Strategische Handelspolitik in Dienste der europäische Industriepolitik


Seminararbeit, 1999

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Symbolverzeichnis

1. Einleitung

2. Theorie der strategischen Handelspolitik
2.1 Grundlagen und Klassifikation
2.2 Strategische Exportförderung
2.3 Kritische Analyse der Theorie der strategischen Handelspolitik

3. Industriepolitik der Gemeinschaft
3.1 Definition des Begriffs „Industriepolitik“
3.2 Einheitliche Europäische Akte
3.3 Vertrag von Maastricht
3.4 Instrumentarium der europäischen Industriepolitik

4. „ Airbus “ als Beispiel erfolgreicher Industriepolitik?

5. Perspektiven der europäischen Industriepolitik

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 - Optimale Exportsubventionierung bei Cournot-Exportdyopol

Symbolverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die Theorie der „strategischen Handelspolitik“ führte zu lebhaften Diskussionen, konnte doch erstmals bewiesen werden, daß protektionistische Maßnahmen die heimische Wohlfahrt steigern kann. Im Rahmen dieser Hausarbeit soll diese Ver- mutung am Beispiel der europäischen Industriepolitik erörtert werden. Dazu wird in Kapitel 2 näher auf die Theorie der „strategischen Handelspolitik“ eingegangen. Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Industriepolitik der EG, wobei zuerst eine Definition gegeben wird, anschließend zwei wichtige Vertragsände- rungen thematisiert werden. Zur Realisierung der neuen industriepolitischen Aus- richtung bedarf es eines Instrumentariums, worauf in Kapitel 3.4 eingegangen wird. Am Beispiel des Airbus-Projekts soll konkret gezeigt werden, ob es nicht nur in der Theorie möglich ist, eine erfolgreiche strategische Handelspolitik im Dienste der europäischen Industriepolitik zu praktizieren. Die Arbeit endet mit einem Ausblick auf die zukünftige europäische Industriepolitik.

2. Theorie der strategischen Handelspolitik

2.1 Grundlagen und Klassifikation

Die traditionelle Handelstheorie basiert auf Ricardos Überlegungen der kompara- tiven Kostenvorteile. In den verschiedenen Modellen bestimmt sich die Richtung der internationalen Handelsströme danach, welches Land einen komparativen Vorteil bei der Produktion eines bestimmten Gutes hat, die vorhandenen Fak- torausstattungen (Humankapital, Sachkapital, Produktivitätsunterschiede etc.) determinieren, welches Gut exportiert bzw. importiert wird1. Auf Grundlage dieser Modellansätze (vollkommene Märkte vorausgesetzt), läßt sich beweisen, daß ein freier, auf marktwirtschaftlichen Prinzipien basierender Welthandel für alle Akteure vorteilhaft ist2. Abweichungen vom Freihandelspostulat waren nur mit wenigen Argumenten zu begründen: politisch motivierte Überlegungen (Autarkie), Verbesserung der Terms of Trade und dem Schutz „junger“, sich ent- wickelnder Industrien (Erziehungszollargument)3.

Zunehmende Zweifel und Kritik wurde an der traditionellen Handelstheorie laut, da sie auf teilweise recht restriktiven, teils nicht mehr realitätsnahen Annahmen beruht (vollkommener Kapitalmarkt, nicht Berücksichtigung von Politikerverhalten (NPÖ) etc.), ferner konnte mit den „alten“ Modellen der zunehmende intraindustrielle Handel, welcher ja gerade in der europäischen Gemeinschaft eine zunehmende Rolle spielt, nicht mehr erklärt werden.

Hier setzt die Anfang der 80er Jahre entwickelte und stark diskutierte „strategi- sche Handelspolitik“ an - zu nennen sind hier insbesondere die Arbeiten von Brander und Spencer (1985) als „Initiatoren“ dieser neuen wissenschaftlichen Theorie4.

Marktunvollkommenheit, Skaleneffekte, die statischer (Kostendegression) und dynamischer (Lerneffekte) Natur sein können und hohe Markteintrittsbarrieren (sunk costs), welche potentielle Wettbewerber abschreckt5, eröffnet, den für Han- dels- und/oder Industriepolitik zuständigen Politikern die Möglichkeit, abwei- chend von der Prämisse, daß Freihandel wohlstandsoptimal ist, durch protektioni- stische Maßnahmen (Exportsubventionierung, -förderung, Förderung der FuE, Schutzzölle etc.) die heimische Wohlfahrt auf Kosten ausländischer Konsumenten oder Produzenten zu erhöhen6. Optimal ist eine solche Politik, wenn die Differenz zwischen dem inländischen Rentenzuwachs und den Subventionsausgaben maximal wird.

Beim Konzept der „strategischen Handelspolitik“ wird die Annahme unterstellt, daß die Weltmärkte eine oligopolistische Struktur aufweisen7. Da nur einige Un- ternehmen am Markt etabliert sind, herrscht ein hoher Konzentrationsgrad. Ent- scheidungen eines Anbieters haben Rückwirkungen auf Absatzmenge und/oder Preis der Konkurrenz, die sich wiederum veranlaßt sieht, auf die geänderten Determinanten zu reagieren; es existiert eine interdependente Beziehung.

Im Laufe der Diskussion über die „strategische Handelspolitik“ - vor allem die Frage, wie sie ordnungspolitisch bzw. wettbewerbspolitisch zu bewerten ist8 - wurden verschiedene Ansätze, welche sich durch verschiedenartige Implikationen unterschieden, entwickelt9. Grob lassen sich die Ansätze in zwei Grundmodelle unterteilen: homogenes Mengendypol und heterogenes Preisdyopol. Exogen wer- den zwei Anbieter unterstellt, jeder aus einem anderen Land, beide sind sowohl im heimischen als auch im ausländischen Markt aktiv (inländischer Markt: x11 +x21, auslänischer Markt: x12 +x22 ). Bei homogenen Gütern, und der zusätz- lichen Annahme einer gegebenen Nachfragefunktion, bilden sich länderspezi- fische Preise (p1,p2 ). Für jeden Teilmarkt werden, unter der Berücksichtigung der erwarteten Absatzmenge des Kontrahenten, die gewinnmaximalen Absatzmengen bestimmt. Von einem Cournot-Mengenwettbewerbsverhalten spricht man, wenn ein autonomes Verhalten unterstellt wird. Die zu maximierende Gewinnfunktion von Land 1 lautet dann: (1) G1 = x11 *p1 (x11 +x21 ) + x12 *p2 (x12 +x22 ) - b1 *(x11 *x12 ) - F1.

Dagegen wird von einem Bertrand-Preiswettbewerb gesprochen, wenn folgendes unterstellt wird: heterogene, d.h. substituierbare Güter und aktive Preispolitik. Bei exogener erwarteter Preispolitik des Kontrahenten und autonomen Verhalten wird für beide Teilmärkte der gewinnmaximale Preis fixiert, die Nachfragefunktion ist, analog zum homogenen Mengendyopol, bekannt. Die Preispolitik des Dypolisten hat sich an folgender Gleichung zu orientieren: (2) G1 = p11 *x11 (p11,p21 ) + p12 *x12 (p12,p22 ) - b1 *(x11 +x12 ) - F1. Die Gewinnfunktionen für Land 2 (G2 ) sind analog zu G1 zu bilden.

Die folgenden handelspolitischen Optionen stehen nun jedem Land zur Verfügung: a) strategische Exportförderung durch Exportsubventionen (G1 erhöht sich um s1 *x12 ), b) strategische Importbeschränkung durch Importzoll oder Importkontingent, c) strategische Exportbeschränkung durch Exportzoll oder Exportkontingent und d) Nicht-Intervention (Freihandel).

Zur genaueren Analyse der verschiedenen Modellansätze soll im folgenden Ab- schnitt näher auf Fall a) eingegangen werden. Diese ist nicht nur zur theoretischen Fundierung zweckmäßig, sondern es hat auch einen praktischen Hintergrund, denn „die Wirkungsweise von Exportsubventionen, die im GATT verboten sind, entspricht grundsätzlich der von Forschungs- und Entwicklungssubventionen.“10 An diesem Punkt sei schon einmal darauf verwiesen, daß durch die EEA und den Vertrag von Maastricht die Förderung von Forschung und technologischer Ent- wicklung sowie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie Ziele der Gemeinschaft geworden sind11.

2.2 Strategische Exportförderung

Das von Brander und Spencer (1985) entwickelte Modell eines internationalen Cournot-Mengendyopol liefert den Beweis - unter den gemachten Annahmen - daß der strategische Einsatz protektionistischer Handelspolitik die nationale Wohlfahrt steigern kann12.

Es wird unterstellt, daß die inländische und ausländische Unternehmung ihre gesamte Produktion eines homogenen Gutes in ein Drittland exportieren (x13 =x1 und x23 =x2 ), sie sind dort die einzigen Anbieter am Markt. Folgende weitere (vereinfachende) Annahmen gelten: beide Anbieter haben gleiche konstante Grenzkosten sowie fehlende Fixkosten.

Daraus ergibt sich für die inländische Unternehmung folgende Gewinnfunktion: (1a) G1 = x1 *pw - b*x1 + s1 *x1. Der Gewinn der ausländischen Unternehmung berechnet sich nach (3) G2 = x2 *pw - b*x2. Das Ausland hält also an der Freihan- delspolitik fest, wohingegen das Inland zwischen Freihandel (s1 =0) und Ex- portsubventionen (s1 >0) wählen kann. Der Weltmarktpreis (pw) liegt dort, wo das Gesamtangebot (x1 +x2 ) der Dyopolisten mit der Marktnachfragefunktion überein- stimmt. Da jedes Unternehmen annahmegemäß die erwartete Absatzmenge des Konkurrenten kennt, lassen sich die ge- winnmaximalen Ab- satzmengen unter Freihandelsbedingun- gen in ein x1 -x2 -Ko- ordinatensystem als Reaktionskurven ab- bilden. Aus Glei- chung (1a) läßt sich die Reaktionskurve der inländischen Un-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 - Optimale Exportsubventionierung bei Cournot-Exportdyopol (In Anlehnung an B ENDER (1994), S. 24)

ternehmung ( R ) herleiten (dG1 /dx1 = 0 und Auflösen nach x2 ), sie beschreibt alle von der Absatzmenge der ausländischen Unternehmung abhängigen gewinnmaximalen Produktionsmengen. Im Schnitt- punkt (E0) beider Reaktionskurven entsteht ein Gleichgewicht des internationalen Cournot-Dyopolmarktes, aufgrund der Symmetrieannahme haben beide Anbieter gleiche Markanteile (x = x ) sowie gleiche Gewinne. Würde die Annahme glei- cher Grenzkosten aufgehoben, verschöbe sich der Marktanteil zugunsten desjeni- gen Anbieters, der das entsprechende Gut zu günstigeren Produktionsbedingungen herstellen könnte. Der Gewinn des inländischen Produzenten G läßt sich durch eine Isogewinnkurve G (x1,x2 ) abbilden, für alle Isogewinnkurven unterhalb von G ist der Gewinn größer und analog nehmen die Gewinne ab, je weiter oberhalb die Isogewinnkurven liegen. Alle Punkte auf der R -Kurve zwischen E0 und E2 würden dem inländischen Exporteur höhere Gewinne versprechen, maximal würde der Gewinn im Tangentialpunkt E1 zwischen der Isogewinnkurve G (x1,x2 ) und der R -Kurve. Doch aus eigener Kraft kann der Inlandsproduzent diese Stak- kelberg-Unabhängigkeitsposition nicht erreichen, theoretisch könnte der Konkurrent zwar diese Führerschaft anerkennen, doch das ist eher unwahr- scheinlich. Dem Mitbewerber ist die Reaktionskurve und damit die Mengenpolitik des inländischen Anbieters bekannt, da er seine Menge konstant halten wird (x ), wird der Versuch des inländischen Anbieters, die Menge auf x auszudehnen, scheitern. Hier setzt nun das Konzept der strategischen Handelspolitik an: durch Exportsubventionen kann der inländische Anbieter in diese Position „gepuscht“ werden. Die Reaktionskurve des Inlandsdyopolisten verschiebt sich um so weiter vom Ursprung weg, je höher die Stücksubventionen sind. Es läßt sich beweisen, daß innerhalb eines Intervalls (0<s1 <s ) eine optimale Subventionshöhe (s1 opt) existiert, die die Nettowohlfahrt des Inlandes maximiert. Die neue Absatzmenge von x ist nun für die Konkurrenz glaubwürdig, es entsteht ein neues Cournot- Nash-Gleichgewicht (E1) zwischen der subventionsinduzierten Reaktionskurve R (s1 ) und der R opt -Kurve; der inländische Dyopolist hat nun die Position des Stackelberg-Führers inne.

Die Wohlfahrtssteigerung beruht in erster Linie nicht darauf, daß sich die Terms of Trade verbesserten (der Weltmarktpreis pw sinken zwar aufgrund des gestiege- nen Angebots (∆x − ∆ >x2) 0), sondern darauf, daß ausländische (Monopol-) Renten umgelenkt wurden (rent shifting).

Die aus dem Modell von Brander und Spencer gezogenen Erkenntnisse standen im Widerspruch zur neoklassischen Handelstheorie, konnte doch erstmals theore- tisch begründet werden, daß protektionistische Handelspolitik, hier Exportsub- ventionen, die Wohlfahrt steigerten. Verstärkt wird diese These, wenn sinkende Grenzkosten angenommen werden, die Umlenkung von ausländischen Renten kann nun mit einem relativ geringeren Betrag erreicht werden, die Subventionie- rung des Inlands bewirkt eine Kostenreduktion und damit steigende Absatzmen- gen, gleichzeitig muß die Konkurrenz mit Absatzprobleme (aufgrund gesunkener Preise) kämpfen und ihre Produktion zurückfahren, was wiederum zu steigenden Produktionskosten führt.

2.3 Kritische Analyse der Theorie der strategischen Handelspolitik

Die obigen Ausführungen beruhten auf der Annahme, daß das Ausland am Frei- handelspostulat festhäl, wohingegen die inländischen Politiker den (vermeintlich) erfolgreichen Anreizen einer interventionistischen Politik nachgeben. Rentenum- lenkung ist nur auf Kosten des Auslands möglich. Die Passivität des Ausland ist unter realen Bedingungen nicht aufrecht zu halten13, vielmehr sind mit Retor- sionsmaßnahmen der ausländischen Regierung zu rechnen. Der sich abzeichnende Subventionswettlauf kann eskalieren und sich zu einem handfesten Handelskrieg entwickeln, wobei im Endeffekt keines der beiden Länder einen positiven Wohlfahrtseffekt erzielen kann, höchsten ein nicht beteiligtes Drittland, welches die subventionierten Güter importiert. Spieltheoretisch läßt sich die Situation mit dem Gefangenendilemma erklären. Für jedes Land läßt sich folgen- des Entscheidungskriterium festlegen: W(Sub/Fh) > W(Fh/Fh) > W(Sub/Sub) > W(Fh/Sub)14. Jedes Land stellt sich also besser, wenn das Ausland Freihandel betreibt und man selbst subventioniert. Die Wohlfahrt im Freihandelszustand läßt sich demnach steigern, doch die Gegenreaktion des Auslands führt zu einem nicht-kooperativen Protektionsgleichgewicht, in beiden Ländern ist das Wohl- fahrtsniveau geringer als bei Freihandel - einer kooperativen Lösung15. Um zu einer solchen kooperativen Lösung zu gelangen, müßten wirksame Sanktionsme- chanismen im internationalen Handel verankert werden, um den nationalen An- reize Einhalt zu gebieten.

Bei der Wahl des handelspolitischen Instrumentariums ist zu unterscheiden, ob die Unternehmen als Mengenfixierer im homogenen Oligopol (Cournot-Modell) oder als Preisfixierer im heterogenen Oligopol (Bertrand-Modell) am Markt agie- ren16. Ist im Cournot-Modell die Subventionierung von Exporten vorteilhaft, so kann bewiesen werden, daß im Bertrand-Modell eine diametral andere Politik vorteilhaft erscheint, nämlich die der Exportsteuer oder Mengenbeschränkungen bei Im- und Exporten. Protektionistische Maßnahme eines Landes können hier sogar im Interesse des anderen Landes liegen, die Kosten werden dann auf die Konsumenten im Drittland überwälzt. Die Gefahr des Gefangenendilemmas be- steht hier nicht, was den Reiz vom Freihandel abzuweichen erhöht.

Schon hier wird deutlich, daß die Politik vor erheblichen Problemen des Mittel- einsatzes steht, sie ist abhängig vom Verhalten der Unternehmen, der Nachfrage- und Angebotssituation und dem zu erwartenden Verhalten des Auslands17, doch nicht nur hier besteht ein Informationsdefizit seitens der Politik. Bei der Wahl der zu fördernen Sektoren werden meist solche Sektoren oder Branchen gewählt, die hohe externe Erträge erwirtschaften sollen. Zukunfts- branchen wie die Informations- und Kommunikationstechnik sowie die Gentech- nik werden hier häufig genannt. Die Förderung wird damit begründet, daß die Forschung und Entwicklung aufgrund hoher Investitionsausgaben hinter dem ge- wünschten volkswirtschaftlichen Maß zurückbliebe. Die Kenntnisse von zukünf- tigen Marktstrukturen seitens der Bürokratie dürfte in den seltensten Fällen besser und detaillierter sein als die der Marktteilnehmer; der Staat müßte auch schneller handeln als die anderen Staaten, um Monopolrenten abschöpfen zu können.

Ferner ist nicht auszuschließen, daß die zukünftigen Märkte dort vermutet werden, wo ausländische Unternehmen zur Zeit dominierende Marktpositionen innehaben (vgl. Mikrotechnologie), der Aufholprozeß wird selten gelingen18. Die Modellansätze beruhen auf partialanalytischen Überlegungen. Betrachtet man die gesamtwirtschaftlichen (negativen) Folgen der strategischen Handelspolitik, so wird der Einsatz immer unwahrscheinlicher. Die Förderung (Subventionierung) einzelner Sektoren der Wirtschaft entzieht anderen Sektoren benötigte Ressour- cen. Dehnt z.B. ein geförderter Sektor die Nachfrage nach einem Vorprodukt oder Rohstoff aus, der auch in anderen Sektoren benötigt wird, so wird der Preis stei- gen und damit die Produktionskosten der nicht subventionierten Sektoren, die dadurch Teile ihrer Wettbewerbsfähigkeit einbüßen würden19. Die Förderung von Zukunftsbranchen wird sicherlich nicht nur auf ein Land begrenzt sein, vielmehr ist damit zu rechnen, daß mehrere Länder sich positive Wohlfahrtseffekte von diesen Branchen versprechen. Die erwarteten Gewinne dürften dann entweder gar nicht oder nur sehr begrenzt anfallen. Die zur Förderung benötigten Gelder müs- sen vor der Verwendung erst einmal erwirtschaftet werden, stehen diese Gelder, angenommen, nicht zur Verfügung, müßten sie durch höhere Steuern oder durch höhere Verschuldung aufgebracht werden. Beides hat negative Auswirkungen auf die Wirtschaft: höhere Steuern schrecken Investoren ab, die Kreditaufnahme des Staates erhöht die Zinsen und dämpft somit die private Investitionsneigung (crowding out)20. Nicht zu unterschätzen sind die Implementationskosten, die auf- zuwenden sind, wenn man vom Freihandel zu protektionistischen Maßnahmen übergeht.

Strategisches Verhalten der Unternehmen vermindert die Wirksamkeit strategi- scher Handelspolitik, bei geplanten Investitionstätigkeiten werden die Unterneh- men bestrebt sein, die Administration davon zu überzeugen, ihnen einen Zuschuß zu gewähren. Die Beantragung von Fördermittel beansprucht Zeit und Geld, wel- ches Großunternehmen eher zur Verfügung steht als weniger großen Unterneh- men21 (rent seeking der „Großen“, Diskriminierung der „Kleinen“). Ferner neigen geförderte Unternehmen zu Ineffizienzen22, es fehlt der Wettbewerbsdruck, dro- hen die Firmen trotz Subventionierung im internationalen Wettbewerb zurückzu- fallen, sind möglicherweise weitere Subventionen und/oder (Außen-) Schutzmaß- nahmmen vor der Konkurrenz notwendig („Protektionsspirale“). Die Vergabe der Subventionen muß auch auf Dauer angelegt sein, die Politik muß verläßliche Zu- sagen machen, andernfalls würde Unternehmen die hohen Risiken langfristiger Investitionsprojekte nicht eingehen.

Die zunehmende „Globalisierung“ der Wirtschaft macht es zunehmend schwieri- ger, Renten durch interventionistische Maßnahmen ins Inland umzulenken, multi- nationale Unternehmen operieren über Grenzen hinweg. Die Erkenntnisse aus FuE sind auch durch die zunehmende „Vernetzung“ relativ schnell weltweit ver- fügbar23, die relativ kurzen Produktzyklen, besonders in High-Tech-Branchen, lassen die Erfolgsaussichten erfolgreicher strategischer Handelspolitik sinken.

Wettbewerbspolitisch ist die Theorie der strategischen Handelspolitik abzulehnen, die Funktionsfähigkeit marktwirtschaftlicher Prozesse muß gesichert werden, es bedarf klarer Spielregeln für die Akteure, der Staat hat demnach für optimale Rahmenbedingungen zu sorgen (Stichwort: „Wettbewerb als Entdeckungsverfah- ren“) und nicht für vermutete optimale Marktergebnisse24. So wird oft in Kauf genommen, daß die Bildung von „national champions“ gegen hiesiges Kartell- recht verstößt25, nur um ein international konkurrenzfähiges Unternehmen zu ha- ben, übersehen darf man dabei nicht, daß Oligopolmärkte zu Kartellen neigen26, was zu steigenden Preisen und damit zu Wohlfahrtsverlusten führen kann.

Als Fazit kann man festhalten, daß die Theorie der strategischen Handelspolitik die Optimalität des globalen Freihandels nicht erschüttern konnte, sie liefert aber Ansätze zur Erklärung intrasektoralen Handels und den Einsatz von protektio- nistischen Instrumenten27. Den Schluß daraus zu ziehen, auf den Einsatz strategi- scher Handelspolitik gänzlich zu verzichten, ist sicherlich übertrieben, man würde sich so der Gefahr aussetzen, daß das Ausland seinerseits protektionistische Maß- nahmen ergreift, die Option, auf solches Gebaren zu reagieren, sollte man sich daher offenhalten28. Doch gerade die oberflächliche „Message“, daß Protektion die Wohlfahrt steigern kann, erlaubt es Politikern ihr Handeln „wissenschaftlich“ zu begründen, wodurch der Einsatz von Protektionsmaßnahmen tendenziell zu- nehmen dürfte.

3. Industriepolitik der Gemeinschaft

3.1 Definition des Begriffs „Industriepolitik“

Eine allgemeingültige Definition des Begriffs „Industriepolitik“ ist bis dato von der ökonomischen Literatur noch nicht entwickelt worden. Dies hängt damit zu- sammen, daß mit der Verwendung der Begriffs „Industriepolitik“ meist (unter- schwellig) eine Bewertung des Einsatzes industriepolitischer Instrumentarien mit- schwingt. Für Anhänger einer strengen an marktwirtschaftlichen Grundsätzen orientierten Wirtschaftsordnung ist der Eingriff der Politik in wirtschaftliche Abläufe schon von Grund auf ein Stein des Anstoßes. Eine solche Politik ist aus ihrer Sicht schon von Beginn an zum Scheitern verurteilt, staatliche Interventionen können nie den nach von Hayek beschriebenen Wettbewerb als Such- und Entdeckungsverfahren ersetzen29.

Befürworter halten dem gegenüber, daß die Politik die heimische Industrie mittels geeigneter Maßnahmen sehr wohl fördern und unterstützen kann. Ziele sind u.a. die Schaffung neuer Absatzpotentiale, Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsdynamik bzw. der internationalen Wettbewerbsfähigkeit30 - kurz die Steigerung der heimischen Nettowohlfahrt. Theoretische Fundierung erfahren diese Forderung nach Intervention u.a. durch die Theorie der „strategischen Han- delspolitik“. Wie oben gezeigt wurde, eignen sich diese Modellansätze aber nur sehr bedingt als Legitimationsbasis für aktive Industriepolitik, sprich für über den ordnungspolitischen Rahmen hinausgehende Maßnahmen seitens der Regierung. Hier wird deutlich, daß ein Zusammenhang zwischen Industrie- und Handelspoli- tik besteht, handelspolitische Maßnahmen (z.B. Zollerhebung) haben Auswirkun- gen auf die Wettbewerbssituation der Industrie und umgekehrt.

Jeder staatliche Eingriff in das Wirtschaftsleben, mit der Absicht zur Förderung der wirtschaftlichen bzw. industriellen Entwicklung, stellt eine industriepolitische Maßnahme dar. Bei einem weiten Verständnis zählt jede administrative Maß- nahme, die den strukturellen Anpassungsprozeß und/oder die komparativen Vor- bzw. Nachteile im Industriesektor verändert bzw. verändern soll, zur Industriepo- litik31.

Die der Industriepolitik zugrundeliegenden Zielsetzungen lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen32: a) Unter gestaltender Industriepolitik werden solche Maßnahmen subsumiert, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen fördern. Forciert werden solche Branchen, von denen man sich in Zukunft hohe Wachstumspotentiale verspricht („Zukunftsbranchen“); externe Effekte, gerade aus der Technologiebranche, werden die gesamtwirtschaftliche Wachstumsdynamik positiv beeinflussen. b) Von verzögerter Industriepolitik kann gesprochen werden, wenn die Politik in bestimmten („kritischen“) Branchen interveniert, um den Anpassungsprozeß zu erleichtern, zu beschleunigen oder zu verlangsamen (wie z.B. im Bergbau). Ziel ist die Abfederung sektoraler Anpas- sungskrisen33, die Industriepolitik wird quasi als Sozialpolitik zweckentfremdet.

BERG/SCHMIDT sehen darin zwar noch keine generellen Verstoß gegen die Ordnungskonformität, doch muß der Einsatz verzögerter Industriepolitik so gestaltet werden, daß die Funktionsfähigkeit des Marktes nicht in Frage gestellt wird, speziell die leistungsbezogene Einkommensverteilung und die Sanktionsmechanismen des Marktes müssen gewahrt bleiben.

Für die weiteren Ausführungen werden die Annahmen der gestaltenden Industriepolitik zugrunde gelegt. Ein weites Verständnis des Begriffs der Industriepolitik ist in sofern auch zweckmäßig, da die einzelnen Mitgliedsländer der EU unterschiedliche Vorstellungen haben, was unter dem Begriff Industriepolitik zu subsumieren sei, die Bandbreite reicht von bloßer Wirtschaftspolitik, die nur den Rahmen vorgibt, bis hin zur interventionistischen Branchenpolitik34, tendenziell ist hier ein Nord-Süd-Gefälle innerhalb der EU festzustellen .

Als ein zentrales Merkmal der Industriepolitik ist die Selektivität der staatlichen Maßnahmen zu nennen, die Politik wird auf spezielle Branchen oder Unterneh- men fokusiert35 ; eine alle Wirtschaftszweige gleichermaßen betreffenden Indu- striepolitik ist dagegen schon aus theoretischer Sicht fast unmöglich, denn die Interdependenzen innerhalb der Wirtschaft und zu ausländischen Wirtschaftsein- heiten würde zwangsläufig zu Verzerrungen, Diskriminierungen oder Gegenmaß- nahmen des Auslands führen, ferner wäre ein zielgericheter Einsatz von (finan- ziellen) Mitteln nicht (mehr) möglich. Der Hang der Politik, gerade prestigeträch- tige Unternehmungen (vgl. Concorde, Airbus-Projekt oder Mikroelektronik) zu fördern, steht dem auch im Wege.

Aus ordnungspolitischen Überlegungen heraus ist die Industriepolitik abzulehnen. Der Staat sollte sich darauf beschränken, einen Rahmen vorzugeben, in dem sich die Marktkräfte frei entfalten können. Eine Intervention zugunsten schwacher Branchen ist nicht notwendig, da dies zum Marktgeschehen gehört. Die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen an sich ändernde „Umweltbedingungen“ wird so sichergestellt („Markt als schöpferische Zerstörung“)36. Neben den in Kapitel 2.3 teilweise genannten Kritikpunkten37, die analog anzuwenden sind, soll hier noch einmal auf das Problem der Administration beim Einsatz industriepolitischer Maßnahmen eingegangen werden. Oft werden Schlagwörter wie „Schlüsseltechnologie“, „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ oder „High- Tech-Branchen“ dazu gebraucht, um die gestaltende Industriepolitik zu legitimieren. Was im einzelnen darunter zu verstehen ist, bleibt meist unklar und damit für die Politik auslegungsfähig38.

Die industriepolitischen Vorstellungen, Kompetenzen und Maßnahmen der europäischen Gemeinschaft haben sich vor allem durch zwei politische „Akte“ wesentlich geändert: die EEA und der Vertrag von Maastricht. In den folgenden beiden Abschnitten wird hierauf näher eingegangen.

3.2 Einheitliche Europäische Akte

Die im Februar 1986 beschlossene EEA fügte dem EWG-Vertrag die Artikel 130f-q hinzu. Eine auf europäischer Ebene angelegte Industriepolitik, in Form der Forschungs- und Technologiepolitik, erhält hiermit eine vertragliche Grundlage39. In den neuen Rechtsvorschriften werden die Zielvorstellungen einer europäischen Technologiepolitik und die ggf. erforderlichen Maßnahmen umrissen, die „die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der Industrie der Gemein- schaft zu stärken und die Entwicklung ihrer internationalen Wettbewerbsfähig- keit“ (Artikel 130f) sicherstellen sollen. In den von der Kommission zu erstellen- den mehrjährigen Rahmenprogrammen werden die Schwerpunkte festlegte und die einzelnen spezifischen Forschungsprogramme koordiniert. Die Kommission hat hierbei das Initiativrecht zur Koordinierung der einzelstaatlichen Tätigkeiten auf dem Gebiet der Forschung und technologischen Entwicklung (Artikel 130h). Der Einstieg in die Industriepolitik bedeutet eine erhebliche Ausweitung des Handlungsspielraums der Kommission bei der Implementierung und Koordinie- rung der Programme.

Die Aufnahme der Technologiepolitik ins Vertragswerk muß vor dem Hinter- grund des schon seit der Gründung der Gemeinschaft andauernde Konflikts zwi- schen Marktwirtschaftlern und Industriepolitikern gesehen werden. Die Aufnahme kann deshalb als ein Zugeständnis an die eher interventionistisch eingestellten Politiker bzw. Länder, speziell Frankreich, gesehen werden, damit sie dem ei- gentlichem Ziel - der Vollendung des Binnenmarkts - zustimmten40. Andererseits kann der Vertrag als nachträgliche Legitimierung des von der Kommission i.V.m. einigen europäischen Großunternehmen 1984 initiierten ESPRIT-Programms an- gesehen werden41.

Die gemeinsamen Industriepolitik soll dazu dienen, daß „die Unternehmen vor allem die Möglichkeiten des Binnenmarkts voll nutzen können“ (Artikel 130f, Abs. 2). Dies impliziert, daß die Unternehmen ohne staatliche oder supranationale Hilfe nicht in der Lage wären, die Vorteile des Binnenmarkts für sich umzumün- zen. Daher sollen in den Rahmenprogrammen eine Koordinierung und Harmoni- sierung der nationalen Aktivitäten erreicht werden, Synergieeffekte sollen so er- möglicht werden, zugleich soll Parallelforschung vermieden werden, um so die freiwerdenen Ressourcen in andere Projekte lenken zu können. Dies soll zu einer Steigerung der Effizienz der Forschung beitragen, die internationale Wett- bewerbsfähigkeit kann so schrittweise wieder hergestellt werden. Konflikte mit anderem europäischen Recht scheinen vorprogrammiert zu sein, spezielle sind hier die Artikel 110 (Beseitigung der Beschränkungen im interna- tionalen Handelsverkehr), 102a (offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb) und 3g (unverfälschter Wettbewerb) zu nennen. Gegen eine FuE-Förderung, die sich nur auf die Grundlagenforschung und für alle Wirtschaftszweige gleicherma- ßen vorteilhafte Förderung bezieht, ist aus ordnungspolitischen Überlegungen wenig einzuwenden, doch aus politisch-ökonomische Überlegungen heraus ist es vorteilhafter, nur diejenigen Forschungsprogramme zu unterstützen, die den höch- sten Grenzertrag erbringen. Gegen das „Gießkannen-Prinzip“ spricht auch, daß die Kontrolle einiger weniger Projekte besser möglich ist als die vieler kleiner. Das vierte Rahmenprogramm für den Zeitraum von 1994-98 war mit einem Budget von 13,1 Mrd. ECU ausgestattet. Verteilte man das Geld nun über die Laufzeit auf die einzelnen Mitgliedsstaaten, so wird deutlich, daß nur noch ein relativ geringer Betrag, der zur Unterstütung der kostspieligen FuE-Bemühungen den Unternehmen bzw. Forschungseinrichtungen zufließen sollte, übrig bleiben würde. Die Förderung von aufstrebenden Branchen (sunrise industries) verspricht dagegen eher vorzeigbare Resultate, schließlich muß sich auch die Kommission politisch verantworten42.

3.3 Vertrag von Maastricht

In den Vertrag von Maastricht zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im Februar 1992) wurde der Titel XIII: Industrie aufgenommen. Mit seiner Ratifizie- rung wurde die Industriepolitik nun offiziell Aufgabe der EU43. Durch Art. 130 i.V.m. Art. 3! EUV wird die Gemeinschaft aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, „daß die notwendigen Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der Indu- strie der Gemeinschaft gewährleistet sind“; durch die Forderung zur „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie“ erhält die Gemeinschaft ein verfassungsmä- ßiges Mandat zur Industriepolitik44.

Die Industriepolitik ist nun ein gleichberechtigtes Vertragsziel der EU, wirt- schaftliche Entscheidungen können nun nicht mehr nach reinen wettbewerbspoli- tischen Gesichtspunkten entschieden werden, Kollisionen mit der Forderung nach einem System unverfälschten Wettbewerbs (Art. 3g) sind vorprogrammiert45.

Diese ordnungspolitische Neuorientierung bzw. Neupositionierung46, weg vom alleinigen Wettbewerbsprinzip hin zu einem Nebeneinander von Wettbewerbs- und Industriepolitik, die die Stärkung der gemeinschaftlichen Industrie immer vor Augen hat, ist eine (kleine) Revolution innerhalb der Gemeinschaft. Sie läßt sich vielleicht damit erklären, daß im Vorfeld die Kommission und andere Politiker immer wieder davor gewarnt haben, daß Europa zunehmend an Wettbewerbsfä- higkeit gegenüber Amerika und den südostasiatischen Ländern (spez. Japan) ver- liere, Europa drohe, etwas überspitzt ausgedrückt, zum Entwicklungsland in „Zu- kunftsbranchen“ wie der Mikroelektronik, Gentechnik oder Luft- und Raum- fahrttechnik zu werden. Die steigende Arbeitslosigkeit und die suggerierten Er- folge einer strategischen Industriepolitik führten letztendlich dazu, daß die Regie- rungen diesem Vertag zustimmten.

In Art. 130 EUV wird zwar noch explizit darauf hingewiesen, daß die Gemein- schaft nicht befugt ist „irgendeine Maßnahme einzuführen, die zu Wettbewerbs- verzerrungen führen könnte“, doch wie oben gezeigt wurde, greift jedwede staat- liche Intervention in den Wettbewerbsprozeß ein47. Gerade die vorsichtige For- mulierung des letzten Satzes, gebietet es, daß ein Einsatz nur unter sehr stringen- ten Vorgaben möglich ist. Gesetz den Fall, daß ein interventionistische Maß- nahme den innereuropäischen Wettbewerb nicht verzerrt, so kann nicht ausge- schlossen werden, daß es auf globaler Ebene zu Wettbewerbsverzerrungen kom- men kann (vgl. Art. 102a und 110 EUV).

Neben dieser Einschränkung der Anwendung der Industriepolitik, enthält der Vertrag zusätzlich noch die formale Forderung der Einstimmigkeit im Rats bei der Beschlußfassung industriepolitischer Maßnahmen. In der europäischen Praxis kommt es dagegen meist zu „Paketlösungen“, bei der jedes Land versucht, seine Zustimmung davon abhängig zu machen, daß ein möglichst großer Teil der meist finanziellen Mittel im jeweiligen Heimatland verbleibt48.

Einige der Formulierungen in Art. 130 EUV sind recht vage, sie lassen Raum für Interpretationen49. So heißt es in Absatz 1: „Förderung eines für die Initiative und Weiterentwicklung der Unternehmen [...] günstigen Umfelds“, darunter kann man die Beseitigung von wettbewerbsverzerrenden Handelshemmnissen i.S.v. Ord- nungspolitik und die Vollendung des Binnenmarktes verstehen50 oder die Auffor- derung zur strategischen Handelspolitik im Dienste der europäischen Industriepo- litik51.

Desweiteren sind durch unterschiedlicher Übersetzungen verschiedene Interpreta- tionen möglich: so heißt es im deutschen Vertragstext „Erleichterung der Anpas- sung der Industrie an die strukturellen Veränderung“, in der englischen Fassung des Vertrags wird von „speeding up“ und im Französischen von „accélérer“ ge- sprochen. Die deutsche Wortwahl klingt nach einer zurückhaltenden Auffassung der Industriepolitik, den anderen beiden Wortwahlen liegt eine eher aktive, ge- staltende Auffassung zugrunde52.

Der Vertrag von Maastricht stärkt in nicht unerheblicher Weise die Position der Kommission. Durch Art. 130 Abs.2 wird die Kommission zum Ansprechpartner für die Mitgliedsstaaten, sie koordiniert die einzelnen Maßnahmen und kann ggf. Initiativen ergreifen, die der Koordination dienlich sind. Da die Kommission bei der Ressourcenallokation in der Vorhand ist, kann sie ihre Präferenzen dabei zum Ausdruck bringen53.

Die wirtschaftspolitischen Beschlüsse von Maastricht deuten darauf hin, daß man zunehmend von der Vorstellung der Selbstregulierung des Marktes abrückt, die Innovations- und Anpassungsfähigkeit des freien Leistungswettbewerbs werden als suboptimal für die europäische Wohlfahrt eingestuft, die Industriepolitik soll daher als Mittel zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ein- gesetzt werden.

3.4 Instrumentarium der europäischen Industriepolitik

Zur Realisierung der im Maastrichter Vertrag niedergelegten Forderung nach einer wettbewerbsfähigen europäischen Industrie bedarf es eines umfangreichen Maßnahmenbündels. Hierzu stehen den Institutionen der EG neben monetären struktur- und technologiepolitischen Maßnahmen die ordinäre Instrumente der Wettbewerbs- und Handelspolitik zur Verfügung54.

Die monetäre Strukturpolitik wird hauptsächlich durch drei Fonds determiniert: Der Regionalfonds (Art. 130c) soll dazu beitragen, daß rückständige Regionen wirtschaftlich aufholen, der Anpassungsprozeß soll unterstützt werden. Ein Ein- satz aus sozialpolitischen Überlegungen heraus (Vermeidung von Arbeitslosig- keit) ist daher nicht ausgeschlossen. Die Mittelverwendung kann demzufolge ord- nungspolitischen oder interventionistischen Charakter aufweisen. Der Europäi- sche Sozialfonds (Art. 123) soll die „Beschäftigungsmöglichkeit der Arbeitskräfte im Binnenmarkt verbessern“, die Mobilität und die berufliche Verwendbarkeit von Arbeitskräften sollen gefördert werden. Aufgabe der Industriepolitik ist es, die Anpassung an industrielle Wandlungsprozesse und an Veränderung der Produktionssysteme (sozialverträglich) zu erleichtern.

Die finanziellen Mittel des Kohäsionsfond (Art. 130d) sollen im Bereich der Um- welt und für den Ausbau transeuropäischer Netze verwendet werden. Der Kohä- sionsfond kommt jenen Mitgliedsstaaten zugute, die ein unterdurchschnittliches BSP pro Kopf haben. Die im März dieses Jahres auf dem „Berliner Gipfel“ veran- schlagten Mittel des Kohäsionsfonds, im Rahmen der Agenda 2000, belaufen sich auf jährlich 3 Mrd. ECU. Der Strukturfonds dagegen erhält ein etwa 10-faches Volumen55. Die im Rahmen der Strukturfonds gezahlten Subventionen, werden selektiv auf einzelne Regionen oder Branchen verteilt. Da Subventionen tendenzi- ell die Preisrelation zu Ungunsten des Auslands verschieben, werden heimische Produzenten vermehrt zu Zug kommen, die Industriepolitik nimmt so indirekt Einfluß auf den externen EG-Handel56.

Durch die Titel XV: Forschung und technologische Entwicklung und XIII: Indu- strie erhält die Gemeinschaft zusätzliche die Aufforderung, technologiepolitische Maßnahmen zu ergreifen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu fördern. In den, mit mehrjähriger Laufzeit, aufzustellenden Rahmenprogrammen (Art. 130i) legt die Gemeinschaft ihr Ziele, welche mit den aus Art. 130g zu entneh- menden Maßnahmen durchzuführen sind, sowie die einzelnen Prioritäten mit ei- nem veranschlagten Budget fest. Jedes Rahmenprogramm setzt sich aus mehreren spezifischen Programmen zusammen, die detaillierte Anweisungen enthalten (vgl. Art. 130i Abs. 3). Der von der Kommission präferierte und propagierte Ansatz einer horizontalen Ausrichtung der Industriepolitik57, sprich einer nicht-sektoralen intervenierenden Industriepolitik, wird bei der Mittelvergabe im Rahmen der FuE- Förderung in Zweifel gezogen. Dies mag daran liegen, daß die Kommission zwar das Rahmenprogramm erarbeitet, der Rat aber zustimmungspflichtig ist (s.o.). Zur „ordnungsgemäßen Durchführung der Programme“ ist die Gemeinschaft befugt, gemeinsame Unternehmen oder andere Strukturen zu schaffen (Art. 130n).

Die Wettbewerbspolitik kann in zweierlei Hinsicht der Industriepolitik dienlich sein. Analog zu nationalen Regelungen beziehen sich die europäische Wettbe- werbsregelungen nur auf den innereuropäischen Wettbewerb, Unternehmenszu- sammenschlüsse, die darauf abzielen, Exportkartelle zu bilden, sind damit wettbe- werbskonform58. Ferner erlauben die Ausnahmeregelungen in Art. 85 Abs. 3 EGV die Bildung von Kartellen, sofern sie die Verbraucher nicht übervorteilen und „zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des tech- nischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen“. Diese Generalklausel er- möglicht es der Gemeinschaft, Ausnahmebereiche zu definieren und so die Wett- bewerbskräfte auf (vermeintlichen Zukunfts-) Märkten außer Kraft zu setzen59. Im Wunsch nach „european champions“ sind Parallelen zur Theorie der „strategi- schen Handelspolitik“ erkennbar, über die Prämissen und Erfolgsaussichten siehe oben.

Eine „erfolgreiche“ Industriepolitik, die aktiv in die Marktprozesse eingreift, droht durch ausländische Konkurrenz konterkariert zu werden. Um dies zu verhin- dern, sind handelspolitische „Kompensationsmaßnahmen“ erforderlich. Es bieten sich der Einsatz von Ausfuhrbegünstigungen oder Einfuhrbeschränkungen an60. Bei Ausfuhrbegünstigungen soll der Export europäischer Güter durch diverse Subventionen verbilligt werden, der Marktanteil europäischer Güter soll im Aus- landsmarkt gesteigert werden. Einfuhrbeschränkungen haben zum Ziel, die aus- ländischen Exporte zu verteuern; die europäischen Anbieter sollen so Zeit gewin- nen, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Die hierfür mögli- chen Maßnahmen lassen sich in tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse unterteilen. Tarifäre Handelshemmnisse umfassen alle Arten der Zollerhebung, durch die Einbindung der EU ins GATT sind hier jedoch Grenzen gesetzt. Eine subtilere Art der Handelsbeschränkungen stellen die nicht-tarifären Handels- hemmnisse dar, sie umfassen Kontingentierung, administrative Regelungen (Si- cherheits- und Umweltstandards, Gesundheitsvorschriften oder hoher administra- tiver Aufwand bei Exporten in die EU) und Selbstbeschränkungsabkommen. Fer- ner kann die Gemeinschaft den internationalen Warenaustausch durch Anti-Dum- pingmaßnahmen unterbinden61. Im diesem Zusammenhang wird zunehmend ge- fordert, daß man auch gegen Sozial- und Öko-Dumping vorgehen sollte, die Ge- meinschaft konnte diesen Wünschen nach Protektion bisher jedoch widerstehen62. Insgesamt kann man festhalten, daß die Gemeinschaft ein umfangreiches Reper- toire an Maßnahmen zur Veränderung des Marktgeschehens besitzt, eine konkrete Beurteilung hängt immer davon ab, ob die Instrumente im Einzelfall defensiv oder interventionistisch eingesetzt werden.

Anhand des Airbus-Projekts soll nun gezeigt werden, inwiefern das industriepoli- tische Engagement ein Beleg für eine erfolgreiche strategische Handelspolitik darstellt.

4. „Airbus“ als Beispiel erfolgreicher Industriepolitik?

Die Initiierung des Airbus-Projekts Ende der 60er Jahre muß vor dem Hintergrund einer damals schwachen Wettbewerbsposition der europäischen Luftfahrtindustrie im Bereich der zivilen strahlengetriebenen Großraumflugzeuge gesehen werden.

Ihr Weltmarktanteil belief sich auf ca. 10%, die restliche Nachfrage wurde von amerikanischen Firmen befriedigt, wobei Boeing mehr als 60% und McDonnell Douglas über 25% dazu beitrugen63. Beim zweiten groß angelegten Versuch, die Vormachtstellung der Amerikaner zu brechen, sollten die finanziellen Eskapaden des „Concorde“-Projekts vermieden werden.

Nach intensiven Verhandlungen zwischen den Regierungen und den beteiligten Unternehmen wird der Wille zum Aufbau einer europäischen Luftfahrtindustrie bekräftigt, sie wird zur Schicksalsfrage erhoben. Man entschließt sich, auf Basis der „Galion“, zur Entwicklung eines Großraumflugzeugs. Dazu wird im Septem- ber 1967 das sog. „Bonner Protokoll“ zwischen den Regierungen aus Frankreich, GB und Deutschland abgeschlossen, darin verpflichten sich die Regierungen, ge- meinsam das Airbus-Projekt zu finanzieren. Infolge eines Streits bezüglich gestie- gener Kosten des Triebwerkherstellers Rolls Roycs zieht GB seine Beteiligung im April 1969 zurück. Im Dezember 1970 erfolgte die offizielle Gründung von Air- bus Industries nach französischem Recht (als GIE)64. Gründungsmitglieder sind Aérospatiale (F) und die Deutsche Airbus GmbH. Ein Jahr später stieß die spani- sche CASA (allerdings mit rel. kleiner Beteiligung) hinzu. Das erste Projekt von Airbus war der A300, der aufgrund seiner Größe nicht mit Boeing direkt in Kon- kurrenz trat. Im Oktober 1972 feierte der A300 seinen Jungfernflug, doch die er- hofften Bestellungen, speziell aus Übersee, blieben aus, bezeichnenderweise ka- men die einzigen Orders von den nationalen Fluggesellschaften der Partnerländer. Die erste Ölkrise 1973 brachte das Airbus-Projekt fast zum Scheitern, die ohnehin schleppende Nachfrage ging weiter zurück. Der Subventionsbedarf stieg. Kritik wurde an der (angeblichen) Überdimensionierung des A300 geübt, Airbus verfüge über kein funktionierendes Vertriebsnetz, ferner mangele es an einer „Flugzeug- familie“, um den Fluggesellschaften eine breite Produktpalette offerieren zu kön- nen.

1978 kam es zur Trendwende, ein Investitionsboom der Fluggesellschaften setzte ein, die gestiegenen Rohölpreise (verstärkt auch d.d. spätere 2. Ölkrise) dienten nun als Vorteil für Airbus, der A300 konnte nun seine wirtschaftliche und tech- nische Überlegenheit gegenüber der amerikanischen Konkurrenz ausspielen. Der Erfolg von Airbus überzeugte auch London, so daß sie dem Projekt wieder bei- traten. Der Eintritt in den wichtigen US-Markt gelang Airbus nur durch eine äu- ßerst aggressive (auf Subventionen basierende!) Preispolitik: Eastern Airlines wurden sechs Monate lang vier Maschinen kostenlos zur Verfügung gestellt.

Im selben Jahr wurde auch das Programm für den A310 ins Leben gerufen, der den Grundstein für eine „Flugzeugfamilie“ war gelegt. In den 80er Jahren folgten dann weitere Flugzeugtypen, die die Modellpalette nach oben und unten abrun- deten65.

Die Amerikaner nahmen die Konkurrenz von Airbus erst sehr spät wahr, obwohl sich Lockheed schon Anfang der 80er Jahre aus dem Markt für zivile Flugzeuge zurückzog. Ein Grund war sicherlich, daß amerikanische Firmen zu Beginn einen relativ hohen Anteil an der Airbus-Produktion besaßen, doch die zunehmende Subventionierung Europas führte dazu, daß Amerika vor dem GATT dagegen Klage erhob. Deutschland mußte daraufhin seine Kompensationszahlungen für Wechselkursänderungen 1992 einstellen. Nichtsdestotrotz sind einer Studie der US-Regierung zufolge bisher mehr als 26 Mrd. Dollar dem Projekt Airbus zuge- flossen.

Vordergründig betrachtet stellt das Airbus-Projekt einen bemerkenswerten (indu- striepolitischen) Erfolg dar, schließlich teilt sich heute Airbus mit Boeing zusam- men den Markt für zivile Großraumflugzeuge. Eine Monopolisierung des Welt- markts durch Boeing konnte verhindert werden, verwiesen wird hierbei auf den Aufkauf McDonnell Douglas durch Boeing 199766. Doch es muß hinterfragt wer- den, ob zu Beginn des Airbus-Projekts die amerikanischen Firmen überhaupt Überrenditen erzielen konnten, damals waren drei konkurrierende Anbieter am Markt. Die Konzentration des amerikanischen Markts kann auch als Reaktion auf die Subventionen in Europa angesehen werden. Die hohen Subventionszahlungen werden auch damit begründet, daß behauptet wird, durch die Verquickung ziviler und militärischer Forschung würden die Amerikaner, aufgrund ihrer hohen Aus- gaben für Verteidigung und Weltraumforschung, die zivile Luftfahrt quersubven- tionieren67. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß in der jüngsten Vergan- genheit ernsthafte Anstrengungen unternommen wurden, um eine European Aerospace and Defence Company (EADC) aufzubauen, dieser Traum eines „inte- grierten“ europäischen Luftfahrtkonzern ist aber vorerst nicht zu realisieren68.

Für den Einsatz industriepolitischen Instrumentariums im Rahmen strategischer Handelspolitik wird das Argument der hohen Markteintrittsbarrieren ins Felde geführt. Folgende wesentliche Schranken existieren in der Luftfahrtindustrie: die etablierten Unternehmen haben durch Skalenvorteile (SV) einen Kostenvorteil. Statische SV ergeben sich aufgrund hoher Investitionsausgaben, die Entwicklung eines neuen Flugzeugs geht in die Milliarden, die anfänglichen Ausgaben sind bei späteren Marktaustritt i.d.R. nicht wieder hereinzubekommen (sunk costs).

Dynamische SV resultieren aus Lerneffekten bei der Produktion, speziell bei der Endmontage. Um die Kostenvorteile hierbei auszunutzen, bedarf es einer relativ hohen Stückzahl, ein „Newcomer“ hat hier einen klaren Kostennachteil. Weitere Vorteile resultieren aus einer „Flugzeugfamilie“: bei der Entwicklung neuer Flugzeugtypen kann man auf gewisses Know-How und vorhandene Pro- duktionsstätten vorheriger Typen zurückgreifen, dadurch sinken die Fixkosten und sunk costs (economies of scope). Für die Fluggesellschaften ergeben sich sog. Netzwerkexternalitäten, wenn sie ihre Flotte nur bei einem Hersteller kaufen, Ko- steneinsparungen sind so bei der Wartung, Reparatur oder bei der Ausbildung der Personals möglich. Die Markteintrittsbarrieren sind daher als hoch einzustufen, ohne staatlich Unterstützung hätte Airbus nicht diesen Erfolg verbuchen können. Doch Ziel der strategischen Handelspolitik ist es, die Nettowohlfahrt zu steigern bzw. ausländische Renten umzulenken, dies kann bezweifelt werden, Subventio- nen haben i.d.R. einen negativen Motivationsanreiz, die unzulängliche Organisa- tionsstruktur von Airbus69 und der stetig ansteigende Subventionsbedarf legen den Schluß nahe, daß ineffizient gearbeitet wurde und wird. Nutznießer der fallende Preise im Luftverkehr sind daher vor allem nicht beteiligte Drittländer (z.B. Asien). Politisch ist das Airbus-Projekt ein Erfolg, wirtschaftlich ist es diesen Er- folg (bisher) schuldig geblieben.

Für das neuste Projekt eines Super-Airbus (A3XX) werden mit Produktionskosten von mehr als 10 Mrd. Dollar gerechnet. Zwar steht eine definitive Entscheidung über das Ob und Wo noch aus, doch die Partnerstaaten bzw. die EU sollen sich an den Entwicklungskosten in nicht unerheblichem Umfang beteiligen. In Deutsch- land bewerben sich Rostock und Hamburg, das jüngst erst den Zuschlag für den (kleinen) A318 erhalten hat, für den Produktionsstandort. Boeing hat sich zwar frühzeitig aus dem gemeinsamen Projekt - der Entwicklung eines Großraumflug- zeugs - mit Airbus zurückgezogen, doch werden nun die Überlegungen intensi- viert, eine größere 747 (Jumbo Jet) zu bauen70. Dabei sollen die Reichweite ge- steigert und das Sitzangebot vergrößert werden, damit würde Boeing zwar nicht ganz so ehrgeizige Ziele verfolgen wie Airbus mit ihrem A3XX, doch der dann größte Jumbo Jet würde in Konkurrenz mit dem „kleinsten“ A3XX treten.

Sollte die Nachfrage widererwartend nicht so hoch ausfallen, wie von Airbus er- hofft, so ist zu befürchten, daß das Projekt ein finanzieller Flop wird und die Poli- tik dann um weitere Subventionen „gebeten“ wird (z.B. zur Absatzförderung).

5. Perspektiven der europäischen Industriepolitik

Die obigen Ausführungen haben gezeigt, daß eine auf europäischer Ebene ange- legte Industriepolitik mit vielen Risiken verbunden ist: es können zwar Parallelan- strengungen vermieden werden, so daß man einige Projekte gezielter fördern kann, speziell bei positiven externen Erträgen, es sind so Skalenvorteile und damit Pionier- bzw. Monopolgewinne möglich, doch darf nicht übersehen werden, daß ex ante die Politik nicht die Zukunftsindustrien bestimmen kann, die Selektivität führt zu Diskriminierung der nicht geförderten Unternehmen, die Wettbewerbs- intensität sinkt. Eine Zentralisierung von Entscheidungskompetenz hemmt den Standortwettbewerb der Länder untereinander. Als positiver Aspekt der europäi- schen Industriepolitik ist die Beihilfekontrolle zu nennen, die für einen unverzerrten Binnenmarkt Sorge tragen soll.

Zu beachten ist auch, daß protektionistische Maßnahmen stets eine Reaktion des Auslands provozieren71, dies wurde bei der Theorie der „strategischen Handels- politik“ nicht berücksichtigt, die erhofften Wohlfahrtssteigerungen könnte daher ausbleiben. Es bedurfte daher nicht einer Ausweitung der industriepolitischen Kompetenzen der Gemeinschaft. Ziel der Europäischen Gemeinschaft war und ist die Vollendung des Binnenmarktes, die Wettbewerbsfähigkeit und -intensität wurde so gesteigert. Was als innergemeinschaftlicher Erfolg gefeiert wurde, sollte nun konsequent „externalisiert“ werden: durch marktwirtschaftlich betriebene Ordnungspolitik im Inneren sollte nun (schrittweise) Handelshemmnisse abgebaut werden - mit dem Ziel eines globalen Freihandels. Ob dieses zugegebenermaßen hochgesteckte Ziel zu erreichen ist, hängt in nicht unwesentlichem Teil von der neuen Kommission ab. Ihr designierter Präsident, Romano Prodi, hat die Chance ein ähnlich wegweisendes Programm zu initiieren wie einst Jacques Delors mit „seinem“ Binnenmarktprogramm ’92.

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Nachtrag (nicht im Text angeführt): MAENNIG, WOLFGANG/HÖLZER, KATHARINA (1999): Zur aktuellen deutschen Förderung der Airbus-Industrie, in Wirtschaftsdienst 1999/III, S. 191-200.

[...]


1 Vgl. WINTER (1994), S. 34f.; BERG/SCHMIDT (1998), S. 859.

2 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 859.

3 Vgl. WINTER (1994), S. 35.

4 Vgl. auch BENDER (1994), S. 21ff.; BENDER (1995), S. 476ff.; BLETSCHACHER/KLODT (1992), S. 6ff.

5 Vgl. OBERENDER/DAUMANN (1995), S. 11; BERG/SCHMIDT (1998), S. 860).

6 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 859; WINTER (1994), S. 37f.

7 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 859; BENDER (1994), S. 21f.; WINTER (1994), S. 38.

8 Gemeint ist die Kontroverse „Freihandel vs. Industriepolitik“, dazu KÖSTERS (1992).

9 Die nachfolgenden Ausführungen beruhen auf den Überlegungen von BENDER (1994), S. 22ff.

10 WINTER (1994), S. 39. Vgl. auch BENDER (1994), S. 26; BENDER (1995), S.478f.

11 Vgl. WINTER (1994), S. 67ff.; BERG/SCHMIDT (1998), S. 918ff.; OBERENDER/DAUMANN (1995), S. 43ff.

12 Vgl. BENDER (1995), S. 476. Siehe auch FN 9.

13 Vgl. BENDER (1994), S. 37f.; WINTER (1994), S. 43.

14 In Anlehnung an BENDER (1994), S.39. Fh = Freihandel, Sub = Subvention/Protektion, der erste Ausdruck steht für das jeweilige Inland, der zweite für das Ausland.

15 Vgl. WINTER (1994), S. 44; BENDER (1994), S. 39.

16 Vgl. KÖSTERS (1992), S. 54; WINTER (1994), S. 44; BENDER (1994), S. 39f.

17 Vgl. BLETSCHACHER/KLODT (1992), S. 171f.

18 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 861.

19 Vgl. KÖSTERS (1992), S. 54.

20 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 932.

21 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 861f.; Kösters (1992), S. 54f.

22 Vgl. VON WEIZSÄCKER/WALDENBERGER (1992), S. 404.

23 Vgl. WINTER (1994), S. 44f.

24 Vgl. BLETSCHACHER/KLODT (1992), S. 163f.

25 Vgl. Zusammenschluß von Daimler-Benz und MBB, das Kartellamt lehnte ab, per Ministererlaubnis kam die Übernahme dann doch zustande.

26 Vgl. BENDER (1994), S. 40.

27 Vgl. BENDER (1994), S. 42.

28 Vgl. BLETSCHACHER/KLODT (1992), S. 168.

29 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 853.

30 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998) S. 851, 853.

31 Vgl. WINTER (1994), S. 16.

32 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 853f.; OBERENDER/DAUMANN (1995), S. 5, die Autoren untergliedern hier in drei Kategorien: Erhaltung, Anpassung und Gestaltung als Zielsetzung der Industriepolitik.

33 Vgl. WINTER (1994), S. 22.

34 Vgl. WINTER (1994), S. 17.

35 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 853,

36 Vgl. WINTER (1994), S. 27.

37 Ausführlich hierzu auch WINTER (1994), S. 27ff.

38 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 854f.

39 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 918f.; OBERENDER/DAUMANN (1995), S. 44f.; WINTER (1994), S. 67.

40 Vgl. WINTER (1994), S. 67.

41 Vgl. MUSSLER/STREIT (1996), S. 285f.

42 Vgl. OBERENDER/DAUMANN (1995), S. 45; BERG/SCHMIDT (1998), S. 919.

43 Vgl. MUSSLER/STREIT (1996), S. 286.

44 Vgl. WINTER (1994), S. 69.

45 Vgl. MUSSLER/STREIT (1996), S. 287.

46 Vgl. KLODT (1992), S. 269.

47 Vgl. WINTER (1994), S. 69.

48 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 926, 933.

49 Vgl. KLODT (1992), S. 263.

50 Legt man diese Auffassung zugrunde, wäre der Titel Industrie im Maastrichter Vertrag überflüssig.

51 Vgl. WINTER (1994), S. 69; BERG/SCHMIDT (1998), S. 925.

52 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 925; WINTER (1994), S. 69f.

53 Vgl. BERG/SCHMIDT (1998), S. 926.

54 Vgl. OBERENDER/DAUMANN (1995), S. 52. Die weiteren Ausführungen sind hieran angelehnt.

55 Siehe Anhang.

56 Vgl. WINTER (1994), S. 105f.

57 Vgl.Europäische Gemeinschaft, Kommission (1990); WINTER (1994), S. 132ff.

58 Vgl. WINTER (1994), S. 92ff.

59 Vgl. OBERENDER/DAUMANN (1995), S. 56f.

60 Vgl. OBERENDER/DAUMANN (1995), S. 57ff.

61 Vgl. WINTER (1994), S. 166ff.

62 Vgl. WINTER (1994), S. 206.

63 Die folgenden Ausführungen beruhen auf den Überlegungen von BERG/SCHMIDT (1998), S. 900ff. und BLETSCHACHER/KLODT (1992), S. 69ff., 173ff.

64 Die angestrebte Umwandlung in eine schlagkräftigere Kapitalgesellschaft steht noch aus. Haupthinderungsgrund sind die franz. Staatsbeteiligung an Aérospatiale und die zukünftigen Beteiligungsverhältnisse an der Kapitalgesellschaft.

65 Siehe Anhang.

66 Vgl. European Commission (1997), im Anhang.

67 Siehe FN 66. Vgl. auch BLETSCHACHER/KLODT (1992), S 88f.: laut den Autoren sind solche „spin-offs“ der militärischen Forschung eher unwahrscheinlich.

68 Vgl. DIE WELT vom 7.4.1999 (im Anhang).

69 Z.B. werden Kosten nicht gemäß dem Verursacherprinzip zugerechnet, Standortentscheidungen fallen nicht nur nach ökonomischen Kalkül.

70 Vgl. THE WALL STREET JOURNAL EUROPE vom 28.4.1999; DIE WELT vom 26.04.1999 (im Anhang).

71 Die USA haben bei der WTO Klage gegen die EU u.a. wegen den Airbus-Subventionen eingereicht. (vgl. „DIE WELT“ vom 3.5.1999 und „HANDELSBLATT“ vom 3. u. 4.5.1999, im Anhang).

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Strategische Handelspolitik in Dienste der europäische Industriepolitik
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Veranstaltung
VWL-Übung: Europäische Handels- und Entwicklungspolitik
Note
1,7
Autor
Jahr
1999
Seiten
25
Katalognummer
V95303
ISBN (eBook)
9783638079815
Dateigröße
449 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Strategische, Handelspolitik, Dienste, Industriepolitik, VWL-Übung, Europäische, Handels-, Entwicklungspolitik
Arbeit zitieren
Sebastian Böckmann (Autor:in), 1999, Strategische Handelspolitik in Dienste der europäische Industriepolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95303

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