Friedrich Hebbe - Realismusl #


Referat / Aufsatz (Schule), 1999

31 Seiten, Note: 15 Punkte


Leseprobe


INHALT:

1. Realismus

2. Kurzbiographie

3. Lebenslauf

4. Wichtigsten Werte

5. Textbeispiele

6. Dithmarsische Sklaverei

7. Wanderschaft und Studium: Hamburg - Heidelberg - München

8. Die Zeit und die Aufgabe

9. Erste Erfolge: Judith - Genoveva - Der Diamant

10. Kopenhagen: Die Hilfe des Königs

11. Zweite Wanderschaft: Paris - Rom - Neapel

12. Das Wunder von Wien

13. Die Wende

14. 1848 - Herodes und Mariamne - Der Rubin - Michel Angelo

15. Freunde und Feinde - Agnes Bernauer

16. Ein Mann der alten Schule - Gyges und sein Ring - Mutter und Kind

17. Weimar - Die Nibelungen - Demetrius

1. Realismus

Als Periodenbegriff bezeichnet Realismus für nahezu alle europäischen Literaturen die Zeit zwischen 1830 und 1880. Von Einfluß auf die englische und auf die russische Literatur war der französische Realismus, geprägt von einer sozialkritischen, desillusionischen, antibürger- lichen Haltung (Flaubert, Stendhal, Balzac). Bestimmend für die Festlegung des Stil- und Epochenbegriffs Realismus wurden die Aufsätze von J. Champfleury (,,Le réalisme", 1857). In Deutschland wurde der literarische Realismus erst nach der Revolution von 1848 zur wichtigen, auch theoretisch diskutierten Stilrichtung. Der von O. Ludwig eingeführte Begriff des poetischem Realismus beschreibt eine Wirklichkeitsdarstellung, die sich durch die Subjektivität der Erzählperspektive auszeichnet (J. Gotthelf, G. Keller, A. Stifter, T. Storm, W. Raabe). Zur stilistischen und historischen Unterscheidung der Romane T. Fontanes und T. Manns prägte die Literaturwissenschaft den Terminus bürgerlicher Realismus. Realismus als übernatürliche Erscheinung im 19. Jh. ist belegt mit Werken des vielfach humoristischen, durch emotional - sozialkritischen Mitleidspathos ausgezeichneten englischen Realismus (W.M. Thackeray, C. Dickens, G. Elliot) und die sozialutopisch engagierten und zu detaillierten Beschreibung psychologischer Individualwirklichkeit neigenden Romane der russischen Realisten (F.M. Dostojewski, L.N. Tolstoi, I.S. Turgenjew, I.A. Gontscharew); zum sogenannten symbolischen Realismus gehören besonders die Werke der amerikanischen Literatur des 19. Jh. (H. Melville, N Hawthorne).

2. Kurzbiographie

Hebbel, [Christian] Friedrich, *)Wesselburen 18.3. 1813, _)Wien 13.12. 1863, dt. Dichter. H. steht literatur- und geistesgeschichtl. zw. Idealismus und Realismus; an Hegels Geschichtsphilosophie anschließend, sieht sein >Pantragismus< Geschichte und Tragik als identisch an. Das Wollen des einzelnen steht im Widerspruch zum Weltwillen und wird allein schon durch das Vorhandensein des Einzelwillens zum Unrecht; der trag. Untergang des einzelnen ist daher unvermeidlich. Die Stoffe seiner Dramen entnahm er der Geschichte oder Mythologie (>Judith<, 1841; >Herodes und Marianne<, 1850; >Agnes Bernauer<, 1855; >Gyges und sein Ring<, 1856; >Die Nibelungen<, Tragödientrilogie, 2)Bde., 1862). Das bürgerl. Trauerspiel >Maria Magdalena< (1844) spielt in der starren Welt des dt. Kleinbürgertums. H. schrieb auch realist. >Erzählungen und Novellen< (1855) mit einer Tendenz zum Skurrilen und Grotesken, oft prosanahe Gedankenlyrik (1857) sowie das idyllische Hexameterepos >Mutter und Kind< (1859). (x)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3. Lebenslauf

1813 18. März: Christian Friedrich Hebbel in Wesselburen/Dithmarschen geboren. Vater: Maurer Claus Friedrich, Mutter: Antje Margaretha, geb. Schubart

1817 Klippschule der Jungfer Susanna

1818 Volksschule. Lehrer: Franz Christian Dethlefsen

1827 Tod des Vaters. Hebbel als Schreiber beim Kirchenspielvogt Mohr tätig 1835 14. Februar: Reise nach Hamburg, Freundschaft mit Elise Lensing

23. März: Beginn des Tagebuchs

1836 Jurastudium in Heidelberg, Freundschaft mit Emil Rousseau. Gedichte (u. a. Nachtlied), Erzählungen(Anna). Fußmarsch über Sraßburg und Tübingen nach München, Wohnung bei Tischlermeister Anton Schwarz, Liebesverhältnis zu dessen Tochter Josepha (Beppi)

1838 Tod der Mutter und des Freundes Rousseau

1839 Fußwanderung über Göttingen nach Hamburg. Mitarbeit am ,,Telegraph"

2. Oktober: Beginn der Judith

1840 28. Januar: Judith vollendet, Uraufführung in Berlin am 6. Juli. Flirt mit Emma Schröder. 13. September: Beginn der Genoveva. 5. November: Sohn Max geboren 1841 1. März: Genoveva beendet. Der Diamant. Novelle: Matteo

1842 Brand in Hamburg. 12. November: Reise nach Kopenhagen. 13. Dezember: Erste Audienz bei König ChristianVIII.

1843 Zweijähriges Reisestipendium. Erkrankung an Rheumatismus. Maria Magdalena

begonnen. Bekanntschaft mit Bertel Thorvaldsen und Adam Oehlenschläger. 27. April: Rückkehr nach Hamburg, literarischer Streit mit Heiberg: Mein Wortüber das Drama. Seereise Hamburg-Le Havre. Reise nach Paris: Bekanntschaft mit Dr. Felix Bamberg, Heinrich Heine und Arnold Ruge. . Oktober: Sohn Max gestorben. Lösung von Elise Lensing. Maria Magdalena abgeschlossen

1844 Hebbels zweiter Sohn Ernst am 14. Mai geboren. Promotion in Erlangen. Reise Paris- Rom. Bekanntschaft mit L. Gurlitt und K. Rahl

1845 Abstecher nach Neapel. Arbeit an Moloch. Gedichte, Epigramme. Weitere Entfremdung von Elise Lensing. Reise nach Wien über Ancona und Triest. Julia begonnen. ,,Wunder von Wien": die Barone Zerboni und Burgschauspielerin Christine Enghaus 1846 26. Mai: Heirat. Bruch mit Elise Lensing. Ein Trauerspiel in Sizilien begonnen 1847 Trauerspiel abgeschlossen. Arbeit an Herodes und Marianne und Neue Gedichte. Elise Lensing in Wien. Gastspielreise mit seiner Frau nach Berlin, Graz, Leipzig und Dresden. 25. Dezember: Tochter Titi geboren (gest. 1921)

Wandel durch die Revolution begünstigt Hebbels Werke auf der Bühne. Korrespondent der ,,Augsburger Allgemeine Zeitung". Deputation an Kaiser Ferdinand. Kandidatur für die Frankfurter Nationalversammlung, Rückkehr Elise Lensings mit Hebbels Stiefsohn Karl nach Hamburg. Herodes und Marianne abgeschlossen

1849 Freundschaft mit Emil Kuh. Uraufführung Herodes und Marianne mit Christine Hebbel am Burgtheater. Schnock

1850 Heinrich Laube Direktor der Burg. Reisen nach Agram und Hamburg. Michel Angelo 1851 Agnes Bernauer

1852 Aufenthalt in München anläßlich der Uraufführung der Agnes Bernauer durch Franz Dingelstedt. Reise nach Italien

1853 Juli: Reise nach Hamburg mit Abstecher nach Helgoland. Arbeit an Gyges und sein Ring 1854 Juli-August: Kur in Marienbad. Bekanntschaft mit Friedrich Uechtritz. 18. November: Tod Elise Lensings

1855 Hauskauf in Gmunden. Nibelungen begonnen. Erzählungen und Novellen. Michel Angelo erscheint.

1856 Mutter und Kind am 9. Februar begonnen

1857 Mutter und Kind abgeschlossen. Besuch bei Arthur Schopenhauer und Eduard Mörike. 1858 Juni-Juli: Reise nach Weimar, Bekanntschaft mit der Fürstin Carolyne von Sayn- Wittgenstein. Demetrius begonnen

Bruch mit Emil Kuh. 22. März: Nibelungen beendet. Reise nach Paris

1859 Nibelungen mit Christine Hebbel in Weimar aufgeführt. Plan, nach dort zu übersiedeln 1860 Reise nach London. Intrige am Hof in Weimar. Hebbel gibt den Plan auf, nach Weimar zu gehen

1863 16. März: Erkrankung. September: Kur in Baden bei Wien. Oktober: Arbeit am

Demetrius. Hebbel stirbt am 13. Dezember

4. Wichtigste Werke:

Judith 1841

Maria Magdalena 1844

Herodes und Mariamne 1850

Agnes Bernauer 1855

Gyges und sein Ringe 1856

Nibelungen 1862

5. Textbeispiele:

Höchstes Gebot

Hab Achtung vor dem Menschenbild, Und denke, daß, wie auch verborgen, Darin für irgendeinen Morgen Der Keim zu allem höchsten schwillt!

Hab Achtung vor dem Menschenbild, Und denke, daß, wie tief er stecke, Ein Hauch des Lebens, der ihn wecke, Vielleicht aus deiner Seele quillt!

Hab Achtung vor dem Menschenbild! Die Ewigkeit hat eine Stunde, Wo jegliches dir eine Wunde Und, wenn nicht die, ein Sehnen stillt

Nachtlied

Quellende, schwellende Nacht, Voll von Licht und Sternen :

In ewigen Fernen,

Sage, was ist da erwacht!

Herz in der Brust wird beengt, Steigendes, neigendes Leben, Riesenhaft fühle ich ´ s weben, Welches das meine verdrängt.

Schlaf, da nahst du dich leis,

Wie dem Kind die Amme, Und um die dürftige Flamme Ziehst du den schützenden Kreis.

Anmerkung: Kursiv geschriebene Worte sind Zitate Hebbels aus seinen Tagebüchern und Briefen.

Quelle: rororo Bildmonographien: Christian Friedrich Hebbel von Hayo Matthiesen

6. Hebbels Jugend - Dithmarsische Sklaverei

Christian Friedrich Hebbel wurde am 18. März 1813 in dem kleinen Ort Wesselburen in Norderdithmarschen geboren. Dithmarschen gehörte zum Herzogtum Holstein , das - mit dem Landesteil Schleswig - durch Personalunion mit dem Königreich Dänemark verbunden war. Der König in Kopenhagen, Friedrich VI., war seinen Untertanen kein guter Landesvater; es herrschte großes Elend und Not. Der Winter 1813 auf 1814 blieb lange als Kosakenwinter in Erinnerung. Vor den Armenhäusern konnte Hebbels Vater Claus Friedrich (geb. am 16. Februar 1790), von Beruf Maurer, seine Familie immer bewahren, aber trotzdem lebten sie stets in Armut. Vor allem im Winter fiel es dem Vater oft schwer, die Familie zu ernähren. Deswegen ließ er oft Friedrich und seinen Bruder Johann (geb. am 20. März 1815) mitarbeiten. Für die beiden Brüder war dies eine äußerst unangenehme Episode. Der Vater versuchte immer die Schande der Armut von der Familie zu halten und wurde durch das Mißlingen dieses Bestrebens zu einem verschlossenen, harten und empfindlichen Mann.

Dennoch war mein Vater... ein herzensguter, treuer, wohlmeinender Mann; aber die Armut hatte die Stelle seiner Seele eingenommen. Christian Friedrichs Mutter Margaretha (geb. am 1. Februar 1790) war der gute Engel in Hebbels Jugend. Ich war ihr Liebling, mein zwei Jahre jüngere Bruder der Liebling meines Vaters. Sein Vater sah in ihm stets ein mißratenes, unbrauchbares, wohl gar böswilliges Geschöpf. Die Atmosphäre im Elternhaus und die bürgerliche Enge Wesselburens bildeten den Hintergrund für die Maria Magdalena, und in die Gestalt des unerbittlichen Meisters Anton gingen Züge von Hebbels Vater ein.

Mit vier Jahren kam Friedrich Hebbel in die Klippschule der Jungfer Susanna, welche sich nur um die reicheren Kinder kümmerte und bei welcher die Habenichtse nichts zu lachen hatten. 1819 wurden nach einer staatlichen Reform Elementarschulen eingerichtet und Hebbel bekam Franz Christian Dethlefsen als neuen Lehrer, der einen unermeßlichen Einflußauf meine Entwicklung ausgeübt hat. Hebbel wurde zum Lieblingsschüler seines neuen Lehrers, der sich auch um das leibliche Wohl dessen kümmerte. Als Hebbels Vater 1827 starb, beschaffte Dethlefsen seinem Schützling eine Anstellung bei dem örtlichen Kirchspielvogt Johann Jakob Mohr, der auch gleichzeitig Steuereintreiber und niederer Richter war. Zunächst führte Hebbel für diesen Botengänge aus, wurde jedoch schon bald zu dessen Hauptschreiber, ohne daß er dafür entsprechend entlohnt wurde. Später schrieb Hebbel über ihn in seinem Tagebuch: Ich denke hauptsächlich an jenen Mohr, der als ekelhafte Blattlausüber meine frische Jugend hinkroch und sich als jämmerliches juste milieu zwischen mich und die sogenannte bare, blanke Not ... hinstellte : o weh, wie hat der Mann mich in meiner tiefsten Menschlichkeit gekränkt.

Doch der Autodidakt Hebbel legte während dieser Zeit den Grundstock seines Wissens, indem er die Bibliothek Mohrs durcharbeitete. Am besten gefielen ihm die Werke Ludwig Uhlands, Friedrich Schillers und E. Th. A. Hoffmann. Sie lehrten ihm die Form, die er jedoch nicht mit eigenem Inhalt füllte.

Am 4. September 1828 erschien im ,,Dithmarser und Eiderstedter Bote" sein erstes Gedicht Schmerz und Welt. Diesem folgten noch viele weitere, die alle durchaus noch den unselbständigen Charakter phrasenhafter Konfirmandendichtung trugen.

Feuerbachs ,,Gedanken über Tod und Unsterblichkeit aus den Papieren eines Denkers, nebst einem Anhang theologisch satirischer Xenien, herausgegeben von einem seiner Freunde", die Schrift des Anführers der Hegelschen Linken, beeindruckte Hebbel besonders und gab ihm einen Einblick in die philosophischen und religiösen Auseinandersetzungen zur Zeit der französischen Juli- Revolution 1830. Die Summe von Hebbels Grundgedanken machte in dieser Zeit kein philosophisches System. Es waren Überzeugungen, die lose zueinander paßten, denen die logische Fügung zu einem geschlossenen Ganzen jedoch fehlte. In seiner Lage war er oft frustriert: Die Lage zerstört den Menschen, wenn der Mensch die Lage nicht zerstören kann. Wesselburen hat Hebbel geprägt. Seine übergroße Empfindlichkeit und der leicht verletzliche Stolz ließen seine Selbstgerechtigkeit spontan aufbrausen. Er konnte streng sein, hart und unerbittlich. Er forderte Gehorsam und zerschlug menschliche Beziehungen, wenn er sich ungerecht behandelt oder angegriffen fühlte. Wie Meilensteine markieren seine Abrechnungen den Weg seiner Freundschaften. Die Angst vor der Armut und die Furcht blieben Hebbel zeitlebens vertraut. Deshalb führte er sein ganzes Leben lang penibel ein Haushaltsbuch. Er begann den Kampf der Befreiung aus Wesselburen ohne ein bekanntes Ziel. Um dieses Ziel zu finden beschloß er, ans Theater zu gehen. Doch als er sich in Hamburg um eine Anstellung bemühte wurde er scharf abgewiesen. Hilfe wurde ihm von Seiten der Hamburger Schriftstellerin Amalie Schoppe zuteil, indem sie einige seiner Werke in ihren ,,Neuen Pariser Modeblättern" veröffentlichte.

Im März 1835 endete die Dithmarsische Sklaverei; Friedrich Hebbel begann eine zehnjährige Odyssee. Vor ihm lagen Jahre der finanziellen Unsicherheit, des suchenden Umherschweifens und dichterischen Zweifels. Er überlebte die Zeit, gestützt auf die Hilfe anderer, hart am Rande des Abgrunds.

7. Wanderschaft und Studium: Hamburg - Heidelberg - München

Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde Hamburg als die Metropole des Nordens bezeichnet. Die Gründung des Stadttheaters 1827 ließ die Epoche, die Lessing, Klopstock und Friedrich Ludwig Schröder geprägt hatten, ein wenig vergessen. In diese Stadt kam Hebbel, um nachzuholen, was er versäumt hatte. Seine Gönner ließen ihn nicht im unklaren darüber, was das bedeutete: Latein und Griechisch lernen, Abitur machen, um ein juristisches Studium beginnen zu können. Doch Hebbel erkannte sehr schnell, daß ihm dies nicht lag; die Vokabeln der alten Sprache verschlossen sich seinem nicht mehr ganz jungen Kopf.

Am 23. März 1835 begann er das Notenbuch meines Herzens zu schreiben, das Tagebuch, das er bis zu seinem Tode weiterführte. Die Blätter spiegelten weniger das Werden des Menschen als das Ringen eines Dichters. Für Hebbel bedeutete Dichten Verwirklichen der eigenen Existenz. Amalie Schoppe begrüßte den jungen Wesselburener als Genie, stellte ihn nach der Lektüre der Judith neben Shakespeare und feierte ihn gegenüber ihren Bekannten als ihre Entdeckung: "Sie müssen wissen, daßich geistig Hebbels Mutter bin; ich grub diesen Schatz ans Licht." Doch nach sehr kurzer Zeit zerstritten sich Hebbel und Schoppe. Der Grund war wahrscheinlich die gekränkte Natur der Frau, die sich in ihrer geistigen Mutterschaft tief verletzt fühlte, nachdem Hebbel ihre "Modeblätter" verunglimpft hatte. Bei Hebbel war es der Zorn über die Anmaßung, ihn zu bevormunden. So griff der junge Literat 1840 zur Feder und schrieb die erste seiner berühmt-berüchtigten Abrechnungen. Später besserte sich das Verhältnis jedoch wieder und so schrieb Hebbel seiner Gönnerin, als sie 1858 starb, das Distichon, welches auf der Rückseite ihres Grabsteins steht:

Wie von den einzelnen Mühen und Lasten des Lebens im Schlummer,

Ruht sie vom Leben selbst endlich im Tode sich aus.

In Hamburg wohnte Hebbel bei dem Zimmermann und Schiffer Johann Jakob Arendt Ziese, einem Mann der ähnlich Hebbels Vater große Mühe hatte seine Familie zu bewahren. Bei ihm lebte auch seine Stieftochter Maria Dorothea Elisabeth Lensing, genannt Elise, die am 14. Oktober 1804 in Lenzen an der Elbe geboren wurde.

In Hamburg unterrichtete diese eine Zeit lang als Lehrerin ehe ihr eine väterliche Erbschaft eine gewisse Unabhängigkeit gab. Schon nach sechs Wochen wechselte Hebbel in ein benachbartes Haus, um Gerede zu vermeiden. Doch es war bereits zu spät: das alternde Mädchen hatte ihr Herz an ihn verloren. Dem mittellosen und einsamen Hebbel trat eine hingebungsvolle, sorgende Frau mit einer beträchtlichen Bildung gegenüber. Sie verlangte wenig und forderte nie etwas. In sein Tagebuch schrieb er: Elise hängt unendlich an mir. Nie täuschte er die Freundin darüber, daß er nicht geben konnte , was sie ersehnte, Liebe. Hebbel hat sie verehrt, ja angebetet ... ohne zu lieben. Auch in der Ferne gab das Verhältnis zu Elise seinem Leben oft den einzigen Halt.

Sie ermöglichte es ihm schließlich weiterzuziehen, wenn auch ohne Abitur. Am 13. April 1836 brach Hebbel mit drei Freunden nach Heidelberg auf. Er wußte nur, daß er Hamburg wie Wesselburen verlassen mußte. In Heidelberg fand er bei dem Knopfmacher Neuer eine bescheidene Logis. Im gleichen Haus wohnte auch ein zweiter Student namens Emil Rousseau, der sein treuer Freund wurde. Doch schon bald wurde ihm klar, daß auch Heidelberg für ihn nicht die richtige Stadt war.

Das Leben hier sagt mir so wenig zu, daßich, wenn ich nur irgendeinen anderen Ausweg vor mir sähe, die Studien niederlegen würde; dieäußeren Hindernisse sind fast unübersteiglich. Das Leben der anderen Studenten war auch nichts für den immer noch sehr armen Hebbel. Er stand abseits, zu alt und zu ernst, um einen gemeinsamen Himmel mit ihnen haben zu können. So verbrachte er den Sommer in großer Niedergeschlagenheit.

Doch in der Stadt der Romantik gelangen ihm einige seiner schönsten Gedichte, Herbstgefühl und Nachtgefühl etwa. Am 6. Mai entstand das Nachtlied:

Nachtlied

Quellende, schwellende Nacht, Voll von Licht und Sternen :

In ewigen Fernen,

Sage, was ist da erwacht!

Herz in der Brust wird beengt, Steigendes, neigendes Leben, Riesenhaft fühle ich ´ s weben, Welches das meine verdrängt.

Schlaf, da nahst du dich leis,

Wie dem Kind die Amme,

Und um die dürftige Flamme

Ziehst du den schützenden Kreis.

Früh schon stieß Hebbel Schiller als Lyriker von dem Podest, auf das er ihn selber gehoben hatte. Er hielt ihm vor, er habe in seinen Gedichten nur Gefühl für Gedanken, und daran sah er auch die ganze Lyrik kranken. In Uhland sah er immer noch sein Vorbild als Lyriker, weil er nichts verschmähte - nur das, was ich bisher für das Höchste angesehen hatte, die Reflexion. In Hebbel jedoch dominierte die dramatisch Anlage, sie bildete das Zentrum seines Schaffens, nicht die lyrische Begabung. Ihm fehlte der Naturlaut über den Hölderlin gebot oder Storm. Dennoch schuf Hebbel ein reiches Werk lyrischer Formen : Lieder, Ballade, Sonett und Epigramm. Von 1836 bis 1848 entstanden etwa dreihundert Gedichte; von 1849 bis zu Hebbels Tode schrieb er jedoch nur knapp hundert Gedichte.

Nachdem ihm klargeworden war, daß er nicht in Heidelberg bleiben konnte machte er sich zusammen mit seinem Freund Rousseau auf den Weg nach München, der Stadt, die literarische Existenzen wie ein Magnet anzog. Auf dem Weg dorthin besuchten die beiden Freunde auch Straßburg und Stuttgart. Der Besuch bei seinem Vorbild Uhland in Tübingen enttäuschte ihn schwer; dem werdenden Dichter war der berühmte Poet fast zu simpel. Hebbel rühmte seinen vier Jahre jüngeren Freund Rousseau als einen sanftmütigen, doch energischen und Heuschelei und Lüge verabscheuenden Menschen. Er war eine sehr starke Persönlichkeit. Er war der beste Mensch, den die Erde je getragen hat. Wenige Tage nach seiner Promotion starb er 1838 an Typhus. Nie hat es Streit zwischen den beiden gegeben. Rousseau besaß die Kraft, dem ungestümen Wesen seines Freundes die Spitzen zu nehmen. Sein Tod traf Hebbel tief. Mit ihm verlor er seinen einzigen Bekannten in München, er stand wieder ganz allein. Für ein gesellschaftliches Leben fehlte ihm vor allem das Geld. Eineinhalb Jahre lang hat er nichts zu Mittag gegessen. Den Tag verbrachte er in seinem Zimmer, berauschte sich an Gedichten von Uhland und setze den Fuß sehr selten vor die Tür. Er fühlte sich einsam wie auf einer wüsten Insel. Mit der Welt war er nur durch die Briefe mit Elise Lensing verbunden.

In München machte er auch das erste Mal die Bekanntschaft mit einer Krankheit, die ihn noch lange begleiten sollte, mit der Hypochondrie.

Die Sorge um seine leibliche Existenz konnte ihn nicht von seinem Ziel abbringen. Im Vertrauen auf seine dichterische Anlage war er aufgebrochen, um sich selber zu suchen. Als er glaubte, den Mittelpunkt seines Wesens, die Bestimmung zum Dichter, gefunden zu haben, stellte er sich selber in Frage. Er studierte Bücher, die seinen geistig - literarischen Bedürfnissen entsprachen, Werke über Geschichte, Philosophie und bildende Kunst; nur hin und wieder hörte er eine Vorlesung. Er wußte selbst, daß er niemals einen Wissenschaftler, sondern einen Künstler abgeben würde. Als die Aufgabe seines Lebens betrachtete er die Symbolisierung meines Inneren, soweit es sich in bedeutenden Momenten fixiert, durch Schrift und Wort; alles andere, ohne Unterschied, hab ich aufgegeben. In der Einsamkeit der Münchner Jahre reifte denn auch der Dichter in mir.

Hebbel wohnte bei dem Tischlermeister Anton Schwarz und er hatte ein intimes Verhältnis mit der Tochter Josepha, der er den Kosenamen Beppi gab. Vor Elise Lensing, die ihn auch weiterhin mit Geld unterstützte, verheimlichte er die Beziehung nicht. Beppi hoffte genau wie Elise in Hamburg, daß Hebbel sie heiratete, wurde aber enttäuscht. Was er bei dem Tischlermeister erlebte, formte er in seinem bürgerlichen Trauerspiel Maria Magdalena. Zweieinhalb Jahre blieb Hebbel in München und dann stellte sich wieder die Frage, wohin er jetzt gehen konnte. Schließlich mußte er, auch wegen der finanziellen Notlage, nach Hamburg zurückkehren. Am 11. März 1839 brach er auf. Sein Fußmarsch führte ihn an Nürnberg, Bamberg, Hannover und Gotha vorbei und er beschrieb ihn als die gr äß lichste Strapaze meines Lebens.

In München schrieb Hebbel neben dem Rubin nur Die beiden Vagabunden und einige Szenen zu Schnock. Zur Gesamtausgabe der Novellen 1855 kamen nur noch zwei Stücke hinzu, Matteo und Die Kuh. Die Novellen schildern eine aus den Fugen geratene Gesellschaft mit verstörten Menschen in innerer Not und äußerem Elend. Sie stellen die Wirklichkeit als sinnentleerte Hölle dar. Hebbels Erzählungen erinnern stark an die spukhafte Welt, die E. T.

A. Hoffmann beschrieben hat, an Kleist, Jean Paul und Tieck. Er sah in seinen Werken die ersten schüchternen Versuche eines sich selbst noch nicht verstehenden Talents.

8. Die Zeit und die Aufgabe

Die grausame Welt der Novellen Hebbels kommt nicht von ungefähr. Sie spiegelt seinen Pessimismus dieser Jahre wieder: Ach, wie ekelt das Leben mich an! ... Alles so abscheuliches Stückwerk. Lebensekel gehört zum Grundton dieser Zeit. Die Menschen leben nach den Kriegen gegen Napoleon in Armut und es fällt sehr schwer, den Lebensunterhalt zu verdienen; es ist diese hohle, flache Existenz. Der Mensch wird vom Schicksal umhergetrieben, haltlos und ohne die Kraft, einen Halt zu finden. Er hat zu kämpfen, und weiß doch, daß er nie siegen wird, ein permanenter Kampf ohne Erlösung. Der Mensch ist ein Haufen Staub, worin Würmer kriechen, die ihm einen Schein des Lebens geben. Die Welt ist Gottes Sündenfall.

Die Literatur lehnt Hebbel völlig ab, was entsteht, nennt er Schund. Die Produktion elender Machwerke sieht er ins Uferlose wachsen, weil jeder, der einen Vers und ein paar Zeilen zusammenschreiben kann, sich für ein Genie hält. Auch vom Theater verspricht er sich keine Hilfe gegen die Verflachung der Zeit. Die Autoren unterhalten ein entartetes Zeitalter, das keines reinen Genusses mehr fähig ist. Er plante in München den Roman Der deutsche Philister, mit dem er seiner Gegenwart einen Spiegel vorhalten wollte. Hebbel erkannte das Problem der Zeit und stellte die Diagnose der Götterferne. Er beschreibt in seinem Gedicht Unsere Zeit die Pflicht, einen Ersatz für den verlorenen Himmel zu finden:

Es ist die Zeit des stummen Weltgerichts;

In Wasserfluten nicht und nicht in Flammen:

Die Form der Welt bricht in sich selbst zusammen, Und dämmernd tritt die neue aus dem Nichts.

In den Novellen und den frühen Dramen zeichnete er das Bild der von völliger Barbarei beherrschten Zeit. Wie jeder denkende Mensch sollte auch der Dichter rege an seiner Gegenwart teilnehmen und ihren Zustand wie die Lage der Menschen schildern. Obwohl er die Menschen über sich selbst aufklären will, kann er keine Liebe von ihnen erwarten; denn sie danken es ihm nicht. Er wird immer als Einsamer unter ihnen leben. Trotzdem gestattete Hebbel es dem Dichter nicht, aus diesem Grunde seinen Platz zu verlassen. Friedrich Hebbel glaubte: Kunst ist das Gewissen der Menschheit und ihre Pflicht die Darstellung des Lebens in seinen vielfältigen Formen. Der Künstler hat die Grenzen aufzuzeigen, die den Menschen gezogen sind, und in Bildern zu veranschaulichen, was notwendig und unabänderlich ist..

Die Aufgabe, die er der Dichtung allgemein stellte, formulierte er in gleicher Schärfe für sich.

Schon in Heidelberg steckte er sich das Ziel, eine neue Welt zu bauen, sie wurde das Grundthema seiner Dichtung: Ich will mit einem Wort am Wagen der Menschheit ... Vorspanndienste verrichten. Er glaubte, daß die Menschen seines Jahrhunderts wieder ein Fundament brauchten, wenn die Geschichte nicht in einer Katastrophe enden sollte. Hebbel wollte die Werte der Humanität wieder zur Geltung bringen. Er forderte deshalb, daß die dramatische Kunst ... den welthistorischen Prozeß, der in unseren Tagen vor sich geht ... beenden helfen sollte, indem sie dazu beitrug, die vorhandenen Institutionen des menschlichen Geschlechts, die politischen, religiösen und sittlichen ... tiefer zu begründen.

9. Erste Erfolge: Judith - Genovera - Der Diamant

Nachdem Hebbel am 31. März 1838 in Hamburg eingetroffen war, wurde er während der nächsten drei Monate durch eine Lungenentzündung außer Gefecht gesetzt, die ihn auch zeitweise in Lebensgefahr versetzte. Immer noch war er von Elise Lensing finanziell abhängig. Noch immer empfand diese sehr viel für ihn, hatte bei ihm aber keine Chance auf eine eheliche Bindung: Heiraten! Es ist mirüberhaupt unter allen entsetzlichen Dingen das entsetzlichste, und ich werde mich gewißniemals dazu entschließen ... Gibt ´ s denn auf Erden zwischen Menschen, die sich schätzen und werthalten, kein Band als ein Schiffsankertau? Hebbel sah in den Frauen die Meduse oder den Todesengel für des Mannes eigentliches Leben, die Liebe betrachtete er als die höchste Spitze des Egoismus. Ihre sehr gute Freundschaft geriet schon sehr bald in eine Krise: Im Sommer 1840 machte Elise in schwangerem Zustand auf Rügen Urlaub. Während dieser Zeit schrieb Hebbel ihr Briefe in Tagebuchform, in denen er über sein amouröses Abenteuer mit einer wohlhabenden Dame berichtete. Der Abtrünnige kehrte noch vor der Geburt seines ersten Sohnes Max zu Elise zurück. Bald darauf lernte er Karl Gutzkow, einen Führer der Jungdeutschen, kennen, der durch seinen Roman Wally, die Zweiflerin das Verbot des Bundesrates provozierte. Mit der Tragödie Judith gelang Hebbel der erste größere Erfolg: Als Vorlage diente ein Buch Schillers über die Jungfrau von Orléans, das er als völlig mißlungen ansah. Wenige Monate später revidierte er sein albernes und kindisches Urteil und nannte die romantische Tragödie ein großes Gedicht. Hebbel stellte seine Judith zwischen Weib und Jungfrau, die ihre Tat zwar als Werk der nationalen Befreiung ihres unterdrückten Volkes plant, sie aber als Akt ihrer Privatrache ausführt. Im entscheidenden Augenblick gewinnt das Weib in ihr die Überhand, sie handelt nicht mehr auf Befehl ihres Gottes, sondern erschlägt den Despoten, weil er sie in seiner Lust mißbrauchte. Die tragische Höhe seiner Heldin erreicht Hebbel durch die Verschiebung der Motive. In seinem Drama schildert der Dichter eine Welt des Kampfes. Die eigentlichen Partner vermischen sich; Mord wiegt nur Mord auf; Liebe ist mit Haß vermischt.

Ihr Racheakt versöhnt Judith nicht, sie blickt ohne Hoffnung in die Zukunft. Sie muß sterben, wenn sie gebiert, damit ihr Sohn sich nicht zum Muttermord versucht fühle. Deshalb verlangt sie von ihrem Volk: So sollt ihr mich töten, wenn ich´s begehre. Mit seinem Werk wollte Hebbel nicht nur die Idee des von Gott geführten und verlassenen Individuums darstellen, sondern auch den zwischen den Geschlechtern abhängigen großen Proze ß. Die Kritik nahm das Erstlingswerk geteilt auf. Am 6. Juli 1840 feierte das Stück im königlichen Hoftheater zu Berlin Premiere. Nie wieder folgten zwei Dramen einander so dicht wie der Judith die Genoveva. Am 13. September 1840 begann er die Arbeit, weil ihm Ludwig Ludwig Tiecks Drama Leben und Tod der heiligen Genoveva mißfiel. Die Geschichte der heiligen Genoveva, Herzogin von Brabant, war ihm schon aus dem Volksbuch in Wesselburen bekannt. Die Qualen des liebestollen Golo erlebte er in Hamburg: seine Genoveva hieß Emma Schröder. Am 1. März 1841 vollendete Hebbel seine zweite Tragödie.

Die Kritiker bemängelten an diesem Stück, daß es zu lang sei und ihm der versöhnende Schluß fehlte. Beide Vorwürfe versuchte der Dichter1851 mit einem Nachspiel aus dem Weg zu räumen: Es sollte jeden vernünftigen Anspruch auf Versöhnung bringen. Am 20. Januar brachte Heinrich Laube das Stück mit vielen Veränderungen unter dem Namen Magellona am Burgtheater heraus, weil die Zensur Kirchenheiligen den Zutritt zur Bühne versperrte. Höher als seine beiden Tragödien stellte Hebbel seine erste Komödie Der Diamant. Diesem Stück hat zweifellos Kleists Zerbrochenem Krug als Pate gestanden: ein Jude verschluckt einen Smaragd, der ihm mit einer Pfauenfeder wieder aus dem Magen herausgekitzelt wird. Bei Hebbel enthüllt der Diamant den falschen Zauber der faulen Welt. Friedrich Hebbel stellte die Gattung der Komödie durchaus neben die Tragödie, denn er vertrat die Ansicht, daßTragödie und Komödie aus einer und derselben Wurzel hervorsprossen und daßdie erste sich durchaus nicht in ihrer ganzen Gr öß e entfalten kann, wenn die letztere hinter ihr zurückbleibt. Komödie und Tragödie sind ja doch im Grunde nur zwei verschiedene Formen für die gleiche Idee.

Drei Werke brachten ihm die drei Jahre in Hamburg; 1842 folgte noch die erste Ausgabe der Gedichte. Trotzdem fühlte Hebbel sich unglücklich. Er war einsam und stieß doch alle Menschen zurück. Seine finanzielle Situation trieb trotz der literarischen Erfolge einer Katastrophe zu. In seinem Tagebuch schrieb er: Fragt sich nur, woher Brot nehmen, Brot für Elise, Max und mich. Sogar der Gedanke an Selbstmord stellte sich in dieser Zeit ein. Der nicht mehr ganz junge Dichter stand allein und kannte niemanden, der ihm helfen konnte. Während des großen Brandes in Hamburg im Mai 1842 kam Hebbel die Idee für sein Buch Moloch, einem Werk über den Untergang Karthagos. Durch die Arbeit wurde er von seinen Sorgen abgelenkt. Doch durch die schlechte Ernährung wurde er krank. Nach langem Überlegen entschied er sich Hamburg zu verlassen, worin er von dem Hofbeamten Graf Karl von Moltke unterstützt wurde, indem dieser dem Dichter riet nach Kopenhagen zu gehen und dort bei seinem Landesvater, König Christian VIII., um eine Audienz zu bitten. Von dem Ausflug nach Kopenhagen versprach Hebbel sich viel. Er sollte ihn innerlich reifer machen, sein Benehmen vervollkommnen, ihn lehren, mit Menschen umzugehen. Er wußte genau, was er in Hamburg vernachlässigt hatte. Aber auch ein Fundament für seine Existenz sollte gelegt, eine Brücke in die Zukunft geschlagen werden. Dafür gab es zwei Möglichkeiten: eine Professur oder ein Reisestipendium.

10. Kopenhagen: Die Hilfe des Königs

Am 14. November erreichte Hebbel die dänische Hauptstadt Kopenhagen. Schon sehr bald machten ihm die sehr hohen Preise zu schaffen. Die freundliche, zuvor- kommende Art der Dänen irritierte ihn und die Stadt gefiel ihm gar nicht. Das Diner am Hofe wurde für ihn zur gesellschaftlichen Feuerprobe. Friedrich Hebbel kam sich vor, wie ein Fremdkörper in einem reibungslos spulenden Getriebe. Er verließ den Abend mit der Befürchtung, wegen seines unbeholfenen Benehmens ein Opfer des Stadtklatsches zu werden. Aber darin irrte er sich; alles war gutgegangen. Der König lud ihn am 13. Dezember zu einer Audienz ein. Es entstand ein reges Gespräch über Hebbels Werke, von denen er schon einige gelesen hatte. Schon bald trug Hebbel sein Anliegen vor, nämlich den Lehrstuhl für Ästhetik und Literatur in Kiel zu besetzen, obwohl er keinerlei Examen besaß. Er verließ den König jedoch, ohne irgendeine Entscheidung seitens der Majestät. Er wußte immer noch nicht, wie es weitergehen sollte. Hilfe kam von einer unerwarteten Seite, von Adam Oehlenschläger, einem sehr großzügigem und gastfreundlichem dreiundsechzigjährigem Künstler; die beiden Dichter schlossen sehr schnell Freundschaft. Über ihn schrieb er in seinem Tagebuch: Er ist der herrlichste Mensch, den ich kennengelernt habe, und ich weißnicht, ob ich ihn mehr liebens- oder verehrungswürdig nennen soll, er ist alles beides. Auf den Dichter Oehlenschläger übertrug er diese Verehrung nicht. Er wußte, daß sie in verschiedenen Lagern standen, obwohl das ihr gutes Verhältnis nicht beeinträchtigte. Die guten Beziehungen des dänischen Dichters zum Hofe brachten das ins Stocken geratene Unternehmen Hebbels wieder in Fluß. In seiner zweiten Audienz beim König gewährte dieser ihm ein Reisestipendium. Doch bis es zu diesem Stipendium kam verbrachte Hebbel die Zeit in tiefe Melancholie verfallen in seiner bescheidenen Logis. Bald schon konnte er das Bett auf Grund seiner Rheumaerkrankung nicht mehr verlassen und ein Arztbesuch wurde nötig. Seinen Geburtstag verbrachte der Dichter in großer Niedergeschlagenheit: Ich trete in mein drittes Dezenium ... wie in eine finstre Marterhöhle ein, die Augen sind mir verbunden, und im Nacken spüre ich einen kalten Luftzug, der vielleicht vom Schwingen des Schwertes kommt, das mich hinrichten soll. Aus dieser Situation heraus begann er seine dritte Tragödie zu schreiben, der er den Namen Maria Magdalena gab.

Am 4. April bewilligte der König ihm ein Reisestipendium von 600 Reichstalern, die Reise nach Kopenhagen hatte sich gelohnt. Zwei Jahre bescheidener finanzieller Sorglosigkeit lagen vor Hebbel. Die Brücke in eine bessere Zukunft war ihm gebaut worden. Wollte er an ihrem Ende sicheren Boden betreten, mußte er diese Chance nutzen. Am 27. April 1843 kehrte er nach Hamburg zurück. Kaum dort angelangt, legte er sich mir der dänischen literarischen Autorität Prof. Johan Ludvig Heiberg an, weil dieser ihm Unfähigkeit in seinen Werken attestiert hatte. Normalerweise hätte Hebbel die Kritik des Berühmten Dichters stillschweigend hinnehmen müssen, doch er drehte den Spieß um und griff seinen Kontrahenten an. Im Streit mit Heiberg behielt Hebbel zu seinen Ungunsten das letzte Wort, denn dem Hof blieb nicht verborgen, was er sich geleistet hatte. Er reagierte auf seine Weise, als der Dichter aus Rom um Geld bat.

11. Zweite Wanderschaft: Paris - Rom - Neapel

Die Hälfte seines Geldes ließ Hebbel bei Frau und Kind und begab sich per Schiff nach Le Havre und von dort aus per Dampfwagen weiter in den Pariser Vorort Saint - Germain - en - Laye. Dort gefiehl es ihm jedoch nicht, weil er zu weit vom Zentrum entfernt wohnte. Deshalb zog er schon sehr bald ins Zentrum von Paris. Er war sehr begeistert von der Stadt: Paris wird immer der Mittelpunkt aller meiner Wünsche bleiben. Besonders begeistert war er vom Louvre , dem Musée du Luxembourg und den grandiosen Anlagen des Versailler Schlosses. Mit dieser neuen Welt machte ihn Felix Bamberg bekannt, preußischer Konsul in Paris. Mit ihm diskutierte der Dichter oft die Philosophie Hegels. Bamberg gab der Hebbel - Forschung den entscheidenden Anstoß, indem er ein Essay über den Künstler schrieb; ebenso schrieb er auch Einzelkritiken über die Werke Hebbels: Später folgte auch noch Friedrich Hebbels Briefwechsel mit Freunden und berühmten Zeitgenossen. Mit wechselnder Intensität setzte sich die Bekanntschaft bis zu Hebbels Tod fort. Wenig später lernte er Arnold Ruge kennen, mit dem er häufig über ihre gegensätzlichen Auffassungen in vielen Bereichen diskutierte. Für ihn war die Welt der revolutionären Literatur erledigt. Seine Aversion gegen den Kommunismus verschärfte sich noch; trotzdem blieb er mit Ruge befreundet. Während der französischen Februar - Revolution schien ihm die größte Gefahr aus einer Ecke zu kommen: Mögen nur die Fratzen des Kommunismus in Paris darnieder gehalten werden!

Wahnsinnig möchte ich die Geschichte nicht gern sehen.

Bamberg machte Hebbel auch mit Heinrich Heine bekannt. Beim ersten Treffen unterhielten sie sich lange und Heine zitierte Hebbels Verse und sie diskutierten über den gemeinsamen Verleger Campe, über den sie beide klagten. Der Lyriker Heine bewunderte Judith sehr. Die Herzlichkeit zwischen den beiden nahm von Besuch zu Besuch ab und Hebbels Begeisterung wich allmählich die Kritik: Heine werde alt und von ihm sei nichts mehr zu erwarten. In Paris bekam er auch seine Promotion von der Universität Erlangen, indem er eine Abhandlung über sein Buch Maria Magdalena schrieb. Schon früher hatte er sich oft als Dr. phil. ausgegeben; das Diplom zur Promotion konnte er jedoch erst im Jahre 1846 in Wien einlösen, da ihm während seiner Zeit in Paris das Geld dafür fehlte. Auch in Paris verfolgte Hebbel die Einsamkeit: Er klagte, daß es keine deutschen Bücher gebe, daß er wenig Bekannte habe und wieder ganze Wochen allein verbringe. Elise Lensing konnte dem Freund nicht helfen, sie brauchte selbst Trost: ihr Kind starb am 2. Oktober an Hirnhautentzündung, sie verlor den Mittelpunkt ihres Lebens. Der Dichter erfuhr vom Tod seines Sohnes erst nach drei Wochen; er war am gleichen Tag wie sein nie vergessener Freund Rousseau gestorben. Ihren Schmerz zu lindern, schrieb Hebbel das Terzinen - Gedicht Das abgeschiedene Kind an seine Mutter. Er faßte den Plan nach Hamburg zurück und von dort mit der Freundin nach Berln zu gehen. Er bot ihr die Ehe an, sobald sie sich wiedersehen würden, und schlug ihr vor, zu ihm nach Paris zu kommen. Doch während ihrer Reisevorbereitungen kam die Absage: Hebbel hatte alles durchgerechnet und war zu dem Entschluß gekommen, daß die Reise aus finanziellen Gründen nicht möglich war. Elise war sehr traurig und auch die Tatsache, daß sie zum zweiten Male schwanger war, konnte sie nicht trösten; ihr zweiter Sohn Ernst wurde im Mai 1844 geboren.

Die Briefe zwischen den beiden wurden immer seltener und es begann der Bruch. In sein Tagebuch schrieb er: ich trenne mich mehr und mehr von meiner allerdings finsteren Vergangenheit los, ichüberzeuge mich mehr und mehr von dem hohen und einzigen Wert des Lebens und von der Kraft des Menschen, seine Befriedigung darin zu finden, und Sie wissen, wenn die Wunden geheilt sind, so rühmt man sich der Narben, leugnet aber freilich dabei, daßman sich im Schmerz jemals ungeduldig gebärdet hat ...

In Paris vollendete Hebbel seine dritte Tragödie. Der Stoff: die Welt der eigenen Kindheit, die Erlebnisse in München mit Beppi Schwarz, die Mutterschaft der Freundin in Hamburg, lebte Jahre in ihm, bis er unerwartet in ihm in Kopenhagen hervortrat. Den ersten Akt hatte er im Sommer 1843 in Hamburg geschrieben, erst im Oktober wurde der zweite Aufzug in Paris fertig. Am 4. Dezember 1843 schloß er sein viertes Drama ab: Maria Magdalena. Ein bürgerliches Trauerspiel. Das Vorwort zu diesem Stück sollte ein Manifest im eigentlichsten Verstande und nebenbei eine Kriegserklärung sein. Hebbel dichtete, was Hegel dachte, und Fichte und Schelling standen dabei Pate. Zweifellos übernahm Friedrich Hebbel Theorien und Gedanken der zeitgenössischen Theorien und Gedanken der zeitgenössischen Philosophie. Er wandte sich mit Recht gegen den Vorwurf, als dichtender Denker in Hegels Fußstapfen abgebucht zu werden. Mit seiner Vorrede beabsichtigte er das Gegenteil von dem, was eintrat. Er wollte sein Drama gegen das Zeitgenössische abgrenzen, vornehmlich gegen das bürgerliche Trauerspiel, das seiner Meinung nach in Mißkredit geraten war, weil es nicht aus den ihm eigenen spezifischen Momenten gestaltet, sondern beispielsweise aus dem Konflikt verschiedener Stände hergeleitet wurde. Die Kritik stimmte dem positiven Urteil des Dichters nicht einhellig zu. Sie spaltete sich in zwei Lager. Die Befürworter meinten Maria Magdalena habe dem Trauerspiel einen neuen Hauch gegeben, die Gegner lehnten es jedoch wegen der zutiefst erschütternden Traurigkeit ab. Fr. Th. Fischer schrieb in seiner Kritik: "Als der Vorhang zum letztenmal gefallen war, herrschte in dem kleinen Zuschauerkreis helle Verzweiflung. Wir gingen von dannen wie von einer Hinrichtung."

Während der Uraufführung am 13. März 1846 in Königsberg, hielt sich Hebbel längst nicht mehr in Paris auf. Die Hauptstadt der Welt hatte der Dichter schon am 26. September 1844 in Richtung Rom verlassen. Die Überfahrt von Marseilles aus war ein sehr schönes Erlebnis für ihn. Rom beeindruckte ihn nicht so tief wie Paris: Paris ist ein Ozean, Rom das Bett eines Ozeans. In Paris kann man mitschwimmen, in Rom mußman untersuchen, wie andere vor Jahrtausenden geschwommen haben. Er bemängelte das Klima und die hohe Kriminalität. Die Zeremonien der katholischen Kirche stießen den Norddeutschen ab. Er schloß schon bald nach seiner Ankunft Bekanntschaft mit zahlreichen anderen deutschen Künstlern. Unter diesen waren Peter von Cornelius, Karl Rahl, der viele Bildnisse von Hebbel anfertigte, und Ludwig Gurlitt, ein Landschaftsmaler aus Altona, der sich mit Hebbel anfreundete. Er lieh ihm manchen Taler, so daß der Mittellose tief in seiner Schuld stand, als er Rom verließ. Erst 1848 konnte er das Geld zurückzahlen. Am glücklichsten in Rom war Hebbel am Weihnachtsabend: Ein himmlisches Wetter, wovon man im Norden keine Vorstellung hat ... Wir genossen, mit Weinlaub bekränzt, ein einfaches Mahl, Toaste wurden ausgebracht, sogar einer auf mich, und alles war glücklich. Ich hätte weinen können...

Während seines Aufenthalt wuchs sein Ruhm stetig. Im Sommer besuchte Hebbel Neapel und verlebte in der Villa Reale fröhliche Abende:

Unter duftigen Bäumen, vom Hauch des Abends durchsäuselt, Sammelt von reizenden Frau ´ n still sich ein glänzender Flor; Leise ergießt sich der Strom melodischer Klänge und schaukelt

Zwischen Wonne und Weh jedes empfängliche Herz;

Aber die Wogen des Meeres, am nahen Gestade sich brechend Und vom Winde gewellt, donnern verhalten darein, An die gewalt ´ gen Akkorde der rollenden Sphären uns mahnend, Welche für ´ s menschliche Ohr sanft zur Musik sich gedämpft.

Während dieser Zeit in Neapel fühlte er sich das erste Mal frei und nahm bereitwillig an dem fröhlichen Leben teil. Dem Geld gegenüber wurde er gleichgültiger und das ewige sparen langweilte ihn jetzt. Vor Hamburg und Elise Lensing grauste ihm wie vor dem Grab. Er versprach ihr, für sie und das Kind alles tun zu wollen, was ihm möglich wäre, sagte ihr aber unumwunden, daß er nicht nach Hamburg zurückkehren würde. Zu ihrer Beziehung schrieb er in sein Tagebuch: Schüttle alles ab, was Dich in Deiner Entwicklung hemmt, und wenn ´ s auch ein Mensch wäre, der Dich liebt, denn was Dich vernichtet, kann keinen anderen fördern. In Rom arbeitete er an der Tragödie Moloch, die Arbeit kam jedoch nicht wesentlich voran. Das Drama sollte die Pietät als die Wurzel der Welt veranschaulichen. Der Dichter meinte, er müsse sein ganzes Leben daran verwenden, da er es als sein Hauptwerk ansah. Er tat es, dennoch blieb der Moloch Fragment. Ebenso schrieb er während der Zeit in Italien etwa 100 Gedichte.

Am 29. Oktober 1845 verließ Friedrich Hebbel Rom; seine finanzielle Situation zwang ihn zur Rückreise. Er wollte versuchen in Wien eine Existenz aufzubauen.

12. Das Wunder von Wien

Das Glück begegnete dem Dichter auf der Straße; ein Wunder veränderte sein Leben. Als Hebbel am 4. November 1845 in Wien ankam, stand er am Abgrund seines Lebens. E war hierher gekommen um eine Existenz aufzubauen. Sonst würde er gleich weitergehen, nach Berlin um auch dort einen letzten Versuch zu machen; wohin ich mich aber von dort wenden soll, weißich nicht. Er glaubte, daß sein Untergang beschlossen sei, wenn sich nicht wider alles Vermuten hier das Unglaubliche ereignen sollte. Er konnte sein Zimmer nicht heizen, weil ihm das Geld fehlte; Kleider benötigte er so dringend wie Brot.

Einen Monat nach seiner Ankunft will Hebbel bereits wieder abreisen. Sein Zimmer hat er schon gekündigt. Als er sich gerade ein Ticket für den Zug nach Prag kaufen möchte, spricht ihn ein polnischer Herr an, der ihm erklärt, es seien ein paar Barone aus Galizien hier, die sehnlichst wünschte, meine Bekanntschaft zu machen. Die Edelleute Julius und Wilhelm Zerboni di Sosetti empfangen den Dichter : Dann gab ´ s eine wilde Nacht, kostbares Essen, Fasane und Rebhühner, Champagner, Toaste, auf den Knien vor mir ausgebracht, und ... fortwährendes leidenschaftliches Rezitieren und Interpretieren der Judith und der Genoveva. Auch die Nacht mußte ich dableiben ... und ich schlief unter damastenen Decken mit goldenen Fransen. Mir war, als ob mir ein Märchen passierte. Wenige Tage später besucht Hebbel die berühmte Schauspielerin Christine Enghaus, die ihn wegen seiner mißlichen finanziellen Lage bemitleidet. Beim nächsten Besuch bei den Edelherren bekam er neue Kleidung geschenkt: Als armer Poet hatte ich mich niedergelegt, als Modekupfer stand ich wieder auf. Von nun an hatte er auch sehr teures Zimmer in einem Nobelhotel; alles wurde ihm von den Gebrüdern Zerboni bezahlt.

Das Unglaubliche hatte sich ereignet. Durch eine Kette der wunderbarsten Zufälle blieb Friedrich Hebbel in Wien. Er schöpfte wieder Hoffnung: ... ich möchte fast glauben, daßmein Leben jetzt eine bessere Wendung nehmen wird, wenn ich auchüber das Wie nichts zu vermuten wage. Warum? Weil ich weiß, daßes geschehen muß, wenn ich nicht zugrunde gehen soll ... Und ich bin hier in Wien doch wirklich durch ein Wunder festgehalten worden. Dieses Wunder entschied für mein ganzes Leben.

13. Die Wende

Das Wunder von Wien änderte alles: Die Journale nahmen Notiz von Hebbel, er machte zahlreiche Bekanntschaften, und die Jugend feierte ihn als den "König der Literatur". Für andere Schriftsteller war es eine Ehre, mit ihm zusammenzutreffen. Der Wiener Wirbel riß den Dichter hin; nutzen konnte er ihn jedoch wenig. Die Ehre machte ihn nicht satt. Deshalb dachte Hebbel an eine Weiterreise, die die enthusiastischen Grafen Zerboni hinauszögerten. Die Beziehung zwischen Hebbel und Christine Enghaus wurde immer enger; bei seinem vierten Besuch verlobten sie sich: ich liebe sie, wie ich noch nie geliebt habe und werde ebenso von ihr geliebt. Ein Tag bringt mir jetzt mehr Glück als ehemals ein ganzes Jahr. Sie ist lebenslänglich mit 5000 Gulden beim Hoftheater engagiert, ihre Stellung erlaubt uns daher, uns zu heiraten. Am 26. Mai 1846 fand die Hochzeit statt.

Ich tat es sicher aus Liebe, aber ich hätte dieser Liebe Herr zu werden gesucht und meine Reise fortgesetzt, wenn nicht der Druck des Lebens so schwerüber mir geworden wäre, daßich in der Neigung, die dies edle Mädchen mir zuwendete, meine einzige Rettung sehen mußte. Trotz diesen Beweggründen wurde es eine glückliche Ehe. Die Schauspielerin brachte einen unehelichen Sohn in die Ehe. Christine Enghaus durfte sich eine der bedeutendsten tragischen Schauspielerinnen der Zeit nennen.

Aus Hamburg kamen empörte Reaktionen auf die Ehe. Amalie Schoppe, seine Gönnerin, schrieb: "Sie opferte ihm ... ihr ganzes kleines Vermögen, und nun er damit fertig ist, verläßt er sie und sein Kind! Sein Geist ist groß, aber sein Charakter ist so elend als möglich." Doch Hebbel war Elise Lensing immer sehr dankbar; am 8. März 1840 hatte er in seinem Tagebuch vermerkt: Sie ist die letzte, die mir die Welt erträglich macht. Doch die Freundschaft, die der Dichter als die würdigste und dauerndste gepriesen hatte, endete in gehässigem Streit. Als sein zweiter Sohn Ernst erkrankte, riet er der Mutter die Briefe zu lesen, die er aus Paris während der Erkrankung des ersten Kindes geschrieben hatte. Ernst starb am 12. Mai 1847, sein Vater hatte ihn nie gesehen. Als die Todesbotschaft eintraf, regte Christine Enghaus an, daß Elise zu ihnen nach Wien kommen solle. Am 29. Mai traf Elise in Wien ein und blieb ein Jahr; nach Hamburg nahm sie auch ihren Stiefsohn Karl mit. Ihr früherer Freund behandelte sie wie eine Fremde. In Hamburg zurück erhielt sie nur den Unterhalt für ihren Stiefsohn; nie verfügte sie über mehr als das Nötigste. Die beiden Frauen hielten Kontakt. Sie hatten sich in Wien angefreundet und schrieben einander. Im Juli 1853 besuchte Christine Hebbel ihren Sohn Karl und seine Ziehmutter in Hamburg. Später kam auch der Dichter nach und wohnte unter dem Dach der ehemaligen Freundin. Am 18. November 1854 starb Elise Lensing an einem Lungenleiden. Sie wurde in einem Armengrab begraben; Christine Hebbel ließ sie 1899 umbetten. Friedrich Hebbels Glück trübte der Tod nicht.

Im Dezember 1846 wurde Hebbel Vater; das Kind starb aber schon nach zwei Monaten. Ein Jahr später, am 25. Dezember 1847, gebar Christine Hebbel ein Mädchen, daß Elisabeth Adolphine getauft, jedoch von ihren Eltern nur Titile genannt wurde. Friedrich Hebbel lebte in glücklicher Zufriedenheit; auf Reisen sehnte er sich am ersten Tage zu seiner Familie zurück. Die Veränderungen seines Lebens werden in seinem Tagebuch deutlich: Am 31. Dezember 1848 notierte er: Möge mir bleiben, was ich habe, mehr will ich vom neuen Jahr gar nicht fordern. 1850: Wenn ich nur behalte, was ich habe, so will ich unendlich zufrieden sein. 1851: Mein Kind gedeiht ... Möge in meinem Hause alles bleiben, wie es ist! Dieser Wunsch wiederholte sich auch in den nächsten Jahren, 1856 fügte Hebbel hinzu:

Götter,öffnet die Hände nicht mehr, ich würde erschrecken,

Denn Ihr gabt mir genug: hebt sie nur schirmend empor!

Dabei lebte der Dichter nicht im Überfluß; das Geld reichte aus, aber reichlich war es nicht. Jeden kleinsten Betrag trug er in exakt geführte Haushaltsbücher ein. Die Krönung seines bescheidenen Wohlstands bedeutete ein kleines Haus in Gmunden am Traunsee, das er sich 1855 kaufte. Er war sehr stolz auf diesen Besitz. Schon bald merkte Friedrich Hebbel, daß erst die Ehe den Menschen zum ganzen Menschen macht.

Schon bald schrieb er zwei Stücke, die nicht in die Welt seines Glückes passen, sondern als Zeugen seiner finsteren Vergangenheit in sie hineinragen. Im September 1846 begann Hebbel das Trauerspiel in Sizilien, im Januar des nächsten Jahres vollendete er es bereits. Es bewegte sich, um es nur gerade heraus zu sagen, in der Sphäre des Abscheulichen. Den Stoff erzählte ihm ein sizilianischer Kaufmann während seines Aufenthaltes in Neapel; in Wien arbeitete er die Geschichte aus. Er siedelte sein Werk in der Mitte zwischen Tragödie und Komödie an. Später bezeichnete er es, auf Anregung Bambergs hin, als eine Tragikomödie.

Heinrich Theodor Rötscher kam aus der Gedankenwelt Hegels und war einer der führenden Dramaturgen und Ästhetiker der Zeit. Er forderte Hebbel auf, sich an seinen "Jahrbüchern für dramatische Kunst und Literatur" zu beteiligen. Beide tauschten ihre Gedanken in Briefen aus, deren Gegenstand vor allem Hebbels Dramen waren. Doch die Bekanntschaft endete anders als sie begann. Der Dichter widmete dem Kritiker ein Epigramm:

Ein philosophischer Analytiker der Kunst

Fangt ihm den Adler , er wird ihn zerlegen, wie keiner, doch leider Sieht er den hölzernen oft den lebendigen an.

Das Drama wurde von den Kritikern abgelehnt und erst 1907 uraufgeführt. Ähnlich erging es ihm auch mit seinem nächsten Stück. Am 23. Oktober vollendete er seine Julia; das Stück stellt einen Menschen dar, der außerhalb der Gesellschaft geboren wird. Hebbel nannte das Stück einen zweiten Teil der Maria Magdalena. Mit beiden wollte er seiner Gegenwart einen Spiegel vorhalten, die wankende Gesellschaft in ihrem s üß en Traum ewiger Dauer stören und sie auf die ihr drohende Gefahr aufmerksam machen. Friedrich Hebbel war der Überzeugung, daß mit diesem Stück eine Entwicklungsphase abgeschlossen werde.

Die Dramen der zweiten Periode walten in einer ganz anderen Region. Dieser Abschnitt beginnt mit Herodes und Marianne und reicht bis zu Hebbels Tod. Der Umschwung im Schaffen geht zurück auf das Erlebnis der Ehe und hat seinen Grund im familiären Glück des Dichters. Den dramatischen Unterschied definiert er selber: Den hierher gehörigen Werken wird niemand die Versöhnung absprechen können. Hebbel war alles andere als ein systematisch - analytischer Denker. Seine Gedanken - das beweist das Tagebuch zur Genüge - schossen wie Blitze aus ihm hervor und wurden nicht zu einem System geordnet. Bis zu seiner Hochzeit vertrat er die Meinung, daß es keine Versöhnung gebe, doch ab 1846 leugnete er sie nicht mehr.

Hebbel war der Überzeugung, daßdie Welt einmal eine Form erlangen wird, die dem entspricht, was die edelsten des Geschlechts denken und fühlen; das zeigt auch dieses Gedicht:

Der Mensch und die Geschichte

Die Weltgeschichte sucht aus spröden Stoffen Ein reines Bild der Menschheit zu gestalten...

Die endliche Vollendung ist zu hoffen, Denn diese Künstlerin wird nie erkalten,

Auch sehen wir, wenn sich die Nebel spalten, Schon manchen Zug des Bildes tief getroffen.

Der Gedanke an die Zukunft bestimmte auch Friedrich Hebbels Verhältnis zur Geschichte. Fast ausschließlich wählte er für seine späten Dramen historische Stoffe. Sein Interesse war so lebhaft, daß er sich aus zahlreichen historischen Büchern Auszüge machte. Er schrieb selber zwei historische Arbeiten, keine fundierten Werke, sondern des Honorars wegen. Doch eine tiefe Skepsis gegenüber der Geschichte blieb ihm zeitlebens inne. Er befürchtete, die Vergangenheit könne die Gegenwart überwältigen und den Weg in die Zukunft versperren. Die Geschichte formte sich in allen großen Krisen zur Tragödie. Die Konsequenz für Hebbel war, daß er alle seine Werke in Umbruchszeiten spielen ließ. In einem solchen Augenblick war die Geschichte offen, lag die Zukunft beeinflußbar und gestaltungsfähig vor ihm - genau wie in seiner Gegenwart: Friedrich Hebbel war überzeugt, selbst in einer Epoche des Übergangs zu leben.

Im Grunde verfolgte Hebbel auch nach 1846, was er in den früheren Jahren als sein Programm formuliert hatte: seiner Zeit den Spiegel vorhalten und am Bau einer neuen Welt mitarbeiten. Das Ziel blieb dasselbe, die Mittel änderten sich. Er sah nicht mehr die Aufgabe darin, die zerrissene Welt auf negativem Grund abzuzeichnen, um die Übel zu beseitigen, indem er sie sichtbar machte.

Friedrich Hebbels späte Dramen wurden im ganzen zwar etwas freundlicher aufgenommen als die frühen, der Erfolg auf dem Theater blieb dem Dichter aber auch mit diesen Werken - abgesehen von den Uraufführungen der Agnes Bernauer und der Niebelungen - versagt. Seine

Botschaft verhallte ungehört . Hebbel wollte die Welt mit einem neuen Dach versehen. Doch die Welt wies es zurück. Darüber machte er sich keine Illusionen:

Selbstkritik meiner Dramen

Zu moralisch sind sie! Für ihre sittliche Strenge Steh ´ n wir dem Paradies leider schon lange zu fern, Und dem jüngsten Gericht mit seinen verzehrenden Flammen Noch nicht lange genug. Reuig bekenn ´ ich euch dies.

14. 1848 - Herodes und Mariamne - Der Rubin - Michel Angelo

Im März 1848 kam für Hebbel die Bewährung; Jetzt konnte er den Umbruch durch die Revolution mit Händen greifen. Er nahm von Anfang an regen Anteil am Geschehen. Hebbel sah in der Revolution ein Gewitter, das alle schädlichen Auswüchse hinwegspülen und die Atmosphäre reinigen werde. Er betätigte sich jetzt auch vermehrt als politischer Journalist. Zuerst beobachtete er nur das Geschehen und schwamm im Strom. Über diese Zeit schrieb er später nur das Staatsdrama Agnes Bernbauer. Ansonsten schrieb er von März bis Dezember 1848 27 Artikel über das revolutionäre Geschehen in Wien für die "Augsburger Allgemeine Zeitung". Da es in Wien kein unabhängiges kritisches Blatt gab, spielte er mit dem Gedanken, selbst eines unter dem Titel "Die Reform" herauszugeben.

Bei den Wahlen zum Österreichischen Reichstag und zur Nationalversammlung in Frankfurt stand Friedrich Hebbel in der vordersten Front; da er jedoch in Wien ein Ausländer war, konnte er sich nicht für den Reichstag aufstellen lassen. Als Kaiser Ferdinand I. in den Bergen Innsbrucks Zuflucht suchte, beschloß der Schriftsteller- verein in Wien, daß dies nicht gut für die Monarchie sei. Man beschloß eine Deputation nach Innsbruck zu schicke, die in Liebe und Treue mit der Bitte, daßunser gütigster Kaiser nach Wien zurückkehre, dem Monarchen die Sorgen seiner Untertanen vortragen sollte. Hebbel wurde als Gesandter ausgewählt, er kehrte jedoch am 7. Juni erfolglos von seiner Mission zurück; der Kaiser hatte Angst vorm Volk. Hebbel war für die großdeutsche Lösung mit einer konstitutionellen Monarchie. Die Radikalität der Presse lehnte er ab. Er sah den Grund für das Scheitern der Revolution in den zu hoch gesteckten Zielen. Den beiden wichtigsten Erfolgen, dem Pressegesetz und der Verfassung, stimmte Hebbel nur bedingt zu; sie seien zu reaktionär. Hebbel verfolgte keine klare parteipolitische Linie. Das war auch der Grund dafür, daß ihn sowohl die Radikalen als auch die Konservativen ihn in ihren Reihen wähnten. Von Anfang an war er dabei, weil er das Politische als einen Bereich des Humanen betrachtete. Kein Parteiprogramm deckte sich mit seinen Vorstellungen: Ich stand eigentlich allein.

Schon während der Revolution teilte Hebbel seine Aufmerksamkeit zwischen ihr und seinem eigentlichen Beruf. Als Vorlage für sein Buch Herodes und Mariamne dienten die Werke des jüdischen Historikers Flavius Josephus (1. Jhd. n. Chr.). Der Stoff schreckte ihn anfangs zurück, doch beim näheren Hinsehen entdeckte er unglaubliche Dinge: das Verhalten Herodes und seiner Frau in den Geschichtsbüchern inspirierte ihn. Bei Hebbel ist Herodes der

... Mann der Fabel, den der Löwe vorn,

Der Tiger hinten packte, dem die Geier

Mit Schnäbeln und Klau´n von oben drohten,

Und der auf einem Schlangenklumpen stand (Vers 255 f).

In diesem Stück wird auch die Einstellung Hebbels zum Christentum deutlich. 1837 schrieb er über dieses Thema: Ich hasse und verabscheue das Christentum.

1862 schrieb er dann: Das Christentum ist mir, was es war, eine Mythologie neben anderen, und wie ich jetzt, nach abermaliger jahrelanger Beschäftigung mit den Akten, leider hinzufügen muß, nicht einmal die tiefste. Nur eines ließ er gelten : den sittlichen Kern. Mit seiner Frau in der Hauptrolle ging Herodes und Marianne am 19. April 1849 in Szene. Es war ein Mißerfolg; die Aufführung wurde nur noch ein zweites Mal wiederholt. Als nächste Aufgebe nahm Hebbel die Umarbeitung des Märchenlustspiels Der Rubin in Angriff. Nach der Uraufführung am 21. November 1849 schrieb er in einer Selbstkritik: Der Rubin ist nicht günstig, sondern mit entschiedener Kälte vom Publikum aufgenommen worden. Da Hebbel von der Qualität seines Lustspiels überzeugt war, konnte der Mißerfolg nur eine Ursache haben: Er lag in dem Verhältnis, worin es zum Publikum und zu den Begriffen des Publikums von der Märchen- und Lustspieldichtung steht. Das wollte sagen: Die Leute haben mein Stück nicht verstanden. Die Kritiker sahen in Der Rubin ein verunglücktes Werk. Die "Presse" druckte eines der boshaftesten Gedichte über Hebbel, das je erschien; es machte die Runde durch mehrere Journale:

Gott Hebbel an das dumme Publikum (Nach der Aufführung seines Rubins)

Wer spricht noch von Schiller und Goethe? Die hat noch der Alte bestellt; Ich schaffe, indem ich sie töte, Mich selber und meine Welt.

Ich schaffe mein eigenes Theater, Mein eigenes Publikum; Das jetzige glaubt an Gott Vater, Und ist für mich viel zu dumm.

Derartige Angriffe ließen den Dichter nicht unberührt. Mit seinem Drama Michel Angelo (1850) habe er sich so manches vom Halse geschafft, was mich quälte und was ich jetzt los bin. Häufig betonte er den ethnischen Kern des Dramas: Es predigt, was unserer zerfahrenen, sich selbst zerfressenden Zeit am meisten Not tut: Pietät und tiefste Demut. Die Arbeit besänftigte und beschwichtigte den Dichte; mit seinem Publikum versöhnte sie ihn nicht. Michel Angelo wurde erst im April 1861 mehrere Male aufgeführt und verschwand dann fast völlig aus dem Repertoire.

15. Freunde und Feinde - Agnes Bernauer

Die Animositäten gegen Hebbel nahmen immer mehr zu, was aber auch seine eigene Schuld war, da er auf Kosten der Wahrheit keine Freunde haben mochte. Der Dichter fühlte sich bald isoliert und klagte, daß er keinen Einfluß auf die Literatur und das Theater ausüben könne. In seinen Kollegen sah er keine Weggenossen, sondern, die dasselbe Ziel angingen, sondern Gegner, die ihn immer Steine in den Weg legen wollen. Auch mit Franz Grillparzer hatte er kein gutes Verhältnis mehr. Dieser sagte über Hebbel diese bekannten Worte: "Herr Alfred Becher und Friedrich Hebbel,/ Sie tappen beid´ im ästhetischen Nebbel..." Nach diesen bösen Zeilen konnte es keinen Kontakt mehr zwischen den beiden geben. Die Revolution half Hebbel: Seine Dramen fanden plötzlich Publikum, er war ein Kassenschlager in Wien. Doch durch einen neuen Theaterleiter namens Laube auf der Burg in Wien war ihm der Aufstieg in Sachen Theater verwehrt: der neue Mann ordnete die literarischen Qualitäten unter die persönliche Abneigung. Laube speiste auch Christine Hebbel oft nur mit Nebenrollen ab. Im Frühjahr 1861 erreichte der Konflikt seinen Höhepunkt. Er drohte der Künstlerin die Pensionierung an. Da legte Hebbel seine seit zehn Jahren eingehaltene M äß igung ab und verfaßte ein Memorial, in dem er sich aufs Schärfste gegen die methodischen Herabsetzungen seiner Frau , die sie in letzter Konsequenz moralisch vernichten m üß te, verwahrte. Bei diesem Verhältnis konnte es nicht verwundern, daß Hebbel immer wieder erwog, Wien zu verlassen. In Wien lernte Friedrich Hebbel auch Emil Kuh kennen. Kuh war fünfzehn Jahre jünger als er, hatte Geschichte und Philosophie studiert, und gehörte zu einem Kreis von Schülern, die Hebbel um sich versammelte. Er wurde Hebbels Vertrauter, mit dem er 1858 nach Krakau reiste . Kuh schrieb die erste Biographie von Hebbel und außerdem editierte er eine Ausgabe von dessen Werken in zwölf Bänden. Doch kündigte Kuh die Freundschaft auf; Hebbel sah sich dadurch sehr verletzt und bezeichnete ihn als niederträchtigen Verräter. Hebbel hatte in Wien noch einige andere Freundschaften. Diese wurden jedoch meistens schon sehr schnell im Streit aufgelöst. Sein Freundeskreis bestand zum Beispiel aus Franz Dingelstedt, Sigmund Engländer, Friedrich Uechtritz, Arthur Schopenhauer, Eduard Mörike, Karl Gutzkow und noch vielen anderen. Sein größter Feind hieß Julian Schmidt. Dieser brachte die Zeitschrift "Grenzboten" heraus, in dem regelmäßig Hebbels Werke aufs Schärfste kritisiert wurden. Mit seinem neuen Drama Agnes Bernauer hoffte der Dichter seine ehrlichen Gegner zu versöhnen. Dieses Stück sollte zeigen, daßdas Individuum, wie herrlich und groß, wie edel und schön es immer sei, sich der Gesellschaft unter allen Umständen beugen muß, weil in dieser und ihrem notwendigen formalen Ausdruck, dem Staat, die ganze Menschheit lebt, in jenem aber nur eine einzelne Seite derselben zur Entfaltung gelangt. Das ist eine ernste, bittere Lehre, für die ich von dem hohlen Demokratismus unserer Zeit keinen besonderen Dank erwarte. Am 22. September 1851 begann der Dichter sein Drama. Er verband den alten Plan, ein politisches Stück zu schreiben, mit dem Thema der absoluten Schönheit und dem Leben der Baderstochter von Augsburg. Auch die Agnes Bernauer endet mit dem Ausblick auf die Zukunft, die allein zur Hoffnung berechtigt.

16. Ein Mann der alten Schule - Gyges und sein Ring - Mutter und Kind

Hebbels Auffassung vom Staat stieß im nachrevolutionären Österreich und in Deutschland auf Ablehnung. Dennoch sah er keinen Grund, seine Position aufzugeben. Auch in den Jahren 1848 bis 1863 blieb das Interesse an den Geschehnissen seiner Zeit ein wesentlicher Teil seines Schaffens. Seine parteipolitisch unabhängige Stellung zwischen den Fronten behauptete er und nannte sich selber einen Mann der alten, nicht der neuen Schule. Auch sein Programm veränderte sich nicht: Die sittliche Welt sollen wir alle gemeinsam bauen, darum erging an uns alle mit gleicher Eindringlichkeit der gleiche Ruf. Niemals war ihm die Beziehung des Einzelnen zum Staat oder zum Ganzen so bewußt geworden wie durch Agnes Bernauer. Hebbels Meinung nach wurde die Geschichte nur durch bedeutende Könige oder Kaiser vorangetrieben - er befürwortete die Monarchie. Der mißlungene Mordanschlag auf den Kaiser Franz Joseph I. am 18. Februar 1853 traf ihn schwer: ... die Majestät ... hat ihre Unnahbarkeit nicht verleugnet, aber der bloße Versuch ist ... furchtbarer, wie jede andere Missetat. Denn gerade der Kaiser hatte Hebbels Meinung nach die epochale Aufgabe, den zukünftigen deutsch - österreichischen Gesamtstaat zu errichten. Die deutsch - österreichische Einheit bedeutete ihm alles. Deutschlands Sicherheit bestand seiner Ansicht nach nur in der Uneinigkeit des übrigen Europas. Der Gesamtstaat sollte nur den Kern eines vereinigten Europas bilden, hinter dem der Dichter in poetischer Verklärung und nicht als realpolitisches Konzept das goldene Zeitalter eines Weltstaats beschwor.

In mystischer Vergangenheit fand Hebbel den Stoff für seine nächste Tragödie: er fand ihn in der Fabel Gyges und Rhodope in einem Lexikon. Er begann das Werk Gyges und sein Ring am 14. Dezember 1853 und beendete es erst am 14. November 1854. Als Vorlagen dienten ihm vor allem Herodot, Platon und die indischen Sagen von Adolf Holtzmann. Er folgte der Handlung der Fabel jedoch kaum, sondern formte die Personen und vor allem das Ende um. Die Familie als Grundelement der Gesellschaft, die Ehe als sittliche Institution, Entsagung und Läuterung der Menschen bilden den Inhalt des Epos Mutter und Kind, das Hebbel zum großen Teil beim Veilchenpflücken im Prater dichtete und zwei Tage nach seinem Geburtstag 1857 abschloß. Er nannte das Stück, das nach seinem eigenem Urteil sein soziales Glaubensbekenntnis enthält, das humanste aller deutschen Gedichte. Die Kritiker nahmen Mutter und Kind sehr freundlich auf.

17. Weimar - Die Nibelungen - Demetrius

Drei Jahre lagen zwischen dem Gyges und Mutter und Kind, und es dauerte noch einmal drei Jahre, bis Hebbel sein letztes vollendetes Drama abschloß. Die langen Pausen zwischen den einzelnen Werken waren nicht ungewöhnlich für ihn. Er verglich seine dichterische Produktivität mit dem Wechsel von Ebbe und Flut. Wenn ihm kein neues Thema mehr einfiel, mußte er reisen und die Abwechslung suchen.

Obwohl er seine Familie nicht gerne verließ, machte er jedes Jahr eine Reise. So besuchte er zum Beispiel Mailand, Venedig, Dresden, Berlin, Prag und Hamburg. 1854 fuhr er zum ersten Mal zur Kur nach Marienbad, und als er 1855 in Gmunden sein Sommerhaus kaufte, verbrachte die Familie die Theaterferien oft am Traunsee. 1861 führte ihn eine Reise über Paris nach London. Paris wirkte nicht mehr so schön auf den Dichter wie während seines Aufenthaltes dort und London gefiel ihm überhaupt nicht; der krasse Gegensatz zwischen arm und reich erschreckte ihn. Außerdem konnte er den Egoismus der Kaufleute nicht mit ihrem Puritanismus vereinen.

Die Gegnerschaft Laubes in Wien verärgerte ihn dermaßen, daß er beschloß, die Stadt zu verlassen. Weimar schien die besten Aussichten zu bieten, da er dort durch die Bekanntschaft mit der Fürstin Carolyne von Sayn - Wittgenstein, einer Zarentochter, ein sehr hohes Ansehen genoß. Die Tochter der Fürstin-Marie machte auf ihn einen tiefen Eindruck. Ihre Schönheit und ihr künstlerisches Verständnis bezauberten ihn, dem eine solche wunderbare Mischung von Kultur und Natur noch nicht begegnet war. Doch als diese sich 1859 verlobte, brach die Freundschaft ab, weil Hebbel die Bindung, die sie unglücklich machen würde, ablehnte. Auch als Marie später nach Wien übersiedelte, erneuerte sich die Freundschaft nicht. Das Jahr 1861 begann mit einem großen Erfolg. Franz Dingelstdt brachte im Januar die ersten beiden Abteilungen der Nibelungen heraus, im April feierte Michel Angelo Premiere, und am 16. und 18. Mai ging die gesamte Nibelungen - Trilogie mit Christine Hebbel in Szene. Es wurde ein großer Erfolg, der für die Künstlerin und den Dichter den Höhepunkt ihres Wirkens bedeutete.

Den August 1862 verbrachten die Hebbels als Gast des Fürsten auf Schloß Wilhelmsthal. Doch plötzlich zog sich Dingelstedt zurück. Es folgte eine dunkle Intrige, aus der überraschend Karl Gutzkow als neuer Favorit hervorging. Hebbel kündigte Dingelstedt die Freundschaft und gab den Plan auf, nach Weimar überzusiedeln.

An der Nibelungen - Trilogie arbeitete Hebbel fünf Jahre lang. Schon während der Zeit in Wesselburen war ihm der Gedanke gekommen, die Sage zu dramatisieren. Als er in Hamburg dann das Lied von Siegfried und Kriembis hörte, packte ihn das Thema erneut. Doch erst im Oktober 1855 begann er das Werk, das er 1861 vollendete. Als Vorlage diente ihm vor allem das Werk "Der Held des Nordens" von Friedrich Baron de La Motte - Fouqué. Der Dichter veränderte den Stoff beträchtlich. Er ließ aus, was er nicht gebrauchen konnte. Er konzentrierte das Geschehen und verkürzte vor allem die dargestellte Zeit. Die Handlung der ersten beiden Abteilungen im Lied umfaßt zwölf Jahre, im Drama nur wenige Monate. Aber auch in diesem Werk motivierte Hebbel die Personen anders, als die Vorlage es tat. Den Kontakt nach Weimar verdankte Friedrich Hebbel außer der glanzvollen Nibelungen - Inszenierung und der zerstörten Illusion, dort eine neue Heimat finden zu können, noch ein Drittes: den Vorsatz, einen Demetrius zu schreiben. Franz Dingelstedt plante für das Schiller - Jahr 1859 mehrere repräsentative Aufführungen, und der Freund aus Wien war gern bereit, ein neues Drama beizusteuern. Den "Demetrius" seines Vorbilds Schiller kannte Hebbel von Wesselburen her, der Stoff hatte schon den Siebzehnjährigen imponiert. Jetzt gab Schillers 100. Geburtstag ihm einen willkommenen Anlaß, den alten Gedanken zu verwirklichen. Er übernahm die Grundidee, übernahm aber keinen einzigen Vers. Nie zuvor hatte sich der Dichter mit einer Vorlage so eingehend beschäftigt.

Emil Kuh regte im Zusammenhang mit den Recherchen zu diesem Stück eine Reise nach Krakau an; Hebbel griff den Plan begeistert auf und im Sommer 1858 fuhren beide nach Polen, ohne jedoch, was er sehr bedauerte, einen Fuß nach Rußland setzen zu dürfen. Krakau beeindruckte ihn sehr. Gleich nach der Rückkehr aus Polen entstand der erste Akt des Demetrius. Am 31. Juli 1858 hatte Hebbel die Arbeit begonnen, die überraschend schnell fortschritt. Noch im selben Jahr, am 13. Dezember, schloß er den zweiten Aufzug ab. Dann ruhte das Werk. Im Januar 1859 stand er auf der Höhe des dritten Aktes und die letzten zwei sind bei mir immer bloße Tigersprünge, denen ihre Beute gewiß... Auch glaube ich nicht, daßdas Stück mich nun noch wieder losl äß t. Der Dichter irrte sich, denn bis zum Oktober 1863 stockte die Arbeit. Dann begann der poetische Geist sich wieder in ihm zu regen; es entstanden anderthalb Akte des Demetrius, obgleich ich, durch Rheumatismus verhindert, kaum imstande war, sie niederzuschreiben, und wenn es so fort geht, darf ich hoffen, das Stück im Winter unter Dach und Fach zu bringen.

Hebbel irrte sich abermals. Es blieb seine letzte Eintragung im Tagebuch, datiert vom 15. Oktober 1863. Er vollendete im November nur noch den vierten Akt seiner Tragödie. Schon im März hatte er sich mit Seitenstichen, Rückenschmerzen und heftigem Fieber hinlegen müssen. Das alte Leiden, das er Rheumatismus oder Gischt nannte und das er sich wohl in den entbehrungsreichen Jahren in seinem Körper einnistete, befiel ihn wieder. Schon in München, Kopenhagen und Paris hatte ihn das Leiden befallen, doch nach seinen Jahren in Italien schien er geheilt zu sein. 1859 zwang ihn dann ein heftiger Anfall in ärztliche Behandlung. Damals äußerte sich Hebbel, da er nie wieder gesund werden würde ... weil ich wohl leider auf die Wiederkehr des Zustandes rechnen mu ß. Nachdem sich sein Zustand dann gebessert hatte, war ihn ein Rückfall Ende März 1863 erneut nieder.

Heinrich Laube, der alte Widersacher, begegnete dem Kranken eines Tages auf der Straße: "Ich sehe ihn noch ... auf dem Glacis vor dem Schottentore, wie er eilig daherkam in seinem wiegenden, halb fallenden Gange und mit der schwankenden Neigung des Kopfes und der Arme gleichsam ruderte. Ich wußte nichts von seinem Kranksein und wollte nur vorübergehend fragen: "Wie geht´s?" Er aber blieb trotz des Windes stehen und machte mit seinem hellblondem Haupte, mit dem weißroten Angesicht und mit den großen himmelblauen Augen die ihm eigene Einleitung durch Neigen und Wimpernstarren, welche ein schweres Wort anzukündigen pflegte. Das Wort lautete, er werde von Schmerzen geplagt ... Aber seinem Naturell gemäß, welches Mut und Unerschrockenheit grundsätzlich auf den Hut steckte, setzte er hinzu:"Wir werden den widerspenstigen Leib zur Räson bringen." Die Hoffnung auf seine eigene Zukunft trog den Dichter: Am 13. Dezember 1863 starb Friedrich Hebbel.

Quellen: rororo Bildmonographien Friedrich Hebbel Autor: Hayo Matthiesen

Verschiedene Lexika: u. a. Lexirom, dtv "Daten deutscher Dichtung", Brockhaus, Meyers großes Taschenlexikon, ...

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Friedrich Hebbe - Realismusl #
Veranstaltung
LK Deutsch
Note
15 Punkte
Autor
Jahr
1999
Seiten
31
Katalognummer
V95775
ISBN (eBook)
9783638084536
Dateigröße
537 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ausführlich ( über 22! Seiten)
Schlagworte
Friedrich, Hebbe, Realismusl, Deutsch
Arbeit zitieren
Rene Künnen (Autor:in), 1999, Friedrich Hebbe - Realismusl #, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95775

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Friedrich Hebbe  - Realismusl #



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden