Das Wiener Volksstück und seine Vertreter


Referat / Aufsatz (Schule), 1998

10 Seiten


Leseprobe


Das Wiener Volksstück und seine Vertreter

1. Definition

Mit dem Begriff beginnen schon die Schwierigkeiten. Was ein Volkslied, ein Volksmärchen, ein Volksbuch ist, kann in jedem literarischen Lexikon nachgeschlagen werden. Das Volksstück jedoch ist nicht mit einer kurzen und prägnanten Definition abzuhandeln. Viele Theater, sowohl in Wien als auch in Deutschland, verstehen ihre Produktionen als Volksstück und bezeichnen damit eine Form leichten Unterhaltungstheaters, das sich auf klischeehafte Problemdarstellungen, humorige Verwicklungen und auf eine Sprache im Dialekt eingestellt hat. Berthold Brecht beschrieb das Volksstück so : „Da gibt es derbe Späße, gemischt mit Rührseligkeit, da ist hahnebüchene Moral und billige Sexualität. Die Bösen werden bestraft und die Guten werden Geheiratet, die Fleißigen machen eine Erbschaft und die faulen haben das Nachsehen.“

Als triviale Literatur, die bloß unterhaltende Funktion habe, ist die Volksliteratur auch von der Fachgermanistik lange Zeit einseitig mißverstanden worden.

Den Begriff des Volksstückes und dessen Bedeutung, wird am besten dargestellt, anhand 200 Jahren Theatergeschichte: Der Umfang des Terminus ergibt sich aus seiner Geschichte.

Autoren, die heute Volksstücke wie z.B. Horvath1 oder Turrini2 schreiben, wollen damit andeuten, daß sie sich um die Produktion einfacher, übersichtlicher Theaterstücke bemühen, die zweifach mit den unteren Gesellschaftsklassen rechnen: als Personal und als Adressanten. Damit sind auch das Interesse und das Verständnis für die Thematik auf der Bühne festgelegt: Alltagsprobleme aus der Sicht und in den Proportionen, wie sie den unteren Klassen begegnen.

Um das Volksstück zu definieren bzw. zu umschreiben ist es am besten, Kennzeichen und Schriftsteller aufzulisten und deren Werke zu deuten (interpretieren). (siehe die folgenden Punkte) Barbara Czermak, Klasse 8A Deutsch - Spezialgebiet Matura 1999

2. Entstehung

Ferdinand Raimund und Johann Nepumuk Nestroy sind die klassischen Vertreter des Wiener Volksstücks, das sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts und im beginnenden 19. Jahrhundert zu voller Blüte entwickelte. Zur selben Zeit schrieben noch Alois Gleich und Karl Meisl, welche als Meister des Alt-Wiener Besserungsstückes3 galten. (Bei Meisl werden die Geister zu Wienern und bei Gleich werden die Wiener zu Göttern) Dies hatte meist pädagogische Tendenzen. Es diente im Grunde den bestehenden Verhältnissen und endete meist mit einem Happy-End. Es ist eine Art Verbesserung des Menschen, der sich an die Obrigkeit und deren Linie anzupassen hat. Am Ende steht die Einordnung in die bestehenden Verhältnisse. Die Popularität dieser Theaterform beruhte zum Teil sicherlich auf der Gewandtheit, mit der die Stücke auf die Wirklichkeit reagierten. Durch Improvisationen und Zulagen, das sogenannte „Extemporieren“ der Schauspieler reagierte das Theater schnell auf aktuelle Ereignisse. Es dauerte jedoch nicht lange, bevor die Obrigkeit mit Zensurbestimmungen gegen diese Art des Theaters einzuschreiten versuchte.

Trotz der drückenden Reaktion Metternichs, blühte das Wiener Volksstück in der Epoche der Biedermeier weiter, wenn auch durch die 1752 von Maria Theresia mit Strafe verhängten Theaterzensur , die Stücke weitgehend entpolitisierte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die eingeführten Maßnahmen verfolgten die Absicht, die „Macht“ dieses Theaters einzuschränken und zu dosieren. Man wollte den Autoren der Volksstücke die Möglichkeit nehmen, völlig frei und unbehindert, gewissermaßen öffentlich zu diskutieren.

Theater und Publikum flohen in die Zauberpossen4 - Illusion und Besserungsstücken. Die Illusion verwandelt werden zu können, verdrängte die alltägliche Misere des Publikums. Das Zauberspiel bot den Dichtern die Möglichkeit, über Gesellschaftliches zu schreiben, ohne daß die Stücke verboten oder zensuriert wurden. Dazu wurde das Reich der Feen und Zauberer verwendet, welches außerhalb des Zensurverbotes stand, da es zwischen „Gott und der Welt“ liegt . Das Zauberspiel zeigt das typische Handlungsschema des Absolutismus: ein Mensch der sich aus der sozialen Ordnung entfernt, wird durch Zauber und Geister zermürbt und gefügig gemacht. Am Ende steht in diesem Stücken immer die Einsicht, daß man nicht willkürlich gegen die vorherrschende Ordnung protestieren dürfe, sondern sich einzuordnen hat. Vom Barocktheater und der Stegreifbühne beeinflußt, werden Felix von Kurz, Philipp Hafner und Anton Stranitzky als Väter des Wiener Volksstückes gesehen.

Mit Nestroy ging die 150 jährige Blütezeit des Altwiener Volkstückes zu Ende. Als in Österreich im Gefolge der Märzrevolution (siehe Beiblatt 1 und 2 ) die Industrialisierung einsetzte, verschwand auch rasch das spätbarocke Volkstheater.

Felix von Kurz

* 22. 2. 1715 Wien, † 2. 2. 1784 ebd., Schauspieler, Librettist. Ab 1737 Schauspieler am Kärntnertortheater in Wien, verkörperte in zahlreichen Stegreifkomödien die Rolle des "Bernardon" und des "Hanswurst"; gilt neben J. Stranitzky und G. Prehauser als Hauptvertreter der volkstümlichen barocken Schauspielkunst in Österreich. Verfaßte Texte zu über 300 Singspielen, in denen er die parodistische Note J. Nestroys vorwegnahm. 1751 schrieb er für J. Haydn das Libretto zu dessen Singspiel "Der krumme Teufel" (nach einem Roman von A. R. Lesage).

Anton Stranitzky

*10. 9. 1676 Graz ,† 19. 5. 1726 Wien, ausgebildeter Zahnarzt, Schauspieler. Debüt bei einer Wandertruppe, 1699 in München, 1706 in Wien, wo er in einer hölzernen Hütte am Neuen Markt als Hanswurst auftrat. 1708 wurde er Prinzipal der Bretterbude, 1709-26 Pächter des neu erbauten, steinernen Kärntnertortheaters. Entwickelte ein künstlerisches Stegreiftheater mit besonderer Betonung des in einem typischen Kostüm auftretenden "Wienerischen Hanswurst" mit höfischen Prunk- und Zauberopern als Vorlage; erster Vertreter des Altwiener Volkstheaters.

„Hanswurst“

Hanswurst, derb-komische Figur des Volkstheaters und der Wanderbühnen. Nach dem Vorbi ld von Harlekin und Pickelhering schuf J. Stranitzky um 1710 die Figur des "Wienerischen Hans Wurst", die durch G. Prehauser und J.

F. von Kurz ("Bernardon") weiterentwickelt wurde; J. J. La Roche kreierte den "Kasperl", A. Hasenhut den "Thaddädl", A. Bäuerle den Parapluiemacher "Staberl". Der Kampf von J. v. Sonnenfels gegen Stegreifkomödien und possenartige H.-Spiele führte zwar zum Zensurerlaß Maria Theresias, doch behaupteten sich H.-Figuren bis in das 19. Jh. (F. Raimund, J. Nestroy) auf den Wr. Bühnen.

Philipp Hafner

*27. 9. 1735 Wien, † 30. 7. 1764 ebd., Lyriker, Dramatiker, Literaturkritiker. Seine Gedichte und Dramen stehen zw. Barock und Aufklärung. H. gilt als Vater des Wr. Volksstücks, er trat für ein volkstüml.-unterhaltsames Theater ein ("Alt-Wr. Volkskomödie").

Prehauser Gottfried

*8. 10. 1699 Wien, † 29. 1. 1769 ebd., Schauspieler und Schriftsteller. Nach Debüt bei einer Wandertruppe und Auftritten beim Wr. Marionettentheater als fahrender Komödiant in Süddeutschland und Österreich unterwegs, 1720 in Salzburg als "Salzburgischer Hanswurst" bekannt; kam 1725 ans Kärntnertortheater in Wien, wo er als "Neuer Wienerischer Hanswurst" J. A. Stranitzky ablöste und nach dessen Tod die Führung der "Teutschen Comödianten" übernahm. Hervorragender Interpret von Stegreif-, aber auch von "regelmäßigen" Stücken (G. E. Lessing), schrieb Lokalstücke und -possen und satirisch-humorist. "Neujahrswünsche".

3. Kennzeichen

Das Volksstück wurde teils auf Wanderbühnen, teils auf festen Vorstadtbühnen aufgeführt. Sowohl professionelle Schauspieltruppen als auch Laienorganisationen traten dort auf.

Die Handlung ist aus dem Volksleben entnommen und wird in schlichter, leichtverständlicher Form dargeboten. Einlagen von Musik, Gesang und Tanz waren ebenfalls Bestandteile des Volksstückes, wobei jedoch der ernste und zum Teil tragische Grundton nie verloren ging. Personen von meist handwerklicher, kleinbürgerlicher oder bäuerlicher Herkunft entwickeln sich von komischen Nebenfiguren zu Handlungsträgern. (BSP: Valentin)

4. Publikum

Das Volksstück war eine Form des Schauspieles für das Volk und über das Volk. Es ist im Gegensatz zum Theater der Oberschicht (Hoftheater) ein Theater des Volkes. Man darf es beinahe als Bildungstheater bezeichnen. Bis ca. 1840 war es den untersten, einkommensschwachen Bevölkerungsschichte möglich die in den damaligen Vorstädten Wiens liegenden Volkstheater zu günstigen Preisen zu besuchen. (Theater in der Leopoldstadt/an der Wien/ in der Josefstadt)

Ab diesem Zeitpunkt wird das Volk immer mehr ausgegrenzt. Steigende Preise erlauben nur mehr bürgerlichen, später großbürgerlichen Kreisen den Besuch. Der Bildungsauftrag wird nun vom „Deutschen Volkstheater“ und der „Freien Volksbühne“ übernommen. Die noch existierenden Volkstheater spielen meist anspruchslose, rein unterhaltende Programme, die idyllische Heimatklischees darbieten. Damit verkommt das Volksstück zur anspruchslosen „Blödelei“ oder zum kitschigen Heimat - und Bauerntheater.

5. Hauptvertreter: Raimund und Nestroy

1. Ferdinand Raimund (1790 - 1836) - Ein unglücklicher Komödiant

Die Person selbst - sein Leben

Als Sohn eines Drechslermeisters in der Wiener Vorstadt Mariahilf geboren, wird Raimund zunächst Zuckerbäckerlehrling. Aber schon mit 18 Jahren folgt er seinem Drang zur Bühne und wird Schauspieler. Sein Vater starb als Ferdinand zwölf Jahre alt war, beim Tod seiner Mutter war er vierzehn. Zum Theater kam er durch seine Zuckerbäckerlehre, weil er im Burgtheater Süßigkeiten verkaufte und dort seine Begeisterung für das Theater entdeckte. Zuerst finden wir ihn an verschiedenen kleinen Provinzbühnen, ab 1813 am Josefstädter und ab 1817 am Leopoldstädter Theater in Wien, wo er 1821 Regisseur und 1828 auch Direktor wurde. Zwei Jahre später löste er den Vertrag und gastierte an verschiedenen Bühnen, sofern es ihm die Gesundheit erlaubte. Raimund litt nämlich in zunehmenden Maß an nervösen Krisen, was schließlich 1836 auch zu seinem Selbstmord führte, aus Angst, durch einen Hundebiß mit Tollwut infiziert worden zu sein.

Raimund ist menschenscheu, mißtrauisch und sehr leicht gereizt. Sein angeborener Schwermut wird durch unglückliche Lebensumstände zu düsterer Melancholie gesteigert. Unglückliche Liebe verbindet ihn mit der bürgerlichen Antonie Wagner, da deren Vater keinen Schauspieler als Schwiegersohn duldet. Qualvoll geht seine Ehe mit der leichtfertigen Schauspielerin Luise Gleich zu Ende. Zu der kurzen Ehe wurde er gleichsam durch sein Publikum und Luises Vater gezwungen. Später zog er dennoch in wilder Ehe mit Antonie zusammen, konnte aber auch da nicht ganz glücklich werden; Möglicherweise machte es ihm seine kleinbürgerliche „Frau“ aufgrund der Klassenunterschiede nicht ganz einfach. Diese Problematik laßt sich auch aus seinen Texten herauslesen: Das bekannte HOBELLIED: „ Doch wird man nur ein bissel alt, Da find man sich schon drein, Oft zankt mein Weib mit mir . . . „und denk: du brummst mir gut“

Tragisch ist außerdem, daß er trotz seines Sprachfehlers ernste Rollen spielen möchte, jedoch nur als Komiker Erfolg hat. „Ich bin zum Tragiker geboren“, klagt er selbst, „mir fehlt nix als die Gestalt und das Organ.“ Wäre er als Tragiker so erfolgreich gewesen wie als Komiker, hätte er sich in unerfüllter Sehnsucht nach komischen Rollen verzehrt. Er wollt immer das jeweils andere. Er liebte Toni Wagner und ließ sich von Luise Gleich heiraten. Er wurde Luise Gleich los und vereinigte sich mit Toni, die er als Geschiedener nicht heiraten durfte. zu schreiben begann er erst im Alter von 33 Jahren und das nur durch Zufall: ein jeder Schauspieler hatte im Jahr einen Abend, an dem ihm der gesamte Kassenertrag zufiel. Raimund hatte zu diesem Zweck ein Stück bei Karl Meisel bestell, der ihn jedoch sitzen ließ. Deshalb schrieb Raimund 1823 selbst „ Der Barometermacher auf der Zauberinsel“ und im Jahr darauf „Der Diamant des Geisterkönigs“.

Auch der große Erfolg seiner komischen Märchen-und Zauberspiele befriedigt ihn nicht, da sein künstlerischer Ehrgeiz ihn dazu drängt, ernste Tragödien wie Grillparzer zu schreiben. Doch alle Versuche in diese Richtung mißglücken. Dazu kommt noch die bittere Enttäuschung, daß ihn noch vor seinem Tod der derbere Nestroy in der Gunst des Publikum verdrängt.

Er fühlte sich immer kleiner als Grillparzer und schließlich auch als Nestroy. Nachdem Grillparzas „Der Traum ein Leben“ veröffentlicht wurde, meinte Raimund nur, daß sein „Bauer als Millionär“ den selben Grundgedanken hätte, nur fehlen ihm die vielen schönen Worte.

Raimund fühlt sich oft unverstanden von seiner Umgebung. Vielleicht ist die Flucht aus der Wirklichkeit schon 2 Jahre vor seinem Tod im Verschwender im Hobellied beschrieben: „Da leg ich meinen Hobel hin und sag der Welt: Adje.“

Seine Art des Schreibens

Raimund schreibt 8 Bühnenstücke, ringt immer um die Anerkennung als „echter Dichter“ und strebt „Originalstücke“ zu schreiben.

Seine Stücke zeichnen sich vor allem durch Gesangs- und Tanzeinlagen in seinen Zauberpossen aus, die er so zu wahren Kunstwerken emporhebt. Er hat selten Probleme mit der Zensur, das seine Texte überwiegend davon sprechen, daß das wahre Glück und die wirkliche Größe des Menschen in der Bescheidenheit und im Verzicht liegen. Fleißige Arbeit, Gesundheit und vor allem Zufriedenheit gehören mit dazu. Somit ist Raimund kein Gesellschaftskritiker wie Nestroy, der ihm vorwarf, das Volksstück zu verraten und aufzulösen, da Raimund eine neue Genre erschaffe: die Allegorienspiele. Er stellt Begriffe bildlich dar, meist als Personen, so wie die Jugend, das Alter, den Neid oder den Haß.

Raimund schreibt bedenkenswerte Märchen. Sie streben nach Harmonie, die nur mühsam herbeigeführt wird und nicht endgültig besiegelt ist: der Menschenfeind ist nur pensioniert; Valentins Schicksalshobel hat heute gleichgehobelt , denn ob der Verschwender sich geändert hat ist nicht gewiß;

Der Mensch muß dazu gebracht werden sich zu ändern, doch die Zeit der Aufklärung ist vorbei und Raimund schließt sich auch nicht seinen Zeitgenossen mir ihren Bekehrungsstücken an. Nicht durch Einsicht wird der Mensch bekehrt, sondern durch Zauberzwang gebessert. Er wird nicht von den Feen und Träumen nachdenklich gestimmt, sondern durch Katastrophen überwältigt. Der Mensch kann sich nicht wehren, sondern sich nur bewähren.

Raimunds Dramen sind Gleichnisse über die Heilung der Welt vom Bösen; Bei ihm wird Parodistisches zurückgedrängt und der Ernst kehrt wieder ein. Kritik an hierarchischen Formen gibt es bei Raimund nicht. Die alten angemessenen Machtverhältnisse werden in seinen Dramen beibehalten: Der entlassene Valentin dient auch noch nach 20 Jahren seinem ehemaligen Herrn, ohne Wut. Macht bleibt Macht. Wolf erringt sie. Flotwell wird weiter verehrt.

In Raiumund Stücken weiß das Publikum meist schon, daß das Gute siegt: die Lehre lautet: schwer ist es für das Gute zu siegen; Das Publikum weiß, daß der Alpenkönig der Familie Rappelkopf helfen werde, die Zuschauer sind der Familie überlegen;

Seine Werke :

Der Verschwender

Raimunds Überzeugung war es, daß ein Grundübel der menschlichen Natur die Undankbarkeit sei. Kein Wunder also, daß in seiner Phantasie das Wunschbild eines wirklich dankbaren Menschen entsteht. Diese Figur nahm in Valentin Gestalt an.

Das Überirdische dauert auch in Raimunds Stück ewig an: Die Liebe der Fee Cheristane. Hingegen stellt der Bettler etwas Irdisches dar, etwas Vergängliches. Valentin und Rosa bilden den realistischen Teil: eine einfache Handwerkerfamilie, in armen Verhältnissen, aber zufrieden und glücklich mit dem , das sie sich selbst erarbeitet haben. Ihnen half keine Fee und auch keine andere überirdische Macht. Nur der gnädige Herr genießt Gnade und Güte.

Nachdem Flotwell zum Bettler geworden ist und Valentin ihn zu sich heraufziehen will, steigt nun das gesamte dramatische Personal wiederum empor, auf das gesellschaftliche Niveau des Schloßberges. Raimund versucht mit diesem, seinem letzten Stück, die gesellschaftlichen Gegensätze zu versöhnen und das Publikum direkt zu ermahnen;

Der Alpenkönig und der Menschenfeind

2. Johann Nepumuk Nestroy ( 1801-1862)

Seine Person selbst - sein Leben

Nestroy wurde in Wien als Sohn eines Hof- und Gerichtsadvokaten geboren. Auch seien Mutter stirbt früh (1814). Er besucht ein Gymnasium und beginnt 1817 das Philosophiestudium an der Wiener Universität. 1820 wählt er die juristische Fakultät, wo er 2 Semester lang studierte. Auch dieses bricht er ab und feiert ein kurzes Debüt als Opernsänger (Sarastro in der Zauberflöte). 1823 wendet er sich wie Raimund der Schauspielerei zu. Wien, Amsterdam, Brünn und Graz besucht er während seinen Anfängen. Ab 1831 ist er wieder in Wien; zuerst am Theater an der Wien, dann am Leopoldstädter Theater, dessen Leiter er in den Jahren 1854 bis 1860 ist. Im September 1823 heiratet er Wilhelmine Nespiesni die ihm 1824 den Sohn Gustav gebärt. Bereits 1827 läßt Nestroy sich wieder scheiden, aufgrund eines Verhältnisses mit einem gewissen Grafen Batthiany. Die Ehe wurde erst 1845 geschieden und Nestroy läßt seine ehemalige Frau wegen „Verschwendungssucht“ entmündigen. 1828 geht er eine Verbindung mit der Sängerin Marie Weiler (eigentl. Marie Lacher) ein, die er aber aufgrund der damaligen Ehegesetze nicht heiraten durfte. Aus dieser Verbindung gingen 2 Kinder hervor, Karl und Maria Cäcilia. Die Beziehung mit Marie hielt an, obwohl es immer wieder zu Zerwürfnissen kam, da Nestroy einen regen Lebenswandel führte.

1860 übersiedelte er nach Graz, wo er 1862 an den Folgen eines Schlaganfalles starb. Der Leichnam wurde nach Wien überführt und ab Währinger Friedhof beigesetzt. Nach dem Tod Weilers (1864) wurden fast 20 Jahre später beide exhumiert und in einem Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.

Seine Art des Schreibens

Auch Nestroy geht vom Wiener Volksstück der Vorstadtbühne aus, das aber bei ihm eine andere Weiterentwicklung als bei Raimund hat: er stellt die parodistischen, witzigen und satirischen Züge der überlieferten Stücke in den Mittelpunkt seiner Schauspiele und greift nach der romantischen Ironie zurück. Früh gibt er die märchenhafte Einkleidung seiner Stücke auf. Das Zaubertheater ist gleich zu Beginn bei Nestroy nichts geworden. Seine Zauberer und Feen schienen so lächerlich, daß ihre macht nicht mehr glaubhaft erschien. Das Schicksal in den Zauberspielen übernimmt nun in Nestroy Satiren der ZUFALL. Es war nicht Zufall, daß Flotwell wieder auf den Schloßberg zurückgekehrt ist, Azur hat ihn hingeführt. Bei Nestroy übernimmt diese Aufgabe der Zufall. Dadurch erhalten seine Stücke einen Motor. Nichts ist gewiß der Zufall ist allgegenwärtig und kann jederzeit verändern.

Nestroy stellt die Handlung in ein realistisch gezeichnetes Gegenwartmilieu mit Wiener Lokalfärbung. Auf diese Weise entstehen Parodien, Zeit-, Gesellschaftssatiren und Charakterpossen. Er diskutiert gewissermaßen die gesellschaftliche zustände auf offener Bühne. Er schildert die Menschen so, wie sie seiner Meinung nach wirklich sind, ohne sie moralisierend zu bewerten oder bessern zu wollen. Den Nestroy weiß, daß sich die Menschen nicht bessern.

Nestroy steht seiner Zeit und ihren Menschen mit scharfem Spott und kritischem Verstand gegenüber. Er schreibt 79 Texte, zu denen er den Stoff meist aus dem Französischen nimmt und schreibt also keine „Originalstücke“.

Nestroys Witz forderte den Verstand seines Publikums. Kennzeichnend für seinen „Stil“ sind auch fremde Sprachen, wie Tschechisch, Italienisch, Englisch oder Französisch, die parodistisch verwendet werden. Beliebt ist auch die Verulkung von wissenschaftlichen Kauderwelsch, wie zum Beispiel: „ Oh er hat recht, jener populäre Philosoph, wenn er so klar sagt, daß das Ei nur ein Begriffsaggregat mit markierten elektromagnetischpsychologisch-galvanoplastischen Momenten ist“.

Nestroy liebte auch lange Zusammensetzungen wie „ vergißmeinnichtkatzenazurblaue Augen“ oder „Künstlerstolbeleidigendesselbsteigenidealschöpfungsverschandlungszumutung“

Raimunds komische Figur vollendeten eine Art Emanzipation, sie gehört respektablen Ständen an, nähert sich aber schon dem Typus des Sonderlings, wirkt komisch durch Verwirrung. Bei Nestroy kommt diese Figur aus dem Nichts und arbeitet sich zum Mittelpunkt der Gesellschaft empor: nirgends wird das deutlicher als im Talismann -> der Außenseiter wird zum Zentrum; Nestroy führt seine Figur durch alle stände und offenbart deren Schwächen. Bei ihm wird kein besonderer Teil des Publikums angegriffen, sondern alle Teile gleichermaßen. Nestroys Ziel ist nicht, die allgemeine Feststellung zu verdeutlichen, daß der Mensch schlecht ist und sich zu bessern hat. Er möchte darstellen, wie der Charakter des Menschen von seiner Umwelt geprägt wird und daß der Mensch nicht als Individuum gilt, sondern als verstricktes soziales Wesen. Der Mensch wir lächerlich durch seine Umgebung, deshalb ist die komische Figur nicht auf bestimmte Stände beschränkt, sie gibt es überall. Das Wiener Publikum fühlt sich durch Nestroys Satiren nicht direkt angesprochen, da ihm diese zu bösartig erscheint. Doch die Wiener Mundart läßt Brücken zur Wirklichkeit bauen.

Vergleich Raimund und Nestroy

Raimund der melancholische, scheinbar ständig unzufriedene Verbesserer der sich selbst für schlechter als Nestroy hält. Dieser jedoch, der fröhliche und lustige Dichter, in dessen Stücken jedoch die ernste Wurzel nicht fehlt. Dargestellt werden die Probleme indem die gesamte Situation lächerlich gemacht wird. Die Satiren machen darauf aufmerksam wie es sein könnte, um den Schluß zu ziehen, wie es sein müßte.

Der illusionistischen , positiven Utopien Raimunds stellt Nestroy seinen satirischen Pessimi smus entgegen.

Raimund übt Kritik an den Fehlern, Mängeln, dem Wankelmut, der Gleichgültigkeit der Menschen. Aber er will den dargestellten Zustand nicht zerstören, sondern mildern. Nestroy hingegen setzt an der Wurzel des Übels an. Er will ausrotten, was Raimund noch zu retten versuchte.

Nestroy kritisiert und fechtet an. Raimund rüttelt nicht an Gegebenheiten, auch wenn er an sie nicht daran glaubt.

Raimund verband barockes Zaubertheater und Wiener Volksposse während Nestroy politisch und kritisch brisant schrieb.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Ödön von Horvath (1901-1938): seine Werke spielen im Milieu der verarmten Handwerker, kleinen Beamten und Angestellten in der Zeit vor der nationalsozialistischen Diktatur. Er hat im Gegensatz zu Brecht kein politisches Programm, er bietet auch keine Lösungen an, sondern konfrontiert die Zuschauer mit eigenen „Schandtaten“. Er läßt seine Darsteller im Dialog sich selbst demaskieren. Er setzt vor allem die Sprache als Medium ein, um die Kluft zwischen Gut und Böse aufzudecken und den Menschen ihre soziale Verantwortung klarzumachen,

2 Peter Turrini: *1944: nach seiner Meinung, sei es nicht die Aufgabe des Theaters, Wirklichkeit naturalistisch zu schildern und Problemlösungen aufzuzeigen, sondern die Probleme übertrieben darzustellen.

3 Besserungsstück = dient den bestehenden gesellschaftspolitischen Verhältnissen und endet meist in einem Hayppyend

4 Posse = volkstümliches, komisches Theaterstück ohne Anspruch auf Belehrung

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Das Wiener Volksstück und seine Vertreter
Veranstaltung
Deutschunterricht
Autor
Jahr
1998
Seiten
10
Katalognummer
V95652
ISBN (eBook)
9783638083300
Dateigröße
410 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Definition, Entstehung, geschichtllicher Hintergrund, Vertreter, und Buchtips
Schlagworte
Wiener, Volksstück, Vertreter, Deutschunterricht
Arbeit zitieren
Barbara Czermak (Autor:in), 1998, Das Wiener Volksstück und seine Vertreter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95652

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Das Wiener Volksstück und seine Vertreter



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden