Leseprobe
INHALSTVERZEICHNIS
Einleitung
Wittgensteins Sprachspiele
Sprache und Praxis
Gebrauchstheorie der Sprache
Familienähnlichkeiten
Erlernen und Praxis von Sprachspielen
Benennungen
Regeln als Wegweiser
Praxis des Regelfolgens
Regeln und das Unbestimmte
Grenzen und Grenzüberschreitung
Zum Aufbau und Theorietisiebarkeit, sowie mögliche Kritik an den PU
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Wittgenstein versteht Sprache als spezifische Sprachspiele die – bewusst oder unbewusst – gewissen Regeln folgen und so Sprache innerhalb dieser für die Menschen interpretierbar machen.
In dieser Arbeit soll die Rolle von Sprachspielen in Wittgensteins Philosophie beleuchtet, eingeordnet und interpretiert werden. Dies stützt sich maßgeblich auf die sog. „Spätphase“ seiner Philosophie, insbesondere den „Philosophischen Untersuchungen“ (folgend „PU“ genannt).
Zu Beginn sei gesagt, dass Wittgenstein selbst dem Begriff einer Theorie für sein Werk ablehnend gegenüberstand und schon im Vorwort der PU klarmacht, dass es ihm nicht gelungen sei seine vielfältigen Gedanken zu einem Zusammenhängenden zusammenzusetzen1.
Dies lässt sich aber nicht unbedingt damit erklären, dass er dafür keine Zeit oder Energie aufbringen konnte oder wollte, sondern vielmehr mit dem Inhalt der PU erklärbar ist, die sich – und dies sei schon vorweggenommen – gerade gegen eine eindeutige, ausschließliche Interpretationen von Sprache richtet. Nichtsdestotrotz soll hier eine Systematisierung seines Werks untersucht werden, da dies bei näherer Hinsicht bis zu einem gewissen Grade sinnvoll erscheint und uns, wenn wir die Gemeinsamkeiten seiner Ausführungen, den roten Faden seines Werkes, nachvollziehen wollen, keine andere Möglichkeit bleibt als dies anzustellen.
Wittgenstein richtet sich mit seinem Werk auch gegen gewisse Strömungen der Philosophie seiner Zeit und in einem gewissen Grad auch gegen den Anspruch der theoretischen Philosophie der Aufklärung eindeutige, klare Wahrheiten mittels Vernunft zu erschließen.
Besonders die Ansätze des logischen Positivismus und das Projekt einer „idealen Sprache“, sowie der allumfassende Geltungsanspruch von metaphysischen Theorien stehen ihm antagonistisch gegenüber. Dieser starke Trieb gegen Theoretisierung, sozusagen einer „Verintellektualisierung“ der Lebenswirklichkeit zieht sich durch die gesamten PU und lässt sich als prägnantes Erkennungsmerkmal charakterisieren. Jedoch scheint es, dass eine gewisse Theoretisierung notwendig ist, um zusammenhängende, über viele Beispiele hinweg, durchgehenden Aussagen zu treffen. Dies soll in dieser Arbeit versucht werden.
Die Arbeit startet mit der Klärung von Zentralen Begriffen der PU, insbesondere die des Sprachspiels, seiner Eigenschaften und Beispiele.
Darauf folgt eine Interpretation in der gezeigt werden soll, welche Implikationen sein Verständnis von Sprache und Philosophie mit sich bringt und gegen welche Denkrichtungen es sich wendet. Abschließend wird sein Werk einer Kritik unterzogen, wobei Stärken und Schwächen seiner Überlegungen abgewogen und abschließend resümiert werden.
Wittgensteins Sprachspiele
„Wir können uns auch denken, daß der ganze Vorgang des Gebrauchs der Worte in (2) eines jener Spiele ist, mittels welcher Kinder ihre Muttersprache erlernen. Ich will diese Spiele „Sprachspiele“ nennen (...). Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das „Sprachspiel“ nennen.“2
Das Sprachspiel soll also den „Gebrauch der Worte“ als Spiel verstehen, wobei Wittgenstein den Begriff Sprachspiel, sowohl für einen bestimmen, situativen Rahmen verwendet, als auch für die Sprache im Allgemeinen.
Das Sprachspiel ist der zentrale Begriff in Wittgensteins Spätwerk. Diese sollen die Sprache als ein Konglomerat von Sprachspielen verstehen, welches bestimmten Regeln unterworfen ist. Jene Regeln lassen sich jedoch nur aus dem Rahmen ihres jeweiligen Sprachspiels verständlich machen und entsprechen immer einer spezifischen Sprachpraxis.3 Der Begriff des Sprachspiels wird deswegen verwendet, weil, wie in einem Spiel, verschiedene Sprachpraxen eigene Spielregeln entwickeln, die das Verständigen bzw. „Spielen“ innerhalb dieser ermöglichen. Der Begriff des Spiels soll auch eine gewisse Leichtigkeit darstellen mit welcher sich die Teilnehmer innerhalb dieser bewegen. Er drückt darüber hinaus die Möglichkeit zur Expression von Kreativität, sowie einen oft übergeordneten „ Witz“ bzw. Sinn eines Spiels aus.4 Ohne Regeln verliert ein Spiel an Bedeutung und so verhält es sich auch mit der Sprache. Wenn wir uns nun näher mit Wittgensteins Definition beschäftigen, ist zu erkennen, dass sie sowohl auf spezifische alltägliche kommunikative Situationen z.B. wie Kinder ihre Sprache erlernen angewandt wird, als auch auf die gesamte Sprache und verbundenen Tätigkeiten im Allgemeinen. Sprache und Praxis, als auch das Denken selbst5, sind für ihn nicht separat denkbar.
Im bestimmten Handeln, in Zielformulierungen, sobald Intentionen offengelegt werden, also in der verbalen Praxis, zeigt es sich, dass der Mensch durch Sprache handelt aber auch durch diese konstituiert wird. Die Regeln seiner Sprachspiele geben ihm gewisse Bedeutungsrahmen vor, innerhalb dieser er sich bewegt.
In der alltäglichen Sprache trifft man auf unterschiedlichste Situationen mit entsprechend vielfältigen Verhaltens- und Redeweisen. Diese richten sich auch oftmals an bestimmten Zwecken des Interaktionsprozesses aus.
„ Es gibt unzählige solcher Arten: unzählige Arten der Verwendung alles dessen, was wir „Zeichen“, „Worte“, „Sätze“ nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes; sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andre veralten und werden vergessen. (...) Das Wort „Sprach spiel “ soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.“6
Im Prozedere des täglichen Sprechens und Handelns, ist die spezifische Verwendung von Sprache stets Veränderungen unterworfen. Vielfältige Bedeutungen von Worten und Ausdrücken werden entsprechend ihrer Situation immer wieder variiert und zusammengestellt, gewinnen oder verlieren an Bedeutung abhängig von deren Zeit, Ort und Kontext7. Hieraus folgt eine prinzipielle Offenheit von Sprache:
„Stellen wir uns die Tatsachen anders vor als sie sind, so verlieren gewisse Sprachspiele an Wichtigkeit, andere werden wichtig. Und so ändert sich, und zwar allmählich, der Gebrauch des Vokabulars der Sprache.“8
Es zeigt sich, dass diese nicht losgelöst von Handlungskontexten zu verstehen ist. Die gesamte Lebenspraxis lässt sich so also als ein interaktives Netzwerk zusammenhängender Sprachspiele beschreiben.
Sprache und Praxis
Wittgenstein beschreibt ein dialektisches Verhältnis von Sprache und Praxis. Dem alltäglichen Lebensraum entsprechen spezifische Handlungen und deren Zusammenhänge, in welche die Verwendung der entsprechenden sprachlichen Ausdrücke eingebettet ist und aus der heraus sie ihre Bedeutung erlangt. Die Sprache konstituiert aber auch wiederum die Erkenntnis und Welterfahrung des Menschen. Die Regeln und Implikationen der Sprachspiele liefern eine Struktur, mit welcher man sich in der Realität orientiert und in ihr handelt.
Der Gebrauch der Sprache ist somit nicht nur grundlegender Bestandteil unseres Lebens, sondern er greift gleichzeitig in unser Leben ein. Sie ist es, die unsere Erfahrung in bestimmte Kanäle leitet. Die Konstitution unserer Erfahrung und deren Objekte ist also auch, nach Wittgensteins Vorstellung, durch unsere grammatikalische Praxis geregelt. Mit grammatikalisch ist hier jedoch mehr gemeint als die üblichen Regeln unserer Satzstruktur, im Sinne von Satzbausteinen und deren regelhafte Verwendung wie z.B. Deklinationen oder Konjugationen von Wörtern.9 Grammatik soll sich bei Wittgenstein auf das gesamte regelhafte Verwenden der Sprache beziehen10. Dies schließt explizit die Bedeutung von Wörtern und Sätzen, jedoch immer abhängig von ihrem spezifischen, situativen Zusammenhangs, mit ein. Sprachspiele bilden somit den Interaktionshorizont und sind erste Voraussetzung von Kommunikation und Kultur. Der Mensch ist abhängig von der Beherrschung dieser, wenn er sich ausdrücken und interagieren will, sowie in seiner Realitätsauffassung selbst.
Nur innerhalb eines bestimmten Rahmens ist es möglich sich auszudrücken, gleichzeitig ist aber auch in der Praxis dieses Rahmens eine hohe Varianz von Ausdrucksmöglichkeiten gegeben. Die Ausdrucksmöglichkeiten sind nicht statisch festgelegt, sondern stets Veränderungen unterworfen, wie sich in der täglichen Sprachpraxis zeigt. Sprache variiert z.B. stark zwischen Generationen und Kulturen. Die Sprachspiele selbst können aber auch Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten aufweisen, was unter dem Kapitel „Familienähnlichkeiten“ näher beleuchtet wird. Sie müssen dies aber nicht tun, was sich in der Praxis an Missverständnissen und Mehrdeutigkeiten von Wörtern deutlich zeigt. Diese kommt immer dann vor, wenn keine Klarheit oder Einigkeit über die Regeln des Sprachspiel besteht, welche in einer Interaktion gelten soll.
Gebrauchstheorie der Sprache
Die Aussagen ,,Philosophischen Untersuchungen“ lassen sich am ehesten mit einer sogenannten ,,Gebrauchstheorie“ der Sprache beschreiben. Sie soll besagen, dass sprachliche Ausdrücke erst durch ihren Gebrauch an Bedeutung erlangen. Eine der dazu wohl eindeutigsten und zentralsten Stellen ist wohl PU 43, in der es heißt:
,,Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‘Bedeutung‘ – wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache. Und die Bedeutung eines Namens erklärt man manchmal dadurch, dass man auf seinen Träger zeigt.“11
Diese Form der Gebrauchstheorie der Sprache bringt gewisse Implikationen und Abgrenzungen mit sich.
Mit dem Fokus auf die Bedeutungen von Sprache, die sich aus dem spezifischen Gebrauch ergibt, wird bestimmten Formen der Metaphysik bzw. Meta-Theorien der Sprache der Boden entzogen.
Nach Kant z.B. lassen sich spezifische Denkkategorien aus den Grundformen logischer Sätze bestimmen, da nur diese nützliche Information ausdrücken könnten. Diese werden dann als die Grundlage für Erkenntnis gesetzt und so Wissen und Erkenntnis auf eine klares, eindeutiges Fundament gebracht.12 Diese klare, monolithische Struktur greift Wittgenstein indirekt mit dieser Gebrauchstheorie an. Wenn sich Sprache und deren Bedeutungen nur aus dem Kontext erschließt13, wird der Boden von All-Aussagen, mit dem sich klassischerweise die Metaphysik beschäftigt, entzogen. Denn diese haben nur innerhalb ihres spezifischen Sprachspiels eine Bedeutung und können nicht ohne Weiteres auf die Gesamtheit der Welt oder der Erfahrung ausgedehnt werden. Aus dieser Gebrauchstheorie kann man Wittgenstein so verstehen, dass es solche Zusammenhänge wie sie in der Metaphysik gesucht werden zwar geben kann, wir aber keinen direkten Zugriff auf alle möglichen Realitäten haben. Wir spielen nur Sprachspiele, die sich immer in einem begrenzten, regel-behafteten Rahmen bewegen.
Somit erteilt er sowohl der Metaphysik, als auch dem zu seiner Zeit populären Projekt der „Idealen Sprache“, eine Absage.14 Die ideale Sprache hat zum Ziel, die Sprache neu zu ordnen und auf ein streng logisches Fundament zu stellen um so Ungenauigkeiten, sowie Mehrdeutigkeiten aus der Sprache zu verbannen.
Streng logische Sprache ist in gewisser Weise möglich und in bestimmten Bereichen auch sinnvoll, wie die Beispiele Mathematik und Physik zeigen. In der Alltagssprache ist diese aber kaum sinnvoll, weil oft gerade Mehrdeutigkeiten, Ungenauigkeit und prinzipielle Offenheit wichtige Instrumentarien der Sprache sind und eine Vereindeutigung diese unzulässig beschneiden würde.
[...]
1 Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. Suhrkamp, 2003, Vorwort S. 7, Z. 17-24 (folgend PU genannt)
2 PU 7
3 PU 19
4 PU 564
5 PU 329
6 PU 23
7 Ludwig Wittgenstein: Über Gewißheit. Suhrkamp, 1984, § 65 (folgend ÜG genannt)
8 ÜG 63
9 PU 35
10 Ludwig Wittgenstein: Philosophische Grammatik. Suhrkamp, 1984, § 45 (folgend PG genannt)
11 PU 43
12 Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Meiner Verlag, 1998, B 104-106
13 PU 560
14 PU 81