In dieser Einsendeaufgabe werden Risikofaktoren diskutiert, die das Auftreten psychischer Krankheiten begünstigen, sowie Schutzfaktoren, die das Auftreten vermeiden können.
Faktoren, die das Auftreten einer psychischen Störung wahrscheinlicher machen, gibt es zahlreiche. Ebenso sind schützende Faktoren vorhanden, welche das Auftreten einer psychischen Störung unwahrscheinlicher machen. Vorweg soll bereits erwähnt werden, dass nicht jeder Mensch, der Risikofaktoren ausgesetzt ist, auch eine psychische Störung erleiden wird. Andersherum ist eine Person, die über viele Schutzfaktoren verfügt, nicht vor einer psychischen Störung gewappnet. Diese Tatsache gilt über Kulturen hinweg.
Ein wesentlicher Risikofaktor, der im Grunde nicht beeinflussbar ist, stellt die genetische Disposition dar. Deutlich wird diese Feststellung bei Studien mit eineiigen und zweieiigen Zwillingen. Es ist erwiesen, dass bei eineiigen Zwillingen häufiger beide Geschwister bspw. an Schizophrenie oder einer bipolaren Störung erkranken, als dies bei zweieiigen Zwillingen der Fall ist. Nichtsdestotrotz muss eine Krankheit wegen einer solchen genetischen Disposition nicht zwingend zum Ausbruch kommen. Es gibt kein Gen, das für eine bestimmte psychische Störung codiert.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Risiko und Schutzfaktoren für die Entstehung psychischer Krankheiten
2 Soziale Unterstützung und dysfunktionale Kognition im Kontext psychischer Störungen
2.1 Soziale Unterstützung
2.2 Dysfunktionale Kognition
3 Der diagnostische Prozess anhand eines Beispiels
3.1 Bericht des Patienten
3.2 Beschreibung der Symptome und klassifikatorische Diagnose
3.3 Therapieplan
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
bspw. beispielsweise
bzw. beziehungsweise
d. h. das heißt
DIPS Diagnostisches Interview für psychische Störungen
DSM-IV Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (4. Fassung)
et al. lat. = et alii, dt. = und andere
ICD-10 International Statistical Classification of Diseases and Related
Health Problems (10. Fassung)
i. d. R. in der Regel
PTBS Posttraumatische Belastungsstörung
PTSD engl. posttraumatic stress disorder
S. Seite
SKID Strukturierte Klinische Interview
z. B. zum Beispiel
zit. nach zitiert nach
1 Risiko und Schutzfaktoren für die Entstehung psychischer Krankheiten
Faktoren, die das Auftreten einer psychischen Störung wahrscheinlicher machen, gibt es zahlreiche. Ebenso sind schützende Faktoren vorhanden, welche das Auftreten einer psychischen Störung unwahrscheinlicher machen. Vorweg soll bereits erwähnt werden, dass nicht jeder Mensch, der Risikofaktoren ausgesetzt ist, auch eine psychische Störung erleiden wird. Andersherum ist eine Person, die über viele Schutzfaktoren verfügt, nicht vor einer psychischen Störung gewappnet. Diese Tatsache gilt über Kulturen hinweg (Caspar/Pjanic/Westermann, 2018, S. 3; Berking, 2012, S. 23).
Ein wesentlicher Risikofaktor, der im Grunde nicht beeinflussbar ist, stellt die genetische Disposition dar. Deutlich wird diese Feststellung bei Studien mit eineiigen und zweieiigen Zwillingen. Es ist erwiesen, dass bei eineiigen Zwillingen häufiger beide Geschwister bspw. an Schizophrenie oder einer bipolaren Störung erkranken, als dies bei zweieiigen Zwillingen der Fall ist (Berking, 2012, S. 21). Nichtsdestotrotz muss eine Krankheit wegen einer solchen genetischen Disposition nicht zwingend zum Ausbruch kommen. Es gibt kein Gen, das für eine bestimmte psychische Störung codiert (Berking, 2012, S. 21). Entscheidend dafür, ob sich eine psychische Störung entwickelt, ist das Zusammenspiel einer Reihe von Genen mit individuellen Umwelterfahrungen einer Person sowie deren physischen Veränderungen (Berking, 2012, S. 21). Des Weiteren wiegt die genetische Komponente nicht für jede Krankheit gleich schwer.
Konkordanzraten bei eineiigen Zwillingen für Schizophrenie und bipolare Störungen sind signifikant erhöht, wohingegen im Zusammenhang mit Depression dieser Wert sinkt (Berking, 2012, S. 21). Es gibt genetische Dispositionen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eine psychische Störung zu bekommen. Sie müssen jedoch allein wegen ihres „Vorhandenseins“ nicht zum Tragen kommen.
Ein anderer Risikofaktor sind die prä- und perinatalen Schädigungen. Zu ihnen zählen bspw. die Hypoglykämie (Unterversorgung mit Blutzucker) durch eine Stoffwechselerkrankung der Mutter oder schädliche Substanzen, wie Alkohol oder Nikotin die die Mutter während der Schwangerschaft konsumiert hat. Außerdem gehören Frühgeburt und Schädel-Hirntraumata zu den perinatalen äußeren Risikofaktoren. Je nach Schweregrad und Ausprägung der Schädigung variieren die Folgen. Mögliche Symptome sind z. B. Demenzen, Lähmungen, Gedächtnisstörungen oder intellektuelle und sprachliche Beeinträchtigungen (Berking, 2012, S. 22). Bedeutungsschwer innerhalb der Kategorie von prä- und perinatalen Schädigungen sind die Folgen, die die genannten Handicaps mit sich bringen. Leidet ein Patient aufgrund einer pränatalen Schädigung an einer organischen Erkrankung, so können ein niedriger Bildungsabschluss (bspw. wegen ADHS) und im Zuge dessen Arbeitslosigkeit die Folge sein. Patienten mit solchen Beeinträchtigungen sind einem erhöhten Stress ausgesetzt. Ihr „Bewältigungsrepertoire“ für Disbalancen ist häufig schnell erschöpft und es kommt zur Überlastung. Das Selbstwertgefühl ist beeinträchtigt und das Risiko, an einer psychischen Störung zu leiden, steigt (Berking, 2012, S. 22).
Am Beispiel der Depression wird deutlich, dass das Geschlecht einen Risiko- bzw. Schutzfaktor darstellt. Z. B. leiden Frauen häufiger an einer Depression, Angststörung oder somatoformen Störung als Männer (Caspar et al., 2018, S. 59). Andersherum kommt es bei Männern häufiger zu Missbrauch psychotroper Substanzen wie Cannabis, Amphetaminen oder Kokain (Caspar, 2018, S. 104). Auch bei Kindern und Jugendlichen lässt das Geschlecht Tendenzen erkennen: Jungs weisen zwischen drei und vierzehn Jahren eine signifikant höhere Prävalenz für psychische Auffälligkeiten auf als Mädchen (Klipker/Baumgarten/Göbel/Lampert/Hölling 2018, S. 39).
Je nach psychischer Störung kann das Alter der Person eine Rolle spielen. Zahlreiche „Erstmanifestationen“ (Berking, 2012, S. 22), also das erstmalige Auftreten einer Krankheit, lassen sich im mittleren Erwachsenenalter feststellen. Auch eine „zweigipflige Verteilung“ (Berking, 2012, S. 22) wie bei bipolaren affektiven Störungen ist beobachtbar. Borderline-Persönlichkeitsstörungen und Opiatabhängigkeit werden mit zunehmendem Alter etwas unwahrscheinlicher.
Einen großen Raum im Zusammenhang mit Risiko- und Schutzfaktoren nimmt die Persönlichkeit einer Person ein. Berking (2012, S. 22) gibt an, dass hoher Neurotizismus, Introversion, Sensation- / Novelty-Seeking und ein geringes Selbstwertgefühl neben der „Experiental Avoidance“ Risikofaktoren für die Entwicklung einer psychischen Störung darstellen. Auffallend ist, dass hinter jedem dieser Fachbegriffe eine starke Ausprägung eines bestimmten Persönlichkeitsmerkmals steht. So ist ein neurotischer Mensch schnell ängstlich, leicht reizbar und „zeigt bereits bei geringer Stimulation ausgeprägtere, emotional getönte autonome Reaktionen“ (Fiedler, 2012, S. 113). Anders verhält es sich bei dem „Sensation-Seeking“, wenn Menschen besonders viel Abwechslung und Aufregung suchen. Sie verfügen über eine hohe Neugier und benötigen intensive und neuartige Stimulation, um sich wohlzufühlen (Herzberg/Roth, 2014, S. 31, 154). Unter „Novelty-Seeking“ versteht man entsprechend das Gegenteil.
Besonderen Raum nimmt das „Experiential Avoidance“ (Hayes et al. 2004 zit. nach Berking, 2012, S. 22) ein. Dabei geht es um das Bestreben von Menschen, die Konfrontation mit inneren, möglicherweise unangenehmen Gefühlen, Gedanken oder Erinnerungen zu vermeiden. Solche Personen sind mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, eine psychische Störung zu bekommen, konfrontiert.
Als weiteren Risikofaktor nennt Berking (2012, S. 23) die Komorbidität. Darunter versteht man die Tatsache, dass infolge einer Erkrankung die Wahrscheinlichkeit eine weitere psychische Störung zu bekommen, steigt. Beispiel hierfür ist die Angststörung, unter der häufig ein Vermeidungsverhalten zu beobachten ist. Infolgedessen wird der Verstärkerverlust1 größer und die Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken, höher. Die Dynamik kann ebenso mit einer Depression beginnen, wodurch die Zuversicht, Herausforderungen meistern zu können, sinkt. Folglich werden schwierigere Situationen gemieden und es resultiert eine Angstentwicklung. Insbesondere die Depression weist eine hohe Komorbidität mit anderen Störungen auf (75-90%). So geht die Depression häufig in Kombination mit Angststörungen, Zwängen, PTBS, Essstörungen, Substanzabhängigkeiten, Schlafstörungen, hirnorganischen Störungen, Demenzerkrankungen und Persönlichkeitsstörungen einher (Schauenburger/Zimmer, 2012, S. 371).
Auch eine zeitlich zurückliegende psychische Erkrankung lässt das Risiko einer erneuten Erkrankung wesentlich steigen (Berking, 2012, S. 23). So führen Caspar et al. (2018, S. 58) an, dass das Risiko, nach einer depressiven Episode abermals von einer weiteren Episode betroffen zu sein, um 50% steigt.
Wichtigste Erkenntnis, die Betroffene gewinnen können, ist, aus einer bewältigten Krise Schutzfaktoren zu entwickeln. Das Durchleben der Krankheit kann so in einen „Kompetenzerwerb“ (Berking, 2012, S. 23) münden. Wenn die Bewältigungsressourcen gestärkt sind, sind Patienten in der Lage, einer weiteren Episode zuversichtlicher zu begegnen.
Einen etwas geringeren Stellenwert nimmt bislang die Kultur als Risikofaktor ein. Wie eingangs bereits erwähnt, kennen psychische Störungen keine kulturellen Grenzen (Caspar et al., 2018, S. 3). Berking (2012, S. 23) empfiehlt ausdrücklich, Studien aus unterschiedlichen Kulturkreisen nicht ohne kritischen Blick zu vergleichen. Es ist anzunehmen, dass bspw. Normen, Familienstrukturen oder psychosoziale Versorgungssysteme einer Kultur im Zusammenspiel mit weiteren Aspekten als Risiko- oder Schutzfaktor fungieren können. Wie diese detaillierter aussehen, bleibt unklar. Eine exponierte Rolle nehmen laut Berking (2012, S. 23) die Immigranten ein. Diese Personengruppe weist ein signifikant erhöhtes Risiko für psychische Störungen auf. Äußerst kritisch sollte hier jedoch hinterfragt werden, ob das erhöhte Risiko tatsächlich etwas mit der Kultur dieser Menschen zu tun hat oder mit ihren Erlebnissen, die sie mit der Form ihrer Immigration (häufig Flucht aufgrund von Krieg) verbinden.
Zuletzt soll auf einen der komplexesten und wichtigsten Risiko- bzw. Schutzfaktoren eingegangen werden: Der sozioökonomische Status. Er definiert sich durch soziale (bspw. Schulabschluss), ökonomische (bspw. Einkommen) und berufliche (bspw. aktueller Job) Komponenten (Berking, 2012, S. 23). Mittlerweile haben zahlreiche Studien gezeigt, dass ein niedriger sozioökonomischer Status das Risiko, eine psychische Störung zu bekommen, wesentlich erhöht. Die bereits erwähnte Studie von Klipker et al. (2018, S. 39-40) bestätigt diese Tatsache erneut. So stellten die Wissenschaftler fest, dass fast jedes vierte Mädchen und jeder dritte Junge einer Familie mit niedrigerem sozioökonomischem Status psychisch auffällig wurde. Von Familien aus wohlhabenderen und bildungsnahen Familien wird etwa nur jedes fünfzehnte Mädchen und jeder achte Junge psychisch auffällig (Klipker, 2018, S. 40). Ebenso stellen (Hehlmann/Schaan/Rubel, 2018, S. 235-236) in einer Studie fest, dass Frauen mit niedrigem Bildungsniveau und geringem Einkommen häufiger eine postpartale Depression erleiden als Gebärende mit besserer Bildung und höherem Einkommen. Weitere Faktoren sind einem Artikel von Häfner/Franz/Lieberz/Schepank (2001, S. 343-346) zu entnehmen. Sie geben aus einer Studie von Breier et al. (1988) wieder, dass Kinder, die einen frühen Elternverlust erleiden, nicht unbedingt wegen dieses Verlusts psychische Störungen entwickeln. Maßgeblich ist „die Qualität des häuslichen Milieus“ (Breier et al. 1998, In: Häfner et al. 2001, S. 245). Entscheidend ist, ob Kinder und Jugendliche nach einem Elternverlust eine Bezugsperson haben. Ist eine solche Vertrauensperson vorhanden, können sich selbst Kinder mit psychosozialen Traumatisierungen zu gesunden Erwachsenen entwickeln (Häfner et al. 2001, S. 345). Wie wichtig eine vertrauensvolle Beziehung ist, lässt sich auch aus einer Studie von Kubick et al. (1995; In: Häfner et al. 2001, S. 345) entnehmen. Unerwünschte Kinder, die häufig Ablehnung erfahren oder vernachlässigt werden, begehen häufiger kriminelle Straftaten, sind mit ihrem Beruf unzufrieden und erleben konfliktreiche Partnerschaften.
Angesichts der zahlreichen Risikofaktoren wird die Relevanz von Schutzfaktoren deutlich. Wie zuletzt schon angeklungen, spielt die Beziehung zu Bezugspersonen eine wesentliche Rolle. Für Kinder und Personen bis etwa zum 20. Lebensjahr sind eine primäre Vertrauensperson und ein stabiles soziales Umfeld entscheidend (Werner/Smith 1992; In: Häfner et al. 2001, S. 403). Wichtig ist außerdem, wie innerhalb der Familie mit Herausforderungen umgegangen wird. Deutlich haben das die „Oakland Growth Study“ und die „Berkeley Guidance Study“ veranschaulicht. Diese Studien untersuchten Kinder und Jugendliche aus Familien, die von der Wirtschaftskrise im Jahr 1929 und deren Folgen betroffen waren. Als relevant für eine gesunde Entwicklung der jungen Menschen zeigten sich die Merkmale der Familienmitglieder vor der Krise, das Verhalten während der Krise und das Verhalten des Vaters (Häfner et al. 2001, S. 404). Eltern leben ihren Kindern vor, ob konstruktiv mit schwierigen Lebenssituationen umgegangen wird oder nicht. Besonders eindringlich sind die Ergebnisse der „Kauai-Studie“ (Werner/Smith, 1992; In: Häfner et al., 2001, S. 404). Zusammenfassend stellten die Wissenschaftler fest, dass selbst Kinder, die vielen Risikofaktoren ausgesetzt waren, mithilfe von „turning points“ ein geregeltes Erwachsenenleben erreichen können. Solche Effekte sind z. B. Heirat oder eine andauernde Beziehung, die Geburt des ersten Kindes, gute Einbindung in das Arbeitsleben oder zusätzliche Bildung (Häfner et al., 2001, S. 404).
Als bedeutungsschwer erweisen sich „Coping-Strategien“, d. h. die Fähigkeit einer Person mit Herausforderungen umzugehen. Im Zusammenhang damit steht die Resilienzforschung. Themenschwerpunkt dabei ist, worüber Menschen verfügen müssen, um trotz widriger Umstände keine psychische Störung davonzutragen und wie solche Eigenschaften und Fähigkeiten erlernt oder unterstützt werden können. Menschen, die über ein ganzes Repertoire an Bewältigungsstrategien verfügen, also personalen und internalen Ressourcen, sind weniger gefährdet, eine psychische Störung zu erleiden (Häfner et al., 2001, S. 404).
2 Soziale Unterstützung und dysfunktionale Kognition im Kontext psychischer Störungen
2.1 Soziale Unterstützung
Wie bereits in der letzten Aufgabe angesprochen, tragen zwischenmenschliche Bindungen erheblich zum Wohlbefinden bei und dienen als Schutzfaktoren vor psychischen Störungen. Grundsätzlich wird unter sozialer Unterstützung verstanden, dass ein Unterstützungsempfänger während Belastungen von einem Unterstützungsgeber Hilfsangebote erhält (Kienle/Knoll/Renneberg, 2006, S. 108). Die Art der Unterstützung kann variieren: Die „informationelle Unterstützung“ ist die Mitteilung eines nützlichen Rates oder hilfreicher Informationen. Die praktische Hilfe wird als „instrumentelle Hilfe“ bezeichnet und meint konkrete Ausführungen, bspw. Erledigungen aber auch das Bereitstellen finanzieller Mittel. Die dritte Art ist die „emotionale Unterstützung“, worunter Mitgefühl, Trost, Wärme und Zuspruch gemeint sind (Kienle, 2006, S. 108).
Das Ziel von sozialer Unterstützung ist nach Knoll und Schwarzer (2005, S. 334), einen schwierigen Lebensumstand zu verändern, Leid zu verringern oder wenigstens erträglicher zu machen.
Wichtige Erkenntnisse hat Hobfoll in Form seiner Theorie zur Ressourcenerhaltung (2001, zit. nach Kienle, 2006, S. 108) festgehalten: Soziale Unterstützung versteht der Amerikaner als externale Ressource. Nicht die Menge an Ressourcen ist entscheidend, sondern wie effektiv sie auf herausfordernde Umweltbedingungen anwendbar sind. Folglich muss soziale Unterstützung auf die Situation des Hilfeempfängers individuell angepasst sein.
Ein wesentlicher Unterschied kann zwischen der „erhaltenen Unterstützung“ und der „wahrgenommenen Unterstützung“ auftreten. Wie eine Person die erhaltene Unterstützung bewertet, ist nur nachträglich eruierbar. Der Begriff der wahrgenommenen Unterstützung ist zudem etwas irreführend, denn er meint die Unterstützung, die eine Person zukünftig erwartet, wenn sie Hilfe benötigt, und nicht die, die jemand aktuell erfährt (Kienle et al., 2006, S. 109). Das Empfinden einer Person über die erhaltene Unterstützung und die von der Umwelt geleistete oder angebotene Unterstützung können voneinander abweichen.
Im Zusammenhang von sozialer Unterstützung und Gesundheit wird v. a. untersucht, welchen Einfluss die soziale Unterstützung auf Stress und dessen physische und psychische Folgen haben.
Die Stress-Symptomatik wird in drei Ebenen unterteilt: Die affektive Ebene, die kognitive Ebene und die somatische Ebene (Kienle et al., 2006, S. 114).
Als Grundannahme gilt, dass Stress dann eintritt, wenn die Anforderungen von Situationen und der Umwelt mit den verfügbaren Bewältigungsressourcen einer Person nicht ausreichend ausgeglichen werden können. Folgen der Dysbalance sind häufig, Angst, Ärger oder Trauer (Hobfoll, 1989, zit. nach Kienle et al., 2006, S. 114). Als logische Konsequenz dieser Tatsache lässt sich vermuten, dass mehr Ressourcen bzw. im hiesigen Kontext eine hohe soziale Unterstützung auch einen höheren Schutz vor Stress darstellen. Hintergrund ist die Annahme, dass die Verfügbarkeit von Unterstützung physiologische und/oder psychologische Prozesse im Körper stimuliert, die die Schutzbarriere vor Erkrankungen und psychischen Störung erhöhen (Kienle et al., 2006, S. 114).
Mithilfe des „Haupteffektmodells der sozialen Unterstützung“ wird dieser Effekt beschrieben (Kienle et al., 2006, S. 114-115). Das Modell geht davon aus, dass sich allein das Wissen einer Person, ihr stünde Hilfe zur Verfügung, sofern sie benötigt würde, entlastend und somit der Gesundheit zuträglich auswirkt. Hier wird besonders die vorbeugende Funktion wahrgenommener Unterstützung deutlich.
Das „Moderatormodell“ (auch: Pufferhypothese) kommt erst dann zum Tragen, wenn bereits ein Stressor vorliegt. Anders als bei dem Haupteffektmodell geht es nicht um die potentiell verfügbare Unterstützung, sondern die tatsächlich erhaltene soziale Unterstützung. Obwohl bei diesem Modell die Annahme nahe liegt, dass konkret erhaltene Hilfe während einer Stressphase Erleichterung bringt, lässt sich dies nicht generalisieren. Revenson et al. (1991, zit. nach Kienle et al., 2006, S. 116) konnten feststellen, dass soziale Unterstützung einen Stressprozess auch negativ beeinflussen kann. Eine Möglichkeit für diese Beobachtung ist, dass sich die Hilfeempfänger in der Schuld der Hilfegeber sehen und sich dadurch das Stressgefühl sogar noch erhöht.
Für manche Menschen ist die Tatsache, Hilfe zu benötigen, vergleichbar mit einer Niederlage, weshalb ihr Selbstwert sinkt und auch dann soziale Unterstützung nicht den Effekt hat, der eigentlich erzielt werden sollte.
Zuletzt folgt das „Mediatormodell“. Darunter werden gesundheitsrelevante Verhaltensweisen als Vermittler zwischen sozialer Unterstützung und Gesundheit verstanden (Kienle et al., 2006, S. 116). Sehr deutlich wird dies im Zusammenhang mit einer Rauch- oder Alkoholentwöhnung. Unterschiedlichen Studien (bspw. Bond et al. 2003, Burkert et al. 2005, Lippke 2004; In: Kienle et al. 2006, S. 116) haben gezeigt, dass die Unterstützung von Mitgliedern eines sozialen Netzes positiven Einfluss darauf hatte, dass die Betroffenen weniger rauchten und tranken. Ein solches Netzwerk kann konkrete Hilfestellung und Beistand bei Entzugssymptomen leisten. Eine weitere Mediatoraufgabe kann ein soziales Netzwerk dann haben, wenn es bspw. dazu animiert, sportlich aktiv zu bleiben. Schwarzer (2004; In: Kienle et al. 2006, S. 117) merkt an, dass der Funktion eines sozialen Netzwerks keinesfalls eine „Schlüsselrolle“ zugesprochen werden darf. Nichtsdestotrotz erleichtert ein soziales Netzwerk den Rückgriff auf soziale Unterstützung, wenn sie benötigt wird. Billings et al. (1983, zit. nach Davison/Neale/Hautzinger, 2007, S. 323) stellte fest, dass ein Mangel an sozialer Unterstützung die Wahrscheinlichkeit, an einer Despression zu erkranken, erhöht.
Eine Studie von Vernberg et al. (1996, zit. nach Davison et al., 2007, S. 193) zeigte bspw., dass soziale Unterstützung das Risiko eine PTSD zu entwickeln, verringern kann. So erkrankten Kinder, die Opfer eines Wirbelsturms geworden waren, seltener an einer PTSD, wenn sie auf ein hohes Maß an sozialer Unterstützung zurückgreifen konnten.
2.2 Dysfunktionale Kognition
Die Kognition umfasst Prozesse der Wahrnehmung, des Erinnerns und des Vorstellens, somit geistige Prozesse wie Denken, Urteilen, Begreifen und Planen (Kring/Johnson/Hautzinger, 2019, S. 588). Diese Prozesse können gestört sein, sodass daraus eine dysfunktionale Kognition resultiert. Margraf und Schneider (2009, S. 694) beschreiben die dysfunktionale Kognition als „eine die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden beeinträchtigende Kognition“. Sie ist im Kontext mit mehreren psychischen Störungen zu beobachten, v. a. bei Depression, Schizophrenie und psychischen Störungen im Zusammenhang mit Hirnerkrankungen.
Einen maßgeblichen Vorstoß bezüglich der Auswirkungen dysfunktionaler Kognition auf die Gesundheit hat bereits in den 1950er Jahren Albert Ellis geleistet (Radkovsky/Berking, 2012, S. 35). Aus den Erkenntnissen des amerikanischen Psychologen ging die heutige „Rational-emotive Verhaltenstherapie“ hervor. Ihr liegt zugrunde, dass eine psychische Störung ihren Ursprung in einer „verzerrten Wahrnehmung, unlogischen Annahmen oder falschen Interpretationen“ haben (Reinecker, 2012, S. 234).
Beispielhafte Gedanken sind: „Ich muss perfekt sein“ oder „Ich bin ein Versager“. Hinter solchen Aussagen stehen relativ extreme Denkmuster, wie fehlerfrei sein zu müssen, undifferenzierte Verallgemeinerungen (bspw. „Ich habe immer schlechte Noten“), Katstrophengedanken (bspw.: „Wenn ich in dieser Prüfung keine gute Note schreibe, wird mein ganzer Studienschnitt schlecht“) und eine niedrige Frustrationstoleranz. Ziel der „Rational-emotive(n)-Verhaltenstherapie“ ist es, mittels einer sog. A-B-C-Analyse2 die „dysfunktionalen Überzeugungen“ der Patienten zu ändern. Statt der Übertreibungen und Generalisierungen sollen Rationalität und eine realistische Einschätzung die Patienten befähigen, konstruktiver mit Herausforderungen umzugehen. In der Gegenwart gilt die „Rational-emotive Verhaltenstherapie“ als wirksames Therapieverfahren (Radkovsky/Berking, 2012, S. 37).
Um die Behandlung von Depressionen machte sich Aaron T. Beck in den 1960er Jahren verdient und formulierte die „Kognitive Therapie der Depression“. Depressive Menschen zeichnen sich durch ein negatives Selbstbild sowie pessimistische Gegenwarts- und Zukunftsansichten aus. Diese drei Komponenten bezeichnete Beck als „Kognitive Triade“. Der Grund für die „maladaptive Informationsverarbeitung“ ist eine „negativ verzerrte Sicht der Realität“ (Radkovsky/Berking, 2012, S. 37). Die Folge der Denkfehler ist die Entwicklung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen. Solchen Denkfehlern liegen meist „negative Schemata“ (Radkovsky/Berking, 2012, S. 37) zugrunde und entstehen bereits in der frühen Sozialisationsphase. Oftmals zeigen die negativen Schemata nicht sofort ihre destabilisierende Wirkung, sondern erst in Belastungssituationen. Die Aufrechterhaltung der „Negativ-Spirale“ funktioniert nahezu von selbst. So wird z. B. ein Student, der glaubt, er sei nicht besonders intelligent, eine schlechte Note auf seine mangelnde Intelligenz zurückführen und nicht darauf, dass die Klausur sehr schwer war oder er einfach nicht gut vorbereitet war. Negative Ergebnisse, Ursachen und Geschehnisse werden mit der Inkompetenz der eigenen Person begründet, sodass sich die anfängliche Behauptung, man sei nicht besonders intelligent, bestätigt. Ein sogenannter „Teufelskreis“ ist entstanden und sehr prekär: Durch die ständige Bestätigung im Scheitern wird er aufrechterhalten.
[...]
1 Die Verstärker-Verlust-Theorie geht auf Lewinsohn zurück (Rothgangel/Schüler, 2004, S. 88). Darunter versteht man, dass ein Defizit an positiver Verstärkung im Alltag eine Depression auslösen kann.
2 A = Activating event, d. h. äußere Ereignis; B = belief system, d. h. rationale bzw. irrationale Meinungen zu A; C = consequences, d. h. Reaktion auf A, bspw. Trauer od. Wut (Reinecker, 2012, S. 234).
- Arbeit zitieren
- Katharina Gross (Autor:in), 2020, Risiko- und Schutzfaktoren für die Entstehung psychischer Krankheiten. Soziale Unterstützung und dysfunktionale Kognition, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/948311
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