Charakteristik Wagners:
Faust und Wagner sind zwei sehr unterschiedliche Typen von Wissenschaftlern. Wagner, der Schüler Fausts, sieht den Sinn der Lebens und sein persönliches Ziel darin, sich kaltes, erlernbares Wissen vergangener Zeiten anzueignen.
Dies versucht er durch das Sammeln von Informationen und die Imitation von schon vorhandenem Wissen zu bewerkstelligen. Einfaches, natürliches Leben ist nichts für Wagner, er ist ein Bücherwurm und kritisiert die "einfache" Freude. Ebensowenig kann er Fausts Naturbegeisterung verstehen. Aus diesem Grund kann er sich auch nicht mit den Wanderern des Osterspazierganges identifizieren, wodurch erkenntlich wird, daß der Famulus nur aus sozialem und wirtschaftlichem Gewinn wandert, nicht des Spaßes wegen.
Er findet seine Erfüllung vielmehr darin, aus dem Vergangenen zu lernen. Wagner findet es spannend zu erkennen, was die früheren Wissenschaftler gedacht und herausgefunden haben. Er bewundert seine "Vorgänger" und ist stolz darauf, die Möglichkeit zu haben, sich all das, was diese entdeckt haben, durch Lernen erneut anzueignen.
Wagner ist trotzdem mit Herz und Seele bei der Sache, doch kann man ihn nicht als "richtigen" Wissenschaftler bezeichnen, denn auch Faust forscht mit ganzem Herzen, versucht allerdings etwas Neues, bisher unentdecktes herauszufinden. Faust sucht nach dem Sinn des Lebens, dem Sinn des Menschseins.
Wagner hingegen möchte durch sein Streben Ruhm, Ansehen und die Anerkennung der Gesellschaft erlangen. In diesem Zusammenhang verehrt er Faust und hofft, daß vielleicht ein Abglanz von dem großen Gelehrten auf ihn selbst übergeht. Aus eben diesem Grunde besitzt er also lediglich eine rein rationale Welterkenntnis, denn er folgt nicht, wie Faust, dem Zwang des Herzens.
Die nächtliche Sitzung wird gestört durch den Famulus Wagner, der Faust in ein gelehrtes Gespräch ziehen will. Von der Engstirnigkeit des Famulus erneut auf die Beschränktheit seiner Welt verwiesen, entschließt sich Faust, freiwillig aus dem Leben zu scheiden.
In dieser Verzweiflung platzt Fausts Gehilfe Wagner. Er hat Faust gehört, wie er mit dem Erdgeist geredet hat und seine verzweifelten Wort danach. Wagner hat gemeint, Faust trage ein Erscheinung des Erdgeistes - Bleistiftzeichnung von Goethe griechisches Trauerspiel vor. Es ist typisch für Wagner, er kann sich eine solche Rede nur als literarische Äußerung vorstellen. Er bittet Faust, mit ihm ein wenig über Rhetorik zu diskuttieren. In diesem Gespräch werden die unterschiedlichen Meinungen der beidne deutlich. Wagner meint in Bezug auf die Vortragskunst, daß es allein auf gut zusammengetragenen Vortragsstoff von andern Autoren ankomme. Faust verabscheut diese Anschauungsweise. Er meint, es komme nur auf Gefühl an; wenn es einem wichtig sei, etwas zu sagen, werden man schon verstanden.
"Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen"[534]"Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen, Wenn es euch nicht von Herzen geht." [344f]
Die Tradition, das überlieferte Wissen lehnt er in seiner übersteigerten Ich-Bezogenheit ab. Das Thema wird gewechselt, sie reden über die Quellen des Wissens. In übertriebener Weise behauptet Faust, daß das historische Wissen für nichts als Theaterstückt gut sei. Wagner lobt die Errungenschaften der Vergangenheit und verzichtet, ebenfalls übertrieben, auf eigenen Gedanken. Er wird von Faust niedergemacht, indem dieser entgegenhält, daß die Menschen sich doch schlußendlich gegen Wahrheit und Erkenntnis wehren würden. Diejenigen, die es versuchten, würden vom "Pöbel"[592]gekreuzigt oder verbrannt. "Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?"[589]
Während Wagner, ganz im Sinne der Aufklärung eine Art Volksbildung im Auge hat, zeigt Faust damit seine elitäre Auffassung der Menschen. Faust beendet das Gespräch, es sei spät. Wagner will am morgigen Ostertage weiterdiskutieren.
"Zwar weiß ich viel, doch möcht ich alles wissen."[601]
Faust ist wieder allein. Er versucht das Erlebnis mit dem Erdgeist zu verarbeiten. Er erkennt, daß er sich überschätzt hat (als "Ebenbild der Gottheit"[614]). Die Bindung des Körpers an den Geist findet er behindernd für das Leben. Ihm wird klar, daß er sich ständig unnütz Sorgen macht, um Besitz, Angehörige und sein Wohlbefinden und somit ein "Wurm"[707]ist, wie er vom Erdgeist bezeichnet worden ist. Faust erblickt die Bücher und Gerätschaften, die er von seinem Vater geerbt hat. Er verwirft sie als unnütz, sie würden auch nicht helfen, die "Natur des Schleiers zu berauben"[673]. Das ererbte verabscheut er, nur das selbst angeeignete sei gut.
Schließlich erblickt er ein Fläschche, gefüllt mit Gift. Er sieht die Möglichkeit des Selbstmordes und damit von seinem Dasein als "Wurm"[707]befreit zu werden, an "neuen Ufern"[701]einen "neuen Tag"[701]zu sehen. Er sieht zwar die Gefahr, ins "Nichs dahin zufließen"[719], aber das Risiko geht er in Anbetracht des möglichen Ziels ein. Als er das Glas gerade an den Mund führt, wird es ihm gewaltsam vom Munde gezogen. Es ertönen Osterglocken und Chorgsang. Faust gelangt zu der Erkenntnis, daß er nicht in der Lage sei, ein gläubiger Christ zu sein.
"Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube"[765]
Er läßt seine Selbstmordgedanken, in Erinnerung an seine christliche Jugend, fallen.
Gefühlsmäßig und wunschhaft hat er noch ein "christliches Verständnis", das aber immer mehr vernachlässigt wurde und wird. Jetzt hat es ihn gerettet ("Die Träne quillt, die Erde hatmich wieder!"[784]).
Vor dem Tor
Faust spaziert mit Wagner in einer kleinen Stadt umher. Es ist kurz vor Ostern und die Straßen sind voll mit Leuten, die ihr Glück genießen. Selbst Faust läßt sich davon anstecken, vergißt seine Situation:
"Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!"[940]
Faust grübelt in seiner Studierstube bei Nacht über den Sinn des Daseins. Die herkömmlichen Wissenschaften (Philosophie, Juristerei, Medizin und auch die Theologie) vermögen ihm nichts mehr zu geben. Nur noch in der Magie sieht er einen Weg, in das Geheimnis der Welt einzudringen. Er schlägt das Zauberbuch des Nostradamus auf und berauscht sich beim Anblick des Zeichens des Makrokosmos an der Harmonie, die das All durchdringt. Doch hofft er sich noch mehr Befriedigung vom Zeichen des Erdgeistes, den er mit geheimnisvollen Formeln beschwört. Der Geist erscheint, jedoch nur, um Faust seine Zwergenhaftigkeit als Mensch gegenüber der Natur und ihren ewig schaffenden Gewalten fühlen zu lassen. Nach einer kurzen Unterbrechung durch seinen Famulus Wagner, »den trocknen Schleicher«, meditiert Faust verzweifelt weiter und nähert sich dem Gedanken einer Erlösung durch den Tod.
Doch kaum hat er die kristallene Schale mit Gift an den Mund gesetzt, als Glockenklang und Chorgesang ihm
Häufig gestellte Fragen
Was ist die Charakteristik von Wagner im Text?
Wagner wird als ein sehr unterschiedlicher Typ von Wissenschaftler im Vergleich zu Faust dargestellt. Er strebt danach, kaltes, erlernbares Wissen vergangener Zeiten zu erlangen, indem er Informationen sammelt und vorhandenes Wissen imitiert. Er ist ein Bücherwurm, der einfache Freuden und Fausts Naturbegeisterung nicht versteht. Seine Wanderungen sind eher sozialem und wirtschaftlichem Gewinn gewidmet als dem Vergnügen.
Was sind Wagners Motive für seine wissenschaftliche Arbeit?
Wagner findet seine Erfüllung darin, aus dem Vergangenen zu lernen und die Gedanken und Entdeckungen früherer Wissenschaftler zu bewundern. Er strebt nach Ruhm, Ansehen und Anerkennung in der Gesellschaft und verehrt Faust in der Hoffnung, dass etwas von dessen Ruhm auf ihn abfärbt. Seine Welterkenntnis ist daher rein rational und nicht durch den Zwang des Herzens geleitet.
Wie wird Wagners Rolle in Fausts Entscheidung zum Selbstmord dargestellt?
Wagners Engstirnigkeit und Beschränktheit führen dazu, dass Faust sich freiwillig aus dem Leben scheiden will. Nachdem Wagner Faust mit dem Erdgeist reden hört, hält er dessen verzweifelte Worte für eine literarische Äußerung, was Fausts Verzweiflung nur noch verstärkt.
Wie unterscheiden sich Fausts und Wagners Meinungen über die Rhetorik?
Wagner glaubt, dass es bei der Vortragskunst allein auf gut zusammengetragenen Vortragsstoff von anderen Autoren ankommt. Faust hingegen betont die Bedeutung des Gefühls und der Authentizität beim Sprechen; wenn einem etwas wirklich wichtig ist, wird man verstanden.
Wie steht Wagner zum historischen Wissen und zur Tradition?
Wagner lobt die Errungenschaften der Vergangenheit und verzichtet auf eigene Gedanken, während Faust das historische Wissen als nutzlos für etwas anderes als Theaterstücke abtut.
Welche Rolle spielt Wagner in der Szene "Vor dem Tor"?
Faust spaziert mit Wagner in einer kleinen Stadt umher kurz vor Ostern. Die lebendige Atmosphäre der Stadt, gefüllt mit Menschen, die ihr Glück genießen, steckt selbst Faust an und lässt ihn seine düstere Situation für einen Moment vergessen.
Wie wird Wagner in Bezug auf Fausts Suche nach dem Sinn des Daseins dargestellt?
Während Faust in seiner Studierstube über den Sinn des Daseins grübelt und nach tieferem Verständnis sucht, erscheint Wagner als ein bodenständigerer, weniger philosophisch orientierter Charakter, der die traditionellen Wissenschaften akzeptiert.
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- Mathias Bock (Autor:in), 1999, Goethe, Johann Wolfgang von - Faust - eine Charakteristik Wagners, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95613