1.Biografie
Marlen Haushofer wurde am 11.04.1920 als Marie Helene Frauendorfer in Frauenstein, Oberösterreich geboren. Ihr Vater war Revierförster, ihre Mutter Kammerzofe. Sie besuchte eine Internatsschule, in Anschluß daran leistete sie ihren Arbeitsdienst in Ostpreußen ab. Seit 1940 studierte sie mit Unterbrechungen Germanistik in Wien, ab 1943 in Graz. 1941 heiratete sie den Zahnarzt Manfred Haushofer, später zogen beide nach Steyr um, wo die beiden Söhne geboren wurden. 1946 schrieb sie erste Kurzgeschichtenp für Zeitungen und Zeitschriften, 1952 wurde die Novelle ,,Das fünfte Jahr" veröffentlicht, für die sie 1953 den staatlichen Förderpreis für Literatur bekam. Danach folgten Kinder- und Jugendbücher sowie Hörspiele für verschiedene Radiosender. 1956 Scheidung, 1958 erneute Heirat mit demselben Mann. 1963 schrieb sie die ,,Die Wand", und Mitte der sechziger Jahre erkrankte sie an Knochenkrebs. Marlen Haushofer starb am 21.03.1970 nach einer Operation. Weiterhin erhielt sie den Preis des Theodor- Körner- Stiftungsfonds 1956, den Arthur- Schnitzer- Preis 1963, den Kinderbuchpreis der Stadt Wien 1965 und 1967 sowie den Österreichischen Staatspreis für Literatur 1968. Weitere wichtige Werke neben ,,Die Wand": ,,Himmel, der nirgendwo endet", ,,Die Tapetentür".
2.Inhaltsangabe
Marlen Haushofers Roman ,,Die Wand" erschien 1963 und handelt von einer namenlosen Frau,,,...die sich nach einer weltweiten Katastrophe durch eine gläserne Wand von dem Rest der Außenwelt abgeschnitten sieht. Die Frau muß lernen um zu überleben. Die Schilderung des Kampfes gegen die Natur und ihrer Überlegungen zu ihrem früheren Leben, in dem sie sich nie selbst verwirklichen konnte, machen den Hauptteil des Romans aus."(Kliewer,S.75) Die Protagonistin will auf Einladung mit ihrer Kusine Luise und deren Mann Hugo ein Wochenende auf dem Jagdhaus der beiden verbringen. Am Abend gehen die Gastgeber ins Dorf hinunter, während die Frau auf dem Jagdhaus zurückbleibt. Am nächsten Morgen sucht die Heldin die beiden und findet sie nicht, dafür aber ein Phänomen, das sie später als Wand bezeichnet. Außerhalb dieser unsichtbaren, unzerbrechlichen und undurchdringlichen Wand erscheint alles Leben erstarrt. Dieser Verdacht bestätigt sich auch dadurch, daß das Radio des
Autos, mit dem die drei herkamen, nicht mehr funktioniert. Da diese Wand das Jagdhaus und die Natur außenherum komplett umgibt, ist sie vollkommen isoliert und sucht anfangs auch eine Erklärung für dieses Phänomen, das sie später als ,,humanste Teufelei" bezeichnet, denn alles Leben auf der anderen Seite der Wand scheint schnell und schmerzlos ausgelöscht worden zu sein.
Die Frau beginnt also ein neues Leben, das anfangs ganz auf die Lebenserhaltung für sich und den Jagdhund Luchs, der den Gastgebern gehörte, ausgerichtet ist. Zweieinhalb Jahre nach dem Unglück schreibt sie die Erlebnisse, Gefühle etc. in einem ,,Tagebuch der Einsamkeit" in den Wintermonaten vom fünften November bis zum fünfundzwanzigsten Februar nieder. Da sie die Wand nicht sehen kann, steckt sie die Grenze mit Haselbüschen ab, eine ,,Spielzeuggrenze". Für die Versteinerten hinter der Wand hat sie Mitleid, ,,die einzige Form der Liebe, die (ihr) für Menschen geblieben ist". Aber sie weiß auch nicht, ob sie als einzige überlebt hat. Sie hat Angst vor Menschen, und deswegen hängt sie ein geladenes Gewehr neben ihr Bett, das sie manchmal widerwillig benutzt um zu Jagen. Eines Tages läuft ihr eine Katze zu, die jedoch ihre Freiheit und Unabhängigkeit behält, beide sitzen im gleichen Boot. Die Kuh, die ihr zuläuft, stellt einen wichtigen Teil ihrer Lebenserhaltung dar, denn sie gibt Milch und ist trächtig, gebärt später ein Stierkalb. Sie legt einen Acker an, geht Jagen und Fischen um ihr Überleben und das ihrer Tiere zu sichern. Diese physisch extrem belastenden Tätigkeiten nehmen den Großteil ihres Tagesablaufs in Anspruch, und je mehr sie vorsorgt, desto seßhafter wird sie.
Im zweiten Sommer zieht sie auf die Alm oberhalb des Jagdhauses in eine Jagdhütte um, da dort die Umgebung besser für die Kuh ist. Im Winter steigt sie wieder ins Tal hinab, sie betrachtet das Jagdhaus als Zuhause, und der Wandverlauf ist ihr mittlerweile egal. Die Katze bekommt Junge, die Kuh kalbt, das Leben geht seinen Weg.
Gegen Ende des Romans kommt ein Mann auf die Alm, der Hund und Stier erschlägt. Daraufhin wird er von ihr erschossen. Danach kehrt sie zurück zum Jagdhaus.
3.Interpretation als Robinsonade
Seit dem Erscheinen des Romans ,,Die Wand" wurde er von vielen Journalisten, Kritikern und Literaturwissenschaftlern als Robinsonade charakterisiert.
Eine Robinsonade ist eine ,,...Sonderform des Abenteuerromans, gekennzeichnet durch das Motiv des exilartigen Aufenthalts in inselhafter Abgeschlossenheit." (Wilpert,S.515). Der Name dieser Romangattung kommt von Daniel Defoes ,,Robinson", der Hauptfigur des 1719 von Defoe geschriebenen Romans. In dem als ,,Robinson Crusoe" bekannten Buch geht es um einen Kaufmann, der, nachdem er Schiffbruch erleidet, gezwungen ist 28 Jahre auf einer unbewohnten Insel zu leben.
Die Kritiker sind sich jedoch nicht einig ob ,,Die Wand" nun als eine ,,zeitgenössische -" oder als eine ,,weibliche Robinsonade" bezeichnet werden sollte.
4.Interpretation als Frauenroman
Man kann Marlen Haushofers Roman auch als Frauenroman sehen. Die Vertreter dieser These argumentieren dabei, dass sich die Protagonistin mit weiblichen Tieren, also Kuh und Katze, besser versteht als mit den männlichen. So gefällt ihr das Verhalten des Jagdhundes nicht immer, und der Stier wird von ihr in einen separaten Stall gesperrt, weil sie Angst um die Kuh hat. Außerdem hat sie Angst vor Männern: sie fürchtet wenn ein Mann da wäre würde er sie nur herumkommandieren. Als einzigen (menschlichen) Partner könnte sie sich eine alte witzige Frau vorstellen.
Sie bewundert die Katze, die sich ihre Männer nimmt wenn sie sie braucht, aber trotzdem unabhängig bleibt und gleichzeitig Mutterfreuden genießt. Dieses ,,Idealleben" würde die Frau gerne führen, oder hätte es früher gerne geführt. Man könnte sie als Feministin sehen, die erkannt hat, daß Männer nicht zu gebrauchen sind. Sie sind herrisch und handeln irrational, und als am Ende des Romans einer auftaucht, tötet sie ihn sogar. Diesen Tötungsdelikt kann man einfach als Notwehr oder aber auch als Höhepunkt des Geschlechterkonflikts ansehen.
5.Interpretation als Atomwaffengegner- Roman
,,Die Wand" wurde aber auch als Atomwaffengegner- Roman interpretiert. Dabei muß man aber berücksichtigen, dass der Roman seinen größten Bekanntheitsgrad nicht zur Zeit seiner ersten Herausgabe 1963, sondern erst 1983 bei der dritten Herausgabe erreichte. Dies lag daran, dass der Roman zu einer Zeit entstand, ,,...in der man zum Aufschwung ansetzte und in der folglich die Problemfelder Aufrüstung, Atomkrieg und Zivilisationskritik eine untergeordnete Rolle spielten." (Janetzki)
In den achtziger Jahren jedoch war die Gefahr eines Atomkriegs ohne Vorwarnzeit in Europa durch die Mittelstreckenraketen höher als in den sechziger Jahren. Somit ist es auch logisch das ein Roman, in dem der Großteil der Menschen durch eine unvorhergesehene Katastrophe getötet wird, in dieser Zeit mehr Leser findet.
Als Waffe, die diese Katastrophe hervorruft kann jedoch nicht die Neutronenbombe gemeint sein, da die USA erst 1977 deren Existenz bekanntgab.
Jedoch spekuliert die Heldin selbst ob es sich nicht um eine biologische bzw. eine chemische Waffe gehandelt haben könnte:
,,Ich nahm an, sie (die Wand) wäre eine neue Waffe, die geheimzuhalten einer der
Großmächte gelungen war; eine ideale Waffe, sie hinterließ die Erde unversehrt und tötete nur Menschen und Tiere (...). Wenn das Gift, ich stelle mir jedenfalls eine Art Gift vor, seine Wirkung verloren hatte, konnte man das Land in Besitz nehmen.(...) Heute frage ich mich manchmal, ob das Experiment, wenn es überhaupt etwas derartiges war, nicht zu gut gelungen ist. Die Sieger lassen so lang auf sich warten. Vielleicht gibt es gar keine Sieger."
Quellen
Haushofer,Marlen: Die Wand.3.Auflage.Stuttgart: Klett Verlag 1983.
Kliewer,Annette: Marlen Haushofers Roman ,,Die Wand" in einem Grundkurs Deutsch.
Vorsichtige Überlegungen zum Stand einer feministischen Literaturdidaktik. In: Diskussion Deutsch.1994.Nr.136.S.75- 81.
von Wilpert,Gero: Sachwörterbuch der Literatur.3.Auflage.Stuttgart: Alfred Körner Verlag 1961.
Janetzki,Ulrich: Nach der großen Zerstörung. In: Der Tagesspiegel,06.11.1983.
Golling,Stefan: Marlen Haushofers Roman ,,Die Wand" - eine zeitgenössische Robinsonade. Facharbeit aus dem Fach Deutsch. Aichach: Deutscherren- Gymnasium 1997.
- Arbeit zitieren
- Andreas Mayr (Autor:in), 2000, Haushofer, Marlen - Die Wand - Roman, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95749
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.