Referat zu "Jugend ohne Gott"
Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott
von
Stephanie Wössner
17. Dezember 1997
Grundkurs Deutsch
Jahrgangsstufe 13
Das Buch „Jugend ohne Gott“ wurde 1937 von Ödön von Horváth verfaßt und erschien noch im selben Jahr. Es weist in der Thematik einige Parallelitäten mit anderen seiner Werke auf und ist zum einen geprägt von den historischen Umständen - der Zeit des Nationalsozialismus - und zum anderen von Horváths Rückkehr zum christlichen Glauben. Leider ist es auch indirekt der Grund für Horváths frühen Tod im Alter von nur 37 Jahren, da er nach Paris fuhr um Verhandlungen über eine mögliche Verfilmung seines Buches zu führen, wo er wenige Tage nach seinem Treffen mit Robert Siodmak mitten im Paris von einem Ast erschlagen wurde.
Das Buch ist in insgesamt 44, nicht durchnumerierte Kapitel unterteilt, und diese lassen sich in vier größeren Gruppen zusammenfassen, die in sich dramatisch gebaut sind und jeweils zusätzlich zum eigentlichen Höhepunkt des Buches - der Entscheidung des Lehrers, ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen die Wahrheit zu sagen - eigene Höhepunkte haben. Die einzelnen Kapitel sind in sich geschlossen und es gibt sowohl eine Beziehung zwischen Anfang und Ende eines jeden Kapitels als auch einen inhaltlichen Zusammenhang einzelner Kapitel. Die großen Handlungsabschnitte lassen sich am besten nach dem Schauplatz der Teilhandlung einteilen : Der erste Teil der Handlung findet in der Schule statt, wobei der Höhepunkt bei der Zuspitzung der Verhältnisse zwischen dem Lehrer und seinen Schülern liegt, was sich bis zur Bespitzelung des Lehrers durch die Schüler steigert. Der zweite wichtige Handlungsabschnitt
spielt in einem Ferienlager, das zur vormilitärischen Ausbildung abgehalten wird. Das wichtigste Ereignis ist hier der Mord an einem Schüler der Klasse; dieses Ereignis wird im dritten Handlungsabschnitt weitergeführt : er beinhaltet den Prozeß gegen den mutmaßlichen Mörder - einen Schulkameraden der Opfers. Nach der Aussage des Lehrers, dem Höhepunkt des Buches und zugleich dieses Abschnittes, folgt der letzte große Abschnitt - die Jagd nach dem wahren Mörder - der mit dessen Entlarvung in einer schrecklichen Begebenheit endet.
Durch das ganze Buch gibt es einzelne Hinweise auf den geographischen Ort der Handlung, die aber sehr ungenau gehalten werden. Man erfährt lediglich, daß sich neben dem Gymnasium einer nicht näher bestimmten Stadt einige Cafés und Nachtbars sowie ein Kino, ein Fußballstadion und das Amtsgericht befinden. Auch über die Zeit läßt sich nur soviel sagen, daß die Handlung an einem 25. März einsetzt und sich über vermutlich ein Jahr hinweg abspielt. Innerhalb des Buches gibt es mehrere unbestimmte Zeitsprünge und man erfährt nur, daß es Herbst und wieder Frühling wird. Das genaue zeitliche Ende der Ereignisse bleibt offen. Desweiteren kann man nur aufgrund einiger weniger hier und da auftretender Bemerkungen vermuten, daß sich alles zur Zeit des Nationalsozialismus abspielt.
Im gesamten Buch gibt es einige Charaktere, die zum besseren Verständnis des Inhalts einer näheren Beschreibung bedürfen : Die Rolle des Erzählers übernimmt ein Gymnasiallehrer, der mit seiner Arbeit zu der Zeit des Handlungsbeginns recht unzufrieden ist. Seine Unzufriedenheit, besonders in Bezug auf die im Grunde erzwungene Zurückhaltung gegenüber Äußerungen, die er nicht gutheißt - was insgesamt einem Verrat an seinen Idealen gleichkommt - wird ihm jedoch erst durch einige Begegnungen mit Gott klar. Man könnte sagen, daß dieser Lehrer mitten in einen Generationskonflikt geraten ist : einerseits fühlt er sich durch seine Ideale und Wert - vorstellungen mit der Vorkriegsgeneration seiner Eltern verbunden, gehört aber altersmäßig nicht dorthin, andererseits verbindet ihn seine Arbeit mit der Nachkriegsgeneration , deren Vorstellungen er aber ablehnt. Erst am Ende der Handlung, als er nach Afrika geht und somit alle Brücken hinter sich abbricht, spürt er eine ausgeprägte Zufriedenheit. Bemerkenswert ist, daß der Erzähler - im Gegensatz zu den anderen in die Handlung eingebundenen Personen - eine Entwicklung durchmacht. Seine veränderte Einstellung zu Gott zieht andere Veränderungen nach sich, vergleichbar mit einer Kettenreaktion. Er mutiert vom Opportunisten, vom Feigling, vom passiven Menschen zu einem aktiven Menschen mit Mut, der einerseits Jagd auf den wahren Mörder macht, andererseits keine Angst mehr vor der Reaktion seiner Umwelt hat, als er seine Aussage vor Gericht macht. Außerdem setzt sich dieser Charakter dadurch von den meisten ab, daß er kritisches Erkennungspotential besitzt, daß er die Sprache der Faschismuspropaganda durchschaut und daß er mit dem Verlauf der Geschichte sozialkritische Züge entwickelt.
Zusammen mit dem Lehrer bilden zwei andere wichtige Männer eine Art Triumvirat, die wie er Außenseiter und Zitatenträger der alten Welt sind. Der eine dieser Männer heißt Julius Caesar, der andere ist der Pfarrer des Ortes, in dessen Nähe das Ferienlager stattfindet. Julius Caesar ist ein ehemaliger Lehrer, der vom Schuldienst suspendiert worden ist, und er stellt eine wandelnde Provokation dar, da er hausiert und in anrüchigen Lokalen verkehrt. Im Gegensatz zum Lehrer sind allerdings seine Ansichten einseitig und kaum entwicklungsfähig. Besonders auffällig an dieser Figur ist sein Hang zum Psychologisieren, weshalb man ihn mit Sigmund Freud in Verbindung bringen kann.
Er stellt im Gespräch Theorien über die damalige Zeit der Gefühlskälte auf und philosophiert über die Jugend, die er begründeterweise als hart und zugleich roh bezeichnet. Der Pfarrer ist Julius Caesar nicht unähnlich. Auch seine Ansichten sind sehr einseitig und kaum entwicklungsfähig. Er versucht nicht seine kritische Haltung gegenüber der Amtskirche zu verbergen, jedoch ist er auch relativ sozialkritisch und hält den Zeitgeist für nicht ideal. Zu seinem Charakter kann man soviel sagen, daß er eine große Lebensfreude ausstrahlt, gesellig und freundlich ist und sehr gern und sehr viel redet. Dies tut er auch oder vielmehr besonders dann, wenn es darum geht, jemanden zu bekehren. Auch fühlt sich der Erzähler etwas befangen in seiner Nähe, was von der Ausstrahlung des Pfarrers herrührt. Die Funktion des Pfarrers ist das Einbringen und Verteidigen geistesgeschichtlicher Positionen im Gespräch mit dem Lehrer.
Neben diesem Triumvirat existiert noch eine zweite Gruppe von Menschen, die man zusammennehmen könnte; und zwar die drei Schüler, die aus der Masse der Jugendlichen hervortreten - T,N und Z. T, der Sohn eines Fabrikanten, fällt dem Lehrer zum ersten Mal bei der Beerdigung eines Mitschülers auf, als er mit seinen hellen runden und glanzlosen Augen am Grab steht. Überdies ist T zwar höflich und still, besitzt aber ein starres Lächeln, einen kalten beobachtenden Blick und keinerlei Gefühlsregungen. Seine übermäßige Wißbegier erstreckt sich auf die drei existentiellen Bereiche des Lebens : Liebe, Geburt und Tod und er stellt im Rahmen der Kriminalhandlung teils den Gegenspieler des Lehrers dar, teils aber auch einen Doppelgänger, sozusagen als Verkörperung einer bösen Seite des Lehrers. In der äußeren Handlung ist die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler die von Detektiv und Täter, in der inneren Handlung, dem Traum des Erzählers, verkörpert T allerdings einen Mörder, während der Lehrer die Funktion eines Henkers übernimmt. Seine Mutter repräsentiert deutlich die Art von Eltern, die typisch für diese Zeit und besonders diese Gesellschaftsschicht ist : sie zeigt mehr Interesse an ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen als an ihrem Sohn, daß ihr Sohn sich anmelden muß, wenn er mit ihr sprechen möchte, spricht für sich. Bei ihr zeigt sich deutlich, was die Gesellschaft anrichten kann. Zusammen mit T repräsentiert N, ein Bäckerssohn, die neue Generation, die der Ideologie des neuen Regimes hörig ist. Selbständiges Denken, wie zum Beispiel das Führen eines Tagebuches, ist ihm verhaßt, er fühlt sich nur in der Menge wirklich wohl und er unterwirft sich den jeweiligen Autoritäten. Dies wird besonders deutlich, als er dem Lehrer zwar keinen offenen Widerstand entgegenbringt, zugleich aber seinem Vater gehorcht und den Lehrer bespitzelt. Oberflächlich betrachtet ist N das Opfer der Kriminalhandlung und ein Opfer der neuen Ideologie. Der dritte Jugendliche, Z, gehört wieder einer anderen sozialen Klasse an als N und T : sein verstorbener Vater war Professor und er lebt jetzt allein mit seiner Mutter, die ihn sehr vernachlässigt. Z ist im Grunde nicht besonders auffällig und tritt erst im Lager durch seinen Individualismus - er schreibt Tagebuch - aus der Menge hervor. Äußerlich paßt er sich an, innerlich will er aber frei sein. Z zeichnet sich aber nicht nur durch seinen Individualismus aus sondern auch durch die Tatsache, daß er - im Gegensatz zu T - Gefühle besitzt und deshalb verbal schnell agressiv wird. Zudem wirkt er etwas altklug und naiv, was deutlich herauskommt in seinen Tagebucheinträgen, die von Eva handeln. Er scheint ihr zum Beispiel grenzenlos zu vertrauen, obwohl er sie eigentlich kaum kennt. Wie der Lehrer verachtet er die Plebejer bzw. die Leute, die an der Macht sind, und schwelgt oft in Selbstreflexionen. Was ihn noch zusätzlich von all seinen Mitschülern unterscheidet ist , daß er sowohl mit der Liebe ( zu Eva ) als auch mit dem Tod ( seines Vaters ) schon einmal in Berührung kam.
Die einzigste Frauengestalt, die in der Handlung einen wichtigen Platz einnimmt, heißt Eva und ist ein etwa sechzehnjähriges Mädchen. Durch ihre schwere Kindheit als Waise, die sie zu einer Diebin machte, wurde sie stark geprägt : früh war sie schon den Nachstellungen der Männer ausgesetzt und lernte so zum einen ihren Körper für mögliche Vorteile einzusetzen und zum anderen was Berechnung heißt. Durch diese Berechnung enttäuschte sie Z sehr, da sie ihm Liebe vorheuchelte nur um einige Diebstähle im Lager begehen zu können. Durch ihre Kindheit wurde sie auch hart und rücksichtslos, sogar skrupellos, wenn man ihren Überfall auf eine blinde alte Frau betrachtet, und machte sich schon bald keine Illusionen mehr über irgeneine Art von Gerechtigkeit. Einzig und allein der Lehrer scheint durch seine Bekennung zur Wahrheit vor Gericht etwas in ihr zu bewegen und sie vielleicht auf den richtigen Weg zurückführen zu können. Verallgemeinert kann dieses Mädchen als Opfer der Gesellschaft gesehen werden.
Die Handlung setzt wie schon erwähnt am 25. März eines ungenannten Jahres ein. Der Erzähler feiert seinen 34. Geburtstag und er wird bei der Ausübung seiner Arbeit gezeigt. Beim Korrigieren einer Klassenarbeit fällt ihm auf „daß er eine andere Sprache spricht“ als seine Schüler. Wenig später kommt es zum Konflikt mit den Eltern des Schülers N, weil der Lehrer die Aussage des N kritisierte, der in seinem Aufsatz schrieb, alle Neger seien hinterlistig, feige und faul. Da N diese Aussage aber aus dem Radio übernommen hat und sie somit als richtig gilt, untersagt der Direktor seinem Untergebenen derartige Äußerungen. Trotzdem kommt es kurz darauf zur Zuspitzung der Verhältnisse zwischen Klasse und Lehrer : die Klasse überreicht einen Brief mit dem Wunsch nach einem anderen Lehrer und die folgenden Äußerungen des Lehrer werden protokolliert. Hier wird nun der Handlungsort vorläufig in ein Ferienlager zur vormilitärischen Ausbildung verlegt. Die Differenzen scheinen bei oberflächlicher Betrachtung beigelegt. Der Erzähler sieht mit Entsetzen zu, wie die Schüler mit Waffen hantieren und somit der erste Schritt in Richtung Soldat vollzogen wird. Aus Angst um seinen Arbeitsplatz behält er seine Meinung aber für sich. Ein Gespräch mit dem Pfarrer des Ortes, bei dem das Ferienlager liegt, wird zum Auslöser für den Übergang vom Schweigen zum Reden; dies ist der eigentliche Wendepunkt des Buches und für die Hauptperson zugleich der Anfang seines Weges zurück zum Glauben an Gott. Im Folgenden kristallisieren sich einige Schüler aus der Masse heraus. Zuerst beobachtet der Lehrer, wie Z nachts von einem fremden Jungen einen Brief bekommt, und am nächsten Morgen kommt es zu einem Streit zwischen Z und N, da Z nachts Tagebuch schreibt und dies N mißfällt. Sein Tagebuch bewahrt der Junge zusammen mit Briefen in einem verschlossenen Kästchen auf. Als die Jungen das Lager verlassen, nutzt der Lehrer die Gelegenheit und bricht das Kästchen auf. Aus dem Tagebuch des Z erfährt er von einem Liebesverhältnis zwischen ihm und einer gewissen Eva, die, wie der Leser weiß, der Kopf einer jugendlichen Diebesbande ist, und daß Z jeden umbringen will, der sein Kästchen anrührt. Die Rückkehr der Klasse bringt einen erneuten Streit zwischen Z und N, da ersterer letzterem vorwirft, sein Kästchen aufgebrochen zu haben. Obwohl sich der Lehrer schuldig fühlt und seine Aktion bedauert, hat er nicht den Mut sich zur Wahrheit zu bekennen. Ein anderer Junge, T, beobachtet ihn so, als ob er die Wahrheit kenne. Zwei Tage später wird N erschlagen aufgefunden und Z wird als Hauptverdächtiger festgenommen. Unbestimmte Zeit später, inzwischen hat wieder ein Wechsel des Schauplatzes stattgefunden, beginnt der Prozeß gegen Z.
Überraschenderweise gesteht Z seine Tat und verzichtet auf jegliche Verteidigung. In der Prozeßpause vor seiner Aussage wird sich der Lehrer klar darüber, daß er wieder an Gott glaubt, wenngleich er ihn auch nicht besonders mag. Diese Erkenntnis bringt ihn dazu die Wahrheit über das aufgebrochene Kästchen zu sagen. Dies wirft wiederum ein anderes Licht auf den Prozeß: Aufgrund dieser Aussage und der Aussage der Mutter des Angeklagten, daß ihr Sohn gewiß keinen Kompaß besitze, wie er neben der Leiche gefunden worden war, fällt der Verdacht nun auf das Mädchen Eva und beraubt den Verdacht gegen Z jeglicher Grundlage. Auch Evas Aussage entlastet Z und bestätigt die Hypothese der Verteidigung, daß nämlich ein Dritter der Mörder sei. Zugleich bekennt Eva auch, Z nie geliebt zu haben und daß er lediglich Mittel zum Zweck für diverse Diebstähle im Lager war. Die Beschreibung des unbekannten Dritten weist eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Schüler T auf, was wiederum den Erzähler alarmiert. Da nun Zs Unschuld bewiesen ist, wird ein Prozeß gegen Eva angestrengt wegen meuchlerischen Mordes. Der Lehrer ist jedoch von Evas Unschuld überzeugt und will den richtigen Mörder fassen, der nach einem Gespräch mit T für ihn zweifellos eben dieser ist. Der Hinweis eines Schülers, den der Lehrer als B bezeichnet, daß T einmal äußerte, sowohl eine Geburt, wie auch den Tod eines Menschen miterleben zu wollen, überzeugt den Lehrer, die Hilfe von Bs Klub bei der Überführung in Anspruch zu nehmen. Dieser Klub besteht aus vier Jungen aus unterschiedlichen sozialen Kreisen, die sich treffen, um verbotene Bücher zu lesen und begeisterungsfähig für Ideale sind. Der Versuch, T mit der Hilfe eines ebenfalls suspendierten ehemaligen Lehrers, des Klubs und des Freudenmädchen Nellys zu überführen schlägt fehl, aber kurze Zeit später steht die Polizei vor der Tür des Lehrers und bringt ihn zum Haus der Familie T. Die Mutter des T beschuldigt den Lehrer, ihren Sohn in den Selbstmord getrieben zu haben und begründet ihre Anschuldigung mit einem Stück Papier, das sie bei T fand. Bei ihrem anschließenden Zusammenbruch kommt jedoch die zweite Hälfte des Zettels zum Vorschein, die ein Geständnis Ts beinhaltet. Im letzten Kapitel trifft der Lehrer letze Vorbereitungen für seine Reise nach Afrika. Dort wurde ihm vom Pfarrer des Dorfes eine Missionarsstelle angeboten und jetzt fährt, wie er es selbst ausdrückt, der Neger zu den Negern.
Zur Erzählperspektive ist zu bemerken, daß es einen mehrmaligen Wechsel der Perspektive gibt : Die innere Handlung, das Innerste des Lehrers und seine Beziehung zu Gott, wird vom persönlichen Erzähler, dem Lehrer selbst in Ich - Form erzählt. Die äußere Handlung, die als eine Art Rückblick die Handlung, besonders die Ereignisse während der Zeitsprünge, erzählt, wird von einem personalen Erzähler berichtet. Desweiteren wird die Parteilichkeit des Erzählers durch einige Dialoge und Figurenperspektiven, wie z.B. die Tagebucheinträge, abgemildert.
Horváth band in seinen Roman, wie auch in seinen anderen Werken mehrere Aussagen geschickt ein, die seine Meinung bei genauerem hinsehen sehr deutlich darstellen. Er übt besonders Kritik am neuen Zeitgeist, am Menschen im Faschismus und dem Faschismus allgemein, kritisiert aber auch den Staat selbst, was mit Hilfe von einem der geschichtlichen Bezüge geschieht. Seine Kritik am neuen Zeitgeist schließt zwangsläufig die Faschismuskritik mit ein : er zeigt das Bild eines Menschen, hier der Lehrer, an dem Zweifel nagen. Die Wahrheit, zu der sich der Lehrer letzten Endes bekennt, kommt für Horváth einer Demaskierung gleich, dem Eingeständnis der eigenen Schwächen und somit bricht die Fassade der kleinbürgerlichen oder auch anderen Ideologie zusammen und der Mangel an selbständigen Denken wird deutlich. Viele der Personen, die in diesem Roman beschrieben werden, leben im Faschismus, aber der Lehrer ist einer der wenigen, die sich auch damit auseinandersetzen. Der faschistische Staat wird nicht als Polizeistaat geschildert, sondern als allgegenwärtige Ideologie : Es herrscht Rassismus, die eigene Gruppe wird überbewertet, die Jugend wird zum Krieg erzogen ( s. geheimes Rundschreiben an Schulen, das Lager ... ) und Individualismus wird verdammt. Darüber hinaus ist in dieser Gesellschaft selbständiges Denken verhaßt ( s.Kritik des N an Z, weil dieser Tagebuch schreibt ) und Humanität, in diesem Fall moralische Begründung des eigenen Tuns, ist ein Fremdwort. Verbreitet wird diese Ideologie durch Radio und Presse und nicht zuletzt durch den Menschen selbst. Zitate dieser Ideologie sind zu finden in Aufsätzen der Schüler, Äußerungen einzelner Personen und anderem.
Speziell die Faschismuskritik wird deutlich, wenn man die zum Teil ironischen Äußerungen, Kommentare und Bewertungen des Lehrers genauer unter die Lupe nimmt, aber auch durch Horváths Wortwahl im allgemeinen : Die Anhänger des Faschismus werden als „Bande“, „keine Menschen“ und „Verbrecher“ tituliert und der Faschismus selbst als „Krankheit“, „Pest“, „Verseuchung“, „Dreck“, „Verrücktheit“ und „Irrsinn“ bezeichnet. Besonders vielsagend ist die Schilderung einer Tanzszene in Kapitel 58. Es handelt sich hierbei nicht etwa um einen gewöhnlichen Ball mit gewöhnlichen Paaren, hier wird vielmehr die Verdrehung der Werte geschildert : Die Feigheit tanzt mit der Tugend, die Lüge mit der Gerechtigkeit, die Erbärmlichkeit mit der Kraft und die Tücke mit dem Mut; einzig und allein die Vernunft ist außen vor, „ verblödet, besoffen und unbeachtet“.
Der Mensch im Faschismus wird insofern kritisiert, daß er entweder aufgeschlossene und kritiklose Akzeptanz übt, Anpassung ohne wirkliche Akzeptanz ( wie die meisten der Handlungspersonen ) oder zwar eine Ablehnung gegen den Faschismus hegt, der Widerstand sich aber geistig oder passiv vollzieht. Dies trifft aber im Roman nur auf den ehemaligen Lehrer Julius Caesar, den Pfarrer und später auch den Lehrer zu. Durch den Pfarrer drückt Horváth seine Kritik am Staat aus : Der Pfarrer sagt, daß laut Aristoteles der Staat an sich gut , daß aber die staatliche Ordnung, als Produkt des menschlichen Willens, schlecht sei. Weiter läßt der Pfarrer verlauten, daß in diesem Staat kein Platz für den Glauben mehr sei und wie er bzw. Horváth selbst über Kontrolle und Manipulation via Radio und Presse und den Einfluß des Staates auf die Erziehung denkt, die er nicht gutheißen kann.
Schließlich kann man außer dem Bezug auf Aristoteles und seine Staatslehre noch weitere geschichtliche Bezüge finden. Zum Beispiel wird die römische Geschichte zum Vergleich herangezogen : Sowohl die Plebejer, also die neuen Machthaber, als auch ihre Gegenüber, nämlich die römischen Hauptmänner, werden erwähnt. Die römischen Hauptmänner waren Männer, die zwar erkannten, daß ihre Welt zugrunde geht, die aber passiv blieben und tatenlos zusahen. Auch gibt es mehrere Bezüge auf die Bibel : Die Erbsünde wird angesprochen, als Eva zum einen Adam bzw. Z ( als Mitwisser ) in die Schuld hineinzieht und zum anderen Adam bzw. Z Liebe vorheuchelt und sich noch dazu früh von Gott entfernte. In diesem Zusammenhang wird auch indirekt auf die Erbsünde angespielt, die von Adam und Eva auf ihre Söhne Kain und Abel und somit, wenn man der Bibel Glauben schenkt, auf die gesamte Menschheit überging. Zuletzt ist da noch ein Bezug auf einen Zeitgenossen Horváths; und zwar ist in die Person des Julius Caesar ein Teil von Sigmund Freud miteingearbeitet : der ehemalige Lehrer neigt zum Psychologisieren und stellt im Gespräch Theorien über die damalige Zeit der Gefühlskälte und die Jugend ( als harte und rohe Jugend ) auf.
Abschließend sollen noch einige Motive bzw. Leitmotive näher erklärt werden. Gott ist, wie sich schon aus dem Titel des Romans erschließen läßt, das zentrale Motiv um das sich indirekt oder direkt alles dreht. Das Verhältnis zwischen ihm und dem Erzähler wandelt sich mit dem Verlauf der Handlung, es werden insgesamt vier verschiedene Varianten von Gott geschildert. Zum einen wäre da der Gott der Eltern des Erzählers : er ist der Mittelstandsgott der Spießbürger, der hauptsächlich als Formel immer und immer wiederkehrt. Von ihm hat sich der Erzähler aber schon lange abgewandt, vermutlich weil er den ersten Weltkrieg nicht verhindern konnte oder wollte. Er beruft sich in diesem Zusammenhang auf seinen freien Willen, lehnt Gott als unfähig ab und ist der Meinung, daß dieser Gott nicht unter den Menschen lebt. Dieser Gott wird auch häufig von Horváth in seinen Theaterstücken attackiert ( s. Der jüngste Tag ). Das zweite Gottesbild ist das des strafenden und schrecklichen Gottes des Pfarrers : diesen Gott lehnt der Erzähler anfangs noch ab, weil er ungerecht und erbärmlich sei, wendet sich ihm aber nach dem Gespräch mit dem Pfarrer und dem Tod des N langsam zu. Obwohl er dies ursprünglich nicht tut um an ihn zu glauben, wendet er sich ihm damit automatisch doch zu. Eines der beiden letzten Gottesbilder ist der Gott der Alten in dem Tabakladen, in den der Lehrer vor seiner Bekennung zur Wahrheit geht. Er beobachtet, wie freundlich das alte Ehepaar miteinander umgeht und in einem Gespräch mit dem Alten über den Mordprozeß äußert der Alte seine Ansicht, daß Gott seine Hand mit im Spiel habe : alle scheinen schuldig zu sein, sowohl die Jugend, wie auch die Eltern kümmerten sich nicht mehr um Gott. Weiter sagt der Alte, daß Gott überall wohne, wo er nicht vergessen worden sei, so auch bei ihm und seiner Frau, sie würden sich nie streiten. Als der Erzähler diese Äußerung hört, kommt es ihm so vor, als ob eine andere Stimme zu ihm spräche, obwohl niemand anderes anwesend ist. Diese Stimme fordert ihn auf, sich zur Wahrheit zu bekennen. Es handelt sich hier um den Gott der Güte, der überall ist, wo er nicht vergessen wurde. Der Erzähler braucht ihn um mit der Situation ( Hitler ... ) fertigzuwerden und dieser Gott erscheint ihm als Gestalt und Stimme. Ihm wendet er sich dann auch langsam zu und er verschmilzt in seiner Vorstellung mit dem schrecklichen und strafenden Gott des Pfarrers. Die letzte Gottesvorstellung ist die des Gottes der Wahrheit, den der Erzähler nach anfänglicher Ablehnung im Verlaufe des Prozesses vollkommen zu akzeptieren lernt; nach seiner Aussage verliert er die Angst vor Gott und der Reaktion seiner Umwelt. Der Gott der Wahrheit ist für den Lehrer verbunden mit Evas Augen; jedesmal, wenn die Wahrheit gesprochen wird, erscheint ihm dieser Gott und mit Evas Augen, die für ihn zuerst kleine, verschmitzte Augen mit unstetem Blick sind, assoziiert er mit dem Verlauf der Handlung Heimat und Kindheit. Aber trotz seiner Abwendung von Gott und seiner Weigerung an ihn zu glauben, zweifelte der Erzähler im Grunde nie an der Existenz Gottes. Denn wenn er ihn ablehnt, setzt er im gleichen Zuge voraus, daß er existent ist. Vielmehr machen seine Vorstellung von Gott und sein Gottesbegriff eine Wandlung durch.
Mehrere Male tauchen im Verlauf der Handlung auch Stimmen und Visionen auf, die größtenteils auf Horváths Vorliebe für und Glauben an Übersinnliches und Metaphysisches basieren. Die schon erwähnte Tanzszene der verdrehten Werte ist eine dieser Visionen, das Gespenst des Toten N eine andere. Hier gibt es eine Verbindung zu Horváths Schauspiel „Der jüngste Tag“, da in beiden Fällen ein oder mehrere Gespenster als Verkörperung des schlechten Gewissens auftreten. Bezüglich der Stimmen ist Evas Stimme zu nennen, die ebenfalls als Gewissen des Lehrers interpretiert werden kann und die sogar das allgegenwärtige Radio ( als personifizierte Ideologie ) übertönt : der Erzähler hört Evas Stimme bzw. ihr Schreien ständig, nachdem er Z entlastete und anfing T zu verdächtigen. Evas Schreien erinnert ihn sozusagen an seine Aufgabe, den wahren Mörder zu fangen.
Ein weiteres wichtiges Motiv sind die immer wieder erwähnten Augen. Augen allgemein stellen für die jeweilige Personen selbst eine Art Fenster zur Welt und zur Welterkenntnis dar und zugleich für andere einen Spiegel der Seele ( was hier wohl eher zutrifft ). Außerdem sind sie ein Symbol für das Wesen einer Person bzw. die Vorstellung davon ( s. Fischaugen Ts ).
Das von Julius Caesar genannte gegenwärtige Zeitalter der Fische ist astrologisch gesehen ein Zeitalter, in dem die ( Gefühls - ) Kälte vorherrscht, Hohn und Spott als Ideale gelten und insgesamt die nationalsozialistische Ära beschreibt. Dem Fisch selbst, der hier gewissermaßen auch als Symbol auftritt, kann sowohl eine göttliche Bedeutung - als Heilbringer und Leben - als auch eine dämonische - als Tod und in Bezug auf T - zugewiesen werden.
Der ebenfalls schon erwähnte römische Hauptmann muß als ein Symbol für die Lebenssituation des Lehrers gesehen werden : er hat zwar schon lange erkannt, daß seine Welt untergeht, tut aber anfangs aktiv nichts dagegen. Die einzige Freiheit, die ihm geblieben ist, ist der Glaube, und erst als er diesen wieder findet, ist er imstande aktiv zu werden. Im Zusammenhang damit stehen auch die Plebejer ( s. Absichten Horváths ), die durch die Begriffe „Diktatur“ und „Oberplebejer“ mit Hitler assoziiert werden.
Die Schuldfrage hat zwei verschiedene Aspekte, die zu betrachten sind : zusätzlich zu der kollektiven Schuld ( Erbsünde, Adam und Eva ... ) tritt auch noch eine persönliche Schuld auf, die wiederum durch die drei Kategorien juristische Schuld ( Kästchen, Tagebuch ), moralische Schuld ( Passivität ) und religiöse Schuld ( Abwendung von Gott ) präzisiert wird.
Die Neger, um zu einem Abschluß zu kommen, sind als Metapher für Außenseiter zu verstehen, auf die es der Ideologie nach nicht ankommt und die man beseitigen kann. Der Lehrer ist ein solcher Außenseiter, weshalb er auch am Schluß die Äußerung „Der Neger fährt zu den Negern“ formuliert.
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- Stephanie Wössner (Autor:in), 1997, Horváth, Ödön von - Jugend ohne Gott, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95676
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