Antike römische Amphitheater im stereoskopischen Bild

Eine dreidimensionale Reise durch bedeutende Arenen des Römischen Reichs


Fachbuch, 2020

110 Seiten, Note: k. A.


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Das römische Amphitheater
1.1 Begriff und Funktion des Amphitheaters
1.2 Geschichte des Amphitheaters
1.3 Bedeutende Amphitheater im Römischen Reich

2 Stereofotografie von großen Gebäuden
2.1 Aufnahme von Stereobildern
2.2 Betrachtung von Stereobildern

3 Bildbeispi
3.1 Allgemeine Beschreibung der im Bildkatalog gezeigten Bauwerke
3.2 Katalog der stereoskopischen Bilder

4 Resümee

5 Literat

Bildquellen

Vorwort

Das römische Amphitheater rückte vor allem in der frühen Kaiser­zeit in das Zentrum der städtischen Architektur. Hatte es zu­nächst lediglich die Funktion eines einfach gestalteten Zweckbaus, so stieg es ab der zweiten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. immer mehr zu einem Repräsentationsgebäude auf, welches die Errungenschaften der römi­schen Architektur widerspiegeln sollte. In Europa und Afrika entstan­den etliche Arenen mit einem Fassungsvermögen von mehreren zehn­tausend Zuschauern, die noch heute zum Teil prägend für das jeweilige Stadtbild sind. Die meisten dieser Anlagen werden in moderner Zeit nach wie vor für touristische und kulturelle Zwecke genutzt.

Aus stereofotografischer Sicht stellt das Amphitheater aufgrund seiner Größe und seiner vielfältigen Strukturierung eine besondere Heraus­forderung dar. Für die Aufnahme der 3D-Bilder finden die gängigen, bereits vielfach publizierten Verfahren ihre Anwendung, wobei jedoch zur Optimierung der dreidimensionalen Fotografien noch einige zu­sätzliche Überlegungen zu tätigen sind. Diese sollen im vorliegenden Buch ihre breite Darstellung finden. Generell gliedert sich die Mono­grafie in einen einleitenden Abschnitt, welcher sich mit den wesentli­chen Fragen zum römischen Amphitheater (Begriffsdefinition, Ge­schichte, Verbreitung) auseinandersetzt. In einem Methodenkapitel finden die wesentlichen Aufnahmetechniken sowie geeignete Verfah­ren zur Betrachtung der Stereobilder ihre Darstellung, ehe schließlich im Hauptteil des Buches zehn über die alte römische Welt verstreute Arenen zur textlichen und bildlichen Beschreibung gelangen. Die Mo­nografie richtet sich gleichermaßen an einen archäologisch und foto­grafisch interessierten Leserkreis und versucht einmal mehr das Po­tenzial der stereoskopischen Methode aufzuzeigen.

Robert Sturm

1 Das römische Amphitheater

1.1 Begriff und Funktion des Amphitheaters

Der Begriff des Amphitheaters leitet sich im Allgemeinen vom griechischen âptyrdéarpov und vom lateinischen amphitheatrum ab und bezeichnet in seiner ursprünglichen Form ein Gebäude, in wel­chem der Zuschauerraum, das sogenannte déaipov oder die cavea, rund um die Präsentationsfläche oder Arena herum verläuft. Dieses im antiken römischen Kulturkreis entwickelte Rundtheater verfügte oft­mals über kein geschlossenes Dach, konnte jedoch bei entsprechend hoher Sonneneinstrahlung mit Stoffsegeln zur Spendung von Schatten bestückt werden. Die Bezeichnung des Amphitheaters fand nicht nur für jene Gebäude ihre Verwendung, in denen regelmäßige Fechter­spiele und Tierhetzen abgehalten wurden (Vitruv I, 7, 1; Mon. Anc. IV, 41), sondern schloss auch den Circus im engeren Sinne mit ein (Dio­nys. ant. III, 68/IV, 44). Erst in späterer Zeit verband man damit nur noch die Austragungsstätte von Gladiatorenkämpfen.

In baulicher Hinsicht vollzog das Amphitheater eine unabhängig vom römischen Theater verlaufende Entwicklung, obwohl die Konstruktion des Zuschauerraumes sehr deutlich an den antiken Theaterbau ange­lehnt war. Der Gebäudetypus war in der Regel für die Aufnahme gro­ßer Zuschauermengen ausgelegt; so besaß das später als Kolosseum bezeichnete „Flavische Amphitheater“ ein Fassungsvermögen von 50.000 Menschen. Die dem Theater seinen typischen Habitus verlei­henden ansteigenden Ränge wurden in römischer Zeit als maenianum bezeichnet und waren über ein entsprechendes System von Stiegen

1.2 Geschichte des Amphitheaters

Zur historischen Entwicklung des römischen Amphitheaters gibt es nur relativ wenige zuverlässige Quellen. Die Römer entwickelten erst recht spät das Bedürfnis, für Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen eigene Gebäude zu benutzen. Organisierte Tierjagden (venationes) wurden zur Zeit der Römischen Republik mit den sogenannten Staats­spielen kombiniert und in der nachaugusteischen Ära mit den regel­mäßig stattfindenden Fechterspielen zu einem munus verbunden. Während die Jagdspiele vormals im Circus zur Durchführung gelang­ten, traten die Gladiatoren bis zur Herrschaftsperiode des Kaisers Au­gustus entweder bei kleineren Spielen zu Ehren eines Verstorbenen oder auf dem Forum auf. Im ersten Fall fungierten die Schwertkämpfer als sogenannte bustuarii (Bestattungsspieler) am Scheiterhaufen, wo- hingegen sie im zweiten Fall in einem abgegrenzten ovalen Bereich (arena) ihre Wettkämpfe austrugen. Auch in Kampanien, dem Ur­sprungsort des ausgebildeten Gladiatorenwesens, wurden die Fechter­spiele zunächst auf dem Marktplatz ausgetragen, wobei wir von Vitruv (V, 1, 1) erfahren, dass die Foren wegen dieser Wettkämpfe überhaupt erst länglich angelegt wurden. Diese Äußerung ist natürlich aus heuti­ger Sicht als unwahr zu bezeichnen, zeigt aber andererseits, dass der Marktplatz in der Tat als beliebter Austragungsort von derartigen Wettspielen galt.

Die elliptisch angeordneten Zuschauerränge auf dem Forum stellten in Bezug auf ihre Form die Vorläufer des Amphitheaters dar. Ein erstes eigenständiges Gebäude mit einem ovalen Zuschauerraum soll von C. Curio errichtet worden sein. Der Patrizier ließ die Gladiatoren den antiken Überlieferungen (Cic. ad fam. II, 3, 1; Plin. n. h. XXXVI, 116) zu­folge vermutlich zu Ehren seines verstorbenen Vaters in einem hölz­ernen Bauwerk mit entsprechender Gestalt auftreten. Im Jahre 46 v. Chr. soll Caesar ein eigenes Theater für Gladiatorenspiele und Tier­hetzen erbaut haben (Cass. Dio XLIII, 22, 3), wobei uns über die genaue Form dieses Objektes nichts näheres mehr bekannt ist. Die archäolo­gische Forschung ist sich heute weitgehend darüber einig, dass das erste größtenteils aus Stein gebaute Amphitheater in der Stadt Rom auf Statilius Taurus zurückgeht und in das Jahr 29 v. Chr. datiert (Suet. Aug. 29; Cass. Dio LI, 23/LXII, 18). Durch seine durable Bauweise un­terlag dieses Gebäude einer ständigen, über viele Jahrzehnte fortdau­ernden Nutzung.

Im bereits genannten Kampanien vollzog sich die Entwicklung des Am­phitheaters von gelegentlich aufgeschlagenen Gerüsten zu festen Bau­strukturen deutlich früher. In der Vesuvstadt Pompeji soll ein entspre­chendes Gebäude schon bald nach Gründung der sullanischen Vetera­nenkolonie (Cic. pro Sulla 60 ff.) zur Errichtung gelangt sein, wobei die Quinquennalen C. Quinctius Valgus und M. Porcius als Bauherren auf­traten. Das Objekt wurde wahrscheinlich nach Vorbild eines noch älte- ren Bauwerkes realisiert, welches sich möglicherweise in Capua be­fand. Diese rund 250 km südlich von Rom gelegene Stadt galt als Zen­trum des Gladiatorenwesens schlechthin und erhielt in der Kaiserzeit ein ständiges Amphitheater. Während das Theater in Pompeji noch lediglich als ein dem praktischen Zweck dienendes Gebäude konzipiert war (Abb. 2), avancierten spätere kaiserzeitliche Arenen zu wahren Monumentalbauten, welche sich durch eine künstlerische Durchgestal­tung auszeichneten und mit dem römischen Kolosseum ihren Höhe­punkt erreichten. zweckdienlichen Bauweise.

In Anbetracht der geschilderten Entwicklung sollte immer im Hinter­kopf behalten werden, dass auch in der späteren Kaiserzeit noch ein­fache, ausschließlich dem praktischen Zweck dienende Anlagen errich­tet wurden. Dies war vor allem überall dort der Fall, wo Beschränkun­gen hinsichtlich des Platzes oder der benötigten Ressourcen vorlagen. So entstanden etwa in Fréjus, Tusculum oder Nysa kleinere Amphi­theater, welche sich entweder an einen Hügel anschmiegten oder die spezielle Geomorphologie einer sich senkenden Schlucht für sich nutz­ten. Die Anlage von Pompeji mit ihrer sehr praktischen Bauweise ist dadurch gekennzeichnet, dass sich eine Längs- und eine Schmalseite an die Stadtmauer anlehnt, wodurch eine drastische Einsparung an Baumaterial vorgenommen werden konnte. Die beiden verbleibenden Seiten verfügen dagegen über eigene Stützmauern, denen schlichte Strebepfeiler mit Rundbögen vorgelagert sind. Insgesamt zeichnet sich das Amphitheater von Pompeji durch eine zweckgebundene Kombi­nation aus Erdwällen und Mauerwerk aus, wobei auch die Zu- und Auf­gänge zu den Sitzreihen sehr einfach gehalten sind. Die arena kann anhand zweier Hauptzugänge erreicht werden. Die Anlage bot in alter Zeit ungefähr 20.000 Menschen Platz und besaß zudem geschlossene Logen für jene patrizischen Frauen, welche sich an den verschiedenen Spielen erfreuen wollten.

Obwohl das Amphitheater von Pompeji einige sehr ansehnliche archi­tektonische Komponenten enthält und sich dem Besucher ein großar­tiger Blick auf die Arena eröffnet, erhebt sich kein Teil der Anlage über den Grad der Zweckmäßigkeit. Das Amphitheater der Kaiserzeit ver­abschiedet sich weitestgehend von der Idee der reinen Zweckerfüllung und versucht sich architektonisch von den umgebenden Gebäuden ab­zuheben. Wie das Beispiel des Kolosseums im Zentrum Roms sehr ein­drücklich vor Augen führt, begann man den schrägen Raum unter den Sitzreihen in ein weit verzweigtes System von Zugängen, Rundgängen und Treppen aufzulösen und die Zuschauerränge auf starken, zum Teil kunstvoll gestalteten Gewölben zu positionieren. Dadurch wurde letztendlich die Möglichkeit geschaffen, riesige Besuchermengen zu ih­ren jeweiligen Plätzen zu bewegen. Auch die Außenfassade der Anlage wurde einer sukzessiven Auflösung unterzogen, indem mehrstöckige Arkaden zur Errichtung gelangten, welche in große Hallen führten und nach oben hin durch Emporen abgelöst wurden. Auch die oftmalige Verwendung von auf Halbsäulen ruhenden Gesimsen lässt die klare Absicht der Bauherren zur Gestaltung des Theaters als Monumental- bau erkennen. Schlussendlich wird bereits durch die Außengestaltung der Anlage zum Teil eine mächtige visuelle Wirkung erzielt, wobei das Bauwerk trotz seiner enormen Masse sowohl in waagrechter als auch in senkrechter Richtung eine klare Gliederung erkennen lässt. Auf de­korative Einzelheiten wie Friese oder skulpturalen Schmuck wurde weitestgehend verzichtet, da diese auf den riesigen Gebäuden kleinlich und zur Bedeutungslosigkeit entrückt wirken. Insgesamt war das kai­serzeitliche Amphitheater in gleichem Maße durch die Eigenschaften der Zweckmäßigkeit und künstlerischen Durchdringung charakteri­siert.

1.3 Bedeutende Amphitheater im Römischen Reich

Das Amphitheater erlangte im Römischen Reich zunehmend Bedeutung, so dass es in vielen Städten in den Mittelpunkt rücken und dort mitunter zu einem architektonischen Wahrzeichen zu avancieren vermochte. Der archäologischen Forschung ist es bislang gelungen, im gesamten Reichsgebiet etwa 250 Standorte derartiger Anlagen ausfindig zu machen, welche zur besseren Übersicht in der untenstehenden Tabelle 1 zusammengefasst sind. Wie der Liste sehr klar entnommen werden kann, entstanden in manchen Städten (Rom, Aquincum, Puteoli) im Laufe der Zeit sogar mehrere Amphitheater, welche sich jedoch zumeist in ihrer Größe und Bedeutung signifikant unterschieden. Während beispielsweise in Rom das als Kolosseum be­zeichnete flavische Amphitheater zweifelsohne einen Höhepunkt der frühkaiserzeitlichen Architektur markiert, geriet das castrensische The­ater im Laufe der Jahrhunderte nahezu vollständig in Vergessenheit. Obwohl das Kolosseum unbestritten die größte Anlage ihrer Art in der Antike repräsentierte und vermutlich bis zu 70.000 Besucher aufneh­men konnte, entstanden auch an anderen Orten zum Teil riesige, vor­wiegend als Repräsentationsbauten dienende Strukturen. In Europa In manchen Städten wie Rom oder Pozzuoli gibt es zwei derartige Anlagen (siehe Klammern); das Zeichen „ “ deutet auf einen unbekannten oder nicht vorhan­ denen Namen hin. Fett hervorgehobene Standorte gelangen in Kapitel 3 zur näheren Beschreibung. sind hier insbesondere die Amphitheater von Pula, Verona, Nimes (Ne- mausus) und Arles (Arelate), welche jeweils mehreren zehntausend Zuschauern Platz boten und noch heute aufgrund ihrer imposanten Ar­chitektur das jeweilige Stadtbild prägen. Auf dem afrikanischen Kon­tinent befand sich in Karthago die bei Weitem größte Anlage (Fas­sungsvermögen: 50.000 Besucher), wohingegen im tunesischen El Djem (Thysdrus) das zweitgrößte Theater (Fassungsvermögen: 35.000 Be­sucher) lokalisiert war. Dieses gilt nebenbei auch als eine der am bes­ten erhaltenen antiken Baustrukturen Nordafrikas. Auf dem asiati­schen Kontinent gab es nach modernem Wissensstand nur eine ver­gleichsweise geringe Anzahl an Amphitheatern. So entstand etwa im türkischen Bergama (Pergamon) eine Anlage, die mehreren tausend Zuschauern Platz zu bieten vermochte. Auch in Syrien, Isreal und im Libanon kam es an manchen Standorten zur Errichtung kleinerer Bau­werke, welche für Jagd- und Fechterspiele genutzt wurden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1 Liste all jener Amphitheater, welche bislang im Zuge von ar­chäologischen Kampagnen freigelegt beziehungsweise identifiziert werden konnten

(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_antiker _Amphitheater, abgerufen am 14. 9. 2020).

Wenn man sich die obige Tabelle etwas näher vor Augen führt und die darin aufgelisteten Standorte nach Ländern differenziert, gelangt man zu einem eindeutigen Ergebnis. Demnach befindet sich auf italieni­schem Boden die mit Abstand größte Anzahl an Amphitheatern; hier liegen nämlich an insgesamt 84 Standorten entsprechende Baustruk­turen vor. Als jenes Land mit der zweitgrößten Anzahl an Amphithea­tern gilt nach gegenwärtigem Kenntnisstand Tunesien (32 Standorte), wohingegen Frankreich mit seinen 31 antiken Anlagen unmittelbar dahinter folgt. Auf Platz vier reiht sich in dieser Rangliste Großbritan­nien mit 20 nachgewiesenen Standorten von Amphitheatern ein, wäh­rend es in Spanien überraschenderweise nur halb so viele Bauwerke zur Abhaltung von Jagdspielen und Gladiatorenwettkämpfen gab.

Im heutigen Deutschland und Österreich mutet die Anzahl der ehemals in Betrieb stehenden Amphitheater im Vergleich zu Italien, welches das Kernland des Römischen Reiches darstellte, eher bescheiden an. In der Bundesrepublik konnten nämlich an sieben Standorten derartige Baustrukturen angetroffen werden, wobei die Anlagen in Trier (Augu- sta Treverorum) und Xanten (Colonia Ulpia Traiana) am meisten Auf­merksamkeit verdienen. In Österreich gibt es fünf Lokalitäten mit Am­phitheatern, unter denen Carnuntum mit seiner Zivil- und Militärstadt besonders hervortritt (Abb. 3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3 Diagramm mit der Darstellung jener fünf Länder (hellgrau), welche die meisten Standorte von Amphitheatern beherbergen. Zum Vergleich sind auch die entsprechenden Zahlen für Deutschland und Österreich (schwarz) angeführt.

2. Stereofotografie von großen Gebäuden

2.1 Aufnahme von Stereobildern

Die gängigen Verfahren zur Aufnahme von Stereobildern haben gerade in den vergangenen Jahren einen kontinuierlichen Verfei­nerungsprozess durchlaufen, welcher in zahlreichen Publikationen sei­ne detaillierte Darstellung findet. Grundsätzlich kann die Herstellung von stereoskopischen Fotografien großer Gebäude auf zweierlei Art und Weise erfolgen: Zum einen kann für diesen Zweck eine mit zwei Objektiven ausgestattete Stereokamera herangezogen werden, bei der die Aufnahme beider Halbbilder mit identischen Einstellungen am Ge­rät durchgeführt wird und zudem von jeglichen unterstützenden Maß­nahmen abgesehen werden kann. Zum anderen lässt sich das ge­wünschte 3D-Bild eines Objektes auch durch Verwendung einer her­kömmlichen Digitalkamera mit Einzelobjektiv erzeugen, wobei in die­sem Fall jedoch unterschiedliche Techniken zur Veränderung der Per­spektive heranzuziehen sind (Abb. 4).

Beim ersten stereoskopischen Aufnahmeverfahren für Einzelobjektiv­kameras kommt es zur Verschiebung der Betrachter- beziehungsweise Kameraposition entlang einer waagrechten Linie, welche im rechten Winkel zur Objektdistanz (D) steht (Abb. 4a). Der Abstand zwischen den Standpunkten 1 und 2 (d) entspricht dabei idealerweise dem mitt­leren Augenabstand des Menschen (65 mm), um zumindest eine der natürlichen Gegenstandbetrachtung entsprechende räumliche Wahr­nehmung zu erzielen. Bei großen, mit zahlreichen bauplastischen Ele­menten versehenen Gebäuden ist es oftmals notwendig, eine über die Stereopsis (Raumsehen) hinausgehende Steigerung des dreidimensionalen Effektes zu erzeugen, um dadurch eine effizientere Analyse der architektonischen Struktur vornehmen zu können. Dieses Ziel lässt sich durch kontinuierliche Steigerung des Abstandes zwischen den Standpunkten erreichen. Die Variation des Parameters d hängt dabei einerseits von der bereits erwähnten Objektdistanz D (siehe unten) und andererseits von der Objekttiefe T ab. Grundsätzlich gilt hier die Regel, dass erhöhte Gebäudetiefen, wie sie bei Amphitheatern ohne Zweifel vorliegen, eine signifikante Steigerung der Standpunktdistanz erfordern, damit die Tiefeninformation auch in entsprechendem Maße in das dreidimensionale Bild einfließen kann.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4 Techniken zur Veränderung der Bildperspektive, wie sie für die Herstellung von Stereobildern benötigt wird: (a) Horizontale Ver­schiebungsmethode, (b) Versatz der Kameraposition entlang eines Kreisbogens.

Beim zweiten stereoskopischen Aufnahmeverfahren erfolgt die Ver­schiebung des Standpunktes entlang eines Kreisbogens, wobei sich der Versatzwinkel in der Regel auf 2 bis 10° beläuft. Diese Methode hat sich in der Vergangenheit als sehr effizient in Bezug auf die Herausar­beitung räumlicher Information erwiesen. Wie schon bei der zuvor be­schriebenen Aufnahmetechnik lässt sich auch hier eine Steigerung des 3D-Effektes durch kontinuierliche Erhöhung des Verschiebungswin­kels erreichen. Grundsätzlich kann dieses Verfahren als prädestiniert bei Bauobjekten mit rundem Grundriss erachtet werden, wodurch ihm bei der Fotografie von Amphitheatern der Vorzug zu geben ist.

Wie bereits kurz angesprochen wurde, richtet sich der Abstand zwi­schen den beiden Kamerastandpunkten, von denen aus die Aufnahme der stereoskopischen Halbbilder erfolgt, nach der Objektdistanz auf der einen Seite und der Objekttiefe auf der anderen. Dieser Umstand soll anhand des in Abb. 5 illustrierten Beispiels etwas näher vor Augen geführt werden. Hier wurden Amphitheater und Kamerapositionen in ein Raster mit einer Zellgröße von 10 x 10 m gelegt. Die Baustruktur verfügt demnach über eine Abmessung von 120 x 100 m. Werden die stereoskopischen Aufnahmen in einem Abstand von 20 m vor der Ge­bäudefront durchgeführt, beträgt die Distanz der beiden Standorte im Falle der ersten Technik 5,3 m. Im Falle der zweiten Technik liegt hin­gegen bei Annahme eines Versatzwinkels von 10° ein Wert von 3,49 m vor. Wird eine Steigerung der Objektdistanz von 20 auf 150 m vorge­nommen, tritt logischerweise auch eine signifikante Vergrößerung der Distanz zwischen den beiden Kamerastandpunkten auf. Diese bemisst sich im Falle der horizontalen Versatztechnik auf 40 m, im Falle der bogenförmigen Kameraverschiebung hingegen auf 26, 2 m.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5 Skizzen zur Beschreibung der Abhängigkeit der Versatzweiten zwischen Standpunkt 1 und 2 von der Objektdistanz: (a) Horizontale Verschiebungsmethode, (b) Versatz der Kameraposition entlang eines Kreisbogens.

Bei der Aufnahme von stereoskopischen Halbbildern, welche in weite­rer Folge zur Stereobildern oder Stereopaaren (Kap. 3) kombiniert werden, sind insbesondere jene Gebäudestrukturen mit vermehrter räumlicher Information zu berücksichtigen, da sich hier letztendlich die besten fotografischen Ergebnisse erzielen lassen. Bei Amphithea­tern liegen in der Regel etliche architektonische beziehungsweise bau­plastische Elemente vor, welche sowohl der Außenfassade als auch den Innenräumen und dem zentralen Spielfeld die notwendige räum­liche Tiefe verleihen. Beispielhaft sind hier alle Formen von Treppen, Arkaden oder Säulen beziehungsweise Halbsäulen zu nennen (Abb. 6). Figürliche Komponenten, welche ihrerseits eine plastische Ausgestal­tung besitzen, verstärken diesen Effekt noch zusätzlich. Bei Fernauf­nahmen der Baustrukturen tragen benachbarte Gebäude oder Pflan­zen oftmals zur Verstärkung des aus den Stereobildern gewonnenen räumlichen Eindrucks bei.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6 Strukturierung der Außenfassade eines Bauwerkes, welche ge­nügend Tiefeninformation für die Stereofotografie bereitstellt. Dies kann im unten dargestellten Stereobild gut nachvollzogen werden.

Als eine alternative Möglichkeit zur Herstellung von Stereobildern gilt die Verwendung spezieller Computerprogramme (PICOLAY, Adobe Photoshop), mit deren Hilfe sich räumliche Information aus einer ein­zelnen Fotografie extrahieren lässt. Dies eröffnet zahlreiche Möglich­keiten für die moderne Aufarbeitung von alten Bildbeständen, bei de­nen noch nicht an eine entsprechende dreidimensionale Visualisierung gedacht wurde. Grundsätzlich zielt die computerunterstützte Erzeu­gung von 3D-Bildern zunächst darauf ab, von der vorhandenen Einzel­aufnahme eine sogenannte Objekttiefenkarte (engl. object depth map oder ODM) zu generieren. Diese basiert auf einem vom Bildvorder­grund zum Bildhintergrund verlaufenden Helligkeitsgradienten, was bedeutet, dass in der Nähe abgebildete Gegenstände heller als in der Ferne situierte Strukturen erscheinen. Bei moderneren Verfahren stützt sich die Objekttiefenkarte auch auf einem Tiefenschärfegradien­ten.

Die in der Objekttiefenkarte gespeicherte räumliche Information der aufgenommenen Struktur wird in weiterer Folge dazu verwendet, teil­weise sichtbare Oberflächen unter Zuhilfenahme spezieller Render- Verfahren einer dreidimensionalen Extrapolation zu unterziehen. Das heißt letztendlich nichts anderes, als dass nicht abgebildete Teile auf­grund der Kenntnis der Oberflächengestaltung rekonstruiert werden. Durch diesen methodischen Schritt entsteht in weiterer Folge die Mög­lichkeit einer geringfügigen Perspektivenänderung beziehungsweise Drehung des fotografierten Objektes, womit die Grundlage für die Her­stellung der beiden stereoskopischen Halbbilder gegeben ist.

Die durch das Render-Verfahren unterstützte räumliche Extrapolation eines Objektes erfolgt in der Regel umso exakter, je homogener dessen Oberfläche gestaltet ist. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass kom­plex strukturierte Oberflächen nur sehr schwer und unter Nutzung eines hohen rechnerischen Aufwandes rekonstruiert werden können. Bei der Fotografie von Gebäuden mit zum Teil sehr aufwendig gestal­teten Außenfassaden ist dieses der computerunterstützten Stereosko- pie anhaftende Defizit immer im Hinterkopf zu behalten, so dass ent­sprechende künstliche Veränderungen der Perspektive nicht über ei­nen Winkel von 5° hinausgehen sollten.

Wenn man seine Stereobilder nach dem oben dargestellten Verfahren produzieren möchte, sollte man sich zunächst die dafür benötigte Soft­ware besorgen und sich mit deren effizienter Bedienung vertraut ma­chen. Im Falle des frei erhältlichen Computerprogramms PICOLAY kann eine entsprechende Kurzanleitung zur Nutzung der einzelnen Elemente als PDF-Datei heruntergeladen werden. Bei der Fotografie jener Objekte, welche einer räumlichen Visualisierung unterzogen werden, sollte man immer darauf achten, dass ein vom Vorder- zum Hintergrund verlaufender Helligkeitsgradient vorliegt, um dem Pro­gramm die Vorgabe für eine möglichst effektive Tiefenkartierung zu liefern. Bessere Graduierungen der Helligkeit lassen sich etwa dadurch erzielen, dass man die fotografischen Aufnahmen bei Tagesanbruch oder abends durchführt, da zu dieser Zeit noch keine vollständige Ausleuchtung durch die Sonne erfolgt.

Grundsätzlich stellt die dreidimensionale Visualisierung mithilfe von geeigneter Computersoftware eine gute Alternative zur klassischen Stereofotografie, jedoch keineswegs einen gleichwertigen Ersatz des konventionellen Verfahrens dar. Das am Computer erzeugte 3D-Bild ist mitunter durch Verzerrungen von Oberflächen und Kanten gekenn­zeichnet, welche beim klassischen Stereobild nicht auftreten können. Schlecht verrechnete Helligkeitsgradienten können zudem zur Ent­stehung pseudostereoskopischer Effekte führen, bei denen eine Um­kehrung zwischen Vorder- und Hintergrund des Bildes stattfindet. Als großer Vorteil der alternativen Methode mag sicherlich der Umstand gelten, dass jene weiter oben beschriebenen Regeln der stereoskopi­schen Bildaufnahme entfallen und man keine zum Teil aufwendigen Abstandsberechnung durchzuführen hat. Darüber hinaus können alte Schwarz-Weiß-Bilder wieder zu neuem Leben erweckt und mit zu­sätzlicher Information erfüllt werden.

2.2 Betrachtung der Stereobilder

Für die gezielte Inspektion der Stereobilder, welche unter Anwen­ dung der in Kap. 2.1 aufgelisteten Verfahren erstellt worden sind, stehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Einerseits können optische Hilfsmittel wie Stereoskop oder Stereobrille zur Be­trachtung herangezogen werden und andererseits stehen verschiede­ne autostereoskopische Blicktechniken zur Verfügung, mit deren Hilfe im Gehirn ein räumlicher Eindruck des abgebildeten Objektes erzeugt werden kann. Stereoskop und Stereobrille funktionieren im Allgemei­nen nach dem gleichen Prinzip, indem sie dafür sorgen, dass das linke Auge lediglich das linke Halbbild des Stereogrammes zu sehen be­kommt, während das rechte Auge auf das rechte Halbbild gelenkt wird. Da jedes Auge das abgebildete Objekt aus einer geringfügig unter­schiedlichen Perspektive erfasst, werden im Gehirn die Prozesse der Stereopsis (Raumsehen) in Gang gesetzt, so dass letztendlich eine drei­dimensionale Wahrnehmung entstehen kann. Um den perfekten Paral­lelblick mit der oben geschilderten Zuordnung der beiden Augen zu den jeweiligen Halbbildern herbeizuführen, sind in den optischen Ge­räten spezielle Spiegel- oder Prismenkomponenten verbaut. Diese sor­gen dafür, dass die von Natur aus leicht konvergente Stellung der Seh­achsen jene zur effizienten Betrachtung der Stereobilder notwendige Parallelisierung erfährt.

Für die unabhängig von optischen Hilfsmitteln erfolgende Inspektion von stereoskopischem Bildmaterial bieten sich mit dem Kreuz- und Parallelblick zwei verschiedene Betrachtungsmethoden an, welche re­lativ leicht erlernbar sind, jedoch neben manchen Vorteilen auch eini­ge Nachteile in sich bergen. Der Kreuzblick ist im Wesentlichen da­durch gekennzeichnet, dass das linke Auge zum rechten Halbbild und das rechte Auge zum linken Halbbild geführt wird. Dazu ist es freilich notwendig, die beiden optischen Sinnesorgane in eine Schielstellung zu versetzen, welche weit über die natürliche Konvergenzstellung hi­nausgeht. Dieser Zustand lässt sich beispielsweise dadurch erzeugen, dass man zwischen Stereobildpaar und Augen einen Fokuspunkt ein­führt (z. B. Zeigefinger) und diesen allmählich in Gesichtsrichtung ver­schiebt. Ab einem gewissen Punkt kann man die Entstehung eines räumlichen Mittelbildes zwischen den beiden Halbbildern erkennen. Die große Kunst besteht nun darin, dieses zentrale Bild durch Fixie­rung der Augenstellung aufrecht zu erhalten, um es in weiterer Folge einer Detailbetrachtung unterziehen zu können. Der Kreuzblick besitzt die Vorteile einer raschen Erlernbarkeit und einer Betrachtung belie­biger Stereobildformate. Als wesentlicher Nachteil kann die relativ rasche Ermüdung der Augen infolge der starken Konvergenzstellung gelten, so dass längere Bildinspektionen immer wieder durch Pausen zu unterbrechen sind (Abb. 7a).

Beim autostereoskopischen Parallelblick erfolgt eine Ausrichtung des linken Auges auf das linke Halbbild und des rechten Auges auf das rechte Halbbild. Um diesen Zustand zu erreichen, sind die leicht kon­vergenten Sehachsen parallel auszurichten, also in eine eher unnatürli­che Stellung zu überführen. Das kann etwa dadurch erreicht werden, dass man zwischen die beiden Sehachsen eine parallel zu diesen ver­laufende Trennwand (z. B. flache Hand) einführt. Nach kurzer Zeit kommt es auch hier zur Entstehung eines zwischen den beiden Halb­bildern positionierten Mittelbildes, welches die gewünschte räumliche Information des fotografierten Objektes enthält. Der Parallelblick ist in der Regel etwas scherer zu erlernen als der Kreuzblick, da eine, wenn auch nur geringfügige, Divergenz der natürlichen Augenstellung an­fangs ein wenig ungewohnt ist. Durch die Parallelstellung der Sehach­sen ist man bei feststehendem Abstand zwischen Augen und Stereo­gramm auch zur Einhaltung der optimalen Stereobildgröße gezwun­gen, da ansonsten keine Verschmelzung von korrespondierenden Bild­punkten mehr stattfinden kann. Als wesentlicher Vorteil der Blicktech­nik kann die nur langsam eintretende Ermüdung der Augen angesehen werden, wodurch eine längere Bildinspektion gelingt (Abb. 7b).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7 Autostereoskopische Blicktechniken zur Betrachtung von Ste­reobildern ohne Verwendung optischer Hilfsgeräte: (a) Kreuzblick, (b) Parallelblick.

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Details

Titel
Antike römische Amphitheater im stereoskopischen Bild
Untertitel
Eine dreidimensionale Reise durch bedeutende Arenen des Römischen Reichs
Note
k. A.
Autor
Jahr
2020
Seiten
110
Katalognummer
V955637
ISBN (eBook)
9783346296375
ISBN (Buch)
9783346296382
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Amphitheater, Stereoskopie, Stereobild, Kolosseum, Architektur
Arbeit zitieren
Dr. Robert Sturm (Autor:in), 2020, Antike römische Amphitheater im stereoskopischen Bild, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/955637

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