Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2.1. Die politische Bildung in der ehemaligen DDR und BRD
2.2. Die politische Bildung in den ,,alten" und ,,neuen" Bundesländern nach der Wiedervereinigung
2.3. Die Diskussion um die inhaltliche Zweiteilung der politischen Bildung
2. Zukünftige Aufgaben der politischen Bildung
3. Schlußbemerkung
Literaturverzeichnis
1.
Die politische Bildung der BürgerInnen ist eine der wichtigen Aufgaben eines demokratischen Staates, denn ohne sie wird die Akzeptanz des politischen Systems geschwächt. Die Möglichkeit der Partizipation an den politischen Entscheidungen des Staates muß vermittelt und aufgezeigt werden. Wie sieht die politische Bildungsarbeit in Deutschland heute aus ? Welche Konsequenzen hat die Wiedervereinigung auf die politische Bildung in Ost und West ?
Kontrovers diskutiert wird in der politischen Forschungsliteratur die Frage, ob nach über vierzig Jahren der Trennung und der gegensätzlichen politischen Sozialisation eine gemeinsame politische Bildung überhaupt möglich ist.1 Wie soll die politische Bildungsarbeit strukturiert sein ? Es existieren zwei unterschiedliche Standpunkte: Die vollständige Übernahme der westlichen politischen Bildungsarbeit auf der einen und die Entwicklung politischer Bildungskonzepte durch die Menschen im Osten auf der anderen Seite. Um eine Analyse der derzeitigen politischen Bildungsarbeit anzustellen betrachte ich die politische Bildung in den zwei deutschen Staaten vor der Wiedervereinigung und im vereinigten Deutschland nach dem Zusammenschluß beider Staaten. Das Problem der inhaltlichen Zweiteilung der politischen Bildung und die zukünftigen Aufgabenstellungen beschreibe ich anschließend.
2.1.
Eines hatten die Fächer Staatsbürgerkunde in der DDR und Sozialkunde in der BRD gemeinsam. Sie sollten die SchülerInnen zur Übernahme ihrer Rolle als Staatsbürger befähigen und zur politischen Partizipation motivieren. Es gab inhaltliche Gemeinsamkeiten der beiden Fächer wie z.B. die Aufgaben des Staates oder die Rechte und Pflichten der Bürger. Dabei bestimmte jedoch das jeweilige politische System die Ausrichtung und die ideologische Interpretation.2
Der wichtigste Unterschied bestand jedoch in der Zielsetzung dieser Unterrichtsfächer. Im Staatsbürgerkundeunterricht sollten die SchülerInnen die marxistisch-leninistische Weltanschauung verinnerlichen, während im Fach Sozialkunde die Erlangung sozialer und politischer Handlungskompetenzen angestrebt wurde.
In der DDR war das Unterrichtsfach Staatsbürgerkunde das Instrument politischer Erziehung. Es war methodisch und inhaltlich einseitig angelegt, im Klartext: es war eine Indoktrination der marxistisch-leninistischen Weltanschauung.3 Die Methode des Frontalunterrichts war in diesem Fach dominierend. In der DDR existierten viele staatlich kontrollierte Organisationen wie z.B. die Freie deutsche Jugend (FDJ), der demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD) oder die Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft (DSF). Durch diese Organisationen sollte auch in der Freizeit der BürgerInnen der ehemaligen DDR eine politisch-ideologische Schulung sichergestellt werden. Sämtliche politische Organisationen wurden von der Regierung der DDR finanziell großzügig unterstützt und aufgrund ihrer indoktrinierenden Ausrichtung von den DDR-Politikern niemals in Frage gestellt.4 In der BRD steckte die schulische politische Bildungsarbeit in den 80er Jahren in einem Konjunkturtief und besaß im Vergleich zu anderen Fächern an den Schulen einen geringen Stellenwert.5 Die Fächer Sozialkunde und Gemeinschaftskunde waren unterrepräsentiert und wurden teils von fachfremden Lehrern unterrichtet. Auch fehlten finanzielle Mittel zur Anschaffung von Unterrichtsmaterialien.
Die außerschulische politische Bildungsarbeit besaß in den 80er Jahren ebenfalls nur eine Randstellung. Gesellschaftliche Träger wie z.B. Gewerkschaften, parteinahe Stiftungen und kirchliche Organisationen waren durch einen Attraktivitäts- und Partizipationsschwund gekennzeichnet. Aufgrund der Konkurrenz zu den aktuelleren und immer perfekter werdenden Massenmedien änderte sich die politische Bildung von Politisierung, Parteilichkeit und Partizipation in Richtung
Kommunikation, Kreativität und Kennenlernen. Wenn die Bevölkerung mehr und mehr zu einer Unterhaltungs- und Erlebnisgesellschaft wird, muß die politische Bildungsarbeit auf diesen Trend reagieren will sie nicht völlig unattraktiv werden. Dabei stehen sich Politik und ,,Fun" allerdings etwas gewöhnungsbedürftig gegenüber.
Vielleicht führte nicht zuletzt die von Gorbatschow 1985 eingeleitete Politik der ,,Perestroijka" zum Schwinden des Antikommunismus in der BRD und damit zum Entzug der Legitimation der politischen Bildung.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß in der DDR eine institutionalisierte politische Bildungsarbeit existierte, die einen hohen Stellenwert im sozialistischen Staat besaß. Sie war parteifixiert und indoktrinierend und somit keine wirklich freie politische Bildung. In der BRD gab es eine umstrittene, nicht zentral gelenkte und nicht einseitig ideologisch ausgerichtete politische Bildung, die aber in den 80er Jahren zunehmend in Konkurrenz zu sozialen Bewegungen und den Massenmedien stand.
2.2.
,,Eine unbewältigte Vergangenheit, eine überbewertete Gegenwart und eine angstbesetzte Zukunft belasten psychisch einen großen Teil der BürgerInnen der ehemaligen DDR".6 So beschreibt Susann Zschieschang die Lebenssituation nach der Wiedervereinigung in den ,,neuen" Bundesländern. Die Erwartungen, die mit der Zeit der politischen Wende verbunden waren, wichen oftmals der Furcht vor der Zukunft. Resignation und ein Identitätsverlust durch den Wertewandel waren an der Tagesordnung. Die BürgerInnen der ehemaligen DDR versprachen sich durch die Wende einen höheren Lebensstandart, mehr Rechte und größere Freiheiten und zusätzlich die sozialen Absicherungen, wie sie es aus der ,,alten" Zeit gewohnt waren. Nicht zuletzt versprach Helmut Kohl, daß es niemandem schlechter gehen werde, sondern allen besser als zuvor!
Die politische Bildung in den neuen Bundesländern muß sowohl die politische Sozialisation in der ehemaligen DDR als auch die defizitäre westliche politische Bildung berücksichtigen und es muß nach Alternativen zu den bestehenden didaktischen Konzepten gesucht werden.7
In den neuen Bundesländern existierte nach der Wende kein Konzept über die zukünftige politische Bildung. Nach den negativen Erfahrungen der Vergangenheit diskutierte man darüber, ob die politische Bildung nicht eher lebenskundlich denn politisch angelegt sein sollte. Nicht zuletzt bestand ein Klärungsbedarf über den zukünftigen beruflichen Werdegang der Staatsbürgerkunde- und GeschichtslehrerInnen. In den neuen Bundesländern kam es zu einer Neukonstituierung der politischen Bildung. Ab dem Schuljahr 1991/92 gab es Rahmenrichtlinien, die die politische Bildung in den Schulen regelten. Politisch belastete LehrerInnen wurden von den zuständigen Behörden überprüft und ggf. entlassen. Für die weiterhin im Schuldienst beschäftigten Pädagogen gab es vier- Semestrige Weiterbildungskurse an den Universitäten der neuen Bundesländer, die auch ihre Lehramtsausbildungen den neuen politischen Verhältnissen gemäß umstellten. Einen wichtigen Schritt bei der Neukonstituierung der außerschulischen politischen Bildung stellte die Einrichtung der Landeszentralen für politische Bildung in den fünf neuen Ländern dar.8 Die politische Bildung stand insgesamt in den neuen Bundesländern vor großen Problemen. Durch die massive politische Beeinflussung des DDR-Regimes stieß die politische Bildungsarbeit der gesamtdeutschen Regierung oftmals auf Desinteresse und auch die schwierige wirtschaftliche Situation vieler Familien im Osten ließ und läßt heute noch Alltagsprobleme in den Vordergrund rücken.Viele BürgerInnen der ehemaligen DDR sahen in der Übernahme der westlichen politischen Kultur eine ,,Kolonisierung" und fühlten sich als Bürger ,,zweiter Klasse".9
Die Situation der politischen Bildung in den alten Bundesländern hat sich im Vergleich zu den 80er Jahren nicht grundlegend geändert.
Die Bundesregierung veröffentlichte im Dezember 1991 einen Bericht zum Stand und den Perspektiven der politischen Bildung in Deutschland mit dem Resultat, daß man sich stärker aktuellen politischen Problemen und Zukunftsfragen widmen wolle. Das Gegenteil war allerdings der Fall! Finanzielle Mittel für die außerschulische politische Bildungsarbeit wurden gekürzt und die Zurückdrängung des Faches Politik in den Schulen setzte sich fort. Zusammenfassend beurteilt gab es in den neuen Bundesländern einen vielversprechenden Neuanfang, der aber längst nicht abgeschlossen ist und von vielen vereinigungsbedingten Problemen begleitet wird, während in den alten Bundesländern nach wie vor eine vernachlässigte, minimalistische und unpopuläre politische Bildung vorherrscht.
2.3.
Die Diskussion über die inhaltliche Zweiteilung der politischen Bildung im vereinten Deutschland umfaßte zwei unterschiedliche Standpunkte. Der erste war die Forderung nach einer völligen Übernahme der westlichen politischen Bildungsarbeit als quasi eine Art ,,Entwicklungshilfe". Der zweite Standpunkt besagte, daß die politische Bildung im Osten von Menschen aus dem Osten konzipiert und formuliert werden sollte, weil nur sie die Erfahrungen vor und nach der Vereinigung direkt erfahren hatten. Die Frage war, ob die politische Bildung im vereinigten Deutschland überhaupt gleiche Ziele, Inhalte und Methoden besitzen konnte oder ob nicht zumindest zeitweise eine doppelte Sichtweise nötig wäre. Prechtl fordert eine unterschiedliche Gewichtung und inhaltliche Differenzierung der für Gesamtdeutschland einheitlichen Lerngegenstände.10 Die grundlegenden Probleme seien in Ost und West identisch, allerdings müsse die Akzentuierung der einzelnen Themen unterschiedlich sein. Die unterschiedlichen Prägungen durch über vierzig Jahre der gegensätzlichen politischen Systeme wurden von den Politikern unterschätzt. Dies mußte aber zu einer in Ost und West unterschiedlichen Gewichtung von Bedürfnissen und Problemen und ihrer Wahrnehmung führen.
Es existieren zwei Interessens- und Lebenslagen in Deutschland.11 Die Menschen in den neuen Bundesländern sind noch mit der Aufarbeitung ihrer DDR-Vergangenheit beschäftigt und noch nicht vollständig in das neue Deutschland integriert. Die alten Bundesländer haben sich in ihren Strukturen und Institutionen nicht grundlegend geändert. Realität ist eine unterschiedliche Wohnqualität, unterschiedliches Einkommen, verschiedene Arbeitsprofile und ein unterschiedliches Freizeitverhalten und aus diesen Bedingungen folgert Prechtl die notwendige unterschiedliche Akzentuierung der Lerngegenstände. Themen, die vor allem in den neuen Bundesländern behandelt werden sollten sind u.a. die Stasiproblematik, die Behandlung der demokratischen Abstimmungsprozesse sowie die rechtsstaatliche und wirtschaftliche Ordnung. Gemeinsame Themen im politischen Unterricht seien z.B. die Suche nach einer neuen deutschen Identität oder die Konkurrenz zwischen Ost und West.12
3.
Welches sind die ,,Schlüsselprobleme der Gegenwart"?13 Immer noch aktuell ist das Thema der inneren Einheit Deutschlands, denn obwohl die Einheit formal schon längst vollzogen ist, besteht in den Köpfen der Menschen diese Trennung immer noch. Es war zu Leichtfertig von vielen Politikern zu glauben, man könne über 45 Jahre der Trennung in Ost und West durch die vorangegangene geschichtliche und kulturelle Gemeinsamkeit überdecken. Ein weiteres Thema ist der bestehende Konflikt zwischen dem Verbund der Europäischen Gemeinschaft und dem Nationalismus. Vorteile und Nachteile einer solchen Gemeinschaft müssen im
Unterricht behandelt werden. Vorurteile müssen abgebaut werden um die multikulturelle Gesellschaft als Bereicherung des eigenen Lebens anzusehen. Weitere Themen laut Prechtl sind die Umweltzerstörung, jegliche Formen von Gewalt, der Nord-Süd und West-Ost Konflikt, der islamische Fundamentalismus, die Explosion der Weltbevölkerung und die weltweite Interdependenz, d.h. die internationalen Verpflechtungen auf politischer, ökonomischer, ökologischer und kultureller Ebene sollten in der politischen Bildungsarbeit behandelt werden.14 Die politische Bildungsarbeit muß sich den vielfältigen Herausforderungen unseres demokratischen Staates stellen. Laut Prechtl wird die politische Bildung als ein Sozialisationsfaktor neben anderen oftmals unterschätzt und die Realsituation derselben sei heute ähnlich unbefriedigend wie in den 80er Jahren.15
4.
,,118 Behörden sind zum Teil überflüssig" so stand es in der Nordwest Zeitung am 29. Juli 1999. Bund und Länder verschwenden Milliarden, so der Artikel weiter. Das Magazin ,,impulse" recherchierte und kam zu dem Schluß, daß fast drei Milliarden DM an Kosten durch überbesetzte oder überflüssige Behörden entstünden. Das Magazin berief sich auf eine Kurzumfrage bei Rechnungshöfen, Unternehmensberatern, Politikern, Behördenleitern und Verwaltungsexperten. Das Magazin stellte eine Streichliste auf, zu der auch die 16 Zentralen für Politische Bildung gehören. Das Sparpotential beträgt laut ,,impulse": 53 Millionen DM
Mal abgesehen davon, daß in anderen Bereichen wesentlich ,,sinnvoller" eingespart werden kann, sägt dieses Magazin an dem Ast, auf dem es sitzt. Politische Bildung ist das Fundament der demokratischen Gesellschaft. In diesem Bereich sparen zu wollen angesichts der Radikalisierung nicht zu unterschätzender Teile der Bevölkerung und der immer neuerlichen Hetzjagden auf ausländische Mitbürger halte ich diesen Vorschlag für das Schädlichste was man tun könnte. Wie war das doch gleich mit der Pressefreiheit in jüngster deutscher Vergangenheit ?
Literatur
1. Bernhard Claußen / Birgit Wellie (Hg) :
,,Bewältigungen. Politik und Politische Bildung im vereinten
Deutschland."
Hamburg 1995
2. Christoph Prechtl:
,,Innere Einheit Deutschlands. Gegenstand der schulischen und
außerschulischen politischen Bildungsarbeit."
Schwalbach 1996
3. Gotthard Breit:
,,Staatsbürgerkunde - Sozialkunde. Gemeinsamkeiten und Unterschiede."
Aus: ,,Politik unterrichten" 2/98
Deutsche Vereinigung für politische Bildung e.V. - Niedersachsen
[...]
1 Christoph Prechtl: ,,Innere Einheit Deutschlands. Gegenstand der schulischen und außerschulischen politischen Bildungsarbeit." S. 83
2 Gotthard Breit: ,,Staatsbürgerkunde - Sozialkunde. Gemeinsamkeiten und Unterschiede." in: ,,Politik unterrichten" 2/98 S. 33 - 44
3 Prechtl S. 70
4 Ebd. S. 71
5 Ebd. S. 71
6 Susann Zschieschang: ,,Utopieverlust im Vereinigungsprozeß und die Verantwortung Politischer Bildung für die Zukunft" in: Bernhard Claußen/Birgit Wellie (Hg) ,,Bewältigungen. Politik und Politische Bildung im vereinten Deutschland" S.242 f
7 Wolfgang Endres: ,,Politische Bildung im vereinigten Deutschland: eine Skizze aus östlicher Sicht" in: ,,Bewältigungen ..." S. 227 f
8 Prechtl S. 76
9 Ebd. S. 77
10 Prechtl S. 83
11 Prechtl S. 84
12 Ebd. S. 86
13 Ebd. S. 79
14 Prechtl S. 87 f
15 Ebd. S. 96
- Arbeit zitieren
- Ulf Petershagen (Autor:in), 1999, Politische Bildung im vereinten Deutschland - eine Standortbestimmung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95189
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