Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Methode: Literaturanalyse
3 Theoretischer Hintergrund: Relationale Theorien im Vergleich
3.1 Netzwerkforschung in Deutschland
3.2 Der Netzwerkbegriff
3.3 Angloamerikanische Relationale Soziologie
4 Diskussion
5 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Im soziologischen Forschungsfeld gibt es etliche Theorien darüber, wie soziale Gebilde und die Beziehungen der Akteure analysiert werden. Traditionelle soziologische Theorien begreifen die Gesellschaft ganz generell betrachtet als einen immer im Konflikt zueinander stehenden Gebilde von Gruppierungen/Schichten oder Klassen um Rang und Ressourcen. Konflikttheoretiker wie Marx und Engels prägten die alltägliche Vorstellung von den Formen des Zusammenlebens sowie der Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens.
Bis heute wird die Gesellschaft unterteilt in drei große Bereiche: Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Systemtheorien ab den 1950er Jahren wie die von Parson und Luhmann betrachten die Gesellschaft als Arrangement dieser drei Systeme, später setzte Habermas das „System“ der „Lebenswelt“ gegenüber. Mittlerweile dominiert die Untersuchung von Netzwerken in der Erforschung und Erklärung sozialer Phänomene.
Auf unterschiedlichen Ebenen spielen Netzwerke zwischen individuen, aber auch in Organisationen und in ganz verschiedenen Phänomenen, eine Rolle. Bei der Frage danach, wie jemand zu einem Beruf gekommen oder eine Position im beruflichen Umfeld erlangt hat fällt nicht selten die Antwort: Vitamin B. Umgangssprachlich ist die Vor- teilsnahme persönlicher Beziehungen bzw. Bekanntschaften zu potentiellen Vorgesetzten oder Kollegen bekannt. Doch nicht nur im beruflichen Kontext sind wir stark in Netzwerke eingebunden. Uns fällt es leicht in Netzwerken zu denken, unter anderem weil mittlerweile insbesondere „Online-Netzwerke“ verantwortlich für viele Bereiche unseres Lebens sind. Der Partner kann über Dating-Platformen wie Tinder gefunden werden, Kontakte zu alten Schulkameraden werden über Facebook gehalten, Plattformen wie Instagram dienen als Möglichkeit der Selbstdarstellung und selbst die Arbeitsstelle wird nicht selten über Plattformen wie beispielsweise Xing gefunden. Jedoch bilden diese für jeden greifbaren Netzwerke nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus der Welt sozialen Netzwerke ab.
Doch wie wichtig sind die Beziehungen zu anderen Individuen und in welcher Art und Weise beeinflussen sie uns? Das sind die Fragen, die vor allem im relationale soziologischen Forschungsfeld versucht beantwortet zu werden. Ziel dieser Arbeit ist es, trotz der Zersplitterung der Disziplin in diesem Bereich Gemeinsamkeiten innerhalb der theoretischen Konzepte herauszuarbeiten sowie die Unterschiede und der daraus resultierenden Konsequenzen für das Verständnis eines Individuums zu kontrastieren. Im Hinblick auf die Forschungsfrage, inwiefern sich deutsche netzwerktheoretische Ansätze im Vergleich zu relationalen Theorien aus dem angloamerikanischen Raum im Hinblick auf die Handlungsfähigkeit eines Individuums unterscheiden, werden verschiedene Theoretiker der Disziplin herangezogen.
2 Methode: Literaturanalyse
Die Literaturanalyse stellt als zielgerichtete und planmäßige Methode einen wichtigen Aspekt des wissenschaftlichen Arbeitens dar. Dabei werden Ansätze und Theorien aus bereits vorhandenen wissenschaftlichen Werken gesammelt und als Grundlage für neue Forschungen verwendet. Es werden bereits bekannte Erkenntnisse dargelegt, wobei diese ein breites Feld des Themenkomplexes abdecken sollen. Die Literaturanalyse wird als Methode verstanden, die Zusammenhänge zwischen den bisherigen Forschungen aufzeigt sowie gegebenenfalls kontroverse Postionen präsentiert. Zudem wird die Relevanz des Stoffes hervorgehoben werden. Ziel dieser Methode ist es, ein klares Ergebnis hervorzubringen, wobei dieses kritisch hinterfragt werden sollte (Weis et al. 2015).
Theoretisch untermauert habe ich meine Arbeit unter anderem mit einem Werk des Netzwerktheoretikers Christian Stegbauer. Zum einen habe ich mich für „Grundlagen der Netzwerkforschung“ desselben entschieden, da sich der Professor für Soziologie intensiv mit der deutschen Netzwerkforschung auseinandergesetzt und diese durch etliche Publikationen zum Thema mit gestaltet hat und zum anderen, da er mir persönlich in zwei seiner Seminare die Netzwerkforschung Nahe gebracht hat.
Da die relationale Soziologie im angloamerikanischen Raum von einer Vielzahl von Soziologinnen und Forschinnen in den unterschiedlichsten Formen und Theorien geprägt ist und diese nicht im Rahmen dieser Arbeit bearbeitet werden können, habe ich mich für das Werk „What is the Direction of the Relational Turn?“ des kanadischen Soziologen Francois Dépelteau entschieden. Mit seiner Kategorisierung der Theorien aus dem angloamerikanischen Raum fasst er die Grundkonzepte der verschiedenen Theorien in drei Typen zusammen und macht sie für den hier vorgenommenen Vergleich vertretbar.
3 Theoretischer Hintergrund: Relationale Theorien im Vergleich
Seit geraumer Zeit wird der Mensch eingebettet in soziale Strukturen gedacht und in Relation zueinander gesehen. Georg Simmel gehört zur Gründergeneration der Soziologie und hat wie viele Autoren seiner Zeit die theoretischen Grundlagen für die Soziologie als eigenständige Wissenschaft gesetzt und sein Konzept der sozialen Form in den Mittelpunkt seiner Theorien gestellt (Simmel 1992: 17ff). Seine Überlegungen über die „Eigenlogik von Konstellationen“ bilden zudem die Ausgangspunkte für die heutige Netzwerkforschung. Seitdem haben sich im Bereich der relationalen Soziologie die unterschiedlichsten Konzepte herausgebildet, wobei gerade die Netzwerkforschung paradigmatischen Charakter für sich beanspruchen möchte.
Da die Vorstellung davon, inwiefern der Mensch in soziale Beziehungsstrukturen eingebunden ist und sein Handeln und Denken von diesen abhängt, innerhalb der Theorien der relationalen Soziologie insbesondere zwischen Netzwerktheoretikern aus Deutschland und relationalen Soziologen aus dem angloamerikanischen Raum weit auseinandergehen ist es zunächst wichtig, einen Überblick der Theoriekonzepte zu geben.
3.1 Netzwerkforschung in Deutschland
Die soziologische Netzwerkforschung hat sich in den letzten Jahren von den traditionellen Gesellschaftstheorien weitergehend abgesetzt und scheint ein neues Feld für sich zu beanspruchen. Aussagen über „die Gesellschaft“ sowie Kollektivbegriffe anders als bei strukturfunktionalistischen Einheitstheorien sind nicht zu finden (Holzer 2006).
Doch worin unterscheiden sich Netzwerkforscher in ihrer Vorgehensweise im Vergleich zu traditionellen SozialwissenschaftlerInnen, wenn sie soziale Phänomene untersuchen? Im Mittelpunkt der Forschung stehen die Strukturen von Beziehungen. Unter dem Begriff der „Struktur“ ist der „Fluss von Informationen, die Entstehung von Kulturen und die Entwicklung von Identitäten von Personen und Gruppen (Stegbauer 2016: 1)“ zu verstehen. In diesem Forschungsfeld ist Kultur nicht die für eine Nation typischen Eigenheiten zu verstehen, vielmehr sind damit die für das gegenseitige Verstehen im Alltag gebrauchten Symbole gemeint - wie zum Beispiel Umgangsformen oder Verhaltensweisen (Stegbauer 2016: 6).
Es ist bekannt, dass die Beziehungen zu Mitmenschen das Verhalten eines Individuums beeinflussen. Die Netzwerkforschung geht einen Schritt weiter und proklamiert die zwischenmenschlichen Beziehungen und deren Strukturen für jedes Verhalten und die Identität eines Menschen als ausschlaggebend (Stegbauer 2016: 1). Zwar baut die Überlegung auf alten soziologischen Überlegungen auf, wie der durkheimischen Grundannahme, dass Soziales nur mit Sozialem erklärt werden kann (Durkheim 1991), verstanden wird das Soziale von Netzwerkforschungen jedoch konkret als die Beziehungsstrukturen, die durch Beziehungen entstehen. Die Netzwerkforschung bietet Regeln, die für Beziehungsstrukturen gelten. Diese Regeln lassen sich anhand von bestimmter Indikatoren (Netzwerkgeneratoren) ableiten (Stegbauer 2016: 4).
Da Menschen immer in diesen Strukturen leben, lässt sich damit auch alles Soziale erklären, so der Netzwerkforscher Christian Stegbauer: „Strukturlosigkeit ist unmöglich, da wir als Menschen besonderen Einschränkungen unterliegen (Stegbauer 2016: 5)“. Unsere kognitive Fähigkeit alle Details der Beziehungen zu unseren Mitmenschen zu verarbeiten ist nicht möglich, außerdem sind wir räumlich und zeitlich insofern begrenzt, dass wir nicht zu allen Menschen Beziehungen eingehen, vor allem aber nicht zu jedem die selbe Art von Beziehung pflegen können. Alles Soziale ist dementsprechend abhängig von den sich aus dieser Begrenzung entstehenden Strukturen und deren Mustern. Der Netzwerkforscher betont in diesem Zusammenhang, dass aber gerade die nicht vorhandenen Beziehung wichtiger sind bzw. sein können als die vorhandenen (Stegbauer 2016: 5).
Dementsprechend wird Rationalität im Bezug auf die Handlungsfähigkeit nach netzwerktheoretischen Ansätzen eine nicht so große Bedeutung zugesprochen wie die Position des Individuums in einem Netzwerk und der dort erfolgten Aushandlung von Verhaltensweisen. Das Verhalten eines Menschen ist außerhalb des Kontextes von Netzwerkstrukturen nicht zu erklären, so der Soziologe (Stegbauer 2016: 5).
3.2 Der Netzwerkbegriff
Formal-mathematisch besteht ein Netzwerk aus Knoten, die Akteure innerhalb des Netzwerks, und den Verbindungen („Kanten“), die Sozialbeziehungen zwischen den Knotenpunkten. Akteure können sowohl Individuen als auch Organisationen sein. Es gibt verschiedene Regelmäßigkeiten der Interaktion zwischen Akteuren, wobei diese in den meisten Fällen bestimmten Erwartungen zugrunde liegen (Fuhse 2009: 52ff).
Durch die richtigen Fragen werden dem Netzwerkforscher die Verbindungen innerhalb einer Personengruppe erkennbar: Wer ist wem unter- oder übergeordnet? Was sind wichtige Bestandteile der Beziehung? Aus welcher Art der Beziehung besteht die Verbindung?
Netzwerkforscher suchen dementsprechend in sozialen Gruppen nach beobachtbaren Beziehungsmustern bzw. asymmetrische Beziehungsarten wie etwa Zuneigung, Loyalität oder Machtbalancen (Stegbauer 2016: 7).
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- Arbeit zitieren
- Viviane Menges (Autor:in), 2019, Paradigmatik in der relationalen Soziologie. Deutsche und angloamerikanische Konzepte im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/949885
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