Der Hüter des Misthaufens. Aufgeklärte Märchen von Peter Rühmkorf


Seminararbeit, 2001

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1 Bindet die Bauchläden fester
1.1 Der Affe als Mensch
1.2 Rühmkorf als Vortragsonkel

2 Mündlicher Erzählstil
2.1 Lautmalerei
2.2 Reime und Alliterationen
2.3 Rhetorische Fragen
2.4 Wertende Aussagen
2.5 Provokative Aussagen
2.6 Imaginäres Publikum

3 Moderne Zeiten
3.1 Zu Golde

4 Märchen im Märchen

5 „Aufklärung“ im Märchen

6 Aufklärung ohne erhobenen Zeigefinger
6.1 Blaubarts letzte Reise

Zusammenfassung

Einleitung

Der vielseitige Poet und Schriftsteller Peter Rühmkorf schrieb Gedichte, Prosa und Dramen. Nach seinem ersten Märchen "Auf Wiedersehen in Kenilworth" erschien 1983 der Märchenband "Der Hüter des Misthaufens. Aufgeklärte Märchen.".

Die vorliegende Arbeit untersucht im ersten Teil die Entstehungsbedingungen der Märchen. Stoff und Form, so soll gezeigt werden, wurden von Autor bewußt gewählt, um seinem Publikum direkt erreichen zu können, ohne auf den Literaturbetrieb unbedingt angewiesen zu sein.

"Meine Märchen sind Vortragsmärchen, ich habe sie mir selber in den Mund geschrieben."[1]

so der Autor über sein Buch. Dass diese Aussage wörtlich zu nehmen ist, soll der zweite Teil zeigen. Im weiteren Verlauf werden die Märchen "Zu Golde" und "Blaubarts letzte Reise"genauer betrachtet. Ausserdem wird untersucht, wie der Untertitel "Aufgeklärte Märchen" zu verstehen sein könnte.

Bei Zitaten aus "Der Hüter des Misthaufens" wird die Seitenangabe in Klammern angefügt.

1 Bindet die Bauchläden fester

Peter Rühmkorf ging mit seinen Märchen auf mehrere Vortragsreisen. Er suchte dabei den direkten Kontakt zu seinem Publikum, nicht jedoch dessen passive Aufmerksamkeit, sondern kreativen Austausch. Dies tat er nicht allein wegen seiner Freude am Vortragen, sondern auch auf Grund seiner kritischen Haltung gegenüber dem Literaturbetrieb. Im Kapitel "Bindet die Bauchläden fester" von "Bleib erschütterbar und widersteh. Aufsätze, Reden, Selbstgespräche." veröffentlichte Rühmkorf drei Briefe, die in diesem Zusammenhang von Interesse sind. Zwei davon schrieb er in der Produktionsphase des "Hüter des Misthaufens an Fritz J. Raddatz, Schriftstellerkollege und damaliger Feuilletonchef der ZEIT. Ein weiterer Brief, adressiert an Gisela Wand, entstand nach Veröffentlichung der Märchen.

1.1 Der Affe als Mensch

Bereits im Mai 1982 schrieb er an Raddatz:

"die Däumlinge, die zu erwarten sind, werden kaum mit Eurem Interesse rechnen können. Ich bin ernsthaft dabei, mich nach einem anderen Publikum umzusehen [...], meine kulturpädagogische Sendung geht mehr auf die Dörfer und Samtgemeinden: eine Emigration in ein Liliputanien, das man noch auf eigenen Füßen durchwandern kann und wo man des Krückstocks der Kritik nicht bedarf."[2]

Rühmkorf schrieb die Märchen also bereits mit dem Vorhaben, sie später als "Vortragsonkel"[3] in mündlicher Form unter die Leute zu bringen. Er ging schon davon aus, dass das Buch die Literaturkritik nicht interessieren würde. Im Brief an Gisela Wand wird aber die Ambivalenz seiner Haltung spürbar. Einerseits beschreibt er darin seine Freude beim direkten Kontakt mit dem Publikum. Andererseits wird seine Ohnmacht gegenüber den Marktgesetzen sehr deutlich. Rühmkorf gibt zu, die Märchen seien ein Versuch gewesen,

"die anspruchsvolle E- mit der auch auf unteren Ebenen unterhaltsamen Popularliteratur zu amalgamieren und mit dem archaischen Ammenerbe auch die klassisch-romantischen Traditionen noch einmal dem Strom des Vergessens zu entreißen"[4].

Diese Aussage lässt auf Hoffnungen seinerseits schließen, mit seinen Märchen ein großes Publikum erreichen zu können. Dies hatte auf ähnliche Art und Weise Wilhelm Hauff mit seinen Märchen geschafft hat. Dieser Versuch sei, so schreibt er weiter, misslungen. Nicht etwa deshalb, weil es kein interessiertes Publikum gebe, sondern weil "Der Hüter des Misthaufens" von den Organen der Literaturkritik "übersehen, außen vor belassen, bestreikt"[5] worden sei. Rühmkorf vergleicht den Literaturbetrieb mit Hauffs Märchenstädtchen Grünwiesel: es zählten nicht Inhalt und Qualität des Werks, sondern allein eine gute Show, "die nötigen extravaganten Lebensumstände und äffischen Selbstverrenkungen"[6]. Zu solchen aber sei er nicht in der Lage und auch nicht gewillt.

1.2 Rühmkorf als Vortragsonkel

"wenn es das Kunstmärchen nicht nur mit der Kunst, sondern auch mit dem alten Sinn des Märchens ernst meint- warum sollte es sich also nicht auf Zuspruch, Einspruch und öffentliche Mitsprache gefasst machen?"[7]

So schrieb er an Gisela Wand. Einspruch forderte Rühmkorf bei seinen öffentlichen Vorträgen, er wollte das aktive Mitdenken seiner Zuhörer provozieren. Damit knüpfte er an die mündliche Tradition des Volksmärchens an. Das charakteristische am Volksmärchen ist, dass es sich durch die mündliche Überlieferung von Mal zu Mal verändert. Zwar sind Rühmkorfs Märchen natürlich Kunstmärchen, festgeschrieben und in dieser Hinsicht unveränderlich. Auf seinen Vortragsreisen versuchte er dennoch, das Element der Veränderbarkeit zu erhalten. Gelegentlich ließ er den Schluss eines Märchens weg und die Zuhörer selber zu Ende konstruieren. Die Freude an der Kreativität und dem Widerspruchsgeist seines Publikums wird spürbar, wenn er an Gisela Wand schreibt:

"Sie glauben ja gar nicht, was sich erwachsene Kindsköppe alles zu wünschen und gegen jede Sitte und Ordnung herauszulesen trauen! Manchmal kann solch ein fruchtbar ins Phantasieren geratener Verein sogar bessere, schönere, interessantere oder plausiblere Lösungen finden als der mit Einsicht und Überblick auch nur begrenzt gesegnete Autor."[8]

Hier deutet sich bereits an, was der Autor mit seinen aufgeklärten Märchen bezweckt haben könnte: das "Phantasieren" "gegen jede Sitte und Ordnung" anzuregen, Lust zu machen auf Hinterfragen, Einspruch und Widerstand mit Hilfe der Fantasie. Er selbst ist dabei jedoch nur derjenige, der den Stein ins Rollen bringt. Rühmkorf sah sich nicht in der Rolle des Lehrmeisters, auch seine Lösungen seien schließlich nicht immer der Weisheit letzter Schluss.

So könnte auch das Motto der aufgeklärten Märchen gedeutet werden: Die Rechtsformel "in dubio pro reo", also "im Zweifel für den Angeklagten" heißt damit umgemünzt "Im Zweifel für das Publikum". Im Zweifelsfall kann sich der Zuhörer/Leser den Sinn, das Motto oder gar die Lehre des Märchens selber zusammenreimen. Und ein Zweifelsfall liegt bei Rühmkorfs Märchen des öfteren vor. Der Autor erhebt keinen Anspruch auf Allwissenheit.

[...]


[1] Peter Rühmkorf: Bleib erschütterbar und widersteh. Aufsätze, Reden, Selbstgespräche. Hamburg 1984, S. 238.

[2] Bleib erschütterbar,S. 234.

[3] Bleib erschütterbar, S. 234.

[4] Bleib erschütterbar, S. 236.

[5] Bleib erschütterbar, S. 236.

[6] Bleib erschütterbar, S. 237.

[7] Bleib erschütterbar, S. 239.

[8] Bleib erschütterbar, S. 237f.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Hüter des Misthaufens. Aufgeklärte Märchen von Peter Rühmkorf
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)  (Institut für neuere deutsche Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar Peter Rühmkorf
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V9518
ISBN (eBook)
9783638162029
Dateigröße
475 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hüter, Misthaufens, Aufgeklärte, Märchen, Peter, Rühmkorf, Seminar, Peter, Rühmkorf
Arbeit zitieren
Andrea Geiss (Autor:in), 2001, Der Hüter des Misthaufens. Aufgeklärte Märchen von Peter Rühmkorf, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9518

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