgegriffen werden sollen. Obwohl der Auftakt für die Bibliotheca Herderiana nicht von der Umfangreichsten Rubrik gebildet wird, lässt sie einen besonderen Stellenwert in Herders leben veranschaulichen. Der genaue Titel der Sectio I. lautet: Libri theologici: Biblia, Commentarii, Patres, Dogmatici, Polemici, Morales, Heterodoxi, Pastorales, Homiletici cett. Stolpe bemerkt, dass es in dieser ersten Hauptrubrik zwei Besonderheiten finden lassen. Zum einen, die große Anzahl von Kostbaren Werken Luthers sowie Originaldrucke aus dem 16. Jahrhundert und zum anderen eine Verhältnismäßig große Anzahl an heterodoxer Literatur.

So sind nicht nur die mystisch-spekulativen Richtungen der Reformationszeit und des 17. Jahrhunderts sowie dann die Hauptströmungen des Pietismus stark vertreten, sondern auch die bekanntesten Gegner der Orthodoxie an der Schwelle des 18. Jahrhunderts. Und sogar die […] radikalsten Feinde der offiziellen Kirchen […].43

Allerdings ist dies nicht weiter überraschend, wenn man Herders Werke „Älteste Urkunde des Menschengeschlechts“ (1774) und „Vom Geist der Ebräischen Poesie“ (1782/3) kennt. Der ersten Hauptrubrik, folgt die zweite und größte Sectio, die Libri philologici: Graeci, Latini, Orientales; cum accessione librorum bibliocorum. Wie bereits der lateinischen Überschrift zu entnehmen ist, gliedert sie sich in drei Unterabschnitte: der altgriechischen Literatur mit 385 Nummern, den lateinischen Werken mit 628 Nummern und den Werken aus und über die orientalische Literatur mit 293 Nummern. Stolpe verweist besonders auf die lateinischen Werke, welche nicht nur antike Autoren beinhaltete, sondern auch neulateinische Schriften, welche im Vergleich zu anderen Privatbibliotheken im 18. Jahrhundert besonders stark vertreten sind. „Hier begegnen [sich; d. V. J. K.] nicht allein die glänzenden Namen des europäischen Humanismus, wie Erasmus von Rotterdam, Pietro Bembo, Julius Cäsar Scaliger, Ulrich von Hutten, Melanchthon usw. sondern auch eine Reihe anderer weniger allgemein bekannter Autoren (…)“44, wie Justus Lipsius oder Johann Valentin Andreä u.a. welche entweder eine besondere politische Haltung oder weltanschaulichen sowie gesellschaftskritische Einstellung einnahmen. Die Sectio III. Libri philosophici: Philosophiae speculativae et practicae; Politici, Geographici et Historici et generals et speciales cum Vitis privatorum hominum; Paedagogici. Libri Historiae naturalis, Oeconomiae et Mathematici cett zeigt deutlich, dass sich diese Rubrik nicht nur auf fachphilosophische Werke, sondern auch politische und historische Schriften, wie auch Gelehrtenbiographien, Reiseberichte und Werke zur Pädagogik und Mathematik beinhalte.45

[...]


1 Streich, Gerhard: Die Privatbibliothek als Handwerkzeug des Gelehrten im 18. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel Göttingens, in: Raabe, Paul (Hrg.): Öffentliche und Private Bibliotheken im 17. Und 18. Jahrhundert. Jacobi Verlag. Bremen und Wolfenbüttel 1977. Raritätenkammern, Forschungsinstrumente oder Bildungsstätten? Bd. 2. S. 241 - 299. Hier. 241 f.

2 Ebd. S. 242.

3 Varstius, Joris; Joost, Siegfried: Grundzüge der Bibliotheksgeschichte, Wiesbaden 1980, S. 1.

4 http://www.dla-marbach.de/bibliothek/spezialsammlungen/autorenbibliotheken/?sword_list[]=autorenbibliothek&no_cache=1 21.02.2018.

5 In selteneren Fällen auch einer Autorin.

6 Rohmann, Ivonne: Aspekte der Erschließung und Rekonstruktion nachgelassener Privatbibliotheken am Beispiel der Büchersammlungen Herders, Wielands, Schillers und Goethes, in: Bibliothek und Wissenschaft. Bd. 48. Autorenbibliotheken. Erschließung, Rekonstruktion, Wissensordnung. Harrassowitz Verlag. Wiesbaden 2015. S. 17 - 60.

7 Weber, Jürgen: Erschließung. „The copy of hand“. Voraussetzungen und Ziele exemplarspezifischer Erschließung, in: Bibliotheksdienst. Bd. 36, Heft 5. Hrg. v. Gerlach, Annette; Koelges, Barbara. Rheinland-Pfalz 2017. S. 614.

8 Vgl. Rohmann. S. 35 - 38.

9 Vgl. Ebd. S. 38 - 46.

10 Vgl. Anm. 1.

11 Stolpe, Heinz: Johann Gottfried Herders Handbibliothek und ihr weiteres Schicksal, in: Goethe: Viermonatsschr. d. Goethe-Gesellschaft; neue Folge d. Jahrbuchs, Bd. 28. Hrg. i. A. des Vorstands v. Wachsmuth, Andreas; Hermann Böhlaus Nachf. Weimar 1966. S.216 - 235.

12 Vgl. Anm. 7.

13 Renner, Kaspar: „Des Vaters Wille“ Nachlassbewusstsein und Werkpolitik in der Familie Herder, in: Sina, Kai; Spoerhase, Carlos: Nachlassbewusstsein. Literatur Archiv, Philologie 1750-2000. Marbacherschriften. Neue Folge. 13. Wallstein Verlag. 06. September 2013. S. 179 - 216.

14 Mariano, Mario: Berichte. Bücher aus Herders Privatbibliothek. Eine Wiederentdeckung in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 56, Heft 3/4. 2009. S. 215 - 217.

15 Weber. S. 615.

16 Rohmann. S. 17.

17 Herder, Johann Gottfried: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Vorrede. 2 Bde, Bd. 1. Berlin und Weimar 1965. S. 8.

18 Vgl. Ebd.

19 Bei Herders Bibliothek fand die Auktion am fürstlichen Gymnasium in Weimar statt. Vgl. Renner. S. 194.

20 Vgl. Anm 4 von: Der handschriftliche Nachlass Johann Gottfried Herders: Katalog, im Auftrag und mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, bearb. v. Irmscher, Hans Dietrich; Adler, Emil, Wiesbaden 1979, S. 101 - 104

21 Auktion von Herders Bibliothek. In: Intelligenzblatt. Januar 1805. S. IV.

22 Ebd.

23 Vgl. Streich. 244.

24 Unter den Städten ist: Halle, Jena, Leipzig, Nürnberg, Frankfurt a. M., Tübingen und Weimar. Vgl. hierzu Ebd.

25 Obwohl die Kataloge die Frage nach Zusammensetzung, Aufbau und Umfang unzähliger Privatbibliotheken des 17. Und 18. Jahrhunderts beantworten können, darf ihr Quellenwert nicht überschätzt werden. In den meisten Fällen bietet der Katalog oft keine Zusammenstellung der ursprünglichen Sammlung an. Oft wurden Teile der Bibliothek gar nicht zum Verkauf angeboten, sondern von den Erben zum eigenen Gebrauch ausgesondert, verschenkt oder separat verkauft. So wurde beispielsweise anrüchige Belletristik gerne anonym verkauft, aus Angst sie können dem Andenken des Verstorbenen schaden. (So zum Beispiel ein Teil der Unterhaltungsliteratur der Richterschen Sammlung. Vgl hierzu Hollmann, Christian: handschriftliche Fortsetzung der Universitätsgeschichte, Niedersächsische Staats-und Universitätsbibliothek Göttingen. Cod. Ms. Hist. Lit. 82, Bl. 124v.). Teilweise wurden die Bibliotheken auch weitervererbt und weiter ausgebaut, oder an größere Bibliotheken weitergegeben. Vgl. Streich. S. 248.

26 Besonders aber aus Bibliotheken von Universitätslehrern. Dabei wurden im Zeitraum 1743 bis 1828 53 Professorenbibliotheken in Göttingen versteigert. Wobei sich die Zahl noch nach oben korrigieren lässt, wenn man die verloren gegangenen Kataloge und die anonym eingereichten Verzeichnisse berücksichtigt. Vgl. Streich. S. 243.

27 Vgl. Ebd.

28 Vgl. Bibliotheca Herderina. Fotomechan. Neudr. Vimariae 1804. Köln: Böhlau 1980.

29 Ebd. S. V.

30 Intelligenzblatt. S. IV.

31 Holm, Christiane; Oesterle, Günter: Andacht und Andenken. Zum Verhältnis zweier Kulturpraktiken um 1800. In: Oesterle, Günter (Hrg.): Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. Bd 26. Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen 2005. S. 433 - 448. Hier S. 434.

32 Vgl. Ebd.

33 Vgl. Rohmann. S. 22.

34 Vgl. Streich. S. 246.

35 Vgl. Ebd. S. 246f.

36 Vgl. Biliotheca Herderiana. S. IV f.

37 Vgl. Rohmann. S. 22.; Meine Bücher. Den 21. Juni 1776, Inventar von Herders Bibliothek, von Herders Hand,33 Bl., 1776; Vgl. Auch Der handschriftliche Nachlass Johann Gottfried Herders: Katalog, im Auftrag und mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, bearb. v. Irmscher, Hans Dietrich; Adler, Emil, Wiesbaden 1979, S. 301.

38 Sectio I: Libri theologici (Nr. 1-1591; S. 1-81); Sectio II: Libri Philologici (Nr. 1592-2902; S.81-147); Sectio III: Libri Philosophici (Nr.2903-4760; S. 147-222); Sectio IV: Libri Juridici (Nr. 4761-5018; S.222-238); Sectio V: Libri Literarum et Artium Liberaliorum recentioris aevi (Nr. 5019-7320; S. 238-321); Die Übrigen Nummern werden gegliedert in Libri incompacti et collati, Varia rem literariam novissimam etc. (Nr. 1 - 381; S.321-338), Appendix (Nr. 1 - 126; S. 339 - 347); Mappae geographicae (Nr. 1 - 46; S. 348 - 349) und Kunstsachen (Nr. 1 - 16; S. 350) Vgl. hierzu Bibliotheca Herderiana.

39 Vgl. hierzu Stolpe. S. 207 f. Demnach sollen von Johann Barthold Stiebritz, einige Werke als sein ursprüngliches Eigentum reklamiert worden, was durch Caroline Herder anerkannt wurde.

40 Renner. S. 195.

41 Vgl. Rohmann. S. 22.

42 Vgl. Bibliotheca Herderiana. Secti II. S. 81 - 147.

43 Vgl. Stolpe. S. 322.

44 Vgl. Ebd. 323 f.

45 Vgl. Ebd. S. 319.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Privatbibliothek von Johann Gottfried Herder. Ein Rekonstruktionsversuch seines Wissensarchivs
Hochschule
Universität Stuttgart
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
24
Katalognummer
V947437
ISBN (eBook)
9783346283726
ISBN (Buch)
9783346283733
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bibliothek, Goethe, Bücherankauf zu Lemgo, Herderiana, Privatbibliotheken
Arbeit zitieren
J. Krieg (Autor:in), 2018, Die Privatbibliothek von Johann Gottfried Herder. Ein Rekonstruktionsversuch seines Wissensarchivs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/947437

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