Verleger - Manager oder Journalisten


Seminararbeit, 1997

23 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Aufgaben des Verlegers

3. Historie. Das Verhältnis Verleger - Herausgeber - Redaktion

4. Verlag - ein Wirtschaftsunternehmen mit öffentlichem Auftrag

5. Rechtliche Situation in der BRD
5.1. Grundsatzkompetenz
5.2. Detailkompetenz
5.3. Richtlinienkompetenz

6. Tendenzen und Entwicklungstrends

7. Untersuchung des IfD Allensbach

8. Schlußbetrachtung

Literatur

1. Einleitung

Der moderne Pressebetrieb ist ein Konzern mit aufgefächerten Arbeitsbereichen. Neben den technischen Abteilungen wie dem Druckhaus oder dem Vertrieb, den verwaltenden Bereichen wie der Personalabteilung, dem Archiv oder der Anzeigenabteilung, zeichnet sich ein Zeitungshaus durch seine publizistische Arbeit aus. Das publizistische Werk ist das, was von der Zeitung nach außen tritt. Zustandekommen kann das Produkt allerdings nur im Zusammenspiel mit allen anderen Abteilungen. Voraussetzung für jede Veröffentlichung ist die Schaffung einer wirtschaftlichen Basis, gleichzeitig erreicht ein wirtschaftlich starkes Blatt ohne anregenden Inhalt seine Leser nicht.

Seit jeher ist das Zusammenspiel von wirtschaftlichen und publizistischen Interessen ein gespanntes. Im Mittelpunkt der Kontroverse steht immer wieder der Verleger, der mit seinem wirtschaftlichen Engagement das Entstehen einer Zeitung möglich macht und sich aus ökonomischer Sicht an Interessen von Anzeigenkunden und erzielbaren Verkaufserlösen orientiert. Ihm gegenüber stehen Redakteure oder ein Chefredakteur, der zunächst die inhaltliche Ausgestaltung der Zeitung sicherstellt. Die Frage, die sich durch mittlerweile vier Jahrhunderte Pressegeschichte zieht, ist die, wer der inhaltliche Bestimmende in dem Kräftespiel zwischen Kapital und Geist sein soll. Verleger reklamieren im allgemeinen die Freiheit der wirtschaftlichen Investition, die nicht durch Angestellte untergraben werden dürfe, Redakteure verweisen dahingegen auf die Freiheit der Meinung, die vor Kapitalinteressen geschützt werden müsse.

In der hier vorgelegten Arbeit soll zunächst zusammengestellt werden, was die Aufgaben eines Verlegers sind, waren oder sein können. Dazu wird in einem zweiten Schritt weit in die Historie zurückgegangen, um das stete Kräfteziehen zwischen Redaktion und Verlag in seinem Wandel zu begreifen und aber auch, um die Ursachen nachvollziehen zu können, wieso das Pressewesen der Bundesrepublik Deutschland auf diese Art und nicht anders aufgebaut wurde.

Der Nachkriegspresse gebührt der zweite Teil der Arbeit. Im Verlauf der Darstellung der Entwicklung sollen zentrale Begriffe wie Richtlinienkompetenz, Detailkompetenz und Grundsatzkompetenz erläutert werden, die im Zusammenhang mit dem Problembereich innere Pressefreiheit stehen.

Um den Bezug zur Gegenwart wieder herzustellen, wird eine Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach zitiert, die der inneren Pressefreiheit empirisch nachging. Aus diesen Daten soll abgeleitet werden, welchen Einfluß Verleger tatsächlich auf die publizistische Seite ihrer Zeitung haben und inwieweit es ein stillschweigendes, vielleicht harmonisches Übereinkommen zwischen den unterschiedlichen Leitungsbereichen gibt, ohne daß dies durch Gesetz explizit geregelt ist.

Versäumt werden soll in diesem Zusammenhang auch nicht, den wiederkehrend laut werdenden Befürchtungen Ausdruck zu verleihen, wie es in der Zukunft um das bundesdeutsche Pressewesen stehen könnte. Der Wettstreit zwischen finanziellen und publizistischen Interessen um den größeren Einfluß in der Blattgestaltung ist keineswegs ausgetragen. Vielmehr wird auch in dem zu erstellenden Ausblick deutlich werden, daß das Kräftemessen eine immerwährende Aufgabe sein wird - solange publizistische Produkte auf marktwirtschaftlicher Basis erstellt werden.

2. Die Aufgaben des Verlegers

Schon 1695, also knapp 100 Jahre nachdem die ersten Zeitungen erschienen waren, definierte Kaspar Stieler den Begriff des Zeitungsverlegers. Er schrieb in Zeitungs Lust und Nutz: Sonsten wird auch an einem Zeitunger erfordert / dass er einen Verlag habe / etwas auf die Erlangung der Zeitungen aufzuwenden / und da muss er nicht karg und sparsam / sondern frey gebig seyn / etliche Taler nicht achten / an Ort und Enden / wo er neue Sachen zeitlich zu erhalten verhoffet / nach dem Jäger-Spruch: Wer Schweins-Köpfe haben will / der müsste Hundes-Köpfe daran setzen.

Darin findet sich schon angelegt, was heute die Aufgabe eines Verlegers ist: "Publizistisches Wollen und wirtschaftliches Können miteinander zu verbinden" (Mundhenke, S.20). Lange bedeutete dies nicht, daß ein Verleger die publizistische Arbeit als sein Betätigungsfeld ansah. Der Soziologe Friedrich Naumann erklärte noch Ende des vergangenen Jahrhunderts, "Der Herausgeber von Presseerzeugnissen ist ein Handwerker, er kauft Papier und Nachrichten, so wie man Holz und Firnis kauft, und gibt selbst alles weitere hinzu" (Mundhenke, S.20f).

1976 gibt Wilke in dem Klassiker Zeitungslehre von Dovifat eine viel emphatischere Beschreibung des Verlegers als omnibegabter Persönlichkeit zu Papier. "In seinen Berufsvoraussetzungen muß der Verleger Publizist, Kaufmann und Buchdrucker sein. [...] Neben seine fachlich-kaufmännische und fachlich-technische Vor- und Durchbildung tritt also die Notwendigkeit des eigenen publizistischen Urteils und die Fähigkeit echter politischer Entscheidung." (Dovifat/Wilke, S.67f) Der Verleger solle alle Abteilungen selbst durchlaufen haben und sich niemals nur auf eine Seite des Tätigkeitsfeldes versteifen. Der Autor skizziert einen weise handelnden Menschen, der die wirtschaftlichen Geschicke des Blattes zum Wohle des Erzeugnisses lenkt, ohne dabei die staatliche Gesamtverantwortung aus dem Blick zu verlieren. Vor reinen Wirtschaftslichkeitsdenkern graust es ihm.

Weniger normativ geht Maaß vor und führt eine Definition nach Aufgabenverteilung durch, von der einige Teile nicht unumstritten ist. "An der Spitze eines Zeitungsverlages steht der Verleger. Er ist Eigentümer oder Geschäftsführer des Verlags, trägt das wirtschaftliche Risiko des Gesamtunternehmens oder zumindest finanzielle Verantwortung und bestimmt die publizistischen und geschäftlichen Richtlinien, nach denen die Bereiche Redaktion, Verlag und Technik verfahren." (Maaß, S.53) Diese Kurzdefinition bündelt das Verständnis eines Verlegers, wie es in unserem bundesdeutschen System weitgehend gehandhabt wird. Es trifft vor allem auf die sogenannten Verlegerpersönlichkeiten zu, die in der Tat wirtschaftliche und inhaltliche Entscheidungen für Redaktion, Verlag und Technik fällen können. Später wird darauf einzugehen sein, wie die Einflußverteilung in einem Verlag aufgeteilt ist, der von Aktionärsgesellschaften oder innerhalb großer Konzerne geführt wird. Umstritten ist der Aspekt der publizistischen Richtlinien - eine Streitfrage, die sich durch die Jahrhunderte zieht und an die Entwicklung des Verlagswesens geknüpft ist.

3. Historie. Das Verhältnis Verleger - Herausgeber - Redaktion

Mit der Erfindung des Buchdrucks war auch der Verleger geboren. Zu Beginn war seine Aufgabe die des Vor-Legers, desjenigen, der die finanziellen Miittel zur Erstellung eines Buches vorlegt. Der Mainzer Jurist Johannes Fust war der Geldgeber Gutenbergs und damit der erste Verleger im modernen Buchwesen. Lange Zeit beschränkte sich die Aufgabe des Verlegers auf die Finanzierung der beiden Arbeitsabläufe, die die Buchentstehung bedingen: Das Schreiben und das Drucken.

Die ersten Zeitungen beschränkten sich auf die Wiedergabe von Nachrichten. Diese Funktion übernahmen Buchdrucker selbst, die im Nachrichten sammeln und weitergeben eine sehr einträgliche Ertragsquelle entdeckten. Zu diesem Zeitpunkt stellten sich Fragen der Arbeitsteilung noch nicht, die Verleger waren Nachdrucker und waren "gar nicht imstande, die vorliegenden Nachrichten auch nur mit einigem Verständnis auszuwählen und stilistisch zu verbessern." (Groth, Kap.38, S.4) Die ursprüngliche Trennung in verlegerische Finanzierung und inhaltliche Gestaltung durch Autoren kam erst mit der stark entwickelten "Publizistik des liberalen Zeitalters" (Dovifat/Wilke, S.64) durch die Französische Revolution wieder auf. Es bildete sich der Redakteur als eigenständige Figur heraus, der sich von Drucker und Verleger ausdifferenzierte. Zu der Zeit war der Journalist der inhaltlich entscheidende Kopf im Zeitungswesen, der Verleger bot ihm seine Dienste an, Druck und Vertrieb zu organisieren. Sowohl Führung wie auch Vertretung der Zeitung nach außen lagen in der Hand eines jetzt hauptamtlich tätigen Redakteurs. In vielen Fällen versuchten Verleger über die Entlohnung wenigstens Einfluß auf die Gewinnentwicklung zu behalten; Cotta bot Schiller beispielsweise "sehr erhebliche Zuschläge, falls die Auflage eine gewisse Höhe erreichte", weiß Groth zu berichten (Groth, S.9). Dies bedeutete freilich nicht, daß die Redakteure uneingeschränkt ihrer Gesinnung Ausdruck verleihen konnten. Zum einen gab es bereits Weisungen, die der Richtlinienkompetenz von heute ähneln, zum anderen war der staatliche Einfluß doch noch so groß, daß Verleger aus Furcht vor staatlichen Eingriffen ihre Redaktion inhaltlich fest in den Griff zu bekommen versuchten.

Diese politischen Zeitungen bekamen Mitte des 19.Jahrhundert insofern Konkurrenz, als daß der Intelligenzzwang aufgehoben wurde. Dadurch war es erlaubt, nicht nur in besonderen Anzeigenblättern, den Intelligenzblättern zu inserieren, sondern es wurde möglich, über die Anzeigen mit einer nachrichtenbasierten Zeitung Geld zu verdienen. Die großen Buchverlage (Cotta, Brockhaus u.a.) übernahmen das Geschäft mit der nun entstehenden Massenpresse, die mehr und mehr von geschäftlichen Interessen bestimmt wurde. Dem Geschäftsverleger "diente, wenigstens in den damaligen Anfängen, der redaktionelle Teil als Hilfsmittel des geschäftlichen Erfolgs" (Dovifat/Wilke, S.64) Ab 1800 wurde die dominante Finanzierungsart von Zeitungen der Anzeigenverkauf, mit der Aufhebung des staatlichen Anzeigenmonopols, beispielsweise in Preußen 1850, verbreitete sich Zeitungswerbung rasant (Faulstich, S.365f). Private Zeitungen bestanden zu dieser Zeit aus bezahlten Anzeigen, amtlichen Beiträgen und Verlautbarungen sowie beaufsichtigten redaktionellen Beiträgen. Unter den Verlegern taten sich bereits zu dieser Zeit zwei unterschiedliche Typen auf: Die alten Verleger aus dem Bereich der politischen Presse verstanden sich als Teil der politischen Öffentlichkeit und empfanden Zeitungen als ein redaktionelles Produkt mit inhaltlichem Anspruch. Demgegenüber standen die Verleger der neuen Geschäftspresse mit ihrem Standpunkt des bloßen Geldverdienens. Die Trennung wurde auch dadurch deutlich, daß letztere zunächst nicht im Verein Deutscher Zeitungsverleger angehörten. Erst Ende des 19. Jahrhundert, als die Massenpresse ungeheuer stark geworden war (Mosse, Ullstein, Scherl) kam es zu einer Vereinigung. Gleichzeitig kam eine Kritik auf, deren Anklage aus der heutigen Zeit stammen könnte. 1846 hieß es in der anonym verbreiteten Deutschen Zeitung ohne Censur: "Die Verlegereinflußkrankheit, dem Eigenthümersrücksichtenaussatz, an welchem die Journale und Zeitschriften samt und sonders laborieren." (nach: Groth, S.12)

Durch die Ausbreitung der Massenpresse gewann der Verleger zunehmend neuen Einfluß auf seine Zeitung. Durch die gestiegene Komplexität der Aufgabe wurde die Produktion immer stärker von dem zur Verfügung stehenden Kapital abhängig und verhältnismäßig weniger von brillianten Gedankengängen, die den Ruhm und Einfluß der Redakteure begründet hatten. Jetzt kam es für den Erfolg eines Blattes vorrangig auf das wirtschaftlich-technische Organisationstalent des Verlegers an, das er jedoch mit Einfühlungsvermögen an die publizistische Richtung anpassen mußte. Verlag und Verleger wurden die Zentrale der Zeitung, die Redaktion nur mehr ein Glied des Ganzen.

Auch im ausgehenden 19. Jahrhundert taten sich zwei Eigentumsprinzipien auf: Die Verlegerpersönlichkeiten, die oft über mehrere Generationen hinweg den Betrieb geführt hatten und publizistisches Wissen angelernt hatten und Gesellschaften, die Dividende sehen wollten und die verlegerische Aufgabe an Verlagsdirektoren übertrugen, welche den neu gewonnen Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung trotz unbefriedigender Kompetenz ausüben wollten. Diese waren es meist auch, die Redakteure als geistige Arbeiter ansahen und Detailkompetenz bei Umgehung der Chefredakteure ausübten.

Im frühen 20. Jahrhundert wurde der Konflikt zwische Redaktion und Verlag manifest. Trotz der im Pressgesetz von 1874 festgehaltenen Zuständigkeit des Chefredakteurs als Herausgeber für den Inhalt des Produktes, nahmen die Verleger diese Aufgabe zunehmend als ihren Bereich wahr. Der Verlegerstandpunkt war, daß "die erste und entscheidende Einflußnahme auf Ziel und damit Inhalt der Zeitung beim Verleger bleibt" (Äußerung des Zeitungs-Verlags 1921, nach: Groth, S.25)

Durch die Einführung der Lizenzverleger durch die Alliierten kam den Verlegern nach dem 2. Weltkrieg ausdrücklich die geistige Führung über ihre Blätter zu. Nachdem diese Begründung ab Herbst 1949 wegfiel, argumentierten die Verleger wieder aufgrund ihrer wirtschaftlichen Funktion. Dadurch daß sie die Gesamtverantwortung für das Überleben der Zeitung und damit ein erhebliches unternehmerisches Risiko trügen, müßten sie auch die grundsätzliche Haltung und Zielsetzung der Zeitung festlegen können - wenn nicht sogar in wichtigen aktuellen Fragen die gewünschte Linie angeben ausüben. "Wer es unternimmt, eine Zeitung herzustellen, drucken und verbreiten zu lassen, ist Zeitungsverleger. Er ist gleichzeitig Herausgeber dieser Zeitung im publizistischen Sinne" - Dies war der damalige Verlegerstandpunkt. (Zit.nach Richter, S.213)

Diese klaren Rechte des Verlegers hatten bis in die 60er Jahre hinein unangefochten Bestand. Erst im Zuge der Diskussion um innere Pressefreiheit und die dabei erarbeiteten Redaktionsstatute formulierte auch die Redaktion ihre Rechte, gerade diejenigen, die im Verhältnis zum Verleger strittig waren. Der Begriff innere Pressefreiheit meint in seiner Zuspitzung meist die Frage, wie der Freiheitsraum der Redaktion gegenüber primär wirtschaftlichen Erwägungen des Verlegers geschützt werden kann.

Eine entscheidende Neuerung setzte besipielsweise die Redaktion des Stern 1969 durch:

Einstellungen von Redakteure wurden durch den Chefredakteur bestimmt. Die Verlagsleitung konnte ihre Zustimmung nicht verweigern, es sei denn es lägen sehr schwerwiegende Gründe vor. Im Statut der Zeit wurde später festgeschrieben, daß bei der Neubesetzung des Chefredakteurs die Redaktion ein Veto innehält, sobald sich mehr als die Hälfte der mindestens zweijährigen Mitarbeiter gegen den Kandidaten aussprechen. Heute spielen Redaktionsstatute keine tragende Rolle mehr bei der Kompetenzaufteilung in den Pressehäusern, da die meisten Abkommen außer Kraft gesetzt worden sind. Dies bedeutet allerdings nicht, daß das Verhältnis Redaktion-Verlag geklärt worden sei. Es ist lediglich Ausdruck der Entstehung eines stabilen status quo, für dessen Aufrechterhaltung Verleger seit Jahrzehnten argumentieren.

4. Verlag - ein Wirtschaftsunternehmen mit öffentlichem Auftrag

Immer wieder betont wird die Dualität der verlegerischen Tätigkeit, auf der einen Seite der Aufgabe gegenüberzustehen, ein publizistisches Produkt erstellen zu müssen, zu dem es Kreativität, Freiräume und Auseinandersetzungen bedarf und gleichzeitig mit diesem Produkt Umsatz und Gewinn erzielen zu müssen. Der Verleger steht seit jeher zwischen Anzeigenkunden und Lesern.

Die Presse hat in der Bundesrepublik eine ö ffentliche Aufgabe inne. Dem Verleger ist diese Öffentlichkeit in Treuhänderschaft übergeben worden. Lediglich in Fällen von Pressekonzentration behält sich der Staat Eingriffe in das Pressewesen vor, ansonsten gilt das Gebot der Einhaltung der Grundgesetze und die Achtung der Staatsverfassung. Gleichzeitig hat der Zeitungsverleger diese Aufgabe auf privater Grundlage zu erfüllen. Diese Konstruktion wirft "nicht nur komplizierte rechtliche Probleme auf, sondern birgt auch ein erhebliches Konfliktpotential" (Dovifat/Wilke, S.67). Die Zeitung ist ein Wirtschaftsunternehmen mit einem öffentlichen Auftrag, das aufgrund der hohen Einschätzung der Meinungsfreiheit als demokratikonstituierendes Element besondere Rechte genießt.

Daß dies im Pressewesen derart deutlich umgesetzt wurde, ist Ergebnis der Alliierten Lizensierungspolitik nach dem zweiten Weltkrieg und der späteren Öffnung des Marktes auch für die Altverleger. Dadurch wurde an die seit Jahrhunderten bestehenden Strukturen angeknüpft, obwohl es prinzipiell auch denkbar gewesen wäre, eine Regelung auf öffentlichrechtlicher Basis zu schaffen, wie dies im Rundfunk geschehen ist. Verleger und Verlegerverbände bemühen sich seither um die Beibehaltung des status quo, wobei sie unterschiedliche Argumentationslinien einschlugen (vgl. Richter, S.204ff).

Die Argumentation der historischen Entwicklung betont, daß durch die zunehmende Bedeutung des Pressewesens der Verleger ein Verantwortungsbewußtsein für die gesellschaftliche Aufgabe entwickelt habe. Nur aus diesem Grund fühle er sich veranlaßt, sich sowohl um die publizistische wie um die wirtschaftliche Seite des Unternehmens zu kümmern. (Richter, S.224)

Dem Argument des unternehmerischen Wagnisses folgend, ermögliche der Verleger die Existenz der Zeitung durch seinen Kapitaleinsatz und leitet daraus das Recht ab, über die Verwendung des Kapitals auch zu befinden. Ein immer wiederkehrendes Argument lautet, daß nur durch die Gesetze der Marktwirtschaft Pressefreiheit garantiert werden könne. Die in einer Demokratie notwendige Vielfalt der Meinungen lasse sich nur durch eine Vielfalt der Zeitungen gewährleisten - in einer als Antibild postulierten Sozialisierung des Verlagswesens sei dies nicht mehr gewährleistet. Ein Eingriff des Staates würde das freie Spiel der Kräfte nur behindern und verhindern, daß alle Meinungen gleichermaßen Ausdruck finden könnten.

Es wurde desweiteren argumentiert, daß Verleger weitestgehend keine berufsfremden Geschäftemacher seien, sondern voller Verantwortungsbewußtsein steckten. Dieses Bewußtsein würde sie dazu aufrufen, die vereinzelten Versuche der werbetreiebenden Wirtschaft auf den redaktionellen Teil Einfluß zu nehmen, keinesfalls zuzulassen. Gerd Bucerius beispielsweise vertritt 1974 die These, daß der Verleger in der Regel nicht von Anzeigenkunden abhängig ist. Er schreibt gänzlich unbeschwert: "Mit List und Festigkeit ist es also möglich, allfälliger Kundenversuche, über die gezielte Verweigerung von Anzeigen des Inhalts der Zeitung zu beeinflussen, schon Herr zu werden." (Bucerius, S.19)

Das am 19.Juli 1952 verabschiedete Betriebsverfassungsgesetz war der erste und bislang letzte Eingriff des Staates in die Frage der presseinternen Kompetenzaufteilung. Im Rahmen des Gesetzes wurden Bestimmungen festgehalten, die alle solche Normen des BetrVG von der Anwendung in Pressebetrieben ausschließen, die die Pressefreiheit einschränken könnten. (Ricker 1994, S.236) Es wurde damals der Begriff des Tendenzbetriebe festgeschrieben, für die weitreichende Sonderregeln gelten. Tendenzbetriebe sind unter anderem alle Zeitungsverlage. In ihnen wurde die Frage der Mitarbeitermitbestimmung ganz im Sinne der Verleger entschieden; Mitarbeiter wurden von der wirtschaftlichen ganz und von der personellen und sozialen Mitbestimmung, soweit mit dem Tendenzcharakter der Zeitung unvereinbar, ausgeschlossen. Der Tendenzschutz kann als die dem Verleger zukommende Seite der Pressefreiheit angesehen werden (Pürer, S.284), er schützt den Verleger und schränkt mit dem BetrVG die Rechte von Redakteuren ein. Ricker leitet auch ab, daß es sowohl eine Pflicht des Redakteurs gibt, "in der sprachlichen Form der Eigenart der Zeitung zu entsprechen" (Ricker, S.246), wozu er sich "innerlich mit der Tendenz des Verlegers identifizieren und sie seinerseits kreativ verstärken und umsetzen" müsse. Andererseits hält er die Verpflichtung des Verlegers fest, mit dem Redakteur zu kooperieren. Von der "wirtschaftlichen und publizistischen Integrationsfunktion des Verlegers" kann jedoch "keine grenzenlose Verlegerfreiheit" abgeleitet werden (Ricker, S.258), vielmehr sind Redakteure "ebenfalls Träger der Pressefreiheit und nicht bloß Verrichtungsgehilfen des Verlegers."

Von den vielen Entwürfen zur Regelung der inneren Pressefreiheit ist bis heute keiner Gesetz geworden (Ausnahme bildet das Pressegesetz des Landes Brandenburg).

Auf eine ganz andere Art haben sich starke Erwartungen an die Verleger aufgebaut: Bereits vor der Jahrhundertwende bildet sich unter dem Eindruck der neu entstehenden Generalanzeiger unter den Altverlegern ein Standesbewußtsein heraus, das insofern gewirkt hat, als daß sie sich daran messen lassen mußten: Die oft hervorgehobene Maxime der erhöhten publizistischen Verantwortung und das Verantwortungsbewußtsein der öffentlichen Aufgabe gegenüber will in Realität bestätigt werden. Anzumerken ist, daß diese vielbeschworene öffentliche Aufgabe der Presse damit vor allem durch den verlegerischen Ethos gesichert wird. (Richter, S.215 und S.227)

Richter stellt 1973 fest, daß noch immer eine "unveränderte verlegerische Auffassung von der Pressefreiheit als ungebundener individualistischer Entscheidungs- und Verfügungsfreiheit des Zeitungsbesitzer" vorherrscht. (Richter, S.229) Inwieweit sich diese begründen läßt, soll im folgenden geklärt werden.

5. Rechtliche Situation in der BRD

Aus den Grundrecht der Meinungsfreiheit abgeleitet, hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der ö ffentlichen Aufgabe geprägt. Diese ist der Presse übertragen, die sie nach privat- wirtschaftlichen und privatrechtlichen Organisationsformen erfüllt. Dieser Bereich wird die institutionelle Garantie der Pressefreiheit genant. (Ricker 1995, S.250). Innerhalb des Presseunternehmens sind die Kompetenzen der Mitglieder abzugrenzen. Hierzu dienen die folgenden drei Begriffe.

5.1. Grundsatzkompetenz

Die Grundsatzkompetenz des Verlegers ist in der BRD weitgehend unumstritten. Sie umfaßt die "politische, konfessionelle, weltanschauliche, künstlerische, wissenschaftliche oder andere Zweckbestimmung einschließlich der Festlegung von Grundsatzfragen auf diesen Gebieten sowie den formalen und marktbezogenen Charakter der Zeitung." (Pürer, S.248) Dieses Recht, das häufig als die Definition der Blattlinie bezeichnet wird, ist aus dem Betriebsverfassungsgesetz hergeleitet. Weiterhin wird allgemein akzeptiert, daß dem Verleger eine umfassende personalpolitische Entscheidungsbefugnis zusteht.

Die Grundsatzkompetenz wird oft auch als tote Kompetenz bezeichnet, weil, durch ihre Allgemeinheit bedingt, über sie nicht auf aktuelle Zeitfragen reagiert werden kann, die letztendlich die Linie einer Zeitung erst ausmachen.

5.2. Detailkompetenz

Schon die Frage, wer Detailkompetenz ausüben darf, ist umstritten. Generell liegt sie in der Hand der Redakteure, verteilt nach dem Subsidiaritätsprinzip, nach dem die unterste Stelle alle von ihr zuverlässig verantwortbaren Entscheidungen zu treffen hat. Detailkompetenz umfaßt all solche Entscheidungen, die im Tagesgeschäft zu treffen sind. Ausgenommen sind Richtungsentscheidungen, die den Charakter des Blattes entscheidend verändern oder Entscheidungen, die das wirtschaftliche Überleben der Zeitung in Frage stellen. In der Literatur wird meist davon ausgegangen, daß Verleger Detailkompetenz nicht ausüben können, nicht sollen und auch nicht dürfen. (Wilke, Groth) Wilke leitet daraus sogar kategorisch ab: "Einzelanweisungen des Verlegers sind demnach unzulässig" (Dovifat/Wilke, S.70) Den Gegenstandpunkt nimmt Ricker ein, der aus der wirtschaftlichen Verantwortung des Verlegers umfassende publizistische Kompetenzen ableitet (Ricker 1995, S.251). Eher unstrittig ist das Recht auf negative Detailkompetenz, die ein umfassendes Informationsrecht in Einzelfragen und ultimative Weisungsbefugnis umfaßt, solange diese nicht gegen Rechte der Redakteur verstöst.

5.3. Richtlinienkompetenz

Die Richtlinienkompetenz ist der umstrittenste Faktor in der Debatte um Kompetenzen von Verleger und Redakteuren. Sie ist aus der Feststellung heraus geboren, daß Grundlagenkompetenz alleine - aus Verlegersicht - nicht zur Führung eines Blattes ausreicht. Durch die Richtlinienkompetenz soll der Verleger Einfluß auf herausragende Fragen haben, deren Beantwortung weit über die Tagespolitik hinaus für die Blattlinie Bedeutung haben. Von Journalistenseite wird in diesem Zusammenhang befürchtet, daß durch die Ausübung der Richtlinienkompetenz die den Redakteuren überantwortete Detailkompetenz ausgehöhlt werden könnte.

Die Definition der Richtlinienkompetenz des Verlegers geht auf ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgericht aus den 80er Jahren zurück. Ausgangspunkt war die Frage der inneren Pressefreiheit 012

6. Tendenzen und Entwicklungstrends

Das Kräftespiel zwischen Verlegern und Redakteuren wie zwischen wirtschaftlichen Interessen und publizistischen Maßstäben hat sich bis heute nicht auflösen lassen und wird auch in Zukunft das eines gespannten Aufeinanderangewiesenseins sein.

In der Praxis der letzten Jahre ist es zu direkten Eingriffen offenbar kaum gekommen (Allensbach, s.u.), der Verleger hat sich auf die Festlegung der großen Tendenzen zurückgezogen - oder ist zurückgedrängt worden. "Publizistisch gesehen zog sich der Verleger auf die ihm zustehende Richtlinienkompetenz zurück und gab den Redakteuren genügend Raum zur Entfaltung eigener Meinungen..." heißt es verlegerfreundlich - im Standardwerk Der Verlagskaufmann (Mundhenke, S.21).

Dies trifft vermutlich für die Pressebetriebe zu, die einen persönlich eindeutig zuordnenbare Verlegerpersönlichkeit an der Spitze haben. In großen Betrieben mit unpersönlichen Eigentumsverhältnissen und vielfältigen Presseerzeugnissen trifft eher die folgende Analyse zu: "Allgemein geht die Tendenz dahin, daß die publizistische und die wirtschaftliche Verantwortung getrennt werden. Die publizistische Verantwortung übernimmt ein Herausgeber, der Chefredakteur oder auch ein Gremium, die wirtschaftliche ein Manager." (Maaß, S.53) Die Aufgaben des Herausgebers werden in diesen Fällen meist einzelvertraglich mit dem Verleger geregelt. Üblich ist, daß der Herausgeber der "Inhaber der geistigen Oberleitung" und "Träger der publizistischen Richtlinienkompetenz" ist (Pürer, S.246). Richtungsentscheidungen, die über die Tagesaktualität hinausgehen, müssen dann mit dem Verleger abgestimmt werden. Außerdem werden in den Zeitungsredaktionen großer Häusern sogenannte Verlagsleiter eingesetzt, die die kaufmännischen und technischen Belange gegenüber der Redaktion vertreten, meist aber auch personalpolitische Entscheidungen fällen. Sie übernehmen die Koordinationsaufgaben des Verlegers, wie betriebliche Planung und Entscheidung, innerbetriebliche Kommunikation und Information, Erfolgskontrolle und die Dienstaufsicht (vgl. Pürer, S.247). Redaktionelle Richtlinienkompetenz haben sie dahingegen nicht, diese und auch die Entscheidungsgewalt für die Besetzung hoher Posten trägt der Verleger selbst. Diese Entwicklung nimmt mit vorherrschender Konzentration weiter zu.

Damit einher geht ein Wandel im Berufsbild des Chefredakteurs. Wie Stefan Ruß-Mohl am Beispiel der Vereinigten Staaten aufzeigt, ist der ehemalige Chefpublizist zum Topmanager avanciert. "Die Nahtstelle, an der es im Zeitungsverlag kommerzielle und publizistische Erfordernisse in Einklang zu bringen gilt, hat sich zusehends von der Verlagsleitung in die

Chefredaktion verlagert..." (Ruß-Mohl, S.147) Es deutet sich eine Arbeitsteilung an, in der sich die Aufgaben um eine Stufe nach unten verschoben haben. Damit liegt die Richtlinienkompetenz, gepaart mit wirtschaftlichem und inhaltlichem Verantwortungsbewußtsein für das große Ganze, sowie die Detailkompetenz nun in der Chefredaktion und den einzelnen Redaktionen. An die Stelle der Arbeitsteilung zwischen Herausgeberverleger und Chefredakteur tritt diejenige zwischen Redaktionsmanager und den Redaktionschefs.

Für die USA stellt Ruß-Mohl fest, daß die neuen amerikanischen Chefredakteure Zeitungen als ein Produkt ansehen, "als würden sie Softdrinks oder Seife verkaufen" (Ruß-Mohl, S.149). Dies rührt von Unternehmensseite her. Die Vorgaben zielen auf Profitabilität, die immer0123

7. Untersuchung des IfD Allensbach

Allensbach befrage in den Jahren 1969 und 1973 106 Redakteure, 69 Ressortleiter und 54 Chefredakteure. Zusätzlich stellten das Institut 65 Verlegern ähnliche Fragen. In 132 Vollredaktionen von Tageszeitungen wurden zufallsgesteuerte Stichproben gezogen. 1983 wurde die Befragung wiederholt und unter dem Titel Entwicklungstendenzen bei Tageszeitungen veröffentlicht. In dem Zusammenhang dieser Arbeit interessieren die Fragen und Antworten zum Thema innere Pressefreiheit im allgemeinen und Aufgabenverteilung zwischen Verleger und Redaktion im speziellen.

Wenn ein neuer Chefredakteur eingestellt werden soll, gibt es in den Verlagen verschiedene Abläufe. Allensbach befragte Verleger und Journalisten, wie es in ihrer Redaktion gehandhabt wird. Ganz offensichtlich wird dabei, daß nur in Ausnahmefällen die Redaktion ein qualitatives Mitspracherecht oder gar ein Vetorecht besitzt. Die Zahlen verstehen sich in Prozent, ergeben jedoch mehr als hundert. Die wichtigsten Ergebnisssse:

Die Berufung des Chefredakteurs ist ausschließlich Sache des Verlegers (54%) Vor der Berufung des Chefredakteurs informiert der Verleger die Redaktion und hört sie an (54%).

Der Verleger darf den Chefredakteur nicht einstellen, wenn die Redation oder ihre Vertretung mit Mehrheit widerspricht (Vetorecht) (3%).

Der Chefredakteur kann vom Verleger nur berufen werden, wenn die Redaktion oder ihre Vertretung mit Mehrheit zustimmt (5%).

Redaktionsmitglieder wurden nach ihrer Arbeit befragt, inwieweit sie sich dort in ihren Äußerungen eingeengt fühlen.

Durch den Verleger eingeengt fühlten sich 1969 acht Prozent der Chefredakteure und Ressortleiter. 1973 waren dies noch vier Prozent. Dieses Ergebnis wurde in der Diskussion um die Einführung von Redaktionsstatuten immer wieder als Beweis angeführt, wie unnötig eine Regelung - vor allem eine gesetzliche - sei, wo doch die Angestellten so viel Entfaltungsmöglichkeiten wie nirgends sonst hätten. Der Wunsch der Redaktionsmitglieder, vor allem in den unteren Etagen war trotz dem ungebrochen hoch. Gründe waren die Furcht vor einer verschlechterten Situation bei Übernahmen durch Konzentrationsbewegungen und vor steigendem Einfluß der Anzeigenkundschaft.

Gestellt wurde damals auch die Frage: "Wenn gesagt wird, der Verleger bedroht nicht die Freiheit der Redaktion - er schützt sie. würden sie da zustimmen oder nicht zustimmen?"

Die Antworten zeigen ein Verhältnis zum Verleger, das mit der Höhe der Position besser wird. Zu der Aussage zustimmen konnten 47 % der Redakteure, 59 % der Ressortleiter und 76 % der Chefredakteure.

In diesem Zusammenhang wurde 1973 generell nach den Hauptaktivitäten der Verleger gefragt. Dabei wird deutlich, daß gerade jüngere Verleger zunehmend weniger redaktionelle Arbeit verrichten, sondern sich um den wirtschaftlich-technischen Bereich bemüht. Dies kann als Rückgang der Herausgeberverleger gedeutet werden. Die Jüngeren scheinen sich stärker auf der finanziellen Seite zu engagieren und die publizistische Gestaltung ihren Angestellten zu überlassen.

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Auch die Frage "Wie wirkt der Verleger ein?" brachte interessante Ergebnisse: Für diese Arbeit weniger von Interesse ist das Ergebnis, daß offensichtlich Zeitungen, die erfolgreich ihre Auflage steigern konnten, von Verlegern produziert werden, die sich stark in der redaktionelle Arbeit engagieren. Insgesamt ergibt sich ein Bild, daß Verleger in der Mehrzahl der Fälle nicht direkt und im Einzelfall Richtungsentscheidungen treffen. Vielmehr scheinen sie abwartender Beobachter zu sein, der die Zügel nicht offensichtlich aber doch bestimmt in der Hand hält.

Zeitungen mit folgender Auflagenentwicklung

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Elisabeth Noelle-Neumann verfolgte die Untersuchung der Zeitungsredaktionen über mehrere Jahre, so daß sie 1983 erneut mit Ergebnissen an die Öffentlichkeit gehen konnte. Sie befragte erneut Verleger deutscher Zeitungen, worin sie den Schwerpunkt ihrer Arbeit sehen.

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Deutlich erkennbar ist ein Gegentrend zu den älteren Daten. Das Engagement im Publizistischen hat wieder deutlich zugenommen, vor allem bei großen Blättern scheint es eine Kehrtwende gegeben zu haben. Die Verleger erobern publizistisches Terrain zurück. Der Rückgang im Management-Bereich in großen Häusern ist überraschend und kann eventuell durch Umstrukturierungen erklärt werden, in denen übergeordnete Leitungen das Gesamtmanagement übernehmen, beispielsweise bei erfolgter Fusion mit Großbetrieben. Es ist zu vermuten, daß die hier als Verleger erfaßten Personen in Wirklichkeir Verlagsleiterposten innehaben, welche weniger Einfluß auf die wirtschaftliche Gestaltung des Gesamtbetriebes haben. Schon 1973 waren 67% der Jungverleger Verlagsleiter oder Verlagsdirektoren.

Auch diese Daten schlüsselte das Institut nach dem Erfolg der einzelnen Zeitungen auf. Heraus kam, daß die Verlage, die überdurchschnittliche Auflagenentwicklungen zu verzeichnen hatten, diejenigen waren, in denen sich der Verleger aus dem publizistischen Bereich herausgehalten und vorwiegend als Manager gehandelt hatte.

Zeitungen mit folgender Auflagenentwicklung

überproportional proportional unterproportional

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Es scheint demnach in großen Verlagen wieder einen Trend gegeben zu haben, die publizistische Arbeit stärker von Verlegerseite her zu berücksichtigen, erfolgreich war diese Strategie jedoch nicht.

Die Datenlage gibt eine akute Bedrohung der redaktionelle Freiheit nicht her. In der Untersuchung kam sogar heraus, daß sich Redakteure 1973 praktisch nicht an Versuche von Verlegerseite aus erinnern konnten, direkten Einfluß auf Tendenzen von Artikeln zu nehmen. Wenn es eine Einengung gibt, dann wird sie gegenüber vorgesetzten Redakteuren empfunden, aber nicht gegenüber dem Verleger. Dies ändert jedoch nichts daran, daß das Vertrauen in die publizistische Arbeit des Verlegers nicht sehr ausgeprägt ist. Seine finanziellen Interessen wirken kontraproduktiv für seine Glaubwürdigkeit. Das Verhalten der Verleger scheint keinem einheitlichen Trend zu folgen, sondern ist, wie die Verlagslinie auch, stark persönlichen Motiven unterworfen.

8. Schlußbetrachtung

Ziel dieser Arbeit sollte es sein, die Aufgaben eines Verlegers zu umreißen und das seiner Tätigkeit immanente Spannungsverhältnis darzustellen. Es sollte gelungen sein, zum einen die beiden Pole wirtschaftliches Interesse versus öffentlichen Auftrag in ihrer Ambivalenz herauszuarbeiten, zum zweiten die Schwierigkeiten deutlich zu machen, die sich aus der in unserer Gesellschaft weit gefaßten Meinungs- und Kapitalfreiheit für die Zusammenarbeit von Redaktion und Geschäftsleitung ergeben und zum dritten die großen Linien aufzeigen, um die die Entwicklung des Verlagswesens seit seiner Entstehung bis heute kreist.

Bemerkenswert ist, die eine große Linie: Den ewigen Zwist und das ewige gegenseitige Bedürfen von Kapital bereitstellenden Verlegern und geistiges Gut produzierenden Köpfen. Die Versuchung, an dem zur Veröffentlichung übernommenen Erzeugnis Veränderungen vorzunehmen, ist wahrscheinlich ebenso stark wie der Wunsch der Autoren, von dem Wohlwollen der finanzstarken Banausen abzuhängen.

Verleger zu sein hat sich als eine Aufgabe mit vielschichtigen Aspekten herausgestellt. Das Gut, mit dem der Gedankenhändler täglich umgeht, birgt eine Brisanz, die schnell Widerstand hervorruft. In dieser Arbeit war viel die Rede von Redakteuren, die sich gegen den Einfluß des Verlegers sträubten. Wenigstens zum Schluß sollte die Politik noch erwähnt werden, die seit jeher ein Interesse hatte, die Entwicklung der durch die Presse beförderten öffentlichen Meinung mitzubestimmen. Meist geschah Lenkung durch inhaltliche Beschränkung, die zu Lasten von Verfassern ging. Verleger konnten ihr Geschäft auch in Zeiten von Zensur aufrechterhalten. Daran wird deutlich, wie wenig der öffentliche Auftrag, der an die Presse übergeben wurde, konstituierend für ein Verlegerverständnis ist, wenn es sich selbst auf Profitmaximierung reduziert.

Die Verleger, die dieses enge Selbstverständnis aufgebrochen haben, sind diejenigen, die in ihrem Blatt auch eine inhaltliche Mission sehen. Sie bringen dies dadurch zum Ausdruck, daß sie publizistisch tätig werden, jedoch nicht, um die finanziellen Ambitionen des Unternehmens zu befördern, wie es dem Schreckgespenst des sich einmischenden Verlegers unterstellt wird. Sondern, um seine Ansicht, zu dessen Unterstützung er das Blatt gegründet hat, zu vertreten und ihr Ausdruck zu verleihen.

Diese großen Herausgeberverleger waren nie sehr zahlreich und ihre Verdienste für die Bundesrepublik sind oft gewürdigt worden. Ihnen eigen ist immer ein gewisses Maß an Altruismus, ohne daß sie nicht auf ihren wirtschaftlichen Vorteil bedacht sein dürften. Festzuhalten bleibt aber, daß das persönliche Engagement zu dem Vollbild des gesellschaftlich verantwortlichen Verlegers zählt. Daß dies innerhalb von Konzernstrukturen im Weltausmaß realisierbar ist, hat sich bislang noch nicht bewiesen. Aber der Rückblick in die Verlagsgeschichte hat es gezeigt: Zeiten der wilden Kommerzialisierung folgten Phasen der Dominanz des Intellektuellen. Beide Ausprägungen haben immer wieder ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Gewandelt hat sich die Pressefreiheit für den Redakteur. Die Pressefreiheit für den Verleger blieb weitgehend stabil. Denn letztendlich hat er noch zu jeder Zeit einen Weg gefunden, den Wirtschaftskreislauf in Gang zu halten. Der Verleger bleibt ein Vor-leger, auch wenn er sich in Laufe der Jahre zu beachtlicher gesellschaftlich-humaner Reife fortentwickelt hat, was ihn gerade wegen seiner vorrangig materiellen Ausrichtung besonders auszeic0

Literatur:

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Der angeklagte Verleger, Notizen zur Freiheit der Presse- München 1974

Emil Dovifat

Die Zeitung. Gotha, 1925.

Emil Dovifat

Zeitungslehre. Berlin, New York, 6. neu bearbeitete Auflagevon Jürgen Wilke. Berlin, 1976.

Werner Faulstich

Grundwissen Medien. 2. verbesserte Auflage, München 1995.

Otto Groth

Die Zeitung, Ein System der Zeitungskunde (Journalistik). Vierter Band, Mannheim, Berlin, Leipzig; 1930

Ludwig Maaßen

Die Zeitung, Heidelberg, 1986.

Reinhard Mundhenke

Der Verlagskaufmann, Berufsfachkunde für Kaufleute in Zeitungs- Zeitschriften- und Buchverlagen. Siebte Auflage, Frankfurt 1994.

Hans A. Münster

Die moderne Presse, Das Zeitungs- und Zeitschriftenwesen im In- und Ausland in zwei Bänden. Band 1, Die Presse in Deutschland, Bad Kreuznach 1955.

Elisabeth Noelle-Neumann

Innere Pressefreiheit 1973, Bericht über eine Umfrage unter Redakteuren und Verlegern. 1973

Elisabeth Noelle-Neumann

Entwicklungstendenzen bei Tageszeitungen, Ein Gutachten auf der Grundlage einer Repräsentativ-Umfrage bei Chefredakteuren und Verlegern. 1983

Heinz Pürer

Medien in Deutschland. 2. Auflage, Konstanz 1996.

Rolf Richter

Kommunikationsfreiheit = Verlegerfreiheit ?, Zur Kommunikationspolitik der Zeitungsverleger in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1969. Pollach bei München, 1973

In: Dortmunder Beiträgen zur Zeitungsforschung, Band 17, Herausgeber: Kurt Koszyk

Reinhart Ricken

Handbuch des Presserechts. 3., neu bearbeitete Auflage. München 1994

Reinhart Ricken

Medienrecht in: Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation, Hrgb: E. NoelleNeumann, S.244-267. Frankfurt am Main, 1994.

Stefan Ruß-Mohl

Zeitungs-Umbruch, Wie sich Amerikas Presse revolutioniert. Berlin, 1992.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Verleger - Manager oder Journalisten
Autor
Jahr
1997
Seiten
23
Katalognummer
V95155
ISBN (eBook)
9783638078344
Dateigröße
471 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verleger, Manager, Journalisten
Arbeit zitieren
Philipp Müller (Autor:in), 1997, Verleger - Manager oder Journalisten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95155

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Titel: Verleger - Manager oder Journalisten



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