Was geschieht, wenn ein rastloser Geist, getrieben von unstillbarer Neugier, die Grenzen der Kunst neu definiert? Tauchen Sie ein in die faszinierende Welt von Sigmar Polke, einem der bedeutendsten und vielseitigsten Künstler der Gegenwart. Diese umfassende Analyse seiner frühen Schaffensperiode (1962-1971) enthüllt die Wurzeln seines innovativen Stils, der sich zwischen Pop-Art, Dada und Fluxus bewegt und dabei stets eine eigene, unverkennbare Sprache findet. Erleben Sie, wie Polke mit Alltagsgegenständen, Dekorstoffen und Rasterbildern experimentiert, um das deutsche Spießertum zu dekonstruieren, die Bedeutung von Bildern im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit zu hinterfragen und durch ironische Parodien neue Perspektiven auf vertraute Motive zu eröffnen. Doch Polkes künstlerischer Drang kennt keine Grenzen. Begeben Sie sich auf eine fesselnde Reise mit dem Künstler, der in den 1970er Jahren die Welt erkundet – von Paris und New York bis hin zu den entlegenen Kulturen Afghanistans, Pakistans, Sao Paulos und schließlich Indonesiens, Papua-Neuguineas und Australiens. Entdecken Sie, wie diese exotischen Erfahrungen sein Werk nachhaltig prägen, ihn zur Fotografie als künstlerischem Ausdrucksmittel führen und sein Interesse an den Ursprüngen der Farbe und den alchemistischen Eigenschaften verschiedenster Materialien entfachen. Verfolgen Sie, wie Polke nach seiner Rückkehr in den 1980er Jahren eine revolutionäre Phase der abstrakten Malerei einleitet, in der er mit ungewöhnlichen, teils giftigen Substanzen experimentiert, um eine nie dagewesene Farbigkeit zu erzielen und die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft, Tradition und Innovation, Ernst und Ironie aufzulösen. Lassen Sie sich von Polkes provokanten politischen Kommentaren in seinen späteren Rasterbildern überraschen, in denen er die deutsche Geschichte und globale Problematiken mit schonungsloser Ehrlichkeit thematisiert. Diese tiefgründige Auseinandersetzung mit Polkes Werk bietet nicht nur einen Einblick in sein kreatives Schaffen, sondern auch in die philosophischen Fragen, die ihn antreiben und die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Eine unverzichtbare Lektüre für alle Kunstliebhaber und solche, die es werden wollen.
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Sigmar Polke, einer der bedeutendsten Künstler der Jetztzeit, ist seit jeher ein Reisender in vielerlei Hinsicht. So durchzieht sein bisheriges Oeuvre nicht nur Reisen durch verschiedene Stile (Pop, Dada, Fluxus, Surrealismus, bis hin zur Genremalerei) und durch fast alle möglichen Kunstformen und Materialien (Malerei, Photo, Film, Installation, Aktion) sondern auch viele tatsächliche Reisen zu den entlegensten Winkeln und den fremdesten Kulturkreisen unserer Erde.
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2.1. Polkes Werk vor den Reisen (1962-1971)
Polkes Periode von 1962-1971 ist zunächst einmal von Bedeutung. Denn hier liegt eine sehr kreative und wichtige Phase des Künstlers vor, in der erste ernstzunehmende künstlerische Werke entstehen, sowie ganz eigene Themen, Problemstellungen und deren künstlerische und ikonographische Darstellung sich heraus kristallisieren. Dabei kann man diese in verschiedene Methoden unterteilen, welche sich zunächst einmal sehr unterscheiden. Polke entwickelt für nahezu jede inhaltliche Thematik eine eigene Art, um dies in die Malerei umzusetzen. Das will ich in den folgenden Seiten beschreiben und darstellen.
2.1.1. Polke und die Pop-Art
Bei seinen ersten Bildern, um 1962 herum, schleicht sich schnell und gerne der Eindruck ein, daß sie sehr von der amerikanischen Pop-Art beeinflußt ist und ihr deutsches Pendant mit gleicher Thematik sei. Doch bestätigt sich beim zweiten Hinschauen nur die Beeinflussung und formale Anregung, nicht aber die inhaltliche. Realistische Darstellungen von Alltagsgegenständen, Anleihen aus der Trivialkultur und Rasterbilder weisen zwar auf eine Verwandtschaft hin, aber trotz allem haben sie eine eigenständige Bedeutung, einen eigenen Kontext sowie eine andere Methodik diese Mittel einzusetzen.
So kann man anhand des 1964 entstandenem Bild „Kekse" gut diese andere Methodik, als auch seine eigene Problematik feststellen. Dieses Bild ist aber eigentlich ein eher untypisches , da es keine richtigen Elemente enthält für die Polke an sich steht, sondern hier wird die formale Beeinflussung durch die Pop-Art und doch seine Eigenständigkeit schnell klar. Es sollte noch betont werden, daß dieses Bild eins der ersten ist und daß Polke schnell weiterzog um seinen Stil auszubauen und letztendlich zu finden (was nicht statisch gemeint ist).
In dem Bild sind drei Waffelkekse (ähnlich dem heutigen „Knoppers") in einer Dreieckskomposition auf beigen Grund angeordnet. Die Darstellung der Kekse ist eher minimal gehalten, d.h. sie sind zwar als Kekse zu identifizieren, doch wurde bei der Umsetzung an realistischen Effekten, wie Schattierungen ,Strukturen und genauen farblichen Abstufungen, gespart, bzw. keinen Wert darauf gelegt. Bei dieser puren und nüchternen Darstellung von trivialen Alltagsgegenständen zeigt sich schon der Unterschied zur Pop-Art. Da hier nicht die Glorifizierung und Ästhetisierung der schönen, bunten Warenwelt einer Überflußgesellschaft gemeint ist sondern die ärmliche Darstellung, die „low-status" Objekte und der leere Hintergrund sehr klar auf einen gegenteiligen Bildsinn schließen lassen. Mangel und Einfachheit ist wohl mehr Thema dieses Bildes, was in der deutschen Geschichte , als Nachkriegsland, und auch in der wirtschaftlichen Situation der DDR, verankert sein kann.
2.1.2. Stoffbilder
Wie bereits erwähnt , zieht Polke aber weiter. So beschäftigt er sich während dieser Periode auch gerne mit dem deutschen Spießertum und baut durch diese Thematik eine seiner typischsten Stilmerkmale auf : industriell gefertigte Dekor-und Funktionsstoffe als Fond zu benützen oder kurz gesagt : die Stoffbilder.
1963 fertigt Polke das erste Stoffbild namens „das Palmenbild" an und bleibt dieser Technik auch weiterhin verhaftet. Bei dem Thema des Spießertums bietet sich dieser aus der Alltagswelt entliehene Stoff ideal an, um gewisse Begebenheiten und Zustände zu kommentieren und in spezielle Perspektiven zu stellen. Ich will dies an der Reihe der Reiherbilder von1968/69 beschreiben , da diese Serie sehr komplex und dennoch spielerisch ist und von daher interessant scheint.
Den Reiherbilder vorweg malte Polke ein ähnliches Bild, daß aber statt der Reiher Flamingos als Subjekt hatte, jedoch kein Stoffbild war, aber von der Thematik in etwa das ausdrückte, was die Reiherbilder aufgriffen und ausführten .Wie schon die Palme und die Flamingos suggerieren auch die Reiher etwas exotisches und die Sehnsucht nach solchen „verwunschenen Plätzen". Daher waren sie in den 50er Jahren sehr beliebt als Skulpturen für das heimische Wohnzimmer bei nahezu jeder zweiten gutbürgerlichen Familie und wurden ähnlich dem Nierentisch zu einem Synonym dieser Zeit. Polke greift dieses Subjekt auch bewußt auf, um sich an den Kitschelementen, die den Reihern inne wohne, zu bedienen und diese sinnentlehrten Objekte durch neue Zusammenhänge und Konstellationen zu konstruktiven Kommentaren zu transformieren. Die ersten Reiherbildern weisen einen gestreiften bzw. karierten Dekorstofffond auf , mit dem immer wiederkehrendem Motiv der beiden im , mit Schilf versehenen , Wasser stehenden Reiher. Dabei ist hier auf die malerische Umsetzung der Vögel nicht besonders viel Wert gelegt worden , um sich nicht zwingend dem Kitschvorwurf aussetzen zu müssen. Der karierte Dekorstoff ist als Chiffre für das Rosengitter , einem Element aus einem Vorgängerwerk und auch eine Anleihe aus der spießbürgerlichen Alltagswelt , zu verstehen . Die folgenden Reiherbilder fallen immer apokalyptischer aus mit rüderem Duktus und einer düsteren und dennoch grellen Malweise. Im letzten Bild ist der Stoffond vom noch recht harmlosen gestreiften Ornament zum Tigermuster, dem Kitschsynonym schlechthin, mutiert , was zudem noch das apokalyptische Bild verstärkt. Hieraus kann man gut erkennen, wie Polke den benutzten Stoffen eine Bedeutung gibt und sie immer passend zum Bildinhalt wählt und sie integrativ als Element benutzt. Wie wichtig dieses Element der Dekorstoffe ist merkt man ,wenn man sich nun noch den ein oder anderen, aus diesen Bildern gewonnenen konstruktiven Kommentar verdeutlicht :So bekommt das idyllische Moment des Reiherpärchens vor der untergehenden Sonne noch eine dritte sehr konkrete Dimension, wenn man erkennt ,daß der Stoff ein Bettbezug ist .(Hier kann man wieder Polkes Vorliebe für kleine ironische Gemeinheiten erkennen, da wohl kaum einer des sonst üblichen „Reiherklientels" es so konkret in seinem Wohnzimmer ausgedrückt haben wollte.) Es spielt also auch der übliche Verwendungszweck des Stoffes eine Rolle. Anhand dieser Bilder läßt sich noch ein weitere Aspekt der Polkschen Kunst festhalten, nämlich Polkes Vorliebe triviale bzw. sinnlose Sachen aufzugreifen und durch sein Schaffen mit Sinn zu füllen. In dieser frühen Phase trifft das besonders auf den Umgang mit Kitschelementen zu , allgemein könnte man es allerdings als Polkes Formel zur Synthese von Trivial- und Hochkultur verstehen. Das bezieht sich auch auf den Umgang mit Dekorstoffen .
2.1.3. Rasterbilder
Doch Polke verweilt auch hier, in dieser künstlerischen Neugewinnung, nicht, sondern weitet sein thematisches und künstlerisches Spektrum weiterhin aus. Er beginnt parallel zu den Stoffbildern sich Gedanken über Bilder an sich zu machen, da im Zeitalter der tausendfachmöglichen Reproduktion von Bildern die Bedeutung von Tafelbildern neu überdacht werden muß. Es entstehen seine Rasterbilder .
Was sind Rasterbilder ? Im Grunde sind es Bilder, die als Bilder in Reinform dargestellt sind. Zwar als Reinform von reproduzierten Bildern, doch das sind ja die Bilder, die wir tagtäglich tausendfach konsumieren .Um der Inflation der Bilder entgegen zu wirken wählt Polke diesen Stil, aber auch um die Wirklichkeit der Bilder der Massenmedien auf die Probe zu stellen. Denn bei Abbildungen aus Zeitungen o.ä. setzt man automatisch eine Objektivität des Bildes voraus. Man könnte sagen, man vertraue den Bildern blind und an dieser Naivität rüttelt Polke Das Bild „Berliner(Bäckerblume)" diene uns hierbei als Beispiel zur Erläuterung:
Hier durchzieht ein Grobraster, wie es bei Tageszeitungen benutzt wird, als Grundstruktur das Bild. Als Motiv erkennt man einen lachenden Bäcker mit Bäckersmütze und halben Kittel. Unter ihm sind vier Berliner angeordnet. Zu dem Bild muß noch hinzugefügt werden, um es richtig verstehen zu können, wie hier die Vorlagen sind, die Polke benutzt hat . Der Kopf inkl. Mütze ist originalgetreu einer Zeitungsvorlage entnommen, wohingegen der Kittel , im selben Schema , dazu erfunden wurde. Die Berliner sind ebenfalls aus einer Zeitung kopiert und in das Bildschema eingefügt worden. Die Illusion, daß dieses Bild komplett aus einer Zeitung entnommen wurde, liegt wegen des durchgängigen Rasterschemas auf der Hand. Dadurch verdeutlicht Polke die oben geschilderte Problematik, denn hier verwischt der Unterschied zwischen Realität und Bildbearbeitung bzw. Fälschung. Aber Polke ist vielfältig in der Benutzung des Rasters, so daß er immer wieder flexibel zwischen den Möglichkeiten zur Thematisierung durch das Raster wechselt und sich auch nicht zu schade ist, es als reines Statement zu benutzen.
2.1.4. Polksche Parodie
Ein weiteres Merkmal, welches sich in Polkes Frühphase abzeichnet ist die Parodie. Hiermit ist die Adaption von bekannten oder bereits bestehender Bildmotiven gemeint und ihre Transformation zum Kommentar. Ähnlich wie bei Polkes Reiherbildern wird hier ein Motiv aus seinem üblichen Kontext gelöst und in einer ironischen Art und Weise in einen neuen, fremden hinein gesetzt, um damit beim Betrachter eine neue Perspektive auf diverse Umstände zu erzeugen. Als Beispiel eignet sich das 1968 gemalte Stoffbild „Dürer-Hase". Hierbei ist die Kopie der Kontur des Hasen von Dürer sowie die Signatur Dürers auf einem weißen Farbfleck angebracht der wiederum auf einem kitschigen Dekorstoff zu finden ist. Dies ist als Kommentar zur Entwertung von Gegenständen durch ihre wahllose Benutzung zu verstehen und wieder ein ironischer Angriff auf das deutsche Spießertum. Die Ironie spielt hierbei eine wichtige Rolle , da unter ihrem Mantel des Humors die Parodie erst ihre ganze Wirkungskraft entfalten kann, ohne dabei einen aggressiven Charakter zu bekommen. Zudem nutzt Polke dieses Mittel zu jener Zeit in vielfältiger und häufiger Weise und verleiht sich so den Ruf des Ironikers. Titel und Werke wie „ Der Wurstesser", "Franz Liszt kommt gern zu mir zum Fernsehen" ,"Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen" , „Reh", „Moderne Kunst" , etc. sollen hier einmal als Beispiel dienen. Doch all diesen Werken ist gemeinsam der humorvolle, spielerische und lockere Umgang mit „semiseriösen" Themen, was heißen soll, daß in Polkes Sujets zu der Zeit wenig ernsthafte politische oder soziale Statements zu finden sind. Es erscheint alles in einem mehr kommödienhaftem Licht und erzwingt beim Betrachter eher ein Lächeln als ein sorgenvolles Grübeln. Zusammenfassend kann man sagen, daß die Jahre von 1962-1971 eine sehr kreative Phase in Polkes Werk war, in der immens viele malerische Werke entstanden sind und sich wichtige künstlerische aber auch wichtige philosophische Standpunkte und ihre Umsetzungen für Polke heraus gearbeitet haben. Als die wichtigsten seien noch einmal die Stoffbilder, die Rasterbilder und sein spezieller Umgang mit der Ironie genannt. Außerdem ist es noch auffallend, daß die Figuration in Polkes Bildern zu der Zeit, bis auf wenige Ausnahmen, überwiegt. In keinen Bild finden wir ein rein ungegenständliches Sujet oder abstraktes Bild nur um der Abstraktion willen. Die einzigen abstrakten Bilder sind bloß wieder als Parodien auf die Abstraktion zu verstehen .
Biographisch gesehen war diese Zeit für Polke eine recht heimische, d. h. durch sein Studium, von 1961-1967 an der Kunstakademie Düsseldorf, bedingt , war er fast kontinuierlich zu Hause. Es scheint fast so als sei er zu der Zeit auf Reisen durch sich gewesen, auf der Suche nach sich selber oder nach seinen persönlichen Perspektiven und Ansichten, wo er dann offensichtlich auch fündig wurde .
2.2 Polkes Reisen
Doch in den 70er Jahren änderte Polke seine bisherige Richtung, im biographischen Sinne und später auch im künstlerischen .Zunächst einmal fängt er an verstärkt auf Reisen zu gehen . So besucht 1971 Paris , 1973 New York, 1974 Afghanistan und Pakistan, 1975 Sao Paulo und schließlich 1980/81 Indonesien , Neuguinea und Australien. Während dieser Reisen stellt er das Malen fast komplett ein und benutzt statt dessen verstärkt die Photographie , man könnte sagen quasi als Skizzenbuch. Diese Reisen erklären auch , daß Polkes malerisches Werk in den 70ern , im Vergleich zu den anderen Jahrzehnten, äußerst schmal ausfällt. Aber der Eindruck ,daß diese Zeit eine nicht so kreative war, ist definitiv falsch . Polke hat erstens nur die Mittel gewechselt mit denen er schafft , denn er beginnt , katalysiert durch das Reisen , sich intensiv mit der Technik des Photographierens auseinanderzusetzen , was ein großes Photooeuvre aus dieser Zeit eindrucksvoll beweist. Doch dazu später mehr. Und zweitens war, unter anderen, ein Grund für die Reisen die künstlerische Bewußtseinserweiterung und die Suche nach neuen Motiven und Themen um der malerischen Stagnation entgegenzuwirken. Diese Stagnation hatte aber noch nicht eingesetzt , da Polke während der Zeit zu Hause weiterhin malte wann er konnte, doch ist es bekannt, daß Polke sich vor Stillstand in der Kunst geradezu fürchtet. Und nach dem Motto „Wenn einer auf die Reise geht, kann er was erzählen" zog er dann los.
2.2.1 Paris
Die erste Tour ging nach Paris, was ja nun wirklich nicht gerade sehr weit weg ist und auch nicht gerade mit der größten Exotik aufwarten kann, aber die Schematik der Polkschen Reise und Dokumentation beginnt sich hier bereits abzuzeichnen. So macht er eine Vielzahl von Photos, während dieser Reise um sie später künstlerisch zu verarbeiten. In diesem Falle geschieht das 6 Monate später in der Dunkelkammer eines Freundes, wo Polke in einer Nacht und unter LSD Einfluß die Paris-Serie erschafft. Bei dieser Serie experimentierte er sehr viel bei der Entwicklung der Bilder und beging absichtlich Fehler oder Abweichungen um die dadurch entstandenen Effekte zu beobachten und zu verarbeiten .So arbeitete er mit Überbelichtungen, Unterbelichtungen, Weglassen von Chemikalien und Fragmentarisierung der Bildelemente sowie Überlagerungen von mehreren Bildern. Thematisch geht es in dieser Serie um romantische, sexuelle Motive, sozusagen um einen Liebesrausch, was die mehrfachen Abbilder einer Frau, wahrscheinlich Polkes Frau zu dieser Zeit, und Vagina sowie Phallussymbole bzw. Abbildungen verdeutlichen.
2.2.2. New York
Der Vorgehensweise bleibt Polke bei der Verarbeitung seiner Reisen weitgehendst verbunden, wobei sich allerdings immer die Motivation der Reise und die Thematik des darauf folgendem künstlerischen Werks ändern. War es in Paris noch die romantische Motivation eines Wochenendausfluges, so ist 1973 in New York schon wieder eine weit aus rationellere, wahrscheinlich geschäftsmäßiger Natur.
Dementsprechend rationeller fielen dann auch die Sujets der New York-Serie aus. Nämlich mit Obdachlosen und sonstigen Drop-outs an der New Yorker Bowery. Die spätere Entwicklung der dort geschossenen Photos im heimischen Photolabor fiel sogar noch experimenteller und radikaler aus, um die Motive der hoffnungslosen menschlichen Abfallprodukte des American Dreams intensiver in Szene setzen zu können. "Schäbige Bilder von schäbigen Leuten" könnte man boshafter Weise sagen. Auffallend hierbei ist , daß Polke hiermit ein ernstes politisches Statement bringt, was eher untypisch für seine bisherigen Werke war. Dies sollte er aber nicht zum letzten Mal machen doch diese Sache werde ich später genauer behandeln. Denn Polke reist weiter.
2.2.3. Afghanistan und Pakistan
1974 unternimmt er eine Reise, die ihn in wirklich fremde Regionen führt, und zwar nach Afghanistan und Pakistan. Waren Paris und New York noch sehr ähnlich zu unseren Breiten, so sind diese beiden Länder schon ein sehr fremder Kulturkreis, der für den normalen Mitteleuropäer, wie Polke es ja ist, sicherlich das ein oder andere Abenteuer bzw. einige neue Erfahrungen bereit hält. Sicherlich sucht Polke auch diese Erfahrungen doch die augenscheinliche Motivation diese Länder zu besuchen ist der Mythos der Drogenparadiese, der Afghanistan und Pakistan anhaftet. Da der Künstler nie ein Kind von Traurigkeit war, wie ich bereits bei der Paris-Serie andeutete, wollte er dort unter anderem seine Sinneseindrücke durch Drogen intensivieren um diese in Inspirationen umwandeln. Er wollte dies aber auch in einer kulturellen Umgebung tun in der dies traditionell verankert ist und mit einer spirituellen Ebene verbunden ist .So versuchte er während seines Aufenthaltes dort so gut es ging bei den Riten und Alltagsgebräuchen der Einwohner zu partizipieren. Er assimiliert sich also in die fremde Umgebung um möglichst intensive und fremde Erfahrungen zu machen, damit sich sein Horizont in jeglicher Hinsicht erweitere. Die Dokumentation seiner Reise geschieht wiederum in Form von der Photographie. Seine Kamera scheint Polke in jeder Situation dabei zu haben, worauf wieder eine Unmenge von Photos schließen läßt. In diesen Photos, die er wieder zu Hause im Labor experimentell entwickelt hat, läßt sich die Partizipation Polkes am Leben der Afghanen bzw. Pakistanern gut erkennen. Denn die Serien „Bärenkampf" und der Opiumraucher(„Untitled", Quetta,Pakistan) schildern in einer künstlerischen Art Rituale und Szenen aus dem Leben dieser Völker. Die experimentelle Bearbeitung der Photos geschieht wie schon vorher durch bewußte unprofessionelle Fehler und spielerische Flexibilität beim Umgang mit den Chemikalien der Entwicklung. Man kann diese Serien tatsächlich als reine Dokumentationen über diese Völker verstehen und nicht als irgendein politisches Statement , wie z. B. in der New York Serie.
2.2.4. Sao Paolo
1975 folgte noch eine Reise nach Sao Paulo bei der auch wieder eine Photoserie entstand und zwar mit der selben technischen Schematik und der Untersuchungen der möglichen neuen Formengewinnungen, die ich bei den vorhergegangenen Werken schon beschrieben habe. Deshalb werde ich darauf hier nicht näher eingehen.
2.2.5. Indonesien, Papua-Neuguinea und Australien
Alle die bis jetzt beschriebenen Reisen waren zwar auch wichtig für Polkes Werk aber in einem anderem Sinne. Sie haben nämlich erstens sein fotografisches Oeuvre maßgeblich geprägt und ausgemacht und zweitens sein Wissensspektrum über chemische und der Malerei untypische Stoffe geöffnet und vorbereitend präpariert. Zunächst einmal hatten sie aber keinen direkten Einfluß auf seine Malerei. Ich sage bewußt nur Malerei , da Polke hauptsächlich als Maler bekannt ist und das, denke ich auch zu Recht , denn sein malerisches Werk ist doch seine eigentliche Stärke. Auch wenn er, wie wir oben gesehen haben , ein umfangreiches fotografisches Interesse hat. Dieses fotografische Interesse, das durch die bisherigen Reisen stark gefördert bzw. bedingt wurde, ist aber ein wichtiger Einfluß auf die spätere Polksche Malerei und deshalb muß auch ausführlich auf diese früheren Reisen eingegangen werden, um alles in den richtigen Kontext bringen zu können. Doch seine wichtigsten Reise, d. h. die die weitreichsten Veränderungen mit sich zog, führte Polke 1980/81 nach Indonesien, Papua-Neuguinea und Australien. Wenn man dort die zivilisierten Gebiete meidet, kann man , ähnlich wie in Afghanistan oder Pakistan , noch sehr fremdartige und ursprüngliche Kulturen entdecken und erleben.
Was ,besonders bei Neuguinea ,ein Kindheitstraum von Polke, zutrifft und zudem gut in seine immer noch andauernde Suche nach Eindrücken und Erfahrungen paßte. Leider gibt es nicht so gute Dokumentationen, wie etwa Photoserien o.ä., wie bei den Reisen zuvor, in denen man konkrete Begebenheiten oder Zustände auf den Reisen hätte beschreiben können. Doch kann man mit Sicherheit sagen, daß Polke dort in „down-under" reichhaltige Erfahrungen gemacht hat und viele Inspirationen mit auf den Weg bekommen hat. So sagte er 1984 in einem Interview mit Bice Curiger :"Als ich wiederkam von der Reise , bin ich sofort an die Arbeit gegangen und habe sehr viel gemalt. Das war 1981/82. Da fing ich an, über Farbe nachzudenken und über die Handhabe, aber ich reflektierte auch darüber, beispielsweise wie der Hinduismus Farbe erklärt und benutzt oder, wie die Australier die Farbe nutzen. Wie sie die Farbe gewinnen, und was Farbe ist .Und die ganze Geschichte mit dem Rot und dem Gelb und Grün aus der Tube, was schon seine Richtigkeit hat, aber ich habe angefangen darüber nachzudenken, was das ist." . Er begann also sich Gedanken über den Ursprung der Farbe und die Möglichkeiten der Farbgewinnung zu machen. Weiterhin sei hier noch hinzu gefügt, daß er besonders fasziniert war von der, in diesen Regionen besonders deutliche Vielfältigkeit der Farbe. Das etwa Blut o. ä. in diesen Kulturkreisen auch als Farbe fungierte und nahezu alles, was sich in irgendeiner Weise anbietet, ebenso verwendet werden kann. Aber nicht nur diese Flexibilität bei den Materialien hielt er für wichtig und interessant, sondern auch daß jedes benutzte Material eine eigene Semantik hat und eine bestimmte Psychologie besitzt. Was unweigerlich eine Parallele zu Polkes Stoffbildertechnik aufweist. Denn dort hat auch jeder Stoff eine Bedeutung. Doch Polke setzt nicht bei der bloßen Kopie der Farbsemantik der z. B. Hindus an, sondern entwickelt eine eigene, mit mehr anorganischen Materialien, um wahrscheinlich der modernen Welt mehr zu entsprechen. Die Farbe an sich, beginnt bei Polke eine vermehrte Bedeutung durch diese Reise zu bekommen, in nahezu allen Facetten und Möglichkeiten.
2.3 Polkes Werk nach den Reisen (1981-heute)
Zu Hause angekommen, fängt er wie besessen an zu malen und leitet, ein für ihn äußerst kreatives, produktives und erfolgreiches Jahrzehnt ein, genährt durch die Erfahrungen der vielen Reisen, speziell der letzten. Die oben beschriebenen Gedanken und Inspirationen , die nun sein Schaffen beeinflussen zeigen deutliche Konsequenzen in seinen Bildern der 80er Jahre. Sowohl seine künstlerischen Methoden als auch seine Themenwahl als Charaktereigenschaft unterliegen zum Teil starken Veränderungen. Aber aus Polke ist dennoch kein komplett neuer Mensch geworden und daher bleibt auch vieles erhalten und dient den Erneuerungen als Grundsubstanz.
2.3.1. Abstrakte Alchemie
So beginnt er mit Materialien zu experimentieren, die für die Malerei eigentlich atypisch sind und malt bzw. behandelt seine Leinwände mit Bleimenninge, öl, Arsen, Aluminium, Barium, Eisen, Kalium, Mangan, Silber, Zink, etliche andere Mineralien, verschiedensten Lacken, Schellack, Kautschuk und allen denkbaren puren Farbpigmenten, die irgendwie erhältlich sind. Polkes Auseinandersetzung mit dem Ursprung und der Flexibilität von Farbe ist in vollem Gange. Dabei schreckt er nicht einmal von der Giftigkeit der meisten seiner Materialien zurück, sondern sucht geradezu diese gefährlichen Substanzen und freut sich diebisch über die Existenz von Schweinfurter Grün und Auri-pigmenten. Mit diesen ungewöhnlichen Mitteln erreicht Polke eine bisher nicht bekannte Farbigkeit , die bunt, grell und massiv erscheint und dazu mit neuen Kreationen von Farben und Kombinationen aufwartet , die gänzlich unbekannt sind. Die Intensität dieses innovativen Farbenkosmos veranlaßt Polke nun zum ersten mal bewußt auf Figuration in seinen Bildern zu verzichten und statt dessen sie mit reiner abstrakter Farbigkeit wirken zu lassen. Bilder, wie „Frau Tuchers Tuch", "Das war schon immer so", „Negativwerte-Serie", „Regenwetter" oder „Schnee und Hagel" und etlichen andere beschäftigen sich fast ausschließlich mit der Farberschaffung, den Reaktionen der Stoffe zueinander und ihrer Wirkung auf die Stimmung des Betrachters. Bei der Erschaffung dieser Werke läßt Polke dem Zufall große Spielräume diese mitzugestalten und erwartet gespannt die Ergebnisse der Reaktionen der Stoffe in dem Medium der Malerei ab. Wie ein mittelalterlicher Alchemist, baut er sein Atelier in ein Labor der Malerei um und verbindet Tradition(Tafelbild),Spiritualität(Farb-Meditationsbilder), Innovation( Wahl der Materialien) und Kultur(Inspiration) im Experiment der Malerei. So gibt er sich wieder vollkommen seinen Experimentiereigenschafften hin, die wir ja bereits von seinen Photoarbeiten her kennen. Auch wenn der Künstler behauptet seine Reisen nach Indonesien und Australien wären die eigentlichen Katalysatoren für seine malerischen Innovationen gewesen und nicht seine Experimente bei der Photoentwickelung in den 70ern , so erkennt man hier deutlich, daß sie doch einen Einfluß auf sein Wirken in den 80ern hatte. Wenn nicht von der Idee her, dann aber in jedem Fall von der Methode und von der Grundeinstellung her. Man könnte sich darauf einigen, daß Polke seine neue Bildarchitektur auf ein solides Fundament bauen konnte.
Auch spielt bei vielen der Bilder dieser Periode wieder die Frage der Einmaligkeit und der Reproduktionsfähigkeit eine tragende Rolle. Ging Polke auf diese Thematik in den 60ern noch mit den Rasterbildern ein, so übernehmen die „chemischen" Bilder nun vermehrt diese Funktion, weil ihre Fähigkeiten diesem Thema sehr gut und schon fast ein bißchen offensiv entsprechen. Diese Fähigkeiten erreichen wohl ihren Höhepunkt in dem riesigen Wandbild, das Polke anläßlich der XLII. Biennale in Venedig 1986 für den Pavillon der BRD, kreiert. „Angkor" hat nämlich hygroskopische Fähigkeiten , d. h. die Beschichtung der Wand mit Kobalt 2 Chlorid erzeugt den Effekt ,daß sich die Farbe je nach der Luftfeuchtigkeit im Raum ändert. Das hier eine genaue Reproduktion sich als schwierig erweist liegt auf der Hand, denn zu wievielen verschiedenen Zuständen ist diese Installation fähig ? Ähnlich verhält es sich auch mit den übrigen „chemischen" Bildern, da die Materialien über eine lange Zeit weiter reagieren und so das Bild sich ständig ändert oder aber, wie bei „Angkor" kurzfristig auf irgendwelche äußeren Einflüsse mit Veränderungen reagiert. Es wurde sogar schon der Vergleich gemacht ,daß Polke Bilder erschaffe, die sich wie Polaroidfotos in Zeitlupe, verhalten würden. Durch diese Eigendynamik und ihre unmöglich 100%ige Reproduktionsfähigkeit sichert Polke den Bildern wieder ihre Einmaligkeit und damit ihre Notwendigkeit bzw. Existenzberechtigung zu und zwingt den gewillten Betrachter förmlich ins Museum zu gehen und sich die Bilder in natura anzuschauen.
Hinzu kommt noch das Polke den Bildern eine zusätzliche Dimension verschafft, indem er Materialien benutzt, die gewisse Wirkungen bei Lebewesen haben. Als Beispiel seien hier die Werke genannt, welche mit gesundheitsschädlichen Farben(s. o.) gemalt sind , wie z. B. „Goldklumpen". Die Wirkung kann in diesem Falle sogar gefährlich ausfallen. Eine neue Dimension ergibt sich deshalb, weil Kunst, Malerei besonders, keine konkrete Kraft bzw. Wirkung hat, sondern nur indirekt wirken kann. So ist dies aber nun anders, da die Bilder mit Giften behandelt sind und diese Gifte ihnen nun eine zusätzliche Kraft geben ."Gift hat eine Auswirkung. Kunst hat keine." Hier schließt sich nun der Kreis zur Farbsemantik und psychologie wieder, da sich hier deutlich aufklärt, wie konkret Polke zum Teil den Farben und Materialien Bedeutungen und Werte zuordnet. Doch lassen sich bei ihm diese Bedeutungen nicht genau entschlüsseln. Ich habe eher den Eindruck, daß es ihm hierbei ums Prinzip geht und nicht darum, irgendwelche Stoffe oder Farben bei gewissen Darstellungen oder Thematiken speziell zu benutzen. Obwohl dieses sich, in etwas trivialerer Weise, ja durchaus anbieten würde, besonders bei den giftigen Farben.
Als weiterer Beweis dafür, daß die Reisen Polkes Hauptkatalysator für diesen Wandel waren, sei noch erwähnt ,daß er sich aus Australien leicht radioaktives Gestein mitgebracht hat und dann auf die Idee kam damit auf Fotopapier zu „malen" bzw. das Gestein drüber zu streichen.
Durch die Strahlung entstand dann, wie von selber Milchstraßenähnliche Strukturen. Hier entstand aus einem konkreten Souvenir eine neuartige Malweise. Der Schritt zur oben genannten Methode läßt sich nun einfach nachvollziehen.
2.3.2. Kontinuität , Verschiebung und der Ernst des Lebens
Trotz all dieser neuen Elementen bleiben Polkes sonstige Merkmale dennoch weiterhin erhalten. So finden wir auch nach den 70er und den Reisen immer noch die Stoffbilder, Rasterbilder und die Parodie, die auch jetzt noch ein wichtiger Bestandteil der Polkschen Kunst ist. Aber auch hier sind Veränderungen feststellbar. Ob diese auf den Erfahrungen der Reise beruhen oder aber einfach eine künstlerische Weiterentwicklung als Grund haben, sei hier mal offen gelassen, da wahrscheinlich beides seinen Anteil hat, sich aber nicht so eindeutig festlegen läßt, wie bei den abstrakten Alchemiebildern.
Bei den reinen Rasterbildern entsteht eine Tendenz dazu, sie als pure politische Kommentare mit durchaus ernstem Hintergrund zu verwenden. Wie zum Beispiel in „Amerikanisch -Mexikanische Grenze", „Sieht man ja was es ist" oder „Polizeischwein", wobei hier allerdings eine Prise Ironie die Aussage ein wenig entschärft. In den ersteren Bildern hingegen ist die Aussage, in allerbester Zeitungsmanier, auf den Punkt und ohne Umschweife dargestellt und erkennbar. Denn die Bilder erscheinen tatsächlich wie vergrößerte Zeitungsfotos im Grobraster, auf denen Verhaftungen , Polizeikontrollen und Leibesvisitationen abgebildet sind. Das hier ein deutliches politisches Statement vorliegt ist offensichtlich. Dies ist bemerkenswert, da Polke in der Entstehungsphase seiner Rasterphilosophie erstens ein unpolitischer Maler war, mit , wie bereits gesagt, eher lustigen, ironischen und harmloseren Themen, zweitens auf Reisen, nämlich in New York, zum erstenmal politisch wurde und zwar mit dem Medium der Fotografie und drittens die Rasterbilder ursprünglich sich mit der Inflation der Bilder und dem Wirklichkeitsaspekt von Zeitungsbildern beschäftigten. Doch die Erklärung für diesen Wandel ist recht simpel. Zunächst einmal bleibt der Wirklichkeitsaspekt erhalten und wird ein Hauptbestandteil dieser Bilder. Bei der Beschäftigung mit der Inflation der Bilder hat sich eine Verschiebung der Chiffren vollzogen, da dieses Thema nun von Polkes Changeantbilder wirkungsvoller angesprochen werden kann und die Rasterbilder, die zwar wichtige Vorarbeit geleistet haben, dort aber veraltet erscheinen. Also ist diese Verschiebung doch auf die Folgen der Reisen zurückzuführen, da die chemischen Bilder ja eine Errungenschaft der Reisen ist. Zu den ersten beiden Punkten ist zu sagen, daß sich im allgemeinen bei Polke nach den Reisen der 70er Jahre ein Verlust seiner, schon fast bezeichnenden, albernen oder lockeren Ironie bemerkbar macht, zugunsten von ernsthaften, nachdenklich stimmende und historischen bzw. politischen Themen. Die Premiere war ja, wie bereits erwähnt , auf Reisen initiiert worden, was ein Indiz dafür sein könnte, daß Polke während seiner Reisen sein Bewußtsein so weit erweitert hätte, daß nun die Realität für ihn als Thema ernst geworden sei. Ein Schlüsselerlebnis oder ein direkten Beweis dafür war für mich leider nicht auffindbar. Deshalb halte ich diese These auch im Konjunktiv, obwohl ich denke, daß schon was dran ist. Als Gegenargument kann man aber durchaus bringen, daß mit zunehmendem Alter jeder mehr oder weniger solch eine Verernstigung erlebt und automatisch mehr Verantwortung übernehmen muß, ob auf Reisen gewesen oder nicht.
Aber auch in Polkes anderen Tafelbildmethoden ziehen ernsthafte Themen ein. So beginnt er sich mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen und malt mehrere Sujets zu diesem Thema: "Lager" von 1982, ein Stoffbild, mit gestreifter Wolldecke im Hintergrund, als Synonym für die Lagerkleidung, und von einer Fotovorlage im verfremdeten Rasterstils abgemalte Lagerzäune mit Stacheldraht, ist ein erstes Statement dazu. Dem folgen noch „Entartete Kunst", das sich der Rastertechnik bedient und die „Hochsitz-Serie", die den Hochsitz als Symbol für den NS-Terror, die innerdeutsche Teilung der Nachkriegszeit und für Überwachung und Ausgeliefertsein generell benutzt. Hierbei verwendet er zur künstlerischen Darstellung sowohl die Stoffbildmethode als auch seine experimentelle Malweise mit Chemikalien und anderen eigentümlichen Materialien. Auf diesen Hinter- bzw. Untergründen und manchmal auch Vordergründen plaziert er dann das immer wiederkehrende Symbol des Hochsitzes in einer realistischen Darstellungsweise. Dazu setzt er dann noch beschreibende Elemente in Form von z.B. Konturen von Gänsen oder einer Hand , die eine Karte, evtl. einen Paß, hält, um die Bedeutung noch zu unterstreichen. Die Stoffbilder im allgemeinen haben ihre Funktionen, die Polke für sie in den 60ern definiert hatte ,größtenteils beibehalten und waren resistent gegen Neuerungen oder Veränderungen, wie zum Beispiel bei den Rasterbildern. Wie gesagt unterliegen sie nur thematischen Veränderungen, wie alle Methoden Polkes. So spielen die Funktion, die Beschaffenheit und die Abbildungen auf den Stoffen weiterhin eine Rolle, wie man bei beispielsweise „Lager", und der gestreiften Wolldecke sehen kann. Aber nicht nur die deutsche Geschichte beschäftigt Polke nun, er stellt sich auch globalen Problematiken, die er mit einer Ernsthaftigkeit angeht, die in seiner Frühphase nicht so ausgereift war. Als Beispiel seien hier „Paganini", „Reagan 1-3", „Neid und Habgier", „Ölfleck" und etliche andere genannt, auf die ich aber nicht weiter eingehen werde. Aber das soll alles nicht bedeuten, daß Polke seine heitere Ironie gänzlich aufgegeben hat. Sie besteht weiterhin, aber nun erstens in einer abgeschwächten Art und Weise, d.h. sie äußert sich meist nur in kleinen Details, die aber dann in einem doch ernstem Gesamtkontext stehen. Dies erzeugt dann beim Betrachter einen relativierten Gemütszustand, den man in etwa mit der Metapher „ein lachendes und ein weinendes Auge" umschreiben könnte. Dies ist zum Beispiel der Fall bei den Gänsen und dem Dekorstoff mit Urlaubsmotiven im „Hochsitz mit Gänsen"-Bild. Die Bedeutung, die ich weiter oben bereits ansprach, ist durchaus eine sehr ernstzunehmende , in deren Darstellung die Gänse auch einen wichtigen Part übernehmen( die Akkumulation von ausgelieferten, wehrlosen Wesen). Doch ist ihre Darstellung , wegen dem harmlosen, schon fast süßen Aussehens von relativierender Wirkung. Was auch einen Reiz der Polkschen Kunst ausmacht.
Im letzten typischen Merkmal von Polke, der Parodie, läßt sich das oben gesagte zum großen Teil auch drauf anwenden. So werden auch hier die Themen bissiger und die Ironie schlägt fast schon in Zynismus um. Dazu verwendet Polke fast ausschließlich Illustrationen aus dem 18.Jahrhundert als parodierte Objekte und erreicht durch einen entsprechend ironischen Titel diese schneidende Schärfe. „Liberte, Egalite,Fraternite" ein Bild, was eine einen Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert kopiert, der drei gepfählte Köpfe zeigt, beweist unter anderen diese Verschärfung. Hier nimmt die Ironie nicht mehr die Aggressivität aus dem Thema heraus, sondern fügt sogar noch welche hinzu. Dadurch daß Polke diese Kupferstiche als Vorlagen nutzt, wird erkennbar, daß auch in die Parodie endgültig der Reproduktionsfaktor geschleust wurde. Denn diese Stiche können als Pendant des Fotos gesehen werden, aus der Zeit vor der Fotografie . Die Verwendung der Parodie zur Anprangerung der Entwertung spezieller Sachen(„Dürer-Hase") durch das Spießertum unterliegt einer Verschiebung zugunsten der allgemeinen Entwertung durch die Reproduktion. Aber dies will ich hier nur anschneiden , da es nicht eine direkte Auswirkung der Reisen , sondern Teil der allgemeinen Entwicklung Polkes ist.
Weiterhin ist als Veränderung noch festzustellen, daß Polke zunehmend alle Techniken und Themen miteinander kombiniert und vermischt. So daß wir chemische Stoffe und auch handelsübliche Malmaterialen auf einem Untergrund aus Polyestergewebe finden können, mit einem figurativen Element aus einer Illustration und Rastertechnikelementen als Bildmotive. Aber auch diese Entwicklung halte ich für kein direktes Resultat von den Reisen und deshalb werde ich hier auch nicht näher drauf eingehen.
Auch wenn Polke mit seinen damaligen Kommilitonen Richter, Kuttner und Lueg 1963 eine Ausstellung mit dem Titel „Kapitalistischer Realismus" veranstalteten und sich im weitesten Sinne zur Pop-Art bekannten , könnte man dieses Bild eher als ironische Auffassung davon
verstehen, was dem Wesen der Polkschen Kunst nicht allzu fremd wäre.
„Flamingos" von1966, Dispersion auf Leinwand
„Flamingos" war Bestandteil einer Installation, die nicht direkt die Spießerthematik hatte
„Palmenbild mit Gitter" von 1966
„ Polke schmiegt sich in jede denkbare Hohlheit um sie mit seiner alchimistischen Mixtur aus Ironie und Magie mit Sinn zu füllen ."vgl.:Sigmar Polke ,Tourist; aus Süddeutsche Zeitung Magazin;No.46;17.11.1995; s.35-40
(abgesehen von der steigenden Zahl der Pixelbilder)
siehe auch: Martin Hentschell; Solve et Coagula/ zum Werk Sigmar Polkes S.54 in „ Die drei Lügen der Malerei"
In der Zeit vor 1967 eher in sekundärer , danach in ganz bewußter Weise. Wie z. B. „Moderne Kunst"
„Paris" 1971 siehe Sigmar Polke „Photoworks: When Pictures Vanish" S.100-113 „Bowery-Serie", 14 großformatige Photoarbeiten,1973
Polkes Interesse an dieser Thematik zeigt sich darin, daß er nach seiner Rückkehr einen Photozyklus erschafft bei dem er sich mit dem Thema der Spiritualität und halluzinogenen Pilzen befaßt(„Mushrooms")und dem Sujet der Opiumraucher selber.
Aus : Parkett;No.26; 1990;"Ein Bild ist an sich schon eine Gemeinheit", Bice Curiger im Gespräch mit Sigmar Polke; S.6-17
Scweinfurter Grün besteht aus Kupferarsenitazetat, ist besonders lichtecht und giftig ; Auripigment besteht natürlichen Schwefelarsen und wird genauso wie das Schweinfurter Grün nicht mehr hergestellt, wegen der Giftigkeit.
Zitat Polke aus : : Parkett;No.26; 1990;"Ein Bild ist an sich schon eine Gemeinheit", Bice Curiger im Gespräch mit Sigmar Polke; S.6-17
Oder besser gesagt Polke erfährt einen Gewinn der Ernsthaftigkeit, da er auch nach 1981 noch vereinzelt Bilder mit amüsanten und ironischen Themen malt und seine Fähigkeit zur Heiterkeit erhält.
Doch ernsthafte Aussagen überwiegen nach den 70er Jahren.
Literaturliste
Sigmar Polke : Die drei Lügen der Malerei ; Bonn 1997;
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.)
Sigmar Polke : Katalog: Museum Boymans van Benningen, Rotterdam; Städtisches Kunstmuseum Bonn; Bonn 1984
Sigmar Polke : Zeichnungen, Aquarelle, Skizzenbücher, 1962-1988; Bonn 1988; Kunstmuseum Bonn (Hrsg.)
Anne Erfle : Sigmar Polke-Der Traum des Menelaos; Köln 1997 Klaus Honnef : Kunst der Gegenwart; Köln 1990; S73-84
Parkett; NO. 26, 1990; Zürich 1990; Bice Curiger : Interview Sigmar Polke; S.6-18
Kunstforum; Band 71/72; 3-4,1984; Malerei als Abenteuer oder Kunst und Leben Klaus Honnef (Hrsg.)
Internet:
HYPERLINK http://www.kulturnetz.de/kunst/polke http://www.kulturnetz.de/kunst/polke HYPERLINK http://www.kah-bonn.de http://www.kah-bonn.de
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in dem Text über Sigmar Polke?
Der Text analysiert das Werk von Sigmar Polke, einem bedeutenden Künstler, insbesondere im Hinblick auf den Einfluss seiner Reisen auf seine künstlerische Entwicklung. Es werden verschiedene Schaffensperioden Polkes untersucht, beginnend mit seinen frühen Werken bis hin zu seinen späteren Arbeiten, die stark von seinen Reisen inspiriert sind.
Welche Schaffensperioden Polkes werden im Text behandelt?
Der Text unterteilt Polkes Werk in drei Hauptperioden:
- Polkes Werk vor den Reisen (1962-1971): Diese Phase wird durch Einflüsse der Pop-Art, Stoffbilder und Rasterbilder charakterisiert.
- Polkes Reisen: Die Reisen, die Polke in den 1970er und 1980er Jahren unternahm, darunter nach Paris, New York, Afghanistan, Pakistan, Sao Paulo, Indonesien, Neuguinea und Australien, werden beleuchtet. Es wird beschrieben, wie diese Reisen seine künstlerische Wahrnehmung veränderten und ihn zur Fotografie als wichtigem Medium führten.
- Polkes Werk nach den Reisen (1981-heute): Diese Periode ist geprägt von Experimenten mit ungewöhnlichen Materialien, abstrakter Alchemie und der Auseinandersetzung mit ernsteren Themen wie der deutschen Geschichte und globalen Problematiken.
Welche Themen werden in Polkes Werk vor den Reisen behandelt?
In dieser Phase beschäftigt sich Polke mit Themen wie:
- Pop-Art und deren deutsche Interpretation
- Das deutsche Spießertum und seine Darstellung durch Stoffbilder
- Die Reproduzierbarkeit von Bildern im Zeitalter der Massenmedien (Rasterbilder)
- Die Parodie bekannter Bildmotive
Welchen Einfluss hatten Polkes Reisen auf sein Werk?
Polkes Reisen hatten einen tiefgreifenden Einfluss auf sein Werk. Sie führten dazu, dass er:
- Sich intensiv mit der Fotografie auseinandersetzte.
- Neue Materialien und Techniken für seine Malerei entdeckte.
- Sich mit den Ursprüngen und der Bedeutung von Farbe auseinandersetzte.
- Sich stärker politischen und historischen Themen zuwandte.
Was sind "Stoffbilder" und wie setzt Polke sie ein?
Stoffbilder sind Werke, bei denen Polke industriell gefertigte Dekor- und Funktionsstoffe als Fond für seine Bilder verwendet. Diese Stoffe dienen dazu, bestimmte Begebenheiten und Zustände zu kommentieren und in spezielle Perspektiven zu stellen, insbesondere im Zusammenhang mit dem deutschen Spießertum.
Was sind "Rasterbilder" und welche Bedeutung haben sie?
Rasterbilder sind Bilder, die als Bilder in Reinform dargestellt sind, oft in Anlehnung an die Reproduktionstechniken der Massenmedien. Polke verwendet sie, um die Objektivität von Bildern in Frage zu stellen und die Unterscheidung zwischen Realität und Bildbearbeitung zu verwischen.
Welche Rolle spielt die Parodie in Polkes Werk?
Die Parodie ist ein wichtiges Stilmittel in Polkes Werk. Er adaptiert bekannte oder bereits bestehende Bildmotive und transformiert sie zu Kommentaren. In seinen frühen Werken dient die Parodie oft dazu, das deutsche Spießertum zu kritisieren. In seinen späteren Werken wird die Parodie bissiger und zynischer und dient der Auseinandersetzung mit ernsteren Themen.
Welche Materialien verwendet Polke in seinen späteren Werken (nach den Reisen)?
Nach seinen Reisen experimentiert Polke mit einer Vielzahl von ungewöhnlichen Materialien, darunter:
- Bleimenninge
- Öl
- Arsen
- Aluminium
- Barium
- Eisen
- Kalium
- Mangan
- Silber
- Zink
- Verschiedene Lacke
- Schellack
- Kautschuk
- Reine Farbpigmente
Wie verändert sich Polkes Ironie im Laufe seines Schaffens?
In Polkes Frühphase ist seine Ironie eher albern und locker. Nach seinen Reisen wird sie ernsthafter und nachdenklicher. Sie äußert sich oft in kleinen Details, die aber in einem doch ernstem Gesamtkontext stehen, was zu einer relativierenden Wirkung beim Betrachter führt.
- Arbeit zitieren
- Ivo Bathke (Autor:in), 1999, Sigmar Polkes Reisen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94871