Kausalität und Determinismus in Wissenschaft und Alltag


Hausarbeit, 1998

19 Seiten, Note: 11 Punkte


Leseprobe


Inhalt:

Einleitung

1. Kausalität

2. Zufall

3. Epistemischer Determinismus
3.1 Unterscheidung zwischen nomischem und kausalen Determinismus
3.1.1 Kausaler Determinismus
3.1.2 Nomischer Determinismus
3.2 Prädiktiver und postdiktiver Determinismus
3.3 Totaler kausaler Determinismus

4. Ontischer Determinismus

5. Epistemischer Indeterminismus

6. Ontischer Indeterminismus

7. Determinismus und Indeterminismus im Alltag

8. Literatur

Einleitung

Jeden Tag werden wir als Menschen zwangsläufig in Vorgänge und Ereignisse verwickelt, sowohl als Subjekte als auch als Objekte von Handlungsabläufen. Häufig fragen wir uns in solchen Fällen, wenn wir einen Grund oder eine Ursache für eine Begebenheit nicht genau erkennen können: Warum ist das so?. Präziser formuliert würde diese Frage lauten : Auf welcheUrsacheist dieser Vorgang zurückzuführen? Mit dieser alltäglichen und häufig beiläufigen Suche nach Antworten haben wir uns in ein grundlegendes Gedankenmodell der Philosophie begeben, welches besagt, daß nichts in der Welt ohne eine, dem eigentlichen Ereignis unmittelbar vorausgehenden, Ursache geschieht. Diese Theorie nennt man Kausalitätstheorie[1].

Im Zuge einer, bewußt vorausgesetzten, Kausalität ergeben sich für uns Menschen zunächst scheinbar keine neuen Orientierungsmöglichkeiten im Alltag. Wenn wir selbst als Agierende auftreten, versuchen wir ohnehin immer, bewußt oder unbewußt, die Folgen unserer Taten vorauszubestimmen, um Gefahren für uns und andere möglichst zu vermeiden,[2] indem wir vor dem Eintreten der Wirkungen auf selbige, aus der Kenntnis der Ursachen heraus, zu schließen versuchen. Daß diese Art zu Denken nahezu immer von Erfolg gekrönt ist, d.h. es uns in den meisten Fällen gelingt, möglichen Bedrohungen im Alltag auszuweichen, liegt an der Erfahrung, die wir im Laufe unseres bisherigen Lebens gemacht haben, z.B. daß man nicht mit der Hand auf die heiße Herdplatte greifen darf, da dies zu Schmerzen führt und gleichzeitig mit einer Schädigung der Handinnenfläche in Form von Verbrennungen verbunden ist. Nun hat aber nicht jeder als Kind seinen Eltern geglaubt, wenn diese davor warnten, auf den Herd zu greifen und so mußte eben oftmals die (schmerzhafte) Erfahrung an die Stelle des ,,den Eltern glauben" treten, mit dem Ergebnis, daß sich die Tatsache ,,heiße Herdplatte => Schmerzen" in unserem Gehirn unwiderrufbar, im wahrsten Sinne des Wortes, eingebrannt hat. Auch wissen wir aus einer Art ,,beiläufigen"[3] Erkenntnis, daß Gegenstände, auf dem Planeten Erde, nicht frei in der Luft schweben können und daß z.B. ein rohes Hühnerei einen Fall von, sagen wir 1,50 m Höhe auf einen harten Steinboden, nicht überlebt, bzw. die Kalkschale der Wucht des Aufpralls nicht standhalten kann und zerbricht. Die Ursache für dieses Zerbrechen der Eierschale ist in der Erdanziehungskraft zu suchen, die Isaac Newton bereits vor über 300 Jahren mathematisch mit seinem Gravitationsgesetz aufgeschlüsselt und berechenbar gemacht hat. Damit wurde der vorläufige Endpunkt einer Entwicklung in den sich empirisierenden Naturwissenschaften erreicht, die das Zeitalter der Aufklärung entscheidend mit geprägt hatten. Natürlich kreiste z.B. die Erde schon vor der Entdeckung dieses Sachverhaltes um die Sonne und nicht umgekehrt, auch das Gesetz der

Erdanziehung galt schon vor seiner Formulierung durch Newton, schließlich flogen Menschen, Tiere und Gegenstände in früheren Zeiten nicht durch die Luft. Aber diese Gesetzmäßigkeiten waren eben noch nicht theoretisiert und abstrakt anhand von Formeln erfaßt und aufgeschlüsselt worden. Mit deren Hilfe wurde es jetzt möglich, im Hinblick auf die Kausalitätstheorie und mit Hilfe der neu entwickelten mathematisch - physikalischen Formeln, exakte Berechnungen über Ereignisse vor ihrem eigentlichen Eintreten, z.B. über die Aufschlagsgeschwindigkeit von Körpern und Gegenständen, aufzustellen. Mit anderen Worten heißt das, daß, von einer vorher näher bestimmten Ausgangsbedingung, die unmittelbar auf dieseUrsachefolgendeWirkungdurch Berechnung festgelegt werden konnte. Eine exakte, wenn auch zeitlich begrenzte, Vorhersage der Zukunft wurde möglich. Neu daran war nicht die Vorherbestimmung an sich, denn schon sehr alten Hochkulturen war es z.B. gelungen, Sonnenfinsternisse vorauszusagen, sondern die Form und Tragweite der Anwendungsmöglichkeiten dieser neuen Vorhersagen.

Die Völker im Zweistromland (Euphrat und Tigris) z.B. hatten sich ihre zeitlichen Vorhersagen aus der, durch langwierige Beobachtungen gewonnenen, Erkenntnis, daß Sonnenfinsternisse einem offenbar regelmäßigen Zyklus unterliegen, erarbeitet. Aus dieser Erkenntnis heraus, konnte das regelmäßige Auftreten dieses Phänomens relativ exakt vorausgesagt werden.

Bis zum Aufkommen des Empirismus in den Naturwissenschaften hatten also Forscher Ereig- nisse, wenn überhaupt, mit einer auf der Erfahrung beruhenden Erkenntnis vorherbestimmt. Für Phänomene deren Ursachen im Dunkeln lagen, wurde eine sich auf den Glauben stützende, Theorie, diePraedestination, zu Hilfe genommen. Sie kam immer dann zur Anwendung, wenn es um unerklärbare Vorgänge und/oder deren unbekannte Ursachen ging: Durch den Verweis auf ein göttliches, unmittelbares Einwirken wurde der Anschein erweckt, Gott selbst greife häufig und bestimmt in das Leben ein und hielte alle Fäden der Natur und damit auch des menschlichen Daseins, fest in der Hand. Alle Vorkommnisse seien daher von Gott vorherbestimmt und gewollt.

Als zu Beginn der Aufklärung im 17. Jahrhundert aber langsam deutlich wurde, daß z.B. die Planetenbewegung keineswegs auf pausenlose göttliche Eingriffe, sondern vielmehr auf die wechselseitige Wirkung von Gravitationskräften zwischen den einzelnen Planeten, zurückzuführen sei, war dies ein entscheidender Meilenstein, der zum Niedergang der kirchlichen Lehre der Praedestination führte. Die bereits im Mittelalter vorhandene Vorstellung, daß jede Ursache auch eine Wirkung und jedes Ereignis hat einen Grund hat, bekam neuen Aufwind.

Im Zuge dieser aufklärerischen Entwicklung wurden in der Philosophie neue Begriffe

geprägt, unter anderen der desDeterminismus. Er besagt zunächst, daß sämtliche natürlichen Vorgänge, die der Kausalität unterliegen, vorherbestimmt sind und daher anhand ihrer bekannten Ursachen und Gesetze auch vorausgesagt werden können.

Auf die physikalischen Erkenntnisse Newtons ist diese Behauptung durchaus anwendbar, aber Newton hat ja nicht die komplette Natur entschlüsselt, sondern nur einen kleinen Teilbereich. Seit dem Vorstoß der Naturwissenschaften in Richtung der Nachprüfbarkeit von Natur- ereignissen, hat sich einiges in den klassischen Disziplinen der Physik getan. Viele weitere Gesetzmäßigkeiten wurden entdeckt und bestärkten die Anhänger eines deterministischen Weltbildes in ihrer Meinung. Doch nach den anfänglich großen Erfolgen bei der Entdeckung von Naturgesetzen, wurde diese Entwicklung langsamer und die komplette Entschlüsselung einer sogenannten ,,Weltformel" blieb trotz vieler Bemühungen, u.a. des deutschen Physikers Werner Karl Heisenberg,[4] bis heute aus. Mit Hilfe einer solchen Formel, glauben die Anhänger des Determinismus, müßte es möglich sein, die Zukunft des gesamten Universums exakt vorauszubestimmen.

Ist aber die Idee von solchen exakten, auf empirischem Wissen beruhenden, Vorhersagen nur auf die klassische Physik und andere Naturwissenschaften beschränkt, oder lassen sich solche Theorien auch auf die Psyche des Menschen beziehen? Handelt ein Mensch unter bestimmten Voraussetzungen immer gleich? Würde er morgen, ohne die heutige Erfahrung, dieselbe Handlung begehen, oder ist sein Verhalten eherzufällig?

Im Folgenden werden zum Versuch einer Klärung dieser Frage zunächst die Begriffe Kausalität und Zufall erläutert, deren Kenntnis Voraussetzung für das Verständnis eines möglichen Determinismus ist. Nach der Aufsplitterung des Determinismusbegriffs in seine, für den Alltag, wichtigsten Bereiche und Erklärung derselben, wird im zweiten Hauptteil dieser Arbeit die Theorie des Indeterminismus erklärt, die aber eigentlich nur als ein Gegenpol zum Determinismus existiert. Hier sollen die Unterschiede zwischen den Varianten beider Anschauungen verständlich und, wie im ersten Hauptteil, anhand von möglichst nachvollziehbaren und alltäglichen Beispielen näher erläutert werden.

Zum Schluß wird vor diesem erweiterten Hintergrundwissen der Frage nachgegangen, ob sich der Determinismus auf bloße Naturereignisse beschränkt, oder etwa auch auf das Denken und Handeln des Menschen angewendet werden kann. Welche Konsequenzen würden sich aus einer positiven oder negativen Bewertung dieser Frage ergeben?

1. Kausalität

Wenn ein Apfel an einem Apfelbaum reif genug ist, dann löst sich der Stil vom Ast und er fällt auf den Boden. Der Grund für das Lösen des Apfels vom Ast ist also sein Reifegrad. In den meisten bekannten Fällen laufen Handlungen und Ereignisse in der Natur , wie der eben beschriebene, nach einem Ursache- Wirkungsprinzip ab, das verkürzt einfachKausalität genannt wird. Als Ursachen gelten physikalische Zustände, Bedingungen oder Ereignisse, welche eine zusammenhängende Abfolge von Zuständen darstellen, und in ihrer Funktion als Wirkung wiederum Ursache für weitere Reaktionen sein können. Im vorherigen Beispiel verharrt der reife Apfel nach seiner Ablösung vom Stamm nicht irgendwo in der Luft, sondern wird von der Erdanziehung erfaßt und fällt zu Boden. Daraus läßt sich ableiten, daß Kausalitäten in der Welt eigentlich nie isoliert auftreten, sondern sich immer in einer Art ,,Kausalkette"verbinden: Die Ursache für den Stand der Reife des Apfels zu diesem Zeitpunkt, ist vom Wetter - das heißt also von den Reifungsbedingungen - im zurückliegenden Sommer herzuleiten. Der auf den Boden gefallene reife Apfel kann nun wiederum einem Lebewesen als Nahrung dienen oder selbst zu einen neuen Apfelbaum werden, usw.

Auch ausdrücklich auf Singularität angelegte Laborversuche in den empirischen Naturwissen- schaften wie Chemie oder Physik stellen nur bewußt hervorgehobene Teile von Kausalketten dar. Auch hier lassen sich solche Ursache- Wirkungsketten nicht vermeiden oder ausschließen. Wenn z.B. bei einer chemischen Reaktion, wie dem Lösen von Natrium in Wasser, Wärme entsteht, dann hat sich zwar das vom Chemiker angestrebte Versuchsergebnis eingestellt und der Versuch ist für ihn empirisch zufriedenstellend beendet und abgeschlossen, doch eine Kausalrelation läuft weiterhin ab, allein schon durch das Auskühlen des Objekts, das dadurch wieder die Umgebung erwärmt und somit den ursprünglichen Zustand verändert, usw..

Bleibt also festzuhalten, daß in der (empirischen) Natur einfache, isolierte Kausalereignisse normalerweise nicht vorkommen und die einzelnen Antezedens - Konsequenz Abläufe, zumindest im Makrobereich der Wissenschaften in für uns weitgehend erfassbaren Formen ablaufen.

Üblicherweise unterscheidet man zwei Kausalitätsvarianten: Zum einendas schwache Prinzip der Kausalität, welches besagt, daß auf gleiche Ursachen gleicheWirkungen folgen, und zum anderen dasstarke Prinzip der Kausalität, nach dem auch noch ähnliche Ursachen ähnliche Wirkungen haben.

In der klassischen Physik wurde immer vom Letzteren ausgegangen, heute jedoch weiß man, daß in bestimmten Systemen nur das schwache Prinzip gilt. Selbst geringe Abweichungen von Anfangsbedingungen können verschiedene Endzustände zur Folge haben.

Voraussetzung für ein Erfassen von vorhandenen Regularitäten, z.B. die Existenz von Naturgesetzen, in kausalen Prozessen ist, daß Versuche beliebig oft wiederholt werden können und aus der Beobachtung von ablaufenden Vorgängen, auf deren Gesetzmäßigkeit(en) geschlossen werden kann. Sind diese einmal bekannt und formuliert, können Versuchsergebnisse auch theoretisch, ohne ein zugehöriges Experiment, berechnet werden. In den klassischen Naturwissenschaften sind Gesetze oder Regularitäten meistens durch mathematische Gleichungen gegeben und können daher auch entsprechend auf ihre Verifizierbarkeit überprüft werden. ,,Nur durch Regularitäten können wir überhaupt Wunder (oder Zufall) von verursachten Ereignissen unterscheiden."[5] Was sind aber Zufälle und lassen sie sich denn von anderen natürlichen Ereignissen abgrenzen, bzw. ausschließen?

2. Zufall

In der Alltagssprache wird Zufall oder zufällig zumeist verwendet, um eine Begebenheit zu benennen, mit der man noch unmittelbar vor dem Eintreten derselben überhaupt nicht gerechnet hat und auch nicht rechnen konnte. Das Geschehene weicht in seiner Auswirkung völlig von der ihm vorausgegangenen Ursache ab und kommt sozusagen überraschend. Man kann sagen, daß der ,,Zufall im Gegensatz zu kausal determinierten und voraussagbaren bzw. berechenbaren Ereignissen verstanden"[6] wird, da er ,,nicht mit Notwendigkeit aus einer gegebenen Gesamtheit von Bedingungen folgt".[7] Man spricht also von Zufall, wenn in einer Kausalbeziehung, beispielsweise, unbekannte Faktoren auftreten, mit denen die die Wirkungen hervorrufenden Ursachen nicht, oder nur unzureichend, erklärt werden können. In einer Kausalrelation tritt der Zufall nur als Anfangsursache einer Kette auf, nie als Wirkung. Überschneiden sich mehrere Kausalketten kann eine, durch dieses Zusammentreffen hervor- gerufene, Wirkung allerdings wiederum als Ursache und Beginn einer neuen Kausalkette fungieren. Wäre es nicht zu einem Kreuzen dieser Ketten gekommen, ist es durchaus denkbar, daß sie, über diesen Punkt hinaus, weiterhin dem Kausalprinzip gefolgt wären, ohne daß ein Zufall dieses Ursache/Wirkungsgefüge verändert und somit beendet hätte. Eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Überraschung und Zufall liegt hauptsächlich in der unterschiedlichen Verwendung derselben, denn beide beschreiben eine grundsätzlich ähnliche Ereignisform. Während Zufall ein in der empirischen Naturforschung und der Philosophie verwendeter und dort wissenschaftlich anerkannter Begriff ist, der innerhalb von Kausalrelationen auch näher bestimmt werden kann, wird Überraschung zumeist in alltäglichen, unwissenschaftlichen Bereichen verwendet, wie z.B. bei einem ,,überraschenden Geburtstagsgeschenk". In diesem Fall ist die Überraschung eine Art geplanter Zufall und nur für den Beschenkten scheinbar zufällig, nicht aber für den Schenkenden. Bei einer echten zufälligen Begebenheit ist diese zwar nicht genau vorherbestimmbar, kommt aber dennoch nicht gänzlich unerwartet, was bei einem überraschenden Geschehen durchaus möglich sein kann. Ferner istZufallein neutraler Begriff, ohne auf- oder abwertenden Charakter, währendÜberraschungmeistens einen positiven Aspekt impliziert.

Als Beispiel für ein zufälliges Ereignis, das beim Überschneiden von mehreren Kausalketten entsteht, kann man das auf den Boden gefallene rohe Ei betrachten. Das Ereignis des Fallens setzt mehrere Dinge voraus, nämlich das Loslassen, des Eies, die Erfassung desselben durch Gravitation, der Ort des Geschehens, welcher erst (in diesem Beispiel wegen des Steinbodens) aufgesucht werden mußte usw. Nach dem Aufschlag auf den Steinboden fällt allein schon rein optisch auf, daß sich das zerstörte Ei sehr stark vom unmittelbar vor dem Aufschlag noch intakten unterscheidet. Trotzdem bleibt das Fallen des Eies und sein unweigerlicher Aufschlag an sich berechenbar und die Zerstörung der Kalkschale ist aus diesem Grund nicht wirklich zufällig. Die Form und Ausdehnung des Dotter- Eiweißgemisches nach dem Aufschlag auf dem Boden unterliegt jedoch dem Zufall und nie decken sich die Umrißformen einer Eierpfütze mit der eines anderen Eies, auch wenn beide die gleiche Masse besaßen und aus gleicher Höhe und zur gleichen Zeit fallengelassen worden sind.[8]

Das ist aber nur eine mögliche Variante, denn beim Auftreten von Zufällen ist es, wie oben schon erwähnt, möglich, daß die Ursache eines Ereignisses gar nicht erst bekannt ist und/oder sogar die Frage nach ihrer Existenz an sich rein spekulativ bleibt. Ein solches Beispiel für einen derartigen Zufall wäre, wenn man in einer fremden Stadt irgendwo auf der Welt seinen Nachbarn aus dem eigenen Heimatort trifft, ohne sich mit diesem zuvor in irgendeiner Weise verabredet zu haben. Hier sind die Gründe, die zu einem solchen Treffen führen nicht genau bekannt und können auch nicht mathematisch nachvollzogen werden, was aber für das mögliche Vorhandensein einer Regularität die erste Voraussetzung wäre. (Der Fall, daß ein örtliches Reisebüro mit einem Sonderangebot die Bürger dieses Ortes in jenen Teil der Welt quasi gelockt hat, wird hier ausgeklammert.) Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Zufall eine ,,Unsicherheit in der kausalen Bestimmung eines Ereignisses" ist, ,,wenn unbekannte oder vielfältige Faktoren das Geschehen bestimmen"[9] In einer Kausalkette kann also der Zufall nicht auftreten, außer zu deren Beginn. Man kann also nicht sagen: ,,So, ich erschaffe jetzt durch mein Verhalten einen echten Zufall." Wäre dies möglich, dann wäre ja das angestrebte Ereignis, das ,,zufällig" heißen soll, bereits vorher festgelegt und damit eben genau nicht mehr als zufällig, sondern eher als determiniert, zu bezeichnen. Was versteht man aber unterDeterminismusund welche Arten lassen sich unterscheiden?

3.Epistemischer Determinismus

Im Folgenden soll der Determinismusbegriff und seine verschiedenen Varianten näher erläutert werden. In den Abschnitten 3.1.1 bis einschließlich 3.2 wird der epistemische Determinismus näher untersucht und in ver-schiedene Facetten aufgeteilt. ,,Epistemisch" bedeutet vereinfacht gesagt, ,,unsere Erkenntnis betreffend", also allgemein ,,unser Wissen." Unter diesen Begriff fallen alle die Dinge, die wir als Subjekt in unserer Umgebung und der Natur wahrnehmen können, das schließt Gesetz-mäßigkeiten, Bezeichnungen sowie Eigenschaften von Objekten mit ein. Es sind die Dinge und Vorgänge, die von uns ,,erfahren" werden. Mit dem Zusatz epistemisch" wird ein Deter-minismus beschrieben, der seinen historischen Ursprung ,,in der klassischen Mechanik und der mit ihr verbundenen Naturphilosophie"[10]hat. Somit werden als Beispiele zur Veranschaulichung bewußt Situationen aus dem Alltag benützt.

3.1 Unterscheidung zwischen kausalem und nomischem Determinismus

3.1.1 Kausaler Determinismus

Der Zufall, als auftretende Wirkung in einer Kausalrelation, kann nach der Definition in Punkt 2. ausgeschlossen werden und somit ergibt sich im Hinblick auf das Kausalprinzip eine Möglichkeit, künftige Ereignisse vorherzusagen. Wenn auf eine Ursache nur einebestimmte Wirkung folgen kann, so ist es möglich, diese Wirkungen aus den Ursachen zu determinieren. Eine Definition von Determinismus lautet demnach, daß durch den jeweiligen Zustand zum Zeitpunkt t1 bereits der kommende Zustand t2 festgelegt ist. Umgekehrt gilt dasselbe (siehe Punkt 3.2) Diese Idee ist in der Philosophie ist unter dem Namen ,,totaler kausaler Determinismus" bekannt. Der französische Mathematiker Laplace gibt eine leicht verständliche Definition dieser Determinismus Version: ,,Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als die Wirkung seines früheren Zustands und andererseits als die Ursache dessen der folgen wird, betrachten."[11]

Hier werden die Begriffe -Ursache und Wirkung- ausdrücklich erwähnt, was eindeutig macht, weshalb hier von einemkausalenDeterminismus gesprochen wird. Also deshalb, weil ein mögliches vorhanden sein von Determinismus auf der Basis der Kausalität funktioniert, und ein universell anwendbares kausales Theoriegebäude als notwendige Bedingung vorausgesetzt werden muß. Es scheint nun aber wenig sinnvoll, von Ursachen und Wirkungen zu sprechen, wenn diese nicht Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind.[12]Eine weitere Aufschlüsselung wird also notwendig, denn im Gegensatz zumnomischenDeterminismus werden beimkausalenDeterminismus Regularitäten nicht ausdrücklich erwähnt, obwohl sie ,,stillschweigend vorausgesetzt"[13]werden.

3.1.2 Nomischer Determinismus

Die Betonung liegt beim kausalen Determinismus, wie bereits in 3.1.1. beschrieben auf der Ursachen- und Wirkungrelation. Gesetze oder Funktionen sind für ein deterministisches Kausalprinzip notwendig, werden aber nicht extra betont, sondern einfach vorausgesetzt. So bleibt die Frage, ob die Gesetze für alle Zustände und Wirkungen gelten, oder ob nicht Ausnahmen auftreten können in denen ein zufällig auftretendes Ereignis dieses Gedankenmodell zum Einsturz bringen kann.

Daher wird eine weitere Form des Determinismus benötigt, die eben jenen Fall des Zufalls komplett ausschließen kann: Mit demnomische Determinismuswird diese Forderung erfüllt, denn sein Schwerpunkt stellt nicht die Ursachenkonstellation dar, sondern er ,,bezieht sich explizit auf (mathematisch formulierte) Gesetze."[14]Ein wirklicher extensionaler Unterschied, vor allem für die Praxis, ist zwischen beiden Determinismus - Varianten eigentlich nicht vorhanden, da sich beide Modelle nicht unabhängig voneinander betrachten lassen. Es ist nicht möglich, sich in den empirischen Naturwissenschaften nur auf Gesetzmäßigkeiten zu stützen und dabei das Kausalprinzip völlig außer acht zu lassen. Ein umgekehrtes Denken ist gleichfalls nicht möglich. Der kausale Determinismus setzt dort ein, wo der nomische seine Schwächen hat, z.B. bei einer unklaren Antezedens - Konsequenz Relation, und die nomische Formulierung betont die absolute Gültigkeit von Regularitäten in allen Fällen und schließt, wie oben bereits angedeutet, zufällige Ursachen endgültig aus. ,,Die unterschiedliche Perspektive darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß nomischer und kausaler Determinismus jeweils zwei Seiten derselben Medaille sind."[15]

Dennoch scheint eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen diesen beiden Determinismus- Varianten zunächst intuitiv überflüssig. Daß dies keineswegs so ist, zeigt ein Blick auf die Theorie dersingulären Ursachen. Sie besagt, daß die Möglichkeit besteht ,,von Ursachen zu sprechen, ohne sich auf Regularitäten beziehen zu müssen."[16]In einem solchen Fall wäre die herausgegriffene Ursache nicht zwangsläufig Teil einer Kausalkette, sondern könnte als singuläres Phänomen ohne irgendwelche Gesetzmäßigkeiten aufgetreten sein. Sehr wohl aber ist es möglich, daß dies wiederum der Beginn bzw. die Ur- Ursache einer neuen Kausalkette wäre.

Beispielsweise steckt in der im Glauben der christlichen Weltanschauung vertretenen Auffassung von der Erschaffung der Welt ein solches Moment. Der Satz ,,Am Anfang erschuf Gott Himmel und Erde."[17]läßt offen, woraus und aus welchen Motiven Gott die Welt erschaffen hat und läßt die Assoziation zu, daß diese aus dem ,,Nichts" hervorgebracht wurde. Was er aber damit ausgelöst hat, wissen und sehen wir heute alle, wenn wir die Erde und ihre Lebewesen betrachten. Daß dies alles aus dem ,,Nichts" geschaffen worden sein soll, erscheint uns heute äußerst unglaubwürdig. Eine solche Schöpfungsgeschichte muß nach empirischer Ansicht angezweifelt werden und bleibt reine Spekulation. Deshalb muß ein solches Szenario für die Gültigkeit eines universellen Determinismus mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, was mit der ausdrücklichen Betonung des nomischen Teilbereichs geschehen ist.

Bereits in Kapitel 3.1.1 wurde eine Unterscheidung innerhalb eines kausalen Determinismus angedeutet, die im folgenden Unterpunkt noch deutlicher herausgearbeitet werden soll.

3.2 Prädiktiver und postdiktiver Determinismus

Wenn also, wie in Punkt 3.1.1 angedeutet, aufgrund einer Ursache deren zukünftige Wirkung bereits determiniert sein soll, so wäre es durchaus denkbar, daß Analoges auch umgekehrt gilt, nämlich, daß von der Wirkung auf die Ursache geschlossen werden kann. Diese Möglichkeit der Gliederung wird vollzogen, indem man zwischenpraediktiven kausalen Determinismus, mit dem sich aus dem Antezedens die Konsequenz bestimmen läßt, einerseits und dempostdiktiven kausalen Determinismusandererseits, für den das reziproke Verhalten gilt, unterscheidet. Werden diese beiden Varianten im Hinblick ihres Einflusses auf den Weltverlauf überprüft, ergeben sich zwei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten desselben. ,,Unter Geltung eines postdiktiven Determinismus wären Konvergenzen unterschiedlicher Weltverläufe unmöglich, Verzweigungen blieben dagegen nicht ausgeschlossen, während beim prädiktiven Determinismus Konvergenzen möglich und Verzweigungen ausgeschlossen sind."[18]

Wie das gemeint, ist soll das folgende Schaubild verdeutlichen:

Postdiktiver kausaler Determinismus Prädiktiver kausaler Determinismus Vergangenheit Zukunft Vergangenheit Zukunft Jeweils in eine zeitliche Richtung ist es nicht möglich, aufgrund der Determiniertheit, mehrere, verschieden abfolgende Zeitverläufe anzunehmen. Umgekehrtes kann aber jeweils in beiden Fällen nicht ausgeschlossen werden.

Als Beispiel für einen prädiktiven Determinismus kann man das bereits in der Einleitung verwendete Beispiel vom fallenden Ei nennen. Voraussetzung ist, daß man von einer exakt angegebenen Höhe ausgeht, aus der das Ei fallengelassen wird. Auch die Masse des Eis muß vor dem Versuchsablauf bestimmt werden, um eine Berechnung der Aufschlags- geschwindigkeit durchführen zu können. Da das Ei linear von der Gravitation beschleunigt wird, können entsprechende Aussagen vor dem eigentlichen Aufschlag getroffen werden. Die postdiktive Variante wird z.B. bei der Rekonstruktion von Verkehrsunfällen zu erreichen versucht. Hier ist es das primäre Ziel der ermittelnden Polizei, möglichst die exakte Ursache des Ereignisses zu fassen, indem alle nachvollziehbaren Faktoren, wie Bremsweg und Beschaffenheit der Fahrbahn, berücksichtigt werden. Diese praktische Anwendung kann allerdings nur als einVersuch,den postdiktiven Determinismus zu erreichen, bezeichnet werden, da niemals alle Einflüsse erfaßt werden können.

In manchen Bereichen der Natur kommen diese beiden unterschiedlichen Determinismustheorien zusammen und es entsteht eine neue Variante.

3.3 Totaler kausaler Determinismus

Fallen beide Determinismusarten zusammen, so spricht man vomtotalen kausalen Determinismus. Damit ist gemeint, daß aus einem Ereignis sowohl die vergangene Ursache, als das auslösende Moment rekonstruiert, sowie der zukünftige Zustand der Kausalkette bestimmt werden kann.

Beispiele, in denen die Theorie des totalen kausalen/nomischen Determinismus zur Anwendung kommt, finden sich z.B. in der physikalischen Disziplin der Mechanik. ,,Das Klassische Ideal" ist für Günter Koch ,,die Billardkugel, die mit einer anderen in Ruhe befindlichen kollidiert," und ,,ihren Impuls teilweise auf diese Kugel"[19]überträgt. Beide Kugeln werden aufgrund des Zusammenpralls ihre Bahn und Geschwindigkeit ändern. Wenn man die Kräfte, die auf beide Kugeln wirken, zu einem Zeitpunkt umkehren könnte, ,,bevor sie weiteren Wechselwirkungen mit anderen Objekten ausgesetzt"[20]wären, würde exakt der gleiche Vorgang in umgekehrter Reihenfolge ablaufen. Ob ein mit der Kamera festgehaltenes Geschehen dieser Art nun, als Film gezeigt, vorwärts oder rückwärts abgespielt würde, könnte man nicht unterscheiden. In diesem Beispiel ist die Ursache- und Wirkungsrelation in der Weise vertreten, daß der Anstoß der einen Kugel letztendlich als Ursache der nach dem Zusammenprall beider Kugeln auftretenden Richtungswechsel (Wirkung) gesehen werden muß. Auch der nomische Aspekt der Kausalrelation in Form einer Mechanikgleichung, mit deren Hilfe vor dem Zusammenstoß bereits die Richtung und Geschwindigkeit beider Kugeln nach selbigem berechenbar ist, wird in diesem Beispiel angewandt. Vereinfacht ausgedrückt läßt sich aus einem Zustand t1 sowohl die vorherige Ursache t0, als auch die kommende Folge t2 berechnen, da der Verlauf der angewandten mechanischen Gleichung linear ist. Wendet man sich der Anwendbarkeit dieses Determinismus in der Natur zu, so stößt man beim Verlassen der linearen Ebene auf zwei weitere Varianten von Gleichungen, die konvergierenden und divergierenden. Diese beiden Systeme, die in der Welt weitaus zahlreicher vertreten sind als die linearen, gestalten sich im Hinblick auf den totalen kausalen Determinismus als bedeutend schwieriger zu fassen. Vor allem der postdiktive Determinismus verliert bei nicht linearen Ereignissen rasch seine Anwendbarkeit.

Neben den bisher beschriebenen epistemischen Vorgängen, sind aber auf unserer Erde noch Bereiche vorhanden, die nicht mit unseren Sinnen erfassbar sind. Kann in einer derartig aufgeschlüsselten Welt ein Determinismus noch theoretisiert werden?

4. Ontischer Determinismus

Es sind, neben den bereits angesprochenen Möglichkeiten der Unterscheidung und Bestimmung von deterministischen Vorgängen, auch noch weitere Einteilungen im Hinblick auf die außerhalb einer epistemischen Welt vorhandenen Bereiche sinnvoll. Neben der epistemischen gibt es noch eine sogenannteontischeWelt, die das ,,Seiende an sich" näher zu erklären versucht. Ontisch bezeichnet eine Betrachtungsweise der Natur, in der von uns zwar bereits Dinge erfaßt, rational aber noch nicht erschlossen sind. Wir wissen, daß sie vorhanden sind, obwohl sie sich unserer sinnlichen Wahrnehmung entziehen.[21]

Im Prinzip sind beim ontischen die gleichen Unterscheidungen, wie beim epistemischen Determinismus möglich, also läßt er sich aufteilen in einenontischen Determinismus der Zukunft, derVergangenheitund, beide zusammengenommen, in dentotalen ontischen Determinismus.[22]

Die Fragestellungen sind jedoch unterschiedlich. Während man bei der epistemischen Variante nur von subjektiv richtigen Erfahrungen ausgehen kann, aus denen sich eine mögliche Vorhersagbarkeit ableitet, geht es beim ontischen Determinismus darum, ,,wie die Natur wirklich ist."[23]Daraus folgt, daß die den drei oben genannten Unterscheidungen dieser Theorie zwangsläufig zugrundeliegenden Regularitäten, die Naturgesetze, als echte Gesetzmäßigkeiten verstanden werden müssen, unabhängig der Möglichkeit, sie anhand einer naturwissenschaftlichen Untersuchung erfassen und wiedergeben zu können. Gelten für diese dem ontischen Determinismus unterliegende Welt und somit auch für das Universum solche ,,wahren" Regeln, so ist ,,nur ein möglicher, nämlich der tatsächliche Geschichtsverlauf"[24] existent. ,,Würde die Welt zu irgendeinem Zeitpunkt neu geschaffen und in einen Zustand gebracht, in dem sie zuvor bereits einmal gewesen ist, so müßte sich das bereits einmal eingetretene Geschehen bis in jede winzigste Einzelheit wiederholen. Objektiver Zufall, wie moderat auch immer, ist ausgeschlossen."[25]

Im Gegensatz zum epistemischen Determinismus, der sich in seiner Anwendung auf bestimmte Teilbereiche in der Natur beschränkt und auch nur dort gültig ist, geht der ontische Determinismus in seiner Tragweite viel weiter. Seine Anwendung wäre keineswegs irgendwelchen Grenzen unterworfen. Selbst der Versuch, nur Einzelheiten im Universum zu beschreiben, hätte eine universale Tragweite und schlösse sämtliche Vorgänge mit ein. Allerdings wird bei dieser Begriffsauslegung klar, daß der ontische Determinismus, soll er über eine rein hypothetische Ebene hinausgehen, zu seiner Begründung und Rechtfertigung auf epistemische Erkenntnisse, die der Festigung Theorie dienen, zurückgreifen müßte, da diese für uns faßbar und eindeutig sind. Nur aus diesem Bereich heraus ist eine gesicherte Erkenntnis möglich. Alles andere bleibt rein hypothetisch und damit in unserem heutigen noch vom Geist der Aufklärung geprägten Weltbild Spekulation. Damit kommt man sehr leicht in Gefahr, mit weltlicher Erkenntnis zu einer übernatürlichen Weltsicht zu gelangen. Man kann die ontische Ebene nicht mit epistemischen Argumenten begründen. Dies klingt mit der Definition des Begriffes ,,ontisch" bereits an, wenn die Blickrichtung auf einen anwendbaren ,,Nutzen" in diesem Teilbereich gelenkt werden soll.

Bisher wurde immer von einer vorherbestimmbaren Zukunft gesprochen, die aufgrund von Naturgesetzen, oder sogenannten ,,echten" Gesetzen im metaphysikalischen Bereich möglich sein soll. Der umgekehrte Fall ist aber auch denkbar, nämlich, daß überhaupt nichts festgelegt ist und sogar im Gegenteil, alles absolut willkürlich geschieht. Diese Vorstellung wird als Indeterminismus bezeichnet.

5. Epistemischer Indeterminismus

Der Indeterminismus in seiner Funktion als Gegenteil des Determinismus setzt auf der Ebene der Kausalität die Existenz einesechten Zufallsvoraus. Wenn dieser vorhanden ist, kann man von einem probabilistischen Vorgang sprechen, der zwar keine genauen Prognosen über Zukunft oder Vergangenheit zuläßt, eventuell aber eine wahrscheinliche. Wenn also zufällige Ereignisse in einer Kette häufig oder unberechenbar auftreten, spricht man von Indeterminismus. Eine Wirkung läßt absolut keine oder sehr viele Rückschlüsse auf deren Ursache zu und umgekehrt.

Als Beispiel für Indeterminismus kann unsereErfahrungfungieren. Es läßt sich niemals vorherbestimmen welche Lehren man aus einer Handlung oder irgendeinem Vorgang für sich selbst zieht. Fast jeder Mensch, zumindest in den Industrieländern, ist schon einmal schmerzhaft mit dem Fahrrad gestürzt, aber die wenigsten Leute ziehen als Konsequenz aus diesem Ereignis den Schluß, nie wieder Fahrrad zu fahren, obwohl dieser bei der in der Einleitung beschriebenen ähnlichen ,,Herdplattenerfahrung" eigentlich übertragbar sein müßte.[26]

Das klassische Beispiel für einepistemisch indeterminiertesEreignis stellt das Werfen einer Münze dar. Die epistemischen Faktoren sind uns alle bekannt, das Material aus dem die Münze geprägt ist, das Gewicht und schließlich sogar die Regeln der Vorgehensweise beim Werfen: Die Münze (z.B. aus Kupfer) wird auf Daumen und Zeigefinger gelegt und nach oben ,,geschnippt". Trotz dieser genauen Kenntnisse der Bedingungen ist es uns unmöglich vorherzubestimmen, auf welche Seite die Münze fällt.

Ein weiteres Beispiel für den empirischen Indeterminismus findet man, wenn man gegen einen Schachcomputer Schach spielt. Die Regeln des Spiels sind bekannt und auch dem Computer eingegeben worden. Er wird also im Verlauf der Partie keine Regelverletzungen begehen, da er entsprechend programmiert worden ist. Trotzdem lassen sich aufgrund der Kenntnis über die Art und Funktionsweise des Programms keine Aussagen über kommende Spielzüge des Rechners machen, vorausgesetzt, es handelt sich um einen ,,guten" Rechner, der genügend Prozessorkapazität besitzt, wie der legendäre Computer ,,Deep Blue", der im Jahre 1997 den damaligen russischen Schachweltmeister Kasparow in einer weltbewegenden Partie bezwang.

6. Ontischer Indeterminismus

Die Determinismus Debatte erfuhr in unserem 20. Jahrhundert eine entscheidende Wende mit dem Aufkommen der Quantenphysik. Während in der klassischen Makrophysik noch von einem allgemeinen Determinismus ausgegangen worden war wurde nun beim Vorstoß in den Mikrobereich klar, daß die Annahme von vorherrschendem Determinismus unhaltbar geworden ist.

Bereits vor der Entdeckung der Quantenphysik war es durch die stets verfeinerteren und genaueren Meßtechniken auch im bis dato deterministisch geglaubten Makrobereich der epistemischen Naturwissenschaften zu Ungenauigkeiten in der Auswertung von Versuchen gekommen, da man nun in der Lage war, auf viele weitere Stellen hinter dem Komma zu rechnen und feststellen mußte, daß niemals die exakt gleichen Werte ein und desselben Experiments unter den gleichen Bedingungen ermittelt werden konnten. Vor diesem Hintergrund begann in der Philosophie ein ähnlich drastischer Umdenkungsprozeß, wie bereits 300 Jahre vorher mit dem Aufkommen der epistemischen Naturwissenschaften. Diese mit Hilfe der Quantenmechanik neu entwickelte, statt bisher deterministische nun plötzlich ,,probabilistische Interpretation der Mikroprozesse"[27], war in der Lage, einen sehr weiten Geltungsbereich zu umfassen und lieferte damit ein neues Verständnis u.a. für den radioaktiven Zerfall und die Streuung des Lichts.[28]Die logische Folge auf diese Erkenntnisse war, daß man sehr leicht der Versuchung erlag, diese neuen epistemischen Erkenntnisse auf den ontischen Bereich zu übertragen.

Hierbei stößt man aber zwangsläufig auf Schwierigkeiten, die bereits unter Punkt 4. angedeutet wurden. Die Frage, ob die neuen Erkenntnisse aus der Quantenphysik auf ein möglicherweise ontisch indeterminiertes Universum, im Gegensatz zur bisherigen, sich auf die klassische Physik stützenden, Annahme einer determinierten Welt, hinauslaufen, ist ein immer noch häufig diskutiertes und ungelöstes Thema in unserer Zeit.

7. Determinismus und Indeterminismus im Alltag

Nach all diesen Aufschlüsselungen und Unterscheidungen einer möglichen Determiniertheit oder Indeterminiertheit von kausalen Abläufen in der Natur und im ontischen Bereich der Welt, bleibt die Frage, was das nun konkret für den Menschen bedeuten soll und inwieweit diese Anschauungen Einfluß auf unser Denken und damit auch auf unser alltägliches Zusammenleben haben könnten.

Durch den Geist der Aufklärung, der maßgeblich aus der erfolgreichen Entwicklung in der Physik genährt wurde, wuchs beim Menschen neben seinem epistemischen Wissen auch das Vertrauen in seine Vernunft. Dieses Denken gipfelte darin, daß der Glaube ,,an die prinzipielle Unbeschränktheit der Erkenntnisfähigkeit," und ,,die Ansicht, daß im Laufe der Zeit der Natur alle Geheimnisse entrissen werden könnten"[29]sehr stark ausgeprägt war. Mit diesem Gedanken wurde aber nun in den Geisteswissenschaften eine Diskussionslawine losgetreten, da die Freiheit des menschlichen Geistes plötzlich scheinbar nicht mehr vorhanden, bzw. gewährleistet war. Denn wenn Ereignisse in der Natur nach einem deterministischen Prinzip ablaufen, dann hätte das zu Folge, daß damit auch das Handeln des Menschen und seine Fähigkeit zu Denken demselben Gesetz unterliegt, da er ja unbestreitbar selbst einen Teil der Natur darstellt.

Denken und handeln wir demnach nach einer Regularität, die uns, durch ihre unbewußt vorgegebenen Denkmuster, scheinbar unsere gedankliche Freiheit nimmt und uns dadurch unfrei macht? Spontan würde jeder Mensch diese Behauptung weit von sich weisen, da die Gedanken ja frei sind, wie schon ein altes Sprichwort besagt. So einfach ist der Sachverhalt aber nicht zu klären, denn ein Grundlegendes Problem, bei der Frage nach einer psychologischen Determiniertheit, ist zunächst die Tatsache, daß es nicht möglich ist Freiheit eindeutig objektiv festzulegen. Denn ein Wissen, was denn eigentlich der Terminus Freiheit an sich bezeichnet, setzt das Erkennen seines Gegensatzes, Unfreiheit, voraus. Hinzu kommt, daß ,,Bestimmungen des Willens, die subjektiv nicht als Zwang empfunden werden,...das Gefühl von Freiheit ungetrübt"[30]lassen. So könnte, rein theoretisch, eine Person ihr gesamtes Leben in wie auch immer gearteter Unfreiheit verbringen und diesen Zustand, aufgrund mangelnden anderweitigen Wissens, für Freiheit halten. Ein ähnlicher Gedanke findet sich bereits in der antiken Philosophie bei Platons Höhlengleichnis, in dem die Menschen, festgebunden in einer Höhle, die Schatten an der Höhlenwand vor ihnen, hervorgerufen durch eine Lichtquelle hinter ihrem Rücken, für dierealeWelt halten, diese Umrisse aber ja nur ein schemenhaftes Abbild der Realität darstellen.

Aus diesen Überlegungen läßt sich ableiten, das im Falle eines derartig vorhandenen und sogenanntenpsychologischenDeterminismus subjektive Willensfreiheit existiert, objektive aber nicht, was aber das normale Individuum in seinen Freiheitsgefühlen nicht weiter stören dürfte.

Wenn nun Denken und somit auch das Handeln für zukünftige Ereignisse schon festgelegt ist, dann wäre der Mensch, von einem objektiven Standpunkt aus betrachtet, für seine Handlungen nicht verantwortlich zu machen, da er, sozusagen zwanghaft, Dinge ausführt und nicht wirklich frei entscheiden kann. Diese Annahme hätte zur Folge, daß der Sinn und Wert von Bestrafungen neu überdacht werden und gegebenenfalls geändert werden müßte. Friedrich Nietzsche war ein Anhänger dieser Theorie desharten Determinismus. Nach heutigem Rechtsverständnis wird aber nicht nach diesem Prinzip geurteilt. Der Grund dafür ist darin zu suchen, daß es letztendlich nicht darauf ankommt, ob Zufall und damit einhergehender Indeterminismus vorherrscht, oder nicht. Denn: ,,Ob eine Handlungsent- scheidung allein auf der Basis von bewußten und unbewußten auf Ursachen zurückführbaren Gründen oder unter Mitwirkung des Zufalls getroffen wird, macht für die Freiheit des Willens überhaupt keinen Unterschied."[31]Nach dieser Definition ist der Geist des Menschen immer frei und darum auch für sein Handeln selbst verantwortlich und entsprechend zur Rechenschaft zu ziehen.

Mit dem Aufkommen der Quantenphysik und Einsteins Relativitätstheorie, bekamen die Anhänger des Indeterminismus neuen Aufwind. Bereits vorher aber hatte ,,das Fehlen der Willensfreiheit bei Gültigkeit des physikalischen Determinismus ... viele Physiker und Philosophen in die die Arme des Indeterminismus getrieben."[32]Daß Indeterminismus und damit das vorhandensein von Zufall nun aber ein Garant für die Existenz von Willensfreiheit sein soll ist ebenso wenig einleuchtend, wie die Unfreiheitsbegründung beim Determinismus. Durch Zufälle wird der Wille zwar unvorhersehbarer, aber nicht freier.[33]

8. Literatur

Hartmann, Johannes,Das Geschichtsbuch, Frankfurt, 1955, S.14-17.

Klaus, Georg, Buhr, Manfred, (Hrsg.) Philosophisches Wörterbuch, Leipzig,1974.Koch, Günter, Kausalität, Determinismus und Zufall in der wissenschaftlichen Naturbeschreibung, Berlin, 1994.

Kwiatkowski, Gerhard,(Hrsg.), Schüler Duden Philosophie, Mannheim 1985.Mittelstraß, Jürgen,(Hrsg.) Enzyklopädie, Philosophie und Wissenschaftstheorie, Mannheim, 1996 Stöckler, Manfred,Moritz Schlick über Kausalität, Gesetz und Ordnung in der Natur; in: Rainer Hegselmann; Heinz-Otto Peitgen,(Hrsg.), Modelle sozialer Dynamiken, Wien 1996, S.225-244.

[...]


[1] Causa: lat. Ursache, Grund

[2] Es gibt natürlich noch andere Gründe als die der Gefahrenabwehr und auch gegenteilige, wie z.B. Kriegsstrategien, in denen ja alles daran gesetzt wird, den Gegner zu töten.

[3] ,,Beiläufig" deshalb, weil wir mit dieser Sinneswahrnehmung aufgewachsen sind, sie muß uns in ihrer Wirkung zunächst nicht zwingend erklärt werden, im Gegensatz zur ,,Herdplattenerfahrung";

[4] ,,Seit etwa 1953 arbeitete Heisenberg an einer einheitl. Theorie der Materie (,,Weltformel") über alle in der Natur auftretenden Elementarteilchen und alle ihre Naturgesetze." dtv - Lexikon, München 1997

[5] Günter Koch: Kausalität, Determinismus und Zufall in der wissenschaftlichen Naturbeschreibung, Berlin 1994, S. 43

[6] Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Band 1, Mannheim 1996

[7] G. Klaus, M. Buhr (Hrsg.) Philosophisches Wörterbuch, Leipzig, 1974

[8] Hier würde niemand die Form der Pfütze als ,,überraschend" bezeichnen, obwohl ihre Form mehr oder weniger ,,zufällig" ist.

[9] Koch (1994), S.102

[10] Mittelstraß, 1996

[11] Pierre Simon de Laplace, Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeiten, Leipzig, 1886, S. 4

[12] vgl. Punkt 1

[13] Koch, (1994); S. 83

[14] Ebd.

[15] Ebd.

[16] Ebd. S. 39

[17] Gen. 1,1

[18] Koch, (1994) S. 71

[19] Ebd. Seite 88

[20] Ebd. (1994), S. 102

[21] Nach: Schüler Duden, Die Philosophie; Duden Verlag Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, 1985

[22] Vgl. Abschnitt 3.2 und 3.3

[23] Koch, (1994), S. 142

[24] Ebd. S. 143

[25] Ebd.

[26] Das Beispiel ist nicht ganz korrekt und vollständig, denn schließlich zieht man aus dem Vorgang ,,Fahrradfahren" einen Nutzen, im Gegensatz zum ,,auf die Herdplatte zu greifen"

[27] Ebd. S. 181

[28] Ebd.

[29] Ebd. S. 77

[30] Ebd. S. 15

[31] Ebd. S. 15

[32] Ebd. S. 78

[33] nach Ebd. S. 15

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Kausalität und Determinismus in Wissenschaft und Alltag
Veranstaltung
Philosophie im Nebenfach/GS
Note
11 Punkte
Autoren
Jahr
1998
Seiten
19
Katalognummer
V95872
ISBN (eBook)
9783638085502
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kausalität, Determinismus, Wissenschaft, Alltag, Philosophie, Nebenfach/GS
Arbeit zitieren
Nico Sutter (Autor:in)Thomas Kemper (Autor:in), 1998, Kausalität und Determinismus in Wissenschaft und Alltag, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95872

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Kausalität und Determinismus in Wissenschaft und Alltag



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden