Lessing, G. E. - Nathan der Weise - War Lessing Rousseauist?


Referat / Aufsatz (Schule), 1999

4 Seiten


Leseprobe


GLIEDERUNG

A) Europa im Zeitalter der Aufklärung

B) I. War Lessing Rousseauist?
1. Das Leben von Jean-Jacques Rousseau
2. Hauptwerke Rousseaus
a) Du Contrat Social
b) Emile ou de l’education
1. Exposition des Werkes
2. Nathan der Weise als Multiplikator des Emile
3. Emilia Galotti; Verhaltene Kritik am Absolutismus
II. War Lessing Anhänger Kants?
1. Immanuel Kant und Kantianismus
2. „Was ist Aufklärung?“
a) zentrales Thema in Nathan der Weise
b) „Sapere aude!“ Die Wandlung des Tempelherrn

C) Die Rousseau’sche Lehre als Todesurteil für die Aufklärung oder Warum Rousseauisten totalitäre Staaten gründen

AUSFÜHRUNG

Als Aufklärung wird die im 18. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebende vorherrschende geistige Bewegung europäischer Intelligenz bezeichnet. Sie erfuhr ihre erste Ausprägung um 1650 in England, wo Philosophen und Staatsrechtler wie Thomas Hobbes(„Leviathan“) und John Locke („Two Treatises of Government“) die Idee des Naturrechts und der angeborenen Menschenrechte entwickelten. Damit stellten sie die Position des vorherrschenden absolut- istischen Königtums <von Gottes Gnaden> ebenso in Frage wie den Anspruch der Kirche höchste Entscheidungsinstanz in Fragen der Moral, der Literatur und des Erziehungswesens zu sein. Ihre größte intellektuelle, gesellschaftliche und vor allem politische Wirksamkeit entfaltete sie jedoch in Frankreich, das zum klassischen Land der Aufklärung wurde. Die von Montesquieu aus englischen Vorbildern entwickelte Theorie der Gewaltenteilung, des aufgeklärten Absolutismus und der konstitutionellen Monarchie war nicht nur für Frankreich von großer Bedeutung, sondern wurde zum zentralen Bestandteil der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der daraus resultierenden Verfassung(„checks and balances“).

Im politisch zersplitterten Deutschland machte sich der Einfluss der Aufklärung ab Mitte des 18. Jahrhunderts insbesondere in der Philosophie und der Literatur bemerkbar. Ihren Höhepunkt erreichte sie mit Klopstock, Wieland, Kant und vor allem Lessing. Im folgenden Text soll nun erörtert werden, welchen Typ von Aufklärung G.E. Lessing angehörte und in seinen Werken vertrat.

Jean-Jacques Rousseau ist wohl eine der schillerndsten, aber auch eine der umstrittensten Figuren der französischen Aufklärung. Von den als genialer Geist gefeiert, dessen Einflüsse auch heute noch zu spüren sind, von den anderen gebrandmarkt als verwirrter Sonderling und gesellschaftlicher Außenseiter, der, wie Friedrich II sich ausdrückte, besser daran getan hätte, ins Kloster zu gehen.

Jean-Jacques Rousseau wurde am 28.9.1712 als zweiter Sohn eines Uhrmachers in Genf geboren. Beachtlich ist, dass er niemals einen regelmäßigen Schulunterricht genossen hat, und seine erste Ausbildung zum Schreiber wegen Untauglichkeit abbrechen mußte. Rousseau war auch in späteren Jahren nie ausschließlich Schriftsteller; die Werke, die ihm den großen Ruhm einbringen sollten, verfasste er in kaum mehr als einem Jahrzehnt. Daneben war er insbesondere der Musik zugeneigt. So war er es auch, der die Artikel über Musik in Diderots und d’Alemberts „Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers (1751)“ verfasste. Der literarische Ruhm, den er mit seinem ersten Discours über die Wissenschaft und die Künste 1749 erlangte, wandelte sich jedoch bald in das Gegenteil; seine späteren Schriften wie das zweite Discours(1755), Emile(1762) oder der Contrat Social(1762) riefen unter seinen Zeitgenossen heftige Kontroversen und polemische Reaktionen hervor, die ihn schließlich dazu veranlaßten Frankreich zu verlassen. Rousseau wird zeitlebens von Wahnvorstellungen und Depressionen geplagt, bis er am 2. Juli 1778 in Ermenonville unerwartet stirbt.

Zu den wichtigsten Werken, die Rousseau in seinem 65jährigen Leben geschrieben hat, zählen sicherlich der „Contrat Social“ und sein Erziehungsroman „Emile ou de l’education“, dessen Inhalt im zweiten Teil dieses Abschnitts erläutert werden soll.

Rousseau behandelt in seinem „Contrat Social“(dt. der Gesellschaftsvertrag) die Entstehung einer politischen Ordnung aus dem Naturzustand heraus. Dazu ist es nötig, dass jedes zukünftige Mitglied des zu erschaffenden Staates seine sämtlichen, aus dem Naturzustands abstammenden Rechte an das Staatswesen abtritt. „Gemeinsam stellen wir alle, jeder von uns seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste Richtschnur das Gemeinwillens (volonté générale); und wir nehmen, als Körper , jedes Glied als untrennbaren Teil des Ganzen auf.“ Der Staat wird also vom Gemeinwillen, der der Selbsterhaltung dient, geleitet und regiert. Hieraus resultiert auch, dass der rousseausche Staat in dem Augenblick seine Existenzberechtigung verliert, in dem die Mehrzahl seiner Bürger ihre eigenen Interessen über die des Staates stellen. Ein weiteres wesentliches Element des Gesellschaftsvertrags ist die Unteilbarkeit der Souveränität. „Macht kann man übertragen, nicht aber den Willen - wollen kann man immer nur selbst.“ Auf den letzten Seiten des Contrat Social beschäftigt er sich mit den verschiedenen Religionen, insbesondere mit der religion civile , die eine Mischung aus der wahren Religion des Menschen und der Religion des Citoyen ist.

Das, neben dem Gesellschaftsvertrag, bedeutenste Werk Rousseaus ist der Erziehungsroman „Emile ou de l’education“(1762). Dieser, (damals utopische) Entwurf zur Erziehung entwickelte sich aus der Unzufriedenheit gegenüber der gesellschaftlichen Situation. Berühmt wurde er durch seine Forderung nach einer an die kindlichen Bedürfnisse angepassten Erziehung (education naturelle), die jene äußeren Einflüssen fernzuhalten versucht, die die kindliche Entwicklung hemmen. Diese Erkenntnisse beziehen sich hauptsächlich auf den Emile, also auf den männlichen Menschen. In diesem Werk wird auch der antropolgische Optimismus, das heißt, dass der Mensch von Natur aus gut ist, und erst durch die verdorbenen Gesellschaft schlecht, bzw. böse wird, deutlich. Der Erziehungsroman Emile wurde anfänglich stark kritisiert, teils sogar verbrannt, und er wurde Jean-Jacques Rousseau teilweise selbst zum Verhängnis, da er die beschriebenen Vorzüge von Erziehung nie bei seinen anderen Kindern angewendet und diese statt dessen ins Heim gegeben hat.

Da auch Lessings Nathan der Weise ein Erziehungsdrama darstellt, lassen sich einige grundlegende Parallelen, aber auch vereinzelte Abweichungen bzw. Erweiterungen zum Emile feststellen. Gibt es im Emile nur einen Erzogenen, so gibt es im Nathan mindestens drei; Sultan Saladin, Recha und der Tempelherr). Damit ist Lessings Stück so zu sagen ein „Multiplikator“ des Emile, in dem es jedoch auch einen Charakter gibt, der eine spezielle Erziehung genießt; Den Tempelherrn, dem durch Nathan seine Überheblichkeit und sein Antisemitismus ab erzogen, und statt dessen Liebes- und Toleranzfähigkeit anerzogen wird.

Neben seinem dramatischen Gedicht Nathan der Weise stellt insbesondere das bürgerliche Trauerspiel Emilia Galotti(1772) eine Kritik am absolutistischen Weltbild dar. Jedoch verlegte Lessing, anders als Friedrich Schiller 10 Jahre später in Kabale und Liebe die Handlung in das absolutistische Italien, und ging dadurch der direkten Konfrontation mit dem in Deutschland regierenden Adel aus dem Weg.

Der Prinz von Guastalla und sein Gefolge, vor allem der Kammerdiener Marinelli sind die Vertreter des Herrschers, dem seine privaten Interessen wichtiger sind, als das Wohlergehen seines Volkes. So gibt er Marinelli in III/1 Z.31 mit „... und riss‘ ein Mädchen heraus, dass er mir im Triumphe zu brächte“ indirekt den Befehl die kurz vor ihrer Hochzeit stehende Emilia zu entführen, nur weil er an der jungen Frau gefallen gefunden hat. Auch der Tod ihres Verlobten, des Grafen Appiani, ist sowohl dem Prinz als auch dem Kammerdiener höchst egal, wenn er ihnen nicht sogar gelegen kommt. Zwar zweifelt der Prinz anfänglich noch, was Marinellis Denkweise angeht, was man besonders gut in der ironischen Sprache feststellen kann, „.. Ein Graf mehr in der Welt oder weniger! Denke ich ihnen so recht?“ (III/1 Z.17), doch schlagen diese Zweifel letztendlich in Gleichgültigkeit um. Wie das Volk unter den Launen des Prinzen zu leiden hat, wird besonders in I/8 Z. deutlich, als einer der Räte „mit einem Todesurteil, welches es zu unterschreiben gilt“, ins Zimmer des Prinzen kommt. Dieser scheint sehr erfreut darüber zu sein, was sich in seiner Antwort „Recht gern! Nur her! Geschwind!“ (Z.17) widerspiegelt. Zudem lässt Lessing die Figur der Gräfin Orsina, selbst Mitglied des adeligen Standes die Worte „Verdammt über das Hofgeschmeiß! So viel Worte, soviel Lügen!“ in IV/3 Z.26 sagen.

Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724 - 1804) ist einer der bedeutensten Figuren der deutschen Aufklärung, obwohl seine Philosophie oftmals eher zum deutschen Idealismus als zur allgemeinen Aufklärung gerechnet wird. Er war einer der ersten Vertreter der klassischen bürgerlichen Philosophie, als solcher auch deren Höhepunkt. In zahlreichen seiner Werke wandte er sich gegen Despotismus, Eroberungskriege, sowie Unterdrückung der Freiheit von Rede und Schrift und trat für eine kosmopolitisch - pluralistische Weltordnung ein. Die Konstrukte Nation oder Vaterland stehen nicht im Mittelpunkt der Philosophie von Kant, dennoch bezieht er in seinen Werken immer wieder dazu eindeutig Stellung bis hin zu dem „philosophischen Entwurf“ des „ewigen Friedens“ in dem er sehr klare Vorstellungen zum friedlichen Zusammenleben von Staaten und Völkern äußert. Kant hatte, genauso wie Lessing, Probleme mit der Kirche. Sein Werk „Die Kritik der reinen Vernunft“ stand auf der Liste der für Christen verbotenen Bücher.

Zu den Meilensteinen der aufgeklärten Literatur zählt sicherlich Kants Text „Was ist Aufklärung?“, der auch heute noch großen Anklang findet. Diese Schrift handelt von der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“, dem Gefallen, den die Menschen daran gefunden haben, und von dem Wahlspruch der Aufklärung: „Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Dieses Werk soll nun in Bezug mit Lessings „Nathan der Weise“ gestellt werden, wobei zu beachten ist, dass dies nur hypothetisch geschehen kann, da „Was ist Aufklärung“ erst 1783, also nach Lessings Tod geschrieben wurde, und somit gar keinen Einfluß im Nathan haben kann.

Trotzdem kann man, die zeitlichen Differenzen außer Acht gelassen, „Was ist Aufklärung“ als zentrales Thema in dem dramatischen Gedicht Nathan der Weise betrachten. Beide Schriften fordern das selbstständige Denken des Lesers, wobei Kant dies viel direkter tut als Lessing. Er macht „Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ zu dem Satz der Aufklärung . Dieser findet auch in Nathan der Weise vielfache Verwendung, insbesondere bei der Wandlung des Tempelherrn, der vom extrem antisemitischen zum toleranten, weltoffenen Christen wird, als ihn Nathan „erzieht“ und ihm vor allem lehrt, dass er seinen eigenen Verstand benützen soll. Ähnliches wird auch bei Sultan Saladin durch die Ringparabel hervorgerufen( S. 71-75). Das Gegenteil stellt in dem dramatischen Gedicht der Patriarch von Jerusalem dar, der sein Leben lang in seiner verbohrten, antisemitischen Haltung verbleiben wird, da er streng nach den von der Kirche vorgegebenen Regeln lebt „... Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches und kaiserliches Recht so einem Frevel, .., bestimmen.“(S.93/2532), anstatt sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.

Rousseaus Lehre von den Grundsätzen des Staatsrechts findet bis in die heutige Zeit großen Anklang bei Diktatoren und Gründer totalitärer Systeme. So wird Rousseau oft als liberaler Theoretiker bzw. Vordenker des Totalitarismus dargestellt, wobei letzteres überwiegt. Das geht zum Beispiel so weit, die Todesstrafe zu tolerieren, wenn damit der Gemeinwille gesichert werden kann. Bereits 15 Jahre nach seinem Tod fand er in Maximilian de Robespierre einen der negativsten Verwirklicher seiner Ideen, insbesondere was die Todesstrafe betrifft, unter dem letztendlich alle Gedanken der Aufklärung und der französischen Revolution 1789 in sich zusammen stürzten.

In den 20er Jahren dieses Jahrhunderts wurde der Begriff des Totalitarismus von italienischen Antifaschisten verwendet, die Benito Mussolini vorwarfen einen „stato totalitario“ zu errichten. Sein Staatsverständnis war dann auch: „Alles für den Staat, nichts außerhalb des Staats, nichts gegen den Staat.“ Dieses hat sehr große Ähnlichkeit mit Inhalten des Contrat Social. Leider wurden diese Ideen, die letztlich auf Rousseau beruhen, im nationalsozialistischen und kommunistischen Kollektiv betrieben.

Jedoch muss bei all diesen Übereinstimmungen beachtet werden, dass Rousseau nie die Möglichkeit hatte, ein real existierendes totalitäres System zu analysieren, und dass er bereits 1767 selbst erkannt hat, dass Teile seines Gesellschaftsvertags utopisch sind. Somit kann gesagt werden, dass es sicherlich nicht in Rousseaus Absicht lag, die geistigen Grundlagen für den modernen Totalitarismus zu schaffen.

Ende der Leseprobe aus 4 Seiten

Details

Titel
Lessing, G. E. - Nathan der Weise - War Lessing Rousseauist?
Veranstaltung
11. Klasse Deutsch
Autor
Jahr
1999
Seiten
4
Katalognummer
V95707
ISBN (eBook)
9783638083850
Dateigröße
369 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lessing, Nathan, Weise, Lessing, Rousseauist, Klasse, Deutsch
Arbeit zitieren
Shiva (Autor:in), 1999, Lessing, G. E. - Nathan der Weise - War Lessing Rousseauist?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95707

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