Günter Grass Prosawerk "Die Rättin" und die gleichnamige Verfilmung von Martin Buchhorn


Magisterarbeit, 2000

94 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die methodische Problematik
2.1. Perspektiven und Grenzen einer vergleichenden Analyse
2.2. Der Vergleich auf der narrativen Ebene

3. Grass' ProsawerkDie Rättin

4. Der Film im Vergleich mit der Textvorlage
4.1. Die Tiefenstruktur des Films
4.1.1. Das erzählte Geschehen
4.1.1.1. Variierte Handlungssegmente
4.1.1.2 Zusätzliche Handlungssegmente
4.1.2 . Die Erzählzeit und die erzählte Zeit
4.1.2.1 Die Spezifikation von Zeitpunkten und -räumen
4.1.2.2 Veränderungen in der Handlungschronologie
4.1.2.3. Veränderungen in der Handlungsdauer
4.1.2.3.1 Dehnung von Handlungssegmenten
4.1.2.3.2 Raffung von Handlungssegmenten
4.1.2.3.5. Selektion von Handlungssegmenten
4.1.3. Die erzählten Räume
4.1.4. Die Figuren und die Figurenkonstellationen
4.2. Die Oberflächenstruktur des Films
4.2.1. Nicht-kinematograhische Gestaltungstechniken
4.2.1.1. Die Bildebene
4.2.1.1.1. Casting, Maske und Kostüme
4.2.1.1.2. Kulisse, Szenerie, Requisite und Licht
4.2.1.2. Die Tonebene
4.2.1.2.1. On- und Off-Texte
4.2.1.2.2. Musik
4.2.1.2.3. Geräusche
4.2.2. Kinematographische Gestaltungstechniken
4.2.2.1. Kameraperspektive, -führung und Nähe-Distanz-Relation
4.2.2.2. Montage und Mischung
4.2.2.3. Besondere visuelle Effekte
4.3. Die Umsetzung der lyrischen Passagen
4.4. Die Umsetzung der Erzählsituation

5. Resümee: Bewertung der Adaption

6.Bibliographie

7. Filmographie

Vorwort

Für das Zustandekommen dieser Arbeit gilt mein Dank meinem Betreuer Herrn Prof. Dr. Günter Häntzschel, der es mir durch sein Verständnis und seine Kooperationsbereitschaft möglich machte, sie trotz meiner gesundheitlichen Probleme fertigzustellen. In diesem Zusammenhang danke ich auch Herrn Dr. Dr. Stephan Roth und Frau Dr. Christine Spikofski, die mit großem persönlichen Einsatz schnell und unbürokratisch alles taten, um mein Leiden zu lindern und mir wieder Hoffnung auf eine Genesung machten, nachdem mich alle anderen Ärzte aufgegeben hatten.

Ebenso möchte ich mich bei Rudi Buchner bedanken, der mir in Fragen der EDV, insbesondere der Formatierung mit Rat und Tat zur Seite stand, bei meinem Kommilitonen Martin Obermüller und meiner Mama, die diese Arbeit Korrektur gelesen haben, meiner Schwester Susanne, die mich ermutigte, sie trotz meiner Erkrankung fertigzustellen sowie allen Freunden, insbesondere Christine Pöltl, Sandra Edelhäuser, Michael Fenzl und Mark Baker für ihren Zuspruch - und last, but not least bei meinen Eltern und meiner Oma für ihre moralische und finanzielle Unterstützung.

1. Einleitung

Ich weißgar nicht, ob es ein guter Film ist, doch finde ich ihn stark und kühn...Wer sich auf neues, unbekanntes Gelände wagt, der gerät hier und da leicht ins Stolpern und Straucheln (Günter Grass über die Verfilmung der Rättin)1

Bei dem 1997 erstmals ausgestrahlten Fernsehfilm DIE RÄTTIN von Martin Buchhorn handelt es sich um die erste filmische Adaption des gleichnamigen Prosatextes von Günter Grass. Das literarische Transform bietet sowohl inhaltlich als auch erzähltechnisch ein immenses Potential und kann insbesondere wegen seiner zahlreichen und verflochtenen intertextuellen Bezüge als sehr komplex bezeichnet werden. Schon bei einem oberflächlichen Vergleich stellt man fest, daßeben dieses Potential in der auf ca. 90 Minuten beschränkten Spieldauer nur selektiv umgesetzt werden kann. So sind z. B. von den fünf Haupthandlungs-strängen der Vorlage lediglich drei in den Film übernommen: die Traum-Erzählung der Rättin inkl. der Gegenerzählungen des Ich-Erzählers, die Handlung um die „Neue Ilsebill" sowie die Handlung um Oskar. Auch die chronologische Abfolge des erzählten Geschehens wird bei der Transformation leicht verändert. Die Märchenhandlung sowie die Handlung um den Malerrestaurator Malskat entfallen dabei gänzlich. Auch die auffallende formale Vielfalt der Literaturvorlage, die wechselnden Genres Erzählung, Reisebericht, Märchen, Dokumentation, fiktive Autobiographie und Gedicht können nicht alle unmittelbar in das Medium Film transformiert werden. In welcher Weise sich diese Selektionen und andere Veränderungen in der filmischen Transformation im Vergleich zum Ausgangstext interpretatorisch auswirken, soll im folgendem untersucht werden.

2. Die methodische Problematik

2.1. Perspektiven und Grenzen einer vergleichenden Analyse

Etwa die Hälfte aller Filme entsteht nach literarischen Vorlagen.2 Schon das rechtfertigt die Beschäftigung der Literaturwissenschaft mit diesem Medium. In der Forschungsliteratur vielfach diskutiert ist jedoch die Frage, ob Literatur faktisch überhaupt „verfilmbar" ist und daraus folgend, ob die vergleichende Analyse einer Verfilmung mit dem ihr zugrunde liegenden Text möglich und sinnvoll ist. Von der traditionellen Literaturwissenschaft wird immer wieder argumentiert, daßbestimmte Aspekte der Buchvorlage bei der Umsetzung in Film verlorengehen, weil sie ausschließlich mit sprachlichen Mitteln dargestellt werden können. S. Kracauer3 z. B. vertritt die Meinung, daßdas Kino das „seelisch-geistige Kontinuum" des Romans nicht darzustellen vermag, sich vielmehr mit einer physischen Erfahrung der Welt beschäftige. Seine Ablehnung filmischer Adaptionen ist hauptsächlich auf die Überzeugung zurückzuführen, Verfilmungen müßten genaue Übertragungen aus dem einen Medium in das andere sein. Neuere Meinungen hingegen sehen mit F. J. Albersmeier4 den Film als ein selbständiges, von der Vorlage völlig gelöstes Kunstwerk. Eine Zwischenposition nimmt M. Beja ein. Für ihn ist eine Literaturverfilmung in some mysteroius way the `same' as the book but also something other: perhaps something less but perhaps something more as well"5.

Ungeachtet dieser unterschiedlichen Positionen steht fest, daßdas Genre Roman wie alle epischen Gattungen sehr viel bietet, was generell ins Medium Film umsetzbar ist: Handlung, Schauplätze, Personen etc. Letztlich läßt sich also das Phänomen des Erzählens als zentrales Tertium comparationis der beiden Medien isolieren. Fast alle methodischen Ansätze einer vergleichenden Analyse nehmen von dieser These ihren Ausgangspunkt, so z. B. die Abhandlungen von I. Schneider6, E. Strautz7, K. Kanzog8, W. Faulstich9, M. Hurst10 und M. Mundt11.

2.2. Der Vergleich auf der narrativen Ebene

Der in der Forschungsliteratur dominierende und in verschiedenen Variationen realisierte Weg eines Vergleiches auf der narrativen Ebene ist auch dieser Arbeit zugrunde gelegt. Da die narrativistische Forschung ihre primäre Aufgabe darin sieht, den narrativen Code unabhängig von dem Zeichensystem erfaßbar zu machen, in dem er sich realisiert12, also einen universellen Anspruch hat, ist diese Methode zur Analyse einer Literaturverfilmung für brauchbar und sinnvoll. Nach M. Mundt13 ergeben sich aus diesem Ansatz folgende Leitgedanken: Jede Narration basiert auf fünf Basisparadigmen, die sowohl literarisch als auch filmisch umsetzbar sind: Raum, Figur, Handlung, erzählte Zeit und Erzählzeit. Die Grundintension des Filmautors läßt sich anhand der Zuordnung zu einem von drei verschiedener Transformationswegen herausarbeiten. Analogisierende Transformationskonzepte verwirklichen sich hiernach im Bereich sämtlicher allgemein-narrativer Srukturen, die theoretisch für Vorlage und Adaption identisch sein können, während sich konzeptionelle Interpretationen der Vorlage anhand entsprechender Abweichungen auf der Ebene der Tiefenstruktur klassifizieren lassen. Eine Adaption ist demnach dann eine bestimmte Interpretation des Ausgangstextes, wenn aus dem Transform nur bestimmte, als essentiell empfundene Elemente übernommen werden oder durch weitere Elemente ergänzt werden. Eine dritte Adaptionsmöglichkeit hat die Vermittlung einer völlig eigenständigen Botschaft zur Absicht. Das literarische Transform fungiert dabei nur als einer von vielen Bezugspunkten. den konzeptionellen Diese drei genannten Adaptionsvarianten können in unterschiedlichsten Kombinationen auftreten. Ziel einer Transformationsanalyse ist es, die dominante Relation herauszuarbeiten, auf deren Basis dann eine Interpretation der Adaption geleistet werden kann.

Es werden neben dem rein narrativen Code, der sich auf der Tiefenstruktur des Transforms manifestiert, also auch die kinematographischen Gestaltungstechniken, die nicht direkt in einer konzeptionellen Relation zu den Vorgaben gesehen werden können, in meine Untersuchungen miteinbezogen. Da sich diese filmspezifische semiotische Interpretation der literarisch vorgefundenen Informationen vorwiegend auf gemeinsame strukturelle Komponenten im Bereich der Stoffwahl bezieht, kann sie nämlich zumindest mittelbar zu diesen in Beziehung gesehen werden. So werden beispielsweise Bildinhalte durch Kameraposition, Kamerabewegung und Bildmontage visuell interpretiert: Die Kameraarbeit z. B. verdeutlicht als Instrument der Akzentuierung, welche Elemente des vorgegebenen Stoffes dominieren und welche ihnen gegenüber nach Meinung des Regisseurs in den Hintergrund treten sollen, welchen Figuren diese Instanz nahe ist und von welchen sie sich distanziert oder welche Relevanz dem Raum und einzelnen Objekten neben den Figuren und ihren Handlungen eingeräumt wird.

3.Grass' Prosawerk Die Rättin

Der Autor Günter Grass galt schon immer als Skeptiker, in dessen Werken Zweifel als Zeichen realistischer Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbewältigung zu werten sind 14. In den achtziger Jahren, als er an seinem Prosaentwurf Die Rättin arbeitete, nahm er häufig öffentlich zur Umweltzerstörung und den Gefahren des Rüstungswettlaufs, insbesondere des Nato-Doppelbeschlusses, Stellung15, so zum Beispiel in seiner 1982 anläßlich der Verleihung des Feltrinelli-Preises gehaltenen Rede Die Vernichtung der Menschheit hat begonnen. 16 Was er dann 1989, drei Jahre nach Erscheinen der Rättin, in seiner Rede vor dem Club of Rome aussprach, kann man als seine komprimiert formulierte Hauptinension für dieses Werk sehen:

Die Zukunft der Menschheit, vormals Spielraum für widersprüchliche Utopien, ist von katastrophalen Abläufen bereits v rdatiert. Die Zeit der Warnungen ist vorbei, weil eine Vielzahl katastrophaler Entwicklungen, die sich vormals notfalls als isolierte Vorgänge begreifen ließen, miteinander verquickt sind und sich so potenzieren. Denn wie die Verelendung der Dritten Welt und der nach wie vor wirksame Rüstungswettlauf einander bedingen, so ist auch die ungehemmte industrielle Expansion mit wachsender Umweltzerstörung und klimatischen Veränderungen als insgesamt zerstörerischer Zusammenhang zu begreifen.17

Der, obgleich vielfach als Roman betitelt, auf jede Gattungsbezeichnung verzichtende Prosaentwurf, thematisiert die Eliminierung jeglicher menschlicher Zivilisation durch den von Umweltverschmutzung, Unfähigkeit zum sozialen Miteinander und Technikmißbrauch vorbereiteten globalen Atomkrieg, die größte und letzte aller Katastrophen, den „Großen Knall". Der Ich-Erzähler, Autor und bildender Künstler, welcher häufig mit dem Autor Günter Grass gleichgesetzt worden ist18, hat sich zu Weihnachten eine Ratte gewünscht, die ihm in seinen Tag- und Nachtträumen als posthumane „Rättin" erscheint und als Gegenpart des Erzählers hartnäckig behauptet, jener würde sich als einziger überlebender Mensch in einer den Orbit ziellos umkreisenden Raumkapsel befinden, während die gesamte Menschheit durch den „Großen Knall"19 ausgelöscht sei. Ein posthumaner Rattenstaat habe sich gebildet und sich die unter der Neutronenbombe unversehrt gebliebene Danziger Innenstadt zum Stützpunkt gemacht. Von dieser Rahmenerzählung ausgehend, entwickelt sich ein Gemisch verschiedener Handlungs- und Zeitebenen, deren Einordnung als Fiktion bzw. Drehbuch, Traum oder Realität des Ich-Erzählers nicht immer ganz eindeutig ist, und teilweise erst gegen Ende des Werkes manifest wird. Fünf Haupthandlungsstränge lassen sich dabei - wie schon einleitend erwähnt - isolieren: Die Ich-Erzähler-Ebene einschließlich der Gegenrede der Rättin als Rahmenerzählung, die Handlung um die „Neue Ilsebill", offensichtlich ein Drehbuch, dessen Anstoßeine auf der Ich-Erzähler-Ebene reell stattfindende Forschungsreise gegeben hat, die Handlung um Oskar und zwei weitere zu Drehbüchern verarbeitete Stoffkomplexe, die Märchenhandlung des Films „Grimms Wälder" und die Malskatepisode. Häufig handelt es sich bei den Drehbuchhandlungen aber nicht um den eigentlichen Drehbuchtext, sondern um Träume des Ich-Erzählers, in denen sich der zugrunde liegende Stoff verselbständigt. Die Frage, auf welcher Ebene die Handlung um Oskar einzuordnen ist, bleibt offen (vgl. 4.1.1.).

Es ist viel darüber diskutiert und geschrieben worden, ob Die Rättin als apokalyptischer Text anzusehen ist. Die Gegner dieser These stützen sich mit T. Kniesche in der Regel auf die Tatsache, daßdie Apokalypse den Untergang der Welt nicht als eine vom Menschen selbst verursachte Katastrophe sehe. Grass betone jedoch gerade diese Verantwortung des menschlichen Individuums an dem vorprogrammierten Untergang.20 Auf jeden Fall ist die Rättin ein Buch des Abschiednehmens. „Mir träumte, ich müßte Abschied nehmen" ( S. 113) heißt es in einer der das Werk strukturierenden lyrischen Passagen. Und dieses literarische Abschiednehmen bedient sich einer Vielzahl anderer Werke und intertextueller Bezüge: angefangen bei der Bibel, über die Autoren der Aufklärung wie Kant. Lessing und Orwell21 und bekannten Volksmärchen bis hin zu Grass' eigenen Werken.

Ein in Form und Inhalt so komplexes und reiches Werk wie Die Rättin zu verfilmen, stellt eine ganz besondere Herausforderung dar, fallen doch all die generell mit einer Literaturverfilmung verbundenen Probleme umso mehr ins Gewicht. Die größte Schwierigkeit dürfte dabei in der Selektion der für essentiell befundenen, und deshalb in die Adaption umgesetzten, Aspekte der Erzählung liegen. Wie dies in der vorliegenden Buchhorn-Verfilmung gelöst wurde, sollen die folgenden Ausführungen zeigen.

4. Der Film im Vergleich mit der Textvorlage

4.1. Die Tiefenstruktur des Films

Die vier als allgemein narrativ geltenden und somit hier als Vergleichsparadigmen gewählten Kriterien Handlung, Zeit, Raum und Figuren können nicht strikt getrennt voneinander gesehen und somit auch nicht strikt getrennt voneinander untersucht werden, da sie einander bedingen und als Ganzes die Tiefenstruktur der Narration bilden. Überschneidungen der einzelnen Paradigmen sind dabei durchaus möglich und die Zuordnung ist daher nicht immer eindeutig, so ist z. B. mit einer Änderung der Figurenkonstellation meist auch eine Veränderung auf der Handlungsebene verbunden, und Veränderungen auf der Zeitebene im Sinne von Ellipse, Raffung und Dehnung lassen sich ebenso als Veränderungen auf der Handlungsebene klassifizieren. Die vorgenommene Einteilung dient deshalb nur als Gerüst und Hilfsmittel einer systematischen Untersuchung.

4.1.1. Das erzählte Geschehen

Nach M. Mundt22 erweisen sich Ergänzungen auf der Handlungsebene der filmischen Adaption meist eher als Zeichen eines interpretierenden als eines eigenständigen Erzählkonzepts. Kürzungen hingegen müssen zwar nicht heißen, daßeine Handlungsfunktion nicht realisiert wird, sie bewirken aber in der Regel, daßdiese mittelbarer dargestellt wird als in der Textvorlage. Generell mußbei Veränderungen auf der Handlungsebene zwischen zwei verschiedenen Handlungssegmenttypen unterschieden werden: dem Typ „Stufe", bei dem das Ergebnis einer Handlungssequenz gleichzeitig der Beginn einer späteren Sequenz ist, und dem Typ „Verschluß", der vorliegt, wenn das Ergebnis einer Handlungssequenz keine weitere Bedeutung für die fortlaufende Handlung hat. In diesem Sinne kann auch nach R. Barthes23 und C. Bremond24 zwischen „Kardinalfunktionen" und den verzichtbaren „Satelliten" bzw. „Variablen" einer Geschichte unterschieden werden. Nach M. Mundt kann nun allgemein festgestellt werden, daßsämtliche Veränderungen der Oberflächenstruktur, die nur die Satellitenfunktionen betreffen, keine einschneidende konzeptionelle Veränderung der handlungslogischen Interpretation der filmischen Transformation bewirken. Sie bringen vielmehr eine komprimierende Interpretation des Handlungsverlaufs zum Ausdruck. Entscheidende Aufschlüsse über eine analoge oder abweichende Konzeption der Handlung können also eher die Kardinalfunktionen bieten. Hierbei kann man aber erst dann eindeutig von einer eigenständigen Interpretation sprechen, wenn Kürzung und Ergänzung eines Handlungssegments zusammenfallen. Besonders eine strukturelle Veränderung des Endpunktes, z. B. die Substitution eines unglücklichen Endes im Roman durch ein „Happy End" in der filmischen Adaption, verändert die Handlungslogik in dem Sinne, daßnicht mehr von einer Analogiebildung gesprochen werden kann.25

Die Sinnzusammenhänge einer Geschichte basieren zwar grundlegend auf der Handlungslogik, leiten sich aber zudem auch häufig aus den für die Handlungslogik irrelevanten Satelliten her, die bei R. Barthes weiter in handlungslogische Hilfsfunktionen und Indizien unterschieden werden. Während Hilfsfunktionen dazu dienen die Realitätsnähe bzw. Illusionswirkung der gesamten Fiktion zu verstärken, indem sie die Kardinalfunktionen in kontinuierliche Handlungsfolgen einbetten, dienen Indizien der „Konturierung der Bedingungen"26 einer Handlung. Sie können sich auf die Figur selbst oder auf andere narrative Sachverhalte beziehen. Eine eindeutige Konturierung geschieht über Sprechakte, mit denen eine Figur auf sich selbst, andere Figuren oder sonstige Handlungsaspekte Bezug nimmt. Nonverbale Handlungen dagegen nehmen eine implizitere Konturierung vor und sind somit interpretations-bedürftiger. Indizien betreffen nicht nur das Handlungsgeschehen. Sie können sowohl durch die Konturierungsfunktion der Handlung als auch durch den Erzählvorgang, d.h. die medienspezifische Bezeichnung und Konturierung der narrativen Basisparadigmen, realisiert werden. Im Zusammenhang einer vergleichenden Analyse sind also in erster Linie die Veränderungen interessant, die eine Transformation aufweist, und die Unterscheidung dieser veränderten Handlungssegmente in Kardinalfunktionen und Satelliten, wobei letztere weniger bis gar nicht ins Gewicht fallen: so auch auf der Ebene des erzählten Geschehens, das wie bereits unter 4.1. erwähnt, eng mit dem der Zeitebene verwoben ist. Entscheidend ist hier außerdem die Art der Veränderung. Im folgenden wird zwischen vier verschiedenen Veränderungstypen unterschieden: einer Hinzufügung, die vorliegt, wenn ein zusätzliches Handlungssegment in die Transformation übernommen wird, einer Variation, wenn ein Handlungssegment ganz oder in Teilen (z. B. Veränderung der Aktanten, der Zeit, des genauen Handlungsablaufs usw.) durch ein anderes ersetzt wird, einer Raffung, wenn ein Handlungssegment verkürzt wiedergegeben wird, und der extremsten Form der Raffung, der Ellipse, die vorliegt, wenn ein Handlungssegment ganz entfällt. Die beiden letzteren Kategorien sind identisch mit einer Veränderung auf der Ebene der erzählten Zeit und werden aus diesem Grund separat unter 4.1.2. näher untersucht.

Tabelle 1 faßt die wichtigsten Veränderungen auf der Handlungsebene schematisch geordnet zusammen:

Tabelle 1: Schematische Übersicht zu den Veränderungen auf der Handlungsebene27

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten28

4.1.1.1. Variierte Handlungssegmente

Variationen im Sinne der unter 4.1.1. vorgenommenen Definition werden, wie wir der Tabelle 1 entnehmen können, bei der Adaption der Rättin mehrmals vorgenommen. Dabei fällt auf, daßdies manchmal mit einer Vereinfachung komplizierter Handlungskomplexe einhergeht, was wahrscheinlich in erster Linie aus zwei Gründen erfolgt: entweder um eine zeitliche Raffung der Handlung oder einen geringeren technischen und somit auch ökonomischen Aufwand zu erreichen. Letzteres spielt gerade bei einem Fernsehspiel - dessen Budget im Vergleich zum Kinofilm relativ begrenzt ist - eine nicht unerhebliche Rolle. Im Idealfall beeinträchtigen diese Handlungsvariationen den Gesamtkontext dabei wenig, beziehen sich also ausschließlich auf Handlungssegmente des Typs „Stufe" bzw. „Satellit". So betreffen solche Variationen auch bei der hier untersuchten Verfilmung (fast) ausschließlich für den weiteren Handlungsverlauf und den Gesamtkontext irrelevante Handlungssegmente: Im literarischen Transform sieht sich der Ich-Erzähler im Traum in einer Raumkapsel, von der aus er als letzter überlebender Mensch über einen Monitor mit der Rättin spricht (vgl. Tabelle 1, HS 6). In der Buchvorlage finden die Traumszenen in der Wohnung des Ich-Erzählers statt, der als Regisseur über eine große Monitorwand verfügt. auf der er bisweilen glaubt, die sprechende Rättin wahrzunehmen. Manchmal scheint aber auch seine Weihnachtsratte als Rättin mit ihm zu sprechen. Da er Bilder von seiner Weihnachtsratte für seine Filme verwendet, läßt die Transformation die logische Erklärung offen, daßdie sprechende Rättin nur in Markus Phantasie- und Traumwelt existiert und ein Resultat seiner intensiven Beschäftigung mit der Idee eines posthumanen Rattenstaats ist. Würde man die Raumkapsel-Episode in den Film übernehmen, wäre die Realisation einer entsprechenden Kulisse sicher mit einem großen technischen Aufwand verbunden. Eine andere Erklärung für die hier vorgenommene Variation könnte sein, daßdie Adaption surreale, an Science Fiction erinnernde Elemente, generell ausspart, um die Glaubwürdigkeit der Handlung zu wahren. Andernfalls würde sich der Rezipient nicht so leicht mit ihr identifizieren. Auch die gesamte Märchenepisode (vgl. Tabelle 1, HS 9) und der Gesang der Ohrenquallen (vgl. Tabelle 1, HS 39) werden schließlich nicht in die Adaption umgesetzt (vgl. auch 4.1.2.2.), und alle anderen phantastisch anmutenden Elemente sind so inszeniert, daßimmer noch eine reale Erklärung dafür naheliegt. Das Gespräch mit dem Butt beispielsweise (Die Rättin, S. 95) läßt sich wie die Traumrättin von Markus als Hirngespinst der Frauen interpretieren: Erstens sieht man ihn nicht, man hört nur seine Stimme, und zweitens haben die Frauen zum Zeitpunkt seines Erscheinens Alkohol konsumiert. Menschenratten, die in der Vorlage vermutlich (vgl. Die Rättin, S. 412), im Transform gewollt auch Schweinegene haben, existieren nur in Markus computeranimiertem Film über die posthumane Welt. Der Inhalt dieses Films wird nur angedeutet. Die Kritik an der Gentechnik manifestiert sich im Film viel stärker über die im Versuchslabor gezüchteten Schweineratten, welche der Rezipient der 90er Jahre heute wohl nicht mehr als absolut unrealistisch einstufen wird. Eine gewisse Realitätsnähe und die damit verbundene Möglichkeit zur Identifikation mit dem erzählten Geschehen scheint ein Anliegen der Transformation zu sein. In diesem Kontext müssen wohl auch die Variationen gesehen werden, die vermutlich vor allem aus dramaturgischen Gründen erfolgen. Das filmische Medium hat per se eine Tendenz zum dynamischen Handlungsablauf. Episch breite, handlungsarme Schilderungen würden auf den Rezipienten eher ermüdend wirken, was der generellen Absicht des Films widerspricht, den Zuschauer möglichst unmittelbar ins Geschehen einzubeziehen.29 Gerade beim Fernsehspiel ist hierbei des weiteren zu berücksichtigen, daßes in der Regel für eine relativ breite Masse von Rezipienten produziert wird, und deshalb eher dazu neigt, solche dramaturgischen Veränderungen am Maßstab eines Massengeschmacks auszurichten.

Die Variationen der Buchhorn-Verfilmung können relativ häufig als Veränderungen zum Zwecke einer besseren Dramaturgie eingestuft werden: Diese Veränderungen beziehen sich hier meist auf Satelliten, z. B. sind laut Buchvorlage die Frauen nicht wie im Film an der Befreiung der Versuchstiere aus dem Labor beteiligt (vgl. Tabelle 1, HS 38). Diese Abänderung der Handlung hat keine Konsequenzen auf den weiteren Handlungsverlauf oder den Gesamtzusammenhang, wie das zum Beispiel bei der Variation der Ilsebill-Episode der Fall ist: Zwar existieren auch in der filmischen Adaption zum einen die reale Forschungsreise und ein vom Ich-Erzähler produziertes Video über diese Reise. Die Fahrt nach Vineta und der „Große Knall" am Ende finden aus der Perspektive der Ich-Erzähler-Ebene jedoch real statt. Außerdem streicht die Textvorlage heraus, daßden Frauen letztlich ihre Eitelkeit zum Verhängnis wird: Obwohl die Zeit drängt, lassen sie sich noch ausgiebig Zeit, um sich schön zu machen. Der Film stellt dies nicht so deutlich dar. Hier erfährt man lediglich, daßdie Frauen zu spät sind, da vor ihnen schon die Ratten Vineta besetzt haben. In diesem Zusammenhang fällt eine weitere Variation auf: Laut Buch stellen die Frauen von Bord aus die Ratteninvasion auf Vineta fest. In diesem Moment gehen die Atombomben nieder und vernichten sie. Im Film springen die Frauen in die Tiefe und stellen erst kurz vorm Ziel fest, daßVineta schon vergeben ist. Erst jetzt ereignet sich der „Große Knall". Das Sterben der Frauen wird nicht gezeigt. So bleibt immerhin die - wenn auch unwahrscheinliche Möglichkeit bestehen, daßsie überlebt haben.

Geht man nun davon aus, daßdie Existenz des Ich-Erzählers nicht - wie als Möglichkeit in der Buchvorlage mehrfach thematisiert - daraus resultiert, daßder „Große Knall" zwar real bereits stattgefunden hat, die Menschen aber nur von jemanden - der Rättin oder gar Gott - geträumt werden (Die Rättin, S. 352, S. 453) so ist die Inszenierung des „Großen Knalls" als reales Ereignis die wohl einschneidenste Veränderung der gesamten Transformation. Deshalb wird im Film auch die Frage, wer wen träumt, nicht gestellt. Hinzu kommt, daßder „Große Knall", wie wir auch bei 4.1.2.2. sehen, am Schlußdes Films steht. Er bildet sozusagen den Höhepunkt, auf den sich die gesamte Handlung hin entwickelt. Ein Vorzeichen dafür ist die weltweite Rattenplage, ein Handlungssegment, das im Vergleich zum Buch stark gedehnt ist (vgl. auch 4.1.2.3.1.). Die Ratten kommen aus ihren Löchern, um die Menschen zu warnen. Was in der Buchvorlage lediglich unter vielen anderen Ereignissen von der Rättin im Präteritum erwähnt wird, wird im Film als reale Gegenwart geschildert und ausgestaltet. Grund für diese konzeptionelle Änderung mag wohl die Absicht gewesen sein, eine stärkere Betroffenheit beim Zuschauer zu erwirken. Die Intension der Warnung, die wie unter 3. erläutert, sicher auch Grass mit seinem Prosawerk hauptsächlich verfolgt, wäre somit mediengerecht und direkter übernommen.

4.1.1.2. Zusätzliche Handlungssegmente

Zusätzliche Handlungssegmente, in Tabelle 1 Hinzufügungen genannt, findet man in dieser Adaption nur wenige. Bei der generellen Tendenz des Films zur Zeitraffung mußman ihnen aber, wie oben erklärt, eine besondere Bedeutung. beimessen. Einige dieser Hinzufügungen basieren auf der additiv ins Transform aufgenommenen Figur Katja: Relativ am Anfang des Films sieht man Katja und Markus bei einem Strandspaziergang. Diese Sequenz hat vor allem die Funktion, Katja, die in Punkerkreisen verkehrt, als Markus Geliebte einzuführen. Auch neu ist demzufolge, daßDamroka, Markus Frau, Skizzen findet, für die das Mädchen Modell gestanden hat. Sie vermutet richtig, daßKatja ein Verhältnis mit ihren Mann hat. Er aber streitet das wiederholt ab. Obwohl Markus Damroka flehentlich bittet, die Forschungsreise nicht anzutreten, bricht sie unverzüglich auf Damroka, weil nun erst recht kein Grund besteht, bei ihrem Mann zu bleiben. Katja ist als Schiffsmädel für diese Reise angeheuert worden, ob zufällig oder wissentlich bleibt offen. Auf die Funktion der Figur Katja wird unter 4.1.4.2. noch näher eingegangen. Man kann aber in jedem Fall feststellen, daßdie Aufnahme dieser durch diese additive Figur geprägten Sequenzen dem erzählten Geschehen einen zusätzlichen dramatischen Effekt gibt - zum einen durch die Spannung, welche durch die Thematiserung dieses Beziehungsdreiecks entsteht, zum anderen, weil dadurch erst Markus Depression ausgelöst wird, die in der Vorlage nicht so deutlich thematisiert ist. DaßMarkus nun von der Ehefrau und der Geliebten verlassen wurde, die sich paradoxerweise auch noch miteinander verbündet haben, setzt ihm so sehr zu, daßer nicht nur sehr viel raucht, sondern auch dem Alkohol zuspricht - eine weitere Hinzufügung. Nicht nur - wie in der Vorlage - im Drehbuch zum „Ilsebill"-Film, sondern ganz real, eilt Markus auf das Schiff, und zwar vor der Abreise, um Damroka aufzuhalten. Dabei findet er die Seekarte von Vineta, die er selbst seiner Frau zu Weihnachten geschenkt hat.

Ein weiteres Handlungssegment, das die Vorlage nicht beinhaltet, betrifft Bruno (vgl. Tabelle 1, HS. Nr. 53): Markus hat vergessen, seine Ratte zu füttern, weshalb Oskar Bruno schickt, um das nachzuholen. Angewidert lockt der Chauffeur die Ratte in den Käfig und sengt ihr, nachdem er sie eingesperrt hat, mit einem Feuerzeug den Schwanz an. Daraufhin sagt er im militärischen Ton „ Einsperren, absperren, zusperren, wegsperren. Verriegeln, versiegeln, vergittern, verplomben. Jawohl" - ein Querverweis auf seine frühere Tätigkeit als Anstaltswärter und seine nationalsozialistische Vergangenheit. Bruno ist es dann auch, dem die Verknüpfung von Juden und Ratten in den Mund gelegt wird (vgl. Tabelle 1, HS 27).

4.1.2. Die Erzählzeit und die erzählte Zeit

Das Paradigma Zeit steht im engen Zusammenhang zum handlungslogischen Aufbau. Jedes berichtete Geschehen kann nur in einem bestimmten Zeitraum gedacht werden, die erzählte Zeit ist also ein unmittelbares Element des erzählten Geschehens und allgemein narrativ. Aus diesem Grund korrespondieren die im folgenden geschilderten Beobachtungen mit den Feststellungen zum erzählten Geschehen und überschneiden sich auch teilweise. Unterschiede bei der Realisierung in den beiden Medien literarischer Text und Film zeigen sich, ähnlich wie bei den Räumen, in einer mehr oder weniger expliziten Bezeichnung. Die verbale Sprache ermöglicht eine einfache und genaue Bezeichnung von Zeiträumen und Zeitpunkten. Im Film kann das nur im Monolog oder Dialog im On oder Off geschehen, manchmal auch durch Schriftinserts. Meist werden erzählte Zeiträume aber auf der bildlichen Ebene dargestellt. Dabei entwickeln sie sich synchron zur Rezeptionszeit und umfassen als erzählte Zeit in der Regel einen Zeitraum von Sekunden bis Stunden. Durch die Montage wird dann entweder ein durchgängiger Zeitraum in verschiedene Einstellungen aufgelöst oder verschiedene Zeitzusammenhänge werden voneinander isoliert. Ein in sich abgeschlossener Zeitraum ergibt sich folglich durch einen gleichbleibenden Schauplatz und eine gleichbleibende oder sich kontinuierlich verändernde Konfiguration.30 Größere Zeitverhältnisse werden vor allem optisch gekennzeichnet, z. B. durch Licht zur Markierung der Tageszeit oder durch jahreszeitentypische Ausstattung. Eine Möglichkeit der exakten Spezifizierung der erzählten Zeit im Film ist die Abbildung von Uhren und Kalendern. 31

4.1.2.1. Spezifizierung von Zeitpunkten und -räumen

Die Buchhorn-Verfilmung nimmt die üblichen Zeitmarkierungen von Tages- und Nachtzeiten durch Lichtveränderungen etc. vor. Auffällige Abweichungen zum Transform sind dabei nicht zu erkennen. Während die Buchvorlage keine genaue Angabe über den Zeitpunkt des „Großen Knalls" macht, nur daßer an einem Sonntag um fünf Minuten nach zwölf (S. 307) stattgefunden hat, lassen die Laubfärbung der Bäume in der Szenerie des Films - von dem Moment an, als die Ratten aus den Löchern kriechen, bis hin zur Geburtstagsfeier von Anna Koljaiczek - Rückschlüsse darauf zu, daßes sich um einen Herbsttag handelt. In der Buchvorlage findet man nur einen vagen Hinweis auf eine jahreszeitliche Datierung: „Durchs Fenster schauen Sonnenblumen, die nach dem kühlen und regnerischen Frühsommer nicht besonders hoch stehen". (Die Rättin, S. 256-257). Sonnenblumen blühen - je nach Art von ca. Juni bis Oktober32 Es läßt sich also annehmen, daßdie Geburtstagsfeier von Anna Koljaiczek und somit auch der „Große Knall" laut Transform im Sommer oder Herbst stattfindet. Die Datierung auf den Herbst wäre eine klassische Allegorie für eine Vorstufe von Tod, Vernichtung, Untergang und Ende, für eine Zeit der Wehmut, gleichsam eine weitere Spielart des in der Rättin ebenfalls benutzen Symbols„fünf Minuten vor zwölf"(Die Rättin, z. B. S. 307). Sowohl im Buch als auch in der filmischen Adaption schlägt die Uhr sprichwörtlich zwölf, danach fallen die Bomben und löschen die gesamte Menschheitsgeschichte mit einem Schlag aus. Diese wohl wichtigste Zeitangabe des Transforms (Die Rättin, S. 307 f) - mit der ihr innewohnenden Symbolik - ist also unverändert in die Transformation übernommen.

Nach dem „Großen Knall" beginnt ein neues Zeitalter, die „posthumane Zeit"( Die Rättin, S. 320 ), die Ära der Ratten, die jetzt auch eine eigene Zeitrechnung einführen: Von den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts spricht die Rättin in der Buchvorlage als der „Zeit der schwarzen Hausratte" (Die Rättin, S. 215f) - ein Aspekt der nicht in den Film transferiert wurde, für den Gesamtzusammenhang aber auch nicht von großer Bedeutung ist. Er verdeutlicht nur, daßin der posthumen Zeit auch die menschlichen Denkschemata durch die der Ratten abgelöst sind.

4.1.2.2. Veränderungen in der Handlungschronologie

Die Buchhorn-Adaption hält sich, läßt man die Ellipsen außer acht, im wesentlichen an die vom Transform vorgegebene Handlungschronologie. Zwei Modifikationen fallen aber dennoch auf: Die Besatzung der Ilsebill befindet sich zum Zeitpunkt des „Großen Knalls" bereits im Wasser und taucht nach Vineta ab, während im Prosatext die Bomben schon niedergehen, bevor sich die Frauen für oder gegen das Abtauchen entschließen können. Die Feststellung, daßdie Stadt bereits von Ratten besetzt ist, wird in der Transformation erst im Meer gemacht, im Transform bereits an Bord. Diese Umstellung des Handlungsablaufes geht also mit einer Variation einher und ist daher schon unter 4.1.1.1. beschrieben und analysiert.

Auch eine andere Veränderung im zeitlichen Ablauf bezieht sich auf den Zeitpunkt des „Großen Knalls". Während nach der Beschreibung dieses Ereignisses, um das die gesamte Handlung kreist (Die Rättin, S. 314-319), noch etwa Dreiviertel des Buchtextes folgen, schließt der Film mit diesem dramatischen Höhepunkt. Die posthumane Geschichte, die im Transform ausführlich in Beschreibungen der Rättin - vor und nach der Schilderung des „Großen Knalls" - dokumentiert ist, wird in der Transformation nur kurz in einer Drehbuchbesprechung zwischen Oskar und Markus zu einem geplanten Film mit dem Titel „In Zukunft nur Ratten noch" (vgl. Tabelle 1, HS 52) angerissen. Der große Knall ist also der End- und Höhepunkt der filmischen Handlung. Damit liegt der Schwerpunkt des Films eindeutig darauf, diese globale Katastrophe zu schildern, und deren Entwicklung zu zeigen und auszugestalten. Die Zeit nach dem „Großen Knall" ist im Vergleich zur Vorlage unterrepräsentiert. Diese These wird auch durch die folgenden Untersuchungen über die Veränderungen in der Handlungsdauer (4.1.2.3.) belegt.

4.1.2.3. Veränderungen in der Handlungsdauer

Da der filmischen Adaption mit einer durchschnittlichen Dauer von 90 Minuten proportional zum durchschnittlich langen Prosawerk weitaus weniger Zeit zur Verfügung steht, das erzählte Geschehen darzustellen, handelt es sich bei Veränderungen bezüglich der Dauer in der Regel um Raffungen oder Ellipsen, die aus zeitökonomischen Gründen vorgenommen werden müssen. Für die Bewertung der Adaption ist dabei wiederum wichtig, ob es ich bei den so veränderten oder gar ausgesparten Handlungssegmenten um Satelliten oder Kardinalfunktionen handelt, und inwieweit der Gesamtkontext dadurch modifiziert wird.

Zeitdehnungen haben demzufolge meist eine größere Bedeutung für die Interpretation, da dem gedehnten Handlungssegment im Vergleich zur Buchvorlage eine betont starke Gewichtung beigemessen wird. Generell läßt sich die Dauer eines Handlungssegments der Buchvorlage in direkte Proportion zur filmischen Adaption setzen. Hierbei verhält sich die Seitenzahl dieses Segments zur Gesamtseitenzahl des Transforms wie die zeitliche Dauer des Filmsegments zur Gesamtlänge des Spielfilms.

4.1.2.3.1. Die Dehnung von Handlungssegmenten

Die Buchhorn-Verfilmung weist nur eine entscheidende Dehnung auf, die gleichzeitig mit einer Variation einhergeht (vgl. 4.1.1.1.): die Thematisierung der weltweiten Rattenplage (vgl. Tabelle 1, HS 56) : Über 19 Minuten (24. bis 43. Minute des Films) wird dieses Thema entwickelt. So ist es sicher nicht übertrieben, die Rattenplage als das wichtigste spannungssteigernde Handlungssegment des Films zu bezeichnen, das den „Großen Knall" als Höhepunkt dramatisch vorbereitet.

4.1.2.3.2. Die Raffung von Handlungssegmenten

Erwartungsgemäßwerden in der filmischen Adaption viele Raffungen vorgenommen. Als extremste Form der Raffung mußdabei die Ellipse gesehen werden, die unter 4.1.2.3.3. gesondert behandelt wird. Die vorgenommenen Raffungen beziehen sich häufig auf die als relativ irrelevant angesehenen Satelliten. Von größerer Bedeutung für den Gesamtzusammen-hang sind aber folgende:

Während z. B. im Transform kurz Oskar Matzeraths Vergangenheit und Werdegang memoriert werden (vgl. Tabelle 1, HS 4), setzt der Film die Kenntnis dieser Figur aus „Der Blechtrommel" voraus. Das ist vor allem insofern interessant, da Oskar sich stark gewandelt hat: Er ist nicht mehr der gnomenhafte Außenseiter einer bürgerlichen Welt, sondern als erfolgreicher Videoproduzent und Unternehmer fast schon repräsentativ für die leistungs- und marktwirtschaftlich orientierte Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts:

„Mit seiner Vorortvilla und dem dicken Mercedes, samt Firma und Zweigstellen, Überschüssen und Rücklagen, Außenständen und Verlustabschreibungen, samt seinen ausgeklügelten Vorfinanzierungsplänen."(Die Rättin, S. 29)

Oskar taucht in der Rättin vermutlich deshalb noch einmal auf, weil „sein nochmaliges Heranziehen seine Vernichtung wie eine Kettenreaktion wirken läßt."33 Wird der intertextuelle Bezug zur Blechtrommel mangels Textkenntnis vom Zuschauer nicht erkannt, verliert diese Identität ihren Sinn, und die Figur Oskar Matzerath könnte ebensogut einen ganz anderen Namen haben. So ist der eindeutige Verweis im Transform bzw. dessen Aussparen im Film durchaus von Bedeutung für den Gesamtzusammenhang.

Während die Möglichkeit des globalen Atomkriegs im literarischen Transform zwar als die hauptsächliche Konstituente eines vom Menschen selbst verursachten Weltuntergangs thematisiert wird, werden auch viele andere Vergehen der Menschheit, die zu ökologischen, sozialen, politischen und ökonomischen Problemen führen, ausführlich geschildert (vgl. Tabelle 1, HS 18): die Ausbeutung der Natur und rücksichtslose Umweltverschmutzung mit ihren Konsequenzen wie Hochwasser, Waldsterben (Die Rättin, S. 98), erhöhter Dioxingehalt in der Muttermilch (S. 37) etc., die Verschwendung öffentlicher Gelder und schlechte Finanzpolitik (S. 236ff und S. 253), Arbeitslosigkeit (S. 178 f), der Mißstand, daßder reiche Westen von der Armut der Dritten Welt lebe, wo vor allem die Unschuldigsten, die Kinder, Hunger leiden (S. 268), die unmenschliche Profitgier und Rücksichtslosigkeit von Politikern und Wirtschaftsbossen, die für den Bau eines neuen Flughafens die Umsiedlung alter Menschen in Kauf nehmen (S. 211) und den Einsatz von bausubstanzschonenden Neutronenbomben als großen Erfolg feiern (S. 240), was in der Rättin zu grotesken Aktionen wie der Einrichtung von Schonzonen mit besonders erhaltenswerten Kulturgütern führt (S. 240), die politischen Spannungen unterschiedlichster Völker, Religionen, Rassen und Menschengruppen (S. 103), das Müllproblem (S. 122), die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen (S. 183 f, S. 247)), die Folgen der Gentechnik (S. 183 f ), die von der Kirche, insbesondere dem Papst, geförderte Überbevölkerung (S. 268), eine fragwürdige Pädagogik und Bildung (S. 178f, S. 29) und der kulturellen Verfall mit seinen Indizien wie z. B. Kabelfernsehen (S. 98), außerdem weltweite politischen Spannungen, wie in Polen und Nicaragua (S. 245) etc.

In der Forschungsliteratur gibt es sogar Stimmen, die mit M. Gruettner behaupten, der „Große Knall" diene in der Rättin nur dazu, diese gegenwärtigen Umstände, deren letzte Konsequenzen die Selbstvernichtung der Menschheit im Atomkrieg sein könnte, ins Kreuzfeuer der Kritik zu rücken. 34

In der Transformation werden zwar viele dieser Themen zumindest angerissen, doch zum einen teils nur sehr indirekt, z. B. in den Spruchbändern von Demonstranten, die zweimal kurz die Kulisse beherrschen, zum anderen weist der Film in dieser Hinsicht auch viele Ellipsen auf, die vielleicht für sich genommen keine einschneidende Bedeutung für den Kontext haben, kommt ja die Gesamtheit all dieser Probleme in ihrer Vielzahl auch zum Ausdruck, wenn eine Raffung vorliegt. Dennoch kann man aus eben dieser Raffung schließen, daßdas Transform gerade diesen, zur Zeit der Entstehung und des Erscheinens der Rättin brisanten Themen, weitaus mehr Bedeutung zumißt als die Verfilmung. Erneut kristallisiert sich also eine starke thematische Konzentration auf den globalen Atomkrieg als für die Verfilmung bezeichnend heraus.

Ebenfalls gerafft ist die Schilderung von Anna Koiljaiczeks Geburtstagsfeier. Im Transform besucht Oskar sie noch am Vortag des Festes, alle Gäste, die gesamte Verwandtschaft wird genauestens beschrieben (Die Rättin, S. 288 ff), als wolle der Erzähler - und in diesem Fall auch der Autor - noch einmal literarisch von , teilweise aus der Blechtrommel stammenden Figuren Abschied nehmen. Auch Oskar nimmt in der Vorlage Abschied. Er, der in seiner Post-Futurum-Produktion zu Anna Koljaiczeks Geburtstag zeigt, daßer den globalen Atomkrieg bereits vorausahnt, besucht früh morgens, am Tag des Großen Knalls, noch einmal die Stätten seiner Kindheit in Danzig. (vgl. Tabelle 1, HS 42).

Diese starke Raffung, welche viele kleine Ellipsen entstehen läßt, hat für den großen Gesamtzusammenhang zwar keine weitere Bedeutung, doch wird somit auch das in alle Ebenen transponierte Abschiednehmen, was schon einleitend als eine Hauptintension der Rättin genannt wurde, gekürzt: Das, was man als persönliches Abschiednehmen des Autors Grass von seinen Romanfiguren und Werken und von seiner Heimat Danzig interpretieren kann, entfällt in der Adaption. So sind überhaupt die vielen Bezüge des Prosatextes auf Grass' eigenen Werke ausgespart (siehe auch 4.1.2.3.3.)

Die stärkste und einschneidendste Raffung betrifft die Zeit nach dem „Großen Knall". Während all das, was nach dem weltweiten Atomkrieg im Transform auf der Ich-Erzähler-Ebene folgt, gänzlich selektiert wird, finden die ausschweifenden Berichte der Rättin über den posthumanen Rattenstaat in der Transformation zumindest eine stark verkürzte und variierte Entsprechung: Markus dreht für Oskar, während dieser in Polen ist, einen computeranimierten Cyber-Space-Film „In Zukunft nur Ratten noch". In einem kurzen Dialog über diese Thematik (vgl. Tabelle 1, HS 52) sowie in einem späteren Telefongespräch (vgl. 4.2.1.2.1.) werden prägnant folgende Aspekte aufgelistet: die durch die Radioaktivität erfolgte Mutation der posthumanen Ratten , die wie in der Vorlage „zinkgrünes Fell" (Die Rättin, S. 201) haben, die genmanipulierte Mischung aus Ratte, Schwein und Mensch und die Wiederholung der Humangeschichte im Rattenstaat: die Zivilisation der Ratten, die Herausbildung eines Sozialverhaltens, von Vernunft, Tugend und Toleranz, die Diskriminierung von Minderheiten, Bildung und Wissen als Machtfaktor und - als letzte humane Adaption - der Krieg. Zwar existiert auch in der Buchvorlage ein ähnlicher Film mit dem Titel „Davor und danach" - von Computeranimation und Cyberspace, einer typischen Erscheinung der 90er Jahre, ist hier allerdings nicht die Rede. Hauptsächlich wird die posthumane Geschichte im Tranform über die ausführlichen Erzählungen der Rättin vermittelt, die in der filmischen Adaption entfallen. Auch diese Raffung läßt sich so verstehen, daßfür die Buchhorn-Verfilmung in erster Linie der globale Atomkrieg selbst, wie auch die dazu führenden Entwicklungen, nicht aber die Zeit danach von Interesse sind.

4.1.2.3.3. Die Selektion von Handlungssegmenten

Wie bei den Raffungen bezieht sich ein Großteil der Ellipsen auf für den weiteren Handlungsverlauf eher irrelevante Handlungssegmente. Die Ellipsen , welche im Kontext einer Raffung der Thematisierung aller Mißstände der ausgehenden Humanzeit gesehen werden müssen (vgl. Tabelle 1, HS 18, wurden schon im vorhergehenden Kapitel erwähnt.

Was in der im Film stark gerafften posthumanen Zeit ausgespart bleibt, sind unter anderem die ausführlichen Schilderungen der sich bei den Ratten herausbildenden Religiosität und der daraus resultierende Glaubensstreit, sowie die mit zwei Lautverschiebungen einhergehende Entwicklung ihrer Sprache - Spielarten einer sich wiederholenden Humangeschichte. Im Zusammenhang mit der Religiosität ist im Transform vor allem die Anbetung der mumifizierten Anna Koljaiczek, als letzter auf der Erde verbliebener Mensch, mit dem durch Entsaftung noch mehr geschrumpften Oskar (Die Rättin, S. 320 ff) zu sehen. Diese offensichtliche Madonnen-Persiflage zeigt, daßdie posthumanen Ratten die Gewohnheiten der Menschen eher parodieren als ernsthaft nachahmen - und der Zweck einer Parodie ist bekanntlich Kritik. Hier soll siel dem Rezipienten vermutlich die Problematik der kritisierten Punkte, in diesem Falle die sprichwörtliche „Scheinheiligkeit" ganzer Völker vor Augen führen. Dieser formale Aspekt fehlt in der Transformation. An dieser Stelle mußauch auf die Parodie des Bundeskanzlers Helmut Kohl verwiesen werden - einmal in der Märchenepisode, zum anderen in einem Traum des Ich-Erzählers (vgl. Tabelle 1, HS 36): Als undisziplinierte, bestechliche Figur, die heimlich Buttercremetorte in sich hineinstopft, kann dieser Kanzler schwerlich ernst genommen werden. Diese offensichtliche, persönliche Kritik des Transforms ist genauso mutig wie die ironische Bemerkung über Papst Johannes Paul II:

Besonders dort, wo sie arm waren, legten die Menschen wert darauf, immer mehr zu werden, als wollten sie Armut durch Kindersegen aufheben; ihr letzter Papst war ein reisender Fürsprecher dieser Methode. So wurde der Hungertod gottgefällig und schrieb sich nicht nur statistisch fort. (Die Rättin, S. 268)

Die Transformation spart solch eindeutige Kritik an bestimmten Personen aus - zum einen wohl, weil zur Zeit der Ausstrahlung des Fernsehspiels das Ende der Ära Kohl schon abzusehen ist, und die Buchhorn-Verfilmung die Handlung der Rättin, wie schon einmal vermutet wurde (vgl. S. 33), bewußt in die 90er Jahre transferiert, zum anderen, weil solch punktuelle Kritik an bestimmten Personen, zumal für ein staatlich gefördertes Fernsehspiel, das in einem öffentlich-rechtlichen Sender ausgestrahlt wird, ein sehr gewagtes Unterfangen ist. Ebenfalls im Kontext dieser absud-ironischen Darstellungsweise mußder Bericht der Rättin über staatlich finanzierte Schlußfeiern in der ausgehenden Humanzeit gesehen werden, ferner die - basierend auf der realen Perversion der als große Erfindung gefeierten Neutronenbombe - konsequent weitergedachte Idee einer Einrichtung von Schonzonen (vgl. 4.1.2.3.2.) und als Quintessenz der Vorschlag des Ich-Erzählers, die Chemiekonzerne seien aufgefordert, einen ablösbaren Schutzstoff für die erhaltenswerte Bausubstanz zu entwickeln (vgl. Tabelle 1, HS 37). Die Forderung, daßden Ratten für ihre besonderen Verdienste, vor allem als Versuchstiere in der Humanmediziner, eigentlich der Nobelpreis verliehen werden müßte (vgl. Tabelle 1, HS 32) und die damit verbundene Thematisierung des ethischen Problems der Tierversuche läßt sich ebenfalls in die Reihe dieser ironisch geschilderten Passagen einordnen. All dies sind Beispiele für den typisch sarkastischen Witz des Prosatextes, welcher in der filmischen Adaption nicht anklingt.

Im Kontext der Ellipsen müssen auch die drei Varianten gesehen werden, welche die Rättin für die Auslösung des „Großen Knalls" anführt: Einmal sagt sie, Mäuse, die eigentlich dafür gezüchtet worden seien, die Computersysteme mit den paradoxen Namen „Völkerfriede" und „Friedenmachen" - ein Seitenhieb auf die Verlogenheit der als Abschreckung getarnten Aufrüstungspolitik - in den feindlichen Kernkraftwerken lahmzulegen, hätten versehentlich den Großen Knall ausgelöst (S. 139f). Später beschuldigt sie den Ich-Erzähler in seiner Raumkapsel, durch eine Verkettung von Ereignissen, die letztlich auf sein mangelndes technisches Verständnis zurückzuführen sind, den weltweiten Atomkrieg verursacht zu haben:

Über Videotransfer hätte ich Bildmaterial aus Science-Fiction- Filmen, und zwar Sequenzen aus Endzeitschnulzen, in den realen Output gegeben, dabei das Störsignal übersehen, so daßmein Katastrophenprogramm - Fremdobjekte im Zielanflug - schließlich dem Erdterminal zuerst der westlichen, dann der östlichen Schutz- macht gespeist habe; die hätten natürlich beide nicht lange gefackelt.

Als dritten möglichen Übeltäter nennt sie schließlich die Ratten, die, weil die Menschen ihre Warnungen mißachtet hatten, in die Computerzentralen der Atomkraftwerke eingedrungen seien und die entsprechenden Systeme aktiviert hätten. Egal, welche dieser drei Optionen nun zutrifft, in jedem Fall ist im Transform die Menschheit fataler Weise durch eine Panne ausgelöscht und in einer Ironie des Schicksals buchstäblich mit ihren eigenen Waffen geschlagen worden. So ist es nur die Krönung dieses beißenden Zynismus, daßlaut Rättin, die Staatsoberhäupter beider Schutzmächte, durch ihre Raketenfrüherkennungs-systeme gewarnt, aufgrund dieser Panne zum ersten Mal miteinander telefonieren, ins Plaudern geraten und einander sogar sympathisch finden (S. 131 ff). Letztendlich wünschen sie sich gegenseitig, daß„Gott oder sonstwer" (S. 133) ihr Land schütze. Sie selbst können das Unheil nicht mehr aufhalten.

In der Buchhorn-Adaption wird gar nicht thematisiert, wer den „Großen Knall" - und ob versehentlich oder bewußt - ausgelöst hat. Bruno erwähnt zwar im Zusammenhang mit der Rattenplage, daßdie Ratten „bereits die Computerzentralen und die Kernkraftwerke besetzt hätten", doch gibt es keinen Hinweis darauf, daßdiese dann auch die entsprechenden Systeme aktiviert und den Atomkrieg ausgelöst hätten. Die der Vorlage innewohnende Ironie mit ihrer Kritik an der Fehlbarkeit hochmoderner Technik kommt in der Verfilmung also nicht zum Tragen.

Da die Adaption mit dem „Großen Knall" endet, entfällt, wie schon angesprochen, alles, was im Transform danach auf der Ich-Erzähler-Ebene passiert. Allein die Tatsache, daßes dieses Danach noch gibt, läßt, wie schon unter 4.1.1.1. festgestellt, darauf schließen, daßder globale Atomkrieg entweder nicht real stattgefunden hat, oder daßdie utopische Befürchtung des Ich-Erzählers zutrifft, er bzw. der Mensch an sich würde nur noch in den Träumen - der Rättin oder Gott oder eines anderen höheren Wesens existieren (Die Rättin, S. 352).

Im Transform geht das Leben also weiter: Oskar kehrt aus Polen zurück und mußseines Prostata-Leidens wegen ins Krankenhaus (Die Rättin, S. 360 f). Danach feiert er, wie angekündigt, seinen 60. Geburtstag (Die Rättin, S. 471 f). Auch Damroka ist anwesend. Also weder in Vineta geblieben, noch dem „Großen Knall" zum Opfer gefallen. All diese Schilderungen wirken, als müsse sich der Ich-Erzähler immer wieder selbst bestätigen, daßer noch lebe, und auch dem Rezipienten scheint dies immer glaubwürdiger. Die Äußerung des Ich-Erzählers:

Natürlich sage ich unserem Herrn Matzerath nicht, daßes ihn nicht mehr gibt...Alle Ärzte sagen: Keine Aufregungen" (S. 362)

legt in diesem Kontext eher die Vermutung nahe, der Ich-Erzähler sei über seine Alpträume und der allzu intensiven Beschäftigung mit der Problematik eines globalen Atomkriegs und eines posthumanen Rattenvolkes verrückt geworden, als daßman seine utopische Erklärung, die Menschheit würde nur noch geträumt werden, für bare Münze nimmt.

Eine zunächst scheinbar unwesentliche Aussparung bezieht sich auf die DDR-Grenzpolizei, welche die „Neue Ilsebill" auf der Fahrt stoppt und kontrolliert (vg. Tabelle 1, HS 40). Nicht nur dieses Segment, sondern die gesamte DDR-Problematik, die im Transform immer wieder angesprochen wird, ist in der Verfilmung ausgeklammert. Sie hat sich nämlich bereits per Wiedervereinigung gelöst: Nicht nur die Technik der 90er Jahre, wie Computeranimation und Cyberspace, auch die Bemerkung Damrokas in ihrem Interview über die Forschungsreise, das Schiff sei in der ehemaligen DDR gekauft worden, weisen darauf hin, daßdie Buchhorn-Verfilmung die Handlung der Rättin ein Jahrzehnt später, also zum Zeitpunkt ihrer Erstausstrahlung, in der unmittelbaren Gegenwart, ansiedelt. Alles, was im Transform eindeutig auf die achtziger Jahre verweist, wird nämlich selektiert. Der Grund für diese Modifikation mag wohl wieder eine dramaturgische Überlegung gewesen sein. Soll sich der Zuschauer mit der Handlung identifizieren und den Atomkrieg als immer noch vorstellbare, wenn auch seit Ende des Kalten Kriegs etwas in den Hintergrund gerückte Option sehen, und soll zugleich auch eine Warnung ausgesprochen werden, ist die Verlegung der Handlung in die unmittelbare Gegenwart des Rezipienten effektvoller.

Eine weitere Ellipse betrifft die Einstellung der Rättin zum Untergang der Menschheit. Während in den Film nur ihr schadenfroher, von zynischem Gelächter durchsetzte Ton übertragen wurde („Lauthals lachen die Ratten uns aus", S. 485), gibt es in der Vorlage durchaus auch Passagen, in denen die Rättin beteuert, daßden Ratten der Mensch sehr fehle, und wie dankbar sie seien, wenigstens den Ich-Erzähler in seiner Raumkapsel, und zunächst noch Anna Koljaiczek, als letzte Überlebende auf der Erde, in ihrer Mitte zu haben (S. 156, S. 276). Das Fernsehspiel gestaltet also die Ratten als eindeutige Gegenspieler der Menschen und reduziert hier die Vielschichtigkeit der Vorlage auf deren Hauptkonsens..

Ebenfalls ausselektiert werden sämtliche Berichte der Rättin über die Historie der Ratten: ihre Behauptung, sie hätten das Aussterben der Dinosaurier verursacht, was sie einmal mehr als besonders schlaue, von den Menschen zu unrecht unterschätzte und verstoßene Tiere zeigt, und die Arche-Noah-Episode (vgl. Tabelle 1, HS 55), welche zeigen soll, daßdie Ratten von Anfang an, ohne daßes einen ersichtlichen Grund dafür gegeben hätte, ausgegrenzt worden sind. Schließlich hat Noah ihnen als einzige Gattung den Zutritt zur Arche verweigert. Eine Parabel, die sich leicht auf alle anderen, ebenso jeder Grundlage entbehrenden, Ausgrenzung von Minderheiten übertragen läßt. Auf der anderen Seite verdeutlicht diese Episode einmal mehr die Zähheit der Ratten: Der „Große Knall" ist schließlich nicht die erste Katastrophe, die sie überlebt haben. Mit der Sintflut wird sozusagen spiegelbildlich zum „Großen Knall" auch an den Beginn der Humangeschichte eine Katastrophe gestellt und dem Rezipienten somit, wie M. Gruettner sagt, verdeutlicht, was im Text ohnehin immer wieder zum Ausdruck gebracht wird, daß„zwischen katastrophalem Anfang und katastrophalem Ende auch nichts Gutes sei" 35.

Wie schon unter 4.1.3.2. angesprochen, sind die vielen intertextuellen Bezüge der Rättin auf Grass eigene Werke in der Verfilmung nur selektiv umgesetzt. All diese Ellipsen zu nennen, würde den hier gesetzten Rahmen sprengen.

Die Querverweise auf andere Werke Grass' beschränken sich in der Verfilmung im wesentlichen auf die Blechtrommel, vor allem die Figuren Oskar, Bruno und Anna Koljaiczek und den Buht. Ín der Tat sind das auch die wichtigsten Bezüge der Vorlage. Der Buht wird sowohl in der Vorlage (Die Rättin, S. 148) als auch in der Transformation als „Täuscher" entlarvt und dadurch mit Adenauer, Ulbricht und Malskat, die Oskar als „Fälschertriumvirat" der fünfziger Jahre bezeichnet (Die Rättin, S. 375) auf eine Ebene gestellt. eine große Ellipse, auf die ich später noch eingehen werde, auf eine Ebene gestellt

Gleichfalls nicht in die Verfilmung aufgenommen sind unter anderem die vielen Verweise auf Hochwasser (vgl. Tabelle 1, HS 30), Katz und Maus - Hänsel und Gretel in dem ebenfalls ausgesparten Drehbuch Grimms Wälder sollen an Tulla Pokriefke und Störtebecker erinnern (Die Rättin, S. 90) sowie die von Gruettner36 als besonders wichtig herausgearbeiteten Bezüge zu den Werken Kopfgeburten, Die Plebejer proben den Aufstand und der Gedichtzyklus Zorn Ärger Wut:

Von diesen Texten hängen wiederum einige so eng an der Rättin... daßsie fast keine Eigenständigkeit mehr zu besitzen scheinen"37

Die zwei größten Ellipsen stellen die schon in der Einleitung erwähnten zwei Handlungsstränge, die Märchenepisode (vgl. Tabelle 1, HS 9) und die Handlung um den Malerrestaurator Malskat (vgl. Tabelle 1, HS 5) dar, welche im engen Kontext mit Oskars Interesse für die „falschen Fuffziger" (Die Rättin, S. 375) steht, das der Film ebenfalls nicht adaptiert.

Die Märchenhandlung bezieht sich auf ein von Markus konzipiertes Drehbuch zu einem Stummfilm über das Waldsterben. Die handelnden Personen sind aus allen erdenklichen Volksmärchen übernommen, vor allem aus den Grimmschen Kinder- und Hausmärchen. Zunächst bedeutet diese Ellipse, daßder formale Aspekt des Märchens nicht umgesetzt worden ist.

Doch warum zieht Grass überhaupt die Märchen heran? Wie Manfred Durzak sagt, wäre „die Position einer retrospektiven abstrakten Besserwisserei" zur Erklärung solch irrationaler und unmenschlicher Vorgänge wie Grass sie hier beschreibt, unangemessen38. So wird z. B. auf die Möglichkeit der Verwendung alternativer Energiequellen nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern ganz humorvoll hingewiesen: Als die Märchengestalten beschließen nach Bonn zu fahren, ist kein Benzin für den alten Ford vorhanden. Die Hexe mußihre Röcke hochhalten und „pißt" in den Trichter. (Die Rättin, S. 176)

In der Märchenhandlung werden die zeitkritischen Aspekte nicht nur gespiegelt, sondern erst richtig verdeutlicht. Schon der erste Bezug auf ein Märchen bringt das Waldsterben in Bezug zu den hier auftretenden Märchenfiguren. Die Märchenhandlung spielt sich hauptsächlich im sterbenden Wald ab. Selbst diese phantastische Märchenwelt bleibt nicht unbeschadet von den schädlichen Einflüssen der hochindustriellen Welt (Die Rättin, S. 116).

Besonders wichtig für die Märchenhandlung sind Hänsel und Gretel: Sie sind wie auch die anderen Geschwisterpaare der Märchenepisode, also Brüderchen und Schwesterchen und Jorinde und Joringel, als Repräsentanten der Kindergeneration zu sehen, denen die Erwachsenen nur buchstäblich Müll und viele andere Probleme hinterlassen haben, was der Grund für ihre Rebellion ist.39 Kinder und Jugend bleiben in der Buchhorn-Transformation ausgespart. Außerdem erkennt man am Beispiel von Hänsel und Gretel ganz besonders deutlich, wie die Märchenepisode mit den anderen Erzählsträngen korrespondiert: Bei einer Waldbesichtigung des Kanzlers wird das Märchen gleich dreimal rezipiert: ein Männerchor singt das Lied Hänsel und Gretel, neben anderen Märchendarstellern sind Hänsel und Gretel anwesend, und die ebenfalls anwesenden Kinder des Kanzlers heißen Hans und Margarethe (Die Rättin, S. 54). Hans und Margarethe steigen aus und laufen vor laufender Fernsehkamera „der Grimmschen Märchenfassung spottend, als Hänsel und Gretel" in den toten Wald (Die Rättin, S. 54). Dann werden sie auch noch in den Hamelner Rattenfänger-Sagenkreis transformiert. Sie wollen sich nicht an das Drehbuch des Erzählers halten und laufen zu den „Punks" über. 130 Punks, das entspricht den 130 der Sage zufolge aus Hameln entführten Kinder leben zeitweilig in Berlin-Kreuzberg in einem besetzten Haus (Die Rättin, S. 56). Bei einer Zwangsräumung wollen sie sich nach Hameln „verzischen" (Die Rättin, S. 80f). Am Beispiel von Hänsel und Gretel erkennt man ganz besonders deutlich, wie die Märchenepisode in der Rättin mit den anderen Erzählsträngen korrespondiert.

Ein weiteres Beispiel für die Verstrickung der Märchenhandlung mit dem restlichen Text sind die von der Großmutter vorgetragenen Eintragungen aus dem Grimmschen Wörterbuch. Sie wirken nicht nur wie Schlagwörter für den jeweiligen Abschnitt der Märchenhandlung, sondern verweisen darüber hinaus auf andere Erzählstränge. „Abschied" (Die Rättin, S. 231) ist eines dieser Wörter - wie schon herausgearbeitet ein Hauptthema der Rättin. Später liest sie „Hexe, hexen" (Die Rättin, S. 337). Mit diesen Worten beginnt auch ein Gedicht über die Genmanipulation (Die Rättin, S. 337). Und noch als die großen Räumdrachen im Anmarsch sind, um das Märchenreich zu vernichten, rezitiert die Großmutter: „Gnade, gnädig, gnädiglich, gnadenlos" (Die Rättin, S. 420), doch der Untergang ist vorprogrammiert, es gibt keine Gnade, weder in der Märchenhandlung, noch auf der Realität der Ich-Erzähler-Ebene. In der Figur des „Mädchens ohne Hände" spiegelt sich die gesamte Katastrophenstruktur Der Rättin als solches: Dem Mädchen werden in einem von der bösen Stiefmutter manipulierten Film vom Vater immer wieder die Hände abgehackt und immer wieder wachsen sie an. „Kurzes Glück und Schrecken ohne Hände" heißt es. (Die Rättin, S. 388).

Solche Verweise bestehen aber auch in die andere Richtung. So sagt Oskar auf den Weg nach Polen:

Übrigens spielte in meiner Jugend eine im Stadtmuseum zur schaugestellte Gallionsfigur eine mysteriöse, von mehreren Unfällen begleitete Rolle. Hölzern und bemalt wuchs aus schuppigen Fischschwanz ein vollbrüstiges Weib,...deren eingesetzte Bernsteinaugen von todbringender Wirkung gewesen sein sollen (Die Rättin, S. 196)

Diese Gallionsfigur weist unverkennbare Ähnlichkeit mit der Hexe in der Märchenhandlung auf: Auch sie ist vollbrüstig und hat bernsteinfarbene Augen (vgl. Die Rättin, S. 124)

Auch sozioökonomische Aspekte werden angeschnitten: In einem Gedicht heißt es: „Das Genossenschaftswesen der Zwege/ Die Hexe und ihr soziales Umfeld/ Hänsel und Gretel im Spätkapitalismus oder / was alles zum Drosselbartkonzern gehört" (S. 172).

Es läßt sich also feststellen, daßdie Märchenhandlung der Buchvorlage Kritik übt, indem sie in ihrer Opposition zur realen Welt gebrochen darstellt wird. Normalerweise spiegelt das Märchen eine heile Welt vor. Hier ist diese selbst im Märchen bedroht. So wird entlarvt, wie in der Realität der Gegenwart nur allzu oft eine solch heile, real nicht existierende Welt vorgespielt wird, während unzählige ökologische, politische, ökonomische und soziale Indikatoren das Ende der Welt immer vorstellbarer machen. Dieses Transponieren der dargestellten Problematik in die Märchenwelt mit all ihrer entlarvenden Funktion weist die Transformation der Buchhorn-Verfilmung nicht auf.

Ebenso wichtig ist aber eine andere in der Transformation ausgesparte Funktion der Märchenhandlung: Die sterbenden Märchenfiguren stehen exemplarisch für den „Tod der Literatur". Grass selbst sagt bereits 1982:

Mit dem drohenden Verlust der Zukunft für die Menschheit ist auch die bisher gewisse `Unsterblichkeit' der Literatur zum nur noch irrealen Anspruch verkommen"40

Dieser Tod der Literatur wird in der Buchhorn-Verfilmung nicht umgesetzt. Die andere große Ellipse betrifft den Handlungsstrang um Malskat (vgl. Tabelle 1, HS 5). Auch die Malskat-Geschichte ist, wie bereits erwähnt, Stoff für ein Drehbuch, das Oskar wegen seines großen Interesses an dieser „Zeit der Persilscheine" (S. 378) der Verfilmung von „Grimms Wälder" vorzieht. (S. 456). Mit dem Titel „Fälscher am Werk" oder „Falsche Fuffziger" will er die Wahrheit über die Zeit der Wirtschaftswunder anhand seiner Idee eines „Fälschertriumvirats Adenauer, Ulbricht, Malskat" entlarven. (Die Rättin, S. 455). Oskar ist davon überzeugt, „daßman den Schlüssel für unsere Zukunft unter den Ablagerungen der fünfziger Jahre suchen müsse" (S. 476) . Hier liegt die Bedeutung der Malskat-Episode für die Rättin, denn mit dieser Meinung steht Oskar nicht allein da. Wie viele Geschichts- und Sozialwissenschaftler aufgezeigt haben, liegt in den ökologischen Folgen des vermeintlichen Wirtschaftswachstums, dem opportunistischen Umgang mit der deutschen Schuld sowie dem frühen Beginn der Remilitarisierung beider Teile Deutschlands der Keim der Problematik der achtziger Jahre.41 Dabei ist der Maler Malskat, der die gotischen Fresken in der Lübecker Marienkirche gegen „geringen Stundenlohn" (Die Rättin, S. 457) fälschte und schließlich gegen sich selbst Anzeige erstattete, nach Ansicht des Ich-Erzählers nur ein Symptom dieser „Zeit des „Schummels"...den wir abgekürzt BRD-DDR nennen" (Die Rättin, S. 428 ), deren wahre Fälscher sich aber in den obersten Rängen der Politik befänden und nicht zur Verantwortung gezogen würden:

Ach hätte man seine Bilder, zumal er die Wahrheit ans Licht brachte, doch stehen lassen und den wahren Schwindel, der nie eingestanden wurde, die Machwerke der Staatsgründer außer Kraft gesetzt. Er, der sein Eingeständnis vor die Richter warf, kam hinter Gitter, die beiden Großfälscher hingegen konnten ungeschoren ihr böses Spiel, Staat gegen Staat, spielen...und schon bald...in Divisionen Soldaten, schon wieder deutsche Soldaten, gegeneinander ins Schußfeld rücken (Die Rättin, S. 429)

Sie reden von Schuld wie man von Schulden und Tilgungsraten redet...Soeben noch um Nachsicht bettelnde Besiegte haben sich ihrer jeweiligen Siegermacht eingenistet (Die Rättin, S. 458)

Zur Darstellung dieser Problematik bedient sich die Malskat-Episode zwei auffälliger stilistischer Kunstgriffe: Einmal wird die Metapher „Wunder" auf allen Ebenen durchdekliniert42: Als „das Wunder von Lübeck" (S. 458) werden die gefälschten, scheinbar makellos erhaltenen gotischen Fresken bezeichnet, und ähnlich wird auch das Wirtschaftwunder ironisch enttarnt: „Der eingeborene Fleiß" der Deutschen hätte „den Krieg wunderbarer Weise" überstanden (Die Rättin, S. 207). Das „Wunder" ist einzig darin begründet, daßwie Christa Hoffmann aufzeigt, mit Beginn des kalten Krieges die Alliierten ein besonderes Interesse an einer raschen Stabilisierung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände in Deutschland gehabt hätten."43

Die zweite große Metapher der Malskat-Episode ist die der „Restauration". „Restauration" kann gleichsam als Leitbegriff für die Entwicklung in der BRD der fünfziger Jahre gesehen werden. Wie Manfred Oversch44 darlegt, wurden in dieser Zeit „geschichtlich überholte Strukturen wiederhergestellt und notwendige Reformen verhindert" - aus oben genannten Gründen. Das bestätigt auch der Ich-Erzähler in der Rättin: denn zu Recht sieht unser Herr Matzerath das Triumvirat Adenauer, Malskat, Ulbricht" selbdritt tätig. Noch vor Beginn jener Jahre, die er die „falschen Fuffziger" nennt, hätten sie begonnen, aus bröckelndem Nichts das Alte neu zu erschaffen" (Die Rättin, S. 375)

Diese Erörterung der Situation der achtziger Jahre, insbesondere des Kalten Krieges, von ihren Wurzeln in den fünfziger Jahren aus, wie es in der Malskat-Episode der Buchvorlage geschieht, behandelt die Buchhorn-Verfilmung nicht. Das mag damit zusammenhängen, daßsie aus dem Kontext des kalten Krieges in die 90er Jahre gerückt ist, wie schon vorher festgestellt wurde.

Wie die Märchenepisode beinhaltet auch die Malskat-Handlung Querverweise zum restlichen Text. So sind z. B. die bereits abgehandelten Überlegungen des Ich-Erzählers, die Menschen würden vielleicht nur geträumt (Die Rättin, S. 352) auch im Kontext von Trug und Fälschung zu sehen. Eine letzte Ellipse betrifft eine Vielzahl der Gedichte des Transfers , welche das Werk zum einen formal bereichern zum anderen eine Art Schanierfunktion zwischen den einzelnen Handlungssträngen haben. Die sich aus der Auswahl lyrischer Passagen für die Transformation ergebenden Konsequenzen werden später gesondert abgehandelt (vgl. 4.2.3.).

Durch das Aussparen dieser zwei großen Handlungsstränge in der Transformation sowie einer Vielzahl von Gedichten wird das sehr kunstvolle und komplexe Geflecht der Buchvorlage etwas entworren und vereinfacht.

4.1.3. Die erzählten Räume

Mit dem Paradigma der Figuren gehören die Räume zu den am klarsten definierten Erzähleinheiten einer Narration. Sowohl ihre Bezeichnung als auch Charakterisierung können als narrative und somit im Falle einer vergleichenden Analyse als direkt kompatible Elemente gesehen werden, auch wenn sie in enger Dependenz zu ihrem jeweiligen Medium gestaltet sind: Eine literarische Bezeichnung erfolgt meist dadurch, daßRäume wie auch Figuren einen Namen erhalten, während sie im Film in erster Linie durch Zeigen bezeichnet werden. Anweisungen, wie ein Raum oder eine Figur optisch zu denken sind, werden im literarischen Text immer durch eine Beschreibung gegeben, was mitunter durch ein einziges Adjektiv geschehen kann. Der Film ist durch seine optische Darstellungsweise hingegen per se immer etwas differenzierter bzw. expliziter.45 Die Ausgestaltung des Handlungsraums auf der Oberflächenstruktur erfolgt dabei durch das Szenenbild (siehe 4.2.1.1.2.).

Tabelle 2 gibt Aufschlußüber die Transformation der Räume in der Buchhorn-Verfilmung.

Tabelle 2: Schematische Übersicht zu den erzählten Räumen im Vergleich46

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie wir Tabelle 2 entnehmen können, entfallen vier der Hauptschauplätze des literarischen Transforms: Zum einen ist das Danzig, das sowohl in der posthumanen Welt der Rättin beschrieben wird (Die Rättin, S164 f ), als auch bei Oskars Besuch in Polen (vgl. Tabelle 1, HS 42) . Weiter fehlen die zwei Schauplätze der ausgesparten Malskat- und Märchenepisode, die Lübecker Marienkirche und der Märchenwald, sowie die Raumkapsel des Ich-Erzählers. Der Grund für die Ellipse der letzten drei genannten Orte wurde schon unter 4.1.1. mit den damit verbundenen Änderungen auf der Handlungsebene näher betrachtet.

Interessant ist, daßauch Danzig, die Heimatstadt des Autors und ein Schauplatz in alter Grass-Tradition, ausgespart bleibt. Im Transform gehört diese Stadt zu den auserwählten Orten, die als „Schonzonen" ausgewiesen werden, d. h. im Falle eines Atomkriegs nur mit den bausubstanzerhaltenden Neutronenbomben attackiert werden dürfen (vgl. Tabelle 1, HS 28). Zum einen hängt diese Ellipse natürlich mit der starken Raffung der posthumanen Geschichte in der filmischen Adaption zusammen, zum anderen geht sie mit der Verallgemeinerungstendenz des Films konform. Jeder Rezipient soll sich mit dem Geschehen, vor allem mit dem Ich-Erzähler, identifizieren. So ist die Handlung nicht nur aus dem Zusammenhang der achtziger Jahre und des kalten Kriegs entrissen, sondern läßt zudem allzu ausführliche Details, die die Welt und die Vergangenheit des Ich-Erzählers betreffen, außer acht.

Eine Leerstelle der Buchvorlage füllt die Verfilmung bei der Ausgestaltung der Wohnung des Ich-Erzählers. Während das Transform weder Angaben zu seinem Wohnort, noch zur Wohnung selbst macht, wird der Film hier konkret: Markus Wohnung ist direkt an der Ostseeküste. Es wird zwar kein konkreter Ort genannt. doch sieht man einmal ein Straßenschild „Söderbey 3 km". Demzufolge ist Markus Haus irgendwo an der Lübecker Bucht gelegen. Es ist so nah am Ufer, daßman vom Fenster aus vorbeifahrende Schiffe sehen kann. Zwei Gründe mögen für die Wahl dieses Schauplatzes gesprochen haben: einmal die Tatsache, daßim Handlungsstrang die „Neue Ilsebill" die Lübecker Bucht als Heimathafen des Schiffes genannt wird, zum zweiten auch, daßLübeck, genauer die Lübecker Marienkirche, Schauplatz eines anderen Handlungsstranges des Transforms, der Malskat-Episode, ist.

Alle anderen Räume sind, wenn auch nicht akribisch nach den Angaben der Vorlage, so doch adäquat und sinnvoll umgesetzt. Die genauere Ausgestaltung durch Requisite und Licht wird unter 4.2.1.1.2. noch näher besprochen.

4.1.4. Die Figuren und die Figurenkonstellationen

Was für das Paradigma Raum festgestellt worden ist, gilt in gleicher Weise für das Paradigma Figur: Während der Rezipient beim Buch ein Bild zu ergänzen hat, hat er beim Film den Begriff zu substituieren. Somit sind die Informationen die der Rezipient über die Optik einer Figur erhält, im Film meist ausführlicher und expliziter als in der literarischen Vorlage. Auch dann, wenn der Text bewußt Leerstellen bezüglich bestimmter visueller Merkmale einer Figur läßt, ist die filmische Transformation in der Regel gezwungen, diese Leerstellen zu füllen und optisch umzusetzen. Die Ausgestaltung des Paradigmas Figur in der Oberflächenstruktur der filmischen Adaption geschieht durch die Wahl und Präsentation des Darstellers, also durch Casting, Kostüm und Maske (vgl. 4.2.1.1.1.) Die Figur als Handlungsträger steht wie Zeit und Raum ebenfalls im engen Bezug zum Paradigma des erzählten Geschehens. Auch dieser Funktionszusammenhang zwischen Handlungsträger und Handlung ist allgemein narrativ. Nach Michaela Mundt47 sind im Rahmen einer Transformationsanalyse dabei vor allem drei Aspekte von Bedeutung: die Frage nach dem Handlungssubjekt und seinem Handlungsziel, die Frage nach den Konsequenzen einer Aktion als Interaktion und die Frage nach der Beziehung der Aktantenkonstellation zum handlungslogischen Gerüst der Geschichte.

Im Hinblick auf die Interaktionslogik spricht Mundt von vier Grundtypen: „Subjekt wegen Objekt (Ziel)"48, „Subjekt (Helfer) für Objekt (Nutznießer)"49, „Subjekt durch Subjekt (Helfer)"50 und „Subjekt (Opponent) gegen Objekt (Leidtragender)"51. Im Rahmen einer Interpretation stellt sich vor allem die Frage, inwieweit diese Aktantenfunktionen und Interaktionskonstellationen die Kausalzusammenhänge der Geschichte unterstützen. Nach Mundt kann der personal-kausale Begründungszusammenhang dann als analog transformiert gelten, wenn die Aktantenfunktionen, die den Invarianten der Handlunglogik zugeordnet sind, in der Adaption mit den entsprechenden Figuren der Textvorlage besetzt sind und diese Figuren in entsprechenden Zuordnungsrelationen stehen. Das grundlegende Konfliktpotential einer Geschichte rekonstruiert sich nach dem Kriterium der Interaktionslogik vor allem anhand der gegeneinander gerichteten Aktionen zweier oder mehrerer Hauptfiguren, deren Motivation logisch gesehen Oppositionen im Hinblick auf das Handlungsziel sind.52 Die Abweichungen der Transformation bezüglich der Aktantenfunktionen wurden hier schon unter 4.1.1. bei den Veränderungen im Zusammenhang des erzählten Geschehens abgehandelt. Hier soll aber noch einmal die wichtigste Veränderung der Buchhorn-Verfilmung auf der Figurenebene (siehe auch 4.1.4.2.) besprochen werden: die Hinzufügung der Figur Katja, der jungen Geliebten des Ich-Erzählers Markus.

In der Buchvorlage begibt sich Damroka, die Frau des Ich-Erzählers, auf eine Forschungsreise. Der Ich-Erzähler vermißt sie und sorgt sich um sie (Die Rättin, S. 93 ff). Die Forschungsreise ist Anstoßfür seinen Film über die „Neue Ilsebill" und die damit verbundenen Träume (Die Rättin, S. 382f ). Die ursprüngliche Konstellation der beiden Figuren ist also Markus (Subjekt) wegen Objekt (Damroka). Sie verändert sich im Laufe der Textvorlage nicht wesentlich. In der filmischen Adaption tritt nun Katja zu diesem Figurenpaar hinzu: Markus betrügt und belügt wegen Katja seine Frau. Diese verbündet sich mit ihr, nimmt sie mit auf ihre Forschungsreise, vermutlich um sich so an Markus zu rächen. Damroka ist gegen Katja jedenfalls nicht negativ eingestellt. Sie nimmt sie sogar tröstend in den Arm und versucht sie zu beruhigen, als sie fassungslos berichtet, unter Deck die genmanipulierten Schweineratten entdeckt zu haben, und als sich die Frauen für Vineta zurecht machen, legt Damroka Katja eine Perlenkette um, woraufhin Katja Damrokas Hand nimmt und sie anlächelt. In jedem Fall aber ist Markus, der nun ganz allein ist, der Leidtragende. Diese Dreierbeziehung stellt sich in Hinblick auf die Interaktionslogik folgendermaßen dar: Subjekt (Markus) wegen Objekt (Katja) gegen Objekt (Damroka) und als Folge Subjekt (Damroka) durch Subjekt (Katja) gegen Objekt (Markus). Durch die Figur Katja entsteht also ein interessantes Beziehungsdreieck - nach K. Hickethier eines der häufigsten Aktionsgefüge des Films an sich53. Es gibt der Verfilmung im Sinne eines zusätzlichen Konfliktes eine gesteigerte Dramatik - und zwar in dem Sinn, daßsie den Rezipienten in eine Anspannung setzt und mit der Handlung mitgehen läßt, was wie schon unter 4.4.1. erwähnt, eine Konvention des Fernsehspiels bzw. des filmischen Mediums ist54.

Ebenfalls wichtig für den Begründungszusammenhang Figur und Handlung sind die äußerlichen und charakterlichen Figurenmerkmale. Letztere können sowohl über explizite Hinweise im Text, als auch über die Handlungsziele einer Figur sowie die aktionalen Indizienfunktionen definiert werden, die in Form von sprachlichen Akten Selbst- und Fremdcharakterisierung leisten.

Tabelle 3 gibt Aufschlußüber die wichtigsten Figurenmerkmale des literarischen Textes und der Buchhorn-Adaption im Vergleich.

Tabelle 3: Schematische Übersicht zu den Figuren im Vergleich55

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie aus Tabelle 3 hervorgeht, sind viele der Nebenfiguren des Transforms in der Verfilmung ausgespart bzw. nicht als Individuum relevant. So werden die Geburtstagsgäste der Großmutter nicht wie in der Buchvorlage näher beschrieben und spielen nur in ihrer Funktion als Teil dieser Gesellschaft eine Rolle. In der Buchvorlage wird vor allem betont, daßdie Gäste aus der ganzen Welt angereist sind (Die Rättin, S. 209 f). Unter den Gästen ist auch die „zierliche Chinesin" Frau Bruns aus Honkong (Die Rättin, S. 258). Auch in der Transformation fällt unter den Gästen eine zierliche Asiatin auf, womit das Moment, daßausgerechnet ein kleiner Ort im kaschubischen Hinterland an diesem Tag zum Mittelpunkt der Welt wird, zumindest andeutungsweise umgesetzt ist. Ebenso sticht unter den Gästen der Pfarrer hervor, der im Transform als Hauptorganisator des Festes genannt wird (Die Rättin, S. 28).

Zu den anderen Nebenfiguren, die nicht in die Transformation übernommen wurden, zählen die Gäste von Oskars Geburtstagsfeier, darunter Kurtchen, Oskars Sohn, „ein dicker Flegel" (Die Rättin, S. 472) und Maria, Oskars Frau, die sich wie Oskar mit dem Aufstieg in die höhere Gesellschaftsschicht verändert hat und symptomatisch dafür nun „echte Perlen" statt „Holzperlen" trägt (S. 472). In den Ellipsen von Kurtchen und Maria kann man weitere Beispiele für den weitgehenden Verzicht des Films auf die Transformation des Abschiednehmens" Grass' eigenen literarischen Figuren sehen, welches bereits unter 4.1.2.3.3. geschildert worden ist.

Des weiteren sind die zwei Männer der DDR-Grenzpolizei nicht adaptiert, weil wie ebenfalls unter 4.1.2.3.3. erläutert, die Filmhandlung in der Zeit nach der Maueröffnung angesiedelt ist. Die Punks treten in Beziehung zu Katja, indem sie als ihre Freunde definiert werden, die als „Aussteiger" in Zelten an der Küste hausen. Dies hat zur Folge, daßMarkus, der Ich-Erzähler, in direkterer Beziehung zu diesen Aussteigern steht, hat aber für den Gesamtkontext keine relevante Bedeutung.

Die Vorlage erwähnt zwar einmal kurz die Kinder des Ich-Erzählers (Die Rättin, S. 9). Sie tauchen aber im gesamten Handlungverlauf nicht mehr auf. Aus diesem Grund hat es auch keine weitere Bedeutung für die Interpretation, daßsie in der Buchhorn-Verfilmung gar nicht erst vorkommen.

Die Watsoncricks, eine genmanipulierte Mischung aus Mensch, Ratte und wahrscheinlich auch Schwein (Die Rättin, S. 412) sind im Transform den Schilderungen der Rättin über die posthumane Welt entnommen. Wie schon erwähnt, werden sie im Film nur als Markus Idee für einen Film über die Zeit nach einem möglichen atomaren Weltkrieg erwähnt. In der Vorlage erscheinen sie dem Ich-Erzähler aber zumindest in den Träumen real und werden sowohl bezüglich ihres Äußeren als auch ihres Charakters genauer gezeichnet. Mit ihrer Größe „ etwa eines dreijährigen Knabens" sind sie eine eindeutige Anspielung auf Oskar. Das skandinavische, „arische" Aussehen korrespondiert mit ihrer späteren Unterdrückung und Versklavung durch die Ratten (Die Rättin, S. 434ff). So wiederholt sich mit dem Erscheinen der Watsoncricks die Humangeschichte, was auch bei Buchhorn in dem Dialog zwischen Oskar und Markus zum geplanten Film „In Zukunft nur Ratten noch" zum Ausdruck kommt (siehe auch 4.2.1.2.1.). Die wenigen computeranimierten Bilder bringen dieses Thema jedoch nicht in all seinen drastischen Dimensionen zum Ausdruck, zumal die besonders delikaten Szenen, wie das Mästen der Speiseratten (Die Rättin, S. 482), nicht einmal angeschnitten werden. Die Tatsache, daßdie Watsoncricks, deren Name im Film nicht einmal auftaucht, bedürfte er doch näherer Erläuterung56, in der Transformation Buchhorns nur sehr schemenhaft dargestellt sind, geht mit der schon mehrfach geschilderten Beobachtung konform, daßdie Adaption mehr die zum Atomkrieg führenden Entwicklungen betont als die Zeit danach.

Alle Hauptfiguren des Buches sind mehr oder weniger analog zur Buchvorlage in die Adaption übernommen. Hier und da zeichnen sich jedoch einige Veränderungen ab: Die Rättin selbst ist in der Buchvorlage wechselnd von schadenfroh (S.14 f) über belehrend (S. 178 f) bis mitfühlend (S. 156) charakterisiert. Außerdem widerspricht sie sich bisweilen selbst, z. B. wenn sie hintereinander verschiedene Auslöser des „Großen Knalls" nennt (vgl. Tabelle 1, HS 23, HS 26, HS 35) und zeigt sich als unehrlich: Zunächst behauptet sie auch andere niedrige Tierarten wie Schmeißfliegen, Sperlinge und Tauben hätten den Atomkrieg überlebt (Die Rättin, S. 200). Später dementiert sie diese Aussage wieder (S. 348). Die Rättin des Films hingegen präsentiert sich durchgängig schadenfroh und wird somit eindeutig als Gegenspieler der Menschen gezeigt.

Eine weitere Abänderung ergibt sich bezüglich der fünf Frauen. Die Maschinistin Helga und die Steuermännin Martha der Vorlage verschmelzen im Film zu einer Figur: Vera. Im Transform heißt die Meereskundlerin Vera. Diese gibt es zwar auch im Film, doch d heißt sie Martha. Da die Namen für die Handlung irrelevant sind, haben diese Änderungen auch keine weitere Bedeutung. Von den fünf Frauen der Vorlage spielt lediglich Damroka, die Frau des Ich-Erzählers, als Einzelperson eine Rolle. So hat auch das Zusammenlegen zweier Figuren nur eine Konsequenz: Sie macht einer neuen Platz, Katja.

Der Ich-Erzähler erfährt im Vergleich zum Buch eine differenziertere Charakterisierung. Er ist hier nicht Schriftsteller, sondern Maler und Regisseur. Wie schon unter 3. erwähnt, ist der Ich-Erzähler der Buchvorlage sehr oft mit Günter Grass selbst gleichgesetzt worden, der unter anderem mit diesem Werk Abschied von den von ihm geschaffenen Werken nimmt. Diesen Bezug stellt das Transform nun nicht mehr her. Auch wird nicht ersatzweise das Abscheidenden von den Werken, Filmen oder Bildern, dieser veränderten Figur thematisiert. Zudem erhält der Ich-Erzähler im Film einen Namen: Markus Frank. Letzteres vermutlich aus pragmatischen Gründen: Im Film ist er nicht nur Ich-Erzähler (vgl. 4.2.4.), sondern auch handelnde Figur. Es würde befremdend wirken, ihn in dieser Handlung nie beim Namen zu nennen.

Auffallend ist außerdem eine Änderung in bezug auf Oskar. Im Film ist er - im Gegensatz zum Prosatext - gehbehindert und sitzt im Rollstuhl. Man kann das allerdings als eine Steigerung zu seinem Handikap des Zwergwuchses sehen. Zudem ist die Figur im Film eindeutig real existent, während der Ich-Erzähler der Vorlage sie als Fiktion einführt (Die Rättin, S. 29), aber später wie eine reale Figur seiner Welt behandelt (siehe Tabelle 3). Zwar ist somit nicht eindeutig geklärt, auf welcher Ebene Oskar anzusiedeln ist, doch kann man diesen Kunstgriff so verstehen, daßder Ich-Erzähler dadurch die gesamte Handlung als Fiktion ausweisen möchte, als einen letzten Schreibakt zum Zwecke des Abschiednehmens. Auch das Verhältnis Herr/ Bediensteter zwischen Oskar und Bruno ist in der Transformation weitaus deutlicher gezeichnet als im Buch. Oskar tyrannisiert Bruno richtiggehend (vgl. Tabelle 2), bezeichnet ihn in der Gegenwart von Markus als „Trottel" und zwingt ihn aus Bosheit zu Handlungen, die ihn mit größten Ekel erfüllen, wie das Füttern von Markus Ratte. Bruno hingegen ist nicht nur „eine treue Seele" (Die Rättin, S. 31), wie es im Transform heißt, sondern opfert sich für Oskar regelrecht auf: ohne Widerrede und unreflektiert erfüllt er jede Aufgabe und ortet sich somit als Prototyp des Gefolgsmann, der sich jeder Herrschaft unterordnet, was auch mit seiner ebenfalls nur im Film thematisierten nationalsozialistischen Vergangenheit korrespondiert (siehe auch 4.1.1.2. und 4.2.1.1.1.).

Die genauere Charakterisierung der einzelnen Figuren durch Casting, Maske und Kostüme wird unter 4.2.1.1.1. näher beleuchtet.

4.2. Die Oberflächenstruktur des Films

Kennzeichnend für audiovisuelle Texte ist, daßein Darsteller, alles was er tut oder sagt, immer auf eine bestimmte Art und Weise tut oder sagt. Intonation, Stimmqualität, Tonlage, Sprechtempo, Mimik und Gestik modellieren und interpretieren den sprachlich kodierten Satz. Dasselbe gilt, wie bereits erwähnt, für die optische Präsentation der Figuren und Räume durch Maske, Kostüme Requisite und Beleuchtung (vgl. 4.1.2. und 4.1.3.). Auch durch spezielle kinematographische Techniken, die Wahl der Einstellung und des Bildausschnitts, den Schnitt und die Montage der Sequenzen werden die abgebildeten Figuren und Räume in spezifischer Weise dargestellt und das Transform somit interpretiert. Eine systematische Auswertung der Oberflächenstruktur würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Exemplarisch soll hier aber auf besondere Auffälligkeiten und ihre Konsequenz für die Interpretation des filmischen Transforms eingegangen werden.

4.2.1. Nicht-kinematographische Gestaltungstechniken

4.2.1.1. Die Bildebene
4.2.1.1.1. Casting, Maske und Kostüme

Mit der Besetzung einer fiktiven Figurenrolle durch einen bestimmten Darsteller beginnt bereits die film- bzw. allgemein dramenspezifische Interpretation des narrativen Paradigmas Figur: ein Schauspieler hat unabhängig von der Rolle gewisse Charakteristika: Stimme, Alter, Statur usw. Auch sein Bekanntheitsgrad und die damit verbundene Rollenbiographie sind von Bedeutung, da der Rezipient unter Umständen dazu geneigt ist, ihn in einer bestimmten Rolle mit früheren Rollen unbewußt in Verbindung zu bringen und die Charakteristika dieser Rollen auf die neue zu übertragen. Wie schon unter 4.1.4. erwähnt, ist man bei der Ausgestaltung einer Filmrolle meist gezwungen, Leerstellen der Buchvorlage bezüglich des äußeren Erscheinungsbildes zu füllen.

Der Schauspieler wird auf seine bestimmte Rolle hin zusätzlich durch Maske und Kostüm modifiziert. Gerade über die Kostüme ist eine zusätzliche Konturierung der Figur möglich. So können durch Farb- und Stoffwahl Zugehörigkeiten zu bestimmten sozialen oder sonstigen Schichten visualisiert werden.

Konsequenzen, die aus den Rollenbiographien herzuleiten sind, ergeben sich bei der Buchhorn-Verfilmung vermutlich nicht: Keiner der Schauspieler ist so prominent oder hat zuvor in so bekannten Filmen mitgewirkt, daßer von der Mehrheit der Rezipienten mit dieser Rolle in Verbindung gebracht würde. Einen bekannten Star gleichsam als Köder einzusetzen, wäre im Falle eines so bedeutenden Stoffes auch sicher unangebracht.

Über Markus, der in der Vorlage mit dem Ich-Erzähler identisch ist, erfahren wir im Transform nicht viel. Dort ist er Schriftsteller und Drehbuchautor, im Film Maler und Regisseur. Allzu augenscheinliche Ähnlichkeiten dieser Figur mit dem Autor Günter Grass werden bei Buchhorn also bewußt vermieden. Die Rolle ist mit Matthias Habich besetzt. Seine dunkle ruhige Stimme gibt vor allem den Erzählerberichten aus dem Off einen sehr vertraulichen Ton - fast im Sinne eines Märchenonkels. Dies unterstützt die Nähe zum Rezipienten und somit seine Identifikation mit dem Geschehen. Über die Optik des Ich-Erzählers gibt die Vorlage keinerlei Information. Im Film bedient Markus hier das ganze Klischee des weltfremden Künstlers: Er wirkt etwas chaotisch. Die angegrauten Haare sind etwas zu lang und zerzaust. Seine legere Bekleidung, meist Jeans oder Cordhose, dicke Pullis oder Leinenhemden, sind in gedeckten Farben und ungebügelt. Der glasige Blick schweift oft in die Ferne. So mag man sich einen Menschen vorstellen, der sich so stark mit seiner Kunst identifiziert, daßsie ihn in Tag- und Nachtträumen verfolgt bis er schließlich nicht mehr weiß, was Realität und was Traum ist - Insofern werden die Leerstellen des Transforms logisch ausgefüllt.

Ebenso verhält es sich mit Oskar Matzerath, gespielt von Peter Radtke. Die Tatsache, daßOskar hier im Rollstuhl sitzt, ist wohl einzig eine Nebenwirkung der Besetzung der Rolle mit diesem körperbehinderten Schauspieler. Die im Transform additierte Behinderung stellt - wie schon unter 4.1.4. erwähnt keine weiteren Konsequenzen für die Handlung, sie stellt vielmehr eine Steigerung zu Oskars ohnehin vorhandenem Handikap, der Kleinwüchsigkeit, dar. Ansonsten ist diese Figur relativ analog zum Transform adaptiert, auch wenn sich die Kostümierung nicht akribisch an die Vorlage hält (vgl. Tabelle 2): Immer bestens gekleidet und einem ausgesprochen selbstbewußten souveränen Auftreten entspricht er perfekt dem Bild des gutsituierten wohlhabenden Medienbosses.

Über die fünf Frauen im einzelnen bietet der Prosatext wenig Information. In der Verfilmung sind sie so angelegt, daßjede einem ganz anderen Frauentyp entspricht: Damroka, Markus Frau, gespielt von Sunnyi Melles, hat die „schöngelockten" hellblonden langen Haare der Vorlage und wirkt, unterstützt durch ihren auffallend blassen Teint, sehr zerbrechlich, fast elfenhaft. Marth., die Steuermännin und Maschinistin, entspricht ganz ihrer Rolle als Technikerin an Bord: Sie ist resolut und schlägt bisweilen einen etwas derben Ton an. Diese Charakterzüge erhalten eine Spiegelung in ihrem Äußeren: sportliche Figur, verwaschene Jeans und schwarze Motorradlederjacke. Vera, die Meereskundlerin, ist die unauffälligste von allen: sowohl optisch als auch in ihrem Charakter. Sie spricht selten und schlägt dabei stets einen sachlichen Ton an. Ihre Äußerungen bestehen zum Großteil aus sachlichen, manchmal belehrenden Informationen in Zusammenhang mit dem Forschungsauftrag. So entspricht sie dem Prototyp Wissenschaftlerin.

Erna, die Köchin, ist - wie im Transform die Zierlichste und Älteste von allen, jedoch höchstens um die 60, auf keinen Fall 75, wie die Vorlage vorgibt. Sie betitelt die Frauen, vor allem Katja, die Jüngste, und wirkt sehr mütterlich, manchmal schlägt sie dabei auch einen sehr barschen Ton an, vor allem wenn Streit unter den übrigen Frauen ausbricht.

Katja entspricht dem Typ der jugendlichen Rebellin. Auch wenn sie keinen buntgefärbten Irokesenhaarschnitt trägt, erinnert ihre Kleidung in gemäßigter Form an die ihrer Punk-Freunde. Sie stellt nicht nur in bezug auf die Interaktionslogik, sondern auch optisch mit ihren kurzen dunkelbraunen Haaren und einer sehr weiblichen, etwas üppigeren Figur einen Gegenpart zu Damroka dar.

Bei den Nebenfiguren sind besonders Bruno Münsterberg, Anna Koljaiczek und der Priester aus Mattern zu erwähnen. Alle drei sind - gerade durch Maske und Kostüme - etwas überzeichnet.

Bruno Münsterberg erinnert in seiner altmodischen Chauffeurskluft mit Mütze und Handschuhen sowie der glattpolierten Glatze an einen uniformierten SS-Soldaten - eine sicherlich gewollte Suggestion, schließlich wird er auch im Film inhaltlich mehrmals mit der Nazi-Ideologie und rassistischen Vorbehalten in Verbindung gebracht (vgl. 4.1.1.2)

Auch Anna Koljaiczek und der Priester aus Matern erinnern eher an Relikte aus einer anderen Zeit. Beide muten sie in der Gesellschaft weitgereister, moderner Menschen von Welt (siehe Tabelle 1, HS 33) etwas sonderbar an: Der Priester trägt eine altmodische, schwarze Soutane, wie sie zu Beginn dieses Jahrhunderts üblich war, und auch Anna sieht mit ihrem schwarzen Häubchen zu den offenen langen grauen Haaren aus, als würde sie immer noch in der Vergangenheit leben. Die Gestaltung dieser zwei Figuren läßt zusammen mit der Kulisse des altmodischen, verschlafenen Bauernhäuschens (vgl. Tabelle 2) nur den Schlußzu, daßan der Kaschubei die rasante Entwicklung des Westens spurlos vorübergegangen ist. Hier ist buchstäblich die Zeit stillgestanden. Es scheint, als wäre Oskar ein letztes Mal zurück in die „gute alte Zeit", in die Städten seiner Kindheit gereist, ein letztes Mal, um Abschied zu nehmen.

4.2.1.1.2. Kulisse, Szenerie, Requisite und Licht

Generell wird der filmische Handlungsraum so gestaltet, daßdie Illusionswirkung einer alltäglichen Raumkonstitution entsteht. Abweichungen sind inhaltlich motiviert. Als Norm gilt die Ausstattung aller imaginierten Räume im Stil der jeweiligen Kulturepoche und eine Veränderung eines einmal eingeführten Raumes nur dann, wenn dies durch die Handlung vorgegeben ist 57. So wie in der Literatur Szenerie und literarische Gestalten sich gegenseitig beeinflussen, so sind auch im Film die Figuren durch ihren Umraum geprägt und umgekehrt. Natur ist im Film gekoppelt mit der Vorstellung des Ursprünglichen, Urtümlichen und auch Mythischen58 und ist dabei meist Hintergrund einer Szene, deren Stimmung sie tragen und unterstreichen muß59. Andernfalls wird sie symbolisch eingesetzt und steht z. B. für Stimmungen und Befindlichkeiten der Helden.

Jede Raumdarstellung wird durch Licht modifiziert, erhält dadurch erst ihre Plastizität. Auch für die Darstellungen der Figuren im Raum spielt die Beleuchtung eine Rolle, weil sie Stimmungen und Atmosphäre schafft. Nach Hickethier60 lassen sich drei Haupt-Beleuchtungsstile klassifizieren: Der Normalstil, der Low-Key-Stil und der High-Key-Stil. Der Normalstil ist geprägt von einer gleichmäßigen Ausleuchtung des Raums und wird eingesetzt, wenn Handlung und Stimmung dem Normalempfinden entsprechen. Der Low-Key-Stil wird besonders zur Darstellung dramatischer Situationen, geheimnisvoller Vorgänge oder Verbrechen eingesetzt, da er Spannung erzeugt. Er ist charakterisiert durch ausgedehnte, wenig oder gar nicht durchgezeichnete Schattenflächen. Der High-Key-Stil hingegen leuchtet alles genau und überdeutlich aus: „High Key zeichnet eine freundliche Grundstimmung aus, die Hoffnung, Zuversicht, Glück und Problemlosigkeit betont"61. Auch die Lichtkathegorie ist zur Erzeugung unterschiedlicher Effekte entscheidend: Tageslicht und unterschiedlichste Varianten von Kunstlicht, das z. B. auch durch bestimmte Farben dem Dargestellten einen spezifischen Sinn geben kann. Für die Transformationsanalyse ist hier weniger wichtig, all diese Lichtkathegorien und Beleuchtungstechniken klassifizieren zu können, als sich ihrer Wirkung in der Erzeugung bestimmter Stimmungen oder Symbolik bewußt zu werden.

So kommt in der Buchhorn-Verfilmung gerade der Low-Key-Stil im Zusammenhang mit den unheimlichen Sequenzen zum Einsatz, etwa in den Sequenzen, in denen die Ratten beginnen, aus ihren Löchern zu kriechen. Da dies in der Transformation auch noch nachts geschieht, ist diese Ausleuchtung besonders effektvoll. Zusätzlich ist das Licht leicht grünlich, was eine geheimnisvolle, bedrohliche Stimmung schafft. In der gleichen Ausleuchtung, jedoch in tiefblauem Licht erscheint die „Neue Ilsebill", wenn Damroka den Frauen abends die Sage von Vineta erzählt. Dies schafft - zusammen mit einem überdimensional großem weißen Mond am Himmel eine geradezu märchenhafte Stimmung. Ebenfalls Low-Key-Stil, allerdings in einer rötlich-gelblichen Ausleuchtung kommt zum Einsatz, wenn die Frauen ins Meer springen, um Vineta zu besetzen. Zum einen geht die gelbliche Ausleuchtung vom Licht der Atompilze aus, zum anderen schafft das - unterstützt durch die Off-Musik (vgl. 4.2.1.2.2.) eine zwar geheimnisvolle, aber gleichzeitig warme" Atmosphäre: Noch sind die Frauen voller Hoffnung und Ekstase, glauben in wenigen Minuten, das Ziel, ihre Erlösung gefunden zu haben.

Als die Atompilze selbst zu sehen sind, wird ein wahres Farbspektakel inszeniert. Die warmen Gelbtöne mischen sich in die dunkelblau-schwarzen Farben der Nacht und des Meeres und schaffen, ebenfalls im Low-Key-Stil ausgeleuchtet, eine atemberaubende schaurig-schöne Stimmung. Nur einmal wird der High-Key-Stil eingesetzt: als Anna Koljaiczeks Anwesen ins Bild kommt. Zunächst vermittelt da eine scheinbar heitere, positive Grundstimmung vermittelt, welche aber durch eine kontrastierende Musikuntermalung nivelliert wird (vgl.4.1.2.2.2.).

Von den vier Hauptschauplätzen der Transfomation, Markus Haus, Oskars Villa, Anna Koljaiczeks kleines Anwesen und die „Neue Ilsebill" ist lediglich der erstere im Transform nicht erwähnt. So erhält der chaotische Künstler Markus in der Buchhorn-Verfilmung eine entsprechende Wohnung. Sie ist sehr großräumig und hell und überfüllt mit einem Sammelsurium an fertigen und halbfertigen Bildern, Skulpturen aller Stilrichtungen, modernsten Videoequippment, wie z. B. der großen Monitorwand, Werkzeugen, Staffeleien und Farbtöpfen. Dazwischen stehen einige wenige schöne Holzmöbel und unzählige Grünpflanzen. Insgesamt wird eine etwas chaotische, aber sehr heimelige Stimmung geschaffen.

Den absoluten Gegensatz zu Markus Wohnung bildet Oskars Prunkvilla: Teuere Antiquitäten in hohen Räumen mit Deckenstuck und schweren Teppichen sind so perfekt arrangiert, daßeine etwas unwohnliche, palastähnliche Atmosphäre herrscht. Nur die modernen Ton- und Videotechnikgeräte neben dem schweren geschnitzten Eichenholzschreibtisch erinnern daran, daßOskar im ausgehendem 20. Jahrhundert lebt. Vermutlich um diese Figur noch einmal in ihren alten Kontext zu setzten, ist auf dem Schreibtisch in einer Glasvitrine unübersehbar die alte Blechtrommel zur Schau gestellt. Die „Neue Ilsebill" ist ganz dem Transform gemäßein alter, etwas baufällig wirkender Motorewer, sehr eng und zweckmäßig eingerichtet. Ein einfacher Holztisch, eine paar alte Regale.

Das Anwesen der Anna Koljaiczek wirkt bäuerlich-gemütlich und vermittelt, wie Anna selbst, den Schein einer heilen Welt - fernab von der technisierten Zivilisation des Westens. Der Garten mit den vielen Stäuchern ist leicht verwildert, die Wände sind gräulich und leicht verfallen. Trotzdem inszeniert diese Kulisse eine freundliche positive Stimmung. So entspricht die idyllische Szenerie ganz Oskars sentimentalen Erinnerungen.

Sehr realistisch wirkt die Vineta-Kulisse: eine durch perfekte Computeranimation sehr realistisch wirkende Stadt auf dem Meeresgrund, algenbewachsen wie ein Wrack. So scheint Vineta hier nicht durch eine sich zu künstlich repräsentierende Kulisse als utopischer Ort, sondern ähnlich wie ein untergegangenes Schiff, real auf dem Meeresgrund existierend. Selbst hier versucht die Verfilmung also möglichst realistisch und somit glaubwürdig zu wirken, und läßt das Unwahrscheinliche wahr werden. Andernfalls wäre nämlich die Identifikation des Zuschauers mit dem Geschehen beeinträchtigt.

4.2.1.2. Die Tonebene

Ton und Bild sind zwei eigenständige Informationsebenen, die erst durch die Montage synchron oder asynchron zueinander in Beziehung gesetzt werden62 und sich zu einer Einheit verbinden. Synchron verläuft die Tonebene zur Bildebene dann, wenn sich ersterbe direkt aus der zweiten herleitet, d h. wenn z. B. eine Figur zusammen mit den Worten, die sie spricht, abgebildet wird. Von Asynchronität spricht man dann, wenn die Tonbene Informationen liefert, die sich nicht direkt aus der Bildebene herleiten. Dies ist meist beim Off-Ton der Fall, kann aber auch im On-Ton realisiert werden.

Die Tonebene des Films läßt sich in drei unterschiedliche Informationskanäle trennen: gesprochene Sprache, realisiert in On- und Off-Texten, Musik und Geräusche. Alle drei Informationskanäle können neben dem Kriterium der Synchronität auch unter dem Kriterium der Parallelität klassifiziert werden, d.h. sie können der Bildebene entsprechen oder im Widerspruch dazu stehen. Ersteres gilt wiederum als Norm im Sinne der Realitätssuggestion, während letzteres als spezieller filmischer Kunstgriff einzuordnen ist. 63

4.2.1.2.1. On- und Off-Texte

Die gesprochene Sprache läßt sich bei einer Transformationsanalyse nahezu unmittelbar zu den Vorgaben des literarischen Textes in Beziehung setzen und kann detailliert bis in die Wortwahl hinein verglichen werden. Während sich die Erzähl- und die Erzählerrede im schriftlichen Text beide über die verbale Sprache artikulieren, wirkt die gesprochene Rede aus dem Off immer als ein außerhalb des erzählten Geschehens stehendes Element. Der Sprechakt selbst definiert diese Rede in jedem Fall als persönliche Erzählerrede. Meist hat die Off-Stimme Funktionen zu erfüllen, die dem rein filmischen Zeichensystem Schwierigkeiten bereiten, d. h. die Wiedergabe zusammenfassender Berichte, exakter Benennungen, Kommentare und die Kennzeichnung einer Ich-Position als Erzählerfigur (vgl. 4.2.5.).

Eine besondere Form des Off-Textes ist das Textinsert. Im Gegensatz zur Stimme aus dem Off haben diese Einblendungen zwar einen übergeordneten, aber unpersönlichen und somit objektiver wirkenden Charakter.

Text-Inserts finden in der Buchhorn-Verfilmung keine Verwendung. Der Ich-Erzähler aus dem Off ist zugleich die Figur Markus Frank auf der On-Ebene. Die filmische Adaption zeichnet sich dadurch aus, daßsehr viel Text direkt oder nur leicht verändert, meist komprimiert, übernommen worden ist. Das betrifft noch mehr die Off-Ebene, wo die Ich-Erzähler-Rede des Prosatextes naturgemäßdirekter übernommen werden kann.

Ein Beispiel hierfür ist der Anfang des Gedichtes. Die Ich-Erzähler-Rede ist fast deckungsgleich mit der Vorlage (Die Rättin, S. 1). Die unterstrichenen Passagen sind dabei direkt aus dem Transform übernommen:

Auf Weihnachten wünschte ich eine Ratte mir, hoffte ich doch auf Anregungen für ein Bild, das mir noch undeutlich war. Von Tannen- zweigen überdacht, dem tiefer hängenden Baumschmuck zuge- ordnet, anstatt der Krippe mit dem bekannten Personal, hatte so lang wie breit ein Käfig Platz gefunden. Wie selbstverständlich nahm das Geschenk seinen Platz ein, als gäbe es keinen Vorbe- halt, als sei diese Bescherung natürlich: die Ratte unterm Weih- nachtsbaum.

Lediglich aus der Tatsache, daßder Ich-Erzähler, wie wir festgestellt haben, in der Transformation nicht Schriftsteller, sondern Maler ist, ergibt sich eine kleine Abänderung: Im Transform erhofft er sich „Reizwörter für ein Gedicht" ,hier „Anregungen für ein Bild".

Unter den Ich-Erzähler-Reden aus dem Off findet sich auch eine Auswahl der lyrischen Passagen des Transforms. Somit wird erstens auch diese formale Besonderheit des Prosatextesumgesetzt, zweitens bieten sich aber auch gerade die Gedichte als Erzählerrede an, da sie die Handlung in ihren Hauptthemen komprimiert zusammenfassen (vgl. 4.4.).

Da der Film aber auf aktive Handlung, vor allem Interaktion, ausgerichtet ist, mußder Text für die On-Ebene, dialogtauglich adaptiert werden. Ein Beispiel dafür ist die im Buch mehrmals anhand von unterschiedlichen Beispielen getroffene Aussage der Rättin, Ratten würden Katastrophen wittern und sinkende Schiffe verlassen (Die Rättin, S 219). In der Verfilmung wird diese Aussage in einen Dialog transformiert. Bei der Hamelner 750-Jahrfeier gibt es unter anderem ein Puppenspiel zur Hamelner Sage. Dabei taucht im Publikum die Frage auf, ob Ratten schwimmen könnten. Markus hört das und sagt: „Aber natürlich können Ratten schwimmen. Wie sonst verlassen sie sinkende Schiffe?" Viele Aspekte der Buchvorlage werden in ähnlicher Weise in Handlungszusammenhänge gesetzt und so adaptiert in die Transformation aufgenommen. Natürlich müssen dabei auch meist auch die Texte verändert werden.

Auch die Reden der Rättin werden teilweise direkt umgesetzt. So ist ihre „Predigt vom Müllgebirge", die den Ich-Erzähler an die „Rede des toten Christus vom Weltengebäude herab" erinnert (Die Rättin, S. 14) - eine Anspielung auf Jean Pauls Siebenkäs - fast vollständig übernommen. Es werden nur die Passagen, die darauf schließen lassen, daßdas Ende der Menschheit bereits stattgefunden hat, dahingehend adaptiert, daßes kurz bevorsteht, was sich logischerweise aus der schon unter 4.1.1.2. festgestellten Veränderung des Films ergibt, die gesamte Handlung vor dem „Großen Knall" anzusetzen.

Auch aus dem Transform übernommen ist der letzte Satz: „Ein schöner Traum, sagte die Rättin, bevor sie verging". Mit ihm schließt die letzte Einstellung des Films, ein Long Shot: Er zeigt die brennende „Neue Ilsebill", die langsam im Meer versinkt. Dahinter beherrschen gelbleuchtende Atompilze die Kulisse. So läßt auch die Transformation letztlich die Möglichkeit offen, daßes sich bei diesem Bild sowie dem „Großen Knall" und dem Ende der Menschheit an sich nur um einen Traum des Ich-Erzählers gehandelt hat. Da aber die entsprechenden Passagen nicht als Träume gekennzeichnet worden sind, sondern der Große Knall als reales Ereignis geschildert wurde, wird diese Option im Vergleich zum Buch nun erst ganz am Schlußdeutlich. So wird dem Schlußein Stück Schwere genommen: Vielleicht war alles doch nur ein Traum, aber die beabsichtigte Warnwirkung auf den Rezipienten bleibt.

Sogar bei den On-Dialogen greift die Transformation mitunter auf das Transform zurück. So ist das Gespräch zwischen Oskar und Markus über den Film „In Zukunft nur Ratten noch" (vgl. Tabelle 1, HS 52) aus einem Gedicht der Vorlage adaptiert (Die Rättin, S.181). Die hier unterstrichenen Passagen sind dabei wörtlich übernommen, nur die Imperfektform der Verben ist durch Präsens und Futur ersetzt, da das Gedicht der Vorlage von einem bereits stattgefundenen Untergang der Menschheit ausgeht:

Oskar: „Aber irgendwas fehlt." Markus: „Was fehlt, ist der Mensch." Markus: „Was nun folgt, ist die Menschwerdung der Ratte. Stellen Sie sich vor, die Ratten bringen sich nicht nur bei, wie man mit Messer und Gabel umgeht, sondern mit seinesgleichen auch, ferner mit der Vernunft, dem allmächtigen Büchsenöffner umzugehen habe." Oskar: „Später * später werden Sie die Tugend mit Löffeln fressen und fleißig die Toleranz üben, auch wenn das schwerfällt unter Brüdern." Markus: „Sie werden nicht länger planlos im Urschlamm verrückt spielen. Sie werden lernen, sich zu säubern..." Oskar: „...bis die Sauberen zu den Schmutzigen sagen werden: Wehe Euch!" Markus: „Sie werden menschengleich das Wissen zur Macht erklären..." Oskar: „...bis die Aufgeklärten unter ihnen sagen werden: Wehe den Unwissenden." Markus: „Sie werden lernen, Frieden zu halten..." Oskar: „...bis irgendwann ein Zufall unaufgeklärt dazwischenkommt und wieder Krieg ist" Markus: „Ja, damit wäre ihre Erziehung abgeschlossen. Große Helligkeit wird jeden Winkel der Welt erleuchten." Oskar: „Nur schade, daßes danach so duster sein wird, so duster wie bei uns jetzt"

Die Off-Texte der Verfilmung sind durchgehend parallel zum Text angeordnet und bis auf wenige Ausnahmen auch synchron. Asynchronität zwischen Bild und Text wird manchmal eingesetzt, um fließende Übergänge zu schaffen. So zeigt die erste Sequenz des Films eine Kamerafahrt schräg über der verschneiten Küstenlandschaft im Long Shot, um den Schauplatz einzuführen. Noch während dieser Kamerafahrt setzt der Off-Text ein: „Auf Weihnachten wünschte ich eine Ratte mir...", der eigentlich schon zur nächsten Sequenz gehört, in der Damroka und Markus unterm Weihnachtsbaum gezeigt werden. Es folgt eine weiche Überblendung in diese Sequenz. So wird der Rezipient langsam in das Geschehen eingeführt. In einer anderen Sequenz (vgl. Tabelle 1, HS 16) unterhält sich Katja nach den Tauchübungen mit Erna über Markus. Noch während Erna sagt: „Ohne Frauen ist er nicht lebensfähig - wie alle Männer. Wenn wir vergehen, vergehen auch sie" kommt eine Überblendung in die nächste Sequenz, die Markus auf dem Schiff der Frauen zeigt. Er ist dorthin gekommen, um sie von der Reise abzuhalten. Durch diese Asynchronität erhält die folgende Sequenz also die Hintergrundinformation: Markus will die Frauen von der Reise abhalten, weil er ohne sie nicht leben kann. Wird ihnen auf der Reise nach Vineta etwas zustoßen, wird auch er sterben.

4.2.1.2.2. Musik

Die Off-Musik ergänzt das Bild von einer Vermittlunsebene her und läßt sich weder als Figurenhandlung noch als Handlung einer Erzählerfigur klassifizieren. Sie akzentuiert das Erzählte und hat dabei nach Hansjörg Pauli64 entweder eine paraphrasierende, polarisierende oder kontrapunktierende Funktion. Paraphrasierend heißt hierbei, daßdie Musik sich direkt aus dem Charakter der Bilder ableitet, polarisierend, daßdie Musik neutralen oder ambivalenten Bildern eine eindeutige Sinnrichtung verleiht und kontrapunktierend, daßsich der Charakter von Bild und Musik widersprechen. Somit ist auch die Off-Musik ein gestalterisches Mittel zur Unterstützung einer bestimmten Interpretation des Erzählten in der filmischen Transformation.

Bei der Buchhorn-Verfilmung fällt auf, daßden unterschiedlichen Handlungssträngen bzw. ihren Hauptfiguren ein bestimmtes Musikmotiv zugeordnet ist, das im Verlauf des Films mehrmals - je nach Handlung leicht verändert bzw. moduliert wird, aber immer erkennbar bleibt. Fast immer, wenn diese Figuren ins Bild treten, oder manchmal schon vorher als Einleitung, wird dies durch das entsprechende Musikmotiv unterstützt bzw. angekündigt. Dabei gibt es ein „Oskar-Motiv", eine sehr melancholische polnische Akkordeonmusik, das „Vineta-Motiv", das immer im Zusammenhang mit den Frauen eingespielt wird, ein leiser sphärischer Frauenchor, der in seiner Klarheit und dem ausgeglichenen ruhigen Tempo an gregorianische Choräle erinnert, sowie das „Rättin-Motiv", eine einfache einstimmige Klaviermelodie, die an die Musik einer Spieluhr erinnert und den neckischen, schelmenhaften Charakter der schadenfrohen Rättin im Film unterstreicht.

Ein nicht in die Transformation umgesetztes Handlungssegment ist der Gesang der Ohrenquallen, der an gregorianische Choräle erinnert (vgl. Tabelle1, HS 39). Nur die Frauen vernehmen diesen Gesang, der sie nach Vineta führt. In der Buchhorn-Verfilmung sind es zwar nicht die Ohrenquallen, aber von dem Zeitpunkt an, wo die Frauen vor Vineta ankern, und verstärkt als sie erwartungsvoll in die Tiefe des Meeres springen, unterstreicht das „Vineta-Motiv" in etwas modulierter, sehr feierlicher wirkender Form die Bildebene. Sowohl im Transform als auch in der Transformation erzählt Damroka, „ein Gesang wie von Engeln gesungen" habe über dem Wasser geschwebt, als Vineta unterging. (Die Rättin, S. 289). Diese sehr beruhigende, fast sphärische Musik ist wohl eine Anlehnung an diese Aussage und paraphrasiert die Bildebne. Sie korrespondiert mit dem Effekt der Zeitlupe: Ganz langsam sieht man die Frauen mit verzückten Gesichtern ihrem utopischen Ziel entgegen springen. Allmählich mischen sich zunächst spärlich, dann gehäuft Dissonanzen in die Engelschöre. Gleichzeitig erscheinen Ratten auf der Bildebene. Die Frauen erkennen, daßVineta schon vergeben ist. So wirkt auch hier die Musik paraphrasierend.

Kontrapunktierend hingegen wirkt die Musik in der Sequenz, welche die Ankunft Oskars bei der Großmutter zeigt. Während die heimelige, im High-Key-Stil ausgeleuchtete Kulisse (siehe auch 4.2.1.1.2.) eine freundliche Grundstimmung verbreitet, wird diese durch die melancholische Musik, das „Oskar-Motiv" wieder nivelliert und somit als vermeintlich enttarnt. Das kommende Unheil kündigt sich hier schon durch die Hintergrundmusik an.

Ein typisches Beispiel für den polarisierenden Einsatz der Musik ergibt sich im Zusammenhang mit dem „Rättin-Motiv". Nur, wenn Markus seine real existierende Weihnachtsratte als „Traumrättin" wahrnimmt" und gleich mit ihr zu sprechen beginnt, wird dieses Motiv im Zusammenhang mit der Ratte auf der Bildebene eingesetzt. So ist der Rezipient bald darauf eingestellt, daßim Folgendem die Rättin zu Wort kommen wird. „Weihnachtsratte" und „Rättin" werden in der Buchhorn-Verfilmung sogar hauptsächlich durch die Musik voneinander unterschieden.

Auch zu erwähnen ist hier die nur kurz eingespielte Titelmusik des Films: ein in den achtziger Jahren sehr erfolgreicher Titel „Guardian Angel", eine melancholische Pop-Ballade von Drafi Deutscher. Die Textzeile, die einleitend zu hören ist, lautet:

A fleeting glimpse of your heart loosing right from the start no return and things will never be the same So wird die wehmütige Stimmung des Films mit seinem dramatischen Ausgang auch musikalisch eingeführt. In der Tat trifft die banal wirkende Aussage zu, daßam Ende nichts mehr sein wird, wie es war.

So akzentuiert gerade auch die Hintergrundmusik das Geschehen und trägt vor allem zur Bildung bestimmter Atmosphären entscheidend bei.

4.2.1.2.3. Geräusche

Auch die Geräuschkulisse dient der Simulation einer realitätsnahen Handlung. Eine bestimmte Tonatmosphäre, ein unregelmäßiges Hintergrundgeräusch, ist deshalb im Normalfall immer präsent. Eine „spannungsgeladene Stille" z. B. kann dadurch weitaus intensiver und realer erzeugt werden. Abrupt und laut einsetzende Geräusche werden hingegen verwendet, um eine Art Schockwirkung beim Rezipienten zu erzielen. Auch Geräusche können synchron oder asynchron sein. Stehen Geräusche im Widerspruch zur Bildebene, haben sie fast immer symbolischen Charakter. Geräusche können auch als verbindendes Element zwischen separaten Bildern wirken, die so als zusammengehörig empfunden werden oder sie können als Überleitung fungieren, indem sie die zu den nächsten Einstellungen synchrone, Geräusche vorwegnehmen. 65

Die Geräuschkulisse der Buchhorn-Verfilmung ist fast durchgehend unauffällig, d. h. ist meist parallel zur Bildebene und unterstützt sie synchron. Dennoch fallen einige Kunstgriffe auf: Als Bruno Markus Haus betritt, um die Ratte zu füttern (vgl. Tabelle 1,HS 53), fällt das Hintergrundgeräusch aus. Es herrscht die oben erwähnte „spannungsgeladene" Stille. Wie ein Einbrecher schleicht er sich langsam an den Lichtschalter heran. Das Anknipsen - verbunden mit einer plötzlichen Erleuchtung des Raumes - ist unnatürlich laut und verursacht die erläuterte Schockwirkung. Bruno erblickt die Ratte, welche - durch das Licht aufgescheucht über die Tastatur von Markus PC trippelt. Auch dieses Trippeln ist unnatürlich laut und erzeugt eine bedrohliche Stimmung. Als Bruno die Ratte endlich im Käfig hat und die Tür zuschlägt, gibt es einen überlauten Knall. Die Ratte ist gefangen. Die überzeichnete Geräuschkulisse gibt dieser Szene einen etwas grotesken, fast übertrieben spannungsgeladenen Charakter. Eine an sich banale Situation erhält somit eine bedrohliche Grundstimmung. Für Bruno, welcher sich vor Ratten extrem ekelt, ist diese Situation in der Tat bedrohlich. Bedenkt man, daßgerade im Zusammenhang mit Bruno die Ratten auch in Verbindung mit Juden gebracht werden, erhält diese Szene fast symbolischen Charakter. Der Rezipient spürt, daßes hier um mehr geht, als nur das Einsperren der Ratte. Was folgt, ist Brunos Phrase: Einsperren, absperren, zusperren, wegsperren. Verriegeln, vergittern, verplomben. Jawohl" (vgl. 4.1.2.3.3.): Dadurch ist die Verbindung dieser Szene mit Brunos Vergangenheit endgültig hergestellt.

Ebenso auffällig ist das übernatürlich laute Ticken der Wanduhr im sonst totenstillen Raum auf Annas Geburtstagsfeier (vgl. Tabelle 1, HS 49), kurz bevor zuerst im vorproduzierten Video, dann real die Atombomben fallen. Es herrscht eine beklemmende Stimmung. Der Rezipient weiß, daßdie sich in den vorhergehenden Szenen konsequent aufgebaute Spannung gleich entladen wird. Der „Große Knall" selbst äußert sich dann auf der Geräuschebene jedoch nicht durch einen lauten Ton, sondern wird nur visuell durch ein blendend helles Gelb umgesetzt, während absolute Stille einsetzt. Durch diesen unerwarteten Effekt ist die Schockwirkung beim Rezipienten um so größer. Der „Große Knall" als absoluter Höhepunkt des Transfers ist somit auch auf der Tonebene perfekt in Szene gesetzt.

4.2.2. Kinematographische Gestaltungstechniken

Unter kinematographischen Gestaltungstechniken versteht man diejenigen, die ausschließlich dem Film vorbehalten sind. Der Film stellt sich dem Betrachter im wesentlichen als eine Abfolge von Bildern dar. Dabei gilt es als Norm, daßPerspektiven und Einstellungen wechseln. Der Verzicht auf einen Wechsel wird nach Hickethier vom Rezipienten sogar als nicht-filmisch und sogar „strapaziös" empfunden. Dem Rezipient scheint der Kamerablick in der Regel als sein eigener, wobei die kinematographischen Gestaltungstechniken, wie Bildbearbeitung, Schnitt und Montage, im Sinne einer Realitätssuggestion möglichst nicht bewußt wahrgenommen werden sollen. 66.

4.2.2.1. Kameraperspektive, -führung und Nähe-Distanz-Relation

Kameraeinstellung und -perpektive bestimmen maßgeblich die Haltung der Erzählerfigur zum Abgebildeten: „Jedes Bild", so Belá Balázs, zeigt „nicht nur ein Stück Wirklichkeit, sondern auch einen Standpunkt. Die Einstellung der Kamera verrät auch die innere Einstellung".67 Die Größe der Kameraeinstellung regelt das Verhältnis zwischen dem Abgebildeten und dem Rezipienten, eine fiktive Nähe bzw. Distanz, die dem Rezipienten die ganze Bandbreite zwischen dichtem Dabeisein und Miterleben, aber auch wieder Loslassen ermöglichen. Diese Nähe-Distanz-Relation manifestiert sich dabei nicht so sehr in den einzelnen Einstellungsgrößen, sondern vor allem durch deren Wechsel.68 Zur Beschreibung der Einstellungsgrößen werden hier folgende Termini verwendet, die sich in der Filmanalyse durchgesetzt haben: Extreme Long Shot69, Long Shot70, Medium Shot71, Medium Close Up72, Close Up73 und Chocker Close Up74. Diese Begrifflichkeiten klassifizieren graduelle, fließende Übergänge und dienen somit lediglich als Anhaltspunkte. Da die verschiedenen Einstellungen oft gerade erst durch die Art ihrer Montage ihre spezifische Wirkung erhalten, überschneiden sich die Ausführungen teilweise mit den unter 4.2.2.2. gemachten Feststellungen. Je nachdem, ob die Kameratechnik oder die Montage hauptverantwortlich für die Interpretation ist, wurden die hier erwähnten kinematographischen Stilmittel entweder dem einen oder dem anderen Unterpunkt zugeordnet.

Generell läßt sich feststellen, daßdie Buchhorn-Verfilmung auch bezüglich der Nähe-Distanz-Relation versucht ist, eine möglichst große Identifikation des Zuschauers mit der Handlung zu erzielen.

Exemplarisch soll hierzu auf ein paar auffällige Beispiele eingegangen werden: Am Höhepunkt des Films, zeitgleich mit dem „Großen Knall" springen die Frauen ins Meer, um Vineta zu erobern (vgl. Tabelle 1, HS 48). Dieser feierliche Moment wird nicht nur durch die Off-Musik unterstützt (siehe 4.2.1.2.2.), sondern durch Zeitraffer-Technik spannungsteigernd unterstützt: Ganz genau sieht der Rezipient die erwartungsvoll-freudigen Gesichter der Frauen, aus leichter Untersicht, also aus der Perspektive ihres Ziels, im Wechsel von Close Up und Medium Long Shot, d. h. man nimmt sowohl ihren Gesichtsausdruck und die Freudentränen in den Augen, als auch ihre festlichen Kleider wahr. Im Wechsel folgt mehrmals eine Obersicht - aus der Perspektive der Frauen - auf das Wasser, wo sich Vineta undeutlich am Meeresgrund abzeichnet. Durch diesen Perpektivenwechsel wird gleichsam die Distanz die die Frauen überwinden müssen - vom Schiff in die Tiefen des Meeres - mit der Kamera nachvollzogen. Als die Frauen im Wasser sind, sieht der Rezipient nur noch Vineta aus einer Obersicht, wobei sich die Kamera langsam - immer noch im Zeitraffer - auf die immer deutlicher werdende versunkene Stadt zu bewegt. Als die Stadt endlich in voller Klarheit zu sehen ist, die Frauen sich nur noch wenige Meter über dem Meeresboden befinden, erscheinen die ersten Ratten im Bild. So wird also die ganze Bandbreite an Bedeutung dieses - feierlichen Moments bis hin zum Wendepunkt auch durch spezielle kinematographische Technik nachvollzogen.

Ein anderes Beispiel für den interpretatorischen Einsatz der Kameratechnik ist die Sequenz, in der die Ratten beginnen, in Massen aus ihren Löchern zu kriechen: Markus steht auf der Treppe vor Oskars Villa und starrt fassungslos und beängstigt auf die vor ihm liegende Wiese, die völlig von hin- und herlaufenden Ratten bedeckt ist. Zunächst sieht man nur Markus Gesicht im Close Up. Dieses Close Up ermöglicht dem Rezipienten eine stärkere Identifikation mit dem sich ängstigendem Protagonisten. Dann erst sieht man in einem Exreme Long Shot, was Markus angstvollen Blick auslöst: Massen von Ratten - so weit man blicken kann. Einige Male erfolgen nun im Schuß-Wechsel-Schuß-Verfahren der Extreme Long Shot mit den Rattenmassen und Markus angstvolles Gesicht. Gleichsam dialogisch wird so die Beziehung zwischen den bedrohlichen Ratten und dem sich fürchtenden Markus nachvollzogen.

Aber auch einige andere Kunstgriffe fallen auf dieser Ebne auf. So wird z. B. im Zusammenhang mit der Rättin mehrmals die Technik der subjektiven Kamera eingesetzt. Hierbei simuliert die Kamera das Blickfeld einer bestimmten Person und suggeriert so, diese Person würde das gezeigte Geschehen in eben dieser Weise wahrnehmen. Diese Technik wird nun z. B. eingesetzt, wenn Markus noch am Weihnachtsabend die Ratte in ihrem Käfig an einen anderen Platz stellt: Hier wird die Sicht der Ratte aus dem Käfig wird simuliert, wobei nicht nur ihre Perspektive, sondern auch ihre Art zu sehen nachgezeichnet ist, und zwar durch die sogenannte Technik des Fischauges: Das Abgebildete wird in der Horizontalen leicht gezerrt und gekrümmt. Gleichzeitig wird der Ton gedämpft, so daßMarkus und Damrokas Stimmen so klingen, wie die Ratte sie durch das Plastikverdeck des Käfigs hören muß. Gleichzeitig setzt auf der Tonebene zum ersten Mal das „Rättin-Motiv" ein. Bereits hier wird die Weihnachtsratte zur Rättin. Indem die Handlung aus ihrer Perspektive gezeigt wird, erhält sie den Schein eines ihre Umwelt bewußt wahrnehmenden Wesens, und so hängt ihr von Anfang an etwas Unheimliches an. Ganz anders ist das im Transform, wo der Ich-Erzähler ganz klar zwischen seiner harmlosen „Weihnachtsratte"(z. B. Die Rättin, S. 27) und der „Traumrättin (z. B. Die Rättin, S. 321) unterscheidet.

4.2.2.2. Schnitt, Montage und Mischung

Der Schnitt begrenzt eine Einstellung. Verschiedene Einstellungen werden mit der Technik der Montage an den Schnittstellen zusammengeklebt, und zwar wie V. Pudovkin sagt, in einer Weise, „daßder Zuschauer im Ergebnis den Eindruck einer geschlossenen, ununterbrochen sich fortsetzenden Bewegung gewinnt".75 Um dies zu erreichen, müssen die einzelnen Einstellungen irgendein Moment haben, das sich zueinander in Verbindung setzen läßt.

Die Sequenzen, die die drei unterschiedlichen Handlungsstränge verbinden, sind z. B. nicht durch harte Schnitte, sondern weiche Überblendungen miteinander verbunden. Der Rezipient gleitet somit gleichsam von dem einen Handlungsstrang in den anderen. Meist wird dies auch noch durch verbindende On- oder Off-Texte unterstützt: Einmal sagt Markus z. B., als er aus einem seiner Träume erwacht, in denen ihm die Rättin das Ende der Welt verkündet: „Bei den Frauen auf dem Schiff möchte ich jetzt sein". Es folgt eine weiche Überblendung in einen Long Shot, der die „Neue Ilsebill" zeigt. Ganz ähnlich werden die anderen Übergänge zwischen den einzelnen Handlungssträngen realisiert.

Die Montage wird aber auch als Moment der Spannungssteigerung eingesetzt. So wird der Wechsel zwischen den einzelnen Handlungssträngen immer schneller, je mehr die Handlung sich auf den Höhepunkt zu bewegt. Zusätzlich wird unterstützend die Mischungstechnik der sogenannten „alternierenden Sequenzen" eingesetzt: Es werden jeweils im Wechsel Sequenzen aneinandermontiert, die zweier sich zum gleichen Zeitpunkt an verschiedenen Schauplätzen ereignende Handlungssegmente zeigen, hier die Geburtstagsfeier im Haus der Anna Koljaiczek und die Handlung auf dem Schiff. Zwei typische kinematographische Momente der Spannungssteigerung werden hier miteinander verknüpft um den Höhepunkt des Films, den „Großen Knall" vorzubereiten und ein maximales Mitgehen des Rezipienten mit der Handlung zu erzielen.

Ein anderes auffälliges ästhetisches Mittel, das vor allem durch eine spezielle Montage erzeugt wird, finden wir in der Hameln-Sequenz (vgl. Tabelle 1 ; HS 11): Bei Markus Rede über die „wahre Rattenfängergeschichte" ist im Hintergrund ein Monitor zu sehen, der Bilder aus seinem Filmprojekt „In Zukunft nur Ratten noch zeigt". Unter anderem sieht man eine Schwarz-Weiß-Sequenz, in der SS-Leute über Ratten trampeln. So findet nicht nur durch Bruno sondern auch allegorisch die Verbindung Ratten - Juden der Buchvorlage in die Transformation Eingang (vgl. Tabelle 1, HS 23). Der Monitor wird dann immer näher herangezoomt, bis er ganz im Bild ist. Plötzlich sieht man Bruno in seiner Chauffeursuniform unter den marschierenden SS-Männern. Es folgt ein sogenannter unsichtbarer Schnitt, d. h. es wird so in die nächste Sequenz überblendet, daßkein Übergang wahrnehmbar ist: Man sieht Bruno nun in Farbe, wie er sich bei den Hamelner Festivitäten in den Festtagsmarsch einer Garde eingeklinkt hat. Erst langsam wird dem Rezipienten klar, daßes sich nun nicht mehr um Markus Film handelt, sondern daßBruno sich hier real auf dem Festgelände befindet. Es wird also durch einen besonderen kinematographischen Kunstgriff Brunos immer noch nicht verarbeitete NS-Vergangenheit (vgl. auch 4.1.2.3.3.) thematisiert.

4.2.2.3. Besondere visuelle Effekte

Besonders erwähnenswert ist im Zusammenhang der eingesetzten kinematographischen Gestaltungsmittel bei Buchhorn die Computeranimation. Die Sequenzen, in denen Massenansammlungen von Ratten an verschiedensten Orten gezeigt werden, die Realisation der genmanipulierten Schweineratten und vor allem die absolut natürlich wirkende, sprechende Weihnachtsratte sind nur durch diese sehr neue und aufwendige Technik umsetzbar geworden.76. Interessanterweise wird, wie schon erwähnt, die Computeranimation auch im Film thematisiert. Der Regisseur Markus bedient sich ihrer zur Produktion seines Films „In Zukunft nur Ratten noch". Da gerade die „Rättin" als Gegenspieler des Ich-Erzählers eine für den Handlungskontext unentbehrliche Figur ist, kann man sicher sagen, daßerst durch die Computeranimation die Verfilmung der Rättin überhaupt möglich geworden ist.

4.3. Die Umsetzung der lyrischen Passagen

Wie schon unter 4.2.1.2.1. besprochen, ist die Buchhorn-Verfilmung versucht auch einen Teil der lyrischen Passagen des Transfers zu übernehmen. Da die dreißig in den Prosatext eingestreuten Gedichte in ihrer Schanierfunktion zwischen den einzelnen Handlungssträngen die Thematik der Prosapassagen meist komprimiert zusammenfassen, bieten sie sich als Texte für das ohnehin zur Raffung und Reduktion gezwungene Transform gleichsam an. Wie wir festgestellt haben, ist eines der Hauptthemen des Prosatextes das „Abschiednehmen". So besteht der Großteil des Off-Textes des Ich-Erzählers aus dem Gedicht „Mir träumte, ich müßte Abschied nehmen" entnommenen Passagen.(S. 112 -115). Diese werden um die Parallelität zur Bildebene zu wahren, chronologisch umgeordnet und syntaktisch so umgestellt, daßjede Passage mit der Phrase „Mir träumte ich müßte Abschied nehmen" beginnt. Im ganzen werden fünf Sequenzen durch diesen Off-Text kommentiert: In der ersten. Sequenz zeigt die Bildebene Markus, der mit dem Rad durch die Landschaft fährt, in der zweiten Sequenz treffen sich Katja und Markus am Strand, die dritte Sequenz zeigt Markus, der auf das Schiff der Frauen gekommen ist, um sie von ihrer Reise abzuhalten, die vierte Sequenz 77 zeigt Markus, der vom Ufer aus das wegsegelnde Schiff beobachtet und die fünfte Sequenz schließlich Markus, der Oskar, welcher in seinem Mercedes nach Polen fährt, hinterhersieht.

Mir träumte ich müßte Abschied nehmen

3 von allen Dingen, die mich umstellt haben

und ihren Schatten werfen: die vielen besitzanzeigenden Fürwörter. Abschied vom Inventar, dieser Liste diverser Fundsachen. Abschied von den ermüdeten Düften, den Gerüchen, mich wachzuhalten von der Süße,

3 der Bitternis, vom Sauren an sich

und von der hitzigen Schärfe des Pfefferkorns. Abschied vom Ticktack der Zeit, vom Ärger am Montag, und dessen Tücke, sobald Langeweile Platz nimmt. Abschied von allen Terminen: was zukünftig fällig sein soll.

Mir träumte, ich müßte von jeder Idee, ob tot oder lebend geboren, vom Sinn, der den Sinn hinterm Sinn sucht, und von der Dauerläuferin Hoffnung auch mich verabschieden. Abschied vom Zinseszins der gesparten Wut, vom Erlös gespeicherter Träume, von allem, was auf Papier steht, erinnert zum Gleichnis, von allen Bildern, die sich der Mensch gemacht hat. Abschied vom Lied, dem gereimten Jammer, Abschied von den geflochtenen Stimmen, vom Jubel sechschörig, dem Eifer der Instrumente, von Gott und Bach.

Mir träumte ich müßte Abschied nehmen, vom kahlen Geäst

1 von den Wörtern Knospe, Blüte und Frucht,

von den Zeiten des Jahres, die ihre Stimmungen Satt haben und auf Abschied bestehen. Frühnebel, Spätsommer, Wintermantel, April April! rufen, noch einmal Herbstzeitlose und Märzenbecher sagen. Dürre Frost Schmelze. Den Spuren im Schnee davonlaufen. Vielleicht sind zum Abschied die Kirschen reif. Vielleicht spielt der Kuckuck verrückt und ruft. Noch einmal Erbsen aus Schoten grün springen lassen. Oder Pusteblume: Jetzt erst begreife ich, was sie will.

Ich träumte, ich müßte von Tisch, Tür und Bett, Abschied nehmen und den Tisch, die Tür und das Bett belasten, weit öffnen, zum Abschied erproben. Mein letzter Schultag: Ich buchstabiere die Namen der Freunde und sage ihre Telefonnummern auf: Schulden sind zu begleichen; ich schreibe zum Schlußmeinen Feinden ein Wort: Schwamm drüber - oder: Es lohnte den Streit nicht. Auf einmal habe ich Zeit. [Mir träumte, ich müßte Abschied nehmen]

Es sucht mein Auge, als sei es geschult worden, Abschied zu nehmen, rundum Horizonte, die Hügel

6 hinter den Hügeln, die Stadt

auf beiden Seiten des Flusses ab,

als müßte erinnert verschont gerettet werden, was auf der Hand liegt: zwar aufgegeben, doch immer noch dinglich, hellwach.

Mir träumte, ich müßte Abschied nehmen

3 von dir, dir und dir, von meinem Ungenügen,

dem restlichen Ich. Was hinterm Komma blieb und kümmert seit Jahren. [Mir träumte, ich müßte Abschied nehmen] Abschied von sattsam vertrauter Fremde,

5 von den Gewohnheiten, die sich recht geben höflich,

von unserem eingeschriebenen verbrieften Haß. Nichts war mir näher als Deine Kälte. Soviel Liebe genau falsch erinnert. Am Ende war alles versorgt: Sicherheitsnadeln zuhauf. Bleibt noch der Abschied von deinen Geschichten, die immer das Bollwerk, den Dampfer suchen, der von Stralsund, aus der brennenden Stadt beladen mit Flüchtlingen kommt; und Abschied von meinen Gläsern, die Scherben, allzeit nur Scherben sich selbst als Scherben im Sinn hatten. Nein, keine Kopfstände mehr.

Und nie wieder Schmerz. Nichts, dem Erwartung entgegen liefe. Dieses Ende ist Schulstoff, bekannt. Dieser Abschied wurde in Kursen geübt. Sehr nur, wie billig Geheimnisse nackt sind! Kein Geld zahlt Verrat mehr aus. Endlich hebt sich der Vorteil auf, macht uns die Schlußrechnung gleich, siegt zum letzten Mal die Vernunft, ist ohne Unterschied alles, was einen Odem führt, alles, was kreucht und fleucht, alles, was noch ungedacht und was werden sollte vielleicht, am Ende und scheidet aus.

Doch als mir träumte, ich müßte [ Abschied nehmen ] von jeglicher Kreatur, damit von keinem Getier, dem einst Noah die Arche gezimmert, Nachgeschmack bliebe, Abschied nehmen sofort,

2 träumte ich nach dem Fisch, dem Schaf und dem Huhn,

die mit dem Menschengeschlecht alle vergingen, eine einzelne Ratte mir, die warf neun Junge und hatte Zukunft für sich.

Das zweite auf die gleiche Weise adaptierte Gedicht, „Mir träumte, ich dürfte Hoffnung fassen" (Die Rättin, S. 484-486) bezieht sich auf das erste. Es steht sowohl im Transform als auch in der Transformation am Schluß. In der Vorlage folgt darauf noch ein eineinhalbseitiger Bericht der Rättin über das Ende der Watsonckricks. Im Film wurde nur die letzte von vier Strophen übernommen:78:

Mir träumte, ich dürfte hoffen zuletzt: Überall legt jeder den Zündschlüssel ab, und bei offener Tür sind die Menschen einander sicher fortan.

Es trog meine Hoffnung nicht: Sein Brot Kaut keiner mehr ungeteilt; doch jene Heiterkeit, die ich erhoffte, ist nicht von unserer Art; Lauthals lachen die Ratten uns aus, seitdem wir mit letzter Hoffnung alles vertan haben.

Auf der Bildebene wird die zweitletzte Sequenz gezeigt: Man sieht Oskar, der aus den Trümmern heraus, langsam unter die Röcke der Großmutter kriecht lyrischen Textpassagen, die so adaptiert sind, daßsie in Parallelität zur Bildebene stehen, können als innerer Monolog des Ich-Erzählers gesehen werden (vgl.4.4.). Mit ihrem Aufgreifen ist auch in formaler Hinsicht der Vorlage Rechnung getragen.

4.4. Die Umsetzung der Erzählsituation

Ein konstitutives Element der epischen Literatur ist die Mittelbarkeit über eine Erzählerfigur. Eigentlich scheint der Film auf den ersten Blick als unmittelbares Medium und wäre damit per se nicht in der Lage, die narrativen Strukturen eines epischen Erzähltextes nachzuvollziehen. Nach den Ausführungen von Matthias Hurst79 weist das filmische Medium aber eine weitaus engere Verwandtschaft zur epischen Literatur als zur dramatischen auf und ist als technisch-ästhetische Vermittlung einer Handlung durchaus mittelbar. Auch Rudolf Arnheim80 ist der Ansicht, daßdie Gestaltungselemente der Oberflächenstruktur des Films, wie Bildausschnitt, Kameraeinstellung und -führung, Montage, Mise-en-scéne, Ton, Musik usw. in ihrer künstlerischen Gestaltung als Instrumente der Mittelbarkeit wirken. Als mittelbares, narratives Zeichensystem ist auch beim Film eine Erzählerfigur präsent, wie u. a. Matthias Hurst81 und Monika Mundt82 deutlich machen. Wie ersterer aufzeigt, kann man sogar das Erzählmodell von Franz K. Stanzel auf den Film übertragen83: Mise-en-scene und Montage gestalten die vorherrschende Erzählsituation dabei szenisch und visuell. Während auktorialer und - der im Film normalerweise vorherrschende - personale Erzähler weitgehend unproblematisch transformiert werden können, erscheint die Umsetzung einer Ich-Erzählerfigur, wie sie bei der Rättin vorliegt, etwas schwierig: Das Medium Film kann in seiner rein visuellen Gestaltung die Unterscheidung zwischen erzählendem und erlebendem Ich nicht ohne weiteres nachvollziehen. Die Buchhorn-Verfilmung löst dieses Problem durch einen gängigen Kunstgriff: Die Stimme der Hauptfigur Markus übernimmt als Stimme aus dem Off die Rolle des ezählenden Ichs. (vgl. 4.2.4.1). Theoretisch ist der Film auch in der Lage, durch die Technik der subjektiven Kamera84 ein erlebendes Ich zu erzeugen. Dies geschieht aber im vorliegenden Fall nur vereinzelt. Einige Male wird die subjektive Kamera sogar benutzt, um die Perspektive der Rättin zu simulieren, wie unter 4.2.2.1. veranschaulicht worden ist. Die Erzählerfigur Markus wird meist von einer Außenperspektive gezeigt, wie sie den personalen Erzähler kennzeichnet. Um den Protagonisten mitten im Handlungsablauf darstellen zu können, ist diese Außenperspektive einerseits notwendig, andererseits würde durch eine verstärktere Verwendung der subjektiven Kamera die Ich-Erzählung noch adäquater umgesetzt.

Weitere Kennzeichen einer Ich-Erzählung auf der Filmebene sind nach Hurst85 Groß- und Nahaufnahmen, auch Close Ups genannt, die eine geringere Distanz der Erzählerfigur zum Abgebildeten schaffen sowie gebundene Kamera-führung86, decoupage classique87, Transparenz88, narrative Syntagmen89, die sich allesamt der Handlung unterordnen, und alle paradigmatischen Konnotationen90. Auch diese Techniken sind nur teilweise eingesetzt. Zusammenfassend kann man aber sagen, daßdurch den konsequenten Einsatz der Off-Stimme als Erzähler-Ich die Struktur der Ich-Erzählung insgesamt erhalten bleibt.

5. Resümee: Bewertung der Adaption

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daßes sich bei der Buchhorn-Verfilmung der Rättin im wesentlichen um eine konzeptionelle Interpretation des Ausgangstextes handelt. Diese ist jedoch in ihrem Kernthema dem Transform analog. Dieses Hauptthema, die drohende Selbstvernichtung des Menschen durch einen globalen Atomkrieg, wird dabei ziemlich stringent verfolgt. Die vielen anderen Aspekte der Buchvorlage fließen dabei zwar teilweise mit ein, verlieren aber im Vergleich zum Transform eindeutig an Gewichtung. So werden die vielen anderen Probleme ökologischer, ökonomischer, sozialer und politischer Art zwar thematisiert, doch bei weitem nicht in der Ausführlichkeit des Prosatextes.

Als besonders einschneidend erweist sich das Aussparen von zwei kompletten Handlungssträngen der Vorlage, der Märchenhandlung und der Handlung um Malskat. Mit der ersteren entfällt zum einen ein formaler Aspekt, die Gattung Märchen, zum zweiten die durch das Transponieren in eine Märchenhandlung erst richtig verdeutlichte Kritik an den oben genannten Mißständen. Außerdem werden der Handlung so mehrere intertextuelle Bezüge und Querverweise genommen.

Mit der Selektion der Maslkat-Episode entfällt die gesamte Fünfziger-Jahre-Problematik, welche die Buchvorlage ironisch diskutiert. So wird hier nicht, wie im Prosatext, nach den Ursachen der thematisierten Probleme, vor allem des atomaren Wettrüstens, geforscht, geschweige denn die politische Situation der fünfziger Jahre als Auslöser entlarvt.

Als weitere einschneidende Veränderung der Transformation konnte ein bewußtes Entheben der Handlung aus dem Kontext der achtziger Jahre und des kalten Krieges in die neunziger Jahre festgestellt werden - eine Veränderung deren Grund vermutlich darin liegt, daßeine möglichst große Identifikation des Zuschauers mit der gezeigten Handlung erreicht werden soll. Aus dem gleichen Grund wird der „Große Knall" auch nicht, wie in der Vorlage, als bereits eingetretenes Geschehen abgehandelt, vielmehr wird die Betonung auf eine gegenwärtig real existierende Bedrohung durch einen nuklearen Weltkrieg gelegt, indem eindrucksvoll geschildert wird, wie sich die Handlung langsam darauf zuspitzt. Dieser globale Atomkrieg am Ende des Films ist zugleich absoluter Höhepunkt und Warnung für den Rezipienten. Die utopischen Mutmaßungen des Transfoms, was nach einer solchen globalen Katastrophe passieren könnte, interessieren im Film nur sehr peripher. Der Zuschauer weißschließlich, daßjegliches menschliches Leben ausgelöscht sein wird.

Formal fällt besonders auf, daßder ironische Witz der Schilderungen des Prosatextes, der sich häufig zum beißenden Zynismus steigert, nicht ins Transform übernommen worden ist.

Auf der anderen Seite sind sehr viele Textpassagen der Literaturvorlage wörtlich oder leicht adaptiert transformiert worden, und es wird sogar den lyrischen Passagen Rechnung getragen, indem drei Gedichten zumindest passagenweise übernommen werden. „Abschied nehmen" ist das Thema des Gedichts, dem der meiste Text zufällt (Die Rättin, S. 181). Das Abschiednehmen ist sicherlich Hauptthema sowohl des Transforms als auch der Transformation. Es ist jedoch in der Verfilmung allgemein gehalten und nicht so vielschichtig durchexerziert wie im Transform, beispielsweise wird das spezielle Abschiednehmen von der Literatur ausgespart.

Da aber, wie einleitend festgestellt worden ist, eine absolute Transformation aller Aspekte der Buchvorlage ihrer Komplexität wegen schwerlich möglich ist, ist die Konzentration auf einen Schwerpunkt, wie in der Buchhorn-Verfilmung, durchaus sinnvoll. Das Hauptthema der Rättin, die Möglichkeit eines globalen Atomkriegs, inklusive der Warnfunktion, ist, zugeschnitten auf die Bedürfnisse eines breiteren Fernsehpublikums, gut und konsequent adaptiert. Freilich entfallen so fast alle utopischen und surrealen Aspekte der Vorlage, die mutige persönliche Kritik des Prosatextes - etwa am Papst oder am Bundeskanzler - und ein Beziehungsdreieck wird herangezogen, um einen zusätzlichen Spannungsmultiplikator zu schaffen. Vor dem Hintergrund, die unverfälschte Hauptthematik der Vorlage einem breiteren Rezipientenkreis nahe zu bringen, ist diese Änderung jedoch sicherlich legitim, und das von Grass selbst angesprochene „Stolpern und Straucheln" (vgl. S. 5) ist dabei wohl nur schwer zu vermeiden.

6. Bibliographie

Primärliteratur

Grass, G, Die Rättin (Darmstadt, Neuwied, 1986)

Sekundärliteratur zu Günter Grass Die Rättin

Durzak, Manfred „Es war einmal", Zu Günter Grass: Geschichte auf dem poetischen Prüfstand (Stuttgart, 1985), S. 172

Flügel, Arndt , Mit Wörtern das Ende aufschieben. Konzepualisierung von Erfahrung in der „Rättin" von Günter Grass, Bayreuther Beiträge zur Literaturwissenschaft, Band 15 (Frankfurt am Main, 1995)

Grass, Günter, „Zum Beispiel Calcutta" , Alptraum und Hoffnung: 2 Reden vor dem Club of Rome (Göttingen, 1989)

Gruettner, Mark Martin, Intertextualität und Zeitkritik in Günter Grass'Kopfgeburten" und „Die Rättin", Studien zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Band 6, (Tübingen, 1997)

Hunt, Irmgart, „Zur Ästhetik des Schwebens. Utopieentwurf und Utopieverwurf in Günter Grass' `Die Rättin' ", Monatshefte 81 (Amsterdam, 1989), S. 286-297

Ignée, Wolfgang, „Apokalypse als Ergebnis eines Geschäftsberichts. Günter Grass' Roman Die Rättin (1986)", in Apokalypse, Weltuntergangsvisionen des 20. Jahrhunderts, Hrsg.: Grimm Gunter E. et. al. (Frankfurt, 1986)

Kiefer, Klaus, H., „Günter Grass' „Die Rättin" - Struktur und Rezeption", Orbis Litterarum, Nr. 46 (1991), S. 364-382

Kniesche, Thomas W., Die Genealogie der Post-Apokalypse. Günter Grass' Die Rättin, (Wien, 1991)

Roehm, Klaus-Jürgen, Polyphonie und Improvisation. Zur offenen Form in Günter Grass' „Die Rättin" (Frankfurt am Main, 1992)

Setzwein, Bernhard, „Günter Grass: `Die Rättin' ", in „Kindlers Neues Literaturlexikon", Band 6 (München 1989), S. 802-803

Williams. Gerhild S. „Es war einmal, ist und wird wieder sein: Geschichte und Geschichten in Günter Grass Der Buht", Deutsche Literatur in der Bundesrepublik seit 1965, Hrsg: Lützeler Michael und Schwarz Egon, (Königstein/Ts, 1980), 186

Sekundärliteratur zur Filmanalyse

Albersmeier F.J., „Traditioneller Literaturbegriff oder Literatur im Zeitalter der Medien. Zur Einbeziehung der Medien in literaturwissenschaftliche Theorie und Praxis", in Literatur in Film und Fernsehen; von Shakespeare bis Beckett, Hrsg.: Grabes H. (Königsstein/Ts, 1980)

Arnheim, Rudolf, Film als Kunst, (Frankfurt am Main, 1988)

Balázs, Belá, Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films (Hamburg, 1972)

Beja, M., Film and Literature. An Introduction. (New York, 1979)

Estermann, Alfred, Die Verfilmung literarischer Werke (Bonn, 1965)

Faulstich, Werner, Einführung in die Filmanalyse, 2. Aufl., (Tübingen 1978)

Hienger Jörg, „Verfilmte Literatur, Probleme der Transformation und der Popularisierung", LiLi. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Nr. 36, Vol. 9 (1979), S. 12-30

Hurst, Matthias, Erzählsituationen in Literatur und Film. Ein Modell zur vergleichenden Analyse von literarischen Texten und filmischen Adaptionen (Tübingen 1993)

Kandorfer, Pierre, Lehrbuch der Filmgestaltung (Köln 1978)

Kanzog, Klaus, Einführung in die Filmphilologie, Münchner Beiträge zur Filmphilologie, Band 4, 2. Aufl. (München, 1997)

Kanzog, Klaus, Erzählstrukturen - Filmstrukturen. Erzählungen Henrich von Kleists und ihre filmische Realisation (Berlin 1981)

Kloepfer, Rolf/ Möller, Karl-Dietmar: Narrativität in den Medien (Mannheim, 1986)

Kracauer, S, Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit, Band 3, (Frankfurt am Main, 1973)

Kuchenbuch, Thomas, Filmanalyse (Köln, 1978)

Mundt, Michaela, Transformationsanalyse. Methodologische Probleme der Literaturverfilmung (Tübingen, 1994)

Paech, Joachim, Methodenprobleme der Analyse verfilmter Literatur, 2. überarbeitete Auflage (Münster, 1988)

Pauli, Hansjörg, „Filmmusik: Ein historisch-kritischer Abriß ", in Musik in den Massenmedien Rundfunk und Fernsehen. Perspektiven und Materialien, Hrsg.: Schmidt, Hans Christian. Mainz 1976, S. 91-119

Pudovkin, Vsevolod: Filmskript und Filmregie (Frankfurt am Main,1983) Schachtschabel, Gaby, Der Ambivalenzcharakter der Literaturverfilmung, Europäische Hochschulschriften, Reihe XXX, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Bd. 16 (Frankfurt am Main, 1984)

Schneider, Irmela: Der verwandelte Text. Wege zu einer Theorie der Literaturverfilmung (Tübingen, 1981)

Strautz, Evelyn: Probleme der Literaturverfilmung dargestellt am Beispiel von „James Ivorys A Room With A View" (Alfeld/ Leine, 1996)

Willy, Michael, „Literaturverfilmung - Funktionswandel eines Genres ", Universitas. Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur, Heft 9, Vol. 40 (1985), S. 1015-1027

Wulff, Hans J., „Erzählen in Literatur und Film", Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturtheorie, Heft 6, Vol 36 (1990), S. 1027-1033

Sonstige Sekundärliteratur

Barthes, Roland: Introduction à l'analyse structurale des récits (Paris 1977)

Bremond, Claude: „Die Erzählnachricht" in Literaturwissenschaft und Linguistik, (Frankfurt am Main 1972), Bd. 3

Hoffmann, Christa, „Die justizielle Vergangenheitbewältigung in der Bundesrepublik Deutschland. Tatsachen und Legenden", in Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus, Hrsg.: Backes Uwe et al. (Frankfurt m Main, 1992), S. 503

Overesch, Manfred, Renaissance und Restauration: Bundesdeutsche Wirklichkeiten am Beginn der fünfziger Jahre, in Politische Kultur und deutsche Frage. Materialien zum Staats- und Nationalbewußtsein in der Bundesrepublik Deutschland, Hrsg.: Weidenfeld, Werner (Köln, 1989), S. 41-58

7. Filmographie

Die Rättin

Farbtonfilm Deutschland 1997 Produktion: Telefilm Saar Produzenten: Martin Buchhorn, Joachim Schöneberger Regie: Martin Buchhorn Drehbuch: Renate Fräßdorf Kamera: Klaus Peter Weber, Klaus Henrich, Sascha Christmann, Thibault Reginas Ton: Rudolf von Herlingen, Martin Müller Schnitt: Ulla Bluttner, Carolin Römer Bildtechnik: Olaf Legenbauer, Norbert Götze Szenenbild: Norbert Scherer, Ina Bartenschlager Musik: Christoph Evans Ironside Maske: Christiane Pepenik Licht: Jürgen Schumacher Requisite: Wolfgang Arens, Rolf Köhler, Sabine Richter, Anne Schneider Visual Effects: Filmakademie Baden Würtemberg Darsteller: Matthias Habich (Markus)

Sunnyi Melles (Damroka) Peter Radtke (Oskar) Dieter Laser (Bruno) Helene Grass (Katja) Angelika Bartsch (Steuermännin) Edda Leesch (Meereskundlerin) Carola Regnier (Alte)

Stimme der Rättin: Katharina Thalbach

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 H. Monkenbusch, „Das Stolpern der Ratten", TV-Spilefilm, Nr. 22 (1997), S. 5

2 F. J. Albersmeier, „ Traditioneller Literaturbegriff oder Literatur im Zeitalter der Medien. Zur Einbeziehung der Medien in literaturwissenschaftliche Theorie und Praxis", in Literatur in Film und Fernsehen; von Shakespeare bis Beckett, Hrsg.: H. Grabes (Königsstein/Ts 1980), S. 2

3 S. Kracauer, Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit, Band 3 (Frankfurt/ Main, 1973), S. 313 ff

4 Ebd., S. 18

5 M. Beja, Film and Literature. An Introduction. (New York, 1979), S. 51

6 I. Schneider,: Der verwandelte Text. Wege zu einer Theorie der Literaturverfilmung (Tübingen, 1981)

7 E. Strautz, Probleme der Literaturverfilmung dargestellt am Beispiel von James Ivorys 'A Room With A View' (Alfeld/ Leine, 1996)

8 K. Kanzog, Erzählstrukturen - Filmstrukturen. Erzählungen Henrich von Kleists und ihre filmische Realisation (Berlin, 1981)

9 W. Faulstich, Einführung in die Filmanalyse, 2. Aufl. (Tübingen ,1978)

10 M. Hurst, Erzählsituationen in Literatur und Film. Ein Modell zur vergleichenden Analyse von literarischen Texten und filmischen Adaptionen (Tübingen, 1993)

11 M. Mundt, Transformationsanalyse. Methodologische Probleme der Literaturverfilmung (Tübingen ,1994)

12 R. Kloepfer und K. D. Möller: Narrativität in den Medien (Mannheim 1986), S. 70

13 Ebd., S. 38 ff

14 M. M. Gruettner, Intertextualität und Zeitkritik in Günter Grass' `Kopfgeburten' und `Die Rättin', : Studien zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Band 6 (Tübingen 1997), S. 64

15 W. Ignée, „Apokalypse als Ergebnis eines Geschäftsberichts. Günter Grass' Roman Die Rättin", in: Apokalypse, Weltuntergangsvisionen des 20. Jahrhunderts, Hrsg.: G. E. Grimm et. al. (Frankfurt, 1986), 389 ff

16 B . Setzwein, „Günter Grass: `Die Rättin', in Kindlers Neues Literaturlexikon, Band 6 (München 1999), S. 802-803

17 G. Grass, „Zum Beispiel Calcutta " , Alptraum und Hoffnung: 2 Reden vor dem Club of Rome (Göttingen 1989)

18 B . Setzwein, „Günter Grass: `Die Rättin', in Kindlers Neues Literaturlexikon, Band 6 (München 1999), S. 802-803

19 G. Grass, Die Rättin (Darmstadt/ Neuwied, 1986), S. 156

20 Ebd.; S. 53

21 M. M. Gruettner, S. 74 ff

22 Ebd.; S. 74 f

23 C. Bremond, „Die Erzählnachricht ", Literaturwissenschaft und Linguistik, Bd. 3 (Frankfurt a. Main, 1972), S. 180f

24 R. Barthes,: „Introduction à l'analyse structurale des récits", Poetique du récit, Hrsg.: R. Barthes et al. (Paris 1977), S. 7 ff

25 vgl. Mundt, S. 75 ff

26 vgl. Mundt, S. 82

27 sämtliche Seitenangaben in Tabelle 1 beziehen sich auf: G. Grass, Die Rättin (Darmstadt, Neuwied, 1986)

28 = Handlungssegment

29 vgl. Faulstich, S. 9 ff

30 vgl. Kuchenbuch, Thomas, Filmanalyse (Köln, 1978), S. 41

31 vgl. Mundt, S. 108 f

32 Quelle: Uli Armgart, Gärtnermmeisterin der Firma Natur Pur, Unterschleißheim

33 vgl. Gruettner, S. 115 ff

34 Ebd., S. 71 f

35 Ebd., S. 65

36 Ebd., S. 117 ff

37 vgl. Gruettner, S. 117 f

38 vgl. M. Durzak, „ Es war einmal", Zu Günter Grass: Geschichte auf dem poetischen Prüfstand (Stuttgart, 1985), S. 172

39 vgl. Gruettner, S. 93

40 vgl. Ignée, S. 399

41 vgl. C. Hoffmann, Die justizielle Vergangenheitbewältigung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 503

42 vgl. A. Flügel: Mit Wörtern das Ende aufschieben, Konzeptualisierung in der „Rättin" von Günter Grass, Bayreuther Beiträge Literaturwissenschaft, Band 15, (Frankfurt 1995), S. 206f

43 vgl. C. Hoffmann, S. 510 f

44 Manfred Overesch, „Renaissance und Restauration: Bundesdeutsche Wirklichkeiten am Beginn der fünfziger Jahre", in: Politische Kultur und deutsche Frage. Materialien zum Staats- und Nationalbewußtsein in der Bundesrepublik Deutschland, Hrsg.: Weinenfeld, Werner (Köln, 1989) S. 54

45 vgl. Mundt, S. 41 ff

46 sämtliche Seitenangaben in Tabelle 2 beziehen sich auf: G. Grass, Die Rättin (Darmstadt/ Neuwied, S. 1986)

47 Ebd., S. 88 ff

48 Ebd. S. 89

49 Ebd., S. 89

50 Ebd., S.90

51 Ebd., S.90

52 Ebd., S. 90 f

53 vgl. Hickethier, S. 122

54 vgl. Hickethier, S. 117 ff

55 sämtliche Seitenangaben in Tabelle 1 beziehen sich auf: G. Grass, Die Rättin (Darmstadt, Neuwied, 1986)

56 Die Wissenschaftler Watson und Crick entschlüsselten erstmals die DNS-Struktur (Die Rättin, S. 405)

57 vgl. Mundt, S. 155 f

58 vgl. Hickethier, S. 72

59 vgl. B. Balázs, Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films (Hamburg, 1972), S. 98

60 Ebd.; S. 78

61 vgl. P. Kandorfer, Lehrbuch der Filmgestaltung (Köln 1978), S. 286 f

62 vgl. Kracauer, S. 165 ff

63 vgl. Mundt, S. 199

64 H. Pauli, Filmmusik: „Ein historisch-kritischer Abriß", in: Musik in den Massenmedien Rundfunk und Fernsehen. Perspektiven und Materialien, Hrsg.: H. C. Schmidt (Mainz 1976), S. 91-119

65 vgl. Hickethier, S. 93 f

66 vgl. Hickethier, S. 56

67 Ebd.; S. 37

68 vgl. Hickethier, S. 58 ff

69 entspricht der extremen Totale. Eine Figur ist z. B. inmitten ihres größeren räumlichen Umfelds zu sehen

70 entspricht der Totale. Eine Figur ist z. B. inmitten ihres engeren räumlichen Umfelds zu sehen

71 entspricht einer mittleren Einstellung. Eine Figur ist. z. B. von Kopf bis Fußzusehen

72 entspricht einer halbnahen Einstellung. Eine Figur ist z. B. ab Oberkörper aufwärts zu sehen

73 entspricht einer nahen Einstellung. Von einer Figur ist z. B. nur der Kopf zu sehen

74 entspricht einer Detailaufnahme. Von einer Figur sind z. B. nur noch die Augen zu sehen.

75 V. Pudovkin, Filmskript und Filmregie, (Frankfurt, 1983), S. 330

76 Web-Page der Rhein-Zeitung (http://rhein-zeitung.de), „Die Rättin. Nagetiere vor der Kamera"

77 Die unterstrichenen Passagen wurden wörtlich aus dem Transform übernommen. In eckigen Klammern stehen die vorgenommenen Änderungen, Umstellungen sind durch Numerierung der Passagen kenntlich gemacht.

78 Die unverändert aus dem Transform übernommenen Passagen sind unterstrichen

79 Ebd., S. 13-58

80 R. Arnheim, Film als Kunst (Frankfurt am Main, 1988), S. 23 ff

81 Ebd.; S. 13 ff

82 Ebd.; S. 133 ff

83 Ebd.; S. 42 ff

84 Kameraeinstellung und -bewegung suggerieren die Perspektive einer fiktiven Person

85 Ebd.; 153

86 die Kamera ordnet sich ganz den abzubildenden Personen, Gegenständen und Ereignissen unter, bindet sich gleichsam an sie, wodurch Nähe und Teilnahme am Geschehen simuliert werden sollen.

87 Die Decoupage Classique gilt als der klassische Hollywood-Schnitt, der die einzelnen Einstellungen unauffällig und flüssig aneinanderreiht.

88 Eine Gestaltungstechnik, die durch unauffälligen Schnitt und bewußt inszenierte Montage die Aufmerksamkeit des Rezipienten ganz auf die dargestellte Handlung lenkt

89 im Gegensatz zu den rhetorisch-stlistischen Syntagmen gehören dazu alle kinematographischen Erzählformen, die dem standardisierten Repertoire zuzurechnen sind und sich durch ein fließendes Weiterführen der Handlung auszeichnen

90 Paradigmatische Konnotationen sind alle Techniken, die dem Rezipienten vermitteln, daßsie die Sichtweise eines Protagonisten darstellen, wie z. B. subjektive Kamera

Ende der Leseprobe aus 94 Seiten

Details

Titel
Günter Grass Prosawerk "Die Rättin" und die gleichnamige Verfilmung von Martin Buchhorn
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Autor
Jahr
2000
Seiten
94
Katalognummer
V94745
ISBN (eBook)
9783638074254
Dateigröße
941 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Günter, Grass, Prosawerk, Rättin, Verfilmung, Martin, Buchhorn
Arbeit zitieren
Barbara Schauer (Autor:in), 2000, Günter Grass Prosawerk "Die Rättin" und die gleichnamige Verfilmung von Martin Buchhorn, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94745

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